Ulrich Eisel Stefan Körner (Hrsg.) Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit Band I Die Verwissenschaftlichung kultureller Qualität Universität Kassel 2006 Herausgeber: Universität Kassel Fachbereich Architektur, Stadtplanung, Landschaftsplanung Arbeitsberichte: Heft 163 ISBN: 3-89117-161-7 Bezugsadresse: Infosystem Planung Universität Kassel Henschelstraße 2, D.34127 Kassel Tel.: ++49 (0)561/804-2016 Fax: ++49 (0)561/804-2232 E-mail: info-isp@uni-kassel.de URL: http://www.isp.uni-kassel.de Titelbild: 3D-Darstellung von Boris Stemmer Die vorliegende Veröffentlichung ist der erste Band aus der Reihe „Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit“, mit dem Untertitel „Die Verwissenschaftlichung kultureller Qualität“. Grundlage sind die Bei- träge zur Tagung „Die Verwissenschaftlichung kultureller Qualität im Naturschutz und in der Landschaftsplanung“ vom 04.-07.10.2004 in der Internationalen Naturschutzakademie auf der Insel Vilm. Kassel, September 2006 Vorwort Das vorliegende Buch ist eine vom Bundesamt für Naturschutz angeregte und mit zu- sätzlichen Beiträgen erweiterte Publikation der Tagung „Die Verwissenschaftlichung kul- tureller Qualität im Naturschutz und in der Landschaftsplanung“ vom 04.-07.10.2004 in der Internationalen Naturschutzakademie auf der Insel Vilm. Diese Tagung war Teil einer dreijährigen Veranstaltungsreihe mit dem Obertitel „Landschaft als Teil einer Kultur der Nachhaltigkeit“, die vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- heit und von der Sächsischen Landesstiftung Natur und Umwelt unterstützt wurde. Aufgabe der Veranstaltungsreihe war, die kulturelle Bedeutung von Landschaft zu the- matisieren und die Gründe für die Verdrängung dieser Bedeutung aus dem Naturschutz- handeln zu analysieren. Daher wurde in der ersten Veranstaltung das Augenmerk auf die Gründe, Hintergründe, Methoden und Folgen der Versuche gerichtet, den Naturschutz und die Landschaftsplanung streng objektiv zu organisieren. Ein übergreifender Prozess wurde diagnostiziert: Naturschutz und Landschaftsplanung unterliegen dem Anliegen und der ge- sellschaftlichen Tendenz der Versachlichung von kulturellem Sinn. Diese Tendenz wurde auf die Notwendigkeit zurückgeführt, in demokratischen Gesellschaften subjektive Urtei- le und Interessen intersubjektiv begründbar zu machen. Wichtigster Mechanismus dieser Tendenz ist die Verwissenschaftlichung von alltagsweltlicher Erfahrung. Im Zentrum sol- cher Erfahrung stehen ästhetische Urteile. Daher wurde der Schwerpunkt der ersten Tagung auf dasjenige Verfahren gelegt, das seiner Entstehung und seinem Anspruch nach die Schönheit und Vielfalt landschaftlicher Eigen- art objektiv abbildet. Das ist die Landschaftsbildanalyse. Ihre Anwendung ist quasi die Nagelprobe für das Bestreben, den Schutz der sinnbehafteten landschaftlichen Gestalt in rationalen politischen Entscheidungsprozessen zu vertreten. Die Geschichte des Erfolgs respektive der Kritik dieses „Instruments“ der Landschaftsplanung eignet sich daher zur Demonstration des Sinns und der Grenzen der allgemeinen Versuche, Naturschutz und Landschaftsplanung bis in die letzte Konsequenz zu verwissenschaftlichen. Die vorliegenden Beiträge verdeutlichen, wie kulturelle Interessen systematisch aus der Analyse des Landschaftsbildes ausgeschlossen werden, obwohl sie der ursprüngliche An- satzpunkt dieses Instruments waren, und wie „materielle“ Kalküle die Oberhand gewinnen: Das Landschaftsbild wird von einem Sinnträger zu einer Ressource. Das Anliegen dieses Bandes ist, diesen „Zwang zur Rationalität“ ohne die übliche Zivilisationskritik zu rekonst- ruieren, d. h. ihn einfach zu verstehen, gleichwohl aber auch seine Kosten zu registrieren. Das Spektrum der vorliegenden Texte, die diese Situation darstellen, ist breit: Es reicht von Arbeiten zur ideengeschichtlichen Herkunft und zur Konzeption der Landschaftsbildanaly- se über naturschützerische Naturvorstellungen und deren Niederschlag in der Rechtsspre- chung bis hin zu Überblicken über den methodischen Status quo in der Praxis. Perspektiven einer verbesserten Visualisierung durch neue Computersimulationen werden diskutiert. Ulrich Eisel und Stefan Körner Inhalt Die Versachlichung der Welt 7 Über die Rolle der Wissenschaft in der Demokratie Ulrich Eisel und Stefan Körner Teil I 8 Die Struktur politischer Geltung des Bürgers und die Struktur der Erfahrungswissenschaft Ulrich Eisel Teil II 18 Gesunde Erholung in gesunder Landschaft: die Entwicklung der Landespflege zu einer versachlichten, legislativ geregelten Planungsdisziplin Stefan Körner Landschaftsbildanalyse – Landschaftsbildbewertung 47 Entwicklungsgeschichte eines Planungsinstruments Michael Roth Der Traum vom Goldenen Zeitalter als Ressource der Erholung 66 Die Entwicklung der ersten Landschaftsbildanalyse Stefan Körner Landschaftliche Vielfalt mit und ohne Sinn 92 Über den Nutzen einer Methode in der Landschaftsplanung und im Naturschutz Ulrich Eisel Landschaftserfahrung und individuelle ästhetische Aneignung 120 Werner Nohl Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft 128 Die Bewertung des Landschaftsbildes im Spagat zwischen rationaler Analyse und ganzheitlicher Betrachtung Beate Jessel Vom reizvollen Gegensatz zwischen bewaldeten Hängen 145 und offenem Talgrund Anmerkungen zu einigen Aspekten der deutschen Rechtsprechung zum Landschaftsbild Hildegard Eissing Stand der Anwendung von Methoden zur 160 Landschaftsbildanalyse und -bewertung Ergebnisse einer Auswertung von kommunalen Landschaftsplänen aus den Jahren 1970 bis 2001 Michael Roth Die Beurteilung des Landschaftsbildes 173 Konzept, Methodik und praktische Anwendungen bei Eingriffen und in der Landschaftsplanung Dietrich Kraetzschmer Vorsorgende Berücksichtigung des Landschaftsbildes 182 Beispiele aus der Bauleit- und Regionalplanung Ulrich Bielefeld 3D-Visualisierung als Bestandteil der Landschaftsplanung 193 Philip Paar 7DIE VERSACHLICHUNG DER WELT Über die Rolle der Wissenschaft in der Demokratie1 Ulrich Eisel und Stefan Körner Das Projektthema „Landschaft im Kontext einer Kultur der Nachhaltigkeit“ könnte auf unterschiedliche Art interpretiert werden. Das Bundesamt für Naturschutz hat durch die Leistungsbeschreibung bei der Projektvergabe die Perspektive vorgegeben. Die ästheti- schen Aspekte der Naturerfahrung, die Herkunft der Idee der Landschaft aus der Kunst, die Anmutungsqualität der Landschaft für Erholungssuchende, die heimatliche Bindung der Bewohner der Landschaft, also kurzum all das, was einer wissenschaftlichen Analyse durch die Ökologie nicht ohne weiteres zugänglich ist, soll mit der allgemeinen gesell- schaftlichen Forderung der Nachhaltigkeit abgeglichen werden. Das passt zu unserem Interesse, im Rahmen des Naturschutzes das Augenmerk auf die kulturelle Konditionierung der Fragestellungen und Forderungen des Naturschutzes zu lenken. Wir treten dafür ein, dass – wenn man Naturschutz nicht einfach als praktische Seite der Ökologie, sondern als ein eigenständiges Politikfeld betrachtet – der Gegenstand der Schutzbemühungen, die Natur, mehr und damit auch etwas ganz anderes ist als ein Ökosystem. Sie ist dann nämlich ebenso ein lebensweltlicher Erfahrungsraum wie eine Projektionsfläche für kulturelle Werte und Weltdeutungsmuster. Auf dieser komplexeren Ebene alltäglich ablaufender, kultureller Selbstvergewisserung ist sie zuforderst als ein ästhetisch zugängliches Sinnganzes wirksam. Auf dieser Ebene ist sie „Landschaft“. Die vorliegende Veröffentlichung geht auf das Spannungsverhältnis zwischen dem kultu- rellen Gut Landschaft und dem politischen System, in dem dieses Gut geschützt werden soll, ein. Naturschutz ist ein Segment demokratischer Politik. Das hat Folgen für die Art und Weise, wie dieses Schutzobjekt wahrgenommen werden muss. Die politische Sphäre kann sich der Landschaft nur annehmen, sie gewissermaßen ihren Prozessen einverleiben, wenn sie zuvor für einen spezifischen Diskurs aufbereitet wird. Dieser Aufbereitungspro- zess soll im Folgenden in zwei Schritten behandelt werden. Die beiden Themen lauten wie folgt: I. Die Struktur politischer Geltung des Bürgers und die Struktur der Erfahrungswissen- schaft: Hier werden Parallelen zwischen demokratischer Herrschaft und Wissenschaft herausge- arbeitet. Dabei soll nicht nur gezeigt werden, dass Verwissenschaftlichung von Objekten (hier des Objekts Landschaft), die in lebensweltlichen Handlungen konstituiert werden, 1 Dieser einführende Text wurde vor der Tagung an alle Referentinnen und Referenten sowie an die Tagungsteilnehmer als Verständigungsgrundlage verschickt. 8Voraussetzung für einen vernünftigen Diskurs über dieses Objekt ist. Es geht vielmehr vor allem darum, dass die Maximen und Handlungsweisen demokratischer Politik mit denen der Erfahrungswissenschaften übereinstimmen, gewissermaßen inhaltlich identisch sind. Daraus folgt, dass – parallel laufend – die demokratische Gesellschaft und die wissen- schaftlichen Objekte (hier die landschaftliche Natur) gleichförmig konstituiert werden; sie müssen als Realitäten kompatibel sein. Hat das zur Folge, dass es eigentlich gar keine Spielräume für andersartige Konstitutionsweisen von Natur gibt als die erfahrungswissen- schaftlichen? Ist der – auch in Naturschutz und Landschaftsplanung – viel beschworene „andere Umgang“ mit Natur ein Luftschloss? Dieser erste von insgesamt drei Bänden unter dem Titel „Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit“ wird vor allem das Ziel verfolgen, diejenigen Konzepte aus Naturschutz und Landschaftsplanung zu rekapitulieren und diskutieren, die sich dem Schutz und der Planung von ästhetischen und kulturellen Qualitäten verschrieben haben und mit dieser Fokussierung in die Mühlen der Verwissenschaftlichung geraten. II. Gesunde Erholung in gesunder Landschaft: die Entwicklung der Landespflege zu einer versachlichten, legislativ geregelten Planungsdisziplin. Hier wird beispielhaft vorgeführt, wie der oben beschriebene Zusammenhang zwischen de- mokratischer Politik und wissenschaftlicher Methode mit einer gewissen Zwangsläufigkeit alle Traditionen und Schulen des Naturschutzes und der Landschaftsplanung erfasst hat. Beschrieben wird ein differenzierter Transformationsprozess der Landespflege, im Über- gang vom Nationalsozialismus zur demokratisch legitimierten Planung in Deutschland. Teil I Die Struktur politischer Geltung des Bürgers und die Struktur der Erfahrungswissenschaft Ulrich Eisel Die Struktur der politischen Geltung des Einzelnen: Herrschaft des Volkes und Autorität der Sache Die Prinzipien demokratischer Herrschaft sind darauf ausgerichtet, personale Willkür zu unterbinden. Denn das war das Prinzip der feudalistischen Herrschaft gewesen: die Einheit von Souveränität und Person unter der Voraussetzung natürlicher Ungleichheit. Wenn demgegenüber ein ganzes Volk Souverän sein soll, müssen Prinzipien und Verfah- rensregeln gefunden werden, die ein Kollektiv zu einem praktikablen Entscheidungsträger machen. Diese Prinzipien und Regeln müssen andererseits mit den Grundrechten des Ein- zelnen konform gehen; aus denen werden sie abgeleitet. Der erstgenannte Aspekt begrün- det das Prinzip der Intersubjektivität: Wenn viele eine gemeinsame Meinung bilden sollen, müssen sie in einer gemeinsamen Sprache nach verbindlichen Regeln das bezeichnen, worüber sie entscheiden sollen. Es muss für jeden Einzelnen überprüfbar nachvollzogen 9werden können, worüber alle anderen reden. Intersubjektivität ist das formale Prinzip des Verhältnisses zwischen Einzelnem und gesellschaftlichem Ganzen im Hinblick auf den Zusammenhang der Einzelnen untereinander. Der zweite Aspekt steuert gewissermaßen den Inhalt dieser formalen Beziehung. Uns inte- ressiert unter diesen Inhalten das Gleichheitsprinzip. In diesem Prinzip wird die Gültigkeit von Tatbeständen so definiert, dass Individualität, d. h. der Einzelne in seiner Gültigkeit, formal gehandhabt werden kann. Das ist zwingend, da die überwundene Herrschaftsform gerade durch das Gegenteil charakterisiert war: Wenn Herrschaft personal fixiert ist, kon- stituiert die natürliche Stellung der Person ihre gesellschaftliche Geltung. Die ist je nach Position in einer Hierarchie der Beziehungen zur wichtigsten Person in einer Rangskala definiert. „Natürlich“ bedeutet also paradoxerweise eine durch Gott gewollte gesellschaft- liche Standortvergabe an die Person. Soll Ungleichheit abgeschafft werden, muss Geltung von transzendenten Mächten abgelöst und formalisiert werden. Jeder Einzelne ist eines unter einer Vielzahl von gesellschaftlichen Ereignissen der gleichen Art. Formal ist diese säkulare Gleichgültigkeit insofern, als keine Art von gesellschaftlicher oder natürlicher Inhaltsbestimmung wie etwa Reichtum, Stand, Beruf, Genialität, Körper- kraft und -geschicklichkeit, Geschlecht, Wissen usw. einem Einzelnen Vorteile vor dem Gesetz gegenüber anderen verschaffen könnte. Das heißt: Weil der Maßstab der Beur- teilung, das Gesetz, eine personenunabhängige, auf Übereinkunft beruhende Sammlung von Regeln ist, für die jedes Individuum in der Gesellschaft ein anonymes Einzelereignis darstellt, kann das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft als formale Subsumtion organisiert werden. Und es muss so organisiert werden, weil andernfalls keine Gleichbe- handlung der Ereignisse vorläge. In diesem Sinne ist das Verfahren für alle objektiv, und Geltung wird rein gesellschaftlich determiniert. Hierbei bedeutet nun „rein gesellschaft- lich“ paradoxerweise, dass das Recht des Einzelnen aus seiner Natur, frei und gleich zu sein, abgeleitet wird. Das Gesetz ist demzufolge die formalisierte Modellierung des gesamtgesellschaftlichen Universums unter der Bedingung der Gleichheit seiner Elemente. Seine Anwendung soll das allgemeine Wesen der potenziell zu beurteilenden Einzelnen, nämlich ihre politische Gleichheit, zur Geltung bringen – und damit jeden Einzelnen gerade und nur in seiner Gleichheit. Man kann dieses Gesetz als allgemeine Theorie der Gleichgültigkeit bezeich- nen. Entscheidend für ihre Allgemeingültigkeit (und ihren politischen Erfolg) ist die Un- abhängigkeit der Gesetzessammlung von der Bezeichnung und Interpretation der Ereig- nisse, die unter sie subsumiert werden, um der Geltung der Einzelnen in ihrer Gleichheit zum Recht zu verhelfen. Die Subsumtion erlaubt es, Recht zu sprechen, und das bedeutet: eine unter der Perspektive des gesellschaftlichen Gesamtsystems objektive Entscheidung über die Gültigkeit von Argumenten bezüglich eines Sachverhaltes zu treffen. Objekti- vität bemisst sich hierbei an der Wahrung des Gleichheitsprinzips bei der Abwehr eines anderen Geltungsanspruchs als des der formalen Gleichbehandlung. (Deshalb nennen wir jemanden objektiv, der sich jeder persönlichen Parteinahme enthält.) Damit wird durch die Identifikation eines gesellschaftlichen Ereignisses mittels der einschlägigen Gesetze der gesellschaftliche Prozess erfolgreich verifiziert. Für die Entscheidung, ob ein Gesetz einschlägig ist, d. h. ein Urteil ergehen kann, müssen zwei unabhängige Prämissen erfüllt sein: Erstens muss ein anerkanntes Gesetz existieren, und zweitens muss unabhängig von der Schuldvermutung ein Tatbestand empirisch festge- stellt werden. Das bildet den Hintergrund dafür, dass in allen Krimis alle Kommissare der 10 Welt immer betonen (und damit immer ihre Assistenten zurechtweisen), sie hielten nichts von Theorien, sondern brauchten Fakten, um einen Tatbestand zu beweisen. Sie selbst müssen sich dasselbe dann immer vom Haftrichter sagen lassen, wenn sie genau wissen, wer der Mörder ist, aber „nichts in der Hand haben“ – wie es dann heißt. Im Rahmen des Zusammenhangs einer Theorie – die von den möglicherweise einschlägi- gen Gesetzen unabhängig ist – mit Beobachtungen muss ein Sachverhalt empirisch festge- stellt werden. Ob ein Mensch einen anderen ermordet hat, ergibt sich nicht nur daraus, wie im Gesetz Mord definiert wurde, sondern zunächst z. B. daraus, wie Schädeldecken auf Schläge mit harten, schweren Gegenständen reagieren, sowie daraus, ob der Betreffende mit einem harten Gegenstand auf einen Schädel eingeschlagen hat. Wir nennen das mor- den, aber die Kommissare beweisen gar nicht dies, sondern dass A dem B auf den Kopf geschlagen hat. Und der Gerichtsmediziner stellt noch fest, ob dies die Todesursache war oder ob nicht vorher der C dem B schon ein Messer mit Todesfolge ins Herz gestoßen hat. Erst dann beginnen die Mühlen des Gesetzes zu mahlen. Es wird dann festgestellt, ob die empirischen Tatbestände ausreichen, um eine Subsumtion des Falles unter ein Gesetz zu vollziehen, das die Anklage vorschlägt. Es kann aber durchaus eine ganz andere oder auch gar keine Subsumtion erfolgen. Denn die Subsumtion hängt von der Qualität der Beobach- tung der Ereignisse des Falles ab. Objektiv ist ein ergangenes Urteil dann nicht etwa deshalb, weil es moralisch gerechtfer- tigt, also „gerecht“ wäre, sondern nur deshalb, weil es allen Bürgern unter den gleichen Bedingungen gleich erginge. Die Allgemeinverbindlichkeit der Gesetze und die strengen Regeln der unabhängigen Tatbestandsaufnahme bürgen in Kombination miteinander durch ein formales Subsumtionsverfahren dafür, dass subjektive Willkür ausgeschlossen bleibt. Das Gegenteil von subjektiver Willkür ist aber objektive Gesetzesordnung. Auf der einen Seite steht ein System von anerkannten Gesetzen; auf der anderen Seite steht die Welt möglicher Ereignisse, die in sachlichen Beziehungen zueinander stehen. Als Drittes gibt es Institutionen und Regeln, die diese beiden unabhängigen Bereiche organisieren, und solche, die sie in Beziehung bringen. Diese Regeln sind im weitesten Sinne solche der Erzeugung von Intersubjektivität. Damit sind wir wieder beim Ausgangspunkt angelangt. Es hat sich bei dieser Kreisbe- wegung Folgendes ergeben: Es gibt einen konstitutiven wechselseitigen Zusammenhang zwischen erstens Intersubjektivität, Objektivität, empirischem Sachbezug, Unabhängigkeit zwischen Gesetzestexten und deren Zustandekommen (im Parlament) und zweitens Tatsa- chenbeobachtung durch eine Exekutive sowie drittens einem formalen Subsumtionsprin- zip, vertreten durch eine dritte Institution, die Judikative. Die Intersubjektivität steht für eine Diskursgemeinschaft, die Herrschaft begründen muss, da Recht nicht mehr transzendent offenbart wird und personal autorisiert ist. Dieses Grund- anliegen, nämlich das der Volksherrschaft, wird durch die anderen Aspekte operationali- siert. Ich konzentriere mich jetzt auf den Sachbezug. Er steht für die Verbindung von Inter- subjektivität und Objektivität. Was für den juristischen Zusammenhang gilt, gilt auch für den politischen Zusammenhang: Die Diskursgemeinschaft oder ihr Ersatz, das Parlament, kann keine Entscheidungen treffen, wenn es keine Sachgrundlagen gibt. Die bestehen zu- meist aus wissenschaftlichen Gutachten: Dass Gegengutachten möglich sind, bestätigt nur das Prinzip. Verhandelt wird in Ausschüssen oder Sonderkommissionen, die nach sachli- cher Kompetenz zusammengesetzt werden. 11 Das alles gilt für den Papst und einen König nicht. Der Papst ist der Stellvertreter Gottes, und der wird wohl wissen, „was Sache ist“ auf Erden. Und Könige sind von Gottes Gna- den; deshalb können sie bestimmen, „was Sache ist“, unabhängig davon, ob sie es wissen oder nicht. In der Demokratie hängt die Durchsetzbarkeit eines partikularen Interesses, das vorgibt, ein allgemeines Interesse zu treffen, davon ab, dass es sich als eine objektive Notwendigkeit oder wenigstens doch Verbesserungsmöglichkeit des Allgemeinwohls erweisen lässt. Das Interesse muss als Sache beschrieben werden können, und diese Sache muss ihrer objekti- ven Gesetzmäßigkeit nach ein unabweisbares Allgemeininteresse repräsentieren oder aber darf zumindest einem solchen nicht widersprechen. Zum Beispiel wird ein Zusammenhang zwischen der Funktion der Vielfalt von Ökosystemen und der Lebensqualität zukünftiger Generationen hergestellt. Im Rahmen dieser Konstruktion gibt es eine Kontroverse darü- ber, ob fremde Arten diese Vielfalt beeinträchtigen bzw. welche dieser Arten; und Biologen beobachten und filmen Bäume unterschiedlicher Arten, um deren unterschiedlichen Nut- zen als Nahrungsträger für Vogelarten objektiv nachweisen zu können. Anders kann keine Politik im Namen zukünftiger Generationen gemacht werden; der König von China oder von Frankreich hätte ein solches Verfahren seinerzeit sicher nicht gewählt. Das stärkt die Rolle der Wissenschaften in der Gesellschaft enorm. Ohne sie würde nicht nur die Technologie des Kapitalismus stagnieren, sondern auch die Politik der Demokratie nicht funktionieren. Auf der kulturellen Ebene drückt sich der politische und juristische Zusammenhang eben- falls aus. Die Moderne ist eine Kultur der Versachlichung, insofern sie, aus den genannten politischen Gründen, Sinn durch Sache ersetzt. Alles, was in vormodernen Kulturen in ir- gendeiner Weise durch Transzendenz und/oder Tradition begründet wurde, ist nun wertlos. Es ist keinem vernünftigen Diskurs zugänglich. Daher muss beides durch Tatsachen und deren gesetzmäßige Beziehungen ersetzt werden. Die Wissenschaft tut das; sie „entzau- bert“ die Welt. Wenden wir uns jetzt der Wissenschaft zu. Die Struktur der Erfahrungswissenschaft Wissenschaft bemüht sich um die objektive Geltung von Erfahrung. Wie nicht anders zu erwarten, erreicht sie das durch die Intersubjektivität der Beobachtungspraxis. Es müssen Verfahren angewandt und Angaben zu den Beobachtungsumständen gemacht werden, die jederzeit für jedermann erlauben, dieselbe Erfahrung zu wiederholen. Das Ergebnis heißt dann objektiv, wenn keine gegenteiligen Erfahrungen gemacht wurden und die gemachte Erfahrung einem Gesetz zugeordnet werden kann. Damit ist ein allgemeingültiger Begriff für sie gefunden, und das begründet die vorläufige objektive Geltung. Auch hier gilt das unbedingte Gebot der Unabhängigkeit der theoretischen Seite von der Seite der Erfahrung. Beobachtungen dürfen nicht mit Hypothesen zirkulär kurzgeschlossen werden. Popper hat diese Unabhängigkeit deutlich herausgekehrt und in einem Beispiel verdeutlicht. Er erläutert, was eine Erklärung ist, indem er den folgenden Fall konstruiert: Eine Leiche wird gefunden. Man nimmt an, der Mensch habe sich mit Zyankali vergiftet. Popper fährt fort: „Das Explikans, das jene Hypothese nahe legt, besteht nicht nur aus dem Satz „Dieser Mensch hier hat Zyankali eingenommen“, denn daraus kann man das Explikandum nicht deduzieren. Wir müssen vielmehr als Explikans zwei verschiedene Ar- 12 ten von Prämissen verwenden – allgemeine Gesetze, und singuläre Anfangsbedingungen. In unserem Fall wäre das allgemeine Gesetz etwa so zu formulieren: „Wenn ein Mensch wenigstens drei Milligramm Zyankali einnimmt, so stirbt er binnen zehn Minuten.“ Die (singuläre) Anfangsbedingung würde etwa lauten: „Dieser Mensch hier hat kürzlich, aber vor mehr als zehn Minuten, wenigstens drei Milligramm Zyankali eingenommen.“ Von diesen Prämissen können wir nun in der Tat deduzieren, daß dieser Mensch hier (vor kur- zem) gestorben ist“ (Popper 1972, 50). Zwei Dinge dürfen nicht passieren: 1. Die empirische Situationsbeobachtung darf nicht aus der Konklusion, d. h. dem Ergeb- nis, abgeleitet werden; dass Zyankali im Spiel war, kann nicht aus dem Tod gefolgert wer- den, sondern nur aus einer Analyse des Mageninhalts. 2. Das Gesetz selbst darf nicht aus dem Ergebnis gefolgert werden. Dass Zyankali tötet, muss unabhängig anderweitig nachgewiesen sein. Die Bedeutung des Aspekts der Unab- hängigkeit wird noch einmal in einem anderen Rahmen, der uns aber hier nicht weiter beschäftigen muss, deutlich. Popper schlägt anstelle des diffusen Gebrauchs der Begriffe Ursache und Wirkung eine veränderte, vernünftige Sprachregelung vor und formuliert: „Es gibt eine unabhängig überprüfbare und gut überprüfte Theorie T, aus der wir, zusammen mit einer unabhängig überprüften Beschreibung der singulären Situation A eine Beschrei- bung der Situation B logisch ableiten können“ (ebenda, 51). Im Kritischen Rationalismus Poppers hat die Notwendigkeit, Hypothesenbildung und Be- obachtung streng zu trennen, zu der Unterscheidung zwischen Context of Discovery und Context of Justification geführt. Die Schwierigkeit, mit der die Wissenschaftstheorie Pop- pers zu kämpfen hat, besteht nun darin, dass gerade er von der konstitutiven Funktion von Hypothesen dafür ausgeht, dass überhaupt etwas signifikant wahrgenommen werden kann. Die nichttheoretische Seite, d. h. der Context of Justification, kommt nicht ohne Aussagen über die Ereignisse aus; erst dann werden sie zu Beobachtungen. Damit schleicht sich eine theoretische Dimension in die Welt der Beobachtungen ein, die die Gefahr eines ungewoll- ten zirkulären Zusammenhangs mit dem Context of Discovery enthält. Wie diese Gefahr abzuwenden sei, hat die Wissenschaftstheorie jahrzehntelang beschäftigt. Popper hat im Streit mit den Positivisten den Begriff „Basissatz“ gewählt, um diejenigen empirischen Beobachtungstatbestände zu bezeichnen, an denen Theorien scheitern können. Basissätze sind gewissermaßen die in Worte gefassten Ereignisse. Popper hat nun mit dem Ärgernis zu kämpfen, dass seine Ausgangsposition ja gerade darin besteht, dass jede Er- fahrung theoriegeleitet ist. Das spiegelt eine biologische „Reaktionsbereitschaft“ in Form eines „Erwartungshorizonts“ (vgl. Popper 1972) bei jedem Wesen, das etwas wahrnimmt. Daraus folgt, dass die Basissätze selbst Hypothesen sind; denn sie enthalten „Dispositions- begriffe“, das sind Objektbezeichnungen, die über die singuläre Erfahrung hinausgehen. Das impliziert, dass die Gültigkeit der Basissätze niemals durch Evidenzerlebnisse begrün- det werden kann. Popper spricht davon, dass die Begründung für die Annahme einer Hy- pothese durch so etwas wie Primärerfahrung genauso wenig möglich sei wie durch einen Faustschlag auf den Tisch (vgl. Wellmer 1967, 155). Deshalb macht ihm der Nachweis der Unabhängigkeit der Basissätze Mühe; gleichwohl muss er sie fordern (zur ausführlichen Darstellung des Dilemmas und zur Kritik vgl. Wellmer 1967). Die Begründung kann nur durch den Beschluss der Forschergemeinde erfolgen, denn Ba- sissätze sind eben hypothetische Sätze, und zwischen Sätzen und Erfahrung gibt es keine logische Beziehung. Daher könne sie nur durch Sätze einer autorisierten Instanz begründet 13 werden. Er kommt nicht umhin, in letzter Instanz die Entschiedenheit der Forschergemein- schaft zu bemühen. Der bleibt nichts anderes, als sich zur Annahme oder Ablehnung eines Basissatzes, der eine Theorie falsifizieren könnte, gewissermaßen durchzuringen. Damit nähert er sich der realen Situation einer richterlichen oder durch Geschworene vollzogenen Urteilsfindung bei fragwürdiger Beweislage weitestgehend an. Wellmer weist darauf hin, dass Popper an dieser Stelle unversehens nicht mehr von Beschlussfassung spricht wie bis dahin, sondern von einem Entschluss (ebenda, 155). Damit mag die reale Forschungspraxis angemessen beschrieben sein, aber eine befriedigende Lösung für den Erfinder des Kriti- schen Rationalismus ist es nicht. Popper knüpft mit dem Kritischen Rationalismus an den Rationalismus des 17. Jahrhun- derts an, demzufolge der Intellekt durch spekulative Erkenntnis die allgemeinen Gesetzes- zusammenhänge des Universums verstehen kann und dies mit empirischen Ereignissen abgleicht, die unabhängig beobachtet werden. Die theoretischen Gesetzesaussagen bilden real bestehende allgemeine Zusammenhänge einer Ordnung ab (die überdies die Existenz Gottes beweist). Dieser so genannte Universalienrealismus führt zum Menschenbild der Aufklärung: Das Ganze der Gesellschaft ist den natürlichen Möglichkeiten nach – d. h. dann, wenn der Absolutismus abgeschafft ist – ein vernünftig konstruierter Zusammen- hang auf der Basis höherer Prinzipien; der Einzelne ist ein Teil dieser vernünftigen Ord- nung. Frei ist er, weil und wenn für alle das gleiche Recht gilt, sich zu artikulieren und zu verwirklichen. Unfreiheit beruhte auf persönlichen Privilegien. Der Einzelne steht zwar dem Ganzen unabhängig gegenüber, aber er ist zugleich durch seine Vernunft Mitglied einer vernünftigen Ordnung, die ihn bestimmt. Diese Ambivalenz der Bürger zwischen Autonomie (natürlicher Freiheit) und vernünftiger Bindung (an eine vernünftige Ordnung) taucht in der Ambivalenz der theoriegeleiteten theoretischen Unabhängigkeit der Basissät- ze bei Popper wieder auf. Im Logischen Positivismus oder auch Logischen Empirismus wird dagegen das Problem ganz anders gelöst, bzw. es stellt sich gar nicht erst. Alle Erfahrung gilt als kontingent. Die Gesetze, die man auf sie begründet hat, sind nützliche Regeln des gemeinsamen Gebrauchs von Erfahrungen, die bisher übereinstimmten. Ob die Wirklichkeit in ihrem allgemeinen Wirkungszusammenhang tatsächlich so ist, wie diese Regeln es formulieren, ist und bleibt ungewiss. Diese Position nennt sich nominalistisch im Unterschied zum Universalienrea- lismus. Im Empirismus werden die Beobachtungssätze „Protokollsätze“ genannt. Sie ar- tikulieren theorielose Wahrnehmungen. Sie gelten als „logische Atome“ des empirischen Denkens, aus denen theoretische Sätze induktiv gewonnen werden. Das geht letztlich auf Bacon zurück, der die empiristische Lehre von der vorurteilsfreien Erfahrung begründete. Dagegen ist Popper zu Felde gezogen. Er hat in vielen Texten nachzuweisen versucht, dass es gar keinen Induktionsschluss gibt. Induktionen sind laut Popper verkappte Deduktio- nen. Wenn das zutrifft, bedeutet es: Die Empiristen haben zwar nicht Poppers Problem, die eigentlich zwingende Unabhängigkeit des Context of Discovery und des Context of Justification nicht befriedigend garantieren zu können, aber sie können dafür nicht befrie- digend zeigen, wie singuläre, kontingente Sinneseindrücke bruchlos in theoretische Sätze des Verstandes übergehen. Die empiristische Erkenntnistheorie ist die ontologische Basis des Liberalismus. Einzel- kämpfer mit beliebigen Bedürfnissen einigen sich aus praktischen Gründen des friedlichen Überlebens auf ein vernünftiges Regelsystem, den Staat, der keine höheren Weihen hat. Er hat nur die Funktion, jene auf Chancengleichheit bedachte Organisation konkurrierender 14 Bedürfnisse zu gewährleisten. So wie Theorien angeblich eine induktive Generalisierung von Protokollsätzen über kontingente Ereignisse sind, ist der Staat eine praktische Verall- gemeinerung von Interessenlagen, die sich aus kontingenten Bedürfnissen ergeben.2 An beiden klassischen Varianten der Theorie der Erfahrungswissenschaften interessieren uns nicht primär die unbewältigten Probleme, die sie mit sich schleppen (obwohl sie ganz gut zusätzlich den anvisierten Zusammenhang beleuchten), sondern ihre Übereinstimmung mit den ideengeschichtlichen Grundlagen der Demokratie.3 Die politische und die episte- mologische Ebene können wechselseitig als Spiegelung gelesen werden. Abschließend soll nun noch angedeutet werden, was durch diese politische Herrschafts- form und Erkenntnistheorie ausgeschlossen werden soll und wird. Das ist ein wichtiger Aspekt, denn er betrifft das Anliegen des Projekts, die politischen Durchsetzungsmöglich- keiten für ästhetische Vorlieben und kulturelle Begründungen bei der Legitimation von Naturschutzvorhaben zu untersuchen. Zunächst noch einmal die Elemente der Struktur: Gleichheit, Intersubjektivität, Objektivi- tät, Sachlichkeit, Unabhängigkeit des allgemeinen Gesetzes vom individuellen Ereignis, formale Subsumtion. Um es vorwegzunehmen: Dies alles widerspricht in jeder Hinsicht dem Anliegen, natur- wissenschaftliche Begründungen für den Landschaftsschutz und Kennziffern für den Er- holungswert von Regionen durch die Geltung von ästhetischen Vorlieben und der Sinn- trächtigkeit von Landschaften zu ersetzen und so subjektiven Gefühlslagen Rechnung zu tragen. Denn dabei käme es auf die Berücksichtigung individueller Eigenart an – sowie auf die jeweilige Bedeutung, die diese Eigenart auf der subjektiven Seite hat –, nicht auf objek- tive Sachbeziehungen. Es widerspricht diesem Anliegen deshalb, weil die Sinnträchtigkeit durch Sachlichkeit zum Verschwinden gebracht wird, indem sie gewissermaßen materia- lisiert wird, das ist ja der Zweck des Verfahrens. Sinn wird zu Nutzen und/oder Funktion. Intersubjektivität ist die zugehörige Methode der Gleichbehandlung, und Objektivität ist ihr Ziel. Daher ist zu erwarten, dass mit der Anerkennung der Alternative zum allgemeinen Sachwert, d. h. der Anerkennung von individueller Eigenart, die Methoden und das Ziel der Beurteilung ganz anders ausfallen werden. Diese Umdefinition muss berücksichtigen, dass individuelle Eigenart auf einen ganz anderen Individualitätsbegriff zurückgeht als auf denjenigen, der mit Gleichheit und Bürgerfreiheit verbunden ist. 2 Vgl. ausführlicher zu diesem Zusammenhang von Epistemologie und Politischer Philosophie sowie zur Verbindung mit der Problematik der christlichen Heilsgewissheit Kötzle 1999 sowie Eisel 2003, 2004, 2004a, 2006. 3 Für die Ebene der politischen Herrschaft könnte man durchaus dieselben Inkonsistenzen nachverfolgen: Die Radikalisierung der französischen Aufklärung in der Politik der Jakobiner dokumentiert, dass eine konsequente Anwendung der Prinzipien von Freiheit und Gleichheit als natürlich höhere Tugenden im Dienste des gesellschaftlichen Ganzen bei Massentötungen landet. Das heißt: Der legitime Widerstand des Einzelnen gegen das Allgemeinprinzip kann nicht wirklich gewährleistet werden. Und dass der Laissez-faire-Kapitalismus als abstraktes Ideal der Liberalen zu keinem Zeitpunkt eine vernünftige Regelung der gesellschaftlichen Gesamtheit ergab, ist ebenfalls bekannt: Aus den egoistischen Bedürfnissen generalisiert sich nicht induktiv das Gemeinwohl. 15 Eigenart lebt vom Besonderen. Das Besondere ist die Einheit von Allgemeinheit und Ein- zelnem, also das, was im szientifischen Objektivismus und in demokratischer Politik ge- rade nicht gelten darf. Im Besonderen drücken sich diese beiden Pole wechselseitig aus. Der typische Ausdruck ist eine spezifische Erscheinungsform eines allgemeinen Prinzips, d. h., man kann dieses Prinzip „erkennen“, wenn man in der Lage ist, in der einzelnen Erscheinungsweise mehr zu lesen, als dass sie eben als Tatbestand vorkommt und jenem Prinzip zugeordnet werden kann. Das Letztere wäre nur eine formale Subsumtion gleich- artiger Ereignisse unter ein Gesetz. Woher kommt und worin besteht dieses „Mehr“? Es kommt aus dem Inneren dieses Einzelwesens und besteht aus der Kraft, sich zu entwickeln und auszudrücken. Das allgemeine Prinzip, nehmen wir die Menschlichkeit, ist zwar als äußerer, allgemeiner Maßstab existent, aber für das, was wir damit verbinden, muss es sich in Einzelfällen äußern. Es tritt immer als Qualität von Individuen auf. Menschlichkeit im Allgemeinen gibt es gar nicht. Was sollte das sein? Die Charta der UNO? Oder das Neue Testament? Beide nennen wir nicht menschlich. Menschlich sind Menschen. Und es gibt ein Mehr oder ein Weniger davon. Albert Schweitzer war „menschlicher“ als Bismarck – das kann man sagen, ohne Bismarck zu beleidigen. Etwas Vergleichbares gibt es bei der formalen Subsumtion von Ereignissen unter ein Ge- setz nicht. Ein Körper kann sich nicht mehr oder weniger fallhaft im Vakuum verhalten als ein anderer. Das bedeutet, das Besondere ist immer ein jeweiliges Stadium des Ent- wicklungsprozesses eines Einzelereignisses im Hinblick auf eine möglichst vorbildliche Repräsentation allgemeiner Maßstäbe/Gesetze. Wenn das gegeben ist, sprechen wir von Individualität. Sie entfaltet sich aus dem Inneren heraus als die Entwicklungs- und Aus- druckkraft eines Wesens zu etwas Höherem; dieses Höhere ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Wesen durch seine innere Entfaltungskraft mehr wurde als nur ein banales Einzel- exemplar. Das Höhere liegt im Sinne allgemeiner Maßstäbe fest, lebt aber nur einzeln. Das Ziel der Entwicklung und des Ausdrucks auf der Seite des Einzelwesens ist Vollkommen- heit. Was wäre demgegenüber ein vollkommener Fall im Vakuum? Ein immer gleicher, natürlich; deshalb tritt dort das Kriterium gar nicht auf. Es ist sinnlos, zwischen Graden von Gleichheit zu unterscheiden. Darauf rekurriert die absurde Spaßfrage: „Was ist der Unterschied zwischen einem Fink?“ Die Antwort: „Gar keiner, er hat zwei gleich lange Beine, besonders das rechte.“ Damit ist das Objektivitätskriterium der Gegenseite des Gleichheitsideals benannt: Voll- kommenheit. Es ist ein individueller Zustand. Das Individuelle ist allgemein. Umgekehrt gilt das Gleiche: Das Allgemeine realisiert sich nur in vollkommener Individualität. Das widerspricht der Unabhängigkeit von Gesetz und Einzelfall in jeder Hinsicht. Intersub- jektivität besteht dann nicht aus der universell gleichartigen Formalisierung von Theorie- sprache und Messoperationen, um Randbedingungen gleichartig ausschließen zu können, sondern aus dem Gegenteil: Die Umstände sind besondere Entwicklungsbedingungen ein- zelner Entfaltungsversuche der Allgemeingültigkeit von Individuen. Man muss gerade den Zusammenhang zwischen individuellem Streben, allgemeinen Wert- maßstäben und allen Lebensumständen berücksichtigen und „verstehen“, um Art und Gra- de der Objektivität (Vollkommenheit) im Einzelfall beurteilen zu können. Die Beurteilung besteht nicht aus einer Subsumtionsentscheidung, sondern aus einer Würdigung durch ver- ständige Reflexion. Deren Intersubjektivität wird in hermeneutischen Interpretationen des Sinnzusammenhangs eines Ganzen – nämlich der Einheit der Maßstäbe, der Umstände und der individuellen Ausdruckskraft – hergestellt. In einer der wesentlichen Bewegungen ge- 16 gen den Szientismus im weitesten Sinne, der historistischen Lebensphilosophie, gilt diese Einheit des Sinnganzen als historisch.4 Denn Vollkommenheit ist ein Entwicklungsprinzip – außer für Gott; der Sinn des weltlichen Ganzen entfaltet sich in der Zeit. Deshalb und dagegen hat Popper das Buch „Das Elend des Historizismus“ geschrieben (Popper 1965). In diesem Buch hat er dem Holismus den Garaus zu machen versucht. Daneben sind in der Philosophy of Science Texte entstanden, die das Ganze als Summe seiner Teile und nicht mehr erweisen sollten (Nagel 1965, vgl. auch Schlick 1965) oder das hermeneutische Ver- stehen auf das formale Subsumtionsprinzip reduzierten (Abel 1964). Hier geht es nun nicht darum zu entscheiden, wer Recht hat in diesem Kampf der Weltbil- der, sondern darum: All das hat man am Hals, wenn man Natur als Landschaft mit ästheti- scher Erfahrung im Sinn sowie unter Verweis auf ihren Sinngehalt als ein regionales, his- torisches Ganzes schützen will, statt durch Reduktion dieser Aspekte auf die ökologische Funktion von Artenvielfalt oder die Erholungsfunktion von Bildelementen. Man ist nicht nur in der Pflicht zu beweisen, dass die Lösungsmöglichkeiten der Erfahrungswissenschaf- ten für bestimmte legitime Problemstellungen des Naturschutzes äußerst beschränkt sind, sondern vor allem, dass die alternativen Zugänge zum Objekt operational umsetzbar und politisch legitimierbar sind. Das kann nicht in irgendeinem zivilisationskritischen Lamento über den Verlust ästhetischer und subjektiver Maßstäbe in der Naturschutzpolitik oder in unrealistischen ethischen Weltentwürfen und Beschwörungsformeln bestehen. Stattdes- sen müssen der gute Sinn und die politische Unausweichlichkeit der Versachlichung von Entscheidungen in demokratischen Systemen deutlich und stark gemacht werden, damit der Widerspruch, den es dauerhaft auszuhalten und zugleich fallweise auszuschalten gilt, transparent wird. Mit dieser ausführlichen Abhandlung scheinbar abseits unseres Themas soll also gezeigt werden, womit es die Position zu tun hat, die den Szientismus kritisiert und – aus durchaus verständlichen und sympathischen Gründen – die Forderung aufstellt, dass in der Natur- schutzpolitik auch andere als wissenschaftliche Begründungen für die Schutzwürdigkeit von Objekten zugelassen werden sollten; so z. B. der Hinweis auf die Schönheit von Land- schaften. Es sollte verdeutlicht werden, dass das nicht einfach frei gewählt werden kann. Denn es handelt sich bei dem, was kritisiert wird, um mehr als nur um einen „Trend“, der sich durchgesetzt hat. Es wurde versucht zu zeigen, dass es sich bei den Prinzipien der Übereinstimmung zwischen politischem System und Erfahrungswissenschaft um Grund- strukturen der modernen Zivilisation handelt. Das ist gewissermaßen die Grundform un- serer jetzigen Welt. Deshalb muss man sie noch lange nicht lieben, aber wenn man sie in ihrer Geltung einschränken will, muss man mit einigem Widerstand rechnen, der sich vor- nehmlich in Unverständnis und Ironie ausdrückt – eine der unangenehmsten Formen des Widerstands. Zudem begibt man sich in das Fahrwasser antidemokratischer Resentiments. Das muss im Auge behalten werden. 4 Die andere Möglichkeit einer Einheit von Sinn besteht in der Deutungs- und Handlungspraxis der so genannten Lebenswelt. Darauf baut die phänomenologische Tradition in der Philosophie und Soziologie auf. Auch sie begreifen sich als Gegenpol zur experimentellen Erfahrungswissen- schaft. 17 Das Ziel des Projekts ist eine realistische Bestandsaufnahme der Bedingungen, unter denen Landschaftsschutz als kulturpolitische Praxis vertreten werden kann. Dazu muss berück- sichtigt werden, dass das Anliegen, Schönheit und Eigenart in irgendeiner Weise sachlich als Naturtatbestände zu standardisieren sowohl einerseits politisch angemessen und zwin- gend als auch andererseits methodisch ausgeschlossen ist. Die Geschichte und Folgen die- ses Dilemmas waren Thema der ersten Tagung, die in diesem Band dokumentiert ist. Literatur ABEL, TH. (1964): The Operation called verstehen. In: ALBERT, H. [Hrsg.]: Theorie und Realität. Ausgewählte Aufsätze zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften. Tübingen. 177-188. EISEL, U. (2003): Tabu Leitkultur. Natur und Landschaft, 78 (9):10 (Themenheft „Heimat – ein Tabu im Naturschutz?“). 409-417. EISEL, U. (2004): Politische Schubladen als theoretische Heuristik. Methodische Aspekte politi- scher Bedeutungsverschiebungen in Naturbildern. In: FISCHER, L. [Hrsg.]: Projektionsfläche Natur. Zum Zusammenhang von Naturbildern und gesellschaftlichen Verhältnissen. Hamburg. 29-43. EISEL, U. (2004a): Naturbilder sind keine Bilder aus der Natur. Orientierungsfragen an der Nahtstel- le zwischen subjektivem und objektivem Sinn. Gaia 13 (2): 92-98. EISEL, U. (2006): Vielfalt im Naturschutz – ideengeschichtliche Wurzeln eines Begriffs. In: Potthast,Th. [Hrsg.]: Biodiversität – Paradigmenwechsel im Naturschutz? Veröffentlichungen des Bundesamtes für Naturschutz. (im Druck) KÖTZLE, M. (1999): Eigenart durch Eigentum. Die Transformation des christlichen Ideals der In- dividualität in die liberalistische Idee von Eigentum. Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Bd. 10, Berlin. NAGEL, E. (1965): Über die Aussage „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“. In: TO- PITSCH, E. [Hrsg.]: Logik der Sozialwissenschaften. Köln, Berlin. 225-235. SCHLICK, M. (1965): Über den Begriff der Ganzheit. In: TOPITSCH, E. [Hrsg.]: Logik der Sozial- wissenschaften. Köln, Berlin. 213-223. POPPER, K. R. (1972): Naturgesetze und theoretische Systeme. In: ALBERT, H. [Hrsg.]: Theorie und Realität. Ausgewählte Aufsätze zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften. Tübin- gen. 43-58. POPPER, K. R. (1965): Das Elend des Historizismus. Tübingen. WELLMER, A. (1967): Methodologie als Erkenntnistheorie. Zur Wissenschaftslehre Karl R. Pop- pers. Frankfurt am Main. 18 Teil II Gesunde Erholung in gesunder Landschaft: die Entwicklung der Landespflege zu einer versachlichten, legislativ geregelten Planungsdisziplin1 Stefan Körner Der vorliegende Text stellt die Rahmenbedingungen dar, innerhalb derer in der Land- schaftsplanung die Landschaftsbildanalyse konzipiert, gleichzeitig aber landschaftsästheti- sche Interessen als Fundament einer Kulturaufgabe aus dem übrigen Aufgabenverständnis verdrängt wurden. Dazu soll dargestellt werden, in welcher Weise sich die Landschafts- planung aus der Landschaftsgestaltung des Nationalsozialismus entwickelt und den demo- kratischen Bedingungen der BRD angepasst hat. In diesem Rahmen spielte die Erholungs- planung, die kulturelle Anliegen des Landschaftsschutzes mit einem modernen Nutzen verband, eine besondere Rolle. Bei dieser Darstellung wird von der nationalsozialistischen Landschaftsgestaltung als um- fassenden und aktiv gestaltenden Heimatschutz ausgegangen. Die Landschaftsgestaltung kombinierte Aspekte künstlerisch-intuitiver Einfühlung in die landschaftliche Eigenart mit Aspekten ressourcenschützender Landnutzung, wie Wind- und Bodenschutz. Sie wurde von Mäding (1942) in das Konzept der Landespflege als Teil staatlicher Daseinsvorsorge überführt. Dieses Konzept bot nach dem Zweiten Weltkrieg den Ansatzpunkt für die Ent- wicklung der modernen Landschaftsplanung als ökologische Planung. Die Landschaftsgestaltung als aktiver Heimatschutz hatte sich im Dritten Reich in die natio- nalsozialistische Politik eingeordnet. Ausdruck dessen war der propagandistisch wichtige Reichsautobahnbau und die Gestaltung der eroberten Ostgebiete als Ausdruck einer tech- nologisch modernen aber doch die Eigenart und natürliche Produktivität der Landschaft achtenden Gestaltung. Diese Einfühlung in die Natur und die daraus resultierende Gestal- tungsfähigkeit galt als Ausdruck der überlegenen deutschen Rasse, die sich ihre Heimat- landschaften einzurichten verstand und dafür auch im Kampf um „Lebensraum“ andere Völker verdrängte. Nach dem Krieg konnte es nicht mehr das Ziel sein, mittels Landschaftsgestaltung die Neubildung des deutschen Volkstums zu betreiben. Das Programm einer einfühlsamen und 1 Die folgenden Ausführungen stellen eine stark gekürzte und in Einzelheiten überarbeitete Fassung der in Körner (2001, 77 ff.) beschriebenen Verwissenschaftlichung der Landespflege dar. 19 damit langfristig effektiven Landnutzung sollte aber weiterhin aufrecht erhalten werden. Das betraf nicht nur das Verhältnis zur Landwirtschaft, sondern auch zur Industrie, die durch ihre Einbindung in die Landschaft insofern „kultiviert“ werden sollte, als der Raub- bau an den natürlichen Ressourcen beendet und eine Einheit von Natur und Kultur gestiftet werden sollte. Da die Grundlagen dieser Einheit nicht mehr aus dem Heimatschutz und der mittlerweile verfemten „Blut und Boden“-Ideologie abgeleitet werden konnte, musste der Nachweis, dass eine schonende Naturnutzung die langfristig effektivere ist, nun auf eine andere sachliche Basis gegründet werden. Mit der Diskreditierung des völkischen Kontex- tes ging zwar zunächst eine Stärkung des konservativen, zivilisationskritischen Anteils der Landespflege einher, denn mit diesem Programm sollte nicht nur die weitere Zerstörung der Landschaft beendet werden, sondern auch der gesellschaftlichen Entwicklung wieder ein „rechtes“ Maß vorgegeben werden. In den 1950er und 1960er Jahren war daher zu- nächst eine Mischung aus sprachlich verschleierten Resten der völkischen Ideologie und dem Versuch vorherrschend, die Landespflege an die demokratischen Bedingungen anzu- passen. In dieser Zeit herrschte auch ein gewisser Begriffswirrwar bei der Bezeichnung des Fachs vor. Hier wird den Zeitraum der 1950er und 1960er Jahre betreffend von Lan- despflege gesprochen. Ab dem Umbruch zu den 1970er Jahren wird dann die Bezeichnung Landschaftsplanung verwendet. Für diese Anpassung der Landespflege an die demokrati- schen Rahmenbedingungen von Planung benötigte man eine Grundlage, die es erlaubte, völkische durch ökonomisch und sozialpolitisch vernünftige Argumente zu ersetzen. Mit dem Umbruch zu den 1970er Jahren wird zum einen die konservative Zivilisations- kritik endgültig aus der offiziellen Programmatik getilgt, indem durch die Einführung der Nutzwertanalyse eine konsequente Zweck-Mittel-Rationalität durchgesetzt werden sollte. Aus der Landespflege Buchwaldscher Prägung entwickelte sich die spätere Landschafts- planung als ökologische Planung. Zum anderen wurde eine konsequente weltanschauliche Alternative zum völkischen Rassismus und zur konservativen Zivilisationskritik auf der polit-ökonomischen Basis der Entfremdungstheorie des Marxismus formuliert. In diesem Rahmen wurde von Nohl ein emanzipatorischer Kulturbegriff entwickelt, der gegenüber der zweckrationalen, instrumentellen Vorgehensweise auf der gesellschaftlichen Prägung des Landschaftserlebens besteht (siehe unten). In der Übergangsphase bis 1970 erfuhr das schon im Nationalsozialismus entworfene Kon- zept, Landschaften für die Erholung zu schützen, eine deutliche Aufwertung, weil man sich zum einen versprach, in der Erholung die Einstellung der Leute zu Natur und Landschaft verändern zu können. Zum anderen war hier ein direkter Nutzen des Landschaftserlebens für die Industriegesellschaft nachweisbar. Durch die weitere Verwissenschaftlichung der Landespflege wurden auf der anderen Seite Fachinhalte verdrängt, welche sich gerade auf die kulturelle, heimatliche Bedeutung der Landschaft bezogen. Diese Bedeutung der Landschaft stand für die gestaltende Ausein- andersetzung des Menschen mit der Natur, bei der in Anpassung an die Natur diese nach menschlichen Zwecken zu formen wäre. Landschaft versinnbildlichte durch ihre heimat- liche, im Nationalsozialismus als deutsch interpretierte Eigenart und harmonische Gestalt eine gelungene geschichtliche Entwicklung. Diese kulturelle Bedeutung von Landschaft wurde verdrängt, weil die im Rahmen der ehemaligen Landschaftsgestaltung erforderliche „Einfühlung“ in ihren Charakter sowie dessen Weiterentwicklung als irrational abqualifi- ziert wurde. 20 Im Zuge der Auseinandersetzung um das neue Flurbereinigungsgesetz in der BRD von 1953 wurde die Landespflege zum Begriff für eine im Grundsatz zunehmend zweckratio- nale, d. h. wirtschaftlich begründete und um politische Vermittelbarkeit ihrer Fachinhalte bemühte Planungsdisziplin (Runge 1998, 50 ff.), die sich um 1970 endgültig als moderne Landschaftsplanung etablierte. Sie versuchte daher, sich von dem ästhetischen und sinn- bezogenen Gehalt des Begriffs Landschaft zu trennen, um nicht im Kampf gegen die Zer- störung der Landschaft in den Ruch idealistischer Träumerei zu geraten: „Offenbar werden aber die neuerdings von Fachwissenschaftlern und von praktisch tätigen Landschaftsge- staltern vorgetragenen Einsprüche von den zuständigen Behörden weiterhin den früheren Anklagen wirtschaftsfremder Naturschutzideologen gleichgesetzt und alter Übung nach weiterhin außer acht gelassen“ (Müller 1949, 18; vgl. auch Mäding 1951, 4). Mäding plä- diert daher dafür, den Begriff „Landschaftspflege“ zu vermeiden und von „Landespflege“ im Sinne einer landeswirtschaftlichen Planungsdisziplin zu sprechen (vgl. Mäding 1951, 4 f.). Dies führt ihn zu einem ökologischen Aufgabenverständnis, aus dem der kulturelle Bedeutungsgehalt von Landschaft verschwunden ist: „Der Gegenstand der landespflege- rischen Bemühungen ist nicht das Landschaftsbild, sondern das näher bezeichnete stan- dörtliche Wirkungsgefüge von Biosphäre, Atmosphäre, Wasser und Boden“ (Mäding zit. n. Runge 1998, 55). Damit wird die Einheit der Landschaft als das Bild einer Gegend zunächst zugunsten der Vorstellung eines ökologischen Wirkungsgefüges von Naturkräften und menschlicher Kulturentwicklung, d. h. zugunsten einer „materielleren“, politisch besser vertretbaren Ori- entierung der Landespflege aufgegeben. Das entspricht der Entwicklung im Nachbargebiet Geographie, wo ebenfalls der bildhafte Aspekt der Landschaft zunehmend weniger thema- tisiert wurde. Stattdessen verstärkte sich der Anwendungsbezug des Faches als Planungs- disziplin (neben der Lehrerausbildung) in Verbindung mit der Definition von Landschaft als einem materiellen „Beziehungsgefüge“. Was aus heutiger Perspektive wie eine alleine dem ökologischen Objekt Landschaft geschuldete, nüchternere Definitionsebene erscheint und als solche auch vertreten wird, ergibt sich somit aus einem taktischen, berufspoliti- schen Rückzug vom ästhetisch „belasteten“ Begriff der Landschaft. Da aber der nach wie vor gegebene ästhetische Gehalt des Begriffs Landschaft zu einer rein „materiellen“ Aus- legung dieses Begriffs nicht passt, entsteht die nie abreißende Auseinandersetzung über das Fach Landschaftsplanung und die neuerdings geführte Diskussion über die kulturelle Begründung des Naturschutzes. Diese Tendenz zur Verobjektivierung der landespflegerischen Fachinhalte wurde natürlich durch die zunehmende industrielle Verschmutzung der Natur unterstützt, denn dies führte zu einer Verschiebung der Problemwahrnehmung in diesem Bereich. Das zeigte sich „Ende der fünfziger Jahre, (als) synthetische Waschmittel, die sogenannten ‚Detergentien‘, die Binnengewässer Deutschlands mit schmutzigen Schaumbergen überhäuften. Weniger die Sorge um das Landschaftsbild (für die gesellschaftliche Akzeptanz von mehr Landschafts- und Naturschutz; S. K.) als die Sorge um die Gesundheit der Bevölkerung schaffte Abhilfe. Die Kanzerogenität von Detergentien in Verbindung mit anderen, ebenfalls in Trinkwas- serbrunnen vorfindbaren Chemikalien, stand bald fest“ (Runge 1998, 77). Die neuartige Qualität und Quantität der Bedrohung der Landschaft verstärkte auch für den institutiona- lisierten Naturschutz den Zwang, sich mit Planung zu befassen, da eine ausschließlich kon- servierende, Schönheit und Eigenart bewahrende, ästhetische Ausrichtung seiner Arbeit keine Antworten mehr auf diese Entwicklung bereitstellen konnte (ebenda, 80 ff.). 21 Ausdruck der neuartigen Krisenwahrnehmung in der Landespflege waren nach Runge u. a. der Naturschutztag 1957, die Veranstaltung „Die große Landzerstörung“ durch den Deutschen Werkbund und die Formulierung der Grünen Charta von der Mainau 1961. „Die ungewollten Auswirkungen der drastisch angestiegenen industriellen Produktion wurden nicht mehr nur als eine partielle, sondern erstmalig als eine existentielle gesellschaftliche Bedrohung angesehen, als eine Bedrohung, die über das Maß der „Naturverschandelung“ im Sinne einer ästhetischen Frage hinausgewachsen war. Emissionsfragen waren bis zu dieser Zeit meist rein medien-spezifisch thematisiert worden. Nun wurde damit begonnen, die Umweltsituation als ein den Rahmen fachlicher Grenzen sprengendes Thema anzu- sehen. Im Zuge dieser Entwicklung und in dem Glauben, daß bessere Planung abhelfen könne, verstärkten sich die Erwartungen an eine räumliche Gesamtplanung. Insbesondere die sich entwickelnde ‚Landschaftsplanung‘ wurde zum Hoffnungsträger im Umweltdi- lemma“ (ebenda, 80). Dabei wird von Runge jedoch unter „Gestaltung“ nicht ein archi- tektonischer Ansatz verstanden, sondern der planerische Schutz der Naturpotenziale vor Belastungen durch den Menschen. Dass aber bei aller Neuartigkeit der Bedrohung weiterhin das ästhetische Ideal der har- monischen Landschaft als Maßstab einer sinnvollen Entwicklung dient, zeigt sich anhand von Rossow, dem Initiator der Veranstaltung „Die große Landzerstörung“. Er beklagt die Vernichtung des Landes im Sinne eines ökologischen Zusammenhanges von Boden, Was- ser, Pflanze und den ihnen innewohnenden biologischen Kräften durch die Stadt als Ort der technisch-industriellen Entwicklung. Bei dieser Kritik an der Zerstörung der Lebensgrund- lagen des Landes werden jedoch trotz der neuen Problemsicht überwiegend ästhetische Kriterien angelegt: „Die bereits als passiv bezeichnete Rolle des Landes in dieser Ausein- andersetzung ist dies in vielfachem Sinn, nicht nur als Rohstoff- und Flächenlieferant, sondern auch im Sinne der Unterlegenheit in der wirtschaftlichen Produktionskraft je qm Flächeneinheit. Das Ergebnis ist Unordnung und Disharmonie, ständig anwachsend im Ver- hältnis Land-Stadt und Land-Mensch“ (Rossow 1961, 2). Rossow übt hier die übliche ästhetisch motivierte, konservative Zivilisationskritik an- gesichts der industriellen Nutzung des Landes und verbindet dies mit der ebenfalls aus der völkischen und der nationalsozialistischen Ideologie bekannten Forderung nach einer neuen, sinnvollen (zweckmäßigen und schönen) Landschaftsgestaltung: „Ganze Provin- zen aber verwandeln sich in einem rasenden Tempo in eine Kultursteppe. Hier ist nichts mehr in Ordnung, weder das Land noch die Stadt, noch die Menschen. Die Bezeichnung Zivilisationssteppe wäre wohl der bessere Ausdruck. Kultur ist immerhin ein Wort positi- ven Inhalts, es entstammt dem Bereich des Landes, wird angewandt auf den geistigen und künstlerischen Lebensausdruck eines Volkes ebenso wie auf die Bearbeitung des Bodens als Landeskultur. Die Zivilisationssteppe als Umwelt kann nicht hingenommen werden, wollte man nicht den Niedergang des kulturellen Niveaus damit manifestieren. Es besteht also die Aufgabe, eine Kulturlandschaft im neuen Sinn zu formen“ (ebenda, 2). Der Begriff „Land“ bezieht sich zwar zunächst auf die natürlichen Lebensgrundlagen, be- deutet hier aber letztlich doch noch mehr, denn er steht zugleich für die Idee der Landschaft als Sinnträger. Damit geht es nicht nur um die „räuberische“ Ausbeutung der Ressourcen des Landes durch die Industrie, sondern mehr noch um die Zerstörung des Symbols Land- schaft als Ausdruck „wahrer“, gediegener Kultur. Diese Kritik wird jedoch bei Rossow nicht wie im Nationalsozialismus mit völkisch-rassistischen Untertönen belegt. Insofern wird auch bezeichnenderweise von „Land“ und nicht von „Lebensraum“ gesprochen, ein 22 Begriff, der bei der Rezeption der „Blut und Boden“-Ideologie im landespflegerischen Ideologiegerüst verankert worden war. Diese Akzentverschiebung bedeutet bei allem Bemühen um Rationalität jedoch nicht, dass die Landespflege dieses Problem schon frühzeitig als „Umweltkrise“ im Sinne des Umweltprogramms der Bundesregierung von 1971 betrachtet hätte, denn der Begriff „Um- welt“ impliziert eine umfassende, systemare Problemwahrnehmung, die im Umweltpro- gramm in eine wissenschaftliche Programmatik umformuliert werden sollte. Allerdings ist das hier beschriebene Krisenbewusstsein sicherlich zum Vorfeld der Formulierung des „political issue“ „Umwelt“ als eines Problembereichs, der in der öffentlichen Meinung und im Bereich politisch artikulierter Interessen behandelt wird, zu zählen (Eckebrecht 1991, 409). Trotz der neuartigen Qualität der Umweltprobleme bleibt Landschaft hintergründig weiterhin Symbol einer sinnhaften, qualitätsvollen Kulturentwicklung. Dieses Symbol muss jetzt aber materiell, d. h. im Hinblick auf Ressourcenverbrauch ausgedeutet werden. Das wird über den Begriff der Gesundheit ermöglicht, der es erlaubt, die ästhetische Idee der Landschaft als System natürlicher Funktionszusammenhänge mit gesellschaftichem Nutzen umzudeuten. Das harmonische, organische Funktionieren der Einzelbestandteile des „Landschaftskörpers“ und die positive Wirkung dieser Lebensgrundlage auf jeden Menschen wird dann zum Maßstab humaner Lebensverhältnisse. „Gesundheit“ als Wert trägt nun den Sinn des kulturellen Ganzen. In diesem Kontext gewinnt die Ökologie ihre zentrale Bedeutung für die Landespflege und spätere Landschaftsplanung. Die Hinwendung zu dem materiellen Wert der „Gesundheit“ ermöglichte es gegenü- ber einer landschaftsarchitektonisch-gestalterischen, d. h. nicht nur funktionalen, son- dern auch künstlerischen Herangehensweise scheinbar, ganzheitlichen Sinn in der Indu- striegesellschaft auf rationale, wissenschaftliche Weise im Kampf um mehr Natur- und Landschaftsschutz zur Bewahrung umfassender geistiger und körperlicher Verhältnisse politisch durchzusetzen. Dieser Wert bringt zugleich die Umorientierung der Landespfle- ge zu einer „ökologisch“ ausgerichteten Planungsdisziplin zum Ausdruck. „Gesundheit“ tritt damit vordergründig an die Stelle von „Eigenart“ als zentralen Wert der bisherigen Landschaftsgestaltung und wird zum Maßstab eines Lebens, das um seine ökologische Abhängigkeit von der Natur weiß. Politisch kann dann für gesunde Lebensverhältnisse im Sinne von sauberer Luft, Wasser und dergleichen eingetreten werden. Zugleich wird aber als eigentliches Ziel versucht, Landschaft als anti-industrielles und anti-urbanes Symbol „gesunder“ – d. h. in gesellschaftliche Ganzheiten und in die Landschaft eingebundener und damit im allgemeinsten Sinne sinnvoller – Lebensverhältnisse im gesellschaftlichen Bewusstsein zu verankern. Die Ambivalenz dieser Auffassung und die Rolle der Erholungsplanung in diesem Kontext lässt sich anhand der Position Buchwalds darstellen, der die Versachlichung der Landes- pflege maßgeblich prägte und eine vorausschauende, mit Politik und Verwaltung koope- rierende Planung forderte. Die prägende Rolle Buchwalds für die Landespflege lässt es gerechtfertigt erscheinen, seine inhaltliche Position in der Folge näher zu beleuchten. Die Erholungsplanung wird von ihm als Instrument einer kulturellen Wende in der technischen Zivilisation konzipiert, die die sinnbehaftete Schönheit der Landschaft einem realen Zweck für die Industriegesellschaft zuordnet, eben der Erholung. Auf dieser Basis wurde die erste Landschaftsbildanalyse zur Feststellung des Erholungswerts der Landschaft entwickelt. 23 Der zivilisationskritische Ausgangspunkt der Erholungsplanung Die Steuerung der menschlichen Erholung wird nach Buchwald notwendig, weil mit dem Fortschreiten der modernen Zivilisation im weitesten Sinne negative Einflüsse auf die Menschen wirkten. So habe das 20. Jahrhundert für das deutsche Volk zwei wesentliche Belastungen mit sich gebracht: zum einen den Sinnverlust, verursacht durch zwei verlo- rene Weltkriege und durch Wirtschaftskrisen, der zum Zusammenbruch „vieler äußeren und inneren Halt gebender Ordnungen und Vorstellungswelten“ geführt habe und „die Widerstands- und Lebenskraft der betroffenen Generationen“ geschwächt habe (Buchwald 1956, 57; Hervorhebung S. K.). Zum anderen seien zu diesen, alte Sinnzusammenhänge zerstörenden politischen Belastungen des deutschen Volkes noch solche hinzuzurechnen, die auf „die Einflüsse der modernen Industrie- und Großstadtentwicklung mit ihrer Los- lösung des Menschen vom natürlichen Leben und Lebensrhythmus, die ihn allein schon auf Lebensdauer latent erholungsbedürftig machen“ (ebenda, 57), zurückzuführen seien. Dies habe, in Verbindung mit der Hetze des modernen Lebens, zu einer starken Zunahme nervös bedingter Krankheiten geführt, die sich mit dem Begriff „Managerkrankheit“ zusammenfassen ließen. Die Folge sei, dass ein Missverhältnis aus arbeitsfähiger und leistungsunfähiger Bevölkerung entstanden sei, weil der Anteil der Kranken übermäßig ge- stiegen sei. Diese Entwicklung belaste damit in erheblichem Maße die Rentenversicherung und das Volkseinkommen (ebenda, 57 f.). Weitere Belastungen seien der Verlust an Einbin- dung in natürliche Lebensrhythmen, wie in den Tag-Nacht-Rhythmus oder in den Wechsel der Jahreszeiten, der Verlust der rauen und abhärtenden Witterungseinflüsse, Lärm sowie das Ausfiltern des Sonnenlichts durch die Staub- und Dunstschicht über den Großstädten. Zu dieser Lebensumwelt, die zunehmend durch künstliche Reize dominiert werde, trete noch eine „zerstörende, seelische Atmosphäre“, die durch eine mangelnde positive Ein- stellung der Menschen zur mechanisierten Arbeit entstehe, hinzu. Sie sei noch durch keine „soziale Betriebsgestaltung“ behoben worden. Weiter spiele „die Vereinsamung des mo- dernen Menschen inmitten der Großstadtmasse, das Fehlen natürlicher Kontakte und or- ganischer Gemeinschaftsbindungen sowie helfender Ordnungen in Familie, Nachbarschaft und Gemeinde, der Mangel jedes Gefühls der Geborgenheit“ sowie ungesunde Ernährung und der Konsum diverser Anregungs- und Reizgifte eine Rolle (ebenda, 58). Diese Problembeschreibung klingt vernünftig. In der Folge baut Buchwald dann aber eine in Bezug auf das gesellschaftliche Leben biologistische Position auf: Er übt einerseits eine klassisch konservative Zivilisationskritik, andererseits stellt er den Menschen vorrangig als biologisches Wesen dar, das aufgrund seiner vielseitigen Belastung krank ist. Diese Krank- heit ist nach Buchwald nur durch ein naturnäheres Leben wieder zu heilen. Der Entfrem- dung von Geborgenheit vermittelnden sozialen Ordnungen soll nicht innergesellschaftlich begegnet werden, sondern es werden in der außergesellschaftlichen Sphäre, der Natur, Richt- linien für ein besseres Leben gesucht. Die Güte des Lebens wird hier nach ästhetischen Harmonieprinzipien bestimmt, die der Landschaft zugeschrieben aber paradoxerweise „materiell“ im Sinne körperlicher Gesundheit verstanden werden. Dabei wird die moderne Gesellschaft als ausschließlich technisch bestimmte angesehen, der der Mensch in seiner Eigenschaft als Naturwesen nicht angepasst sei. Die technisch produzierten Belastungen des menschlichen Organismus werden im Zuge dessen mit der Form des modernen Lebens, seiner Hast und dem allgemeinen Sinnverlust zu einem Szenario verbunden, für das allein der „unnatürlichen“ städtisch-technischen Zivilisation die Schuld zugeschrieben wird. So heißt es dann: „Der Mensch unserer Zeit, insbesondere der Mensch unserer Städte, ist in 24 eine technische Umwelt gestellt, die Anforderungen an seinen Organismus stellt, denen dieser nicht gewachsen ist“ (ebenda, 59). Gesellschaftlichen Mechanismen zur Erzielung einer angemesseneren Lebensqualität wird – im Gegensatz zu der später entstehenden sozialwissenschaftlich orientierten Frei- raumplanung – nicht vertraut, denn diese werden ja gerade für die herrschenden Zustände verantwortlich gemacht. Diese Zustände seien dabei so gravierend, dass beispielsweise auch keine soziale Betriebsgestaltung mehr helfe (ebenda, 58). Stattdessen werden über- geordnete Werte gesucht und in Natur und Landschaft lokalisiert. Sie sollen den Menschen bei einer Umkehr anleiten und helfen, die Gesellschaft zu „kurieren“. Der Mensch lebt da- mit nach Buchwald „gegen das Leben“ (ebenda, 60) und unter der ständigen Missachtung „der Ordnungsprinzipien des Lebens“ (ebenda, 60). Diese Missachtung werde mit der Krankheit der Gesellschaft „bestraft“ (ebenda, 56 ff.). Folgerichtig wäre dem nur zu entge- hen, wenn zu den alten, „natürlichen“ Werten und Lebensformen zurückgekehrt würde. Die sozialwissenschaftlich orientierte Freiraumplanung hingegen wird zwei Jahrzehnte später auf die Beeinflussung des demokratischen Willensbildungsprozesses setzen und die Emanzipation des Individuums als Voraussetzung für die Veränderung der Gesellschaft sehen. Aus diesem Ansatz, der einen zur konservativen Zivilisationskritik alternativen Kul- turbegriff erfordert, leitet sich dann der Nohlsche Ansatz im Umgang mit den ästhetischen Aspekten des Landschaftserlebens ab. Die Erholungsplanung als Instrument einer kulturellen Wende Die Rückkehr zu den alten Werten und Ordnungen ist Buchwald zufolge durch den Ent- wicklungsstand der Industriegesellschaft verbaut: „Nun können wir diese von uns selbst geschaffene technische Welt nicht einfach verneinen, sondern nur langsam in Anpassung an die Forderung des Menschen in gesundem Sinne umwandeln und in eine dienende Rolle zurückversetzen“ (ebenda, 60). Buchwald argumentiert bei aller Zivilisationskritik aber „sozialtechnisch“: „Zugleich muß der dieser heutigen technischen Welt ausgelieferte Mensch die Möglichkeit erhalten, wieder Gesundheit aufzutanken. Wir müssen also die Erholung unserer Menschen so gestalten, daß gerade die oben dargestellten bedrohlichen Mängel wenigstens zeitweise ausgeschaltet sind, das heißt, den Menschen wenigstens in seiner Freizeit mit einer Umwelt in Berührung bringen, die die nötigen Heilwirkungen ausstrahlt. Wenn aber die Labilität des Menschen und damit sein Erholungsbedarf mit der Entfernung von einem naturnahen, seinem Organismus entsprechenden Leben zugenom- men hat, so muß das Wesen zeitgemäßer Erholung in einem Wiederhinführen zu einer na- türlichen Lebensweise bestehen“ (ebenda, 60). Zur Sphäre der Produktion äußert sich Buchwald auf den ersten Blick nicht. Stattdessen zieht er sich zunächst in einer eher resignativen, aber auch realistischen Haltung auf den Bereich der Reproduktion zurück, wo sich die Menschen vom und für den Arbeitsprozess wieder regenerieren sollen. Insofern liegt es für Buchwald nahe, die Erhaltung schöner Landschaften mit ihrer Bedeutung für die Erholung zu begründen. Zugleich kann aber in der Erholungsplanung ein Potenzial zur Veränderung gesellschaftlicher Wirklichkeit ge- sehen werden, das darin besteht, dass man in diesem Rahmen versuchen kann, die Men- schen einerseits mit den sinnlichen Qualitäten des Naturerlebens, auf die noch einzugehen sein wird, und den Sinngehalten dieses Erlebens andererseits, bekannt zu machen. Damit verbindet sich mit der Erholungsplanung die Hoffnung, die Menschen indirekt zu einem natürlichen Leben im Sinne der geforderten kulturellen Umkehr in Richtung einer besseren 25 Zukunft zu bekehren. Nohl wird demgegenüber dieses Potential dahingehend ausdeuten, dass durch die Reproduktion die Möglichkeit besteht, ein emanzipiertes, schöpferisches Leben einzuüben. Um diese Hoffnung erfüllen zu können, muss für Buchwald eine dem „entfremdeten“ modernen Menschen adäquate und dennoch naturverbundene Erholungs- form gefunden werden. Wesentlich ist demnach, dass der Mensch zwar zur Ruhe komme, diese Ruhe aber eine tätige ist, um von der Alltagshektik zur Entspannung überzuleiten. Das moderne „Erholungsrezept“ sei folgendes: „Gesundes, tätiges Leben in gesunder, naturnaher Umgebung“ (ebenda, 60). Dabei seien vier Dinge von Bedeutung, nämlich der Garten, das Gärtnern, die Erholungslandschaft und das Wandern (ebenda, 60). Der Garten sei der Ort, an dem der gehetzte Großstadtmensch in der liebevollen Be- schäftigung mit Erde und Pflanze den Alltag vergessen und zugleich körperlich tätig wer- den könne. Hier erfahre er das Gefühl gesunder, körperlicher Müdigkeit sowie der Freude und des Glücks, das sich bei jeder frei gewählten, sinnvollen Tätigkeit einstelle. Der Garten fungiert damit bei Buchwald als Gegenwelt, wo man hegen und pflegen, bestellen, pflan- zen und ernten kann, also bei diesen Tätigkeiten das Walten der „Lebenskräfte“ sinnlich erleben und ihre Früchte genießen kann. Hier könne man zur pflanzenhaften Ruhe und Stille zurückfinden, fernab aller inneren und äußeren Unruhe und von „oberflächlichen“ Süchten nach Kino, Auto, Radio usw., um emotionale Bedürfnisse zu befriedigen, die in der Alltagswelt zu verkümmern drohten (ebenda, 61). Das Bedürfnis nach dem Garten wird als ein dem Menschen „wesensmäßiges“ unterstellt, sodass die Arbeit im Garten das sei, „was wir suchen und brauchen und mit uns Menschen aller Schichten unseres Volkes“. Der Garten sei gewissermaßen eine Erholungslandschaft im Kleinen, der zugleich auch nicht nur zur Ergänzung der industriell-städtischen Lebensbedingungen diene, sondern die- sen ein Modell des „richtigen“ Lebens entgegenstelle (ebenda, 61). In noch höherem Maße als bei der Gartenarbeit sei aber die „körperliche Ausarbeitung, die Bewährung in der Leistung einzeln und in der Gemeinschaft, die Hinführung zu Natur und Landschaft beim Wandern gegeben“ (ebenda, 61). „Wir freuen uns, wenn wir wan- dern. Freude aber ist einer der stärksten Helfer an unserer Gesundheit, wenn es richtiges, echtes Frohsein ist! (...) Das heißt aber „gesunden“ von den vielen Schäden unseres so viel gerühmten Fortschrittes. Gesundwerden und Gesundsein sind nicht nur Aufgaben unseres Körperlichen, sondern sehr viel mehr noch unseres Geistig-Seelischen. Sie beherrschen selbst unsere körperlichen Organe in einem Ausmaße, von dem wir heute nur langsam eine Vorstellung bekommen. So vermag das Wandern zu Fuß – in Muße oder mit Anstren- gung, im Sommer wie im Winter, bei Sonne und im Sturm, bei Lachen und Scherzen oder in höchster Verantwortung einer Seilkameradschaft, bei Sang und Tanz der Gemeinschaft oder in der Selbstbesinnung in einsamer Stille – uns die Natur und uns selbst erschließen“ (ebenda, 62; Hervorhebung S. K.). „Wahre“ Erholung des Menschen bedeute seine Selbstfindung, durch die „vielleicht zu den Quellen einer inneren Ordnung des Lebens“ vorgestoßen werden könne. „Ohne diese Zeiten der Verinnerlichung und vielleicht auch Läuterung gewinnen wir nicht die seelische Widerstandskraft gegen die Beanspruchung des Lebenskampfes“ (ebenda, 62; Hervorhebung S. K.). Damit zeigen sich bei Buchwald letzte Ausläufer der Ideologie des völkischen Kolonial- bauern. Der Gärtner und der wandernde Tourist sind die städtischen Äquivalente des Bau- ern, denn beim Gärtnern erlernt man die Kultivierung der Natur und beim Wandern kann man die elementaren Kräfte der Natur erfahren und sich ihnen gegenüber bewähren. Man findet zu sich selbst, erholt sich also, und man lernt auch gerade durch die Auseinander- 26 setzung die „wahre“ Gemeinschaftlichkeit schätzen, in der jeder für den Anderen Verant- wortung trägt. Der Mensch soll sich vor der technischen Zivilisation, die ihn zu übermannen droht, auf seine Innerlichkeit zurückziehen und sich hier mittels des Naturerlebens seiner eigenen, subjektiven Produktivität gewiss werden: In deren Bewusstsein soll er sich von allen „fal- schen“ Bedürfnissen, die die Warengesellschaft suggeriert, läutern und damit zu den „wah- ren“ und „ewigen“ Werten zurückfinden, indem er sich seine Verantwortung gegenüber der Natur vergegenwärtigt. Dieses Gefühl der Verantwortung gibt seinem Leben ein Maß und eine Richtung, was ihn auch Gemeinschaftlichkeit neu erleben lässt. „Die Erholungswerte der Landschaft verdichten sich im irrationalen Erlebnis der Natur; sie sind vorzügliche Läuterungskräfte, ihnen kehrt sich ein in seinem Sinn verdunkeltes, in seiner Ganzheit zerfetztes, an uralten Wertordnungen irre gewordenes Daseinsschicksal zu – gerade seit es wach geworden ist in der Aufgabe, sich selber tatkräftig zu überwinden“ (Buchwald 1963, 34). Aus dieser Läuterung soll der Mensch dann die Stärke gewinnen, den „Lebens- kampf“ in der chaotischen Gesellschaft zu bestehen, d. h. durch Erholung leistungsfähig werden und sich in dem kapitalistisch geprägten Alltagsleben bewähren. In diesem All- tagsleben wurden zwar die alten Werte zerstört, aber weil es im sozialdarwinistischen Sin- ne als Kampf angesehen wird, kann es zugleich auch als „natürlich“ und vorwärtsgerichtet gelten. Darum muss der Kapitalismus politisch nicht bekämpft werden, sondern es ge- nügt, die Erholung der Menschen in der Landschaft zu organisieren, um ihre Kampfkraft durch produktive Selbstüberwindung und Selbstfindung zu stärken. „Damit verschiebt sich das Erholungsproblem für den modernen Menschen zunehmend auf die geistig-seelische Ebene, das Körperliche hat allerdings die Voraussetzung hierzu zu schaffen. Immer mehr sehen wir, wie der ganze Mensch vom modernen Industrie- und Großstadtleben in seiner Existenz betroffen ist und daher auch das Erholungsproblem total gelöst werden muß, in- dem als Ziel vor uns der harmonische, geistig-seelische und körperlich gesunde Mensch stehen muß“ (Buchwald 1956, 62; Hervorhebung S. K.). Der angemessene Ort hierfür sei „in der Stille einer schönen, naturnahen Landschaft“ gegeben (ebenda, 62). Die Forderung nach Innerlichkeit und seelischer Tiefe, das Bedürfnis nach Natürlichkeit, Gesundheit und Gemeinschaft zeigt deutlich, dass Buchwald in den Rahmen konservati- ver Zivilisationskritik einzuordnen ist (vgl. zur konservativen Technikkritik Sieferle 1984, 155 ff). Er verzichtet darauf, emphatisch die Stiftung einer neuen Kultur mittels Landes- pflege zu proklamieren und bezieht eine eher verhaltene Position. Diese Haltung rührt wohl daher, dass nach der militärischen Niederlage Deutschlands nicht mehr davon aus- gegangen werden kann, dass die Überformung der Welt durch das Industriesystem, die Verstädterung, die damit einhergehende Zerstörung der „gewachsenen“ Umwelt und im ganzen die „Gleichmacherei“ demokratischer Massenkultur aufzuhalten ist. Es bietet sich daher als einzige Perspektive an, Landschaften als geschützte Refugien aus dieser Entwick- lung herauszuhalten, um von ihrem seelischen Potenzial ausgehend doch noch eine kultu- relle Wende in ferner Zukunft zu erreichen. Als gesellschaftliche Nische, in der konservati- ves oder nationalrevolutionäres sowie kulturkritisches Potenzial erhalten werden kann, bietet sich die Erholungsplanung an, durch die ein schlüssiges Argument für die Erhaltung von schönen Landschaften gegeben ist. 27 Die Erholungsplanung als Motor der Entwicklung der Landespflege Erholungsplanung bedeutet dann zunächst, Landschaften vor ihrer weiteren Zersiede- lung zu schützen. Denn der Landschaftsverbrauch verschärft sich nach Buchwald in West- deutschland durch das Bevölkerungswachstum, die Integration der Flüchtlinge und durch den wirtschaftlichen Aufschwung (Buchwald 1956, 64). Da nunmehr „Volk ohne Raum“ kein ernstzunehmendes politisches Programm mehr bezeichnen kann, plädiert Buchwald dafür, möglichst natürlich wirkende Landschaften als „Gegenwelten“ zu schützen, die ei- nen möglichst extensiven, bäuerlichen Einfluss aufweisen, wie die Schwäbische Alb mit ihren Schafweiden oder diverse Heidegebiete. Noch besser seien reine Wald- und Moorge- biete und alle Reste der Urnatur geeignet (ebenda, 65; 68). Es spielt aber weiter noch eine Rolle, dass der Erholungswert einer Landschaft etwas damit zu tun hat, dass sie nicht nur naturnah, sondern auch „deutsch“ erscheint: „Nicht vergessen sei das einzige erhalten- gebliebene, geschlossene deutsche Volkstumsgebiet im Ausland: Südtirol, das mit seiner Verschmelzung südlichen und alpinen Landschaftscharakters und seinen prächtigen Men- schen den, der einmal dort hinfand, immer wieder anziehen wird“ (ebenda, 65). Neben Naturnähe und Prägung durch das deutsche Volkstum benötigten ideale Erholungsland- schaften vor allem aber „Wald und Wasser, reines Wasser zum Schwimmen und daran Lagern! Für uns Deutsche gehören diese beiden Elemente wohl unabdingbar zum Wohlbe- finden, zur Geborgenheit, zur Heimat. Die heilende Landschaft muß sie in reichem Maße enthalten. Wer sich heute an Wald und Wasser versündigt, versündigt sich nicht nur an der Volkswirtschaft, sondern vor allem an der Volksgesundheit und am Volksglück!“ (eben- da, 64). Die herausragende Bedeutung des Wassers für den Gefühlswert einer Landschaft verdeutlicht auch folgendes Zitat: „Was ist aber ein Tal ohne Wasser? – Eine Landschaft ohne Seele“ (ebenda, 66). Damit schimmert bei Buchwald auch hier noch eine völkische Prägung seiner Auffassungen durch, welche sich in der Unterstellung äußert, die Deut- schen benötigten zu ihrer Erholung eine spezifische Landschaft, gleichzeitig wird mit dem Wasser ein arkadisches Landschaftselement genannt, das bei der Entwicklung der ersten Landschaftsbildanalyse eine Rolle spielen wird. Um die Landschaft zu schützen, seien Landschaftsschutzgebiete einzurichten (ebenda, 69). Neben diesen Landschaftsschutzgebieten, die als Erholungsgebiete vor allem in Stadtnähe einzurichten seien, sollten insbesondere Großlandschaftsschutzgebiete ausgewiesen wer- den, in denen hauptsächlich Schutz vor Motorlärm und Benzingestank gewährt werden solle. In ihnen seien dann Zeltplätze, Bademöglichkeiten, Parkplätze und Gaststätten als Hauptanziehungspunkte zu errichten, um neben diesen „Rummelplätzen“, die als Ventile für den Massenandrang dienen sollten, weite Räume als Orte der Ruhe für den Stille und Ein- samkeit Suchenden zu erhalten. Obwohl man insofern bei der Planung Kompromisse einge- hen müsse, als nicht die ganze Landschaft vom Rummel ausgenommen werden könne, sei aber zunächst entscheidend, „den Menschen überhaupt erst einmal wieder aus den Städten hinaus und in die Natur zu bringen“, um somit die Möglichkeit zur „gesunden“ Naturerfah- rung zu schaffen (ebenda, 69 f.). Dieses seinen Intentionen nach gegen die Industriegesell- schaft gerichtete Programm hat nach Buchwald neben der Reproduktion der Arbeitskraft einen weiteren ökonomischen Nutzen, mit dem es sich legitimieren lässt: Da für Schutz- gebiete gerade die Landschaften von Interesse seien, die für die Intensivlandwirtschaft wenig interessant seien und die in der Regel in strukturschwachen Gebieten lägen, wie z.B. der Schwäbischen Alb, könne durch ihren Ausbau als Erholungslandschaften auch eine wirtschaftliche Förderung einsetzen (ebenda, 65). 28 Planung sei, wenn sie Schutzgebiete einrichtet, auch erforderlich, um die Zerstörung der Landschaft durch Übernutzung seitens der Erholungssuchenden selbst zu verhindern, da- mit die „Tragfähigkeit“ des Naturhaushaltes nicht überschritten werde. Daher sei die Erho- lungsnutzung durch das Aufstellen von Landschaftsplänen zu steuern (Buchwald 1961, 231 ff.; 1963, 36 f.). Weiter sei die Zersiedelung der Landschaft etwa durch Wochenend- siedlungen, die ja eigentlich die „gesunde“ Gegenreaktion zur städtischen Lebensweise darstellen, zu verhindern, indem entsprechende Gebiete zur Konzentration dieser Siedlun- gen ausgewiesen werden und zugleich der Allgemeinheit die schönsten Landschaftsteile zu- gänglich bleiben. Auch hier klingt beim Versuch der Legitimation dieser Vorschläge wieder die Ideologie des besonderen (germanischen) Verhältnisses der Deutschen zur Landschaft an: „Widerspricht das (der Ausverkauf der Landschaft an Privatleute; S. K.) nicht der in uns allen noch schlummernden deutschrechtlichen Auffassung, daß das Land und der Bo- den Allgemeingut sind und auch die Besitzrechte am Boden dort ihre Grenze finden, wo sie gegen das Interesse der Allgemeinheit verstoßen?“ (Buchwald 1956, 67) Man könnte die- ses Zitat so verstehen, dass sich Buchwald hier auf die Sozialpflichtigkeit des Eigentums bezieht. Genauer betrachtet verhält es sich jedoch so, dass er immer wieder an „deutsche“ Werte appelliert, wenn seine ästhetisch, sinnhaft und politisch motivierten Forderungen (Schutz schöner Landschaften als Versuch, kulturelle Werte zu verändern) letztlich nur indirekt mit menschlichen Nutzeninteressen verbunden werden können. Da die ökologisch gesunde Landschaft gleichzeitig harmonisch und damit schön und erho- lungswirksam ist, plädiert Buchwald für eine stärkere Zusammenführung von Naturschutz mit Schwerpunkt auf dem Schutz der ökologischen Reproduktionsfähigkeit der Natur und der Landespflege als nutzungsorientierte Planung des gesellschaftlichen Umgangs mit Natur. Ansatzpunkte für eine ökologische und in die Planung integrierte Ausrichtung des Naturschutzes sieht er in dessen Tradition: „Aus der Abwehr entstanden, stand bei den Naturschutzbünden wie bei den staatlichen Naturschutzbehörden und -stellen der Schutz bedrohter Natur zunächst im Vordergrund. Diese Entwicklung der Naturschutzbewegung ist mit den Namen E. Rudorff, H. Conwentz, W. Schoenichen und H. Klose verbunden. Schon früh ist die soziale Bedeutung des Natur- und Landschaftsschutzes in einer verstädternden Gesellschaft erkannt und klar herausgestellt worden. (...) Diese Pioniergeneration der Na- turschützer hat bereits zwei grundlegende Entwicklungen eingeleitet, die unsere heutige Arbeit bestimmen: die Heranziehung und Förderung der biozönologischen und ökologi- schen Forschung als entscheidende Grundlage des Naturschutzes und die Weiterentwick- lung und Ergänzung des vorwiegend konservierenden Naturschutzes durch die aktiv ge- staltende Landschaftspflege“ (Buchwald 1963, 38). Die Integration des Naturschutzes in die Planung sieht Buchwald durch die schon im Nationalsozialismus entwickelte Konzeption der Landespflege begründet: „In ständiger Auseinandersetzung mit dem Gedankengut und den Bewegungen des zu Beginn dieses Jahrhunderts einsetzenden Heimatschutzes, der Denkmalpflege und des Naturschutzes entwickelt sich der Gedanke einer umfassenden Landespflege, wie ihn E. Mäding (1942) (unabhängig von Mielke) und H. F. Wiepking (1957) gefaßt haben“ (ebenda, 38). Mit dieser Bezugnahme der Planung auf den ökologisch fundierten Naturschutz ergibt sich eine neue Definition von Landespflege: Diese umfasst nun die Bereiche Naturschutz, Landschaftspflege und Grünplanung. „Alle drei, aus dem gleichen Anliegen entstandenen Erscheinungsformen der Landespflege, die in sich schützende, pflegende und gestaltende Tätigkeiten vereinigen: Naturschutz, Landschaftspflege und Grünplanung lassen sich vor 29 allem im Kontaktbereich des Stadtumlandes und bei zunehmendem Urbanisierungsprozeß in der Praxis immer weniger trennen. So wie unser Lebensraum eine Einheit ist, bedarf auch unsere pflegerische Tätigkeit in ihm der Koordinierung und Einheit in einer umfas- senden Landespflege. In einer zunehmend in ihrer Existenz bedrohten Welt geht es letzten Endes um die Erhaltung des Lebens. Diesen Schutz des Lebens in einer immer mehr tech- nisch bedingten Welt, bei gleichzeitigem Abbau und Verbrauch der vorgegebenen natürli- chen Bestände, durch planmäßige Sicherung, Pflege und Aufbau einer menschengerechten naturnahen Umwelt zu erreichen, ist die Aufgabe. Wir bezeichnen sie als Landespflege“ (Buchwald, Lendholt, Preising 1964, 1). Es geht also nicht mehr darum, das Aufgehen des deutschen Volkes in der Weltgesellschaft zu verhindern, wie das im Nationalsozialismus der Fall war, sondern um die Sicherstellung des „guten“, weil gesunden Überlebens. Dieses Überlebensparadigma wird ein wesentli- cher Ansatzpunkt für die Kritik der künstlerisch motivierten Landschaftsarchitektur an der modernen Landschaftsplanung darstellen. Gesundheit bedeutet nicht nur Leben in einer ökologisch, sondern auch kulturell und sozial intakten Umwelt, sie trägt also den gesamten Sinn des kulturellen Ganzen in sich. Weil sich Sinn nunmehr aus dem Schutz der Land- schaft als materielles Wirkungsgefüge ergibt, ist er durch ökologische Planung zu sichern und durchzusetzen. Landespflege als ökologische Planung Zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen muss durch Planung ein Ausgleich zwi- schen der Leistungsfähigkeit der Natur und der gesellschaftlichen Entwicklung hergestellt werden: „Landespflege erstrebt die Sicherung einer menschengerechten und zugleich na- turgemäßen Umwelt, den Ausgleich zwischen dem natürlichen Potential eines Landes und den Ansprüchen der Gesellschaft. Landespflege dient diesem Ziel durch Ordnung, Schutz, Pflege und Entwicklung der Wohn-, Industrie-, Agrar- und Erholungslandschaften, durch Erhaltung der wenigen verbliebenen Natur- und Urlandschaften sowie durch die na- turgemäße Bewirtschaftung der natürlichen Hilfsquellen eines Landes“ (ebenda, 2). Die neue Auffassung von Landespflege verdeutlicht sich am besten im städtischen Be- reich: Hier rangieren für Buchwald naturschützerische Interessen vor sozialen und kultu- rellen Belangen. Dies stellt jedoch zum kulturellen Anspruch der Landespflege insofern keinen Widerspruch dar, als „gesunde“ gesellschaftliche Verhältnisse ja als Effekt „ge- sunder“ natürlicher Verhältnisse angesehen werden. Entsprechend muss, wenn man wie- der ein menschengerechtes Leben durchsetzen will, der Ort, an dem im höchsten Maße gesellschaftliches Leben stattfindet, und der am weitestgehenden die Emanzipation von der Natur durch deren künstliche „Überbauung“ zum Ausdruck bringt, wieder „natürlich“ gestaltet werden. Das heißt in diesem Fall, dass die Stadt mittels Grünplanung mit Grün an- gereichert werden muss. Bei der praktischen Verwirklichung sind dann natürlich, will man realistisch planen, gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu berücksichtigen: „Grünpla- nung erstrebt die Durchgrünung der Siedlungsbereiche in dem Umfang und in der Art und Weise, wie es zum geistigen und körperlichen Wohlbefinden des Menschen erforderlich ist. Die Grünplanung fußt auf der Feststellung der naturräumlichen und siedlungsbedingten Ge- gebenheiten. Sie entwickelt ihre Aufgaben an Hand gesellschaftlicher, biologischer, ökolo- gischer, technischer und wirtschaftlicher Erkenntnisse (Grünanalyse und -diagnose) und löst sie innerhalb der Zusammenhänge einer umfassenden Stadtbaukunst (Grünplanung – Grün- flächenbau – Grünflächenpflege)“ (ebenda, 2). Der Idealfall wäre wohl die Anpassung der 30 Siedlungen an die naturräumlichen Gegebenheiten als Entwicklungsmöglichkeiten. Ent- sprechend bezieht sich hier der Begriff Stadtbaukunst weniger auf die symbolischen und ästhetischen Aspekte von Architektur, Städtebau und Parkgestaltung, sondern eben auf die möglichst naturnahe Gestaltung der Stadt. Demgegenüber wird die Landschaftsarchitektur bei ihrer Kritik der ökologisierten Landespflege und Landschaftsplanung gerade die Stadt als Ort moderner demokratischer Lebensform verteidigen und den Wert der Urbanität ge- gen die Wertschätzung von möglichst viel Natur in der Stadt ins Feld führen. Die Begriffe Naturschutz, Landschaftspflege und Grünplanung wurden 1969 vom For- schungsausschuss Landespflege der Akademie für Raumforschung und Landesplanung unter der Leitung Buchwalds präzisiert und z. T. modifiziert. Demnach hat die Landes- pflege „die Aufgabe des Schutzes, der Pflege und der Entwicklung aller natürlichen Le- bensgrundlagen des Menschen in Wohn-, Industrie-, Agrar- und Erholungsgebieten. Sie erstrebt hierzu den Ausgleich zwischen dem Naturpotential des Landes und den Erfor- dernissen der Gesellschaft. Landespflege umfaßt die Landschaftspflege einschließlich der pfleglichen Nutzung des Naturpotentials („natürliche Hilfsquellen“), den Naturschutz mit verwandten Schutzmaßnahmen und die Grünordnung. Landespflege ist integrierender Be- standteil der Raumordnung mit Schwerpunkt im ökologisch-gestalterischen Bereich. (...) Landschaftspflege erstrebt den Schutz, die Pflege und die Entwicklung von Landschaf- ten mit optimaler nachhaltiger Leistungsfähigkeit für den Menschen. Sie soll insbeson- dere Schäden im Naturhaushalt und im Bild der Landschaft vorbeugen und bereits ein- getretene Schäden ausgleichen oder beseitigen. Die Arbeit der Landschaftspflege setzt Grundlagenuntersuchungen vorwiegend landschaftsgeschichtlicher, biologischer und ökologischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Art voraus. Sie umfaßt die Land- schaftsplanung auf der Grundlage der Landschaftsanalyse und -diagnose, den Land- schaftsbau und die pflegliche Nutzung des Naturpotentials („natürliche Hilfsquellen“). Die Tätigkeit der Landschaftspflege erstreckt sich auf die freie Landschaft. Synonyme: Land- schaftsgestaltung (z. T.), Landschaftsordnung, Landschaftsbau (z. T.). (...) Naturschutz hat die Aufgabe, aus kulturellen, wissenschaftlichen, sozialen und wirtschaft- lichen Gründen schutzwürdige Landschaften und Landschaftsbestandteile einschließlich seltener und gefährdeter Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensstätten zu sichern. Dies kann erreicht werden durch einen allgemeinen Landschaftsschutz, Landschafts- und Naturschutzgebiete, geschützte Landschaftsbestandteile, Naturdenkmale und Artenschutz. Die Tätigkeit des Naturschutzes erstreckt sich auf die freie Landschaft und den Sied- lungsbereich. (...) Grünordnung erstrebt die Sicherung und die räumliche und funktionelle Ordnung aller Grünflächen und Grünelemente zueinander und zu den baulichen Anlagen in Zusam- menhang mit der städtebaulichen Entwicklung, wie es zum geistigen und körperlichen Wohlbefinden des Menschen erforderlich ist. Die Grünordnung fußt auf der Untersuchung und Feststellung naturräumlicher und siedlungsbedingter Gegebenheiten. Sie entwickelt ihre Aufgaben auf Grund gesellschaftlicher, biologisch-ökologischer, technischer und wirtschaftlicher Erkenntnisse und löst sie im Rahmen der städtebaulichen Ordnung. Die Grünordnung umfaßt die Grünplanung auf der Grundlage der Grünanalyse und -diagnose, den Grünflächenbau und die Grünflächenpflege. Ihre Aufgaben berühren sich im Stadtum- land mit denen der Landschaftspflege. Synonyme: Gartenarchitektur (z. T.) Grünplanung (z. T.)“ (Forschungsausschuss Landespflege der Akademie für Raumforschung und Lan- desplanung 1969, 57). 31 Der funktionale Aspekt der Landespflege, die Gewährleistung der gesellschaftlichen Re- produktion, legitimiert die Formulierung umfassender Forderungen an den demokratischen Staat, die nach Auffassung Buchwalds Grundvoraussetzungen eines sinnvollen Umgangs mit Natur sind: - Eine stärkere Berücksichtigung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums durch die Rechtsprechung, - Verbesserung der rechtlichen Grundlagen des Naturschutzes, - Bereitstellung erheblicher öffentlicher Mittel zum Ankauf von Schutzgebieten, um wenigstens einen verstärkten Schutz von bestimmten Landschaftsteilen auf- grund der Besitzrechte durchzusetzen, - Bereitstellung erheblicher öffentlicher Mittel zu Zwecken der Landschaftspflege und -gestaltung, wie Mittel für Pflanzungen, Beschäftigung von Fachkräften usw., - Ausbau staatlicher Naturschutzorganisationen und ihre Besetzung mit Fachkräf- ten (ebenda, 70 f.). Diese Ansprüche wurden ergänzt durch Forderungen nach einer rechtsverbindlichen und wirksamen Raumordnung und rechtsverbindlichen Landschaftsplänen. Weiter sollte im Bildungswesen der Unterricht in den Fächern Biologie, Ökologie, Naturschutz und Landschaftspflege gefördert sowie die entsprechende Grundlagenforschung ausgebaut werden (Buchwald 1963, 41). Gerade der Unterricht in naturkundlichen Fächern sollte dazu dienen, den städtischen Zivilisationsmenschen wieder mit der Natur bekannt zu ma- chen und auf diese Weise das Bewusstsein über deren Bedeutung (als Lebensgrundlage und damit auch als Sinninstanz) zu verändern. Diese Maßnahmen seien in der Summe erforderlich, um die „Revolution des Gesunden“, die sich unter der Decke „einer noch herrschenden technisch-industriellen-städtischen Welt“ vollziehe, zu unterstützen (Buchwald 1956, 71). Um die „Revolution des Gesunden“ als konservative Revolution zur entschlossenen Wiedergewinnung der verlorenen Werte anzustoßen, war es für die Landespflege als sich nunmehr ökologisch-gestaltend verste- hende Planungsdisziplin notwendig, ihre wissenschaftlichen Grundlagen als Ansammlung von Hilfswissenschaften wie die Pflanzensoziologie, Bodenkunde, Klimatologie, Hy- drologie usw. weiter zu systematisieren und auszubauen. Ergebnis war das immer wie- der neu aufgelegte Handbuch für Landschaftspflege und Naturschutz (1968/69), das von Buchwald und Engelhard herausgegeben wurde. Mit diesem Handbuch sollten die landes- pflegerischen Inhalte gewissermaßen kanonisiert werden. In ihrem Vorwort distanzieren sich die Verfasser endgültig von einem künstlerischen Verständnis (im umfassenden Sin- ne) von Landespflege: „Die Pflege und fachgerechte Gestaltung unserer Wirtschafts- und Erholungslandschaften, der Schutz der letzten Reste natürlicher oder naturnaher Lebens- räume und Lebensgemeinschaften sind vorrangige Aufgaben der Gegenwart geworden. Dabei sind die Zeiten vorrüber, in denen geniale Geister mehr oder weniger intuitiv brauch- bare Lösungen weisen konnten. Die Landschaften sind so komplizierte Wirkungsgefüge, dass falsche Eingriffe zu tiefgreifenden, bisweilen nur unter großen Schwierigkeiten wiedergutzumachenden Schäden führen können. Nicht viel weniger komplex ist häufiger die Verflechtung öffentlicher und privater Belange, mit denen die Planung und praktische Durchführung von Maßnahmen in der Landschaft abzustimmen sind. Die Kenntnis der wissenschaftlichen Grundlagen, der Verfahrenstechniken, der Rechtsverhältnisse und der organisatorischen Zuständigkeiten ist daher unerläßliche Voraussetzung für eine sinnvolle Arbeit“ (Buchwald, Engelhardt 1968, V). 32 Aus der konservativen Zivilisationskritik Buchwalds hat sich somit die Landespflege als moderne, ökologische Umweltplanung herausgeschält. Das bei aller Instrumentalität der Planung als Motivationshintergrund weiterhin wirksame konservative Weltbild wird bei der weiteren Modernisierung der Landespflege kritisiert und die Einführung eines konse- quenten Zweck-Mittelbezugs in die Landespflege als gesellschaftliche Planung gefordert werden. Methodisch wird diese neue Vorgehensweise erstmals bei der Entwicklung der Landschaftsbildanalyse praktiziert werden. Der Gesamtplanungsanspruch der Landespflege Die Kritik an der Landespflege wird sich aber nicht nur auf ihre latent konservativen Ge- halte richten, sondern auch auf ihren politischen Geltungsanspruch, wie er im Gesamt- planungsanspruch zum Ausdruck kommt. Die Hinwendung der Landschaftsplanung zur Gesamtplanung hat nach Runge vor allem zwei Traditionen. Die ältere bestehe in der gärt- nerisch-landeskulturellen, die an die Landesverschönerung anknüpfe. Sie sei insbesondere von Wiepking vertreten worden, der „inspiriert von Lenné und den Landmeliorationen Friedrich des Großen, über großmaßstäbliche gärtnerische Planungen zu kleinmaßstäbli- chen, raumordnungsrelevanten Planungen vorstieß und schon frühzeitig die „Landschafts- pflegeplanung“ lehrte“ (Runge 1990, 91). Die andere, modernere Traditionslinie bestehe im Landespflegekonzept Mädings, auf dessen Basis im Reichskommissariat zur Festigung des Deutschen Volkstum für die Lan- despflege „eine der Raumordnung gleichwertige, zuweilen sogar übergeordnete Stellung zugeschrieben“ (Runge 1998, 34) worden sei. Diese Bedeutung der Landespflege wurde nicht allein aufgrund ihrer volkswirtschaftlichen Bedeutung beansprucht, wie Runge meint (vgl. ebenda, 33), vielmehr ist sie nur aus dem kulturellen Anspruch der Landespflege zu verstehen, mit der Einheit naturgemäßer Landnutzung und völkisch interpretierter kultu- reller Identität die Basis aller Kultur zu begründen. Diese Bedeutung der Landespflege als umfassende Planung im materiellen und ideellen Sinne wurde von Mäding erstmals im modernen verwaltungstechnischen Sinne als übergeordnete staatliche Aufgabe beschrie- ben. Denn der Staat wurde als Repräsentant der Volksgemeinschaft angesehen, der die Einheit von Kultur und Natur organisiert, um die allen anderen Völkern überlegene Leis- tungsfähigkeit der Deutschen zu erhalten bzw. neu zu begründen. Beide Traditionslinien sind aber nicht völlig unabhängig voneinander zu betrachten, denn man kann wiederum die nationalsozialistische Landespflege als Erweiterung und Moder- nisierung des traditionellen Arbeitsgebiets der Gartengestaltung auf die Landschaft verste- hen, wo „ganz Deutschland und mehr ein Garten“ werden sollte. Weil diese Aufgabe mit neuen großen Bauaufgaben – wie dem Autobahnbau – entstand, war sie weniger eine im engeren Sinne naturschützerisch bewahrende, sondern erforderte konstruktivistische und gestalterische Kompetenzen im Umgang mit der Natur. Diese lagen in der Gartengestal- tung vor, nicht jedoch im Naturschutz. Seifert und Mattern, die beim Reichsautobahnbau tätig waren, sowie Wiepking waren erfolgreiche Gartenarchitekten. Beide Traditionslinien waren aber im Heimatschutz vereint: Die gestalterisch-architektonische Fachausrichtung nannten Schwenkel (1926, 1937, 1938) und Schoenichen (1942) Naturschutz im weiteren Sinne, die engere, bewahrende Ausrichtung Naturschutz im engeren Sinne. Der verbin- dende Begriff zwischen beiden Ansätzen war der der Heimat, insofern sowohl die Gestal- tung der Landschaft nach menschlichen Zwecksetzungen als auch der Schutz von Natur- denkmalen, Urlandschaften und sonstigen Naturschutzgebieten die Eigenart der Heimat 33 bewahrten (vgl. Körner, Eisel 2003). Die neuartige Qualität des Mädingschen Konzepts bestand darin, dass die Landschaftsgestaltung nicht mehr allein als konkrete gestalterisch- planerische Aufgabe beschrieben wurde, wie etwa in der Landschaftsfibel (vgl. Wiepking 1942), sondern erstmals auch als Gegenstand eines verwaltungstechnisch organisierten, politischen Handelns. Anknüpfend an diese beiden Traditionslinien – gärtnerisch-landeskulturelle und adminis- trative – konnte Buchwald, der sich zwar selbst auf die Landesverschönerung als histo- rische Vorläuferin der Landespflege beruft (Buchwald 1968, 97), aber die Verschiebung der Aufgabenfelder in Richtung administrativ geregelter, verwissenschaftlichter Planung betrieben hatte, auf dem Naturschutztag 1959 in Bayreuth die Gesamtplanung wieder zum Thema machen. Dies geschah ausgehend von einer Kritik der Durchsetzungsfähigkeit des Naturschutzes im engeren, d. h. im ausschließlich bewahrenden Sinne: „Etwas liegt schief! Nicht im Ziel, aber im Weg und in der Arbeitsmethodik entspricht unsere Arbeit nicht mehr den Erfordernissen der Zeit. Noch genauer: Die Ansatzpunkte unserer Arbeit, die in den 30er Jahren noch richtig sein mochten, sind heute zum Teil falsch. Wir kurieren an den Symptomen, ohne den ausreichenden Versuch zu unternehmen, auf die Ursachen, die zu ihnen führen, planend und gestaltend Einfluß zu nehmen. (...) Wir bejammern die Folgen der Industrialisierung eines bisher bäuerlichen Landesteils, ohne an dem vom Landtag ge- forderten und von allen Ministerien bearbeiteten Landesentwicklungsplan mitgearbeitet zu haben. Wir versuchen in letzter Minute ein floristisch wertvolles Moor vor der Vernichtung zu schützen, hätten dies aber gar nicht nötig, wenn wir eine längst fällige Moorschutz- oder Moorwirtschaftsplanung mit der Wasserwirtschaft fertiggestellt hätten“ (Buchwald zit. n. Runge 1998, 81). Buchwald thematisiert somit die Durchsetzungsmöglichkeiten und nicht die Inhalte des Naturschutzes und vertritt mit der Hervorhebung der Planungsnotwendigkeit das Konzept eines erweiterten, planenden Naturschutzes. Dieser wird mittels der Landschaftsplanung im Vorfeld politischer Entscheidungen aktiv und wirkt in Kooperation mit den Fachpla- nungen „gestaltend“ auf die Landnutzung ein, indem – ganz analog zur Aufgabenstellung der nationalsozialistischen Landschaftsanwälte – wertvolle landschaftliche Bestände mit industriellen Nutzungen vereinbart werden sollen. Damit wird aber nicht wie in der natio- nalsozialistischen Landespflege eine letztlich architektonische Gestaltungsaufgabe formu- liert, im Rahmen derer die neuen Nutzungsformen als moderne akzeptiert worden waren und mit ihnen die Eigenart der Landschaft weiterentwickelt werden sollte, so wie z. B. mit dem Autobahnbau. Stattdessen bezieht sich trotz des aktiven Handlungsbezugs der Pla- nungsanspruch wie beim traditionellen Naturschutz auf die Verteidigung der vorhandenen Landschaft, die mit der bäuerlichen Nutzung vereinbar bzw. erst durch diese entstanden war. Die „Offenheit“ der nationalsozialistischen Landespflege gegenüber modernen Nutzun- gen rührte daher, dass im Rahmen des völkisch-rassistischen Weltbildes Fortschritt und Tradition miteinander vereinbar waren, weil Kultur im „verständigen“, aber unerbittlichen Kampf mit der Natur entsteht und Bestand hat. Die Industrie ist hier lediglich ein effektives Mittel der Naturaneignung und wird zum Werkzeug völkischer Politik. Heimatschutz und Technik sind dann kein Gegensatz und müssen in einer konkreten Landschaftsgestaltung als architektonische Aufgabe verbunden werden (vgl. Linder 1926). Weil Technik dann in ein Ganzes, die Kultur und ihre Bestimmung, eingebunden ist, ist ihr dieser Ansicht nach im Gegensatz zu den liberalen Gesellschaften, die die Verfolgung der Interessen Einzelner 34 billigen und nach Ansicht der nationalsozialistischen Planer für die egoistische und rück- sichtslose Naturausbeutung verantwortlich sind, die zerstörerische Kraft genommen. Bei Buchwald entfällt der Bezug auf die konkrete Landschaftsgestaltung. Das aktive Element der Planung wird als Einflussnahme auf die politischen Entscheidungen in den Bereich der Politik verlagert. Die konkrete Landschaftsgestaltung entsteht dann gleichsam als Neben- effekt der in den politischen Entscheidungen austarierten Einzelinteressen der Landnutzer, so wie die vorindustrielle Landschaft – abgesehen von einigen Ausnahmen – immer ein Nebenprodukt bäuerlicher Nutzungen war. Dies führt aber zu einem widersprüchlichen Planungsverständnis: Obwohl sich die Land- schaftsplanung um die Teilnahme an demokratischen Entscheidungsprozessen bemüht, wird die Einbindung in die Demokratie aber wieder unterlaufen, weil sie bei aller Verwis- senschaftlichung und Politisierung unterschwellig einen in eine ganz andere Richtung wei- senden kulturellen Anspruch aufrecht erhalten hat und sich – am Gesamtplanungsanspruch erkennbar – aus ihrer Tradition heraus für den Bestand der gesamten Kultur verantwortlich hält. Sie wird daher nicht allein als kooperierender Teil der Raumordnung, als Fachplanung unter anderen, sondern mehr noch als integrierender Teil angesehen (Buchwald 1968, 110 f.). Darunter „wurde die frühzeitige, im Raumordnungssystem hoch angesiedelte, gleich- berechtigte Beteiligung der Landespflege verstanden. Über technische Fragen hinaus soll- ten Anregungen der Landespflege das Konzept der Gesamtplanung beeinflussen können“ (Runge 1998, 84). Mit der Integration wird ein Führungsanspruch erhoben, weil die Lan- desplanung die verschiedenen Nutzungsinteressen zu einem mit der Tragfähigkeit des Na- turhaushaltes abgestimmten Gesamtkonzept formieren soll. Die verwendeten Begrifflich- keiten der Kooperation und der Integration sind wohl nicht zufällig widersprüchlich. Koo- peration bedeutet nicht per se ein Führungsanspruch, der demokratisch nicht legitimierbar wäre, sondern lediglich Teilnahme an legislativ geregelten Planungsverfahren. Integration bedeutet aber Teilnahme, die sich das letzte Wort vorbehält, um sich gerade auch gegen Einzelinteressen durchzusetzen. Diese Vorrangstellung der Landespflege wurde dann auch von Buchwald bei allem sons- tigen Pragmatismus einige Jahre später explizit formuliert: „Der Landschaftsplan ist nicht irgendein Beitrag zum Raumordnungsplan, sondern seinem Inhalt und Wesen nach dessen zentrale Grundlage und Voraussetzung“ (Buchwald zit. n. ebenda, 114). Die Landespflege verstand sich also in letzter Instanz nicht allein als eine Fachplanung für Naturschutz und Erholung, die den anderen Fachplanungen beigeordnet ist, sondern sah sich für die Basis aller Nutzungen zuständig, nämlich für den ganzheitlich zu betrachtenden Naturhaushalt. Daraus entsprang ihr politisch prekärer Führungsanspruch, zu dem sie sich aber durch das Umweltprogramm 1971 ermächtigt sah, weil die Umweltzerstörung ja gerade durch die einzelnen Nutzungsformen und deren eingeschränkte mediale Perspektive hervorgerufen zu sein schien und eine „ganzheitliche“ Betrachtung notwendig schien. Dieser Führungs- anspruch wurde trotz frühzeitiger Kritik daran erst dann mehr oder weniger notgedrungen aufgegeben, als sich im Rahmen der Diskussion um das Vollzugsdefizit der Landschafts- planung in den 1980er Jahren zeigte, dass er in einer demokratischen Gesellschaft nicht durchsetzbar ist (vgl. Körner 1991). Bei dieser frühzeitigen Kritik wurde dann ein Aufga- benverständnis formuliert, das die Landschaftsplanung durch die Einführung der Nutz- wertanalyse weiter modernisierte. 35 Der Ausbau instrumenteller Rationalität in der Nutzwertanalyse Die Etablierung der Landespflege als ökologische Planung und Erholungsplanung im Planungssystem der Bundesrepublik Deutschland hatte mit der Verabschiedung des Um- weltprogramms 1971 einen gewissen Endpunkt gefunden, in dem allerdings sehr vage als Instrument der Umsetzung der Ziele des neuen politischen Feldes Umweltschutz der Land- schaftsplan genannt wird (vgl. Pflug 1972, 188). Aus diesem Grund wird die modernisierte Landespflege von den 1970er Jahren an auch Landschaftsplanung genannt. Es herrschte zu dieser Zeit ein heilloser Begriffswirrwarr bei der Bezeichnung des Fachs, weil der Begriff der Pflege als zu defensiv empfunden und eine neue Bezeichnung gesucht wurde. „Land- schaftsplanung“ entspricht dem Sprachgebrauch, der sich für dieses Aufgabenfeld in den kommenden Jahren durchgesetzt hat. Bedingt durch die inhaltlich vage Bestimmung des Begriffs Umweltschutz im Umweltprogramm 1971 setzte sofort die Diskussion darüber ein, was genau unter Umweltschutz zu verstehen sei und wie sich ein „ganzheitlicher“ Umweltschutz vom technischen unterscheide, der im Umweltprogramm in seinen Teil- bereichen Abfallbeseitigung, Wasser- und Luftreinhaltung verhältnismäßig differenziert ausgeführt worden war. Diese Teilbereiche waren durch die einzelnen technischen Fachgebiete bewältigbar. Pflug (1972) kritisierte aber das Fehlen jeglicher Strategie hinsichtlich eines „ökologischen Um- weltschutzes“, der im Gegensatz zum technischen, medial segregierten „ganzheitlich-um- fassend“ sei und unter dem „das Wissen um die Leistungsfähigkeit, die Belastbarkeit und die Schutzbedürftigkeit des Naturhaushaltes in seiner Gesamtheit (Struktur und Funktion) und seine Behandlung bezogen auf die Ansprüche der menschlichen Gesellschaft“ (alle Zitate ebenda, 186) verstanden werde. Die Ursache für das Fehlen von Strategien sieht Pflug in einem Defizit an verfügbaren Da- ten über den Naturhaushalt, das ausgeglichen werden müsse. „Die Lösung dieser Aufgabe beinhaltet, den Naturhaushalt kennenzulernen, um ihn beurteilen zu können. Eine Weiter- entwicklung unserer Landschaften auf landschaftsökologischer Grundlage ist nur möglich, wenn alle Faktoren des Naturhaushaltes (Relief, Gestein, Boden, Wasser, Klima, Vegeta- tion, Tierwelt und ihr Zusammenwirken in Ökosystemen) so erfaßt und bewertet werden, daß sie nicht nur für großräumige Planungen, sondern auch für den einzelnen konkreten Planungsfall zur Verfügung stehen“ (ebenda, 187). Mit der Lösung dieser Aufgabe stehe und falle ein wesentlicher Teil des Umweltprogramms sowie der Raumordnungsprogram- me (ebenda, 187). Auf der anderen Seite räumt Pflug dann aber ein, dass eine solche Dar- stellung des Naturhaushaltes mit der „Naturräumlichen Gliederung Deutschlands“ bereits vorliege (vgl. ebenda, 188). An diesem Punkt entzündet sich die Kritik von Bierhals (1972) am Aufgabenverständnis der Landschaftsplanung Buchwaldscher Prägung. Er fordert – wie noch im einzelnen zu zeigen sein wird – die Definition und Eingrenzung klarer Bearbeitungsgebiete, die mit eindeutigen gesellschaftlichen Zwecken verbunden sind, statt sich in der Suche nach einem diffus definierten, ganzheitlichen Naturhaushalt zu verlieren. Mit dieser Kritik an der Landschaftsplanung steht Bierhals nicht allein, denn auch die Sozialwissenschaftliche Freiraumplanung formiert sich mit einer Absage an die Land- schaftsplanung als einer einseitig auf das Objekt Natur bezogenen Disziplin. Auch sie hebt die Bedeutung gesellschaftlicher Zwecke hervor, allerdings nicht von allgemeinen gesell- schaftlichen Zwecken wie Land- und Forstwirtschaft, Industrie usw., sondern ausgehend 36 von einer völlig anderen Problemsicht, derjenigen der Berücksichtigung konkreter sozialer Bedürfnisse der „Lebenswelt“. Die Kritik am Planungsverständnis der Landschaftsplanung hat somit insgesamt drei Pole: Die eine bezieht sich eher auf methodische Probleme (Bierhals), die andere entwirft ein künstlerisches Gegenkonzept (Mattern), die dritte nimmt im Rahmen des Paradigmas rati- onaler Planung eine politische Gegenposition ein, die insofern eine fundamentalere Kritik an der Landschaftsplanung darstellt, als gegen die naturwissenschaftlich-ökologische Aus- richtung auf die Gesellschaftlichkeit des Menschen und seine kulturell herausgebildeten Bedürfnisse Bezug genommen wird (in der Freiraumplanung, hinsichtlich des Umgangs mit Landschaft als kulturellem Objekt, hauptsächlich Nohl). Sie nähert sich daher einem künstlerisch-gestalterischen Aufgabenverständnis an, lehnt aber dieses aus politischen Grün- den ab. Bierhals nennt bei seiner methodischen Kritik unter Bezug auf den Forschungsausschuss Landespflege drei von der Landschaftsplanung beanspruchte Aufgabenfelder, um sie dann auf ihren Realitätsbezug zu prüfen: Dabei handelt es sich erstens darum, für Schutz, Pflege und Entwicklung aller natürlichen Lebensgrundlagen einzutreten, zweitens den Ausgleich zwischen Naturpotential und Gesellschaft herzustellen und drittens als integrierender Be- standteil der Raumordnung zu fungieren. Buchwald als Vorreiter dieses Aufgabenverständ- nisses müsse allerdings einräumen, dass die ersten beiden Ansprüche auch für die Fachdis- ziplinen Land-, Forst- und Wasserwirtschaft gelten. Dennoch würde unter Maßnahmen der Landschaftspflege aufgeführt: „Pflegliche Nutzung der Landschaft (...) durch Bewirtschaf- tungsmethoden, die nachhaltige Leistungen in Land-, Forst-, Wasser- und Energiewirt- schaft (...) garantieren (...) bzw. durch landschaftspflegerische und meliorative Maßnah- men die Erträge sichern und steigern“ (Buchwald zit. n. Bierhals 1972, 281). Weiter werde beansprucht, „die Eignung sogenannter landschaftsökologischer Raumeinheiten für Acker- bau, Grünland, Forstwirtschaft usw. zu untersuchen, nach Kriterien, welche die Land- oder Forstwirtschaft selbst auch in ihren Standortbewertungen verwenden, wie dem Wasser- und Nährstoffhaushalt des Bodens. „In diesem Widerspruch (aus Gesamtplanungsanspruch und fachplanerischer Orientiertung; S. K.) zeigt sich ein noch nicht abgeschlossener Klärungs- prozeß der Disziplin Landespflege: die Ansicht, daß es eine ihrer wesentlichen Aufgaben sei, anderen raumbeanspruchenden Disziplinen zu sagen, wo beispielsweise die für sie am besten geeigneten Standorte liegen, ist bei Landespflegern weit verbreitet“ (ebenda, 282). Damit soll laut Bierhals ein Aspekt in die Landschaftsplanung eingebracht werden, der von den Fachplanungen bei ihren eigenen Standortbewertungen längst und auf einem metho- disch wesentlich höheren Niveau vollzogen werde (ebenda, 282). Da der Geltungsanspruch der Landschaftsplanung als Vermittlerin zwischen Natur und Gesellschaft nicht durchsetzbar sei und weil die Fachdisziplinen ihre eigenen Ansprüche besser kennen, stelle sich die Frage, was der Landschaftsplanung an gesellschaftlich nach- gefragten Aufgabenfeldern noch bleibe. Das Spezifikum der Landschaftsplanung sei ihr dritter Anspruch, also die Integration aller Nutzungen im Raum. „Buchwald interpretiert ihn unter Bezug auf Langer derart, daß die einzelnen Fachplanungen wie Land- und Forst- wirtschaft einen nutzungsspezifischen Betrachtungsstandort einnehmen, während die Lan- despflege den Zweck verfolge, „den sozialräumlichen Wert materieller und immaterieller Leistungen der Naturausstattung in Abhängigkeit vom räumlichen Nebeneinander und der Überlagerung verschiedener Nutzungen sicherzustellen““ (ebenda, 282). Da die nutzungs- spezifischen Standortfaktoren für jede Fachplanung von originärem Interesse seien, die 37 Problematik der ökologischen und visuellen Auswirkungen der einzelnen Nutzungen je- doch nicht deren Perspektive bestimme, weil jene Auswirkungen lediglich als Nutzungser- schwernis und somit Kostenfaktor fungierten, sei es die Aufgabe der Landschaftsplanung, diese Auswirkungen zu minimieren. d. h. nicht die kleinstmögliche, sondern die kleinste notwendige Beeinträchtigung unter Berücksichtigung der Voraussetzungen und politisch formulierten Leitbilder in einem bestimmten Planungsgebiet sicherzustellen (ebenda, 282). Das andere Arbeitsgebiet ist nach Bierhals die Grünordnung, wie sie von Buchwald für den städtischen Bereich definiert wurde, die bei nüchterner Betrachtung nichts anderes sei als Freizeitplanung. Hier liege ein taktischer Zweck und eine deutliche Zielsetzung vor. Unter deutlicher und gesellschaftlich anerkannter Zielsetzung ist hier wieder die Erholung zu verstehen, während taktischer Zweck offenbar die Vereinnahmung der Erholung für die zivilisationskritischen Ziele der Landespflege im Buchwaldschen Sinne, d. h. den Schutz ganzheitlich-ästhetischer Natur als Symbol „natürlicher“ Lebensverhältnisse meint. Denn es hatte sich ja gezeigt, dass die Grünplanung das Instrument darstellte, die Stadt mit land- schaftlichen Mitteln, d. h. also vor allem mit ihrer Durchgrünung „gesunden“ zu lassen. Dagegen spielt in der funktionalen Perspektive der Untersuchung ökologischer Auswirkun- gen verschiedener Nutzungen die Natur nur als Ressource eine Rolle. Zwischen den beiden Schwerpunkten der Minimierung ökologischer Auswirkungen raumrelevanter Nutzungen und der Erholung bestehen nach Bierhals keine Zusammenhänge, „die es nach wissen- schaftssystematischen Kriterien rechtfertigen würden, beide als Teilgebiet einer Disziplin zu bezeichnen“ (ebenda, 283). Denn Natur gehört hier jeweils völlig unterschiedlichen Kategorien – materielle Ressource und schöne Landschaft als Sinnsymbol – an. Dies lasse vermuten, dass langfristig gesehen beide Arbeitsbereiche völlig unabhängig voneinander würden. „Diese Entwicklung wäre fast der zwingende Ablauf in der Entwicklung einer Disziplin, die mit einem Anspruch aufgetreten ist, der sich als so groß und inhomogen er- wiesen hat, daß eine Aufspaltung in selbständige Teildisziplinen unumgänglich ist“ (eben- da, 283). Damit wird erstmals die Möglichkeit der Spaltung der Landschaftsplanung angedeutet, wie sie z. B. zehn Jahre später dann in Berlin ernsthaft thematisiert, Anfang der 90er Jah- re auch teilweise vollzogen, dann aber aufgrund der universitären Zusammenlegung von Fachbereichen wieder revidiert wurde. Diese vorübergehende Spaltung ist aber nicht damit begründet, dass sich eine eigenständige Erholungsplanung und ebenso eine eigenständi- ge ökologische Planung herausgebildet hätte, sondern weil die Landschaftsplanung der 1970er Jahre die professionelle Bearbeitung gestalterisch-architektonischer Fragen als ir- rational und nicht mehr zeitgemäß behandelt hat. Zwar sollten noch in der Landschafts- bildanalyse die visuellen Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch Nutzungen be- wertet werden, seine symbolisch-kulturellen Bedeutungsgehalte wurden aber nicht mehr als solche thematisiert, sondern als quasiempirische Objekteigenschaften verstanden, die dann gemessen und berechnet werden können (vgl. dazu den Beitrag von Körner über den Vielfältigkeitswert in diesem Band). Demgegenüber bestand die durch diese Entwicklung zunächst marginalisierte Landschaftsarchitektur als künstlerisch-bauende Disziplin weiter auf dem kulturellen Aspekt der konkreten Landschaftsgestaltung und bemühte sich daher um eine Trennung von der Landschaftsplanung. Diese Trennung wurde Anfang der 2000er Jahre an der TU München auch teilweise vollzogen. Für die ökologische Planung ist es nach Bierhals zwingend erforderlich, sich nach klaren Zweckbezügen zu richten und nicht nach einem diffus definierten Naturhaushalt, der in 38 der Naturräumlichen Gliederung Deutschlands erfasst sei. Denn jede Gliederung und jede Bewertung des Raumes sei nur in Bezug auf bestimmte Zwecke möglich, wenn man an dieses Bewertungsverfahren wissenschaftliche Anforderungen stelle. Bierhals führt daher unter Bezug auf Hard aus: „Es gibt nicht den „Naturraum“, den man objektiv und unabhän- gig von einem bestimmten Nutzungsanspruch abgrenzen könne. Vielmehr läßt sich jedes Gebiet beim Fehlen eines klaren Zweckbezugs, aus dem sich erst Art und Gewicht der Kriterien ergeben würden, je nach vorhandenen Unterlagen, je nach Intention des Bearbei- ters in eine unendlich große Zahl von Gliederungen zerlegen. (Es sei denn, man setzt den Begriff „Naturraum“ simplifizierend mit geomorphologisch geprägtem Raum gleich und setzt irrtümlich voraus, daß gleiche geomorphologische Bedingungen eine gleiche Boden- entwicklung, gleiches Mesoklima, gleiche Vegetation usw. aufweisen)“ (ebenda, 284). Die Definition klarer Zweckbezüge und strategischer Ziele hat eine neue Auffassung von Landschaftsplanung zur Konsequenz: Nutzungen werden nicht pauschal als Störung des Naturhaushaltes in Form von „Zersiedelung“, „Verunreinigung“ und „Verunstaltung“ verstanden, sondern Naturräume und Landschaftsschäden werden in Hinblick auf andere beeinträchtigte Nutzungsansprüche interpretiert. Nach einem klaren Ursache-Wirkungs- Schema – verursachender Nutzungsanspruch, Wirkung, betroffener Nutzungsanspruch (Verursacher-Wirkung-Betroffener) – sollen eindeutige Bewertungsmaßstäbe gegeben werden. Mittels einer Verflechtungsmatrix soll dann eine ökologische Wirkungsanalyse auf Basis einer Nutzwertanalyse erarbeitet werden. Diese soll die Landschaftsplanung als querschnittsorientiertes ökologisches Koordinierungsinstrument in der Raumordnung qua- lifizieren, damit sie ihrer Aufgabe nachkommen kann, ökologische Beeinträchtigungen in der Weise zu minimieren, dass die sich in einem Raum vertretenen Nutzungen nicht ge- genseitig schädigen und verträglich koordiniert werden können (vgl. Bierhals, Kiemstedt, Scharpf 1974, 77; Eckebrecht 1996, 229 ff.). In der Landschaftsplanung war somit aus politischen Gründen das methodische Ideal an der instrumentellen Logik von Planung und der empirischen wissenschaftlichen Rationa- lität orientiert, um, so gut es geht, Intersubjektivität zu erzielen. Diese Rationalität ba- siert auf der Berufung auf materiale Fakten und empirische Überprüfbarkeit und wurde im Handbuch für Theorie und Methodik der Planung von Bechmann (1981), das lange Zeit die Funktion eines Standardwerks hatte, festgehalten. Wie besonders prägnant das Verfah- ren zur Ermittlung des V-Werts von Kiemstedt zeigt, wird der zu bewertende Einzelfall im Rahmen standardisierter Verfahren auf universell gültige Gesetze bezogen, seien es ökologische Gesetze in Bezug auf den Naturhaushalt, seien es soziologische oder ökono- mische in Bezug auf die Gesellschaft. Bei Kiemstedt soll dieser Gesetzescharakter durch die Ausrichtung an der Idee von Arkadien gewährleistet werden. Die Subsumption unter allgemeingültige Gesetze soll die subjektunabhängige Nachprüfbarkeit der Planungsaus- sagen und damit die Legitimation von Planung sicherstellen. Kennzeichnend dafür ist das Abrücken von der Individualität des Gegenstandes; er fungiert als ein empirischer Fall von mindestens einem allgemeinen Gesetz, unter das er eingeordnet (subsumiert) wird. Daher spielt die Eigenart bei Kiemstedts Erfassung erholungswirksamer Landschaftselemente keine Rolle, zwingt ihn aber, weil die Individualität der Landschaft für das Erleben wich- tig ist, zu Einschränkungen seiner Methode. Dieses generalisierende Vorgehen ist die für die nomothetischen (gesetzgebenden) Wissenschaften kennzeichnend (vgl. dazu Teil I von Eisel in diesem Band). Durch diese Untersuchungslogik werden neben der Nachprüfbar- keit zwei weitere, nach Popper allgemeine Aufgaben der Wissenschaft erfüllt: Zum einen 39 werde eine theoretische Erklärung der Phänomene geliefert, zum anderen ermöglichen wissenschaftliche Erklärungen eine Prognose und damit grundsätzlich eine technische An- wendung der Gesetzmäßigkeiten (Popper 1972, 49). Denn durch die Subsumtion eines Ereignisses unter Gesetze wird dieses erklärt und kann damit auch bei Beachtung dieser Gesetze experimentell reproduziert werden. Dieses Schema wissenschaftlicher Erklärung spiegelt sich im Ablauf von Landschafts- planungen: Die Bestandsaufnahme als Datensammlung zum konkreten Fall hat die Auf- gabe, die singulären Anfangsbedingungen festzustellen. Eine Erklärung des Falls ergibt sich durch die Zuordnung der Anfangsbedingungen zu (mindestens) einem allgemeinen Gesetz. Die Bewertung findet dann statt, wenn der erklärte Sachverhalt in Hinblick auf gesellschaftliche Interessen und Werte eingeordnet wird. Eine rationale planerische Aus- sage muss also sowohl einen Bezug auf mindestens ein ökologisches, soziologisches oder ökonomisches Gesetz und eine möglichst präzise Definition des praktischen Zwecks als Basis der Bewertung aufweisen. Die Rücknahme instrumenteller Rationalität in der ökologischen Risikoanalyse und im Naturpotenzialansatz Die Nutzwertanalyse als Methode setzte sich jedoch nie richtig durch, weil sie laut Bech- mann für die Planungspraxis zu schematisch war (vgl. Bechmann 1977, 98). „Stattdessen wurde einerseits eine methodisch ‚weichere‘ Instrumentenvariante, die sog. ‚Risikoana- lyse‘, eingeführt, und zum anderen setzte sich im Laufe der 80er Jahre zunehmend das Potentialkonzept durch, im Rahmen dessen die Ausgangsfragestellung der ökologischen Planung, die dem Schema ‚Verursacher-Auswirkung-Betroffener‘ folgte, durch das neue Schema ‚Erfassung des Potentials – Erfassung der Beeinträchtigung des Potentials‘ reprä- sentiert wird“ (Eckebrecht 1996, 235 f.). Diese Entwicklung wurde also nicht allein des- halb eingeleitet, weil strenge Bewertungsverfahren zu schematisch waren, wie Bechmann meint, sondern auch, weil zu diesem Zeitpunkt der Gesamtplanungsanspruch im Laufe der Diskussion um das Vollzugsdefizit in Verruf geraten war und eine Modifizierung der Instrumentarien erfolgte. In diesem Fall bedeutete das, dass nicht mehr alle denkbaren Nut- zungen und ihre Beeinträchtigung anderer Nutzungen erfasst und bewertet werden sollen, sondern nur noch die Beeinträchtigungen eines Potentials (vgl. ebenda, 236). Mit dieser Einschränkung war jedoch gleichzeitig ein Verlust an inhaltlicher Präzision ver- bunden: Die Risikoanalyse verzichtete auf die Berechnung der Belastung von bestimmten Räumen sowie einer Aggregation von Werten zu einer Gesamtbelastung je Flächeneinheit. Die Aggregation von Belastungen zu einem abstrakten (dimensionslosen) Zahlenwert ließ aufgrund dieser Abstraktheit keinen konkreten Rückschluss mehr auf die einzelnen verur- sachenden Wirkungen zu. Dadurch entstand eine Intransparenz zugunsten einer besseren planerischen Handhabbarkeit der Ergebnisse. Die Risikoanalyse griff auf Indikatoren zu- rück. Hier wird die Belastung der natürlichen Lebensgrundlagen anhand von sog. Konflikt- bereichen wie Grundwasser, Klima/Luft, Biotopschutz und Erholung ermittelt. Mittels ei- ner vergleichenden Betrachtung der Karten dieser Konfliktbereiche wird eine Darstellung ökologischer Bereiche mit hoher Empfindlichkeit erarbeitet. Die Synthese der einzelnen Bewertungen zu einer Einschätzung des Gesamtrisikos erfolgt also auf der Ebene einer kartografischen Darstellung (vgl. ebenda, 240 f.). Da aber die Aussagekraft dieser Analyse maßgeblich von der Qualität der ausgewählten Indikatoren abhängt und diese Auswahl aus dem Charakter des einzelnen Problemfalls folgt, kann sie nicht methodisch abgesichert 40 werden, „sondern (ist) nur fallweise durch „vernünftige Intuition“ gesichert, da im Rahmen der Risikoanalyse verschiedenste Kriterien verwendet werden können, die lediglich mög- lichst exakt sein sollen“ (ebenda, 246; Hervorhebung S. K.). Auch hier zeigt sich, dass wie schon beim V-Wert im Rahmen der Nutzwertanalyse aus pragmatischen Gründen systema- tisch ein intuitives Moment der Bewertung eingeführt werden muss, wenn die Analyse dem konkreten Fall gerecht werden soll. Die Verschiebung des Aufgabenbereichs von Nutzungsansprüchen auf bestimmte Kon- fliktbereiche in der Risikoanalyse wird durch den Naturpotenzialansatz weitergeführt. Da- mit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass im Landschaftsschutz nicht immer ohne weiteres ein direkter Nutzenbezug hergestellt werden kann, weil zum einen die Wirkungen von Nutzungen oft nicht präzise beschrieben werden und zum anderen besonders künfti- ge Nutzungsansprüche nicht exakt prognostiziert und eingeschätzt werden können. Die Herstellung von möglichst präzisen Nutzenbezügen hat ferner zur Folge, dass die Aggre- gation zu einem Gesamtwert von Belastung als abstrakt und schematisch empfunden wird und von eingeschränkter praktischer Bedeutung ist. In der Erholung zeigt sich, dass von dem kulturellen Charakter des Landschaftserlebens abstrahiert wird und auch hier das Ge- fühl des Schematismus als eines unzulässigen Reduktionismus entsteht. Gerade weil die Landschaftswahrnehmung im ästhetischen Erleben von Zweckbezügen abhebt und vor al- lem weil die Landschaft ein Symbol harmonischer Lebensverhältnisse darstellt, ist mit Landschaft als ästhetischer Natur immer mehr gemeint als der pure Nutzen. Hier sind vor allem auch die immateriellen Dimensionen der Landschaftserfahrungen von Bedeutung, die erholungswirksam sind und die ästhetischen – wegen des Sinnbezugs auch ethischen – Bedürfnissen entsprechen (vgl. ebenda, 260 f.; von Haaren und Horlitz 1993, 66). Wird ihnen ein ökonomischer Zweck zugeordnet, wird – wie die Kritik am V-Wert zeigt – dies schnell als unangemessene Zweckrationalität empfunden. Die Entwicklung des Naturpotenzialansatzes reagiert aber nicht direkt auf die kulturelle Bedeutung der Landschaft, sondern auf interne Probleme der Nutzwertanalyse und der ökologischen Risikoanalyse: Zweckbezogene Raumgliederungen sollten ursprünglich als Alternative zu den kritisierten naturräumlichen Gliederungen oder Gliederungen nach Ve- getationsformen, Bodentypen und Geländeformationen von vornherein einen Bezug zum Bewertungsziel einer „Eignung oder Empfindlichkeit in bezug auf einen Zweck oder eine Nutzung“ (Eckebrecht 1996, 269) aufweisen und in die Datenerhebung einfließen. Daher sollten im Gegensatz zu den naturräumlichen Gliederungen die Kriterien der Bewertung, nämlich die Beeinträchtigung von Nutzungsansprüchen, und das zugrundeliegende Wer- tesystem, nämlich ein ökonomisches, vor der Erhebung festgelegt werden. Dadurch wäre eine höhere Transparenz und eine problembezogene Datenermittlung möglich gewesen (vgl. ebenda, 169). Hingegen müssen Kartenwerke, die eine natürliche Gliederung erfas- sen, erst noch in Hinblick auf Nutzungseignungen und Empfindlichkeiten interpretiert wer- den, „weil Nutzungen in der Regel eben nicht konkrete naturräumliche Ausstattung nutzen, sondern spezifische Aspekte von Natur“ (ebenda, 268). Für die Automobilproduktion ist z. B. die Biotopausstattung eines Gebietes irrelevant, aber nicht die Verfügbarkeit von Wasser und anderen Rohstoffen. Der Nachteil der zweckgerichteten Gliederung besteht nach Eckebrecht zum einen darin, dass sie jeweils nur für die fest definierten Zwecke gelten und daher wegen ihrer mangeln- den Standardisierbarkeit den Aufwand erhöhen, weil im Extremfall für jede Einzelnutzung die Inanspruchnahme von Potenzialen spezifisch erfasst werden muss. Oder die Zwecke 41 werden verhältnismäßig grob bestimmt, um für ein Standardrepertoire von Problemfällen Aussagen formulieren zu können. Dann aber gehe die Schärfe der Problemdefinition wie- der verloren. Zum anderen werde ein weiteres Problem deutlich, nämlich dass sich für den Planer die Notwendigkeit der Karteninterpretation bei zweckbezogenen Gliederungen auf die der Antizipation möglicher Problemfälle verlagert und in jedem Fall Intuition und Erfahrung erforderlich seien, sei es beim „Vorausahnen“ von Problemen, sei es bei der Anpassung des Standardrepertoires auf den jeweiligen Fall. Damit ließe sich kein nennenswerter Vorteil gegenüber dem traditionellen Verfahren erkennen, wo ein Planer, Ökologe oder Geograph anhand von Kartenwerken über die natürliche Ausstattung von Räumen und mittels der Korrelation von Vegetation, Boden, Wasser und Geländeform auf „ökologische“ Verhält- nisse schließe und die Qualität der Einschätzung von seinem individuellen Können und Gespür abhänge (ebenda, 268 ff.). Eher habe dieses Vorgehen den Vorteil, dass es im Ge- gensatz zur strengen und im Einzelfall aufwändigen Spezifizierung der zweckbezogenen Gliederung auf meist vorliegendes Kartenmaterial zurückgreifen könne und offen genug sei, um flexibel an den jeweiligen Fall angepasst zu werden. Bierhals, der Kritiker der alten „naturkundlichen“ Landschaftsplanung kehrt daher bei aller angestrebten Rationalität der Bewertung aus Gründen planerischer Praktikabilität zur „länderkundlichen“ Perspektive zurück, die im Potenzialbegriff ohnehin angelegt ist, indem er letzten Endes die Erstellung von spezifizierten, zweckbezogenen Raumgliederungen mit naturräumlichen Potenzialbe- trachtungen gleichsetzt. Damit endet das Potenzialkonzept aber wieder bei der diffusen naturschützerischen Perspektive, die Bierhals ursprünglich kritisiert hatte (vgl. ebenda, 264), weil jetzt wieder eher allgemein von der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes aus- gegangen wird und nicht mehr von präzisen Zweckbezügen. Den Rückfall des Potenzialkonzepts in die ursprünglich als unwissenschaftlich kritisier- te länderkundlich-intuitive Problemwahrnehmung führt Eckebrecht anhand der Erfassung des „immateriellen Potenzials“ Erholung durch Bierhals et al. (1987) weiter aus. Nach Eckebrecht wird die Erholungseignung von Landschaft nicht wie bei Kiemstedts V-Wert als konsequenter, aber von der Fachgemeinde nach anfänglicher Faszination doch mit Unbehagen betrachteter Versuch der Anwendung einer Nutzwertanalyse landschaftlicher Symbole ermittelt, sondern die Eignung für die Erholung werde anhand der Kriterien Na- turnähe, Vielfalt und Identität auf Basis der Biotopkarte klassifiziert. „Nicht selektierte Strukturelemente von Landschaft (Gewässerrand in m/qm etc.) werden berechnet, sondern die Biotope als solche werden kartiert und nachträglich klassifiziert. Daß ausgerechnet Bio- tope ausgewählt worden sind, ist verständlich. Das liegt daran, dass die Biotopnatur, d. h. die Natur des Zusammenhangs von Lebensgemeinschaften und Lebensräumen, ein ‚Bild‘ ist, das von der Ökologie entworfen wird, die ebenso in der Tradition des idiographischen Denkens steht wie die Geographie. (...) Beiden ist gemein, daß sie einen ursprünglich äs- thetisch-emotionalen (sic!) gewonnenen ‚Totaleindruck‘ einer Erdgegend, wie Humboldt es nannte, in ein wissenschaftliches, real gegebenes Objekt umdeuten, dem nun ein ‚Total- charakter‘, also eine (ökologische) Objekteigenschaft, zuerkannt wird. (...) Es wäre zwar übertrieben, daraus abzuleiten, daß die Ökologie Wissenschaft auf der Ebene von ästhe- tischen Wahrnehmungen betreiben würde, aber es ist zutreffend, daß die Unterscheidung von Biotopen nicht unwesentlich von der Wahrnehmung einer äußeren Gestalt beeinflußt ist; es gilt also auch in der Ökologie (d. h. in dieser Form raumbezogener und planungs- relevanter Ökologie; S. K.), wie in der Geographie, das physiognomische Beobachtungs- 42 prinzip, welches den jeweiligen Gegenstand der Wissenschaft konstituiert. (...) Die Art, in der die Ökologie Biotope beschreibt, ist zumindest noch so stark geprägt vom ‚physiogno- mischen‘ Beobachtungsprinzip der landschaftskundlichen Geographie, daß ein ökologisch genügend „gebildeter“ Mensch stets ein Bild oder eine Gestalt mit der Nennung eines bestimmten Biotoptyps (Buchenwald, Kleinseggenrieder, Niedermoor, Feuchtgrünland, Trockenrasen etc.) assoziieren wird“ (ebenda, 281f). Daher kann eine Biotopkartierung plausibel als Anhaltspunkt für die Bewertung der Erholungseignung dienen, die „verdeckt anhand von alltagsweltlichen Urteilen“ (ebenda, 286; Hervorhebung S. K.) eine ästhe- tische Klassifizierung der Schönheit von Landschaftsteilen vornimmt. „Der Blick wird zwangsläufig ‚alltagsweltlich‘, weil auf eine spezifizierte Kriterienbildung – die einer wis- senschaftlichen Eingrenzung von Problemfällen folgen müßte, weil spezifiziertes Wissen i. d. R. wissenschaftliches Wissen ist – verzichtet wird. Im Falle der Erholung nähert sich das Verfahren einer Blickweise auf Natur, in der sich die Natur so darbietet, wie dem ‚normalen‘ Betrachter: landschaftlich-schön, vielfältig, eigenartig und natürlich“ (ebenda, 284). Die Differenz zwischen naturräumlichen und zweckgerichteten Gliederungen werde damit nebensächlich, eben weil der Blick wieder „alltagsweltlich“ und physiognomisch wird. Die Differenz von wissenschaftlicher zu intuitiver alltagsweltlicher Problemwahrnehmung, die gegen die Landschaftsplanung Buchwaldscher Prägung ins Feld geführt worden sei, bleibe damit weiter bestehen und werde paradoxerweise gerade von Bierhals, dem profilierten Kritiker der „naturkundlichen“ Landschaftsplanung, verstärkt. Die methodisch strenge Verwissenschaftlichung bleibe damit ein uneingelöstes Ideal (vgl. ebenda, 286 f.). Damit bleiben bei der Bearbeitung landschaftlicher Problemfälle aus pragmatischen Grün- den in jedem Fall intuitive Momente des Bewertens hinsichtlich der Auswahl relevanter Indikatoren, der Antizipation möglicher Problemfälle, der Auswertung von Kartenmaterial und vor allem der Auswahl erlebniswirksamer Landschaftselemente relevant. Die planeri- schen Schlussfolgerungen ergeben sich somit keinesfalls direkt aus „der Natur der Sache“. Auch schon allein die Erhebung von Sachverhalten und nicht erst deren Bewertung hat eine Wertung zur Voraussetzung. In beiden Fällen ist das zugrundeliegende Wertesystem offenzulegen, wenn Transparenz gewahrt werden soll. Wenn sich aber gegenüber diesem Ideal rationaler Planung zeigt, dass aus pragmatischen Gründen Intuition und Gespür bei der Beurteilung landschaftlicher Problemfälle unverzichtbar sind, dann muss ihnen ein systematischer Platz in der Planung zugewiesen werden, statt ihre Bedeutung zu verschlei- ern. Die methodischen Konsequenzen für die Planung wären zu diskutieren. Die Landschaftsarchitektur5 Es war oben schon angedeutet worden, dass zusätzlich zu einer methodischen Kritik in- nerhalb des sachlich-instrumentellen Verständnisses von Landschaftsplanung, die zur Ein- führung der Nutzwertanalyse führte, diese Art der Landschaftsplanung generell in Frage gestellt wurde. Eine Form der Kritik bestand in der Verteidigung der Landschaftsgestaltung 5 Dies ist lediglich ein knapper Ausblick. Ausführlich wird die Landschaftsarchitektur im Grund- lagentext des zweiten Bandes der Tagungsreihe behandelt. Vgl. auch ausführlich Körner (2001, 363). 43 als architektonische Aufgabe, die frühzeitig von Hermann Mattern formuliert wurde. Er schlug zwar wie Buchwald vor, die Landschaftsplanung am Ideal umfassender Gesundheit auszurichten, deutete den Begriff aber nicht vorrangig ökologisch, sondern kulturell. Daher setzte er weiter auf die architektonische Gestaltung der Landschaft als architektonische und künstlerische Aufgabe (vgl. Mattern 1950, 1964). Ein wesentlicher Motor schöpferischer Entwicklung wurde in der Persönlichkeit des Land- schaftsarchitekten gesehen. Der Architekt sollte in der Lage sein, in eigener Verantwor- tung und mittels subjektiven Einfühlungsvermögens individuelle Räume zu schaffen. Trotz dieser Verteidigung eines individuellen, künstlerischen Vorgehens trat Mattern aber im Rahmen der Notwendigkeit, sich in der Landschaftsplanung fachpolitisch durchzusetzen, dafür ein, mittels eines allgemeinen, quantitativen Maßes, eines Ausgleichskoeffizienten, das Verhältnis zwischen zwischen Land und Stadt zu bestimmen, um auf dieser Basis Er- holungslandschaften zu schützen (vgl. Mattern 1971, 8). Das zeigt den Zwang, in Demo- kratien handlungsrelevante Daten über materielle Tatsachen intersubjektiv überprüfbar zur Verfügung zu stellen. Landschaft in der Freiraumplanung6 Die andere Kritiklinie leitet sich aus der sozialwissenschaftlich orientierten Freiraumpla- nung ab. Diese hatte sich zur Aufgabe gestellt, die Tradition des Fachs von ihrer politisch reaktionären Vergangenheit zu befreien. Nohl (1980) als einer der Exponenten dieser Kri- tiklinie stellte sich daher die Aufgabe, das bisherige Kulturverständnis der Garten- und Landschaftsgestaltung umzuinterpretieren. „Kultur“ als organische Integration des Indi- viduums in sinnhafte Ganzheiten mit einem eigenen „Wesen“, wie die Landschaft, das Volk oder die Rasse, soll durch die Emanzipation des Individuums von solchen Ganzheiten ersetzt werden, weil sie als ideologische Konstrukte eines antiaufklärerischen und autoritä- ren Gesellschaftsverständnisses aufgefasst werden. Entsprechend spielt die (heimatliche) Landschaft als Instanz der Einordnung in ein Ganzes keine Rolle, sondern wird in dieser Theorie durch die Gesellschaft als Heimat des (politischen) Menschen ersetzt. Das bedeu- tet aber nicht, dass wie im liberalen Denken ein konsequenter Individualismus vertreten wurde. Obwohl für Emanzipation eingetreten wurde, wurde doch die Gemeinschaftlichkeit menschlicher Existenz betont und die Werte freiwillige Solidarität und Kooperation betont. Dieser Werte ersetzen die Einordnung in „organische“ Ganzheiten im konservativen Ge- sellschaftsverständnis. Diese Kulturtheorie soll gegen die idealistisch-bürgerliche gestellt werden, indem sie ma- terialistisch in Anlehnung an die marxistische Bedürfnistheorie begründet wird. Daher werden die Bedeutung materieller Gebrauchswerte und ihre tätige Aneignung durch das Individuum betont. Die menschliche Fähigkeit der schöpferischen Aneignung der Natur- stoffe und ihre Umformung zu Gebrauchswerten werden ausgehend von den spezifischen Gattungsvermögen beschrieben. Da die Gebrauchswerte im Gegensatz zum Tauschwert erst dann ihren Wert erhielten, wenn sie vom Individuum im Gebrauch schöpferisch an- geeignet werden, sei ihre volle Bedeutung zum einen an die Entfaltung der menschlichen Wesenskräfte gebunden. Daher besteht auch Nohl stets auf der kulturellen Reichhaltigkeit und Individualität menschlicher Existenz. Zum anderen soll die intersubjektive Überprüf- 6 Vgl. ausführlich Körner (2001, 239). 44 barkeit der Planungsaussagen gewährleistet werden, indem die individuellen Bedürfnisse der Leute und ihre Aneignung der Gebrauchswerte sozialempirisch untersucht werden. Damit soll Objektivität erzielt werden, ohne dass – wie in der Landschaftsplanung – ein rein funktionaler, technisch-instrumenteller Ansatz die Konsequenz wäre. In Verbindung der individuellen Bedürfnisbefriedigung mit einer emanzipatorischen Planung „von unten“ soll verhindert werden, dass seitens der Administration Herrschaft über die konkrete Le- benswelt ausgeübt wird. Der symbolische Gehalt von Landschaft, der bislang so verstan- den wurde, dass er den kulturellen „Geist“ des in ihr lebenden Volkes repräsentiert, wird nun als eine Art „Gebrauchswertversprechen“ (Tessin 1981, 165) von Freiräumen, d. h. als eine assoziative Aufforderung zu einem konkreten, aktiv-schöpferischen Tun, ausgelöst durch bestimmte Freiraumelemente, verstanden. Wegen der Bedeutung allgemein mensch- licher Bedürfnisbefriedigung ist dieses Versprechen nicht allein im Hinblick auf seinen funktionalen Nutzen für die Erholung zu verstehen; dies würde zum einen eine Form tech- nokratischer Krisenbewältigung, nämlich nur die Gewährleistung des notwendigen Maßes an Reproduktion der Arbeitskraft, bedeuten. Zum anderen wird diese Erholung als passiv und nicht schöpferisch, somit also letztlich als entmündigend angesehen. Wenn dagegen Erholung emanzipativ sein soll, muss durch die Gestaltung der Freiräume dazu aufgefor- dert werden, schöpferisch und produktiv tätig zu werden. Damit wird der Stellenwert der ruhigen Erholung im Landschaftserleben zugunsten der aktiven Betätigung im Freiraum, der gleichsam ein revolutionäres Potenzial zugeschrieben wird, relativiert. In dieser Variante der Traditionsbewältigung wird die Eingliederung der Landschaftspla- nung bzw. der Freiraumplanung in die demokratische Gesellschaft ganz offenkundig unmit- telbar politisch verstanden (Gröning 1982; Gröning et al. 1984; Gröning, Nohl 1972). Sie folgt aus einer politischen Abrechnung mit der Vergangenheit des Faches im Nationalsozi- alismus (Gröning, Wolschke-Bulmahn 1987). Das unterscheidet sie vom „Mainstream“ der modernen ökologischen Landschaftsplanung, in der sehr viel weniger direkt demokrati- sche Werte zum Ziel und Maßstab für die Landschaftsplanung erklärt wurden, sondern die Integration in ein demokratisches Umfeld, vermittelt über das unverdächtige Anliegen von Gesundheit und Erholung, methodisch gefestigt wurde. Diese planungsmethodische Ver- sachlichung korrelierte mit der faktischen Verstärkung der Tendenz zur Verwissenschaft- lichung der Landschaftsplanung durch die Zunahme an ökologischen Fachinhalten. Das Fach als Universitätsdisziplin und als Praxis wurde „aufgeladen“ mit Naturschutzproble- men und naturwissenschaftlichen Inhalten, also insgesamt mit einer Wissenschaftlichkeit, die auf formale Art der Demokratisierung des Fachs zuträglich war. Literatur BECHMANN, A. (1977): Ökologische Bewertungsverfahren und Landschaftsplanung. Landschaft und Stadt 9 (4): 170-180. BECHMANN, A. (1981): Grundlagen der Planungstheorie und Planungsmethodik. Bern/Stuttgart. BIERHALS, E. (1972): Gedanken zur Weiterentwicklung der Landespflege. Natur und Landschaft 47 (10): 281-285. 45 BIERHALS, E. ET AL. (1987): Gutachten zur Erarbeitung der Grundlagen des Landschaftsplans in Nordrhein-Westfalen – entwickelt am Beispiel „Dorstener Ebene“. Naturschutz und Land- schaftspflege in Nordrhein-Westfalen. Der Minister für Umwelt, Raumordnung und Landwirt- schaft des Landes Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf. BUCHWALD, K. (1956): Gesundes Land – gesundes Volk. In: BADEN-WÜRTTEMBERGISCHE LANDESSTELLE FÜR NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE [Hrsg.]: Land- schaftsschutz und Erholung Bd. 24. 56-71. BUCHWALD, K. (1961): Der Mensch in der Industriegesellschaft und die Landschaft. Garten und Landschaft 71 (8): 229-238. BUCHWALD, K. (1963): Die Industriegesellschaft und die Landschaft. In: BUCHWALD, K; LENDHOLT, W.; MEYER, K. [Hrsg.]: Festschrift für Heinrich-Friedrich Wiepking. Stuttgart. 25-41. BUCHWALD, K.; LENDHOLD, W.; PREISING, E. (1964): Was ist Landespflege? Garten und Landschaft 74 (7): 229-231. BUCHWALD, K. (1968): Geschichtliche Entwicklung von Landschaftspflege und Naturschutz in Nord-, West- und Mitteleuropa. In: BUCHWALD, K; ENGELHARD, W. [Hrsg.]: Handbuch für Landschaftspflege und Naturschutz, Bd. 1, Grundlagen. München. 97-114. BUCHWALD, K.; ENGELHARD, W. [Hrsg.] (1968/69): Handbuch für Landschaftspflege und Na- turschutz. 4 Bde. München. ECKEBRECHT, B. (1991): Die Entwicklung der Landschaftsplanung an der TU Berlin – Aspekte der Institutionalisierung seit dem 19. Jahrhundert im Verhältnis von Wissenschaftsentwicklung und traditionellem Berufsfeld. In: EISEL, U.; SCHULTZ, S. [Hrsg.]: Geschichte und Struktur der Landschaftsplanung. Berlin. 369-424. ECKEBRECHT, B. (1996): Das Naturraumpotential. Zur Rekonstruktion einer geographischen Fachproblematik in der Landschaftsplanung. In: EISEL, U.; TREPL, L. [Hrsg.]: Beiträge zur Kulturgeschichte der Natur, Bd. 4. Berlin. FORSCHUNGSAUSSCHUSS LANDESPFLEGE DER AKADEMIE FÜR RAUMORDNUNG UND LANDESPLANUNG (1969): Begriffe aus dem Gebiet der Landespflege. Landschaft und Stadt 1 (2): 57-61. GRÖNING, G. (1982): Zur Bedeutung und Aufgabenstellung der Freiraumplanung. Landschaft und Stadt 14 (2): 56-63. GRÖNING, G.; HERLYN, U.; TESSIN, W. (1984): Zum sozialwissenschaftlichen Ansatz in der Landschaftsplanung. Zeitschrift der Universität Hannover 11 (2): 39-45. GRÖNING, G.; NOHL, W. (1972): Freiraumplanung. Versuch einer Orientierung. Stadtbauwelt 63 (34): 108-109. GRÖNING, G.; WOLSCHKE-BULMAHN, J. (1987): Die Liebe zur Landschaft, Teil III: Der Drang nach Osten. München. VON HAAREN, C.; HORLITZ, T. (1993): Naturraumpotentiale für die Landschaftsplanung. Bilanz und Perspektiven. Beiträge zur Räumlichen Planung, Nr. 33. Hannover. KÖRNER, S. (1991): Das Theoriedefizit der Landschaftsplanung: Eine Untersuchung am Beispiel der aktuellen Diskussion am FB 14, Landschaftsentwicklung, an der Technischen Universität Berlin. In: EISEL, U.; SCHULTZ, S. [Hrsg.]: Geschichte und Struktur der Landschaftspla- nung. Berlin. 425-473. KÖRNER, S. (2001): Theorie und Methodologie der Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur und Sozialwissenschaftlichen Freiraumplanung vom Nationalsozialismus bis zur Gegenwart. Berlin. KÖRNER, S.; EISEL, U. (2003): Naturschutz als kulturelle Aufgabe – theoretische Rekonstruk-tion und Anregungen für eine inhaltliche Erweiterung. In: KÖRNER, S.; NAGEL, A.; EISEL, U. [Hrsg.]: Naturschutzbegründungen. Bonn, Bad-Godesberg. MÄDING, E. (1951): Landespflege, Naturschutz und Landschaftspflege. 26 (1/2): 4-5. 46 MATTERN, H. (1950): Über die Wohnlandschaft. In: MATTERN, H. [Hrsg.]: Die Wohnlandschaft. Stuttgart. 7-24. MATTERN, H. (1964): Gras darf nicht mehr wachsen. Berlin, Frankfurt/M., Wien. MATTERN, H. (1971): Dem Abbau durch Aufbau begegnen. Neue Dorfstrukturen. Garten und Landschaft 81 (12): 445-456. MÜLLER, M. (1949): Zum Entwurf eines Gesetzes über die Flurbereinigung. Garten und Landschaft 59 (3/4): 17-23. NOHL, W. (1980): Freiraumarchitektur und Emanzipation. Theoretische Überlegungen und empiri- sche Studien zur Bedürftigkeit der Freiraumnutzer als Grundlage einer emanzipatorisch ori- entierten Freiraumarchitektur. Europäische Hochschulschriften, Bd. 57. Frankfurt/M., Bern, Cirencester/U.K. PFLUG, W. (1972): Kommt der ökologische Umweltschutz im Umweltprogramm der Bundesregie- rung zu kurz? Natur und Landschaft 47 (7): 186-189. POPPER, K. R. (1972): Naturgesetze und theoretische Systeme. In: ALBERT, H. [Hrsg.]: Theorie und Realität. Ausgewählte Aufsätze zur Wissenschaftslehre der Sozialwissenschaften. Tübin- gen. 43-58. ROSSOW, W. (1961): Die große Landzerstörung. Garten und Landschaft 71 (1): 2-5. RUNGE, K. 1990: Die Entwicklung der Landschaftsplanung in ihrer Konstitutionsphase 1935-1973. Berlin. RUNGE, K. (1998): Entwicklungstendenzen in der Landschaftsplanung. Vom frühen Naturschutz bis zur ökologisch nachhaltigen Flächennutzung. Berlin/Heidelberg. SCHOENICHEN, W: (1942): Naturschutz als völkische und internationale Kulturaufgabe. Eine Übersicht über die allgemeinen, die geologischen, botanischen, zoologischen und anthropolo- gischen Probleme des heimatlichen wie des Weltnaturschutzes. Jena. SCHWENKEL, H. (1926): Naturdenkmalpflege – Zu dem Aufsatz von Erich Griebel, Berlin. Natur- schutz 7 (1): 3-5. SCHWENKEL, H. (1937): Die praktischen Aufgaben der Landschaftspflege. Naturschutz 18 (7): 136-150. SCHWENKEL, H. (1938): Grundzüge der Landschaftspflege. Neudamm, Berlin. TESSIN, W. (1981): Anmerkungen zur ästhetisch-symbolischen Funktion städtischen Grüns. Das Gartenamt 30 (3): 165-169. 47 LANDSCHAFTSBILDANALYSE - LANDSCHAFTSBILDBEWERTUNG Entwicklungsgeschichte eines Planungsinstruments Michael Roth Im Rahmen des folgenden Beitrags sollen wichtige Meilensteine, die zum Verständnis der Entwicklung der landschaftsplanerischen Auseinandersetzung mit dem Landschaftsbild in Deutschland erforderlich sind, aufgeführt werden, ohne dabei jedes einzelne Analyse- und Bewertungsverfahren zu nennen und zu erläutern. Obwohl der Fokus auf dem deutsch- sprachigen Raum liegt, muss sowohl in der antiken, der mittelalterlichen als auch in der neuzeitlichen Phase der ästhetischen Auseinandersetzung mit dem Landschaftsbild auf Einflüsse aus anderen Ländern/Kontinenten eingegangen werden, um die aktuelle Situati- on in Deutschland einordnen und verstehen zu können. Begriffsdefinitionen Da die zentralen Begriffe Landschaft, Landschaftsbild, Analyse und Bewertung in der Li- teratur sowie der wissenschaftlichen und praktischen Auseinandersetzung mit dem The- menfeld keineswegs abschließend definiert sind und nicht einheitlich gebraucht werden, sollen sie zu Beginn für den weiteren Gebrauch in diesem Beitrag definiert und damit operationalisiert werden. Wo möglich wird dabei auf festgelegte, von Expertengremien erarbeitete und bestätigte Begriffsstandards zurückgegriffen. Zu beachten ist, dass diese Definitionen keinesfalls den Anspruch auf Allgemeingültigkeit losgelöst von dem hier behandelten Gegenstand beanspruchen, sondern lediglich eine gemeinsame Basis für die weiteren Ausführungen darstellen. Landschaft Die seit Jahrhunderten laufende Diskussion um den Begriff „Landschaft“ wird an dieser Stelle nicht aufgegriffen oder auch nur dargestellt (vgl. Hard 1970). Besonders wichtig erscheint es jedoch, den Unterschied zwischen Landschaft und Landschaftsbild kurz zu skizzieren (die Wichtigkeit dieser Unterscheidung wird z. B. von Nohl (2001, 43) betont), sowie auf die Geschichte des Begriffes Landschaft einzugehen. Das Wort „Landschaft“ lässt sich seit ca. 830 n. Chr. nachweisen (Jessel 1998, 14), wobei der ästhetische Inhalt erst seit dem 15. Jahrhundert belegt werden kann (Gruenter 1975, 192 f. zitiert nach Wöbse 2002, 14). Seit dieser Zeit erfuhr der Begriff „Landschaft“ einen mehrfachen semantischen Bedeutungswandel. Zu Beginn bezeichnete die althochdeutsche „Landscaf“ ähnlich wie die lateinischen Begriffe „provincia“, „territorium“ und „regio“ eine Raumeinheit. Im Hochmittelalter verstärkt sich die politisch-rechtliche Komponente des zunächst unpolitischen Begriffs. Landschaft wird als „jurisdiktionelle, administrative, fiskalische oder grundherrliche Raumgliederung“ verstanden (Piepmeier 1980b, 12, zitiert nach Scholz 1998, 10). Daran anschließend findet eine weitere Verengung der Bezeichnung 48 auf eine „personenkollektive Bedeutung des Begriffs Landschaft“ statt (Müller 1977, 8, zitiert nach Scholz 1998, 10). Im 15., vor allem aber im 16. und 17. Jahrhundert erhält Landschaft mit dem Aufkommen der europäischen Landschaftsmalerei eine neue Bedeu- tungsebene. Als Fachbegriff der Malerei bezeichnet Landschaft nun die bildliche Darstel- lung eines Naturausschnitts.1 Erst mit Beginn des 18. Jahrhunderts setzt sich der Begriff „Landschaft“ als „angeschauter, schöner Naturraum (Piepmeier 1980a, 10, zitiert nach Scholz 1998, 11) durch. Im Wesent- lichen ist diese Bedeutung bis heute existent. Allerdings muss das zitierte Sprachgebilde („angeschauter, schöner Naturraum“) in das heutige Begriffsgebilde von Naturschutz und Landschaftspflege eingepasst werden. Schwahn (1995, 26) sinngemäß folgend, wird daher statt „anschauen“ eher „ästhetisch wahrnehmen“ gedacht, so dass alle Sinneseindrücke Berücksichtigung finden. Die Worte „schön“ und „Natur“ dürfen, wie bereits in Fußnote 1 an- gerissen, auch nicht in ihrer heutigen engen Bedeutung verstanden werden: Es gibt sowohl hässliche Landschaften als auch unnatürliche Landschaften, oder um für einen Teil der letzteren einen positiven Begriff zu verwenden: Kulturlandschaften. Im Folgenden wird daher Landschaft als „sinnlich wahrgenommener Natur- und Kultur- raum“ verstanden, ohne soweit zu gehen wie Scholz (1998, 11), der „Landschaft als Pro- dukt der ästhetischen Erfahrung“ versteht. Das Produkt wird mit Landschaftsbild bezeich- net (siehe folgender Abschnitt und Abb. 1), die Landschaft bleibt das Objekt der Wahr- nehmung bzw. Erfahrung. Genau diese Komponenten (Raumausschnitt, Wahrnehmung durch den Menschen, natürliche und künstliche Entstehung) beinhaltet im Übrigen auch die Definition von Landschaft in der Europäischen Landschaftskonvention (Artikel 1 und Kommentar), so dass auf dieser Ebene eine Art Länder übergreifender Begriffskonsens festgestellt werden kann. “’Landscape’ means an area, as perceived by people, whose character is the result of the action and interaction of natural and/or human factors.“ (Council of Europe 2000a) “‘Landscape’ is defined as a zone or area as perceived by local people or visitors, whose visual features and character are the result of the action of natural and/or cultural (that is, human) factors. This definition reflects the idea that landscapes evolve through time, as a result of being acted upon by natural forces and human beings. It also underlines that a landscape forms a whole, whose natural and cultural components are taken together, not separately.”(Council of Europe 2000b) 1 Genau genommen müsste man – die heutige Bedeutung des Wortes Landschaft, wie sie im folgenden hergeleitet wird, zugrunde legend – hier schon „Landschaftsausschnitt“ schreiben, was einer rekursiven Definition gleich käme. Da diese Bedeutung zum Zeitpunkt des Aufkom- mens der Landschaftsmalerei allerdings noch unbekannt war, soll sie hier auch nicht benutzt werden. „Natur“ darf allerdings auch nicht im heutigen (ökologischen) Bedeutungsinhalt verstan- den werden, da die Landschaftsmalerei sehr wohl vom Menschen deutlich sichtbar veränderte Raumausschnitte zeigt. Dass heute das Produkt der Landschaftsmalerei (damals „Landschaft“ genannt) in der Allgemeinheit oft mit „Landschaftsbild“ bezeichnet wird (obwohl „Landschaftsge- mälde“ treffender wäre) erschwert die Diskussion mit Nicht-Fachleuten über das „Landschafts- bild“ (in der heutigen Bedeutung innerhalb von Naturschutz und Landschaftspflege) häufig. 49 Landschaftsbild „Landschaftsbilder sind nicht von Natur aus da, sondern entstehen erst in unseren Köpfen“ schreibt Wenzel (1991, 19) und weißt damit auf eine der wichtigsten Eigenschaften des Landschaftsbildes hin: die Abhängigkeit vom Menschen. Der überwiegende Teil der aktu- ellen landschaftsästhetischen Literatur benutzt auf dieser Prämisse beruhende Definitionen (vgl. z. B. Nohl 2001, 43 f.; Wöbse 2002, 170 f.). Abbildung 1 illustriert die Definition des Landschaftsbildes als Synthese objektiver und subjektiver Gegebenheiten. Bei der Eintei- lung der Landschaftsbilddefinitionen nach Nohl (1991, 60 f.) kann die dargestellte dem „psychologisch-phänomenologischen Ansatz“ zugeschrieben werden. Analyse Analyse und Bewertung stellen zwei Teile einer landschaftsplanerischen Untersuchung dar. Da es für beide Begriffe Definitionen gibt, über die sich bereits ein Expertenkonsens innerhalb von Naturschutz und Landschaftspflege herausgebildet hat, werden diese unver- ändert übernommen. „Als Analyse wird allgemein die systematische Untersuchung und Aufbereitung eines Gegenstandes oder Sachverhaltes hinsichtlich aller einzelnen Kom- ponenten oder Faktoren, die ihn bestimmen, bezeichnet. Bei naturschutzfachlichen Pla- nungen hat die Analyse bzw. Landschaftsanalyse der Bewertung gegenüber eine dienende Funktion: Im Rahmen der Analyse sind insbesondere diejenigen Informationen zu ermit- teln, die für eine Bewertung erforderlich, d. h. bewertungsrelevant sind (planungsbezogene Landschaftsanalyse).“ (Plachter et al. 2002, 364) Abb. 1: Der Zusammenhang zwischen Landschaft, Betrachter und Landschaftsbild bei Zugrunde- legung der psychologisch-phänomenologischen Definition des Landschaftsbildes (Nohl 2001: 44). Abb. 1 50 Bewertung „Bewertung ist die Beurteilung eines Sachverhaltes anhand von Wertmaßstäben. Die Wertmaßstäbe werden vorab durch rechtlich verankerte oder durch anerkannte fachliche Normen bzw. Standards festgelegt. Aus den normativen Maßstäben ergeben sich auch die relevanten Bewertungsinhalte, d. h. die Bewertungskriterien sowie die zu bewertenden Eigenschaften der zu bewertenden Objekte. Die Bewertung ist demnach ausschließlich anhand von Bewertungskriterien vorzunehmen, die sich unmittelbar aus dem normativen Maßstab ableiten lassen.“ (Plachter et al. 2002, 364) Als gesetzlich verankerter Wertmaßstab können für die Landschaftsbildbewertung vor al- lem § 1, Nr. 4 BNatSchG2 (Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege) sowie § 2, Abs. 1, Nr. 13 und 14 BNatSchG3 herangezogen werden. Im Folgenden wird sowohl auf die Analyse als auch auf die Bewertung des Landschaftsbil- des als Instrument der Landschaftsplanung (im weiteren Sinne) eingegangen. Historische Entwicklung der Landschaftsbildanalyse und -bewertung Vielfach wird die These vertreten, die ästhetische Auseinandersetzung mit Landschaft habe erstmalig mit der Besteigung des Mont Ventoux durch Francesco Petrarca am 26. April 13364 stattgefunden. Dennoch lassen sich im europäischen wie im außereuropäischen Raum bereits in der Antike Belege für „Landschaftsästhetik“ finden, obwohl es den Begriff der „Landschaft“ zu diesem Zeitpunkt – wie oben erläutert – noch nicht gab. 2 Natur und Landschaft sind auf Grund ihres eigenen Wertes und als Lebensgrundlagen des Menschen auch in Verantwortung für die künftigen Generationen im besiedelten und unbesie- delten Bereich so zu schützen, zu pflegen, zu entwickeln und, soweit erforderlich, wiederherzu- stellen, dass [...] 4. die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft auf Dauer gesichert sind. 3 Die Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege sind insbesondere nach Maßgabe folgender Grundsätze zu verwirklichen, soweit es im Einzelfall zur Verwirklichung erforderlich, möglich und unter Abwägung aller sich aus den Zielen nach § 1 ergebenden Anforderungen untereinander und gegen die sonstigen Anforderungen der Allgemeinheit an Natur und Land- schaft angemessen ist: [...] 13. Die Landschaft ist in ihrer Vielfalt, Eigenart und Schönheit auch wegen ihrer Bedeutung als Erlebnis- und Erholungsraum des Menschen zu sichern. Ihre charak- teristischen Strukturen und Elemente sind zu erhalten oder zu entwickeln. Beeinträchtigungen des Erlebnis- und Erholungswertes der Landschaft sind zu vermeiden. Zum Zweck der Erholung sind nach ihrer Beschaffenheit und Lage geeignete Flächen zu schützen und, wo notwendig, zu pflegen, zu gestalten und zugänglich zu erhalten oder zugänglich zu machen.Vor allem im sied- lungsnahen Bereich sind ausreichende Flächen für die Erholung bereitzustellen. Zur Erholung im Sinne des Satzes 4 gehören auch natur- und landschaftsverträgliche sportliche Betätigungen in der freien Natur. 14. Historische Kulturlandschaften und -landschaftsteile von besonderer Eigen- art, einschließlich solcher von besonderer Bedeutung für die Eigenart oder Schönheit geschütz- ter oder schützenswerter Kultur-, Bau- und Bodendenkmäler, sind zu erhalten. 4 Bisweilen wird auch der 26. April 1335 als Datum der Erstbesteigung genannt, es wird hier aber der weitaus häufiger angegebene Termin im Jahr 1336 verwendet. 51 Die ersten künstlerischen Darstellungen von Natur, die als Landschaftsma- lereien bezeichnet wer- den können, lassen sich in den Illustrationen zur griechischen Odyssee aus dem 1. Jahrhundert vor Christus finden (vgl. Abb. 2). Frühe Formen der Land- schaftsdarstellung gab es auch im antiken Rom. Neben der bildlichen Darstellung von Land- schaften finden sich auch in der Antike (von Hesiod über Homer zu Dante und Plinius) ver- bale Beschreibungen schöner „Landschaften“, die auch explizite „Land- schaftsbildbewertun- gen“ enthalten. Im außereuropäischen Raum ist vor allem die chinesische Land- schaftsmalerei (vgl. Abb. 3 und 4) hervorzuheben, die ab dem 3. Jahrhun- Abb. 2: (oben) Landschaftsdarstellung der griechischen Odyssee: „Odysseus/Ulysses and his followers are attacked by the Laestrygonians“ (ca. 40-50 v. Chr.) Quelle: http://www. utexas.edu/courses/mythmoore/imagefiles19/laestrygonians.html (Zugriff alle drei Abbil- dungen vom 4.1.2005). Abb. 3: (unten links) Chinesische Landschaftsmalerei: „Early Spring“ (11. Jh. n. Chr.) Quelle: http://www.texaschapbookpress.com/magellanslog4/kuohsi.htm Abb. 4: (unten rechts) Chinesische Landschaftsmalerei: „Mansions in the Mountains of Paradise“ (10. Jh. n. Chr.) Quelle: http://www.texaschapbookpress.com/magellanslog4/ tungyuan.htm 52 dert n. Chr. auch auf die Anlage und die Methode der Gartenschöpfungen in China einen bestimmenden Einfluss ausübte. Mit Beginn des Mittelalters (und der Christianisierung) wird Landschaft als Gegenstand der künstlerischen Behandlung zurückgedrängt. Im jenseitsorientierten Streben wurde der zweckfreie „Genuss“ der weltlichen Landschaft als Verfehlung angesehen (Scholz 1998, 16). Erst mit der Renaissance als dem Beginn des humanistischen Zeitalters beginnt, ein- geleitet und verbreitet durch Petrarcas Schilderung der Besteigung des Mont Ventoux, die offensive Auseinandersetzung mit der ästhetischen Erfahrung von Landschaft (wenngleich es sicherlich lange vor Petrarca die Betrachtung der Landschaft „um ihrer selbst willen“ (Scholz 1998, 16) gab. Eine Vielzahl von Dokumentationen der ästhetischen Erfahrung von Landschaft findet sich in der Landschaftsmalerei im 15., vor allem aber im 16. und 17. Jahrhundert. Während zu Beginn dieser Phase der Landschaftsmalerei noch die Einbeziehung von z. B. biblischen Motiven die Darstellung von Landschaft legitimieren musste (so z. B. bei dem „wunderba- ren Fischzug“ des Konrad Witz (1444) mit dem Genfer See und der Schweizer Landschaft im Hintergrund, vgl. Abb. 5), und Landschaft somit Hintergrund war, rückt sie als eigent- liches Bildmotiv immer mehr in den Vordergrund, wie sich z. B. an einigen Bildbeispielen Caspar David Friedrichs zeigt, auf denen „nur“ Landschaft zu sehen ist (vgl. Abb. 6 und 7). Ein Meilenstein der ästhetischen Auseinandersetzung mit Landschaft lässt sich im 18. Jahr- hundert mit Sir Humphrey Repton (und seinen über 50 „red books“) feststellen. Explizite und systematische Ansätze von Landschaftsbildbeschreibung (verbal), -analyse (getrennt nach Landschaftskomponenten wie Relief, Wasser, Vegetation), -darstellung (bildhaft), Be- wertung (verbal) und Planung (ebenfalls dargestellt in simulativen Vorher-Nachher-Bil- dern) bilden die Voraussetzung für eine anschließende Umsetzung der „Verbesserungen“ bestimmter Landschaftsausschnitte und stellen das Landschaftsbild damit in einen plane- rischen Zusammenhang. Wenngleich dies überwiegend in einem gartenkünstlerischen Zu- sammenhang bei der Gestaltung von Parks geschah, so finden sich dennoch auch bei Rep- ton Beispiele der Gestaltung größerer Landschaftsausschnitte, die wir aus heutiger Sicht als landschaftsplanerische Maßnahmen beschreiben würden (vgl. Abb. 8 und 9). Ausgehend von Repton zeigt Litton (1979) eine Zeitreihe englischsprachiger Landschafts- beschreibungen aus verschiedenen Disziplinen bis Mitte des 20. Jahrhunderts auf. All die- sen Beschreibungen ist gemeinsam, dass sie sich in einen – aus heutiger Sicht – „land- schaftsplanerischen“ Zusammenhang einordnen lassen, wobei sie sich überwiegend der Landschaftsbildanalyse (und weniger der Landschaftsbildbewertung) widmen. Beeinflusst von dieser langen Tradition der „Landschaftsästhetik“ ist in Deutschland als Meilenstein die Landesverschönerung ab dem 19. Jahrhundert zu nennen, die eine „stark ästhetische Ausrichtung“ (Nohl 2001; vgl. auch Däumel 1969) besaß. Schafranski (1996, 6) zitiert Kiemstedt (1970) und stellt fest, dass „es sich bei der Landesverschönerungsbe- wegung um einen ersten umfassenden Ansatz einer räumlichen Planung gehandelt hat, allerdings mit einer so starken ästhetischen Ausrichtung, wie sie heute sowohl in der Land- schaftsplanung als auch in den anderen räumlichen Planungen nicht annähernd ausgebildet ist.“ Die Wurzeln des deutschen Naturschutzes (und wahrscheinlich auch vieler weiterer) liegen ebenfalls in der Landschaftsästhetik. Die Unterschutzstellung des Drachenfels im Sieben- 53 Abb. 5: „Der wunderbare Fischzug“ (Johannes 21, 3-11 bzw. Lukas 5, 1-10) wurde von Konrad Witz (1444) an den Genfer See versetzt (Musée d’Art et d’Histoire, Genf) Quelle: http://www. restena.lu/lhce/EdArt/Sabattini/3CompositionsCopiees1/Original_Christus.jpg Abb. 6: (unten links) Caspar David Friedrich: „Einsamer Baum“ (1822, Öl auf Leinwand, 55 x 71 cm, Berlin, Alte Nationalgalerie) Quelle: http://www.martinschlu.de/kulturgeschichte/neunzehn- tes/fruehromantik/cdf/baum.htm Abb. 7: (unten rechts) Caspar David Friedrich: „Der Watzmann“ (um 1824-1825, Öl auf Lein- wand, 133 × 170 cm, Berlin, Alte Nationalgalerie) Quelle: http://www.onlinekunst.de/septem- ber/05_09_CDFriedrich.htm (Zugriff alle drei Abb.: 04.01.2005) 54 gebirge am Rhein 19225 als erstes amtlich festgesetztes Schutzgebiet Deutschlands wurde in erster Linie aus Gründen des Landschaftsbildschutzes, und weniger aus Arten- und Bio- topschutzgründen, vollzogen (Fischer-Hüftle 1997, 239; Jessel 1994, 77). Auch in der Gesetzgebung lassen sich Belege für einen „Landschaftsbildschutz“, welche eine Landschaftsbildbewertung voraussetzen, zu Beginn des 20. Jahrhunderts finden: Be- reits im Jahre 1902 wurde ein preußisches Landschafts(bild)schutzgesetz („Gesetz gegen Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden“)6 erlassen. Es beschränkte sich jedoch noch darauf, die Aufstellung von Reklametafeln in der freien Landschaft zu ver- bieten. Abb. 8: (oben links und rechts) Humphrey Repton: „View from the proposed site of the house, with and without overlay“, form the Red Book for Northrepps (c.1792). Private collection. Quelle: Daniels 1999, 86 Abb. 9 : (unten links und rechts) Humphrey Repton: „View from the house, in its present ‘character’ and altered according to ‘Despotic Fashion’“, form the Red Book for Bab- worth (1792). Private collection. Quelle: Daniels 1999, 13 5 PolizeiVO betreffend das Naturschutzgebiet Siebengebirge vom 20.01.1922 sowie die Poli- zeiVO betreffend das Natur- und Heimatschutzgebiet im Naturschutzgebiet Siebengebirge vom Dezember 1922 (GASSNER 1989, 62); „Drachenfels im Siebengebirge 1922 zum Naturschutz- gebiet erklärt“ (JESSEL 1994, 77). 6 Preußisches Gesetz gegen die Verunstaltung landschaftlich hervorragender Gegenden vom 2. Juni 1902, vgl. auch Preußisches Gesetz gegen die Verunstaltung von Ortschaften und land- 55 In den 20er-Jahren des 20. Jahrhunderts erschienen im deutschsprachigen Raum erstma- lig Bücher zum Thema Landschaftsästhetik, die das Sujet nicht unter dem Hauptgesichts- punkt der Landschaftsmalerei sehen. Allen voran zu nennen ist hier Thoene (1924). Dieser setzt sich systematisch mit der „Ästhetik der Landschaft“ auseinander und wirkt durch die Einbeziehung von „Synästhesien“ (mehrere Sinne betreffende Mitempfindungen) und der Berücksichtigung der perzeptiven und symbolischen Sinnschicht (und damit der Objekt- Subjekt-Beziehungen des Landschaftsbildes) aus heutiger Sicht recht modern. „Moderne“ Landschaftsbildanalyse und -bewertung seit Kiemstedt 1967 Eine systematische und methodisch sowie theoretisch untersetzte Landschaftsbildbe- wertung in Naturschutz und Landschaftspflege in Deutschland beginnt jedoch erst Ende der 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts. Zum einen wurde das Landschaftsbild (nachdem im Raumordnungsgesetz von 1965 gefordert wurde, dass für die Sicherung und Gestaltung von Erholungsgebieten Sorge zu tragen ist) als ein Faktor für die landschaftsbezogene Erho- lung in eine Landschafts-Eignungsbewertung eingestellt (vor allem durch Kiemstedt 1967, vgl. aber auch Zwanzig 1968; Scamoni, Hoffmann 1969; Farcher 1971; Hanstein 1972; Klapper 1972; Ruppert 1972; Schöneich 1972; Wöbse 1972; Fingerhuth et al. 1973; Jacob 1973; Harfst 1975; Marks 1975, u.v.a.m.). Die Rahmenbedingung für die Entstehung der „ersten modernen Landschaftsbildanalyse und -bewertung“ zeigt Körner in seinem Beitrag in diesem Band auf. Aus diesem Grund soll darauf hier nicht näher eingegangen werden. Welche Probleme das nutzwertanalytische Verfahren des V-Wertes in der Planungspraxis vor allem bei unkritischer Orientierung an bloßen Zahlenwerten nach sich zog, wird aber durch die folgenden Zitate aus Landschaftsplänen der 70er-Jahre aufgezeigt: „Der V-Wert des Planungsgebietes beträgt 5.0.“ „Der Randeffekt könnte allerdings durch Nutzungsänderung noch gesteigert werden [...] Ferner könnte der Randeffekt gesteigert werden durch die Schaffung von größeren Wasserflächen; ein Gewässerrand von ca. 10 km Länge würde den V-Wert des gesamten Planungsgebietes von 5.0 auf 5.5 anheben.“ „Unter der Voraussetzung, daß die vorgenannten Anregungen realisiert werden, wäre es möglich, einen V-Wert von etwa 6.0 zu erreichen. Damit würde sich das Planungsgebiet [...] ein- wandfrei als Naherholungs- und Fremdenverkehrsgebiet qualifizieren“ (Landschaftsplan der Verbandsgemeinde Glan-Münchweiler 1973). „7.000 lfdm Waldrandzonen [...] kann die Gemeinde Klingenmünster dem Erholungssu- chenden anbieten.“ „Bei einer Kapazität von 116 Betten ist die erreichte Zahl von 29.883 Übernachtungen sehr beachtlich, könnte jedoch bei einem hohen V-Wert [...] auf ein Vielfaches gesteigert werden.“ „Im südlichen Teil der Gemarkung [...] sind Sonderbauflächen für 2-3 Hotels mit mindes- tens 300 Betten [...] vorgesehen.“ „Westlich anschließend dehnt sich ein Ferienbungalow-Dorf [...] mit ca. 150 Betten [...] aus.“ „Ein vorgesehenes Sonderbaugebiet für Fremdenverkehrseinrichtungen in der Klingbach- aue soll die Bettenzahl abrunden“ (Landschaftsplan der Verbandsgemeinde Klingenmüns- ter 1973). 56 Aus heutiger Sicht sind insbesondere folgende Kritikpunkte an einem derartigen Vorgehen in der kommunalen Landschaftsplanung angebracht: - Die pauschal einheitliche Bewertung des gesamten Plangebietes verhindert die räumlich differenzierte Ableitung von Zielen und Maßnahmen. - Dem Erholungssuchenden werden Mengen an Parametern und nicht landschafts- ästhetische Qualtitäten angeboten, ebenso werden ausschließlich die Parameter erhöht, nicht aber die landschaftsästhetische Qualität gesteigert, was vor allem eine räumlich differenzierte Betrachtung und eine Berücksichtigung von Lage- und Nachbarschaftsbeziehungen erfordern würde. - Es wird lediglich die Angebotsseite der Erholungsnutzung betrachtet: So wird der V-Wert angehoben und Erholungsinfrastruktur errichtet (oder zumindest de- ren Errichtung vorgeschlagen), ohne die Nachfrageseite auch nur zu erwähnen. - Die Wechselwirkungen von bestehender und neu zu errichtender touristischer In- frastruktur (Hotels, Bungalow-Siedlungen, Sondergebiete) auf die landschaftli- chen Voraussetzungen der Erholung (landschaftsästhetische Qualitäten) werden nicht thematisiert, da diese nicht als Parameter in das V-Wert-Verfahren einge- hen. Es ist nicht verwunderlich, dass die Reduzierung von Landschaftsästhetik auf Zahlenwerte auch eine Gegenbewegung hervorbrachte, die z. B. in dem Artikel „Für einen qualitativen Ansatz in der Landschaftsästhetik“ von Reinhard Falter (1992) – jedoch mit Bezug auf ein anderes als das Kiemstedt’sche Verfahren – zum Ausdruck kommt. Neben der Landschaftsbildbewertung als Instrument der Erholungsplanung beginnt, vor allem durch Forschungen im anglo-amerikanischen Sprachraum initiiert, eine umweltpsy- chologische Landschaftsbildforschung auch in Deutschland Fuß zu fassen. Als wichtigster deutscher Vertreter ist vor allem Nohl zu nennen (Nohl 1973, 1974, u.v.a.m.). Dabei rückt der Mensch als wahrnehmendes Subjekt immer stärker in den Mittelpunkt der Betrach- tung. Ab Ende der 70er-Jahre kommt vor allem die Flurbereinigung als Aufgabenfeld für land- schaftsästhetische Bewertungen auf. Zahlreiche Veröffentlichungen (Oberholzer 1977; 1982; Bauer et al. 1979; Deixler 1980; Kuhn 1980; Werbeck, Wöbse 1980; Wöbse 1984; Asseburg et al. 1985; Grabski 1985; Hoisl et al. 1987, 1989, 1991; Amann, Taxis 1987; Harfst et al. 1987; Zöllner 1989 u.a.) belegen den Wunsch, bei der Flurbereinigung land- schaftsästhetische Belange zu operationalisieren. Neben einer Vielzahl von inhaltlich sehr spezifischen und regional ausgerichteten Studien wird ab Beginn der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts zunehmend mit bundesweitem Blick (Westdeutschland) auf das Landschaftsbild geschaut (vor allem Adam 1982; Krause, Adam 1983; Adam 1985b). Daneben wird ab Mitte der 80er-Jahre (und bis heute) das Land- schaftsbild in der (1976 eingeführten) Eingriffsregelung verstärkt behandelt (z. B. Krause 1985; Adam 1985a; Adam et al. 1986; Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Land- schaftsökologie 1991; Langer et al. 1991; Fischer-Hüftle 1993; Nohl 1993b; Krause, Klöp- pel 1996; Hennemann 2001; Jessel 2001; Jessel, Fischer-Hüftle 2003; Jessel et al. 2003). Nach den teilweise stark numerisch bzw. mathematisch ausgerichteten Verfahren der 60er- und 70er-Jahre häufen sich ab den 90er-Jahren so genannte leitbildorientierte Indikato- renmodelle (z. B. Leitl 1997). Dies kann einerseits als „Gegenströmung“ zu den für den 57 Planungspraktiker oft wenig nachvollziehbaren quantifizierenden Verfahren verstanden werden, andererseits wird durch die offensive Offenlegung von Indikatoren, Bewertungs- rahmen und Wertmaßstäben eine Vergleichbarkeit, Nachvollziehbarkeit und Strukturiert- heit erreicht, an denen es rein planerisch-argumentativen Verfahren oft fehlt. Als „Höhepunkt“ der Auseinandersetzung mit dem Schutzgut Landschaftsbild im Rah- men der Landschaftsplanung in Deutschland kann das Erscheinen von zwei umfangreichen Lehrbüchern (Nohl 2001; Wöbse 2002) zum Thema interpretiert werden. Derzeit lassen sich mehrere aktuelle Strömungen in der Landschaftsbildanalyse und -bewertung feststel- len: 1. Qualitative hochwertige Visualisierungen, die bis zu fotorealistische Ergebnis- se in Echtzeit liefern sollen, ermöglichen die landschaftsästhetische Beurteilung geplanter Vorhaben. Hier ist vor allem das Lenné3D-Projekt (http://www.lenne3d.de, vgl. auch den Beitrag von Paar in diesem Band) zu nennen. Mit Visualisierung als Basis für die Eingriffsbewertung setzen sich auch Jessel et al. (2003) auseinan- der. 2. Durch eine breite Partizipation, teilweise auch unter Einsatz neuer Medien (In- ternet), wird versucht, dem Landschaftsbild durch demokratische Legitimierung von der Basis zu stärkerer Bedeutung zu verhelfen, bzw. den Vorwurf des subjek- tiven Planerurteils bzw. der spekulativen Bewertungsergebnisse zu entkräften. Die empirische Herangehensweise ist oft mit statistischen Auswertungen gekop- pelt (vgl. Roth 2005, im Druck). 3. Geographische Informationssysteme (teilweise gekoppelt mit den beiden oben genannten Instrumenten) ermöglichen Analysen, die mit der bisherigen, ana- logen Herangehensweise nicht durchführbar waren. Dazu zählen z. B. Sicht- raumanalysen (vgl. z. B. Roth 2002), komplexe Bewertungsalgorithmen (z. B. Augenstein 2002; Gerhards 2003) und hoch auflösende großflächig anwendbare Modellierungen (z. B. Gruehn et al. 2003). Aktueller Stand der Landschaftsbildanalyse und -bewertung aus wissenschaft- licher Sicht Nachdem die Entwicklung der Landschaftsbildanalyse und -bewertung in Deutschland bis zur Gegenwart aufgezeigt wurde, soll der Status Quo nun noch einer Bewertung aus fach- wissenschaftlicher Sicht unterzogen werden. Dabei sind eine Reihe von Defiziten festzu- stellen: - Es herrscht eine unüberschaubare Methodenvielfalt. Für den deutsch- und eng- lischsprachigen Raum finden sich über 170 Methoden zur Analyse und Bewer- tung des Landschaftsbildes. Darunter sind höchst spezielle Methoden, die sich z. B. ausschließlich für die landschaftsästhetische Bewertung der Restwasser- menge in einem Fließgewässer unterhalb eines Anstaus oder ausschließlich für die landschaftsästhetische Bewertung des Forststraßenbaus im Hochgebirge eig- nen. Für den überwiegenden Teil dieser Methoden fehlen jedoch bisher Unter- suchungen zur wissenschaftlichen Absicherung, d. h. über die Signifikanz, Ob- jektivität, Reliabilität und Validität der Methoden und ihrer Ergebnisse besteht Unkenntnis (vgl. Gruehn, Kenneweg 2000a). 58 - Die bisher genannten Defizite werden auch innerhalb der Profession wahrge- nommen, bisweilen sogar in Landschaftsplänen zum Ausdruck gebracht.7 Aller- dings wird als Reaktion darauf oft eine eigene Methode „gestrickt“, die a) die Methodenvielfalt weiter vergrößert und b) auch nicht hinsichtlich der Einhaltung wissenschaftlicher Gütekriterien überprüft wird. Bisweilen wird auch einfach vor der methodischen Behandlung des Schutzgutes Landschaftsbild kapituliert.8 - Bei der Anwendung von in der Planungspraxis verbreiteten Methoden (z. B. der Eingriffbewertung für mastenartige Eingriffe nach Nohl (1993) kommt es immer wieder zu Anwendungsfehlern. So konnte z. B. eine Reihe von landschaftspfle- gerischen Begleitplänen eingesehen werden, bei denen die Ermittlung der vom Vorhaben betroffenen Bereiche (Sichtbereiche des Vorhabens) methodisch unzu- reichend durchgeführt wurde. - Hochkomplizierte Verfahren, die z. T. die Erfassung des Landschaftsbildes über ein ganzes Jahr erfordern, stehen limitierten Zeit- und Finanzressourcen in der Planungspraxis gegenüber. Nach Bielefeld (in Gruehn und Kenneweg 2000b, 58) steht z. B. für die Erfassung und Bewertung des Landschaftsbildes im Rahmen einer Landschaftsplanung mit 10.000 ha Größe eine Arbeitszeit von 1½ bis 2 Wochen für eine Person zur Verfügung, wenn nach HOAI bezahlt wird und kos- tendeckend gewirtschaftet werden soll. 7 „Für die Bewertung des Landschaftsbildes gibt es keine verbindliche bzw. allgemeine anerkannte Untersuchungsmethodik. [...] Die Wertung dieser Elemente ist aber auch bei weit- gehender Operationalisierung nicht immer objektiv begründbar. Die in Kapl. 3.5 erläuterten Schwierigkeiten der objektiven Erfasung des Landschaftsbildes gelten auch für die Bewertung. Insbesondere Vorinformationen können die Beurteilung des Landschaftsbildes stark beeinflus- sen. Eine gewisse Subjektivität ist bei der Bewertung von Landschaftsbildern unvermeidbar“ (Landschaftsplan Stadt Jever 1998, 193). „Die Landschaftsbilderfassung und -bewertung bildet etwa seit Mitte der 1970er Jahre ein Forschungs- und Arbeitsfeld der Landschaftsplanung. Trotzdem wird das Landschaftsbild in Landschaftsplänen eher vernachlässigt, da es eine Reihe von Schwierigkeiten bei der Objekti- vierung gibt: - Es gibt bislang keine fachliche Einigung zu bewährten Methoden der Erfassung und Bewertung. - Die vorgeschlagenen Verfahren sind i. d. R. sehr aufwendig, da zahlreiche Einzelele- mente (Gewässer, Waldränder, Heckenstrukturen, Siedlungskanten ...) zu erfassen sind. - Die Verfahren sind ortsunabhängig und auf eine (relativ schematische) Anwendung durch Orts fremde zugeschnitten. - Die Bewertung der Schönheit einer Landschaft ist umstritten. - Das Landschaftsbild der Stadt wird häufig ausgeklammert“ (Landschaftsplan der Stadt Leipzig 2001). 8 „Nach dem unbefriedigenden Ergebnis der Sichtung von Bewertungsverfahren wurde der Versuch unternommen, selbst ein speziell auf das Planungsgebiet anwendbares Bewertungs- schema zu erstellen. Dazu wurde ein Katalog von Kriterien, deren Gewichtung mit Hilfe einer sogenannten Expertenbefragung erfolgte, aufgestellt, für die auch das notwendige Datenmaterial zur Verfügung stand. [...] Nach Behebung der methodischen Mängel wurde ein Katalog mit weni- gen zusammengefaßten Kriterien erarbeitet und eine zufriedenstellende Gewichtung vorgenom- 59 - Das Landschaftsbild hat in der aktuellen Hochschulausbildung eine schwache Stellung (vgl. dazu auch Nohl 1991, 59). Zu bodenkundlichen, hydrologischen, klimatologischen und ökologischen Fragestellungen werden spezielle Vorlesun- gen und Übungen angeboten. Die landschaftsästhetischen Belange werden dem- gegenüber mit wesentlich geringerer Intensität behandelt. - Bei Umweltplanungen ist für das Landschaftsbild ein so genannter Mitläufer- effekt festzustellen: Insbesondere für die Eingriffsregelung wird dieser Mitläu- fereffekt auch von Jessel und Fischer-Hüftle (2003, 373) festgestellt. Die Äuße- rung „Eine Vielzahl Maßnahmen für den Arten- und Biotopschutz, den Boden-, Wasser- oder Klimaschutz und für den Biotopverbund in der freien Landschaft übernehmen gleichzeitig landschaftsbildgliedernde und -aufwertende Funktio- nen.“ (Landschaftsplan der Verwaltungsgemeinschaft Götschetal-Petersberg, S. 107) ist symptomatisch und wird oft als Ersatz für eine eigenständige Planung land- schaftsästhetischer Maßnahmen getroffen. Diese Kongruenz von Maßnahmen- wirkung kann zwar der Fall sein, es ist aber auch möglich, dass z. B. eine Hecke aus landschaftsästhetischer Sicht ganz anders lokalisiert, aufgebaut, ausgerichtet und gepflegt werden sollte wie z. B. aus Gründen des Biotopverbundes, des Ge- wässerschutzes, des Lärmschutzes oder des Erosionsschutzes. Mögliche Ziel- konflikte zwischen den schutzgutbezogenen Zielen werden nicht thematisiert, eine Abwägung dieser Ziele unter- und gegeneinander findet in der Regel nicht statt. Insgesamt lässt sich also für die Landschaftsplanung (im weiteren Sinne) feststellen, dass das Landschaftsbild vielfach den Status eines Schutzguts 2. Ordnung hat und nicht gleich- berechtigt mit den übrigen Schutzgütern behandelt wird (vgl. dazu auch Hehl, Lange 1992; Köhler, Preiss 2000; Breuer 2001; Nohl 2001; Jessel, Fischer-Hüftle 2003). Dennoch gibt es in jüngerer Zeit auch positive Beispiele der landschaftsplanerischen Aus- einandersetzung mit dem Schutzgut Landschaftsbild, die von einer bewussten Wertschät- zung landschaftsästhetischer Qualitäten zeugen. Dies ist zum einen die flächendeckende Analyse, Bewertung und Planung des Landschaftsbildes auf der Ebene der Landschafts- rahmenplanung in Rheinland-Pfalz nach der von Konermann (2001) beschriebenen Me- thode. Neben der räumlich wie inhaltlich sehr detaillierten Bearbeitung ist vor allem die hohe Vergleichbarkeit der nach der landesweit einheitlichen Methode erstellten Analyse und Bewertung und der daraus abgeleiteten Maßnahmen vorteilhaft. Eine vergleichba- re Situation wie in Rheinland-Pfalz, wenngleich auch (noch) nicht mit Flächendeckung, kann für die Landschaftsrahmenplanung in Niedersachsen festgestellt werden, wo mehrere räumlich wie inhaltlich umfangreiche Landschaftsbildgutachten nach der Methode Köhler und Preiss (2000) erarbeitet wurden. Zusammenfassung und Ausblick Die Landschaftsbildanalyse und -bewertung kann auf eine Jahrhunderte alte Geschichte zurückblicken. Nach einer zu Beginn überwiegend deskriptiven Analyse steht den Land- schaftsplanern seit Mitte des 20. Jahrhunderts ein ständig wachsendes Instrumentarium an formalisierten Methoden zur Verfügung. Diese Methodenvielfalt wird allerdings in der Planungspraxis kaum angewendet, da unzureichende Kenntnisse über die Erfüllung wis- senschaftlicher Gütekriterien (Objektivität, Reliabilität, Validität) und praktischer Hürden 60 (zu großer Aufwand, fehlende GIS-Kompatibilität, mangelnde Übertragbarkeit auf andere Regionen und Maßstäbe,...) bestehen. Um den landschaftsästhetischen Belangen in Zukunft mehr Gewicht zu verleihen, bedarf es daher kurz- bis mittelfristig einer Überprüfung, Weiterentwicklung und damit Qualifi- zierung von Landschaftsbildanalyse und -bewertungsmethoden, sowie mittel- bis langfris- tig einer Stärkung landschaftsästhetischer Belange in der Ausbildung von Landschaftspla- nern. Moderne Informationstechnik lässt Analysen, die noch vor Jahren einen hohen manuellen und damit auch Zeitaufwand bedeuteten (z. B. Sichtbarkeitsanalysen) nahezu vollautoma- tisch ablaufen. Die dadurch frei werdende Arbeitszeit kann und sollte in die Qualifizierung der inhaltlichen Bearbeitung landschaftsästhetischer Belange investiert werden. Literatur ADAM, K. (1982): Prägende Merkmale, potentielle Gefährdung und Schutzbedarf von Landschafts- bildern der BRD. Philipps-Universität Marburg/Lahn, Fachbereich Geographie: Dissertation. 249 S. ADAM, K. (1985a): Leitungstrassenbau – Eingriff in die Landschaft. Folgen und Belastungen für den Naturraum sowie Kriterien für die Sicherung der ökologischen und visuellen landschaft- lichen Ressourcen. In: BUNDESAMT FÜR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG [Hrsg.]: Informationen zur Raumentwicklung (7/8): 665-674. ADAM, K. (1985b): Eigenart und regionale Verteilung von Landschaftsbildern in der Bundesrepu- blik Deutschland als Planungsgrundlage. In: INSTITUT FÜR STÄDTEBAU BERLIN DER DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR STÄDTEBAU UND LANDESPLANUNG [Hrsg.]: Ein- griffe in Natur und Landschaft durch Fachplanungen und private Vorhaben. Dokumentation zum 183. Kurs des Instituts für Städtebau Berlin gemeinsam mit der Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie, Bonn vom 28. bis 30. Mai 1984 in Grünberg/Hes- sen. Veröffentlichungen des Instituts für Städtebau Berlin der Deutschen Akademie für Städte- bau und Landschaftsplanung, Bd. 37. Berlin. 153-162. ADAM, K.; NOHL, W.; VALENTIN, W. (1986): Bewertungsgrundlagen für Kompensationsmaß- nahmen bei Eingriffen in die Landschaft. MINISTERIUM FÜR UMWELT, RAUMORD- NUNG UND LANDWIRTSCHAFT DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN [Hrsg.]: Naturschutz und Landschaftspflege in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf. 399 S. AMANN, E.; TAXIS, H. D. (1987): Die Bewertung von Landschaftselementen im Rahmen der Flur- bereinigungsplanung in Baden-Württemberg. Natur und Landschaft 62 (6): 231-235. ASSEBURG, M.; HÜHN, W. ;WÖBSE, H. H. (1985): Landschaftsbild und Flurbereinigung. Die Veränderung des Erlebniswertes ausgewählter Landschaftsräume Niedersachsens durch land- wirtschaftliche Maßnahmen und Vorschläge für seine Steigerung im Rahmen von Flurberei- nigungsmaßnahmen. UNIVERSITÄT HANNOVER, FACHBEREICH LANDESPFLEGE [Hrsg.]: Beiträge zur räumlichen Planung, Bd. 12. Hannover. 217 S. AUGENSTEIN, I. (2002): Ästhetik der Landschaft. Ein Bewertungsverfahren für die planerische Umweltvorsorge. Berliner Beiträge zur Ökologie, Bd. 3. Berlin: Weißensee Verlag. 170 S. 61 BAUER, F.; FRANKE, J.; GÄTSCHENBERGER, K. (1979): Flurbereinigung und Erholungsland- schaft. Empirische Studie zur Wirkung der Flurbereinigung auf den Erholungswert einer Land- schaft. BUNDESMINISTER FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN [Hrsg.]: Schriftenreihe B: Flurbereinigung (68). Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 123 S. BREUER, W (2001): Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen für Beeinträchtigungen des Landschafts- bildes. Vorschläge für Maßnahmen bei Errichtung von Windkraftanlagen. Naturschutz und Landschaftsplanung 33 (8): 237-245. BUNDESFORSCHUNGSANSTALT FÜR NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSÖKOLOGIE [Hrsg.] (1991): Landschaftsbild – Eingriff – Ausgleich. Handhabung der naturschutzrechtli- chen Eingriffsregelung für den Bereich Landschaftsbild. Dokumentation einer Arbeitstagung vom 12. bis 14. September 1990 in Bonn. Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 244 S. COUNCIL OF EUROPE [Hrsg.] (2000a): Official Text of the European Landscape Convention. , Zugriff am 11.02.2005, 12:30 Uhr. COUNCIL OF EUROPE [Hrsg.] (2000b): Explanatory Report of the European Landscape Con- vention. , Zugriff am 11.02.2005, 12:30 Uhr. DANIELS, S. (1999): Humphry Repton. Landscape Gardening and the Geography of Georgian Eng- land. New Haven and London: Yale University Press. 317 S. DÄUMEL, G. (1969): Das Ästhetische in der Landespflege. Landschaft + Stadt 1 (3): 129-133. DEIXLER, W. (1980): Landschaftsgestaltung durch die Flurbereinigung. Natur und Recht 2 (2): 60- 65. FALTER, R. (1992): Für einen qualitativen Ansatz in der Landschaftsästhetik. Natur und Landschaft 67 (3): 99-104. FARCHER, D. (1971): Landschaftsbewertung in Tieflagen und im Hochgebirge. Das Gartenamt 20 (6): 260-271. FINGERHUTH, C.; HESSE, S.; KNOPS, H.-G.; SCHWARZE, M. (1973): Arbeitsmethode zur Be- wertung der Erholungseignung eines landschaftlichen Angebots – für verschiedene Typen von Erholungssuchenden. Landschaft + Stadt 5 (4): 161-171. FISCHER-HÜFTLE, P. (1993): Rechtliche Aspekte bei Eingriffen in das Landschaftsbild. In: NORD- DEUTSCHE NATURSCHUTZAKADEMIE [Hrsg.]: Landschaftsästhetik – eine Aufgabe für den Naturschutz? NNA-Berichte 1/1993. Schneverdingen. 25-29. FISCHER-HÜFTLE, P. (1997): Vielfalt, Eigenart und Schönheit der Landschaft aus der Sicht eines Juristen. Natur und Landschaft 72 (5): 239-244. GASSNER, E. (1989): Zum Recht des Landschaftsbildes. Natur und Recht 11 (2): 61-66. GERHARDS, I. (2003): Die Bedeutung der landschaftlichen Eigenart für die Landschaftsbildbe- wertung. UNIVERSITÄT FREIBURG, INSTITUT FÜR LANDESPFLEGE [Hrsg.]: Culterra, Bd. 33. Freiburg im Breisgau. 224 S. GESETZ ÜBER NATURSCHUTZ UND LANDESPFLEGE (Bundesnaturschutzgesezt –BNatSchG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. März 2002 (BGBl. I 2002, 1193) zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21.12.2004 (BGBl. I 2005, 186). GRABSKI, U. (1985): Landschaft und Flurbereinigung. Kriterien für die Neuordnung des ländlichen Raumes aus Sicht der Landschaftspflege. BUNDESMINISTER FÜR ERNÄHRUNG, LAND- WIRTSCHAFT UND FORSTEN [Hrsg.]: Schriftenreihe B: Flurbereinigung (76). Münster- Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 335 S. GRUEHN, D.; KENNEWEG, H. (2000a): Anforderungen und Perspektiven zur Weiterentwicklung der örtlichen Landschaftsplanung unter besonderer Berücksichtigung ihres Verhältnisses zur Agrarfachplanung. 2. Zwischenbericht über das F&E-Vorhaben 898 82 021 im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz. Berlin. 134 S. 62 GRUEHN, D.; KENNEWEG, H. (2000b): Stand der Anwendung von Landschaftsanalyse- und Bewertungsmethoden in der Praxis der örtlichen Landschaftsplanung. Ergebnisbericht zur gleichnamigen Fachveranstaltung im Rahmen des F&E-Vorhabens 898 82 021 im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz. BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ [Hrsg.]: BfN-Skripten, (19). Bonn-Bad Godesberg. 144 S. GRUEHN, D.; ROTH, M.; KENNEWEG, H. (2003): F&E-Studie „Entwicklung eines Ansatzes zur Einschätzung der Bedeutung von Landschaftselementen für das Landschaftserleben als Grundlage für die Beurteilung des Landschaftsbildes“. Abschlussbericht i. A. des Sächsischen Landesamtes für Umwelt und Geologie. Berlin. 142 S. GRUENTER, R. (1975): Landschaft. Bemerkungen zur Wort- und Bedeutungsgeschichte. In: RIT- TER, A. [Hrsg.]: Landschaft und Raum in der Erzählkunst. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 92-207. HANSTEIN, U. (1972): Die Eignung von Waldrändern für die Erholung. In: AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG [Hrsg.]: Zur Landschaftsbewertung für die Erholung Veröffentlichungen der Akademie für Raumforschung und Landesplanung, Bd. 76. Hannover. 71-76. HARD, G. (1970): Die „Landschaft“ der Sprache und die „Landschaft“ der Geographen: semanti- sche und forschungslogische Studien zu einigen zentralen Denkfiguren in der deutschen geo- graphischen Literatur. Colloquium geographicum, Bd. 11. Bonn: Dümmler Verlag. 278 S. HARFST, W. (1975): Bewertung natürlicher Gewässer für Erholungszwecke. Das Gartenamt 24 (6): 351-357. HARFST, W.; NOHL, W.; SCHARPF, H.; STOCKS, B. (1987): Landschaftsplanerische Modellun- tersuchung Flurbereinigung Dill-Sohrschied. Teil III: Konzept zur Erfassung und Bewertung landschaftsästhetisch wirksamer Strukturen. Hannover. 59 S. HEHL-LANGE, S.; LANGE, E. (1992): The insufficient consideration of visual aspects in envi- ronmental planning. Association of European Schools of Planning, VI. AESOP - Congress, Stockholm. HENNEMANN, S. (2001): Monetäre Bewertung von Eingriffen in Natur und Landschaft zur Ermitt- lung naturschutzrechtlicher Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sowie von Ausgleichszahlun- gen. Die Bewertung von Eingriffen in das Landschaftsbild am Beispiel von Windkraftanlagen. Umweltrecht in Forschung und Praxis, Bd. 2. Hamburg: Verlag Dr. Kovac. 276 S. HOISL, R., NOHL, W.; ZEKORN-LÖFFLER, S. (1991): Verprobung des Verfahrens zur landschafts- ästhetischen Vorbilanz. BAYERISCHES STAATSMINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN [Hrsg.]: Materialien zur ländlichen Neuordnung 27. München. 128 S. HOISL, R.; NOHL; W.; ZEKORN, S.; ZÖLLNER, G. (1987): Landschaftsästhetik in der Flurberei- nigung. Empirische Grundlagen zum Erlebnis der Agrarlandschaft. BAYERISCHES STAATS- MINISTERIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN [Hrsg.]: Ma- terialien zur Flurbereinigung, (11). München. 161 S. HOISL, R.; NOHL, W.; ZEKORN, S.; ZÖLLNER, G. (1989): Verfahren zur landschaftsästhetischen Vorbilanz. Abschlußbericht eines Forschungsvorhabens. BAYERISCHES STAATSMINISTE- RIUM FÜR ERNÄHRUNG, LANDWIRTSCHAFT UND FORSTEN [Hrsg.]: Materialien zur Flurbereinigung, (17). München. 265 S. JACOB, H. (1973): Zur Messung der Erlebnisqualität von Erholungs-Waldbeständen. Eine experi- mentalpsychologische Analyse als Beitrag zur Umweltgestaltung. Beiheft 9 zu Landschaft und Stadt. Stuttgart: Ulmer Verlag. 124 S. JESSEL, B. ; FISCHER-HÜFTLE, P. (2003): Bewältigung von Eingriffen durch Verkehrsvorhaben in das Landschaftsbild. Naturschutz und Landschaftsplanung 35 (12): 373-383. JESSEL, B. (1994): Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Objekte der naturschutzfachlichen Bewertung. In: NORDDEUTSCHE NATURSCHUTZAKADEMIE [Hrsg.]: Qualität und Stellenwert biologischer Beiträge zur Umweltverträglichkeitsprüfung und Landschaftsplanung. NNA-Berichte 1/1994. Schneverdingen. 76-89. 63 JESSEL, B. (1998): Landschaften als Gegenstand von Planung: theoretische Grundlagen ökologisch orientierten Planens. Beiträge zur Umweltgestaltung A 139. Berlin: Erich Schmidt Verlag. 331 S. JESSEL, B. (2001): Die Darstellung und Erfassung des Landschaftsbildes in der Eingriffsregelung. In: PAAR, P.; STACHOW, U. [Hrsg.]: Visuelle Ressourcen - Übersehene ästhetische Kompo- nenten in der Landschaftsforschung und -entwicklung. ZALF-Bericht 44. Müncheberg: Zen- trum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung e.V. S. 35-47. JESSEL, B.; FISCHER-HÜFTLE, P.; JENNY, D.; ZSCHALICH, A. (2003): Erarbeitung von Aus- gleichs- und Ersatzmaßnahmen für Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes. BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ [Hrsg.]: Angewandte Landschaftsökologie, H. 53. Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 294 S. KIEMSTEDT, H. (1967): Zur Bewertung natürlicher Landschaftselemente für die Planung von Er- holungsgebieten. Technische Hochschule Hannover, Fakultät für Gartenbau und Landeskultur: Dissertation. 149 S. KIEMSTEDT, H. (1970): Landesverschönerung. In: AKADEMIE FÜR RAUMFORSCHUNG UND LANDESPLANUNG [Hrsg.]: Handwörterbuch der Raumforschung und Raumordnung, Bd. 2. Hannover. KLAPPER, H. (1972): Vorschlag zur Darstellung des aktuellen Erholungswertes einer Seenland- schaft. Wasserwirtschaft – Wassertechnik 22 (4): 141-144. KÖHLER, B. & PREISS, A. (2000): Erfassung und Bewertung des Landschaftsbildes. Grundlagen und Methoden zur Bearbeitung des Schutzguts „Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft“ in der Planung. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 20 (1): 1-60. KONERMANN, M. (2001): Das Schutzgut Landschaftsbild in der Landschaftsrahmenplanung Rheinland-Pfalz. Natur und Landschaft 76 (7): 311- 317. KRAUSE, C. L. & KLÖPPEL, D. (1996): Landschaftsbild in der Eingriffsregelung. Hinweise zur Berücksichtigung von Landschaftsbildelementen. Ergebnisse aus dem Forschungsvorhaben 808 01 139 des Bundesamtes für Naturschutz. BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ [Hrsg.]: Angewandte Landschaftsökologie (8). Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 180 S. KRAUSE, C. L. (1985): Zur planerischen Sicherung des Landschaftsbildes und zur Berücksich- tigung der Landschaftsbildqualitäten im Eingriffsfall. In: INSTITUT FÜR STÄDTEBAU BERLIN DER DEUTSCHEN AKADEMIE FÜR STÄDTEBAU UND LANDESPLANUNG [Hrsg.]: Eingriffe in Natur und Landschaft durch Fachplanungen und private Vorhaben. Do- kumentation zum 183. Kurs des Instituts für Städtebau Berlin gemeinsam mit der Bundesfor- schungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie, Bonn vom 28. bis 30. Mai 1984 in Grünberg/Hessen. Veröffentlichungen des Instituts für Städtebau Berlin der Deutschen Akade- mie für Städtebau und Landschaftsplanung, Bd. 37. Berlin. 136-152. KRAUSE, C. L.; ADAM, K. (1983): Landschaftsbilder der Bundesrepublik Deutschland. In: BUN- DESFORSCHUNGSANSTALT FÜR NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSÖKOLOGIE [Hrsg.]: Landschaftsbildanalyse. Methodische Grundlagen zur Ermittlung der Qualität des Landschaftsbildes. Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz (25). Münster- Hil- trup: Landwirtschaftsverlag. 52-113. KUHN, W. (1980): Steigerung des Erlebniswertes einer Landschaft durch Flurbereinigung? Natur und Landschaft 57 (6): 259-260. LANDSCHAFTSPLAN DER GEMEINDE BROHLTAL (1974). LANDSCHAFTSPLAN DER STADT JEVER (1998). LANDSCHAFTSPLAN DER STADT LEIPZIG (2001). LANDSCHAFTSPLAN DER VERBANDSGEMEINDE GLAN-MÜNCHWEILER (1973). LANDSCHAFTSPLAN DER VERBANDSGEMEINDE KLINGENMÜNSTER (1973). LANDSCHAFTSPLAN DER VERWALTUNGSGEMEINSCHAFT GÖTSCHETAL-PETERS- BERG (1998). 64 LANGER, H.; HOPPENSTEDT, A.; STOCKS, B. (1991): Landschaftsbild - Ermittlung der Empfind- lichkeit, Eingriffsbewertung sowie Simulation möglicher zukünftiger Zustände. BUNDESMI- NISTERIUM FÜR VERKEHR [Hrsg.]: Forschung Straßenbau und Straßenverkehrstechnik, H. 610. Bonn-Bad Godesberg. 193 S. LEITL, G. (1997): Landschaftsbilderfassung und -bewertung in der Landschaftsplanung – darge- stellt am Beispiel des Landschaftsplans Breitungen-Wernshausen. Natur und Landschaft 72 (6): 282-290. LITTON, R. B. (1979): Descriptive Approaches to Landscape Analyses. In: ELSNER, G. H.; SMAR- DON, R. C. [Hrsg.]: Our National Landscape: Proceedings of a Conference on Applied Tech- nology for Analysis and Management of the Visual Resource. USDA, Forest Service General Technical Report PSW-35. Berkely, California: Pacific Southwest Forest and Range Experi- ment Station. 77-86. MARKS, R. (1975): Zur Landschaftsbewertung für die Erholung. Natur und Landschaft 50 (8/9): 222-227. MÜLLER, G. (1977): Zur Geschichte des Wortes Landschaft. In: HARTLIEB VON WALLTHOR, A.; QUIRIN, H. [Hrsg.]: „Landschaft“ als interdisziplinäres Forschungsproblem. Veröffentli- chungen des Provinzialinstituts für westfälische Landes- und Volksforschung des Landschafts- verbandes Westfalen-Lippe, Reihe 1, B. 21. Münster. 4-13. NOHL, W. (1973): Landschaft als Erlebnis. Das Gartenamt 22 (7): 400-405. NOHL, W. (1974): Ansätze zu einer umweltpsychologischen Freiraumforschung. Landschaft + Stadt, Beiheft 11. Stuttgart: Ulmer Verlag. NOHL, W. (1991): Konzeptionelle und methodische Hinweise auf landschaftsästhetische Bewer- tungskriterien für die Eingriffsbestimmung und die Festlegung des Ausgleichs. In: BUNDES- FORSCHUNGSANSTALT FÜR NATURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSÖKOLOGIE [Hrsg.]: Landschaftsbild – Eingriff – Ausgleich. Handhabung der naturschutzrechtlichen Ein- griffsregelung für den Bereich Landschaftsbild. Dokumentation einer Arbeitstagung vom 12. bis 14. September 1990 in Bonn. Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 59-73. NOHL, W. (1993): Beeinträchtigung des Landschaftsbildes durch mastenartige Eingriffe. Materia- lien für die naturschutzfachliche Bewertung und Kompensationsermittlung. Kirchheim. 65 S. NOHL, W. (2001): Landschaftsplanung. Ästhetische und rekreative Aspekte. Konzepte, Begrün- dungen und Verfahrensweisen auf der Ebene des Landschaftsplans. Berlin, Hannover: Patzer Verlag. 248 S. OBERHOLZER, G. (1977): Die Bewertung des Erholungspotentials von Flurbereinigungsgebieten. Allgemeine Vermessungs-Nachrichten 84 (7): 277-283. OBERHOLZER, G. (1982): Die Bewertung des landschaftlichen Erlebnispotentials von Flurbereini- gungsgebieten. Allgemeine Vermessungs-Nachrichten 89 (3): 97-107. PIEPMEIER, R. (1980a): Das Ende der ästhetischen Kategorie „Landschaft“. Zu einem Aspekt neuzeitlichen Naturverhältnisses. In: WESTFÄLISCHES INSTITUT FÜR REGIONAL- GESCHICHTE [Hrsg.]: Westfälische Forschungen 30. Münster. 8-46. PIEPMEIER, R. (1980b): Landschaft. In: RITTER, J. [Hrsg.]: Historisches Wörterbuch der Philoso- phie. Bd. 5. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. 11-28. PLACHTER, H.; BERNOTAT, D.; MÜSSNER, R.; RIECKEN, U. (2002): Entwicklung und Festle- gung von Methodenstandards im Naturschutz. Ergebnisse einer Pilotstudie. Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz (70). Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 566 S. ROTH, M. (2002): Möglichkeiten des Einsatzes geografischer Informationssysteme zur Analyse, Bewertung und Darstellung des Landschaftsbildes. Natur und Landschaft 77 (4): 154-160. ROTH, M. (2005): Online visual landscape assessment using Internet survey techniques. In: BUH- MANN, E.; VON HAAREN, C.; MILLER, B. [Hrsg.]: Trends in Landscape Architecture Online. Proceedings at Anhalt University of Applied Sciences 2004. Heidelberg: Wichmann Verlag. 121-130. 65 ROTH, M. (im Druck): Validating the use of Internet survey techniques in visual landscape assess- ment - An empirical study from Germany. Accepted by the Journal Landscape and Urban Planning. Available online at: http://dx.doi.org/10.1016/j.landurbplan. 2005.07.05 RUPPERT, K. (1972): Die Beurteilung der Erholungsfunktion der Wälder. Der Forst- und Holzwirt 27 (1): 9-12. SCAMONI, A.; HOFFMAN, G. (1969): Verfahren zur Darstellung des Erholungswertes von Wald- gebieten. Archiv für Forstwesen 18 (3): 283-300. SCHAFRANSKI, F. (1996): Landschaftsästhetik und räumliche Planung. Theoretische Herleitung und exemplarische Anwendung eines Analyseansatzes als Beitrag zur Aufstellung von land- schaftsästhetischen Konzepten in der Landschaftsplanung. In: UNIVERSITÄT KAISERS- LAUTERN, FACHBEREICH ARCHITEKTUR/RAUM- UND UMWELTPLANUNG/BAU- INGENIEURWESEN [Hrsg.]: Materialien zur Raum- und Umweltplanung 85. Kaiserslautern. 300 S. SCHOLZ, D. (1998): Landschaft als ästhetisches Ereignis. Ein Beitrag zur Psychologie landschafts- ästhetischer Wirkung. UNIVERSITÄT HANNOVER, INSTITUT FÜR GRÜNPLANUNG UND GARTENARCHITEKTUR [Hrsg.]: Beiträge zur räumlichen Planung (53): 189 S. SCHÖNEICH, R. (1972): Untersuchung zur Bewertung von Erholungsmöglichkeiten in der Schwe- riner Seenlandschaft. Geographische Berichte 17 (3/4): 243-256. SCHWAHN, C. (1995): Ästhetik in der Bewertung. Garten + Landschaft 105 (9): 23-27. THOENE, J. (1924): Ästhetik der Landschaft. Mönchengladbach: Volksvereins-Verlag. 173 S. WENZEL, J. (1991): Über die geregelte Handhabung von Bildern. Garten + Landschaft 101 (3). 19-24. WERBECK, M.; WÖBSE, H. H. (1980): Raumgestalt- und Gestaltwertanalyse als Mittel zur Beur- teilung optischer Wahrnehmungsqualität. Landschaft + Stadt 12 (3): 128-140. WÖBSE, H. H. (1972): Untersuchungen zum Nutzungs- und Bestandeswandel der Sollingwälder. Die von Urlaubern bevorzugten Waldtypen und Folgerungen für die Planung. TU Hannover, Fakultät für Gartenbau und Landeskultur: Dissertation. 204 S. WÖBSE, H. H. (1984): Erlebniswirksamkeit der Landschaft und Flurbereinigung. Untersuchungen zur Landschaftsästhetik. Landschaft + Stadt 16 (1/2): 33-54. WÖBSE, H. H. (2002): Landschaftsästhetik. Stuttgart: Ulmer Verlag. 304 S. ZÖLLNER, G. (1989): Landschaftsästhetische Planungsgrundsätze für die Flurbereinigung und ihre Vereinbarkeit mit ökologischen und ökonomischen Anforderungen. TU MÜNCHEN [Hrsg.]: Ländliche Neuordnung und Flurbereinigung 12. München. 156 S. ZWANZIG, G. W. (1968): Erholungseignung und Ausbau von Landschaftsschutzgebieten in Rhein- land-Pfalz. Natur und Landschaft 43 (12): 262-263. 66 DER TRAUM VOM GOLDENEN ZEITALTER ALS RESSOURCE DER ERHOLUNG 1 Die Entwicklung der ersten Landschaftsbildanalyse Stefan Körner Mit der Entwicklung des Vielfältigkeistwerts (V-Wert) wurde erstmals die Nutzwertanaly- se in die Landespflege eingeführt. Sollte bei Buchwald die Gesellschaft noch „gesunden“, indem sie dem durch die Landschaft vorgegebenen „natürlichen“ Maß unterworfen wur- de, (siehe dazu den einführenden Text Teil II) so sollte jetzt endgültig Rationalität in der Planung im Sinne einer Reinigung der Konzepte von ideologischen Aspekten und einer konsequenten Anwendung von Nutzwertinteressen verwirklicht werden. Durch die kon- sequente Ausrichtung an dem gesellschaftlichen, letztlich ökonomischen Nutzen und der exakten Quantifizierung der Landschaftsbewertungen sollten intuitive und als spekulativ verstandene Anteile des Planens eliminiert sowie Intersubjektivität durch Messbarkeit, Be- rechenbarkeit und Vergleichbarkeit hergestellt werden. Landschaft sollte jetzt nur noch als Ressource verstanden werden. Besonders einschneidend war die Entwicklung bei der Be- wertung landschaftlicher Eigenart und Vielfalt in der Erholungsplanung, wo die kulturel- le Bedeutung der Landschaft lediglich als materielle, d. h. empirische Objekteigenschaft verstanden werden sollte. Die Notwendigkeit, Erholungslandschaften einzurichten, leitete sich bei Buchwald aus seiner Zivilisationskritik ab. Die Landschaft sollte als Gegenwelt zur städtischen Zivili- sation fungieren und aus der Zivilisationssphäre ausgegrenzt werden. Plausibel erschien diese Problemsicht, weil durch die zunehmende Verstädterung und Industrialisierung nicht nur medizinisch-psychologische Belastungen auftraten, sondern auch in der Landschaft zunehmend Umweltverschmutzungen und -zerstörungen in Erscheinung traten. In der Er- holungslandschaft sollte man beim Wandern und Bergsteigen von diesen Belastungen der modernen Welt körperlich und seelisch genesen, um die Grundlage dafür zu erwerben, das wieder empfinden zu können, wofür die Landschaft als Ganzheitssymbol immer schon stand: nämlich Sinngefühl durch das Eingebundensein in eine natürliche Ordnung und in die menschliche Gemeinschaft. Diese Regeneration an Leib und Seele sollte nach Mög- 1 überarbeitete Fassung aus Körner (2001, 169-199) 67 lichkeit dadurch unterstützt werden, dass man zusätzlich in seiner Freizeit gärtnert und einen Einblick in die natürliche Produktivität erwirbt, um durch die Einsicht in die Na- turordnung nicht nur die „Gesetze des Lebens“ achten zu lernen, sondern auch wieder zur eigenen Natur zurückzufinden. Trotz ihrer zivilisationskritischen Motivation war damit die Landespflege konsequent modern: Das Symbol besserer Lebensverhältnisse sollte in seinen realen Verkörperungen (Landschaften) geschützt werden, indem diesen mit der Erholung ein anerkannter, letztlich ökonomisch relevanter Zweck zugewiesen wurde. Es sollte aber nicht allein die menschli- che Reproduktion und ein effektiver Umweltschutz betrieben werden, sondern viel tiefgrei- fender eine kulturelle Wende im Sinne einer Durchsetzung konservativer Werte erfolgen. Selbst der seinerzeit schärfste Kritiker der verwissenschaftlichten Planung, Mattern, be- zweifelt nicht die Notwendigkeit der Einrichtung von Erholungslandschaften. Er spricht nicht nur von einem notwendigen Ausgleichskoeffizienten zwischen Stadt und Land, um Erholungslandschaften zu schützen, er nennt auch die konkreten Parameter der Erholungs- landschaft: „Die Qualität der Erholungslandschaft hängt von dem Vorhandensein von Was- ser, Wald und Wiesen, von Hügeln und anderen ökologisch bestimmten Raumformen ab, die weitläufig übersichtlich sind und dennoch Geheimnisse bergen und eine gewisse Pri- vatheit anbieten“ (Mattern 1968, 5). Selbst die Bedeutung von Rändern, die Kiemstedt in seinem V-Wert quantitativ erfasst, deutet Mattern an: „Sie, meine Damen und Herren, wer- den auch beobachtet haben, dass die im Wald am stärksten frequentierten Stellen die Rand- gebiete sind, von denen die Erholungssuchenden weite Einblicke oder schöne Aussichten haben. Diese Randgebiete werden dann aber auch am stärksten abgenützt oder verbraucht. Anstatt diese Randeffekte bedauernd hinzunehmen, sollten einfach innerhalb der Waldun- gen viel mehr Ränder geschaffen und angeboten werden“ (Mattern 1970, 14). Kiemstedt ermittelt das Maß von Rändern in einer Landschaft für die Erholung und verrechnet sie mit anderen Parametern zu einem Vielfältigkeitswert der Landschaft. Dieses quantitative Maß soll dann im Rahmen der Raumordnung in den politischen Entscheidungsprozess über den Schutz von Landschaften eingebracht werden. Damit wird in der Erholungsplanung das Ästhetische und Sinnhafte des Landschaftsbegriffs endgültig in die funktionale Planung transformiert. Die Erholungsplanung als funktionale Planung Mit Hügeln, Wäldern, Wasser, Wiesen und Rändern sind schon Landschaftselemente ge- nannt, die nach ihrer allgemeinen Erholungswirkung bewertet werden müssen. Der ermit- telte Erholungswert der Landschaft muss im politischen Entscheidungsprozess mit Krite- rien anderer Fachplanungen, hinter denen überwiegend wirtschaftliche und in Geldwert quantifizierbare Interessen stehen, ins Verhältnis gesetzt werden können. Kiemstedts Be- wertung der Landschaft für die Erholung richtet sich daher konsequent auf eine der öko- nomischen Rationalität kompatible Aussagenschärfe, d. h. auf den Ausdruck landschaftli- cher Schönheit in einem Zahlenwert. Dieser wird als V-Wert bezeichnet. Er soll in einem standardisierten und dadurch grundsätzlich für jedermann nachvollziehbaren Verfahren ermittelt werden. Es geht also nur insofern um das im Landschaftsbild ausgedrückte „Wesen“ der Land- schaft, als es in Nutzen für die Erholung und d. h. als (Zahlen-)Wert ausdrückbar ist. Dazu soll eine Methode der Bewertung von Erholungslandschaften entwickelt werden, die nicht 68 auf intuitive Einfühlung angewiesen, sondern universell ist, d. h. in jedem Fall gilt. Des- halb muss ein Nutzungsstandard für Erholungslandschaften formuliert werden, der das besondere Wesen jeder in dieser Hinsicht interessanten Landschaft in einem allgemeinen Gesetz erfasst. Mittels dieses Standards muss dann die jeweils spezifische Eigenart und Vielfalt in ihrer Erholungswirksamkeit bewertet werden. Es wird sich zeigen, dass dieses Vorgehen wegen seines universellen Charakters nicht ohne Verlust hinsichtlich der Berücksichtigung der Individualität von Landschaften und der in- haltlichen Transparenz der Bewertung möglich ist, sodass Kiemstedt sein Vorhaben teil- weise wieder revidieren und Momente intuitiver Bewertung zulassen muss. Diese werden jedoch nicht methodisch konsequent ausgewiesen, weil weiter die Standardisierung als Ideal rational nachvollziehbarer Planung aufrechterhalten wird. Die Standardisierung hat also zur Voraussetzung, dass Elemente der Landschaft isoliert werden müssen, die als Ausdrucksträger für das Landschaftserleben maßgeblich sind und hinsichtlich ihres Wertes quantifiziert werden können. Als Wertträger können sie zueinan- der in Beziehung gesetzt und in einem Einheitswert, dem V-Wert, zusammengefasst wer- den, der dann die maßgeblichen Wertverhältnisse für die Entscheidung beinhaltet. Mit der Quantifizierung soll Vergleichbarkeit in ihrer Eigenart unterschiedlicher Landschaften und die Erstellung einer Rangfolge erzielt werden, um so ohne Appelle an ein bestimmtes Welt- bild Entscheidbarkeit herzustellen. Die Logik dieses Vorgehen ist also rein instrumentell. Um den erholungswirksamen Abstand zu Erholungslandschaft zu gewährleisten, hatte Buchwald schon auf die Notwendigkeit des Schutzes möglichst naturnaher Landschaften mit einem möglichst extensiven bäuerlichen Einfluss, wie Heiden, verwiesen. Kiemstedt betont dagegen, obwohl er auch von der Bedeutung naturnaher Faktoren für die Erho- lung spricht, die Bedeutung extensiver Kulturlandschaften, weil sie sich gleichsam in der Schwebe zwischen Kultur und Natur befinden. Er setzt voraus, dass diese extensiven Land- schaften dem Wesen des Menschen als Natur- und Kulturwesen vollständig gerecht werden können. Aufgrund ihres Schwebezustandes sollen sie der Entspannung dienen, weil man sich in der Natur aufhalten kann, ohne einer existenziellen und damit einer alles andere als erholsamen Bewährungssituation ausgesetzt zu sein, wie in der Wildnis. Kiemstedt führt dieses Leitbild der extensiven und entspannenden Landschaft auf das Basisthema Arkadien zurück und zieht dieses für die Analyse von erholungswirksamen Ausdrucksträgern heran. Das überlieferte Bild Arkadiens weist im hohen Maße Gestaltelemente auf, die schon von Mattern als Landschaftselemente genannt wurden. Seinen Versuch, den Schutz extensiver Landschaften für die Erholung rational zu begrün- den und dazu eine Bewertungsmethodik der Erholungseignung von Landschaften im Rah- men der Raumplanung zu entwickeln, begründet Kiemstedt damit, dass die Erholung als Grundfunktion der modernen Gesellschaft mittlerweile ein raumbedeutsamer Nutzungs- anspruch geworden sei. Dies habe seinen Niederschlag in der Grünen Charta und in den Raumordnungsgrundsätzen der Bundesrepublik Deutschland gefunden. Daraus ergebe sich das Erfordernis, Kriterien für den Schutz und die Gestaltung von Erholungsgebieten zu er- arbeiten (vgl. Kiemstedt 1967a, 7). Entsprechend weist Meyer als Kiemstedts Doktorvater in seinem Vorwort zu der Arbeit auf die Dringlichkeit hin, die natürlichen Voraussetzungen der Erholungseignung von Gebieten zahlenmäßig erfassen zu können, um zu objektiven Bewertungsmaßstäben für die Planungspraxis zu gelangen. 69 In der Ableitung des modernen Erholungsbedarfs hebt Kiemstedt im Gegensatz zu Buch- wald hervor, dass die „natürliche Umwelt“ des Menschen als einem Wesen, das sich weit- gehend aus der Natur gelöst habe und im Spannungsfeld zwischen Kultur und Natur ange- siedelt sei, immer durch eine „kulturelle Umformung“ gekennzeichnet sei. Wie der Mensch sich in diesem Spannungsfeld einrichte, bleibe ihm selbst überlassen; dies charakterisiere die „Offenheit seines Systems“. Von medizinischer Seite würden die künstlichen Lebens- bedingungen des technischen Zeitalters für „das Versagen und die Krankheit des heutigen Menschen“ angeführt, sodass er als Ausgleich natürliche Einflüsse brauche. „In diesem Sinne wird die Erholung als notwendiger Preis für die Annehmlichkeiten der industriellen Gesellschaft angesehen und als einzige Möglichkeit, das intensive Leben in den modernen Agglomerationen aufrecht zu erhalten“ (alle Zitate ebd., 11). Die medizinisch-hygienische Problembeschreibung verallgemeinert Kiemstedt dann und erklärt unvermittelt – und nun mit Buchwald – die gesamte Gesellschaft und damit die kulturelle Sphäre, in der über die Gestaltung des Spannungsverhältnisses entschieden wird, für „krank“. „Buchwald folgert aus diesen Krankheitssymptomen der heutigen Gesellschaft: „Der Mensch braucht also wohl zu seiner Existenz und Weiterentwicklung dieses ökologische Spannungsverhältnis zur Umwelt mit einem bestimmten Maß natürlicher und auslösender Reize“ (ebd.). Anders als bei Buchwald werden aber keine zivilisationskritischen Schlussfolgerungen gezogen, sondern es wird lediglich erörtert, welche Art von Erholung benötigt wird: So folge aus der grundsätzlichen Bedeutung der natürlichen Reize nicht, dass Erholungswir- kung und Naturgenuss um so größer seien, je mehr menschliche Kultureinflüsse in der Landschaft zurücktreten würden, denn die menschliche Umwelt sei ja immer eine mehr oder weniger kultivierte. Dennoch komme den natürlichen Landschaftsfaktoren bei der Erholung eine wichtige Rolle zu, weil sie die eine Seite des Spannungsverhältnisses von Kultur und Natur darstellen würden (vgl. ebd., 10 ff.) und ja gerade die kulturelle Seite durch den Verlust an Naturnähe „erholungsbedürftig“ sei. Mit diesem Anteil der natürli- chen Landschaftsfaktoren an der Erholung begründet Kiemstedt den Ansatz seiner Arbeit, sich ausschließlich mit diesen zu beschäftigen, denn „Erholung bedeutet heute Ausgleich gegenüber den einseitigen Beanspruchungen und Überforderungen des modernen Lebens, Regeneration der physischen und psychischen Kräfte“ (ebd., 10). Extensive Landschaft in der Schwebe zwischen Natur und Kultur. Blick vom Dörnberg bei Kassel. Foto: Körner 2006. 70 Die Landschaftsfaktoren sollen nach Kiemstedt folgendermaßen ausgewählt werden: „1: Im Hinblick auf die Erholung des Menschen a) Wirksamkeit als Träger von Erlebniswerten, b) Benutzbarkeit als Voraussetzung für Erholungswirkungen und Betätigungen, c) Wirksamkeit durch direkten Einfluß auf den menschlichen Organismus. 2: Mit Rücksicht auf die praktische Anwendbarkeit der Methode a) Dominanz einiger Faktoren b) einfache statistische Erfaßbarkeit“ (ebd., 18 f.). Da diese erholungswirksamen, naturgegebenen Bestände einer Landschaft in der Regel anthropogen beeinflusst seien, spreche man besser von „‚naturbürtigen‘ Landschaftsfak- toren“ (ebd., 12). Diese Faktoren sind für Kiemstedt gleichzusetzen mit dem Begriff der natürlichen Gesetzmäßigkeit, obwohl Gestaltelemente des Landschaftsbildes, natürliche Bestände etwa im Sinne von Vegetationsbeständen, natürliche Faktoren im Sinne von Um- weltfaktoren (Temperatur, Licht, Wasser) sowie natürliche Gesetzmäßigkeiten im Sinne ökologischer Gesetze völlig verschiedene Dinge sind. Kiemstedt würde besser von Ge- staltelementen sprechen, weil er ja das Landschaftsbild bewerten will. Es wird sich aber noch zeigen, dass er zu belegen versucht, dass diese Gestaltelemente materielle Objektei- genschaften der Landschaft sind, die eine gesetzmäßige Auswirkung auf das Landschafts- erleben haben. Mit der unpräzisen Begriffsbildung soll offenbar die Differenz von kultu- rell-symbolischen Bedeutungen der Landschaft und materiell-empirischen Objekteigen- schaften verwischt werden. Denn im Rahmen des Paradigmas rationaler Planung muss versucht werden, die ideellen Grundlagen des Landschaftserlebens auf eine empirische, d. h. naturgegebene materielle Basis zurückzuführen, um Objektivität herzustellen. Aus der Bedeutung „naturbürtiger Landschaftsfaktoren“ folgert Kiemstedt dann, dass die ausschlaggebende Prägung des Erholungserlebnisses durch das Wirken der „natürlichen“ Gesetzmäßigkeiten in der Landschaft zustande komme, denn sie sind ja die entscheidenden Qualitäten, die die Landschaft von der übermäßig technisierten und entfremdeten Zivilisa- tionssphäre unterscheidet. Damit werden im Widerspruch zu seiner anfänglichen Aussage, die „natürliche Umwelt“ des Menschen sei immer eine mehr oder weniger kulturell über- formte und Erholung und Naturgenuss hänge daher nicht nur von der „Natürlichkeit“ der Landschaft ab, nun doch die „natürlichen Faktoren“ als die wesentlich erholungswirksamen verstanden. Mit dieser Wendung ist es für Kiemstedt zunächst möglich, unter Umgehung jeder Zivilisationskritik und in der Bemühung um eine möglichst funktionale Argumentati- on, den Schulterschluss mit Buchwald zu vollziehen, indem er unter ausdrücklichem Bezug auf diesen dann festhält: „Aus den angeführten Gründen werden also als Erholungsgebiete möglichst „naturnahe Landschaften“ ausgewiesen, die in ihrem Charakter vorwiegend von den natürlichen Landschaftsfaktoren bestimmt werden“ (ebd., 12). Konsequenterweise müsste Kiemstedt daraus folgern, dass bei der Erholung die Wildnis oder die Urlandschaft, die Buchwald hervorhob, besonders relevant ist, weil hier die natürlichen Faktoren am unverfälschtesten sind. Dies würde aber eher körperlich-seelische Bewährungssituationen heraufbeschwören, wo doch gerade angesichts der ohnehin schon anstrengenden Lebens- 71 bedingungen die Entspannung in der ruhigen Erholung gesucht wird. Dieser Widerspruch soll durch Arkadien, das zwischen den Extremen der Wildnis und der intensiv genutzten Kulturlandschaft angesiedelt ist, aufgefangen werden. Zunächst legt Kiemstedt dar, dass die Erholungswirkung der natürlichen Faktoren auf dem „irrationalen Erlebnis der Natur (fuße). Die Erholungswirkungen bestehen demnach we- sentlich aus dem sinnlich – vor allem optisch – erlebbaren Eindruck der natürlichen Ge- staltelemente eines Raumes“ (ebd., 12 f.; Umstellung im Zitat). Dies werde auch durch die Erfahrung belegt, dass in Umfrageergebnissen und Planungsbegründungen als erholungs- wirksame Qualitäten Schönheit, harmonische Gestaltung, Kontrast, Vielfalt und Abwechs- lungsreichtum der Landschaft genannt würden (vgl. ebd., 13). Die Erholung gründet also, obwohl sie auf materielle Bestände angewiesen ist, wesentlich im Landschaftserleben. Das kann aber nicht als politisches Argument für den Landschaftsschutz herangezogen werden, weil Emotionalität als irrational gilt. Daher wird versucht, gemäß dem Muster der Erfah- rungswissenschaften die für das Erleben wesentlichen Gestaltelemente und ästhetischen Eigenschaften als empirische Objekte zu definieren, die objektiv die Erholungseignung bewirken. Sie werden als Natureigenschaften von Landschaft behandelt, die nicht durch Einfühlung, sondern durch wissenschaftliche Analyse bestimmt und dann durch Messung quantifiziert werden sollen. Die symbolische Bedeutung der Landschaft als Ort „natürlicher“ Lebensverhältnisse im Gegensatz zur Zivilisation wird somit als natürliche Eigenschaft des Objektes Landschaft verstanden, sodass der Eindruck erweckt wird, man habe es mit einer bloßen, „wertfreien“ Objekteigenschaft zu tun. Die zivilisationskritischen Konnotationen dieses Ideals werden als erholungswirksam einkalkuliert, weil sie dazu führen, dass die Landschaft überhaupt zur Erholung aufgesucht wird, ohne dass sie offengelegt würden, wie es das Gebot de- mokratischer Transparenz eigentlich erfordert. Sie sollen als erholungswirksame genutzt, gleichzeitig aber als politisch heikle ausgegrenzt werden; es soll also in diesem Punkt ein Schein von Sachlichkeit erzeugt werden. Bei der Identifikation der erholungswirksamen Landschaftsfaktoren ist nach Kiemstedt die übliche Aufgliederung der Landesnatur nach Boden, Oberflächengestalt, Wasser, Klima, Vegetation und Tierwelt unergiebig. Einen Lösungsansatz sieht er in einem Teilbereich der Geographie, weil man sich mit der Frage nach landschaftlichen Qualitäten einer klas- sischen geographischen Fragestellung nähere, bei der Landschaft als sinnlich erlebbarer Gesamteindruck eines Teiles der Erdoberfläche definiert werde. Das Landschaftsbild selbst und seine Bedeutung für das menschliche Erleben sei beispielsweise Forschungsgegen- stand der Physiognomik (vgl. ebd., 13). „Das Studium der geographischen Literatur zeigt deutlich, wie sehr das Erleben der Natur, landschaftliches Sehen und die Vorstellungen von einer idealen Landschaft von den kulturellen und ästhetischen Maßstäben jeder Epoche ge- prägt sind. Natur und Landschaft wurden und werden immer gesehen durch einen Filter von Ideen, Wertungen und Stimmungen, und das Landschaftsempfinden ist damit ein getreuer Spiegel der geistigen und seelischen Bedürfnisse einer Zeit“ (ebd., 13 f.; Hervorhebung S. K.). Dennoch habe man in der Physiognomik nach den konkreten äußeren Bedingungen, dem „Ausdruckspotential“ – damit ist offenbar die Landschaftsgestalt als Repräsentant der symbolischen Bedeutungen gemeint –, durch welches das Landschaftserlebnis hervorge- rufen werde, gefragt, um eine Ausdruckslehre der Landschaft zu entwickeln. Dabei würde das schwer fassbare, weil individuelle und zeitgeschichtlich geprägte Landschaftserleben auf wenige „Ausdrucksträger“ zurückgeführt. Es ließen sich somit einige dominierende 72 nennen: Form, Farben und Beleuchtung und der geistig-kulturelle Gehalt (ebd., 14; Her- vorhebung S. K.). Dem kann man zunächst kaum widersprechen, da diese Einteilung so abstrakt ist, dass sie alles bedeuten kann. Sie weist aber den Widerspruch auf, dass der geistig-kulturelle Gehalt von Landschaft selbst ein objektiv-materieller „Ausdrucksträger“ sein soll – was nicht verwundert, wenn symbolische Bedeutungen mit Objekteigenschaften gleichgesetzt werden. Wird nicht zwischen den objektiven Eigenschaften und den kulturell-allgemei- nen Bedeutungen der Landschaft unterschieden, weil die Landschaft ausschließlich als ein materielles Objekt statt als ein ideeller Erfahrungsraum bzw. als ein Symbol behandelt wird, das durch die realen Landschaften verkörpert wird, dann wird das arkadische Ideal in der ästhetischen Landschaftswahrnehmung mit dem materiellen Raum verwechselt. Das Ideal der Landschaft als ein zweckhaft geordnetes, objektiv harmonisch funktionierendes Ganzes wird dann als die objektive Eigenschaft des Raumes erfahren, die in seiner Physio- gnomie zum Ausdruck kommt, und nicht als Projektion einer Idee mit ihren Werten in die Außenwelt (zur Symbolik von Arkadien vgl. Eisel 1997). Das geschieht, obwohl Kiemstedt das Landschaftsempfinden als „Spiegel“ geistiger und seelischer Bedürfnisse in Rechnung stellt. Dieser Trugschluss Kiemstedts, bei dem etwas Geistiges und gesellschaftlich Bedingtes als etwas Materielles ausgelegt wird, lässt nur den Schluss zu, dass der kulturelle Gehalt unter den bestehenden politischen Rahmenbedingun- gen – und das ist im Grundsatz zunächst verständlich – soweit es geht als quantifizierbare Objekteigenschaft behandelt werden soll. Die Bewertung der sinnstiftenden und daher auch entspannenden Qualitäten der Landschaft soll in eine demokratieverträgliche Form überführt werden, damit die Alternative, das intuitiv geleitete, subjektive Einfühlungsver- mögen der konkreten Landschaftsgesstaltung als künsterische Aufgabe vermieden werden kann. Obwohl also aufgrund der politischen Rahmenbedingungen das Vorgehen Kiemstedts auf eine gewisse Weise nachvollziehbar ist, führen seine Bemühungen dazu, dass kulturell geprägte ideelle Bedeutungszuweisungen an die Landschaft aus seiner Methode verdrängt werden. Da aber gerade der ideelle Charakter des Landschaftserlebens erholungswirksam ist, kann das nicht gelingen, führt aber dazu, dass der kulturelle Charakter der Landschaft zunehmend vergessen wird – zumindest in den offiziellen Programmen. Die inhaltliche Bestimmung erholungswirksamer Landschaftselemente Um die vermeintliche Objektivität des geistig-kulturellen Gehalts zu beweisen, wechselt Kiemstedt in der Folge die Argumentationsebene und führt nach der materiellen Ebene der „landschaftlichen Ausdrucksträger“ gerade die prekäre kulturelle Allgemeinheit des Land- schaftserlebens selbst an, von der man bislang den Eindruck hatte, er wolle sie umgehen. Dies geschieht aber weiterhin mit dem Interesse, aus den geographischen Schilderungen trotz ihrer zeitgeschichtlichen Färbung einfache und repräsentative Landschaftselemente als „Gegenstände“ zu ermitteln, die das Landschaftserlebnis gesetzmäßig bestimmen und daher als allgemeingültige klassifiziert werden können. Allgemeingültig bedeutet dann an- gesichts des Alters des Arkadienthemas quasinatürlich und wird damit als objektiv verstan- den. Hinweise dafür sieht Kiemstedt bei Hard (1965). So weise Hard nach, wie stark sich die klassische Bildungstradition und ihre Idealisierung der arkadischen Landschaft auf die Vorstellung der Ideallandschaft ausgewirkt habe. Gerade daran werde deutlich, dass hinter den einzelnen zeitgebundenen Wertungen „ganz offenbar Gestaltelemente von allgemeiner Gültigkeit stehen, die schon Bestandteil der antiken Ideallandschaft waren und über literari- 73 sche Tradition, Landschafts- malerei und Gartenkunst bis in unsere Zeit lebendig geblieben sind“ (Kiemstedt 1967a, 15). Diese Elemente seien die des Locus amoe- nus, also der lichte Hain, die Wiese, die Quelle und Blu- men (vgl. ebd., 15). „Der locus amoenus ist ein – an den Sprachgebrauch der rhetorischen und poe- tischen Überlieferung seit der Antike anknüpfendes – Kunstwort für den gemein- samen Nenner aller literari- schen Naturschilderung von der Kaiserzeit bis zum 16. Jahrhundert, eine tradierte Formel, die sich bis ins 19. Jahrhundert hinein fortsetzt. In den zahllosen Varianten und Amalgierungen im Lauf der Jahrhunderte bleibt doch ein topischer Kern konstant: Sein Minimum an Ausstattung besteht aus einem Baum (oder mehreren Bäumen), einer Wiese und einem Quell oder Bach. Hinzutreten können Vogelgesang und Blumen. Die reichste Ausführung fügt noch Windhauch hinzu, vielleicht auch Wohlgeruch und das ide- ale Klima eines ewigen Frühlings bei ewig heiterem Himmel – ein Arrangement tausend- fach wiederkehrender Versatzstücke, von denen schon zwei oder drei das Ganze zu evo- zieren vermögen. Dieser Inbegriff antiker wie moderner Daseinswonne ist wurzelhaft bei Vergil und – trotz aller Beweglichkeit – auch in der Moderne am festesten mit der Bukolik (Schäferdichtung, S. K.) verbunden und erscheint so in seinem Kern als ein glücklicher, beschatteter Ausschnitt aus mediterraner Weide und Hirtenland. (...) Der locus amoenus ist, in unmittelbarem Rückgriff auf die Antike und vor allem auf Virgil, der Naturrah- men der Pastorale des „neuen Arkadien“ seit der Renaissance, landschaftliches Hauptstück eines fiktiven Hirten- und Wunschlandes, Naturrahmen des Goldenen Zeitalters, in dem die verhassten Konventionen der Gesellschaft vor allem in eroticis aufgehoben erscheinen – amoenus, Virgils ständiges Beiwort für schöne Natur, für Arkadien, wurde schon von den antiken Etymologen (etwa dem Virgilkommentator Servius und von Isidor von Servilla) mit „amor“ zusammengebracht, der locus amoenus ist „dignus amore locus“; er bleibt im Mittelalter und weit in die Neuzeit hinein stereotyper Schauplatz erotischer Szenen“ (Hard 1965, 37 f.). Diese arkadischen Topoi beeinflussten im starken Maße die Beschreibungen realer Land- schaften durch Geographen und Entdecker, die die landschaftlichen Eigenarten aus der distanzierten Sicht des Betrachters poetisch überhöhten. „Aus der literarischen Formel Weidende Schafe auf dem Dörnberg bei Kassel. Foto: Körner 2006. 74 und der klassizistischen Utopie ist der Traum, der wohlfeile Traum des Touristen gewor- den“ (ebd., 38).1 Hard warnt mit Blick auf die Geographie aber gerade in der von Kiemstedt zitierten Ver- öffentlichung vor der allzu naiven Übertragung arkadischer Motive auf die Interpretation realer Landschaften, d. h. vor der Verwechslung literarischer Fiktion mit der Realität: „An solch stark literarisch gefärbten Passagen, in denen die geographische Realität durch die topoi gefiltert, stilisiert, ja zuweilen verzerrt erscheint, ist das erdkundliche Schrifttum der älteren Zeit überaus reich; eine naiv-realistische Betrachtung dieses Schrifttums, eine Be- trachtungsweise, welche dieser literarischen Komponente nicht gewahr wird, könnte gele- gentlich zu grotesken Mißverständnissen führen“ (ebd., 39). Aus literarischen Topoi werden aber bei Kiemstedt trotz dieser Warnung unter völligem Missverstehen der Hardschen Argumentation dann doch scheinbar reale und verallge- meinerbare „natürliche“ Gestaltelemente der Landschaft. Ihnen wird, offenbar weil das arkadische Motiv so weit in die europäische Geschichte zurückreicht und zu allen Zeiten erhalten blieb (vgl. dazu Eisel 1997), eine von zeitgeschichtlichen Idealen unabhängige und in diesem Sinne gesetzmäßige Dimension zugesprochen, so als sei das, was sich his- torisch erhält, ein Wesenskern des materiellen Objekts und nicht der kulturellen Deutung. Die Relativität, die Kiemstedt zunächst prinzipiell für jeden landschaftlichen Zeitgeist in Rechnung gestellt hat, gilt nun nicht mehr: Hier scheint die Landschaft selbst vorzuliegen, weil das Urbild Arkadien mit seinen Elementen in jeder Landschaft in spezieller Form sichtbar wird. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich dann scheinbar objektive und im- mergültige Kriterien für die Bewertung der Landschaft ableiten. Diese Kriterien können aber aufgrund ihrer literarischen Herkunft keine empirisch-räumliche, sondern „nur“ kul- turelle sein, die aber durchaus empirisch d. h. sozial und wissenschaftlich erfassbar wären. Sie ergeben sich, wie Hard nachweist, aus dem ästhetisch-bildhaften Ideal der kulturellen Idee vom Goldenen Zeitalter, nicht aber aus der Landschaft als materiellem Objekt selbst. Daraus folgt zwar, dass diese Ausdrucksqualitäten durchaus eine verlässliche Basis von Nutzungsprognosen sein können, wenn das Landschaftserleben von kulturellen Werthal- tungen bestimmt ist. Die Begründung für diese verlässliche Wirksamkeit ergibt sich aber dann durch kulturelle Bedeutungskonstanten, die die individuelle Wahrnehmung beim Er- leben der Landschaft strukturieren, und nicht durch konstante materielle Eigenschafte der Landschaft selbst. Die symbolische Bedeutung landschaftlicher Topoi, deren literarische Schilderung ge- fühlsbehaftete Vorstellungen zu wecken vermag und denen Bildklischees entsprechen, wird also mit Allgemeingültigkeit im Sinne intersubjektiver und empirischer Gültigkeit von Sätzen über Objekte, d. h. landschaftliche Räume, verwechselt. Denn gerade weil diese Klischees den Traum des Touristen beschreiben, sind sie für die Erholungsplanung von Interesse. Sie müssen nur noch planerisch handhabbar gemacht werden, d. h. im be- 1 „Hier befanden wir uns auf einer mit dem zartesten Rasen bewachsenen und ringsum mit großen, schattenrei-chen Bäumen eingefaßten Wiese. (...) Herrn Hodges gefiel diese Gegend so wohl, daß er sich niedersetzte und sie zeichnete. (...) Diese Luft war so rein und wohlriechend, daß ein Sterbender davon aufs neue hätte belebt werden müssen. Ein sanfter Seewind spielte in unseren Locken und fächelte uns Kühlung zu; kleine Vögel zwitscherten auf allen Seiten, und wilde Tauben girrten zärtlich auf den schattenreichsten Zweigen des Baumes, worunter wir uns gelagert hatten“ (Forster zit. n. ebd., 38). 75 schriebenen politischen Kontext, als angeblich materielle Eigenschaften des Raumes ge- messen und berechnet werden. Kiemstedt deutet die Bildelemente daher „materiell“ in funktionalistischer Absicht; die Merkmale des Locus amoenus seien insofern bedeutsam, als sie letztlich „menschliches Maß in der Natur“ und „beruhigendes Zeichen menschlicher Tätigkeit“ verkörperten (vgl. Kiemstedt 1967a, 15). Der von Kiemstedt angesprochene geistig-kulturelle Gehalt der Landschaft besteht hier also nicht darin, dass er vermittelt über die klassische arkadische Ikonographie die moderne Utopie der organisch gewach- senen Totalität von Kultur und Natur repräsentiert, aus der Maßgaben für eine sinnvolle künftige Kulturentwicklung abgeleitet werden sollen. Statt dessen soll die Bedeutung der arkadischen Topoi als materielles Argument eines friedlichen Idylls im Interesse der Erho- lungsplanung uminterpretiert werden. Wegen dieser Friedlichkeit, die sie repräsentieren, wirken sie entspannend und werden als „beruhigende Zeichen menschlicher Tätigkeit“ verstanden. Sie können tatsächlich auch als Kennzeichen extensiv genutzter Kulturland- schaften angesehen werden. Wegen dieses Bezugs auf die Kulturlandschaft, die durch agrarische Nutzung entstanden ist, sieht Kiemstedt in Arkadien den „Inbegriff des brauchbaren Landschaftsausschnittes, der deshalb auch an die Stelle des Gartens treten kann“ (ebd., 15), obwohl im Garten der baulich-konstruktivistische Kulturaspekt und nicht etwa der für die Erholung wichtige Aspekt der Schwebe zwischen Kultur und Natur dominiert. Allenfalls ist das vielleicht im Naturgarten oder in verwilderten Gärten der Fall. Der Garten ist aber grundsätzlich künstliche Natur und damit nach den Voraussetzungen Kiemstedts Teil der Sphäre, vor der man sich gerade in die Natur zurückziehen will. Hier vermischt Kiemstedt sein praktisches Interesse, eine Nutzwertanalyse in der Landschaftsbewertung einzuführen, mit seiner Ana- lyse der symbolischen Bedeutungen. Das liegt an einem weiteren unmittelbar praktischen Interesse, denn die Erholungslandschaft soll vor allem auch denjenigen nützen, die kei- nen Garten besitzen. Da Nutzen für eine Nutzwertanalyse trivialerweise das maßgebliche Kriterium ist und der Garten als Inbegriff der Benutzbarkeit von Natur angesehen werden kann, wird Arkadien jetzt als Garten ausgewiesen. Das ist möglich, weil Arkadien auch als Abbild des Gartens Eden gilt, sodass die Erholungslandschaft nunmehr einem Garten gleicht. Im Gegensatz dazu wird Arkadien bei Nohl zum Symbol der politischen Utopie eines unentfremdeten, solidarischen Zusammenlebens. Diese Utopie soll nicht die Arbeits- kraft reproduzieren, sondern ist seiner Auffassung nach zumindest in der Freiraumplanung als Vorschein einer möglichen emanzipierten Gesellschaft zu verwirklichen. Mit seiner abenteuerlichen Vergegenständlichung der Sehnsucht nach dem Goldenen Zeit- alter als „Urerholungslandschaft“ gerät Kiemstedt mit seinen eigenen Voraussetzungen in Konflikt. Ursprünglich war von ihm behauptet worden, dass für die Erholung mög- lichst naturnahe Landschaften benötigt würden, um den Einfluss natürlicher Reize zu ge- währleisten. Das wurde dann in naturnah erscheinende, extensiv genutzte Landschaften abgemildert, um die ruhige Erholung sicherzustellen, also Entspannung statt Kampf mit den Elementen im Abenteuerurlaub. Nun wird der Eindruck erweckt, dass die Erholungs- landschaft intensivst kultivierter Natur, nämlich dem Garten, gleicht. Hier darf man sich aber nicht von Kiemstedts funktionalistischer Perspektive irritieren lassen: Dass Arkadien sowohl als Garten und Inbegriff der „Brauchbarkeit“ als auch als fiktiver Fluchtort gilt, ist deshalb möglich, weil es die Urheimat des Menschen vor all den zivilisatorischen Sün- denfällen zu sein scheint. Es gibt daher noch keinen Gegensatz von Kultur und Natur, von Garten und Wildnis. Daher kann sich der zivilisationsgeschädigte Mensch in arkadischen 76 Landschaften in die Geborgenheit jenes vermuteten Urzustandes zurückfallen lassen, und da die Geborgenheit in der Idylle das Erholsame ist, besteht vordergründig kein Wider- spruch zwischen Nutzen und Emotionalität. Daraus ergibt sich in der Landespflege der Wert der ökonomisch uninteressanten, aber ästhetisch anregenden extensiven Kulturlandschaften für das „irrationale Erleben“. Ange- sichts des Alters des Arkadienmotivs verblassen die zivilisationskritischen Auslegungen seiner Topoi zu jenen zeitgeistbedingten Variationen des von Kiemstedt angeführten über- zeitlichen Urthemas. Für ihn können diese Auslegungen ignoriert werden, wenn man sich möglichst wertfrei und pragmatisch dem Kern der Sache nähern will. Arkadien ermöglicht dann nicht nur die Entpolitisierung landschaftlicher Bildelemente, sondern auch die Anbin- dung an die Tradition der Gartengestaltung, die jetzt als großräumiger Landschaftsschutz modernisiert werden kann. Die Voraussetzung dafür, den unverdächtigen Bedeutungskern von Landschaft isolieren und nutzen zu können, ist der Fehlschluss Kiemstedts, dieser liege in der Landschaft als Objekt selbst und nicht in der Landschaft als Symbol der Idee des gelungenen Lebens. Andernfalls müsste akzeptiert werden, dass die politisch unliebsamen Interpretationen nicht erfundene Fehldeutungen eines Objekts, sondern virulente, prinzipiell mögliche und durchaus konsistente Varianten eines grundlegenden abendländischen Gedankengebäudes bilden. Man müsste sich dann bei der Interpretation des Landschaftserlebens ideologiekri- tisch vergewissern, während Kiemstedt einfach nur Landschaftselemente bestimmen will. Es ist aber ein in der Landschaftsplanung weitverbreiteter Irrtum, zu glauben, Pragmatis- mus sei mit Wertfreiheit gleichzusetzen. Dieser Irrtum und seine methodischen Folgen zeigen sich in der Erholungsplanung besonders prägnant, eben weil hier kulturelle Wert- schätzungen für den Erholungsnutzen maßgeblich sind. Die Tradition der Gartengestaltung legitimiert für Kiemstedt scheinbar zusätzlich, Hards Warnung zu übergehen, Fiktion sei nicht mit Realität zu verwechseln. Denn in der Gar- tenkunst spielt der Unterschied von Ideal und Wirklichkeit insofern keine Rolle, als Gär- ten nicht nur nutzen, indem sie Zwecken gerecht werden müssen, sondern als gestaltete Orte mit ihrer Ikonographie auch Ideale darstellen. Anders verhält es sich aber mit Land- schaften. Zwar können Landschaften durchaus als Kunstwerke verstanden werden, in den meisten Fällen sind sie aber weitgehend zufälliges Ergebnis der Landnutzung. Wenn sich nun jedoch herausstellt, dass gerade die symbolischen Bedeutungen der Landschaft ent- scheidend für die Erholung sind (wichtiger als etwa der Gebrauchswertaspekt der Land- schaftselemente in dem Sinne, dass man auf einer Wiese Ball spielen kann usw.), dann könnte, weil diese Bedeutungen kultureller und nicht physischer Natur sind, eigentlich der Objektivierung szientifischer Vorgehensweise nicht so bedingungslos gefolgt werden, wie es bei Kiemstedt der Fall ist. Dass er es dennoch tut, liegt daran, dass die politische Ebene demokratisch legitimierbarer Planung sachgerechte Rationalität erforderlich macht. Obwohl man also auf den Gedanken kommen könnte, in der Gartenkunst spiele die Un- terscheidung von Fiktion und Realität keine Rolle, weil hier Ideale in Objekten baulich materialisiert werden, war aber diese Unterscheidung in der Tradition der Gartenkunst durchaus bekannt. Die Landschaftsbeschreibungen der Dichter und Maler wurden in Form von Landschaftsgärten als begehbaren Kunstwerken verstanden und angelegt, indem die Natur durch ihre Gestaltung überhöht wurde. „Die materiale Wirklichkeit der Naturge- genstände bildet gleichsam das mit einem eigenen Bedeutungsgehalt versehene stoffliche Requisit, mit dem der Künstler begehbare Szenen in Analogie zu erdichteten oder gemalten 77 Bildern erstellt hat“ (Nagel 1997, 94). Weil Gärten begehbare Bilder waren, hatte sich der Gartenkünstler an der Praxis des Landschaftsmalers und des Dichters orientiert und schul- te über den Landschaftsgarten als dreidimensional materialisiertes Gemälde und über die Identifikation der arkadischen Ideallandschaft mit realen Landschaften – anfangs mit der klassischen italienischen Landschaft und dann mit der englischen Weidelandschaft – den Blick dafür, jede Gegend als Landschaft wahrzunehmen, insofern Ausstattungselemente der Ideallandschaft aufgefunden werden konnten (vgl. Dinnebier 1996; Eisel 1997; von Hollen 1991). Man begann also damit, in der Wirklichkeit die Anlagen des Ideals zu sehen und die künstlerische Überhöhung der Realität mit Hilfe der Einbildungskraft und des „landschaftlichen Blicks“ zu vollziehen. Die in der Wirklichkeit angelegten Möglichkeiten zur Vollendung zu bringen und damit eine ideelle Ordnung im Rahmen künstlerischer Gestaltung zu verwirklichen, steht aber aus politischen Gründen für Kiemstedt nicht zur Debatte. Er erhebt nicht einmal mehr indirekt den Anspruch, eine derartige Ordnung mittels Landschaftsschutz durchsetzten zu wollen, wie noch Buchwald in seinem Konzept einer modernisierten Landespflege, sondern der Nutzen ist das einzige, empirisch überprüfbare Kriterium guter Planung. Das Arkadienthe- ma wird lediglich benutzt, um die zeitlos gültige materielle Ausstattung der Landschaft im Sinne ihrer Benutzbarkeit zu belegen. Das Gartenthema dient dabei dazu, die Nützlichkeit Arkadiens zu bestärken und die Erholungsplanung an die Tradition des Fachs anzubinden. Man könnte sagen, dass Kiemstedt den Übergang vom Garten in die Landschaft, den der „landschaftliche Blick“ vollzogen hat, wiederholt, aber diesmal unter einer gänzlich objek- tivistischen Perspektive: Nicht die künstlerisch überhöhte Wirklichkeit einer Idee wird in realen Gegenden wiederentdeckt, sondern nutzbare Landschaftselemente sollen objektiv bestimmt werden. Um weiter zu zeigen, dass arkadische Landschaften tatsächlich Gartenersatz sein können, führt Kiemstedt die Geschichte der Gartenkunst von Hennebo und Hoffmann (1962) an (vgl. Kiemstedt 1967a, 15). Beide Autoren stellen im ersten Band ihrer Geschichte der deutschen Gartenkunst die Gestaltung der Gärten des Mittelalters mit ihren verschiedenen kulturellen Einflüssen dar. Hier findet sich das Arkadienthema wieder, und auch in dieser Quelle Kiemstedts wird der ideelle Charakter der gestalteten Idealnatur betont. Kiemstedt benutzt sie aber, um zu beweisen, dass Landschaft und Garten nahezu schon immer eins waren: „Auch in den Schriften der gelehrten Männer, die Karl der Große an seinen Hof zog und die diesen Hof zum Prototyp europäischer Fürstenhöfe stempelten, finden wir antike Einflüsse. Die Landschaftsschilderungen des Alkuin enthalten alle Elemente der spätanti- ken, bukolischen Ideallandschaft, die die Gartenvorstellungen des Mittelalters frühzeitig beeinflussen: Den schattigen Hain, das Gras und die Kräuter, Rose und Lilien und den klaren Bach. E. R. Curtius hat das Fortwirken der antiken Ideallandschaft in der abendlän- dischen Literatur dargelegt. Als Hauptmotiv aller Naturschilderungen von der römischen Kaiserzeit bis zum 16. Jahrhundert nennt er den locus amoenus (Lustort), dessen Elemente auch wir immer wieder aufzählen, weil sie mit jenen des Lustgartens übereinstimmen oder weil sie dessen Elemente (im Idealfall) bestimmen. Diese Naturschilderungen, die zunächst wohl nur als rhetorische Übungen von der Antike übernommen wurden, haben u. E. eben doch Einfluss auf die Gartenkunst gehabt, weil sie das Wunschbild eines Lustortes prägten, das man im Garten, in den durch Standort und Klima gegebenen Grenzen, zu verwirklichen suchte“ (Hennebo und Hoffmann 1962, 21 f.). 78 Quelle: Hennebo, D. (1987): Gärten des Mittelalters. Zürich. 79 Das Symbol Garten ist also als Garten Eden mit Arkadien verbunden und hat zunächst überhaupt nichts mit Nutzen zu tun, sondern ist im Gegenteil ein Ort des paradiesischen Nichtstuns. Mit einem Nutzenkalkül wird es von Kiemstedt dann insofern verbunden, als in der Erholung das Nichtstun dann doch einem Zweck entspricht, nämlich der Repro- duktion der Arbeitskraft. Daher stellt Kiemstedt dann eine Analogie zwischen Arkadien und Garten her, weil die Erholungslandschaft für all diejenigen, die über keinen privaten Freiraum verfügen, als Ersatz dienen soll. Der Rekurs auf die Gartengeschichte soll dann auch dazu dienen, zu zeigen, dass schon im Mittelalter Landschaftsbestandteile, wenn sie den Vorstellungen idealer Natur entsprachen, als Garten und somit als „Erholungsraum“ genutzt worden seien. Damit soll die überzeitliche Charakteristik von Erholungslandschaf- ten, wie Gärten zu wirken, ausgewiesen werden, um dann auf dieser scheinbar gesetzesmä- ßigen Basis nutzbare Gartenelemente zu isolieren. Die Umsetzung des arkadischen Ideals lässt im Laufe des Mittelalters einen einheitlichen Gartentypus entstehen, der nach Hennebo und Hoffmann im wesentlichen durch einen rechtwinkligen Grundriss, einen lichten Obstbaumgarten mit einem robusten, begehbaren Rasen, Kräuter- und Blumenbeeten, Wein- und Rosenspalieren und -lauben, Rasenbänken und Brunnen bzw. Quellen gekennzeichnet ist. Eingefasst waren die Gärten zum Schutz vor Feinden oder wilden Tieren durch Mauern oder Hecken (vgl. ebd., 21 ff.). Schon das Vorhandensein weniger Elemente konnte offensichtlich aus einem Ort einen Lustgarten machen: „Wenn A. E. Brinckmann schreibt: „Die Natur in ihrem ganzen Ausmaß ist dem frühen Mittelalter, wenn auch nicht etwas Feindliches, so doch immer etwas Fremdes“ so muss man die Betonung auf „das ganze Ausmaß“ legen. Dann trifft das sicher zu. Grund- sätzlich kann man aber von einer als feindlich oder fremd empfundenen Natur nicht spre- chen. Es gab Landschaftsteile, die keineswegs als fremd empfunden wurden, sondern von denen man begeistert Besitz ergriff, die man in der Dichtung besang und die man „lustgar- tenmäßig“ nutzte. Aus dieser Tatsache entstehen wohl die begrifflichen Verschleifungen zwischen Baum- garten und Anger. Vielleicht wird damit einmal das Geschaffene, das Angepflanzte, zum anderen das Vorgefundene bezeichnet. Aber das ist nicht sicher. Beide ähneln sich in den Grundzügen. Was das Sieb der konventionellen Anschauung passiert hatte, das wurde freu- dig aufgenommen, benutzt, beschrieben oder abgebildet. Die Verse 94-107 des Rosenro- mans beschreiben eine solche typische Situation, wenn der Held ins Freie schlendert, um mit wachem Sinne den Frühling zu erleben und dabei eine Landschaft schildert, die auch ein Baumgarten sein könnte, weil sie alle Elemente enthält, die wir in den typischen Lust- gärten wiederfinden: Wiese, Baum, Bach und Blumen. Die Frühlingsaue von Tintajol oder die Umgebung der Minnegrotte im „Tristan“ (V. 536 ff., V. 16663 ff.) zeigen das ebenso. Damit werden Landschaftsteil und Garten „austauschbar“. Das, worin sie sich zunächst noch unterscheiden, der Tisch, die Rasenbank und die Quell- fassung, alle die „gartenspezifischen“ Teile, können einfach in eine vorhandene, der be- schriebenen Situation ähnliche Gegebenheit verpflanzt werden, damit man sich dort wie im Garten fühlen konnte. (...) Was den Garten vom freien Anger, von der gartenähnlichen und doch nicht abgesonderten Natur unterscheidet, ist die feste Einfriedung. Doch darf man Mauern, Gräben und Zäune hier nicht ohne weiteres und in jedem Falle als bewuß- te räumliche Abgrenzung gegen eine als Kontrast empfundene Natur ansehen, gegen das feindliche „Draußen“, sondern eher als echten Schutz gegen Überfall und Einsichtnahme. Heide und Anger werden in der hochmittelalterlichen Poesie nicht deshalb so oft besungen, 80 weil es so wenig Gärten gab, wie D. Lauenstein annahm, sondern weil sie der Vorstellung der idealen Natur ebenso entsprechen wie der Garten und weil sie ähnlich wie er genutzt und in die Lebenssphäre einbezogen wurden“ (ebd., 66 f.). Offenbar wurden im Mittelalter also Landschaftsbestandteile in die Gärten integriert, wenn arkadische Elemente identifiziert werden konnten. Für Kiemstedt scheint hier ein Beweis vorzuliegen, dass Arkadienideal und idealisierte Natur im Garten sowie reale Landschaf- ten unter der Perspektive ihrer Nutzung als Lustorte schon immer eins waren. Erholsame Landschaften sind daher zunächst durch das Vorhandensein von Wiesen, Bächen, Bäumen und Blumen gekennzeichnet, was die Alltagserfahrung ja auch bestätigt. Obwohl also Kiemstedts Gleichsetzung von Garten und Landschaft zutreffend zu sein scheint, finden sich auch bei Hennebo und Hoffmann Hinweise darauf, dass die literarische Schilderung derartiger Landschaftsteile oder Gärten nicht umstandslos mit der Realität gleichzusetzen ist: Dies zeige sich beispielsweise bei den Angaben über die verwendeten Pflanzen: „Am häufigsten werden (neben der Linde, Obstbäumen und dem Nussbaum; S. K.) noch solche Gehölze bezeichnet, die im Norden gar nicht gedeihen konnten. Man wird an alte, aus der Antike übernommenen Pflanzenverzeichnisse erinnert, doch kannte man diese Bäume ebenso aus italienischen oder orientalischen Gärten. „Vîgenboum, grânât, öl, wîn...“ (Parzival), „zederboum und olyvere“ (Karlmeinet) findet man öfter. Auch Tristan schneidet seine Späne aus dem Holze eines Ölbaumes. Wir stoßen damit auf orientalische Einflüsse in den Schilderungen auch solcher Gärten, die die Dichter gar nicht in südliche Gefilde verlegen wollten. Es mögen verschiedene Gründe dabei mitsprechen. Vielleicht wollte man nur das Bild des Gartens reicher und interessanter machen, oder es spielen symbolische Beziehungen eine Rolle“ (ebd., 78). Es handelt sich also eindeutig um Ideal- vorstellungen in Form literarischer Bilder, die über die Beschreibung der Gartenelemente vermittelt werden, wobei insbesondere das Wasser eine wichtige Rolle gespielt zu haben scheint, sodass „kaum ein Garten beschrieben, kaum eine Landschaft geschildert (wird), ohne daß darin das Wasser in irgendeiner Form vorkäme“ (ebd., 79; Umstellung im Zitat S. K.). Damit ist aber hinsichtlich der zeitgenössischen Darstellung von Gärten die Frage von Empirie und Fiktion nicht zu entscheiden.2 Das spielt dann keine Rolle, wenn man die kulturelle Prägung der Landschaftswahrneh- mung akzeptiert und auf dieser Basis die Erholungsplanung als Modernisierung der Gar- tenkunst betreibt. Eine universelle Gesetzmäßigkeit der Erholungswirksamkeit von Gär- ten oder Landschaften lässt sich damit aber nicht beschreiben. Aus den mittelalterlichen 2 Diese orientalischen Elemente verweisen auf die Wurzel der Gartenkunst in der Kultur Me- sopotaniens. Berücksichtigt man die Beeinflussung der griechischen Kultur durch die persische, dann kann wohl gesagt werden, dass die von Kiemstedt festgestellten erholsamen Landschafts- elemente als Symbol paradiesischer Verhältnisse so alt sind, wie die abendländische Hochkultur selbst (vgl. Fauth 1979). Diese nahezu zeitlose Gültigkeit der Symbole ist aber nicht zu verwech- seln mit der universellen Geltung empirischer Gesetze im Sinne der Erfahrungswissenschaften. 81 Gartenbeschreibungen können dann im Kontext der abendländischen Kultur Hinweise auf erholungswirksame Elemente von Gärten und Erholungslandschaften bezogen werden.3 Die V-Wert-Formel Die Ermittlung des V-Werts besteht nicht einfach darin, lediglich arkadische Landschafts- elemente in einer Landschaft zu zählen, sodass eine Landschaft um so wertvoller ist, je mehr Elemente sie hat. Es muss statt dessen die Qualität des Erlebens erfasst werden, die nicht allein von der Quantität arkadischer Elemente abhängt. Diese Qualität wird vor allem anhand des Randeffekts bemessen, weil ja an den Rändern die Vielfalt am höchsten ist. Das gilt für „alle Grenzzonen in der Landschaft, besonders (für) die Ränder des Waldes und der Gewässer, (die) durch den Wechsel von Farben, Licht und Beleuchtung sowie durch das Prägen von Formen und Linien (wirken). Sie tragen dazu bei, dem Raum Kontrast und Ab- wechslung, Gliederung und Maßstab zu geben. Je ausgedehnter die Randzonen auf einem Areal sind, um so mehr bedeutet das kleinflächige Wechseln der Gestaltelemente: Vielfalt. Besonders der Waldrand ist ebenso Träger geistigen Gehaltes in der Landschaft, weil er indirekt die an den Bestand angrenzende Freifläche kennzeichnet und damit ein typisches Element der Kulturlandschaft ist. Schließlich sind solche Ränder auch einfach Merkmale der Benutzbarkeit des Raumes, da sie Anlehnung und Rückendeckung bieten, oft noch in Verbindung mit günstigen kleinklimatischen Bedingungen“ (Kiemstedt 1967a, 19; Um- stellung im Zitat S. K.). Bei der Beurteilung der Qualität des Landschaftserlebens als messbare Vielfalt wird vor- ausgesetzt, dass eine Landschaft um so mehr der Ideallandschaft nahekommt, also um so bedeutungsvoller ist, je vielfältiger sie ist. Je größer also der Randeffekt ist, desto größer ist dann der geistig-kulturelle Gehalt. Damit knüpft Kiemstedt an den zentralen Aspekt des naturschützerischen und landschaftsgestalterischen Weltbildes an, in dem die (gute) Vielfalt an den Begriff der Eigenart gebunden ist, welche im Gegensatz zum Chaos die harmonische und jeweils spezifische Einheit der Vielfalt darstellt. Denn wenn sich die ver- schiedenen Kulturen in Auseinandersetzung mit ihren konkret vorliegenden, jeweils ande- ren Naturbedingungen entwickeln, entsteht kulturelle Vielfalt, die sich in einer räumlichen Vielfalt ausdrückt, nämlich derjenigen der verschiedenen Kulturlandschaften. Vielfalt und Eigenart sind daher Ausdruck gelungener und sinnvoller Entwicklung, weil jede Kultur ih- ren eigenen Möglichkeiten und damit auch dem Maß ihrer äußeren Natur folgt. Die Vielfalt von Landschaften ergibt sich jedoch nicht nur, weil alle Landschaften als jeweils regional 3 Kiemstedt versucht ferner mit Gleichmann (1963) den Nachweis zu führen, dass sich mit- terweile durch die Siedlungsentwicklung der Gegensatz von Landschaft und Siedlungsbereich aufgelöst habe, um damit zu belegen, dass die Unterscheidung von Landschaft und Garten nicht mehr sinnvoll sei. Beides sei jetzt Freiraum, d. h, „Grün“ als unbebaute Fläche. Die Gar- tenhaftigkeit von Erholungslandschaften versucht er ferner durch empirische Untersuchungen in Hamburg und den Niederlanden zu belegen (vgl. Kiemstedt 1967a, 15; zum gesamten Kontext Körner 2001, 169 ff.). 82 verschiedene Einheiten von Kulturen und Naturbedingungen individuell sind, sondern weil sie als Totalitäten eine Welt für sich sind und auch im Innenverhältnis die Einheit einer Viel- falt darstellen. Diese Einheit der spezifischen Vielfalt einer Landschaft, ihre Eigenart, wird im kontemplativen Landschaftserleben als Stimmung erfahren. Daher sind Landschaften Individuen, wobei ihre Stimmung, in der die Summe der Besonderheit einer Landschaft erscheint, zugleich das Allgemeine einer Landschaft repräsentiert, nämlich ihren „Geist“ oder ihr „Wesen“. Dieses „Wesen“ wurde bei Buchwald als das „Gesetz der Landschaft“ interpretiert, gegen das man sich nicht vergehen darf, wenn die Kultur und das Leben nicht allgemein vernichtet werden soll. Von Eigenart ist aber bei Kiemstedt keine Rede, weil es ihm nicht auf das Individuelle ankommt, sondern auf ein allgemeines Gesetz. Die richtige Vielfalt ergibt sich bei ihm daher durch den Bezug auf das allgemeine kulturelle Urbild der Landschaft, auf Arkadien Die Vorstellung eines Randeffekts bei Kiemstedt, die darauf abhebt, dass landschaftliche Teilräume aneinanderstoßen, ist der positivistische, d. h. messbare Ausdruck für die land- schaftliche Vielfalt. Denn es wird davon ausgegangen, dass etwa an einem Waldrand oder einem Gewässerrand durch den Übergang von mindestens zwei Landschaftsbestandteilen eine besondere Strukturvielfalt gegeben ist. Eine Landschaft ist daher um so vielfältiger, je mehr Teilräume und Landschaftselemente und damit Ränder sie zwischen ihnen auf- weist. Diese Randbereiche können in ihrer Länge gemessen werden, sodass indirekt die erholungswirksame Stimmung einer Landschaft quantitativ erfassbar wird. Da Erholungs- wirksamkeit und arkadische Bedeutung gleichgesetzt wird, kann so festgestellt werden, inwiefern die Landschaft dem arkadischen Ideal nahekommt. Damit kann gewissermaßen der „geistige Gehalt“ einer Landschaft als Zahl benannt werden. Da die Methode handhabbar, d. h. übersichtlich bleiben und sich nicht ins Einzelne ver- lieren soll, werden nur die wichtigsten Ränder gemessen, nämlich die Ränder von Wald- flächen und stehenden Gewässern und nicht noch zusätzlich die der Hecken, Raine und kleinen Wasserläufe. Punktuelle Landschaftselemente wie Einzelbäume oder Quellen wer- den überhaupt nicht betrachtet, obwohl gerade sie ja im höchsten Maße „arkadische“ Stim- mungsträger sind (vgl. ebd., 23). Damit reduziert Kiemstedt die Erfassung erholungswirk- samer Landschaftsbestandteile aus pragmatisch-planerischen Gründen auf wenige Grund- elemente, die zudem in abstrakter Form ausgedrückt werden. Aus der Symbolik sanfter Hügel wird das Relief, das im Sinne der Meteorologie aufgefasste Klima ergibt sich aus der angenehmen Atmosphäre, und das Schäfertum wird unter die Nutzungsarten subsumiert (vgl. ebd., 23 ff.). Kiemstedts Vorgehen ist also reduktionistisch, weil er zu gesetzesförmi- gen Aussagen gelangen will. Er subsumiert die landschaftliche Vielfalt unter wenige und zu jedem Zeitpunkt geltende Parameter, um nach dem Muster der Erfahrungswissenschaf- ten die Vielfalt in einem standardisierenden Verfahren klassifizieren zu können. Damit ist eine Rangfolge zwischen Landschaften erstellbar, ggf. können sie auch erholungswirksam verbessert werden. Die sich durch das Messen ergebenden, einheitslosen Zahlen einer Ordinalskala (d. h. Stre- cken werden nicht in Metern angegeben, Temperatur nicht in Grad usw.) werden im wei- teren Vorgehen addiert und der Einfachheit halber durch 1000 dividiert. Auf diese Weise ergibt sich der V-Wert einer Landschaft, der eine quantitative Einschätzung ihrer Eigenart weitgehend unabhängig von ihren konkreten Qualitäten ermöglichen soll. Der V-Wert ei- ner Landschaft lässt sich somit mit dem Wert anderer Landschaften vergleichen, weil nicht die Besonderheiten der Landschaften quantifiziert werden, sondern die unterschiedliche 83 Ausprägung derselben Elemente. Durch diese Zuordnung von Indexwerten ohne Maßein- heiten (weder ökonomische noch physikalische) wird eine Zuordnung formaler Art von Landschaften untereinander vorgenommen, d. h. eine Rangordnung erstellt. „Es handelt sich bei den be-wertenden Ausdrücken um „logische“ entscheidungsvorbereitende Indexe. ‚Logisch‘ und entscheidungsvorbereitend sind sie, weil sie formal die Möglichkeit eröff- nen, konkrete Landschaften mit einer Wertziffer zu versehen, diese in einer Ordnungsska- la anzusiedeln, damit automatisch einen Vergleich der Landschaften anzustellen und jede Widersprüchlichkeit im Rahmen der Berechnung auszuschließen. Intersubjektiv sind sie wegen dieser Art von Entscheidbarkeit“ (Eisel 1989, 274). Der sich durch die Quantifi- zierung ergebende Rang einer Landschaft bietet eine gewisse rationale Grundlage für die politische Entscheidung. Obwohl also diese Berechnungen formal sind, ergibt sich indirekt durch die Festlegung einer Rangfolge unter den Landschaften ein ökonomischer Wert, sodass gesagt werden kann, ob sie es „wert“ sind, seitens des Staates zum Zweck der Erholungsvorsorge vor dem Zugriff ökonomischer Verwertung geschützt zu werden. Neben diesem indirekten re- produktiven Wert entspricht der Schutz der Landschaft aber auch einem direkten Verwer- tungsinteresse, nämlich dem der Freizeitindustrie (vgl. ebd., 258 f.). Dieses kann mit dem Interesse an ruhiger Erholung kollidieren. Mit der möglichst nachvollziehbaren Bewertung der Ausdrucksträger, d. h. der im Zwei- felsfall durch Nachmessen überprüfbaren Zuordnung zu einer Wertordnung, soll vom pri- vaten Erfahrungscharakter des Landschaftserlebens abstrahiert und Intersubjektivität er- zielt werden. Der Stimmungsgehalt der arkadischen Formen wird in eine universell gültige Formel gefasst, die trotz ihrer Abstraktheit die besondere Ausprägung des Arkadischen in individuellen Landschaften bewerten soll. Das Ergebnis wirkt aber unbefriedigend, denn die Verteilung eines Indexwertes, etwa 3,6, sagt nichts Konkretes über die Vielfalt einer Landschaft aus, insofern die Vielfalt ja an die Individualität einer Landschaft im Sinne ihres spezifischen Charakters (Eigenart) gebunden ist. Es lässt sich daraus nur ableiten, dass die entsprechende Landschaft in Hinblick auf ihre Erholungswirksamkeit als gleich nützlich wie eine andere, nützlicher oder auch nicht nützlicher als eine andere bezeichnet werden kann. Zwar ist hier eine intersubjektive Form der Bewertung der landschaftlichen Stimmung erreicht, aber dass die Vielfalt in einen abstrakten Wert aufgelöst wird und der „geistige Gehalt“ einer Landschaft nun nicht mehr erkennbar ist, produziert einen Wider- spruch, der Kiemstedt zu Einschränkungen seiner Methodik zwingen wird. Diese Abstrak- tion zugunsten der intersubjektiven Vergleichbarkeit hat einen weiteren Nachteil: Einer- seits müssen ideale Landschaften als „gewachsene“ Einheiten mit einer nicht beliebigen Vielfalt, also mit einer Eigenart, einer bestimmten Vollkommenheit zustrebt, verbunden sein, denn das macht sie erst zu Individuen, die das arkadische Ideal immer wieder neu verkörpern. Andererseits ermöglicht der V-Wert den planerischen Zugriff auf die Land- schaft, aber dieser Zugriff hat nichts mehr mit einer kulturell sensiblen Gestaltung gemein: Im Verhältnis zum arkadischen Standard kann festgestellt werden, woraus ein schlechtes Ergebnis der Bewertung einer Landschaft resultiert, etwa aus der geringen Reliefenergie. Daraus folgt, dass dieses Defizit auch behoben werden kann und Landschaften verbessert werden können, indem sie mit fehlenden Landschaftselementen „angereichert“ werden. Dieses Anreichern kann aber dann, wenn aus politischen Gründen nicht individuell land- schaftsarchitektonisch gestaltet werden soll, nur rein schematisch passieren; es entstehen dann Kunstlandschaften. Das künstlerische Vorgehen wäre dagegen individualisierend und 84 würde das Besondere des Einzelfalls hervorheben, um die Vielfalt weiterzuentwickeln. Es würde die arkadischen Bedeutungen interpretieren, indem eine neue Gestaltung unter Verwendung der vorhandenen Bildelemente entworfen würde. Der Preis der Rationalität ist Irrationalität Aufgrund der durch den V-Wert erfassten Elemente würde die Anreicherung der Landschaft mit arkadischen Elementen dann beispielsweise bedeuten, dass Gewässer oder Waldstrei- fen mit mäandrierenden Randzonen angelegt und Hügel aufgeschüttet werden müssten. Die Landschaftselemente sind prinzipiell universell einsetzbar, aber da ihre konkrete Ge- staltung in jedem Einzelfall nicht als künstlerische Individualisierung des allgemein für Arkadien Typischen am konkreten Ort verstanden werden kann, sondern im schematischen Vergleich mit dem Ideal besteht, weil sich die Maßgaben für die Planung aus den gemes- senen Daten mit zwingender Logik ergeben sollen, wird letztlich ein Landschaftsklischee installiert. Es entstehen bei konsequenter Durchführung reine Kunstlandschaften, deren Vielfalt nicht mit der der geschichtlich gewachsenen Vielfalt „echter“, d. h. individueller Landschaften vergleichbar ist und ihr im Gegenteil widerspricht. Als reproduziertes Klischee ist diese Vielfalt dann trivial. Das tritt dann aber in Konflikt mit dem Landschaftserleben, wenn nicht reine „Fun-Landschaften“ als Staffage für die Freizeit angelegt werden sollen. Ob- wohl Kiemstedt gerade nicht gemäß dem traditionellen Verständnis der Gartenkunst gestal- ten will, sondern lediglich Nutzen im Rahmen einer rationalen Methodik beurteilen will, muss die landschaftliche Eigenart gepflegt werden, weil das Urbild Arkadiens, um sinnvoll umgesetzt zu werden, individuell ausgeformt werden muss. Nur diese Individualität ver- bürgt eine besondere Stimmung, die maßvoll anregend und damit für die ruhige Erholung erholsam ist. Somit ist das Problem der Bewertung der Erholungseignung grundsätzlich anders gelagert als etwa bei Bewertungen in der Landwirtschaft, die ebenfalls auf Zahlenwerten basieren und mit denen wie mit jenen anderer Fachplanungen durch den V-Wert Kompatibilität erzielt werden sollte. Mit diesen Bewertungen setzt Kiemstedt seinen V-Wert gleich. Als Beispiel für ein erfolgreiches Bewertungsverfahren nennt er die Reichsbodenschätzung, bei der Wüchsigkeitsfaktoren des Bodens ermittelt worden und in die Bewertung land- wirtschaftlicher Anbauverhältnisse oder von Betriebszweigen eingeflossen sind. Auf die- se Weise konnten Aussagen über betriebswirtschaftliche Rentabilitäten formuliert werden (vgl. Kiemstedt 1967a, 37). Hier liegt ein eindeutig ökonomisch definierter, produktiver Zweck, die Beurteilung der agrarischen Bonität und ihre Ausbeutbarkeit im Interesse land- wirtschaftlicher Ertragssteigerung vor, die in Geld ausgedrückt werden kann. Für die Er- holung als reproduktivem Zweck würde dies bedeuten, dass die Ausbeutbarkeit bestimmter Landschaften für die Freizeitindustrie zu bewerten wäre. Das könnte jedoch mit dem Ziel, letztlich Eigenart zu schützen, kollidieren. Denn die Erholungseignung einer Landschaft unterscheidet sich als Nutzen für die Reproduktion vom ökonomischen Nutzen. Im ersten Fall werden landschaftliche Symbole bewertet, die nutzen, weil sie Gefühle auslösen, im letzteren aber materielle Ressourcen. Die Bewertung ist beim reproduktiven Nutzen in abstrakter Form, die Emotionalität ausschließt, somit nicht möglich, wenn sie ihren Sinn behalten soll. Arkadien stellt auf der einen Seite zwar ein „Grundmuster“ dar, das aber kein „Gesetz“ ist, sondern, wenn es nicht trivial sein soll, in immer neuen individuellen Figuren verwirklicht werden muss. Diese Allgemeinheit kann also in keinem Fall nach dem Muster 85 der allgemeinen Geltung erfahrungswissenschaftlicher Gesetze, die immer unveränderlich gelten, formuliert werden. Insofern kann der V-Wert wegen der politisch respektablen Be- mühung um Intersubjektivität nicht den individuellen Charakter einer Landschaft erfas- sen. Die Zielsetzung des V-Wertes ist aber eine andere: Kiemstedt will unterschiedliche Land- schaften unterschiedslos als Ressource der Erholung behandeln, um Landschaftsschutz im Rahmen der Raumplanung rational vertreten zu können. Es kommt nur auf einer sehr ab- strakten Ebene auf die Reichhaltigkeit und Differenziertheit der Landschaften an, um das bloße Ausmaß an Wohlgefühl angesichts von Landschaften erfassen zu können. Das ist grundsätzlich machbar, aber problematisch. Denn da nur die Individualität erholungswirk- sam ist, muss die Bewertung dann doch durch den intuitiven Vergleich mit dem ästhetisch- kulturellen Ideal geschehen. Das hat eine wesentliche Einschränkung der Anwendbarkeit des V-Wertes zur Folge: Aufgrund dieses nicht vermeidbaren intuitiven Gehalts der Land- schaftsbewertung betont Kiemstedt letztendlich dann doch, dass man sorgfältig zwischen der Auswahl und Erfassung von Landschaftselementen und ihrer Bewertung hinsichtlich der Bedeutung für die Erholung unterscheiden müsse. Die Auswahl und Erfassung habe möglichst stichhaltig zu sein, während die Bewertung notgedrungen im Bereich subjek- tiver Entscheidung liege (ebd., 9; Kiemstedt 1967b, 213). Es bleibt unklar, was genau Erfassung und Bewertung zu bedeuten haben. Erfassung dürfte sich auf die Messung des V-Wertes beziehen, während Bewertung die Entscheidung bedeuten dürfte, was in einem Projekt aus einem V-Wert gemacht wird, d. h., ob er für die Erholung ausreicht oder ob „nachgebessert“ werden muss. Damit werden erhebliche Abstriche von der gewünschten Transparenz der Bewertung gemacht, denn das intuitive Vorgehen galt ja als irrational. Stellt sich nun aber heraus, dass Intuition unvermeidlich ist, dann müsste an dieser Stelle auch eingestanden werden, dass, im Falle der Erzeugung einer Raumgestalt, eine künstleri- sche Vorgehensweise die Folge davon wäre, mit einem ermittelten Wert nicht schematisch, sondern individuell umzugehen. Kiemstedts Methode weist aber die notwendige intuitive und individualisierende Bewer- tung nicht aus. Der intuitive Gehalt des Bewertens als Interpretation der Daten wird ledig- lich zugegeben, nicht aber methodisch offengelegt und damit überprüfbar gemacht und als eigenständige Planungsphase eigens ausgewiesen. Damit produziert die konsequent durch- geführte Verobjektivierung statt Transparenz gerade das Gegenteil, nämlich Intransparenz und damit gemessen an der Maßgabe intersubjektiver Nachvollziehbarkeit Irrationalität, weil der subjektive Gehalt der Interpretation als Urteil über die Angemessenheit der sich aus den Daten ergebenden Aussagen in bezug auf den konkreten Ort trotz aller Mahnung zur Vorsicht methodisch verschleiert wird. Schon die Auswahl und Erfassung von wichti- gen Landschaftselementen, also z. B. die Entscheidung darüber, was ein kleiner Wasserlauf ist, der nicht berücksichtigt wird, oder ob der Rand eines Baumhaines noch als Waldrand gilt, ist eine Bewertung nach Bedeutsamkeit, die nicht kontrolliert und offengelegt wird und die in den Vorgang des Messens hineingezogen wird, wo dann den vorab als bedeut- sam klassifizierten Elementen ein Indexwert zugeordnet wird. Als Konsequenz muss von Kiemstedt daher der eigene Geltungsanspruch wieder zu- rückgenommen werden. Mit dem V-Wert sei lediglich die Möglichkeit gegeben, „einen „brauchbaren Annäherungswert“ als Umschreibung für die Erholungswirkung natürlicher Landschaftsfaktoren zu ermitteln“ (Kiemstedt 1967b, 214), der allenfalls als ein „plane- risches Hilfsmittel für die Beurteilung räumlich unterschiedlicher Eignung“ für die Er- 86 holung dienen könne (vgl. Kiemstedt 1967a, 8). Eine objektive Bewertung, die vormals angestrebt wurde, ist damit – folgt man Kiemstedt – nicht möglich, so dass der V-Wert lediglich als „Faustzahl“ für die eigentliche, subjektive und intuitive Einschätzung dienen kann. Da die Methode Kiemstedts aber universell sein soll, testet er sie unter verschiedenen Randbedingungen, d. h. an verschiedenen Landschaften, um festzustellen, ob er jeweils zu befriedigenden Werten kommt. Der Maßstab aber, der Auskunft darüber gibt, ob diese Werte befriedigend sind, kann nur kulturell bedingt und intuitiv sein (vgl. ebd., 55 ff.). Da ein befriedigendes Ergebnis die Eigenart repräsentieren muss, eliminiert Kiemstedt später auch methodische Einzelheiten wie bestimmte Berechnungsverfahren, die die Erfassung charakteristischer Landschaftsstrukturen zu stark nivelliert hätten (vgl. Kiemstedt 1972, 37). Damit weicht er aber seine eigene Vorgabe auf, nämlich die der leichten planerischen Handhabbarkeit, die allein den V-Wert als standardisiertes Verfahren gegenüber der bishe- rigen Praxis hätte begründen können. Der V-Wert ist damit zwar von seiner formalen Logik her auf eine den anderen Fach- planungen vergleichbare ökonomische Rationalität hin angelegt, erreicht aber nur eine Quasiobjektivität, weil Arkadien als Landschaftsideal nur um den Preis seines Sinns und seiner Wirksamkeit in einem der ökonomischen Rationalität analogen Verfahren verallge- meinernd bewertet werden kann. Zwar erhebt Kiemstedt aufgrund seines zweckrationalen, instrumentellen Paradigmas nicht den Anspruch, differenziert auf die Eigenart einzugehen, weil künstlerische Intuition gerade verhindert werden soll. Dennoch erweisen sich kultu- relle Urteile und Intuition als unvermeidbar, wenn Erholungsnutzen, bei dem Stimmungen und Gefühle eine Rolle spielen, bewertet werden sollen. Die Kritik am V-Wert Der V-Wert wurde er von der Fachwelt begeistert aufgenommen, denn immerhin versprach er einigen strategischen Erfolg für den Landschaftsschutz im Rahmen der Raumplanung. Er wurde aber auch von Anfang an kritisiert. Die wesentlichsten Kritikpunkte waren, wie zu erwarten, dass hier unzulässigerweise Qualitäten quantifiziert würden und dass dies auch noch ungenau und mit versteckten Präferenzen geschehe. Dadurch werde Objektivität vorgetäuscht, was befürchten lasse, dass durch (die methodische) Vernachlässigung der Qualitäten die landschaftliche Nivellierung gefördert würde (vgl. Wormbs 1969). Demgegenüber kritisiert Bechmann diesen Grundwiderspruch des V-Wertes nicht auf- grund der Befürchtung, hier könnten Qualitäten nivelliert werden, sondern weil Kiemstedt den subjektiven Erfahrungscharakter des Landschaftserlebens letztlich doch anerkennt und den intuitiven Gehalt des Bewertens einräumt. Ob diese Schlussfolgerungen der Problem- lage der Landschaftsplanung bzw. dem Gegenstand Landschaft angemessen sind, wird von Bechmann nicht diskutiert. Sein Interesse ist rein methodologisch, d. h., es gilt dem V-Wert als Messverfahren. Als solches ist er fehlerhaft, weil er intuitive Anteile enthält: „Hier, wo es gilt, methodisch Farbe zu bekennen, tritt Kiemstedt die Flucht nach hinten an; der V-Wert wird zur subjektiven und damit gegen Kritik weitgehend immunen Bewertung erklärt. Die von Kiemstedt als qualitätsbescheinigende Instanz deklarierte praktische Verwendung eines Bewertungsverfahrens sagt jedoch letztlich wenig über seine inhaltlichen Qualitäten aus“ (Bechmann 1978, 305). Unter inhaltlichen Qualitäten versteht Bechmann im Gegensatz zu Wormbs aber die logische Stringenz des V-Wertes und nicht etwa seine Angemessenheit zur Erfassung landschaftlicher Qualitäten: „So ordnet Kiemstedt einerseits den V-Wert in der Menge der Messverfahren ein, indem die vorgenommene Quantifizierung vom V-Wert 87 für „beweisfähig“ erklärt wird, während er ihn andererseits zur subjektiven Bewertung her- abstilisiert. (Beide Einschätzungen enthalten vermutlich ein gerütteltes Maß an Strategie.)“ (ebd., 306). Damit werde der V-Wert zwar aus pragmatischen Gründen als wissenschaftlich und objektiv „verkauft“, basiere aber „wesentlich stärker auf Alltagswissen und Plausibili- tät als auf wissenschaftlicher Systematik“ (ebd.; Hervorhebungen S. K.). Diese Beurteilung ist, wie wir gesehen haben, zutreffend, denn der V-Wert wurde von Kiemstedt zunächst tatsächlich als Messverfahren vorgestellt. Auf den intuitiven Gehalt der Landschaftsbewertung wurde nicht methodisch reagiert und unterschwellig voraus- gesetzt, dass ein Messverfahren auch ein Bewertungsverfahren ist, weil die gewonnenen Elemente als arkadische schon den „kulturellen Geist“ enthalten, somit also werthaltig sind. Die Differenz von Erfassung des Objekts und dessen Bewertung hinsichtlich gesell- schaftlicher Belange beschreibt Bechmann aber als grundlegendes Charakteristikum von Planung (vgl. Bechmann 1981, 102 ff.). Kiemstedt hatte gezeigt, dass die am Besucherverhalten messbare Wertschätzung von Landschaften neben Gebrauchsaspekten im wesentlichen auf kulturellen Bedeutungen be- ruht, die er mittels seiner positivistischen Interpretation des Arkadienthemas auf bestimmte materielle Elemente der Landschaft als Ausdrucksträger reduziert hatte. Die Bedeutungen werden als Natureigenschaft genommen und müssen dann nur noch in ihrer räumlichen Ausdehnung gemessen werden, um ihren „Wert“ für die Erholung zu erfassen. So gesehen ist der V-Wert die Aggregation von Operationalisierungen Arkadiens auf der Objektebene mit der Unterstellung, dass beim Nutzer Arkadien auf die Erholung bezogen wird. Das ist zunächst unter den gegebenen politischen Randbedingungen bei allen Problemen in gewis- ser Weise plausibel. Problematisch ist daran, dass das beim Nutzer noch intensiver und un- abhängig untersucht werden müsste. Denn da Arkadien ein bildungsbürgerliches Ideal dar- stellt, wäre z. B. zu überprüfen, ob es für alle Bevölkerungsschichten gleich aussagekräftig und damit erholungswirksam ist. Es kann somit nicht als eine Quasinatureigenschaft des Objekts Landschaft vorausgesetzt werden, sondern ihre Bedeutung und ihre Verknüpfung mit Gebrauchswerten müsste weitergehend sozialwissenschaftlich untersucht werden. Dabei müsste festgestellt werden, ob der Zusammenhang von Landschaftselementen und Landschaftsrändern mit arkadischer Stimmung und Erholung ausreichend gesichert ist. Da die arkadischen Ausdrucksträger keine unveränderlichen Natureigenschaften von Land- schaft sind, sondern als kulturelle immer in individueller Gestalt auftreten, muss Kiemstedt den subjektiven Charakter der Landschaftserfahrung eingestehen. Daher provoziert er Bechmanns Kritik, weil er tätsächlich methodisch nicht Farbe bekennt, dazu aber aufgrund des Gegenstands Landschaft als ideellem Erfahrungsraum gezwungen wird. Bechmann kann dies nicht nachvollziehen, weil er lediglich das Bewertungsverfahren als Methode betrachtet und Kiemstedts Relativierung nur als Inkonsequenz wahrnimmt. Daher kritisiert Bechmann mit Recht die Tragweite der Messmethode. Diese Tragweite hängt aber auch von einer inhaltlichen Problemebene ab, die erklärt, welchen ideellen Raum Kiemstedt instrumentell verfügbar machen will und an welche Grenzen er dabei stoßen muss. Den- noch kann man Kiemstedt nicht pauschal Unwissenschaftlichkeit vorwerfen, denn er un- ternimmt den Versuch, das Landschaftserleben – so weit es geht – auf empirische Sach- verhalte zurückzuführen, ohne seinen subjektiven Erfahrungscharakter zu leugnen, und er benennt wenigstens das entstehende Dilemma. Seine Position kann als Beispiel für den Durchbruch des rationalen Paradigmas der modernen Landschaftsplanung als funktionale Planung nicht allein im Bereich einer Naturhaushaltsplanung, sondern auch im Bereich der 88 ästhetischen Erfahrung gelten. Das erkennen auch seine Kritiker an, denn die sich hierbei ergebenden Unstimmigkeiten werden von ihnen ausgehend von diesem Paradigma bemän- gelt. Dabei wird nicht erkannt, dass die auftretenden Ungereimtheiten der unvermeidliche Preis der Rationalisierung sind. Die Kehrseite der pragmatischen „Wertfreiheit“ Kiemstedts stellt aber eine bestimmte Reflexionslosigkeit dar, die sich im letztlich unangemessenen Umgang mit dem Gegen- stand des Fachs, der Landschaft als Ideal, zeigt. Es bestätigt sich damit der Verdacht von Wormbs, dass „die zweckrationalistische Maß-Nahme (...) sich mit unreflektierter Ideo- logie durchaus verträgt“ (Wormbs 1969, 20). Alle Warnungen vor der Verwechslung von symbolischem Wert und materieller Objektstruktur werden so offensichtlich ignoriert, dass dies nur noch einen Schluss zulässt: Hier soll das landespflegerische Praxisfeld gerettet werden, ohne dass man sich damit auseinandersetzen muss, dass Arkadien gewissermaßen die Basis moderner und weiterhin virulenter Interpretationen der Landschaft – etwa, wie bei Buchwald, – als „deutsche“ ist. Derartige Interpretationen werden mit dem Verweis auf das Alter des Arkadienthemas einfach als zeitbedingte „Modeerscheinungen“ ignoriert. Das erinnert an Kiemstedts Doktorvater Meyer, der in der Festschrift für Wiepking die Ver- strickung der Landespflege in die „Blut und Boden“-Ideologie als ein zeitlich begrenztes Intermezzo abtun wollte (vgl. Meyer 1963). Wie Kiemstedt (1967a, 19 ff.) verwies er auf den vorbildlich-pragmatischen Umgang anderer europäischer Völker mit der Landschaft, die sich nicht mit umständlicher Reflexionsarbeit belasten. Den Preis, den die Verwissenschaftlichung fordert, resümiert Kiemstedt selbst in einem allgemeiner gehaltenen Vortrag über die Rolle von Bewertungsverfahren als Planungs- grundlage, in dem auch das künftige Konzept des Naturpotenzialansatzes angedeutet wird: „Meßbarkeit hat ihre Grenzen. Die Rückführung von Qualitäten auf Quantitäten stößt dort an Schwellen, wo die Aussage zu unscharf oder gar verfälscht wird. Objektivierung von Entscheidungsvorgängen ist nicht unbedingt an Quantifizierung gebunden, noch weniger ausschließlich an finanzielle Maßstäbe. Ja, eine einseitig ökonomische Betrachtung muß sogar als ausgesprochen eindimensional bezeichnet werden angesichts der Vielfalt von As- pekten, unter denen unser Lebensraum zu sehen ist. Modelle und Methoden können nur so genaue Ergebnisse liefern, wie die eingegebenen Kriterien Genauigkeit besitzen. Deshalb können Ergebnisse z. B. durch die damit verbundene Fehlerwahrscheinlichkeit völlig auf- gehoben werden. Deshalb gibt es auch dem Objekt oder dem Datenmaterial unangemes- sene Quantifizierungsverfahren. Es muß auch Qualität als Maßstab gelten können. Gerade die Eigenart unserer Objekte verlangt, solche Kategorien in das allgemeine Wertsystem wieder einzuführen. Es gilt, dieser Gesellschaft Teilaspekte ihres Wertsystems wieder be- wußt zu machen, die nur deshalb vom Technisch-Ökonomischen überlagert sind, weil sie noch nicht oder nur in begrenztem Maße quantifizierbar sind. Das ist unsere Aufgabe. (...) Allerdings möchte ich mit diesen Einschränkungen meine bisherigen Ausführungen nicht widerrufen, sondern nur in angemessener Weise relativieren. Bewertungsverfahren bedeuten auch im Bereich der Landespflege Demokratisierung des Planungsprozesses und Voraussetzung für die Integration als Planungspartner. Die Tatsache, daß wir im Bereich natürlicher Gegebenheiten im starken Maße auf qualitative Umschreibungen angewiesen sind, sollte nicht als Vorwand dienen, den Forderungen nach Objektivierungen und Of- fenlegung des Sachverhalts auszuweichen. Erst die Akzeptierung dieser Notwendigkeit wird dazu verhelfen, die Bereiche glaubhaft auszugrenzen, die dem nicht zugänglich sind“ (Kiemstedt 1969, 157; Hervorhebungen S. K.). 89 Kiemstedt wiederholt hier noch einmal die gesamte Strategie der Landespflege nach dem Zweiten Weltkrieg: Man will die Gesellschaft weiterhin dahingehend verändern, dass man ihr transzendente Werte, die mit dem Symbol Landschaft verbunden sind, nahebringt, um so einem rein ökonomischen „Materialismus“ entgegenzusteuern. Dies soll aber „fortschritt- lich“ geschehen, indem man sich bemüht, so rational wie möglich zu argumentieren. Dabei entsteht jedoch das Dilemma der Landespflege, das auch Kiemstedt nicht aufheben konnte: Aufgrund der demokratischen Verhältnisse soll die Erfassung landschaftlicher Qualitäten, die sich gegen eine Verobjektivierung im Sinne des erfahrungswissenschaftlichen Paradig- mas sperren, rationalisiert werden. Es verbleibt jedoch ein nicht verobjektivierbarer Rest, der eigentlich das enthält, was in der Landespflege wesentlich ist, aber unter den gegebe- nen Umständen ausgegrenzt werden muss. Glaubhaft könnte dies nur geschehen, wenn die von der Landespflege vertretenen Werte, die die Landschaft repräsentiert, reflektiert würden, die landespflegerische Zivilisationskritik also zum Thema gemacht würde, statt sie – halb eingestanden, halb uneingestanden defizitär – zu modernisieren und unter dem Deckmantel der Rationalität auf beliebige Art und Weise zu erhalten. Die Landespflege wählte den Weg des scheinbar wertfreien und erfolgversprechenden Pragmatismus, weil auch ein enormer politischer Zwang dazu herrschte. Zudem war akuter Handlungsbedarf gegeben, denn die Landschaftszerstörung schritt im Zuge der Moderni- sierung und weiteren Industrialisierung unaufhaltsam fort. Daher mussten zunächst einmal die realen Repräsentanten der Ideallandschaft und damit musste überhaupt der Gegenstand der Landespflege gerettet werden, bevor man sich um eine Neuinterpretation der durch sie verkörperten Werte kümmerte. Die dem rationalen Kalkül nicht zugänglichen kulturellen Aspekte des Gegenstands Landschaft wurden daher mit Kiemstedts Worten nicht „glaub- haft ausgegrenzt“, indem die intuitiven Momente der Bewertung eigens methodisch aus- gewiesen worden wären, sondern diese Aspekte wurden in den Bereich der Motivation des einzelnen Planers bzw. der „scientific community“ verdrängt. Diese Verdrängung bleibt nicht ohne Konsequenzen, wie die Diskussion um das Vollzugsdefizit der Landschaftspla- nung und die Kritik der künstlerisch-gestalterischen Fachgebiete an der Verwissenschaft- lichung seit Ende der 70er Jahre zeigt. Hier werden wieder Argumente reformuliert, die schon Mattern vorgebracht hatte. Die Landschaftsplanung ist dem auf der konzeptionellen Ebene hilflos ausgeliefert (vgl. Eckebrecht 1991; Körner 1991), weil sie zwar die Mängel der Modernisierung benennt, sich aber ihrer Reflexion und Diskussion verweigert. Der landschaftsplanerische Pragmatismus erweist sich daher in diesem Punkt als unproduktiv. Diese an Kiemstedts Position deutlich gemachte Reflexionslosigkeit der Landespflege als instrumentell-nutzenorientierter Planung wird ein wesentlicher Anknüpfungspunkt der so- zialwissenschaftlich orientierten Freiraumplanung darstellen. Denn das landespflegerische Wissenschaftsverständnis wird von ihr angegriffen, weil sie mit guten Gründen unter der Oberfläche der Sachlichkeit die Existenz von Ideologielementen vermutet, die sich in den konkreten Planungen zeigen. Ihr ideologiekritischer Ansatz richtet sich darauf, anhand der Planungen derjenigen, die im Dritten Reich und der Nachkriegszeit einflussreich waren – wie Meyer und vor allem Wiepking – Einflüsse rassistischen Denkens nachzuweisen. Es soll der Nachweis geführt werden, dass in der Landespflege und Landschaftsplanung gesellschaftliches und soziales Zusammenleben nach wie vor von seiner „Natürlichkeit“ her bestimmt und die Landschaft als ihr Ausdruck und Maß betrachtet wird. Damit sol- len ideologische Kontinuitäten aus der nationalsozialistischen Landespflege in der Land- schaftsplanung nachgewiesen werden. Das dem landschaftsplanerischen Naturalismus 90 entgegengesetzte Ideal der Landschaft bleibt weiterhin dem Bild Arkadiens als Utopie friedlich-paradiesischer Lebensverhältnisse in der unentfremdeten Gesellschaft verhaftet. In der Verwirklichung dieser Utopie in der Erholungsplanung soll – wie vor allem die Arbeiten Nohls zeigen – die Emanzipation derjenigen, die bislang lediglich Objekte von Planungen waren, verwirklicht werden. Literatur BECHMANN, A. 1978: Nutzwertanalyse, Bewertungstheorie und Planung. Bern/Stuttgart. BECHMANN, A. 1981: Grundlagen der Planungstheorie und Planungsmethodik. Bern/Stuttgart. DINNEBIER, A. 1996: Die Innenwelt der Außenwelt. Die „schöne“ Landschaft als gesellschaftsthe- oretisches Problem. Berlin. ECKEBRECHT, B. 1991: Die Entwicklung der Landschaftsplanung an der TU Berlin – Aspekte der Institutionalisierung seit dem 19. Jahrhundert im Verhältnis von Wissenschaftsentwicklung und traditionellem Berufsfeld. In: EISEL, U.; SCHULTZ, S. (Hrsg.): Geschichte und Struktur der Landschaftsplanung. Berlin. 369-424. EISEL, U. 1989: Gesellschaftswissenschaftliche Grundlagen der Landschaftsplanung. Vorlesungs- skript des Fachgebiets Sozialwissenschaftliche Humanökologie am FB 14 der TU Berlin. EISEL, U. 1997: Triumph des Lebens. Der Sieg der christlichen Wissenschaft über den Tod in Arka- dien. In: EISEL, U.; SCHULTZ. H.-D. (Hrsg.): Geographisches Denken. Kassel. FAUTH, W. 1979: Der königliche Gärtner und Jäger im Paradeisos. Beobachtungen zur Rolle des Herrschers in der Vorderasiatischen Hortikultur. Persica. Jaarboek voor het Genootschap Ne- derland-Iran. Annuaire de la Société Néederlando-Iranienne. No. VIII. 1-53. GLEICHMANN, P. 1963: Sozialwissenschaftliche Aspekte der Grünplanung in der Großstadt. Göt- tinger Abhandlungen zur Soziologie, Band 8. Göttingen. HARD, G. 1965: Arkadien in Deutschland. Die Erde. Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin 96 (1): 21-41. HENNEBO, D.; HOFFMANN, A. 1962: Geschichte der Deutschen Gartenkunst. Bd. 1: Gärten des Mittelalters. Hamburg. VON HOLLEN, B. 1991: Vom Bild zur Natur. Der Ursprung der landschaftlichen Wahrnehmung im Landschaftsgemälde: Zur Vermittlungsfunktion des frühen englischen Landschaftsgartens für die Erfahrung der englischen Landschaft. Diplomarbeit am FB 14, TU Berlin. KIEMSTEDT, H. 1967a: Zur Bewertung der Landschaft für die Erholung. Stuttgart. KIEMSTEDT, H. 1967b: Zur Bewertung von Erholungsgebieten nach ihrer Ausstattung mit natürli- chen Landschaftselementen. Das Gartenamt 16 (5): 213-217. KIEMSTEDT, H. 1969: Bewertungsverfahren als Planungsgrundlage in der Landschaftspflege. Landschaft und Stadt 1 (4): 154-158. KIEMSTEDT, H. 1972: Zur Landschaftsbewertung für die Erholung. Veröffentlichungen der Akade- mie für Raumforschung und Landesplanung. Hannover. 33-44. 91 KÖRNER, S. 1991: Das Theoriedefizit der Landschaftsplanung: Eine Untersuchung am Beispiel der aktuellen Diskussion am FB 14, Landschaftsentwicklung, an der Technischen Universität Ber- lin. In: EISEL, U.; SCHULTZ, S. (Hrsg.): Geschichte und Struktur der Landschaftsplanung. Berlin. 425-473. KÖRNER, S. 2001: Theorie und Methodologie der Landschaftsplanung, Landschaftsarchitektur und Sozialwissenschaftlichen Freiraumplanung vom Nationalsozialismus bis zur Gegenwart. Ber- lin. MATTERN, H. 1968: Evolution of leisure time activities and their use of natural landscape. Ver- öffentlichungsreihe des Instituts für Landschaftsbau und Gartenkunst der TU Berlin, Nr. 25. 1-20. MATTERN, H. 1970: 200 Jahre Vorsorge; Entwicklung der Umwelt in Berlin. Veröffentlichungsrei- he des Instituts für Landschaftsbau und Gartenkunst der TU Berlin, Nr. 30. 1-20. MEYER, K. 1963: Über den Bauern im Leitbild der Raumordnung. In: BUCHWALD, K.; LEND- HOLT, W.; MEYER, K. (Hrsg.): Festschrift für Heinrich Friedrich Wiepking. Stuttgart. 120- 140. NAGEL, A. 1997: Das Heilsversprechen der Natur. Die Auflösung der Aporie von künstlerischer Freiheit und Nachahmung der Natur im christlichen Humanismus am Beispiel der Theorie der Gartenkunst‘ von C. C. L. Hirschfeld. Diplomarbeit am FB 7, TU Berlin. WORMBS, B. 1969: Zur Erfassung und Bewertung der Landschaft. ARCH + 2 (6): 19-18. 92 LANDSCHAFTLICHE VIELFALT MIT UND OHNE SINN Über den Nutzen einer Methode in der Landschaftsplanung und im Naturschutz Ulrich Eisel Der Anspruch, die Schönheit der Landschaft zu messen, ist im Wesen der Moderne sowie – im engeren Sinne – der Demokratie begründet. Die Demokratie ersetzt personale Herr- schaft und die politische Geltung von Transzendenz, also von Religion, durch Sachlichkeit. Wenn das Volk die Macht hat, muss im Idealfall jeder Bürger eines Staates die Sachver- halte überblicken, die zur Entscheidung anstehen. Es gibt einen Zwang dieses politischen Systems, alle Ereignisse in intersubjektiv kommunizierbarer Form zu präsentieren; und die Argumente müssen eine empirische Basis in Tatsachen haben. Andernfalls sind keine vernünftige Diskussion und keine Konsensbildung möglich. Alles, was zuvor der Wille eines Souveräns, gestützt durch die Gnade Gottes, war, ist nun ein gemeinsamer Entschei- dungsprozess unter formal Gleichen. Aus dem Befehl wird der Diskurs, und geoffenbarter Sinn wird zu Nutzen und/oder Funktion. Die Institution, die in der Lage ist, die Sachverhalte für alle in vergleichbarer Form zur Verfügung zu stellen, ist die Wissenschaft. Sie liefert der Gesellschaft die nüchterne Welt der Tatsachen; darüber kann dann abgestimmt werden. Dieser Grundstruktur demokratischer Gesellschaften konnte sich die Landschaftsplanung nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr entziehen. Sie bemühte sich im Gegenteil, ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit einen vernünftigen Neuanfang entgegenzustellen. Das führte zu der bis heute andauernden Gegnerschaft zwischen „rationaler ökologischer Planung“ einerseits und „Gestaltung“ bzw. „Objektplanung“ in der Landschaftsarchitektur andererseits1 – ist aber, zumindest mit einigem Abstand, verständlich. Die Wendung zur Ökologie erklärt sich viel weniger aus der Brisanz der Umweltkrise, wie der Vorgang heute politisch geschönt wird, als aus der Möglichkeit, Landschaftsplanung wissenschaftlich zu betreiben. Deshalb war die demokratische Politisierung des Faches nahezu identisch mit seiner Ökologisierung. 1 Daran wird sich langfristig auch nichts ändern, wenn die Chaostheorie, Transdisziplinarität, fraktale Geometrie, dissipative Strukturierung oder vergleichbare Rezepte von theoretischen Wunderheilern bemüht werden, um die Idee der Landschaft und den architektonischen Entwurf- sprozess in ein neues Licht zu rücken (Prominski 2004). Gesellschaftliche Praxisfelder wie die Umweltplanung oder aber die Landschaftsarchitektur richten sich nicht nach solchem wissen- schaftstheoretischen Hokuspokus. Die Irrelevanz der Argumente, die Prominski ins Feld führt, um die realistische Anerkennung der Divergenz von Planung und Architektur als hinterwäldle- risch und obsolet erscheinen zu lassen, ergibt sich daraus, dass der institutionelle und episte- mologische Widerspruch zwischen so genannter rationaler Planung und individuell entwerfender Gestaltung der Möglichkeit widerspricht, ihn einfach theoretisch aufzuheben. Dass 93 In diesem Prozess der Verwissenschaftlichung ging das Bild der Landschaft nicht auf. Die- se Seite der „Idee der Landschaft“ war das Bollwerk der Landschaftsarchitektur gegen die expandierende „moderne Landschaftsplanung“. Deshalb unternahm Hans Kiemstedt 1967 den Versuch, dieses Bollwerk zu Fall zu bringen. Ich werde im Folgenden die Landschaftsbildanalyse kritisch untersuchen. Ich werde aber nicht die abstrakte Haltung der Quantifizierungskritik einnehmen. Im Gegenteil: Ich halte die Entwicklung des V-Werts zum Zeitpunkt seines Auftauchens für ein völlig konsequentes und auch vernünftiges Vorhaben. Die praktische Erfolglosigkeit des Verfahrens sollte nicht über seinen systematischen Stellenwert hinwegtäuschen. So können denn auch die von mir gegen den V-Wert geltend gemachten Argumente auf viele – ich vermute sogar alle – der auf ihn gefolgten Weiterentwicklungen der Landschaftsbildbewertung übertragen werden; architektonisches Entwerfen rationale Komponenten sowohl im Denken als auch bei der Da- tenbeschaffung enthält, und dass Umweltplaner sich sowohl heuristisch als auch beim Trouble- shooting intuitiv leiten lassen, hat nichts damit zu tun, dass die Grundstruktur ihrer Praxis ganz unterschiedlich orientiert ist. Wenn es nun Theorien gibt, die auf einer übergreifend konstruierten Ebene angesiedelt sind und die Gemeinsamkeit jener divergierenden Praxen abstrakt als in der Existenz dieser Ebene aufgehoben zu erklären erlauben, ermöglicht das noch lange nicht, diese Praxen auch in jener ganz anderen Welt stattfinden zu lassen. Dass es Theoriediskurse gibt, die durch ihre Problemwahl klassische Dichotomien der Wahrnehmung oder Ideenbildung produktiv unterlaufen, erlaubt nicht zu folgern, dass die gesellschaftliche Existenz und Relevanz der Ele- mente der Dichotomien obsolet wären. Jene neu gewählten Ebenen konstituieren immer auch ein neues Realitätsfeld mit eigenen Gesetzen; in diese neue Welt ist die damit überwundene nicht per se praktisch transformiert. Ein Beispiel mag das verdeutlichen: Bertalanffy hat in sei- nem Versuch, die Divergenz zwischen Mechanizismus und Vitalismus aufzuheben, die Theorie offener Systeme und des Fließgleichgewichts erfunden. Diese Theorie ist valide (wie auch z. B. jene angeführten Theorien) und für spezifische Problemlagen eine vernünftige Abstraktion. Das hat aber nicht dazu geführt, dass die praktischen Handlungsfelder, die durch mechanische oder organische Gesetzmäßigkeiten bestimmt sind, nun alle abgeschafft oder umgedeutet worden wären. Ebensowenig wurde im Common Sense der Widerspruch zwischen mechanisch und or- ganisch, also Maschine und Leben, aufgehoben. Kein Mensch denkt nun – „korrekt“ – in gemein- samen „Fließgleichgewichten“, wenn er ein Auto mit einem Rosenbusch vergleicht. Und Gärtner werden ebensowenig wie Automechaniker offene Systeme strukturieren – auch wenn sie das faktisch tun. Denn das Paradigma ihres Wissens und ihrer Fertigkeiten ist an die Idee des Orga- nismus/Lebens bzw. der Maschine gebunden. Die Erkenntnis, dass es dort Fleißgleichgewichte gibt, nützt ihnen absolut nichts. Denn diese richtige neue Theorie ist relevant nur als theoretische Abstraktion von dem, was lebenspraktisch und kulturell erfahrbar ist. „Praktizierbar“ ist sie selbst nicht. Ein anderes Beispiel: Die Informationstheorie und die Semiotik haben die klassische Sub- jekt-Objekt-Problematik der Erkenntnis „überwunden“. Sie thematisieren die Erkenntnisrelation des Subjekts gegenüber einem Objekt aus der Perspektive der Zeichenfunktionen zwischen ihnen. Daraus folgt aber nicht, dass Erkenntnisprozesse von Menschen gegenüber Objekten einfach abgeschafft und auch unnötig seien, weil sie erstens auf einer überholten Fragestellung beruhen und zweitens durch die Computertechnik überholt sind. Diese neue Realität jener The- orien ist kein Ersatz für neugierige Menschen, sondern sie ist hinzugekommen zur Praxis der Erkenntnisleistungen. Dass diese Leistungen durch solche Theorien zudem eine neue Erklärung fanden, ist eine ganz andere Sache. So wird es wohl dabei bleiben, dass Umweltplaner und Na- turschützer in anderen Büros und Verwaltungen, mit anderen Theorien und Methoden, mit ande- ren Zielsetzungen und mit ganz anderen Attitüden und Weltsichten ihren Beruf ausüben werden als entwerfende Landschaftsarchitekten – Kritik des kausalen Wissenschaftsverständnisses hin 94 oder zumindest können sie als Maßstab zur Beurteilung jener Neuerungen herangezogen werden. Denn einerseits wurden und werden die Bewertungen letztlich doch intuitiver und individueller getroffen, als es vom Verfahren her vorgesehen und zulässig ist. Diese metho- dische Inkonsistenz spiegelt einen Widerspruch zwischen Objekt und Methode und führte zur Weiterentwicklung der Bildbewertungsverfahren. Es wurden „Leitbilder“ für Land- schaften entwickelt. Die Methode wurde gewissermaßen inhaltlicher. Aber andererseits haben die frühen mit den neueren Bewertungsverfahren eines gemeinsam: Sie müssen eine Qualität durch Standardisierung zur „Sache“ machen, die sich dem spontanen Gefühl der Menschen zufolge gerade nicht ohne den Verlust ihres Wesens zur Sache machen lässt. Das Sakrileg ist aber jener politischen Logik geschuldet. Das Dilemma dauert fort. Meine These lautet: Die üblichen Vorwürfe gegen die Landschaftsbildanalyse sind irre- levant. Sie schlagen einen Pappkameraden tot. Auf der anderen Seite steht: In der Land- schaftsbildanalyse wird gar nicht gemessen, was gemessen werden soll, wenngleich dieser Mangel nicht darauf beruht, worauf jene Kritik hinweist. Es liegt also so etwas wie eine mehrschichtige Fiktion vor, in der die an einem Selbstmissverständnis leidende Land- schaftsbildanalyse von den Kritikern auf Basis dieses Missverständnisses unter Zuhilfe- nahme irrelevanter Kriterien notwendigerweise falsch kritisiert wird. Diese Verwirrungen sollen aufgeklärt werden. Ich werde die Landschaftsbildanalyse immanent diskutieren; es wird dabei erstens um die Logik ihrer Grundbegriffe und um einen Vergleich dieser Logik mit ihren Ansprüchen gehen. Zweitens werden die Vorwürfe, die ihr gemacht wurden, im Rahmen dieser Logik diskutiert. Das wird dazu führen, dass der Begriff der Vielfalt im Kontext der Urteilsformen diskutiert wird (vgl. ergänzend zu einer Diskussion dieses Be- griffs Eisel 2006). Das hat mehrere Aspekte: Teil 1: Die Idee der Vielfalt im Kontext der Landschaftsbildanalyse - Was wird in der Landschaftsbildanalyse gemessen? - Ist Vielfalt ein Aspekt von Schönheit? - Wie verhält sich Vielfalt zu Zwecken? - Vielfalt braucht Einheit. - Die Kultur der Vielfalt. - Gibt es eine formale Einheit von Vielfalt? - Ideale Typen, reale Typen und Sozialwissenschaft. Sodann werde ich in einem zweiten Teil Vielfalt in den Kontext stellen, in dem sie ästhe- tische Bedeutung hat. Teil 2: Landschaft und kultureller Sinn: die humanistische Ästhetikkonzeption - Vollkommenheit: Maß des Typischen. - Schönheit: Ausdruck des Absoluten. - Schönheit als historisches Entwicklungsprinzip. - Kultur durch Seelenverwandtschaft. - Kant oder Herder? Transzendentalphilosophie und metaphysische Empfindung können nicht empirisch gegeneinander ausgespielt werden. - Vielfalt ist nicht pluralistisch. 95 Teil 1: Die Idee der Vielfalt im Kontext der Landschaftsbildanalyse Was wird in der Landschaftsbildanalyse gemessen? In der Landschaftsbildanalyse soll die Erholungseignung der Landschaft gemessen werden. Hypothese 1: Schöne Landschaft ist erholungswirksam. Folgerung: Also muss Schönheit gemessen werden. Hypothese 2: Die Elemente der Landschaft, die Schönheit mit sich führen, müssen identi- fiziert und auf einer Nominalskala abgebildet werden. Hypothese 3: Durchgängiges Maß für Schönheit der Elemente ist ihre Vielfalt. Folgerung 1: Vielfalt ist erholungswirksam. Folgerung 2: Werte für Vielfalt müssen gemessen werden. Die Ausgangshypothese besteht darin, dass es die Schönheit der Landschaft ist, die erholt, und Schönheit eine zentrale ästhetische Kategorie ist. Daraus wird gefolgert, mit der nach- folgenden Operationalisierung durch Vielfalt sei die ästhetische Qualität der Landschaft messbar gemacht worden. Das heißt umgekehrt, seitens der Gegner wird gefolgert, dass mit dem intuitiv geltend gemachten Misserfolg solcher Operationalisierung der Nachweis erbracht sei, ästhetische Urteile könnten nicht intersubjektiv zugänglich gemacht werden. Ich bestreite sowohl, dass mit Vielfalt etwas Ästhetisches gemessen wird, als auch, dass dies unangemessen geschieht. Die Vertreter der Landschaftsbildanalyse haben den Bezug auf die Schönheit auch nie programmatisch hervorgehoben; das hat sich eher durch die Unterstellung der Kritiker eingeschlichen. Der Fehler auf Seiten der Landschaftsbildanaly- tiker besteht eher darin, dass dieser Anspruch nie klar und theoretisch zwingend dementiert wurde. In der Landschaftsbildanalyse sollte nie etwas Ästhetisches gemessen werden, so- mit konnte auch nie etwas Ästhetisches unzureichend gemessen werden. Eignung ist ein Nutzenkalkül, bezieht sich auf Zwecke und Bedürfnisse, kann also nie- mals interesseloses Wohlgefallen thematisieren. Das aber wäre Voraussetzung für das Ur- teil über Schönheit. (Dieser Aspekt wird im nächsten Abschnitt behandelt.) Im Fall der Landschaftsbildanalyse hingegen wird etwas als gut funktionierendes Mittel geschätzt. Ob das Vielfalt ist oder ein Hammer, ist egal. Die beobachtete Relation zwischen Mensch und beurteiltem Objekt ist instrumentell. Das Messverfahren gehört zu den explizit so be- zeichneten „Instrumenten“ der „Nutzwertanalyse“ aus der Landschaftsplanung. Auf diesen Status der Landschaftsbildanalyse hat keinen Einfluss, dass dort durchaus die Hypothe- se enthalten ist, dass dieser Nutzen in der Wirksamkeit von landschaftlicher Schönheit, welche sich aus Vielfältigkeiten zusammensetzt, bestehe. Diese Hypothese stellt ein ganz unabhängiges Problem dar und muss getrennt von der Validität des nutzwertanalytischen Status der Landschaftsbildanalyse überprüft werden. Wenn diese Hypothese zutrifft, ist die Landschaftsbildanalyse gerettet, dies aber nicht deshalb, weil nun doch gezeigt ist, dass es ihr gelänge, ästhetische Urteile messbar zu machen, sondern weil es ihr gelingt, die Eig- nung von Vielfalt für Erholung zu messen. Woher kommt aber die These, dass letztlich Vielfalt der Aspekt ist, der die unterschiedli- chen Schönheiten von unterschiedlichen Landschaften verbindet? Das kann keine These sein, die sich auf die Ästhetiktheorie beruft, denn dort ist Schönheit einfach ein reflektiertes Gefühl des Wohlgefallens. 96 Trotzdem kann man sich dem Argument nur schwer entziehen, d. h., das Argument ist em- pirisch intuitiv sehr stark. Also mache ich es einmal theoretisch stärker: Die Unterstellung in der Landschaftsbildanalyse lautet ja nicht, dass nur Vielfalt schön sei, sondern dass sie – neben allem Möglichen, was auf der Welt sonst noch als schön empfunden werden könne – auf jeden Fall schön sei. Damit wäre sie keine notwendige, aber eine hinreichende Bedingung für Schönheit. Es gilt dann nicht: immer dann, wenn Schönheit, dann auch Vielfalt. Aber immerhin gilt: immer dann, wenn Vielfalt, dann auch Schönheit. Das könnte manchmal zu Unrecht zu ungunsten einer Gegend im Vergleich mit anderen ausgehen, weil eine nicht vielfältige, aber dennoch schöne Szenerie den Test nicht bestünde, aber im Rahmen von Naherholungsproblemen in Mitteleuropa wäre das sicher selten der Fall. Ist nun aber damit – allen Kritikern zum Trotz – bestätigt, dass mit dem Vielfältigkeitswert eine ästhetische Dimension der Landschaft operationalisiert und gemessen wird? Ich erinnere noch einmal an die Formulierung, in der ich die Schönheit der Vielfalt wieder stark zu machen begonnen hatte. Dort hatte ich gesagt, wir könnten uns nicht der Empfin- dung entziehen, Vielfalt schön zu finden. Das war eine Unterstellung, um den Unterschied zwischen notwendiger und hinreichender Geltung besprechen zu können. Letztlich be- streite ich, dass wir Vielfalt ästhetisch beurteilen. Ich vermute stattdessen, dass wir Vielfalt schätzen, d. h. vor allem gut finden. Wir formulieren und fühlen das nur ungenau. Daraus entsteht allerlei Konfusion in der Diskussion über die Landschaftsbildanalyse. Formulieren wir es genauer. Wenn man etwas genau wissen will, fragt man am besten bei Kant nach. Das führt uns zum nächsten Aspekt. Ist Vielfalt ein Aspekt von Schönheit? „Das Angenehme, das Schöne, das Gute bezeichnen also drei verschiedene Verhältnisse der Vorstellungen zum Gefühl der Lust und Unlust, in Beziehung auf welches wir Gegen- stände, oder Vorstellungsarten, voneinander unterscheiden. (…) Angenehm heißt jeman- dem das, was ihn vergnügt; schön, was im bloß gefällt; gut, was geschätzt, gebilligt … wird. (…) Man kann sagen: daß, unter allen diesen drei Arten des Wohlgefallens, das des Geschmacks am Schönen einzig und allein ein uninteressiertes und freies Wohlgefallen sei; denn kein Interesse, weder das der Sinne, noch das der Vernunft, zwingt den Beifall ab. Daher könnte man von dem Wohlgefallen sagen: es beziehe sich in den drei genannten Fällen auf Neigung, oder Gunst, oder Achtung. Denn Gunst ist das einzige freie Wohlge- fallen“ (Kant 1968, § 5, B 14, 15). Im Unterschied zum freien Wohlgefallen am Schönen gilt: „Gut ist das, was vermittels Vernunft, … gefällt. Wir nennen einiges wozu gut (das Nützliche), was nur als Mittel gefällt; ein anderes aber an sich gut, was für sich selbst gefällt. In beiden ist immer ein Begriff des Zwecks, mithin das Verhältnis der Vernunft zum (wenigstens möglichen) Wollen, folglich ein Wohlgefallen am Dasein eines Objekts oder einer Handlung, d. i. irgendein Interesse, enthalten“ (ebenda, § 4, B 10). Durch seine Zweckgebundenheit hat das Gute „eine Beziehung auf das Begehrungsvermögen“, das ist ein „praktisches Wohlgefallen“ (ebenda, § 5, B 14). Kant sortiert hier das, was wir im alltäglichen Sprechen in der Regel vermischen und ver- wechseln. Vor allem die moderne Szenesprache überspringt solche Feinheiten wie die zwi- schen Vergnügen, Gefallen und Billigung bzw. zwischen Neigung, Gunst und Achtung ohne weiteres. Viele finden, dass ein Schokoladeneis genauso „echt klasse“ oder auch „cool“ ist wie ein Blick vom Grimselpass aufs Lauteraarhorn oder wie ein gut schneidendes Kü- 97 chenmesser oder aber die mutige Tat eines Lebensretters. (Die Aufzählung entsprach der Abfolge: angenehm, schön, nützlich, an sich gut.) Äquivalente sind „super“, „toll“ und – neuerdings täglich in Fernsehinterviews, überwiegend von jungen Sportlern – „geil“, mit den Steigerungen „voll“, „super“, „mega“, „giga“. Ich bin sicher, dass mit dieser Entdif- ferenzierung der Sprache auch eine Entdifferenzierung der Gefühle einhergeht; das ist ein kulturelles Desaster – aber das war jetzt nur eine persönliche Bemerkung von mir und soll uns nicht weiter beschäftigen. Kant unterscheidet zwischen dem Schönen, das ohne alles Interesse gefällt, das also ein freies Wohlgefallen ist und eine Gunst, die dem Objekt eingeräumt wird, auf der einen Seite und dem Guten, das auf ein vernünftig begriffenes Begehren zurückgeht, aus einem Interesse heraus geschätzt wird und Achtung genießt, auf der anderen Seite. Das können wir für die Landschaftsbildanalyse gebrauchen. Wenn wir uns vor Augen hal- ten, dass es das Ziel dieses Verfahrens ist, die Erholungseignung einer Landschaft zu mes- sen, dann kann kein Zweifel bestehen, dass es sich darum handelt, das Urteil zu fällen: „Ist gut geeignet“ oder aber „ist schlecht geeignet“. Daraus folgt, dass wir das ganze Gerede darüber, dass der V-Wert das ästhetische Anliegen an der Landschaft vergewaltige, verges- sen können. Die Haltung der Erholungssuche ist allerdings nicht zwingend und das einzig mögliche Motiv, mit dem man sich in die Landschaft hineinbegeben kann. Ich z. B. bin sehr oft im Hochgebirge, aber auch in anderen Landschaften unterwegs, und ich bin mir nicht ganz sicher, warum ich mich in die Natur begebe. Aber eines ist gewiss: nicht, um mich zu er- holen. Es ist eher umgekehrt: Wenn die Luft kühl ist und die Sonne in den klaren Himmel steigt, oder wenn der Himmel in fahlem Grau über der Welt hängt, oder wenn sich jenes blaugraugrüne Orange des abendlichen Horizonts einstellt, dann halte ich es in Häusern nicht mehr aus. Es geht um mein Verhältnis zum Licht und um die Berührung der Luft, nicht um Erholung. Ich will nichts von der Landschaft und der Natur, sondern meine Seele kann ihrer Verführungskraft nicht widerstehen. (Warum ich zudem vor allem Fels- und Eiswüsten bevorzuge, ist noch einmal ein zusätzliches Thema.) Ich glaube nicht, dass das nur mir so ergeht. Viele Menschen mögen dieser Faszination durch Atmosphären ausgeliefert sein. Aber um all das kümmert sich die Landschaftsbild- analyse nicht. Sie ist gezwungen, komplizierte und vielfältige Mensch-Natur-Beziehungen auf Erholungssuche – die es natürlich auch gibt – zu reduzieren. Das mag der Hintergrund dafür sein, dass es immer wieder solchen Unmut der Naturliebhaber gegenüber diesem Messverfahren gibt: Sie fühlen, dass ihr Anliegen gar nicht gemessen wird. Das formu- lieren sie als Verdacht, man könne ästhetische Urteile nicht quantifizieren. Dieser Ver- dacht mag stimmen, aber ich glaube, dass das gar nicht das Problem ist. Zunächst entsteht Durcheinander dadurch, dass sie implizit das Kriterium der Vielfalt als ästhetisches Maß akzeptieren. Sodann kommt hinzu, dass sie glauben, es sei tatsächlich landschaftliche Viel- falt, die – wenn auch frevelhaft – gemessen werde. Sie vermuten nicht etwa einen Etiket- tenschwindel, nämlich dass weder Vielfalt Schönheit operationalisiert, noch dass Vielfalt gar nicht gemessen wird. Stattdessen artikulieren sie das übliche kulturelle Vorurteil der Konservativen gegenüber Abstraktionsprozessen durch Quantifizierung. Ich fasse diesen Baustein zusammen: Schönheit ist ein interesseloses Wohlgefallen. Die Gewissheit des Urteils ergibt sich beim Urteilenden aufgrund einer für ihn unabweisbaren Lust an den Formen eines Gegenstandes (Kant 1968, § 4), nicht der an dessen Zweck. 98 Somit ist das Urteil subjektiv begründet, führt aber einen intuitiven Anspruch auf Allge- meingültigkeit mit sich. Denn der Urteilende weiß zwar, dass dieses Gefühl nicht für alle Menschen gelten muss, aber er fühlt sich selbst in diesem Moment dennoch so, als sei die ganze Welt mit ihm eins (vgl. ebenda, § 20-22, § 36-40). Von Vielfalt der Formen ist nir- gends die Rede; es kann ebenso gut deren Abwesenheit ein solches Wohlgefallen erzeugen – der russische Suprematismus und die amerikanische Minimal- bzw. Pop-Art haben in der Kunst mit diesem Prinzip gearbeitet. In der Landschaftsbildanalyse soll Erholungseignung gemessen werden. Eignung ist eine Kategorie des Zweckbezugs. Urteile, die auf Zwecke bezogen sind, fallen nicht unter die ästhetischen Urteile. Sie gehören entweder zu den teleologischen oder den praktischen Ur- teilen. Die Frage nach der Eignung von Schönheit, z. B. landschaftlicher Schönheit, für Er- holung ist eine vernünftige Frage, denn sie folgt zunächst einer vernünftigen, praktischen Fragestellung. Sie ist zu unterscheiden von der Frage, ob Vielfalt schön ist. Das mag sie sein, aber es lenkt von der eigentlichen Frage ab. Die lautet: Wird bei der angeblichen Mes- sung des Nutzens von Schönheit durch Vielfalt überhaupt Vielfalt gemessen? Das heißt, es interessiert nicht die Frage danach, ob das Programm der Landschaftsbildanalyse vernünf- tig ist, sondern danach, ob die Operationalisierung des Programms vernünftig ist. Wie verhält sich Vielfalt zu Zwecken? Die Einführung der Kategorie Vielfalt hat die Funktion, den Aspekt der Schönheit auf der Seite subjektiven Empfindens auf messbare Eigenschaften zu übertragen, die einem Objekt anhaften. Denn das Urteil der Schönheit ist ja ein auf Lust basierendes Gefühl des Subjekts, das nicht mit verbindlichem Ergebnis diskutiert werden kann. Es ist demzufolge nicht intersubjektiv überprüfbar. Dennoch soll der Nutzen des Gefühls messbar gemacht werden. Deshalb muss das Gefühl an Eigenschaften eines Objekts festgemacht werden, die messbar sind. Formuliert wird die empirische Hypothese, dass ein Objekt Landschaft, das Vielfalt enthält, das Urteil „ist schön“ garantiert. Daraus folgt: Die Vielfalt des Objekts nützt für Erholung, da aus Schönheit auf der Seite des subjektiven Gefühls Erholung folgt. Wenn das zutrifft, braucht man sich um die Subjektivität und Lustbetontheit des ästheti- schen Urteils nicht mehr zu kümmern; man kann stattdessen dann einfach am Objekt des- sen Vielfalt beobachten und dies auf Basis intersubjektiver Messmethoden. Wie wird Vielfalt gemessen? Die für die Landschaft signifikanten formalen Gestaltwechsel werden gezählt. Das sind z. B. die geomorphologische Reliefenergie, die Anzahl der Richtungswechsel im Verlauf linearer Landschaftselemente, wie Waldränder, Bäche oder Flussufer, oder das Vorkom- men von verstreuten Objekten und Objektgruppen, wie Hecken, Bäumen, Baumgruppen usw., die als Flächengliederung wirken. Das ist plausibel, denn man kann sich Vielfalt ganz gut als Menge derjenigen sichtbaren Eckpunkte oder Flächenbegrenzungslinien vorstellen, die potenziell gleichförmige Linien, Flächen oder Körper optisch in Teilformen auflösen. Alles, was lange Geraden und große ebene Flächen in kleinteilige geknickte Strecken oder differenzierte Kontinua und Polyeder überführt, könnte als ein Element von allgemeiner Vielfalt begriffen werden. Wie die Messwerte ins Verhältnis gesetzt werden und eine Wert- kennziffer errechnet wird, interessiert uns nicht. Wichtig ist, was gemessen wird. Diese Knickpunkte, relativen Höhenunterschiede und gestreuten Objekte garantieren Kleinteiligkeit. Und Kleinteiligkeit garantiert angeblich Erholungseignung. Durch die 99 Operationalisierung von Vielfalt ist das Objekt auf den Nutzen für die Subjekte bezogen. Ich bezweifle, dass eine solche Operationalisierung stattfindet. Es wird nämlich nicht Viel- falt gemessen, sondern Vielzahl, die Vielzahl von spezifisch definierten Elementen. Das scheint haarspalterisch zu sein, ist es aber nicht. Der Nutzenkalkül betrifft die Ebene der Zweck-Mittel-Relationen und ist im instrumentellen Sinn funktional. Entsprechend wird mit dem Objekt der Messung das veranstaltet, was dem Messverfahren dienlich ist: Einzel- elemente werden geeignet definiert, und deren Messwerte werden räumlich aggregiert. Das ergibt den Nutzen eines Raumes, denn die aggregierten Werte sind „Nutzwerte“. Vielfalt gehört aber gar nicht der Welt des Nutzens und der instrumentellen Funktionen an. Nutzen ist – wenn man im Definitionsrahmen der kantischen Unterscheidungen zwi- schen ästhetischen und auf Zwecke bezogenen Urteilen bleiben will – das „mittelbar Gute“ (ebenda, § 4, B 13) oder auch die „äußere Zweckmäßigkeit“ (ebenda, § 15, B 44). Demge- genüber ist Vielfalt auf Selbst- und Endzwecke bezogen. Vielfalt braucht Einheit Dieser Zusammenhang soll kurz erläutert werden: Der „äußeren“ Zweckmäßigkeit steht die „innere Zweckmäßigkeit“ gegenüber. Die verweist auf „die Vollkommenheit des Ge- genstandes“ (ebenda, § 15, B 44). Vollkommenheit ist das, was „an sich gut“ ist, „was für sich selbst gefällt“ (ebenda, § 4, B 10 und § 15, B 44). Das, was nicht für anderes, sondern im Inneren gut ist, hat seinen höchsten Zweck in sich und strebt auf dessen vollkommene Gestalt zu. In diesen teleologischen Rahmen der Feststellung objektiver Zwecke gehört die Vielfalt. Vielfalt ist immer die Ausdifferenzierung einer sinnhaften Einheit, die sich ihrem End- zweck gemäß ent-faltet. „Die objektive Zweckmäßigkeit zu beurteilen, bedürfen wir jeder- zeit den Begriff eines Zwecks, und (wenn jene Zweckmäßigkeit nicht eine äußere (Nütz- lichkeit), sondern eine innere sein soll) den Begriff eines inneren Zwecks, der den Grund der inneren Möglichkeit des Gegenstandes enthalte“. (…) Es „wird, um sich eine objektive Zweckmäßigkeit an einem Dinge vorzustellen, der Begriff von diesem, was er für ein Ding sein solle, vorangehen; und die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen in demselben zu dem Begriffe (welcher die Regel der Verbindung desselben an ihm gibt) ist die qualitative Vollkommenheit eines Dinges“ (ebenda, § 15, B 45). Die Einheit eines zusammenstimmen- den Mannigfaltigen ist durch den objektiven Zweck, das ist das, was auch den Grund der inneren Möglichkeiten des Gegenstandes ausmacht, festgelegt. Das ist der Endzweck eines Dinges, sein vollkommenster Zustand. Wird diese Einheit in ihrer Mannigfaltigkeit als Einheit angeschaut, wird ihre Vielfalt beachtet. Vielfalt ist also die Mannigfaltigkeit einer vollkommenen Einheit. Machen wir ein Gedankenexperiment: Dieser Einheit der Mannigfaltigkeit möge der innere Grund ihrer Möglichkeit, ihr objektiver Zweck, d. h. der Begriff ihrer Einheit, verloren ge- gangen sein. Das vielfältige Gebilde habe im Betrachter gewissermaßen die Substanz und Idee seiner Einheit verloren. Dadurch sei das Gebilde in eine Vielzahl von unbegreiflichen Mannigfaltigkeiten zerfallen. Dann wäre nur noch die Vielzahl der Formen der vorherigen Vollkommenheit vorhanden. Aber damit wäre ebendiese Vollkommenheit verschwunden, denn sie zeigt sich nur als Vielfalt der Einheit einer Mannigfaltigkeit; und die ist nur durch den inhaltlichen Begriff dessen, was ihren Endzweck ausmacht, sichtbar. Man wüsste gar nicht mehr, worum es sich bei dieser Mannigfaltigkeit handelt. 100 So kommt Kant zu dem Schluss: „Eine formale objektive Zweckmäßigkeit aber ohne Zweck, d. i. die bloße Form einer Vollkommenheit (ohne Materie und Begriff von dem wozu zusammengestimmt wird (…)), sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch“ (ebenda, § 15, B 46). Dem entspräche der Satz: Eine Vielfalt objektiver Bedeutungen, aber ohne Einheit, d. i. die bloße Vielzahl der Aspekte einer (landschaftlichen) Vollkommenheit (ohne Begriff von dem, wozu zusammengestimmt wird) sich vorzustellen, ist ein wahrer Widerspruch. Es ist der Sinnzusammenhang einer durch einen bestimmten Begriff (meinetwegen Rhein- gau) bezeichneten Vollkommenheit, der gemessen werden müsste, wenn landschaftliche Vielfalt gemessen werden soll. Die Vielzahl der Geländeknicke genügt nicht. Gibt es eine formale Einheit von Vielfalt? Das Schönheitsempfinden – das nicht bestritten werden soll – ist eingebunden in einen übergeordneten Erfahrungskontext, der auf der Sinnebene liegt und nur inhaltlich verständ- lich ist. Das Schöne in der landschaftlichen Erfahrung der Vielfalt besteht in der Beurtei- lung des Typischen. Das ist nicht zwingend. Man kann jederzeit einfach völlig inhalts- neutral Gefallen finden bei einem Blick aus dem Fenster, vom Berggipfel ins Tal hinab oder auf das Meer, ohne zu wissen, wo man sich befindet und was man da schön findet. Genauso kann man sich der Erhabenheit übermächtiger Natur hingeben, ohne einen Typus aufzuspüren. Aber wenn man an der Vielfalt Gefallen findet, dann ist es die Vielfalt einer typischen Eigenart, und die folgt der erfahrbaren Entfaltung des Begriffs eines objektiven Zwecks dieser regionalen Einheit. Was also am Rheingau gefällt, ist das, was man liebt. Das ist nicht die Reliefenergie der Taunusvorberge, sondern die Erfüllung der Idee vom Rheingau. Es geht um den Inhalt der Vorstellung jenes in der Sonne glänzenden breiten Flusses mit seinen großen Auwäldern auf den Inseln in der Strommitte, verbunden mit den langgestreckten Hügeln und tief eingeschnittenen Bachtälern, Hügeln, auf denen das Kreuz und Quer der geometrischen Weinbergsmuster von Mauern und Hecken unterbrochen ist; darin eingebettet prächtige Schlösser und kleine Weindörfer mit Strauswirtschaften und die kühlen, waldigen Taunushöhen darüber, die das warme Land von der kargen Hochfläche der Nordseite abtrennen usw. usf. Das gibt es ähnlich auch anders, aber so nur dort. Am Moseltal lieben wir etwas Ähnliches, aber nicht genau dies. Demgegenüber ist die rein gestalthafte und geometrische Vielzähligkeit von Richtungs-, Größen-, Farb- oder anderweitiger Veränderungen von Landschaftselementen noch keine Garantie für ein wohlgefälliges Empfinden, das sich an die Mannigfaltigkeit der Welt hef- tet. Diese Bedingungen sind in jedem suburbanen Gewerbe- und Einkaufzentrum erfüllt. Andererseits geht es auch ohne Mannigfaltigkeit: Wer vor einer endlosen, homogenen, in der Sonne gleißenden Schneefläche steht und allergrößtes Wohlgefallen daran findet, der wird wohl kaum über landschaftliche Vielfalt entzückt sein. Aber wenn es auf Mannigfal- tigkeit ankommen soll, wird von der formalen Gestaltgliederung die Ebene verfehlt, auf der Vielfalt angesiedelt ist. Falls man sich dennoch diese Vielzahl als Vielfalt vorstellen will, dann handelt es sich um ein Paradox: Es wäre eine allgemeine, unspezifische (unty- pische) Vielfalt ohne signifikante Raumgrenzen. Das wird in der Landschaftsbildanalyse durch den V-Wert gemessen. Möglicherweise erwischt man auf diese formale Weise manchmal tatsächlich das objektive Korrelat eines positiven Gefühls, aber das ist dann Zufall, und kein Mensch weiß, warum 101 es geklappt hat. Kant hat natürlich auch das berücksichtigt: „Das Formale in der Zusam- menstimmung eines Dinges, d. i. die Zusammenstimmung des Mannigfaltigen zu Einem (unbestimmt was es sein solle) gibt, für sich, ganz und gar keine objektive Zweckmäßigkeit zu erkennen; weil, da von diesem Einem, als Zweck (was das Ding sein solle) abstrahiert wird, nichts als die subjektive Zweckmäßigkeit der Vorstellungen im Gemüte des Anschau- enden übrig bleibt, welche wohl eine gewisse Zweckmäßigkeit des Vorstellungszustandes im Subjekt, und in diesem eine Behaglichkeit desselben, eine gegebene Form in die Ein- bildungskraft aufzufassen, aber keine Vollkommenheit irgendeines Objekts, das hier durch keinen Begriff eines Zwecks gedacht wird, angibt. Wie zum Beispiel, wenn ich im Walde einen Rasenplatz antreffe, um welchen die Bäume im Zirkel stehen, und ich mir dabei nicht einen Zweck, nämlich daß er etwa zum ländlichen Tanze dienen solle, vorstelle, nicht der mindeste Begriff von Vollkommenheit durch die bloße Form gegeben wird“ (ebenda, § 15, B 45, 46). Diese von Kant zugestandene, aber eingeschränkte „Behaglichkeit“ kommt wahrscheinlich der Vorstellung von Erholung, die die Freizeitplaner meinen, ganz gut ent- gegen. Aber Vielfalt messen sie dabei nicht. Dazu müsste noch irgendein Inhalt in die Erfahrung hineinspielen, die erlaubte, wohl bekannte lieb gewonnene oder aber auch ganz neuartige Formen zu erkennen. Dem soll nun in „Leitbildern“ für schutzwürdige Landschaften Rechnung getragen werden. Sie gehören einer merkwürdigen methodologischen Zwischenwelt an. Max Weber hatte im Rahmen der „verstehenden“ Soziologie die typologische Methode eingeführt, um seinem Anspruch gerecht zu werden, subjektiven Sinn im Rahmen des Wertfreiheitspostulats der Erfahrungswissenschaften objektiv darstellen zu können. Dem entspricht die Leitbildme- thode der Landschaftsplanung, allerdings mit dem Unterschied, dass es sich bei Weber um Handlungstypen handelte. Bei der Landschaftsbildbewertung werden Idealtypen von Landschaftsgestalt definiert, denen reale Landschaftsausschnitte subsumiert werden kön- nen. Danach wird Schutzwürdigkeit quantifiziert. Das Messinstrument ist nicht eine Nomi- nalskala, sondern eine mehr oder weniger gut begründete Vision von real vorkommender eigenartiger Vielfalt in Mitteleuropa, die in formale Prototypen überführt wird. An ihnen wird die Realität gemessen. Nicht gemessen wird das, was den Menschen vor Ort am Her- zen liegt, also das, was den Sinn der Gegend konkret für sie ausmacht. Auch dieses Verfahren ist formal in dem Sinne, dass das Objekt Landschaft – nun in meh- rere bildhafte „Skalen“ aufgelöst, statt durch eine universelle Skala definiert – von außen betrachtet und standardisiert wird. Die Vielfalt wird dann spezifisch bestimmt, aber – wech- selnd – überall gleich spezifisch. Das ist paradox und entspricht komplementär der Para- doxie der regional unspezifischen Vielfalt durch die V-Wert-Messung. Das gilt auch dann, wenn die Idealtypen „vor Ort“ individuell unter Abgleichung mit idealtypischen Standards gewonnen werden. Das entspräche Webers „Realtypen“. Ein signifikanter Unterschied er- gäbe sich erst dann, wenn diese örtlichen Leitvorstellungen – gesellschaftswissenschaftlich wohl vorbereitet – mit den Ansässigen zusammen gewonnen würden. Dann aber erübrigte sich wahrscheinlich die Typenbildung auf der formalen Standardisierungsebene; man hätte dann eine sozialwissenschaftlich vernünftig vorbereitete Planung ausgeführt. Zwischenfazit: Ich vermute, dass die Differenz zwischen der faktischen Messung von so etwas wie unspezifischer Vielfalt auf der einen Seite und dem Anspruch, die Vielfalt einer Landschaft zu messen, auf der anderen Seite in der Praxis zu Entscheidungsproblemen führt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es in der Planungspraxis Bewertungsaufgaben gibt, für die das Paradoxon eines Wertes für allgemeine, unspezifische Vielfalt eine angemes- 102 sene Entscheidungsgrundlage ist. Das wäre immer dann, wenn es nicht um die Bewertung einer regionalen Charakteristik geht. Denn allgemeine Vielfalt wäre ja der Ausdruck von unspezifischer Eigenart einer Landschaft. Hier wird das Paradox noch offenkundiger. Eine solche nichteigenartige Eigenart kann sich nicht räumlich begrenzt definieren lassen. Wo soll die anfangen und aufhören, wenn sie in Relation zur Nachbarschaft unspezifisch ist? Eine Nachbarschaft gäbe es gar nicht. Man sieht: Auch die Idee der Landschaft wird zer- stört. Allgemeine Vielfältigkeit ohne Bezug auf eine regionale Eigenart ereignet sich in ei- nem grenzenlosen Kontinuum. Wenn ein Tourist mit dem Dampfer von Mainz über Bingen und Koblenz durch den Rheingau, das Mittelrheintal und danach die Mosel hinauffährt und sich ausschließlich von allgemeiner Vielfalt beeindrucken lässt, befindet er sich immer im Gleichen, obwohl er durch mindestens drei Landschaften gefahren ist. Wann könnte die Landschaftsbildanalyse, die allgemeine Vielfalt misst, nützlich sein? Das wäre in Planungsfällen, in denen Entscheidungen durch formale Subsumtion getroffen werden können. Das Entscheidungsmuster lautet: Immer dann, wenn der allgemeine Viel- fältigkeitswert X erreicht ist, kommt der Maßnahmenkatalog Y (bzw. das Nutzenkalkül Y) und nicht der Katalog Z (bzw. das Nutzenkalkül Z) zum Tragen. Man muss dann vorher ein allgemeines Prinzip des Nutzwertes oder der Planungsmaßnahmen festgelegt und Be- reichen von Wertziffern zugeordnet haben. Dann können fallweise problemspezifisch ab- gegrenzte Gebiete in diesem Kontinuum als Klassen von Ereignissen dem Prinzip formal subsumiert werden. Diese Gebiete können dann gegeneinander zum Ausgleich verrechnet werden wie Umweltzertifikate. Aber ungeeignet ist diese Bewertung, wenn unterschiedliche Landschaften vergleichend bewertet werden sollen. Denn dann muss für kulturell festliegende, symbolisch konstitu- ierte Besonderheiten ein allgemeiner Ausdruck gefunden werden. Das ist die umgekehrte Problemstellung als die des Subsumtionsverfahrens der Landschaftsbildanalyse. Gleichfalls ungeeignet ist die Methode, wenn – auch ohne Vergleich – die Bedeutung einer Region für Menschen (statt die Zugehörigkeit zu einem Maßnahmenkatalog) festgestellt werden soll. Ich vermute, dass im Rahmen von Ausgleichsmaßnahmen die verschiedenen Fälle sich durchmischen und Entscheidungsprobleme aufwerfen. Die logische und philosophische Schere zwischen gemessener abstrakt-unspezifischer Vielfalt und „echter“ Vielfalt von Ei- genart wird sich auftun und auf diffuse Weise intuitionistisch übersprungen werden. Dem trägt die Leitbildmethode als standardisierte Intuition Rechnung. Aber auch sie entkommt dem Widerspruch zwischen zwei unvereinbaren Ansprüchen nicht: Eigenart in Standards zu fassen. Sie kehrt das Dilemma nur um: Das Besondere wird nicht in einer universellen Skala subsumiert, sondern die allgemeine Vielfalt wird auf gleichförmige Besonderheiten reduziert. Die Kultur der Vielfalt Im Folgenden soll der bereits vorgeführte begriffliche Zusammenhang, der das Kriterium der Vielfalt im Rahmen der Urteilsformen umgibt und trägt, stärker als kulturelles Deu- tungsmuster dargestellt werden. Damit soll die Objektebene festgelegt werden, auf der Naturschutz und Landschaftsplanung arbeiten müssten, wenn sie erstens professionell und zweitens politisch erfolgreich tätig sein wollen. Vielfalt entfaltet sich – das sagt das Wort schon. Die Metapher rekurriert ja auf ein zusammengeknittertes Gebilde wie z. B. eine 103 Blütenknospe, die aufblüht und durch diese Entgrenzung ihrer Bestimmung folgt. Diese Bestimmung ist ein objektiver Maßstab, in diesem Fall so etwas wie das Gesetz des Le- bens; zugleich ist diese Bestimmung eine innere Kraft. Etwas, das sich entfaltet, entwickelt sich von innen heraus. Es demonstriert den Reichtum der Möglichkeiten eines verborgenen Wesenskerns. All das geht mit dem Begriff der Vielzahl nicht einher. Die kann zwar ebenfalls einem Entwicklungsziel dienen; z. B. wenn eine Art eine möglichst große Population ausbildet, um zu überleben. Aber das nützt der Art im Konkurrenzkampf, ist das kantische „Wozu gut“. Dass die Art sich dabei entfaltet, schwingt nirgends mit. Auf der Gegenseite kommt analog dazu wohl kaum die Vorstellung auf, dass eine erblühende Rose sich nützt, weil sie sich entfaltet. Sie tut es zwar, aber Entfaltung nennt man diesen Aspekt nicht. Wenn nun Vielfalt die Realisierungsweise des Wesens eines Dinges ist, dann ist Vielfalt so etwas wie die äußere Form des Ausdrucks dieses Wesens. Sie ist gebunden an einen Inhalt. Die Kraft der Entwicklung einer schönen Rose ist es nicht, den Liebreiz eines Gänseblümchens zu dokumentieren. Wir erwarten von den sich entfaltenden Wesen, dass sie der Bestimmung ihrer eigenen Art nachkommen; ihr Endzweck ist es, ihrem Selbstzweck nachzukommen. Sie sollen Eigenart haben. Wenn die Vielzahl von Erscheinungen eine Vielfalt sein soll, dann bedarf es der Integration der Erscheinungen zu einem eigenartigen Ganzen. Dieses Ganze stellt eine Entwicklungseinheit dar und ist eine bildhaft typische Einheit. Untypisches kann sich eigentlich gar nicht wirklich entfaltet haben. Zwar fassen wir es so auf, als hätte es das getan, wenn wir „untypisch“ sagen, aber es wird sich dann als eine misslungene Entfaltung herausstellen. Wenn ich auf dem Markt Spargel von fünf Zenti- metern Durchmesser sehe oder Rosenkohl, der kleinen Wirsingköpfen gleicht, beschleicht mich dieser Eindruck. Das ist nahe liegend, denn Züchtung ist eine Manipulation des in- neren Wesens unter Gesichtspunkten des „äußeren Zwecks“ in der Sprache Kants, also des Nutzens. Das passt nicht zusammen. Die Eigenart wird allein schon durch die Größe pervertiert: „Kolossalisch aber wird die bloße Darstellung eines Begriffs genannt, die für alle Darstellung beinahe zu groß ist (an das relativ Ungeheure grenzt); weil der Zweck der Darstellung eines Begriffs dadurch, daß die Anschauung des Gegenstandes für unser Auffassungsvermögen beinahe zu groß ist, erschwert wird“ (ebenda, § 26, B 89). Diese Gemüse sind solche relativen Ungeheuer und nicht mehr „typisch“. In der Vielfalt einer gelungenen Eigenart finden also der Entwicklungstyp und der Gestalttyp eines Wesens gleichermaßen Ausdruck. Entwicklung und Gestalt sind wechselseitig durcheinander be- stimmt. Das geht auf die Unterscheidung und den Zusammenhang von Natura naturans und Natura naturata gemäß Aristoteles zurück. Eine solche Einheit ist symbolischer Natur. Wenn man sich das Urbild dieser Konstruktion vor Augen hält, den Menschen, so ist zu erkennen, dass Eigenart der Sinn des Lebens ist. Es handelt sich um eine kulturell begründete Sinnkonstruktion. Ein Mensch, der nicht dem Gebot nachkommt, den Reichtum seiner spezifischen Möglichkeiten zu entfalten – und jedem werden diese Anlagen zugesprochen in diesem Weltbild –, der versündigt sich. Wenn wir einem Quartalsäufer in sein verwüstetes Gesicht schauen, finden wir, dass da ein Mensch sein Leben wegwirft, auch wenn wir – politisch ganz korrekt – keinesfalls zu Gericht über ihn sitzen wollen. Aber es schaudert uns trotzdem. Warum? Ein sinnvolles Le- ben ist ein solches, das die gesamte Vielfalt der inneren Möglichkeiten ausschöpft und zum typischen Ausdruck einer Persönlichkeit integriert. Deshalb sagen wir: „Das ist eine echte Type“, wenn wir einen Menschen mit einer gelungenen originellen Mischung von Eigen- 104 arten bezeichnen wollen. Dieser Wertkodex mag faktisch zunehmend irrelevanter werden, aber das führt zu einer resignativen Form seiner Bestätigung: Es wird endlos der schäbige Materialismus moderner Zeiten, das reine Nützlichkeitsdenken, der Egoismus, der Mangel an Persönlichkeiten in der Politik, der Mangel an Bildung und Sprachkultur, die Oberfläch- lichkeit menschlicher Beziehungen in der Spaßgesellschaft, die Verantwortungslosigkeit der Jugend usw. beklagt. Das hätte keinen Sinn, wenn nicht das Gegenteil das Wesen des Menschen und von Kultur ausmachte. Das Gegenteil ist in jener aus der Tiefe des Inneren erwachsenden Eigenart zentriert. Ganz entsprechend hat sich eine Kulturlandschaft genau dann sinnvoll entwickelt, wenn sie, den natürlichen Potenzialen sowie den historischen Gegebenheiten wie Produktions- weise und Brauchtum gemäß, eine typische Eigenart bewahrt hat. Die ist nicht abzählbar an der Menge von irgendwelchen Knickpunkten, sondern erfahrbar durch die Stimmig- keit der Bedeutungsträger in einer als typisch empfundenen bildhaften Ganzheit, die aber zugleich als Entwicklungsganzheit verstanden wird. Und das ist dann „schön“. Dass da noch etwas „stimmt“, ist das Kriterium, und dass geographische Kleinteiligkeit das Krite- rium positiv erfüllt, verweist darauf, dass es sich um eine moderne Empfindung handelt. Denn das Misslungene, der Missklang in der Stimmigkeit, ist das Eintönige, Gleichartige, Großflächige, Begradigte oder aber wildwucherndes Durcheinander am falschen Ort, d. h. außerhalb natürlicher Wildnis: Das sind die Errungenschaften moderner Effizienz. Sie fol- gen aus der industriekapitalistischen Produktionsweise, und sie zerstören die eigenartige Kleinteiligkeit. Das zerstört Sinn, weil der am Ideal organisch gewachsener, entfalteter Eigenart haftet. Die Landschaftsbildanalytiker können also nicht sagen: „Meinetwegen, um den Nutzen von Schönheit geht es dabei nur sehr vermittelt, aber dann geht es eben um den Nutzen von Sinn.“ Das wäre zwar eine zutreffende Feststellung. Aber das führt nicht weiter, denn der Nutzen von Sinn ist der Sinn selbst. Sinn ist ein Selbstzweck. „Erholung“ ist die magere moderne sozialtechnische Reduktion dieser komplexen symbolischen Selbstvergewisse- rung. Diese Reduktion ist das Komplement zu der Reduktion von Vielfalt auf der Sinn- ebene des Subjekts auf die Vielzahl irgendwelcher Indizes am Objekt. Beides erfüllt die Bedingungen der Versachlichung und geht damit prompt am Problem, das zu lösen wäre, vorbei. Man kann den Nutzen von Sinn, nämlich Sinn, nicht empirisch am Objekt Natur ablesen, sondern nur dort, wo er sich ereignet: in der Gesellschaft. Diese Einsicht wäre der erste entscheidende Schritt. Der zweite Schritt bestünde darin, das gesellschaftliche Objekt auf eine solche Art wieder auf die Natur zurückzubeziehen, wie sie der Problemlage angemes- sen ist. Wie stellt sich das Problem? Das Objekt der Landschaftsbildanalyse sind die Sehnsüchte, Vorurteile, Erfahrungen, die Menschen mit spezifischen Landschaften verbinden. Es han- delt sich um Projektionen vom guten Leben und das unter den Bedingungen der Moderni- sierung und aller zugehöriger Fremdbestimmungen durch die Flut von Sachzwängen. Es geht um die Erinnerung an spezifische Heimaten oder auch um die Neugier auf spezifische „intakte“ Fremdheiten, also alles in allem viel mehr um Träume als um Reliefenergiewerte. Das ist es, was die Landschaftsbildanalyse so lächerlich und absurd macht. Die Landschaftsplaner müssten also als erstes ihr Objekt aufgeben, nämlich die Natur bzw. Landschaft selbst und sich der Gesellschaft zuwenden. Sodann müssten sie ihre sozialtech- 105 nische Perspektive geeignet umformulieren. Natürlich geht es nicht immer um Sinn und Sehnsucht. Für eine Familie, die am Wochenende an einem See baden gehen will, zählen banalere Motive und Infrastrukturen. Nur: In diesen Fällen konkretester Naherholungsbe- dürfnisse ist dann auch die Vielfalt der Umgebung ziemlich nebensächlich. Da geht es eher um die Vielzahl von Angeboten, sich die Zeit zu vertreiben. Das führt zum Boom jener gebauten Erlebniswelten. Das Bedürfnis kann meinetwegen bedient werden, aber das liegt außerhalb unserer Fragestellung. Bei jeder der für unsere Problemwahl in Frage kommenden Landschaften handelt es sich um einmalige Fälle der Integration der Vielfalt von Bedeutungsträgern zu einer regionalen Eigenart, nicht um jene abstrakte allgemeine Vielfältigkeit. Diese Eigenart ist ausschlagge- bend für das Wohlgefallen und den damit verbundenen Nutzen für die Erholungssuchen- den, die vermutlich eher Sinn suchen. Das ist ein inhaltliches kulturelles Sujet, das nicht intersubjektiv durch formale geometrische und numerische Eigenschaften des Raumes, sondern nur durch Rückgriff auf spezifische regionale, kulturelle Selbstverständnisse, Ge- schichte, Brauchtum usw. bestimmt werden kann. Auf dieser Ebene hat der Anteil Nature- lemente ausschließlich kulturelle Relevanz. Umgekehrt bietet aber auch die Natur in ihrer landschaftlichen Eigenart die Projektions- fläche für allgemeine Bilder, die in der regionalen kulturellen Erfahrung enthalten sind. Dass ein liebliches Mittelgebirgstal wohl eher der Sehnsucht nach geordneten, friedlichen und harmonischen Lebensverhältnissen entgegenkommt als ein verwildertes Sumpfge- lände, hängt nicht davon ab, ob dieses Tal im Hunsrück oder in der Auvergne liegt. Das heißt: Auch die ganz allgemeine Typologie von Projektionen existenzieller kultureller und politischer Lebensentwürfe in Natur als Naturbilder muss gelesen werden können (vgl. Eisel 2004). Diese Naturbilder müssen dann ins Verhältnis zu den regionalen kulturellen Ausprägungen gesetzt werden. Denn auch diese allgemeinen Bilder beeinflussen die Sinn- gebungsfunktion der Landschaft vor Ort; auch sie sind nicht als Geländepunkte abzählbar. All das gehört in die Welt der Vielfalt, nicht in die der Vielzahl. Und all das läuft darauf hinaus, dass die Aufgabe in der Einschätzung der individuellen Entfaltung einer allgemeinen Konstellation besteht. Die Kriterien für den (planerischen) Wert einer solchen Region liegen in ihr selbst, aber nicht in Form allgemeiner, numeri- scher Indizes von Pseudo-Vielfalt, sondern als gesellschaftlicher Bedeutungsgehalt, der sich komplex inhaltlich auf einer kulturellen Sinnebene konstituiert. Auch der ist empi- rischer Forschung zugänglich. Geschulte Gesellschaftswissenschaftler können so etwas bearbeiten. Aber im Studium von Landschaftsplanung und Natur- und Umweltschutz wird es wohl selten trainiert. Zusammenfassend kann man sagen: Im Fall der Landschaftsbildanalyse versagt nicht der Quantifizierungswahn angesichts ästhetischer Phänomene, sondern der Nutzenkalkül an- gesichts kultureller Sinnzusammenhänge. Vergewaltigt wird nicht das ästhetische Anliegen gegenüber der Landschaft und der Landschaftsbildanalyse, sondern die Sehnsucht nach Sinn. Dieser Mangel wird dadurch verschleiert, dass – Nutzen vorausgesetzt – ganz ver- nünftig Landschaft als Mittel der Erholung definiert wird. Man kann dann die Tauglichkeit dieses Mittels sachlich bestimmen. Die Tauglichkeit wird als Vielfalt definiert. Die wird scheinbar gemessen. Würde sie gemessen, ginge die Rechnung auf. Aber es wird stattdes- sen eine Vielzahl von etwas gemessen. Das Messergebnis enthält keinerlei Aussagekraft über die Vielfalt, weil es keine Inhaltstypen, keine Eigenart, misst. 106 Die Kritiker bauen sich nun selbst eine Falle: Sie behaupten, Schönheit sei das, was noto- risch vernachlässigt werde beim Schutz der Natur. (Für Artenschutzprogramme trifft diese Kritik zu, wenngleich auch da Einschränkungen gemacht werden müssen, die hier aber nicht diskutiert werden können.) Aber selbst da, wo man sich des Problems annehme, in der Landschaftsplanung, gehe die Sache schief. Das konvergiert mit der internen Kritik an der Landschaftsbildanalyse in diesem Fach. Beide sagen, Vielfalt und Schönheit könne man nicht messen, weil sie als ästhetische Phänomene einem subjektiven Urteil unterlägen; Kant wird als Autorität bemüht. Für die Schönheit trifft das tatsächlich zu. Insofern scheint die Kritik berechtigt zu sein. Eine Alternative tut sich zwangsläufig auf: Entweder man kann weiterhin eine wichtige Seite der Natur ignorieren; oder aber man gibt auf, zwanghaft alles messen zu wollen, und öffnet sich der Intuition, der künstlerischen Ambition und dem kulturellen Spürsinn (all das wird mit „subjektivem Urteil“ assoziiert), bahnt dem den Weg in den Naturschutz. Danach geht die Suche nach der Möglichkeit los, Intuition und Kunst- ambition dennoch zu verobjektivieren, aber ohne es messbar machen zu müssen. Das ist paradox. Die Falle ist zugeschnappt. Denn die Alternative zwischen Ignoranz und Intuition ist falsch. Sie stellt sich gar nicht. Daher ist das Dilemma selbstgemacht. Da Vielfalt gar nicht gemessen wird in der Land- schaftsbildanalyse und Schönheit ebenfalls nicht, kann auch die Quantifizierung des Un- quantifizierbaren nicht das vorrangige Problem sein. Stattdessen besteht das Problem darin, dass Vielfalt zwar nicht gemessen, das Gemessene aber so benannt wird. Damit kommt we- der in den Blick, was gemessen wird, noch was nicht gemessen wird. Das ist bedauerlich, denn die Erholungseignung von Landschaft, die tatsächlich von deren Vielfalt abhängt, gibt es ja. Das, was sinnvollerweise tatsächlich gemessen werden sollte, bleibt unerledigt und wird durch etwas ersetzt, was nur der falsche Schein davon ist. Und diese Falschheit wird fälschlich einem gar nicht bestehenden Fehler angedichtet. Das ganze Durcheinander bleibt den Landschaftsbildanalytikern und deren Kritikern ver- borgen, weil beide das Objekt der Untersuchung falsch bestimmen: Für die Landschafts- bildanalytiker ist es die Natur von Kulturlandschaften statt gesellschaftliche Prozesse auf der kulturellen Ebene. Sie verwechseln das, weil sie die Erholung als eine Nutzenrelation bestimmen, in der die Natur als instrumentelles Mittel gemessen werden muss und kann. Das ist dem allgemeinen Trend der Verwissenschaftlichung (und Versachlichung) geschul- det. Für die Kritiker ist das Objekt ebenfalls die Natur; in diesem Fall deshalb, weil man davon ausgeht, dass ästhetische Erfahrung – worunter das ganze Feld des kulturellen Sinns subsumiert wird –, obwohl diese Erfahrung in subjektiven Urteilen gegeben ist, durch ob- jektive Eigenschaften der Natur gewissermaßen hervorgerufen wird. Deshalb wollen sie sie, wenn auch irgendwie ganz anders, dort begründet sehen. Beide leiden an dem, was man Naturalismus oder Objektivismus nennt: die einen an einem funktionalistischen, die anderen an einem esoterischen. Jetzt verbleibt noch ein Aspekt, um das Thema Landschaftsbildanalyse einigermaßen ein- zukreisen. Dieser Aspekt besteht darin, dass ich alles, was ich gesagt habe, um zu zeigen, dass die ganze Fragestellung der Landschaftsbildanalyse gar nichts mit Ästhetik zu tun hat, so dass auch ihre ärgsten Kritiker eigentlich leer laufen, noch einmal – bitte nehmen Sie mir das nicht übel – auf den Kopf stelle, indem ich Vielfalt als eine ästhetische Kategorie exponie- re. Dabei soll die Alternative Vielfalt versus Vielzahl politisch interpretiert werden. 107 Teil 2: Landschaft und kultureller Sinn: die humanistische Ästhetikkonzeption Vollkommenheit: Maß des Typischen In der bisherigen Rekonstruktion habe ich eine Unklarheit heimlich mitgeschleppt. Ei- nerseits habe ich, unter Berufung auf Kant, das ästhetische Urteil der Schönheit, d. h. die Kontemplation, als interesseloses Wohlgefallen bezeichnet. Davon wurden alle zweckbe- zogenen, d. h. interessegeleiteten Urteile unterschieden. Eines dieser letzteren war dasjeni- ge, das Dinge im Hinblick auf ihren Endzweck anschaut. Es beachtet weder, ob Formen ein inneres Wohlgefallen, das sich schön anfühlt, hervorrufen, noch beachtet es, dass ein Ding seinen Dienst gut verrichtet. Stattdessen reflektiert dieses Urteil über die Vollkommenheit eines Objekts. Es beachtet, ob es den Möglichkeiten, über die es seinem Begriff zufolge verfügen müsste, vollständig gerecht wird, wenn man die allerhöchsten Maßstäbe anlegt. Ich hatte gesagt, dass ein Gegenstand unter dieser Perspektive auch das Attribut, er sei typisch, zugesprochen bekommt, obwohl das irgendwie flacher und weniger bedeutungs- schwer klingt als „vollkommen“. Mit diesem Unterschied nähern wir uns der Ebene an, die im Folgenden diskutiert werden soll. Ich hatte im Verlauf der Argumentation über die Stimmigkeit kleinteiliger Landschaften für unser Gefühl den Satz gesagt: „Und das ist dann schön“, und damit unser Empfinden gegenüber Landschaften gekennzeichnet, die wir als typisch anerkennen. Sie erfüllen das, was wir von ihnen wissen und verlangen, wenn sie dem gerecht werden wollen, dass sie nicht irgendwie sind, sondern eben immer eine bestimmte Gegend sind. Es gibt auf der Erde keine irgendwie geartete Gegend, sondern immer nur solche, die ihrer geographischen Lage und Entwicklungsgeschichte entspre- chen. Erfüllen sie diese Bedingung nicht und sind ein Irgendwie, dann müssen sie zerstört worden sein – z. B. durch Verstädterung oder durch Monokulturen. Wenn Landschaften also typisch sind, dann entsprechen sie einem Begriff, den wir von ihnen und ihrer mögli- chen Vollkommenheit haben. Denken Sie an die Toskana, an die Haute Provence oder an den nordamerikanischen Südwesten: Jeder weiß, wie er es dort haben will. Wir drängen also auf die Erfüllung bestimmter Bedingungen für unser Urteil, dass wir das nun wirklich schön finden. Deshalb kann es sich nicht um interesseloses Wohlgefallen handeln; wir haben manifeste Interessen. Interesseloses Wohlgefallen war aber unsere Definition für Kontemplation gewesen, die notwendige Voraussetzung für den Zustand des Schönfindens. Wir sehen uns vor einem Widerspruch, wenn wir behaupten, das Typische sei das Schöne. Um ihn aufzulösen, werde ich die Geschichtsphilosophie, in deren Rahmen es gerade und nur das Typische ist, dem Schönheit zugesprochen werden kann, erläutern. Das werde ich unter Zuhilfenahme der Kantschen Analyse beginnen, aus der hervorgeht, dass der Bezug auf die Vollkommenheit keinesfalls ein ästhetisches Urteil ist. Wenn wir etwas typisch und gerade darum schön finden, dann überzeugt es uns gewisser- maßen inhaltlich von sich selbst. Es begeistert uns von sich. Das Schönheitsempfinden ist durchmischt mit einer „Lust an der Existenz“ oder auch „Wohlgefallen am Dasein“ des Objekts. So formuliert Kant das (vgl. Kant 1968, § 41, B 162; § 4, B 10). Das Wohlgefal- len am Typischen enthält ein intellektuelles Begehren, das ist der Wille. Der Wille ist „ein durch Vernunft bestimmtes Begehrungsvermögen“ (ebenda, § 4, B 13). Er ist vom Begriff eines Zwecks abhängig. Vernunft- und Zweckbestimmung schließen aber Kontemplation aus. „(A)llein das Gute wird nur durch einen Begriff als Objekt eines allgemeinen Wohl- gefallens vorgestellt, welches weder beim Angenehmen noch beim Schönen der Fall ist“ 108 (ebenda, § 7, B 21). Kant formuliert, dass das Wohlgefallen am Guten der „Vorstellung eines objektiven Zwecks, d. i. der Möglichkeit des Gegenstandes selbst nach Prinzipien von Zweckverbindungen“ (ebenda, § 11, B 34) geschuldet ist. Man hat dann einen Begriff von der „innern und äußern Möglichkeit des Gegenstandes“ (ebenda). In unserem Fall geht es um die inneren Möglichkeiten. Die sind auf Endzwecke bezogen. Wenn es sich um den Begriff eines Endzwecks handelt, dann richtet sich der Wille auf die Vorstellung der Voll- kommenheit des Objekts. Wir wollen dann, dass das Objekt der Bestimmung seiner Ent- wicklung nachkommt. Dann aber ist es ganz und gar typisch für das, was es sein könnte. Dieser Zusammenhang zwischen Vollkommenheit und dem Wohlgefallen daran ist die Ba- sis einer Ästhetikkonzeption. In dieser Konzeption ist das Gute der Ursprung des Schönen. Deshalb wäre Kontemplation ein interessiertes Wohlgefallen, kein interesseloses. Diese Idee geht auf Platon zurück. Die Konzeption wurde in der christlich-humanistischen Tra- dition fortgeführt und in der frühen Moderne als Geschichtsphilosophie formuliert. Dort sind alle wesentlichen Grundbegriffe wie der des Menschen, der Geschichte, der Kultur, der Freiheit, der Vernunft auf die Idee der Vollkommenheit ausgerichtet. Das geht natürlich auf den Gottesbegriff zurück: Gott ist vollkommen. Daher ist jedes Lebewesen in seiner Schöpfung diesem Maßstab unterworfen. Wenn es sich richtig entwickelt und das heißt seiner Bestimmung folgt, strebt es auf seine Weise und an dem Platz, den es in einer gott- gewollten Hierarchie einnimmt, nach Vollkommenheit. Ungleichheit ist auf eine höhere Art natürlich. Hier ist auch der Wert der Vielfalt angesiedelt; er thematisiert Ungleichheit als natürlichen Reichtum von Differenzbildung. Die Vielfalt der Welt steht für die Größe Gottes. Ein Gott, der nur zwei bis drei Dinge erschaffen hätte, sagen wir Wasser und Land, der wäre ein ar- mer Tropf. Dass die Vollkommenheit nicht nur der Endzustand einer Bestimmung, sondern auch der Ausdruck eines Reichtums ist, verleiht ihr Lebendigkeit. Sonst wäre sie nur ein Abstraktum, ein sehr hoch gehängter Brotkorb für jeden; man könnte sich dann fragen, ob es der Mühe wert ist, danach zu streben. Aber es winkt nicht nur eine ideale Reinheit am Ende, sondern auch eine Entwicklungsgeschichte bis dahin, die einmal – auf typische Art und Weise, nämlich gemäß der Eigenart eben dieses Lebewesens – das Ganze in vollen Zügen durchlebt hat. Für das universellste aller Lebewesen, den Menschen, gilt das am umfassendsten. Die Metapher „Lust an der Existenz“ bekommt hier noch einmal eine ganz andere Wendung. Sie verweist darauf, dass Lebensfreude der Vollkommenheit zu- träglich ist. Ich muss, bevor ich zur Landschaft zurückkehre, noch einem Einwand vorbeugen. Man könnte sagen: Aber es gibt doch auch den Eindruck von etwas typisch Hässlichem und Verwerflichem. Keiner von den beiden Inhalten ruft Begeisterung hervor. Somit kann man nicht sagen, dass das Typische grundsätzlich mit einer Lust an der Existenz des Gegenstan- des einhergehe. Dieser Einwand berücksichtigt nicht, dass das Typische immer zwei Seiten hat: Es ist nicht nur einzelner Ausdruck eines allgemeinen Wertes oder Maßstabs, sondern auch ein Ausdruck der Kraft, Individualität hervorzubringen, also jener inneren Möglich- keiten, die in jedem lebendigen Wesen schlummern. Wenn wir nun die negativen Beispiele ansehen, so fehlt genau dieser Aspekt. Wenn wir eine hässliche Gewerbezone als typische suburbane Landschaft kennzeichnen, dann mei- nen wir, dass das typisch sei für etwas überall gleich Hässliches. Genauso verhält es sich mit dem Verwerflichen. Nehmen wir wieder den armen Säufer. Wenn wir sein verwüstetes Gesicht und seine ataktischen Bewegungen als typisch bezeichnen, dann steht er für ein 109 allgemeines menschliches Desaster, und zwar, wie das Gewerbegebiet, für misslungene Individualität im euphorischen Sinne. Die bestünde in menschlicher bzw. kultureller Voll- kommenheit. Es zeigt sich: Auch hier sprechen wir wieder undeutlich, wie im Fall der Vielfalt und Viel- zahl. Eigentlich müssten wir nicht sagen, dieses hässliche oder verwerfliche Objekt sei typisch, sondern es sei ein Einzelfall der und jener allgemeinen Prinzipien, ein „Fall“ mit einigen spezifischen Randbedingungen. Denn wir subsumieren eine Klasse von Ereignis- sen oder Merkmalen unter ein allgemeines Prinzip – in diesem Fall das der Hässlichkeit oder Sünde. Eine Entwicklung von inneren Möglichkeiten registrieren und würdigen wir nicht. All diesen Fällen fehlt es an wesensmäßiger Individualität. Wenn wir in diesen Fäl- len auf eine solche Entwicklung rekurrieren, dann gerade als Mangel. Vielleicht verlässt uns deshalb die Lust an der Existenz dieser Objekte, weil wir sie als typisch für genau diesen Mangel und deswegen – ungenau – als untypisch bezeichnen. Schönheit: Ausdruck des Absoluten Herder hat die Theorie der Lebensfreude – der „Lust an der Existenz“ (Kant) – als Ge- schichtsphilosophie formuliert. Geschichte funktioniert wie die Schöpfung, weil sie ihr angehört. Die Kulturen entwickeln sich einzeln in Lebensräumen wie Lebewesen und fol- gen darin den inneren Möglichkeiten ihrer Volksstämme, nämlich deren Volkscharakter. Der verbindet sich mit dem Charakter der natürlichen Umgebung, so dass jene typischen Landschaften entstehen, um die es uns geht und die über die ganze Welt verbreitet einmalig und typisch sind. Das Maß der Vollkommenheit ist das Ausmaß an Individualität. Je spe- zifischer different ein Landstrich von allen anderen ist, desto vollkommener repräsentiert er sich als Idealtypus. Ist alles gelungen, stört nichts Fremdartiges oder Monotones, dann ist eine solche Landschaft schön; von gelungener Vollkommenheit würden wir dann kaum sprechen. Wir sprechen von Schönheit, wenn und weil wir eine solche Landschaft einmalig und darin wohl gelungen finden. Schönheit ist uns Ausdruck von gelungener Individualität; das bezieht sich auf Vollkommenheit unter der Perspektive des Typischen im Sinne von Eigenart, ist gewissermaßen der kognitive Aspekt der Vollkommenheit. Damit ist Schönheit nicht subjektiv und auf Lust gegründet, wie bei Kant, sondern gilt als ein objektiver Tatbestand und bemisst sich an einem Endzweck. Herder zufolge hat die Seele des Betrachters durch die verschiedenen Sinneseindrücke, so auch durch die Schön- heit, „eine sinnliche Formel vor sich, die sie auf die möglich leichteste Weise entziffert und in ihr ein Resultat von Wahrheit und Güte suchet“ (Herder 1892, 239), „d. i. das Phä- nomenon kann und soll nur auf sie (die Seele; Hinzufügung U. E.) würken, so fern es mit ihrer Natur analogisiret, zur Wahrheit und Güte durch Reiz und Schönheit“ (ebenda, 1967, 251 f.). Also: Schönheit ist eine leicht lesbare Formel des Guten und Wahren auf der Ebene der Verwandtschaft der Seelen in der Schöpfung. Kant hat ausführlich beschrieben, in welchem Sinnzusammenhang dieses Ausdrucksge- schehen zustande kommt, vor allem aber, welcher Status dem Schönheitsempfinden unter diesen Bedingungen zukommt. Es ist an die Selbstreflexion des modernen Subjekts gebun- den. Kant entwickelt diesen Gedanken immanent aus dem Status des Geschmacksurteils. Wenn Schönheit nicht einfach den Formen eines Objekts beigemessen wird, sondern einem inhaltlich bestimmten Typus anhaften soll, dann wird ein Idealbild zu Rate gezogen. Es wird dann nicht ein allgemeines, sondern ein „exemplarisches“ Geschmacksurteil gefällt (vgl. Kant 1968, § 17, B 53). Eine solche „durch einen Begriff von objektiver Zweckmä- 110 ßigkeit fixierte Schönheit (muß) folglich einem Objekte eines (…) zum Teil intellektuier- ten Geschmacksurteils angehören“ (ebenda, B 54; grammatisch verändert). Intellektuiert bedeutet, das Urteil basiert nicht allein auf Lust an Formen, sondern auf einer inhaltlichen Idealisierung des Gegenstands. Das Urteil folgt dann einem „Urbild des Geschmacks, wel- ches freilich auf der unbestimmten Idee der Vernunft von einem Maximum beruht, aber doch nicht durch Begriffe, sondern nur in einzelner Darstellung kann vorgestellt werden, (es kann) besser das Ideal des Schönen genannt werden, dergleichen wir, wenn wir gleich nicht im Besitze desselben sind, doch in uns hervorzubringen streben“ (ebenda; gramma- tisch ergänzt). Das Urbild dieses ästhetischen Ideals ist der Mensch selbst: „Nur das, was den Zweck sei- ner Existenz in sich selbst hat, der Mensch, der sich durch Vernunft seine Zwecke selbst be- stimmt, (…) ist also eines Ideals der Schönheit, so wie die Menschheit in seiner Person, als Intelligenz, des Ideals der Vollkommenheit, unter allen Gegenständen der Welt allein fähig“ (ebenda, B 55, 56). „(A)n der menschlichen Gestalt (…) besteht das Ideal (der Schönheit; Hinzufügung U. E.) in dem Ausdruck des Sittlichen. (…) Der sichtbare Ausdruck sittlicher Ideen, die den Menschen innerlich beherrschen, (…) die Seelengüte, oder Reinigkeit, oder Stärke, oder Ruhe u.s.w. in körperlicher Äußerung (als Wirkung des Innern) gleichsam sichtbar zu machen: dazu gehören reine Ideen der Vernunft und große Macht der Einbil- dungskraft in demjenigen vereint, welcher (…) sie darstellen will“ (ebenda, B 59, 60). Aber das Interesse an diesem idealen Gegenstand – dem gütigen und starken Menschen – ohne Sinnenreiz im Wohlgefallen „beweiset, daß die Beurteilung nach einem solchen Maßstab niemals rein ästhetisch sein könne, und die Beurteilung nach einem Ideale der Schönheit kein bloßes Urteil des Geschmacks sei“ (ebenda, B 60, 61). Es handelt sich viel- mehr um ein teleologisches Urteil, das die Welt, selbst die Natur, danach beurteilt, ob der Endzweck aller Dinge auch in diesem Einzelfall durch die innere Kraft dieses Individuums vollkommen erreicht wurde. Die Geschichtsphilosophie, die vorsieht, Schönheit als Ausdruck des Wahren und Guten hinter dem schönen Schein zu deuten, projiziert das in der Neuzeit wiedergeborene ideale antike Menschenbild in die Objektwelt. Wenn man dieses von Kant beschriebene Ideal der Schönheit in den Bezugsrahmen der platonischen Idee des Absoluten stellt, ergibt sich Her- ders Einstellung. Bei Platon ist das Absolute die Einheit des Guten, Wahren und Schönen. Damit wird der Zusammenhang zwischen Sittlichkeit und Schönheit, wie Kant ihn für das Subjekt konstatiert, für den ganzen Kosmos reklamiert. Die englischen Enthusiasten haben das in der Neuzeit als eine Theorie der empathischen Naturerfahrung formuliert: „Den Gedanken, daß die Sinnendinge aufgrund ihrer harmonischen Ordnung schön sind, daß sie als solche nur Abbilder und nicht das Original des Schönen darstellen, welches letztlich in dem ‚great and General-One of the World‘ als Quelle aller Schönheit zu suchen ist, über- nimmt Herder von Shaftesbury“ (Heinz 1994, 133). Die Seele strebt der Vollkommenheit entgegen, indem sie sich allem öffnet, was ihrem besonderen Wesen entgegenkommt. „Die Empfindung kommt. Die Seele entfernt, was nicht ihr ist: sie zieht, was ihrer Art ist, an, und dies ist Gottes Bild, das sie thätig darstellt, Wahrheit, Liebe, Güte.“ (Herder 1892, 290). Das absolute Gute ist eine „Dreieinigkeit“. Aus dieser Perspektive kann Schönheit nicht anders denn als Ausdruck des Absoluten gedeutet werden. 111 Schönheit als historisches Entwicklungsprinzip Zurück zur Landschaft. Im Hinblick auf Landschaften ist Schönheit dann messbar am Grad des Gelingens jenes Verhältnisses zwischen innerem Streben einer kulturellen Ent- wicklungskraft und dem äußeren Milieu. Wenn diese Relation nicht mehr so einfältige Ergebnisse hat wie am Höhleneingang einer Neandertalerhorde, sondern solche wie in der mittelalterlichen Kulturlandschaft der Bourgogne, Mittelenglands oder Umbriens, dann ist Geschichte weit gekommen, die Kultur hoch und Menschlichkeit schon fast vollkommen. Völker haben ihre mentalen Prädispositionen auf die sie umgebenden äußeren Einflüsse der Schöpfung so eingestellt, dass in ihrer Umgebung ein schönes Abbild ihrer Seele ent- stand. Weil der Differenzierungsgrad des Mensch-Natur-Verhältnisses in einem geschicht- lichen Prozess ein Maßstab für Humanität ist, ist Vielfalt ein positives Merkmal für die Schönheit von Eigenart. Das hat aber nur deshalb Sinn, weil Vollkommenheit die alles beherrschende Idee ist. Diese Idee gewährleistet, dass die Einheit einer Vielfalt deren Wert bestimmt, nicht die Vielzahl ihrer Formen, und dass die Vielfalt dieser Einheit die Schön- heit ausmacht. Schönheit ist damit objektiver Tatbestand einer Entwicklungsstufe, die dem absoluten Guten nahe kommt. Der historische Entwicklungsaspekt macht die Differenz zu Leibniz Monadologie aus, in der der systematische Zusammenhang zwischen Eigenart und Vielfalt als vernünftige Welt- organisation beschrieben wurde. Bei Leibniz ist die Ausdifferenzierung der unendlichen Vielfalt der Monaden gewissermaßen die empirische Ausfüllung eines universellen Sys- temzustands. Die Einzelwesen erfüllen den Auftrag, einer prästabilierten Harmonie anzu- gehören. Dass jedes von ihnen seiner Vollkommenheit zustrebt, ist keine Sache der Ausein- andersetzung mit anderen Monaden, sondern eine gemeinsame übergreifende Struktur, die sich nur aus einzelnen Bestrebungen ergeben kann. Leibniz nennt diese Struktur des Zu- sammenhangs Perzeption. Gerade wenn jede Monade nur ihrer eigenen Vollkommenheit zustrebt, ergibt die Verbindung aller mit allen im wechselseitigen Deutungszusammenhang einer möglichen harmonischen Welt auch tatsächlich ein wirklich stabiles System. Er nennt es „die beste aller möglichen Welten“. Insofern entwickeln sich alle gemeinsam in einer insgesamt stillstehenden Aufwärtsbewe- gung ihrer Individualität. Das System der miteinander koordinierten Individuen entwickelt sich vorwärts, indem die prästabilierte mögliche Ausdifferenziertheit tatsächlich eintritt. Das bedeutet: Relevant ist nicht die Vorwärtsbewegung in der Zeit, damit Neues entsteht, sondern damit Höheres sich erfüllt. Damit steht in Verbindung: Das Geschehen ist nicht determiniert, denn es kann sein, dass Einzelwesen ihren Möglichkeiten nicht folgen; inso- fern herrscht Freiheit.2 Stattdessen ist es prästabiliert, das ist eine vorgegebene Ausbalan- ciertheit für individuelle Aktivitäten, die auf ihre Erfüllung durch die einzelnen Versuche, Vollkommenheit zu erreichen, wartet. Freiheit ist demnach nicht durch Vorbestim- mung ausgeschlossen, aber auch nicht ein beliebiger Zustand der individuellen Wahl. 2 Das folgt aus der Möglichkeit der Sünde selbst in der besten aller möglichen Welten, die Gott geschaffen hat. Die Existenz des Bösen in Gottes Welt kann nicht geleugnet werden; den- noch ist er die absolute Güte und allmächtig. Individualität besteht in der Freiheit/Möglichkeit, das Gute zu tun, nicht in der Notwendigkeit. 112 Sie liegt vielmehr in der Anerkennung der Besonderheit jedes Versuchs, Vollkommenheit zu erreichen. Herder stimmt mit diesem Weltbild überein, geht aber davon aus, dass jene von Gott vorge- sehene, in großer Vielfalt erblühende Ganzheit der Welt gewissermaßen erarbeitet werden muss durch Aneignung, die nur vermittels der Sinne geschehen kann. Aneignung stellt eine Basisrelation aller Lebewesen dar. Für die Menschen ist diese Relation universell, d. h. auf das Ganze der Natur bezogen, und erzeugt Geschichte. Es kommt nicht mehr Prästa- bilation dadurch zustande, dass überhaupt eine Grundstruktur der Bedeutungszuweisung zwischen allen Einzelwesen, jene Perzeption, diese zu einem wohl geordneten System von Differenzen macht, sondern es entsteht Höherentwicklung dadurch, dass Aneignung eine besondere Wechselseitigkeit herstellt. Das widerspricht nicht Leibniz Monadologie, aber es pointiert die Individualität auf zu- sätzliche Art und damit auch anders: Individuen sind nicht mehr Erfüllungsgehilfen ei- nes als Möglichkeit wohl vorbereiteten harmonischen Systems, sondern Aktivisten einer möglichen Entwicklung, in der der Dualismus zwischen Subjekt und Objekt gewisserma- ßen der Austragungsort für Ausdifferenzierung wird. Dadurch wird aus der metaphysisch konstruierten Ausdifferenziertheit der Welt eine geschichtlich realisierte Vielfalt. Die von Leibniz angenommenen Grade der Genauigkeit und Bewusstheit der Perzeption zwischen den Individualitäten werden zu einer natürlichen Hierarchie der materiellen Aneignung unter den Lebewesen. Leben besteht in der Aneignung jeweils niederer Ausdrucksformen von Leben durch höhere (ebenda, 274). Es ist natürlich und gottgewollt, dass niedere We- sen den höheren dienen. Die Menschen beziehen sich dabei auf die gesamte Natur. Herder nennt dieses Weltverhältnis der Aneignung „Genuss“ (ebenda, 274). Das Genießen ist Vervollkommnung des Gegenstandes durch die Aneignung, aber eben- so Vervollkommnung des Subjekts (vgl. Heinz 1994, 140). Der Aneignungsvorgang führt beide Seiten ihrer Bestimmung zu. „Die Seele muß fühlen daß, indem sie erkennet, sie Wahrheit sehe, mithin sich geniesse, ihre Kräfte des Erkennens wohl angewandt, sich also fortstrebend, sich vollkommener wisse: je inniger und unaufgehalten sie das gewahr wird, desto inniger empfindet sie Wohllust“ (Herder 1892, 236). Jedes Lebewesen „assimiliert“ (ebenda, 274) das Andere und Fremde (vgl. Heinz 1994, 152 f.) in der „Begierde nach seinesgleichen“ (Herder 1892, 275), d. h. immer gemäß den Wesensmerkmalen seiner ei- genen Seele. Die Seele ist in einem „dunklen“ (ebenda, 274, 277, 286 f.) Zustand von Rezeptivität und Liebe zwar vorbestimmt in ihrem Wesen, aber dieses Wesen ist noch nicht wirklich. Erst durch den sinnlichen Kontakt mit der Außenwelt entsteht diese für sie, und die Seele selbst bestätigt sich in dem, wozu ihre Möglichkeiten im Inneren (noch dunkel) bestimmt sind. Auf diese Weise gewinnen Subjektivität und Objektivität Bedeutung für- einander durch Genuss – wir würden heute nüchtern „praktische Erfahrung“ sagen –, und das Ganze der Welt entwickelt sich in seiner Vielfalt historisch. (Marx hat das Gleiche we- niger rezeptiv, sondern produktiv gefasst und „lebendige Arbeit“ genannt.) Dass Herder die kulturträchtige Aneignung nicht Beherrschung oder Anpassung oder Nut- zung nennt, verweist darauf, dass es ihm auf zweierlei ankommt: auf den materiellen Stoff- wechsel einerseits, aber andererseits auch darauf, dass Aneignung liebevolle Verschmel- zung von Seelen ist. „Die Liebe wird von Herder als die ‚tieffste innigste Thätigkeit des Organischen Geschöpfs‘ bezeichnet“ (Heinz 1994, 152). Es geht um die Erfahrung einer tiefen Verwandtschaft in der Differenz. Der Mensch lernt sich selbst kennen, wenn er alle Sinne öffnet und seine Seele durch neue Eindrücke erwecken lässt. 113 Kultur durch Seelenverwandtschaft Genau diese Vorstellung überträgt Herder auf die Weltgeschichte. Die Betrachtungsebene wechselt: Auf der subjektiven Seite stehen die Völker. Sie haben einen nur ihnen eigenen Volkscharakter (man spricht ja auch von „Volksseele“). Auf der objektiven Seite stehen die natürlichen Lebensräume. Sie werden durch die Völker liebevoll angeeignet. Daraus entsteht Kultur als eine Einheit verwandter Seelen. Die Zeugnisse dieser Einheit haben diejenige individuelle Eigenart, die die Verwandtschaft zwischen dem spezifischen Volks- charakter und der Naturumgebung ausmacht. Die undeutlich schlummernden Möglichkei- ten der Völker genießen an der Natur genau das, was dieser leichterdings und liebevoll abverlangt werden kann. (Wir würden diese liebevolle Relation Nachhaltigkeit nennen.) So ist Geschichte erfolgreich. Nicht Fortschritt ist der Maßstab, sondern die gemeinsame „Läuterung“ (vgl. Herder 1892, 274) von Natur und Humanität. Leben und Geschichte sind ein „Hinaufläutern“ (ebenda, 274). Unter diesen Voraussetzungen ist es verständlich, warum wir von seelenlosen Landschaften sprechen, wenn wir in kommerziell oder durch Massenverkehr geprägten Gebieten eigenartige Vielfalt vermissen. Herder geht also wie Leibniz oder auch Spinoza von einer wohl gelungenen Schöpfung aus. Aber im Unterschied zu den metaphysischen Systemen der Rationalisten wird auch die Geschichte gewissermaßen zu einem Projekt Gottes. Bei Leibniz ist Entwicklung eine logische Implikation der monadischen Seinsweise; bei Herder ist Geschichte die Voraus- setzung dafür, dass sich Individualität aus der Natur begründen lässt. Wenn und weil es Geschichte gibt, kann die individuelle Vielfalt als Entstehungsprozess in der Auseinan- dersetzung von subjektiven Möglichkeiten mit der Natur, statt – wie bei Leibniz – als prästabilierte Harmonie, gedacht werden. Auch Herder geht wie Leibniz von einer einheit- lichen Schöpfung aus. Aber durch die Fokussierung auf Geschichte erhält das Verhältnis von Menschen respektive Völkern zu ihrem umgebenden Naturraum als Differenz in einer Einheit einen ganz neuen und entscheidenden Stellenwert. Die metaphysische Begründung der individuellen Vielfalt eines guten Ganzen bei Leibniz wird säkularisiert und – „moder- ner“ – unter Berücksichtigung der Natur als einer seelenverwandten Andersartigkeit ganz anders gewichtet. Mit dem Rekurs auf Aneignung trägt Herder dem latenten Materialismus der liberalistischen Naturrechtslehre Rechnung, primär derjenigen von John Locke. Das Bewusstsein einer Zeit, die sich nur noch von materiellen Nutzenerwägungen in einer Welt des Überlebens- kampfes geprägt sieht, beginnt sich zu regen. Aber Herder transformiert dieses Bewusst- sein in den Bezugsrahmen seines philosophischen und politischen Gegenteils: Aneignung ist nicht einfach Naturbeherrschung durch Arbeit, die ihr Glück im materiellen Reichtum findet, sondern ein liebevolles Verhältnis zwischen Seelen – ähnlich wie bei Platon. Daher markiert er in seiner Widerspruchsbindung an den Rationalismus nicht den Übergang in ein erfahrungswissenschaftliches Weltbild wie der Empirismus, sondern er konzipiert eine te- leologische und theologische Konstruktion. „(D)er menschliche Geist ist nicht so gedacht, daß er in den notwendigen Vernunftwahrheiten die Dinge erkennt, wie Gott sie erkennt, sondern so, daß er empirisch in jeweiligen geschichtlichen Gestalten je andere Aspekte der göttlichen Welt entfaltet und verdeutlicht und sich darin der göttlichen Wahrheit annähert“ (Heinz 1994, 142 f.). Und die Rolle des Schönen, das in der typischen Vielfalt besteht, ist es, eine „sinnliche Formel“ für das absolute Gute und Wahre abzugeben. Ich denke, es ist jetzt einigermaßen deutlich, unter welchen Bedingungen Vielfalt schön und Schönheit ein Ausdruck von Vollkommenheit – und beides irgendwie „erholsam“ – ist. 114 Der Genuss, der uns bei der Betrachtung einer von uns angeeigneten Welt zuteil wird, ist dann und deshalb schön, wenn und weil wir uns in ihr als in unserer eigenen Geschich- te der Liebe zur Welt vergegenständlicht sehen – und das in Übereinstimmung mit dem Ratschluss Gottes. Dieser Genuss wiegt uns in dem Glauben, dass diese Welt mit uns zu- sammenstimmt und gedeiht. Wem täte das nicht gut. Wir wollen eine stimmige Welt. Das „teleologische Schönfinden“ ist ein Gefühl der Geborgenheit. Es ist schön, dass alles gut geworden ist. (Dass die Angriffe darauf in der Kunst und der Philosophie sowie in den Sub- kulturen das Gegenteil zum Thema macht, bestätigt das nur, denn es wird ja der verlogene Schein der Stimmigkeit gegeißelt.) Ein solches Gefühl überfällt uns nicht so ohne weiteres unter den Brücken von drei Stadtautobahn-Überführungen. Kant oder Herder? Transzendentalphilosophie und metaphysische Empfindungen können nicht empirisch gegeneinander ausgespielt werden Wohl bemerkt, ich habe nicht gesagt: „Wem täte das nicht schön“, sondern „gut“. Ästhetik ist hier ein theologisches und teleologisches – also auf Zwecke bezogenes – Sinnprinzip im Widerspruch zum Aufklärer Kant. Der hat in seiner Kritik der Urteilskraft gezeigt, dass es sich bei dieser Art des Wohlgefallens um ein teleologisches Urteil handelt, das oft mit einem ästhetischen Urteil verwechselt wird. Nichtsdestoweniger ist das im Rahmen der christlich-humanistischen Geschichtsphilosophie eine Ästhetikkonzeption, nämlich eine Konzeption vom Zustandekommen des Urteils über Schönheit. Das scheint ein Wider- spruch zu sein: Ist das Wohlgefallen an Eigenart nun ein ästhetisches Urteil oder nicht? Es ist kein Widerspruch: Kant analysiert, wie die objektive Geltung von Urteilen zustande kommt. In diesem Rah- men zeigt er (zumindest implizit), dass die Vollkommenheit von Eigenart und Vielfalt sich in teleologischen Urteilen ergibt, nicht in ästhetischen. Das teleologische Urteil ist objek- tiv nur unter der Annahme, dass ein von Gott gewollter Endzweck die Dinge bestimmt. Diese Voraussetzung ist aber nicht beweisbar, sie ist nur eine „regulative Idee“. Aber zu- gleich ist eine solche Erfahrung ganz normal. Jeder Naturliebhaber beobachtet – gewollt oder ungewollt – so. Das ist die eine Ebene. Hält man aber im Rahmen christlicher Frömmigkeit diese Bedingung für unabweisbar gegeben, glaubt also an Gottes guten Ratschluss wie z. B. Herder, dann verschmilzt das ästhetische mit dem teleologischen Urteil erkenntnistheoretisch genauso wie in der Alltags- erfahrung, und der Glaube liefert implizit eine entsprechende „Ästhetikkonzeption“. Das ist die andere Ebene. Jener Widerspruch löst sich demnach in zwei Ebenen auf: In die Analyse des Status von Urteilen – da behält Kant Recht – und in die Anerkennung eines latent frommen, genüss- lichen, ganzheitlichen Lebensgefühls, das auch ein spezifisches Schönheitsempfinden um- fasst. Man genießt auf etwas diffuse Weise den Zusammenhang von harmonischen Gestal- ten und wohl gelungenen Entwicklungen; darüber kann nicht diskutiert werden – Kant hin oder her. Das Gefühl mitsamt dem damit verbundenen Schönheitsempfindungen folgt aber nicht aus dem Wesen der Natur oder der Landschaft, sondern aus dem christlichen Got- tesbegriff, artikuliert also eine Sinnkonstruktion; das hat Kant auf der von ihm gewählten Ebene bewiesen. Die Objektivität dieses Gefühls in seiner empirischen Unmittelbarkeit ist metaphysisch. 115 Diese Art des Schönfindens eines göttlichen Plans ist eine reale Erfahrung; sie kann nie- mandem abgesprochen werden. Aber sie gehört gewissermaßen einem historistisch mo- dernisierten metaphysischen Weltverständnis an. Das heißt, diesen Zustand gibt es, aber er findet in einer unbeweisbaren Welt statt. Als Erfahrung ist das ein individuell gültiger Tatbestand, mehr nicht. Das, was Kant sauber und gültig unterschieden hat, das angeneh- me, das schöne und das gute Empfinden sowie die theoretischen, die ästhetischen, die teleologischen und die praktischen Urteile, ist in der lebensweltlichen Erfahrung zumeist vermengt vorhanden, wir leben gewissermaßen vielschichtig (auf etwas sumpfige Weise) zugleich in metaphysischen, vormodernen, modernen, antimodernen, konservativen und aufgeklärten Zuständen. Das ist unproblematisch, und auf dieser Basis ist die Schönheit der eigenartigen Vielfalt ganz einfach deswegen legitim, weil dieses angenehm gemischte Gefühl existiert. Wird aber dieser individuelle Tatbestand zu einem gesellschaftspolitischen Maßstab und gar zu einer Geschichtsphilosophie erhoben, werden zwei Aspekte bedeutsam: 1. Die Rea- litätsebene, die diesem Maßstab angemessen ist, ist die kulturelle. Der Rekurs auf Seelen- verwandtschaften betrifft einen Sinnzusammenhang; solche Zusammenhänge sind keine materiellen und auch keine politisch strukturierten Zusammenhänge. 2. Die Geltung dieses Tatbestands ist trotzdem nicht politisch neutral; gerade das Unpolitische gilt auf einer an- deren Ebene als politisch. Denn dieses theologisch-naturalistische Gedankengebäude ist die philosophische Grundlage konservativer Politik. Es überträgt die christliche Metaphy- sik des Rationalismus in eine moderne Theorie der Naturaneignung, und zwar so, dass positive Entwicklung immer daran zu erkennen ist, dass sie ebensowenig Gleichheit wie Durcheinander erzeugt. In diesem Sinne handelt es sich bei dieser Geschichtsphilosophie auch um eine konsis- tente Ästhetikkonzeption, denn sie enthält eine Theorie der Bedingungen der Geltung von Urteilen über Schönheit. Die kann nie in Chaos bestehen; das wäre die totale Unvollkom- menheit; es fehlt ihr Eigenart. Und sie kann nicht in Gleichförmigkeit bestehen; das wäre die falsche Vollkommenheit, nämlich eine abstrakte Scheinvollkommenheit. Auch sie hätte keine Individualität. Diese ästhetische Konzeption kann nicht vertreten werden, ohne ihren politischen Sinnzusammenhang, und der ist antiegalitär. Der wird dann automatisch er- stellt. Ob das bewusst geschieht oder nicht, verändert daran nichts. Die Welt und die Stim- mung, in der Vielfalt schön ist, weil sie das Gute und Wahre in einer „einfachen Formel“ vermittelt, ist eine, in der Gleichheit hässlich, falsch und verderblich ist. Vielfalt ist nicht pluralistisch Um die oben eingeführte Polarisierung zwischen Vielfalt und Vielzahl auch auf der Ebene der Zuordnung der Maße für Schönheit zu einer hintergründig leitenden politischen Philo- sophie fortzuführen, werde ich im Folgenden noch so knapp wie möglich die Vielzahl be- handeln, also das komplementäre Pendant des konservativen Hintergrundes der Schönheit von eigenartiger Vielfalt. Wenn die gesellschaftliche Wohlfahrt darauf beruht, dass jeder Einzelne seinen privaten Interessen so ungehindert wie möglich nachgehen kann, erhält das Gleichheitsprinzip des bürgerlichen Staates eine spezifische Wendung: Toleranz wird ein gesellschaftliches Ge- bot. Diese atmosphärische Ausrichtung erhält ihre konstitutionelle Form im Pluralismus- prinzip. Die Gleichheit der Chancen und der Wahrung von Interessen kann nur gelten, 116 wenn diese in beliebiger Zahl zugelassen sind. Je mehr sich auf dieser Ebene artikuliert, desto besser entwickelt sich das Gemeinwohl. In diesem Denkmodell entfaltet sich keine Vielfalt, denn auf einer anderen Ebene ist die Chancengleichheit ein Kampf jeder gegen je- den. Damit das friedlich abläuft, formuliert der Staat faire Kampfbedingungen für alle. Aus Mord und Totschlag wird Sport. Die Einheit des Geschehens ist nicht ein vorgegebenes Ganzes mit Eigenart, sondern eine Aggregation beliebiger Elemente durch ein formales (Spiel-)Regelsystem. Man könnte einwenden, dass gerade im Geburtsland dieser politischen Philosophie sowie des modernen Sports, in England, die Eigenart groß geschrieben wird. Nirgends wird der Spleen höher geschätzt als dort. Aber das ist kein Widerspruch. Denn das begründet sich durch den wichtigsten Grundsatz, auf dem der Liberalismus erkenntnistheoretisch aufbaut: den der Beliebigkeit. Alles Einzelne repräsentiert nichts außer sich selbst, keinesfalls ein höheres Prinzip. Ökonomisch rentiert sich nur Egoismus. Nichts kann anders als um seiner selbst willen zugelassen werden. Und es sollte auf jeden Fall zugelassen werden, weil es ja dem Gemeinwohl nützt, wenn es möglichst viele Einzelereignisse gibt, die Chancen zu verwirklichen suchen: Ich-AGs über Ich-AGs – das ist das Ideal. Eigenart wird durch die Einbindung in das Pluralismusprinzip gewissermaßen formal ato- misiert. Wenn man eine Besonderheit aus dem Zusammenhang reißt, indem man alle Dif- ferenzen zu allen anderen Besonderheiten als Beliebigkeiten begreift, ist sie eine Marotte; und das ist etwas Gutes. Aus einer Systemdifferenzierung wird eine sympathische Schnaps- idee. Eigenart genießt also hohes Ansehen und auch Schutz durch das Toleranzgebot und Pluralismusprinzip, aber sie ist im Rahmen der politischen Ausrichtung auf die formale Gleichgültigkeit vor dem Gesetz Privatvergnügen. Würde man sie dagegen selbst zum po- litischen Prinzip der Vergesellschaftung erheben, liefe das auf irgendeine der Varianten des sogenannten organischen Staates hinaus, die im Gefolge des völkischen Nationalismus im Rahmen des gegenteiligen Weltbildes entwickelt wurden. So bedient man sich des Prinzips der Vielzahl, um das Prinzip der Eigenart ohne Beziehung zur Vielfalt und zur Entfaltung politisch anzuerkennen und zugleich zu neutralisieren. Aus sinnstiftenden Besonderheiten eines höheren Ganzen werden allseits beliebte Spinner. Dieser Exkurs über den Spleen sollte zeigen, dass die Bedeutung der Eigenart nicht von dieser, sondern von dem jeweiligen Weltbild abhängt, in dem sie ihren Platz erhält. Ihr hoher Stellenwert in der Welt der Anerkennung einer Vielzahl beliebiger Interessen kann nicht verhindern, dass Vielfalt etwas ganz anderes, fast das Gegenteil von dem bedeutet, was sie in der Welt der Einheit des Guten, Wahren und Schönen bedeutet. Oder umgekehrt: Wenn Vielfalt keinen Sinn hat, außer als Vielzahl von beliebigen Lebensäußerungen, dann kann Eigenart nur noch eine skurrile Eskapade sein. Das liegt an der Differenz der zu- grunde liegenden Individualitätsbegriffe: Einer ist kompatibel mit Gleichheit, der andere nicht. Epistemologisch zeigt sich die Bedeutung der Kontingenz im Verifikationsprinzip des Empirismus gegenüber dem Falsifikationsprinzip von Popper. Der Empirismus ist die Er- kenntnistheorie des Liberalismus. Er geht von der Kontingenz empirischer Ereignisse aus. Ihre allgemeine Geltung erhalten alle Einzelereignisse durch Subsumtion unter eine Regel, die sich als erfolgreiche Erklärung für das Auftreten solcher Ereignisse erwiesen hat. Ob die Welt wirklich so funktioniert, wie jene Generalisierungsregel für Ereignisse es besagt, kann man nie erfahren. Man kann nur sagen, dass die Erklärung durch eine vom Verstand 117 ausgedachte Regel bisher erfolgreich war. Unter dieser Bedingung ist es vernünftig, die- se Regel so häufig wie möglich zu rechtfertigen durch empirische Tests. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit ihrer Geltung. Die Vielzahl der Bestätigungen eines Gesetzes ist ein allgemeiner Sicherheitsfaktor, wenn man über die allgemeinen Funktionsgesetze der Welt überhaupt nichts wissen kann. Dem Kritischen Rationalismus zufolge gilt das Gegenteil. Er postuliert: Aus der Häufigkeit von erfolgreichen Bestätigungen kann nichts abgeleitet werden. Nur aus einer ersonnenen ernsthaften Widerlegungsmöglichkeit. Wenn die Widerlegung dann aber fehlschlug, kann auf die Gültigkeit eines theoretischen Satzes geschlossen werden. Die Differenz zwischen den Weltanschauungen ist verständlich. Dem Rationalismus geht es um die Wahrheit des Allgemeinen und die Vernunft in der Wirklichkeit. Ein erkanntes Naturgesetz beschreibt eine wahrhaft bestehende Relation im Universum. Tausend Tests machen ein Gesetz nicht wahrer und die Wirklichkeit vernünftiger als ein Test. Nur das Scheitern einer intelligent ersonnenen Alternative kann ein Gesetz festigen. Dem Empiris- mus dagegen geht es um die Beliebigkeit des Einzelnen und das Geschick seiner vernünf- tigen Selbstbeherrschung. Wenn diese Beliebigkeit erhalten und friedlich reguliert werden soll, müssen die Regeln wohl erprobt sein. Deshalb stabilisieren viele Bestätigungen im Einzelnen eine allgemeine Gesetzesregel. Mit Vielfalt und Eigenart können beide Weltanschauungen nichts anfangen: Der Liberalis- mus heiligt sie auf hinterlistige Art und Weise im Spleen, und der Rationalismus schafft sie durch Reduktion des Sinns des individuellen Ganzen auf mechanische Funktionserfüllung aus der Welt. Das werde ich hier nicht weiter ausführen; es sei nur der Vollständigkeit hal- ber erwähnt. Wir brauchen das für die Gegenüberstellung Vielfalt versus Vielzahl nicht. Ich habe den Kritischen Rationalismus nur eingeführt, um die Pointe des Empirismus deutli- cher zu machen. Auch Vielzahl ist also nicht nur einfach eine ganze Menge Zeugs, sondern ein gesellschaftlicher Wert, genauso wie die Vielfalt, bei der wir das vielleicht schon eher vermuten. Fazit: Landschaftsbildanalyse ist Gesellschaftswissenschaft, nicht Naturbeobachtung. Die Konformität des Messverfahrens der Landschaftsbildanalyse mit dem Nutzenkalkül ist politisch, philosophisch und erkenntnistheoretisch zwingend. Genauso zwingend ist die Schieflage des Anliegens, mit diesem Kalkül Vielfalt zu messen. Die Unangemessenheit der beiden Ebenen könnte man vielleicht mit einem aktuellen Beispiel illustrieren: Sie passen ungefähr so gut zusammen wie der Versuch, in einer Firma die Führungsqualitäten eines guten, menschlich souveränen Chefs durch Vorschläge einer Organisationsberatung trainieren zu lassen. Die Diskussion in der Landschaftsplanung sollte sich sinnvollerweise nicht darum drehen, dass oder ob die Quantifizierung von Vielfalt Schönheit verballhorne, oder aber darum, ob Vielfalt überhaupt eine ästhetische Dimension bezeichne, wie ich das Problem eingangs gewendet habe, sondern, nachdem das Letztere geklärt ist, darum, mit welcher Art von Ästhetiktheorie (und Schönheitsgefühl) man sich welches politische Weltverständnis ein- handelt. Ich betone noch einmal: Keine dieser Gefühlslagen des Schönfindens kann oder soll jemand ausgetrieben werden, auch nicht der heimliche und unbewusste Genuss der Vollkommenheit der göttlichen Schöpfung und eines humanen Geschichtsverlaufs. Aber es ist etwas ganz anderes, sowohl eine wissenschaftliche Methodik (wie auch immer die dann aussehen möge) als auch staatliche Naturschutz- und Planungsmaximen mit solchen 118 Gefühlen zu begründen. Auch das kann man tun, und ich empfehle das sogar. Was die Bedingungen dafür wären, habe ich bereits in Teil 1 bei der Gegenüberstellung von Land- schaftsbildanalyse und gesellschaftswissenschaftlichem Sinnverständnis von Erholungs- wünschen gesagt. Aber wenn man sich dazu entschließt, Vielfalt zum Maßstab zu erheben und tatsächlich zu bestimmen – und ich meine jetzt nicht allgemeine, unspezifische Dif- ferenziertheit des Geländes, sondern regionale Vielfalt –, dann wäre es vernünftig, diese Strategie offen als ein antimodernes Syndrom in der Moderne zu exponieren. Dann könnte diskutiert werden, wie es demokratisch assimiliert werden kann. Es geht also nicht darum: Wie messe ich Schönheit, ohne sie zu vermessen?, sondern darum: Wie und für welche ausgewählten Problemlagen vertrete ich auf der Ebene staatlicher Maßnahmen das alltäg- lich auftretende existenzielle Gewicht von Sinn (und Sinnverlust) in modernen technischen und demokratischen politischen Strukturen? Die Planungspraxis hat bereits reagiert und versucht tatsächlich der Vielfalt Tribut zu zol- len, weil sonst gar keine vernünftigen Bewertungen vorgenommen werden könnten; denn eine große Anzahl der Aufgabenstellungen ist mit der Subsumtion regional unspezifischer Vielfaltziffern unter ein Nutzwertschema nicht erfüllbar. Es wird der typische Bedeu- tungszusammenhang der Gegend anhand der Stellung der gemessenen Objekte in einem spezifischen landschaftlichen Ganzen in die Messdaten hineingelesen, d. h. der Messung irgendwie Sinn verliehen. Man orientiert sich dann an sogenannten Leitbildern. Ich halte das für eine einigermaßen vernünftige Praxis. Die Qualität der Bewertung hängt dann vor allem von der kulturellen Sensibilität und natur- und kulturgeographischen Schulung der bewertenden Person ab. Aber eigentlich beobachtet man immer noch das falsche Objekt – auch dann, wenn diese an einer Gegend abgelesenen Leitbilder durch den „Nutzer“ verifiziert werden. Denn die Beurteilung der Wirkung von Natur- und Kulturlandschaften auf die geplagte Seele moder- ner Menschen ist ein gesellschaftswissenschaftliches Problem. Um den Wert von Regionen festzustellen, könnten Fragen wie die folgenden berücksichtigt werden: - Wie wirkt sich die formale quantitative Intensivierung von Kommunikation durch die sogenannten neuen Medien auf den Stellenwert von Naturerfahrung bzw. von ländlichen Milieus aus? - Welchen Bedeutungsanteil hat Heimat bei der positiven Bewertung von Naturer- fahrung? - Welchen Bedeutungsanteil hat Fremde bei der positiven Bewertung von Naturer- fahrung? - Welche Fremdbestimmungen in der Lebenswelt korrelieren mit welchen alterna- tiven Ideen von Natur? - Wie wird Sinnverlust thematisiert; welche Anteile von Natur, Landschaft, Hei- mat, Eigenart, Vielfalt treten dabei auf? - Welche Naturkenntnisse und regionalen geographischen Kenntnisse sind Vor- aussetzung bzw. förderlich für Sinnerfahrung in der Landschaft? - Welche Unterschiede treten bei allen Fragen hinsichtlich ländlicher bzw. städti- scher Probanden auf? Was ich hier aufführe, ist kein ernsthaftes, gegliedertes Forschungsdesign, sondern der Sinnhorizont für die Arbeit mit dem Landschaftsbild. Ich will damit den Allgemeinheits- grad der Einstiegsebene andeuten, in welche der regionale Aspekt der Untersuchungen 119 eingebettet sein und dann eben gezielt operationalisiert werden müsste. Es wäre unbedingt zu vermeiden, dass diese beiden Ebenen im Stil landläufiger empirischer Sozialforschung kurzgeschlossen werden, etwa so: Ist der Teutoburger Wald Ihrer Meinung nach vielfältig? Oder: Hat der Kaiserstuhl für Sie Sinn? Auf der anderen Seite stehen wohl nach wie vor die Fälle, in denen aus formalen politi- schen Rechtfertigungsgründen in Planungsprozessen der Wert von Gebieten gegeneinander verrechnet werden soll. Hier scheint mir die standardisierte Landschaftsbildbewertung an- wendbar zu sein. Man sollte sie dann aber vielleicht Gebietswertanalyse oder Geländewert- analyse oder so ähnlich nennen, denn die Landschaften und Bilder bestehen aus abstrakten Merkmalskombinationen eines regionalen Objekts, auch dann, wenn sie vor Ort ermittelt werden. Auch hier sollen ja nicht wirklich Landschaftserfahrungen von Menschen unter- sucht, sondern administrative Maßnahmen für den politischen Prozess geheiligt werden. Literatur EISEL, U. (2004): Naturbilder sind keine Bilder aus der Natur. Orientierungsfragen an der Nahtstelle zwischen subjektivem und objektivem Sinn. Gaia 13 (2): 92-98. EISEL, U. (2006): Vielfalt im Naturschutz – ideengeschichtliche Wurzeln eines Begriffs. In: POTT- HAST, TH. [Hrsg.]: Biodiversität – Paradigmenwechsel im Naturschutz? Veröffentlichungen des Bundesamtes für Naturschutz. (im Druck) HEINZ, M. (1994): Sensualistischer Idealismus. Untersuchungen zur Erkenntnistheorie und Meta- physik des jungen Herder (1763-1778). Studien zum achtzehnten Jahrhundert. Hrsg. v. d. Dt. Gesellschaft für die Erforschung des achtzehnten Jahrhunderts, Bd. 17, Hamburg. HERDER, J. G. V. (1892): Vom Erkennen und Empfinden der menschlichen Seele. Bemerkungen und Träume. In: Sämtliche Werke, Band 8, SUPHAN, B. [Hrsg.], Berlin 1877-1913. 165-333 (zuerst 1774 und 1775). KANT, I. (1968): Kritik der Urteilskraft (1. Aufl.: 1790, zitierte Fassung: 1793). Kant, Werke in zwölf Bänden, Bd. X, Theorie-Werkausgabe Suhrkamp, Frankfurt am Main. PROMINSKI, M. (2004): Landschaft entwerfen. Zur Theorie aktueller Landschaftsarchitektur. Ohne Ort. 120 LANDSCHAFTSERFAHRUNG UND INDIVIDUELLE ÄSTHETISCHE ANEIGNUNG Werner Nohl Planungsästhetik versus Erlebnisästhetik Wer sich als Planer Gedanken über Landschaftsästhetik macht, tut gut daran, deutlich zwi- schen subjektivem Landschaftserleben und der Umsetzung subjektiver Erlebensweisen und -strategien in Planungsanleitungen zu differenzieren. Für das erlebende Subjekt ist äs- thetisches Erleben wie alles menschliche Erleben ein individueller, ganz persönlicher Vor- gang. Zwar bilden sich individuelle ästhetische Präferenzen immer in Auseinandersetzung mit Standards und Normen des sozialen Umfeldes (Bezugspersonen, soziale Gruppen, Gesamtgesellschaft) heraus, das ästhetische Erleben selbst stellt jedoch eine individuelle Lebensäußerung dar. Solange sich dabei ästhetische Präferenzen auf Gegenstände richten, über die die erleben- den Individuen frei verfügen können, ist Ästhetik ein problemloses Vergnügen. Jeder kann in seiner Wohnung die Bilder aufhängen, die ihm ästhetisch gefallen, und er kann sie je- derzeit wieder abhängen, wenn sich sein Geschmack verändert hat. Mit Landschaft verhält sich das anders. Landschaft ist ein Gegenstand, der allen Individuen der Gesellschaft genü- gen muss, auch in ästhetischer Hinsicht. Landschaft lässt sich nicht „abhängen“, wenn sie einem nicht mehr gefällt. Die Ästhetik öffentlicher Güter, so ließe sich ein erster Schluss daraus ziehen, kann deshalb nicht den Geschmacksvorlieben einzelner Personen überlas- sen bleiben. Das gilt auch für Planer. Die räumliche Planung wird daher in ihrem Bemühen um eine ansprechende Umwelt nicht ein einzelnes, individuelles Ästhetikkonzept verfolgen können. Planung benötigt einen ästhetischen Ansatz, der es erlaubt, die Landschaft mit ihren Dingen und Räumen der- art zu organisieren, dass sich möglichst viele Menschen mit den unterschiedlichsten Vor- stellungen ästhetisch „verwirklichen“ bzw. ästhetisch wiederfinden können. In der Land- schaftsplanung geht es also nicht um eine individuelle Erlebnisästhetik sondern um eine Planungsästhetik, mit der sich ein breites Publikum (mehr oder weniger) einverstanden erklären kann. Die über eine Planungsästhetik bewirkten landschaftlichen Verhältnisse müssen es dem Einzelnen gestatten, im erlebenden Nachvollzug seinem eigenen ästhetischen Ansatz zu folgen. Welchen Prinzipien er dabei anhängt, welchen philosophischen Favoriten (oder auch nur das Klischee davon) er auswählt, ist seine eigene Angelegenheit. Ein wie auch im- mer gearteter Rechtfertigungsdruck kann aus individualästhetischer Sicht nicht zugelassen werden. Als öffentliches Gut dagegen muss Landschaft ästhetisch derart organisiert sein, dass jeder interessierte Bürger eine (mehr oder weniger) gute Chance hat, diesen seinen eigenen ästhetischen Vorstellungen im landschaftlichen Raum möglichst nahe zu kommen (Nohl 2001). 121 Planungsästhetik und Individualästhetik sind aber andererseits keine Wertbereiche, die sich diametral entgegenstehen. Eine funktionierende Planungsästhetik wird immer Elemente enthalten, die (klugen) individualästhetischen Ansätzen entnommen sind. In diesem Sinne sollen im Folgenden einige Aspekte individuell-ästhetischer Erfahrungsbildung herausge- arbeitet werden, auf die eine brauchbare Planungsästhetik nicht verzichten kann. Der Zusammenhang zwischen Landschaft, Betrachter und Landschaftsbild Eine Planungsästhetik wird immer zwischen (objektiv gegebener) Landschaft und (sub- jektiv-ästhetisch erlebtem) Landschaftsbild unterscheiden müssen. Im Landschaftsbild als der subjektiven Interpretation einer gegebenen Landschaft spielen nicht nur die objektiv vorhandenen Strukturen und Eigenschaften der Landschaft mit den Komponenten Relief, Vegetation, Gewässer, Nutzungen, Baustrukturen usw. eine Rolle. Im Landschaftsbild sind immer auch die geistig-seelischen Fähigkeiten des Betrachters wie z. B. seine Wahrneh- mung und sein Erinnerungen an vergleichbare Landschaften, aber auch seine subjektive Befindlichkeit, d. h. seine Bedürfnisse, Gefühle, Hoffnungen und Ängste usw. wirksam. In Bildern sind immer Fakten und Werte zugleich aufgehoben (Boulding 1961). Das Landschaftsbild umfasst also immer mehr als die sichtbaren landschaftlichen Tatsa- chen. Die reale Landschaft mit ihren erlebbaren Strukturen und Prozessen ist zwar der Auslöser des Landschaftsbildes, aber erst die mit den Bedürfnissen und Wünschen verbun- denen Sichtweisen des Betrachters verwandeln die faktische Landschaft in ein emotional- werthaltiges, ästhetisches Landschaftsbild (Nohl 1981). Die subjektive Befindlichkeit des Betrachters bewirkt, dass immer nur bestimmte Teile, As- pekte, Strukturen der Landschaft gesehen werden, und andererseits auch Nicht-Geschautes, nur Erahntes, gelegentlich gar Fantasiertes in die Landschaft hineingedeutet wird. Mensch- liche Wahrnehmung ist selektiv und imaginativ zugleich. Mit Landschaftsbild wird so zum Ausdruck gebracht, dass nicht die objektive Landschaft gemeint ist, sondern immer nur die Perspektive, die sich aufgrund des „Standpunktes“ des Betrachters ergibt. Dabei kann die Rede vom Standpunkt durchaus auch wörtlich genommen werden: einem Betrachter bietet sich schon aufgrund seines räumlichen Standpunktes immer nur eine spezifische Perspekti- ve der Landschaft dar. Die Standpunkthaftigkeit unseres Sehens geht aber weit über diesen räumlichen Zusammenhang hinaus (Kruse 1974). Wir nehmen auch deshalb perspektivhaft wahr, weil sich unsere Erfahrungen, Erwartungen, Gefühle und Absichten immer zwischen die Gegenstände der Außenwelt und unsere Wahrnehmung schieben. Diese wertende In- tentionalität der Wahrnehmung bewirkt, dass wir die Landschaft nicht erfassen, wie sie ist, sondern wie sie uns erscheint. Das Landschaftsbild kann damit als das Erscheinungsbild der Landschaft begriffen werden. Die Rolle der Wahrnehmung Im Landschaftsbild geht es also immer um das Wechselspiel von Landschaft und Betrachter. Angesichts der großen Vielfalt auf Seiten der Landschaft – gleicht doch kein Landschafts- ausschnitt dem anderen – kommt es für den Betrachter darauf an, der Fülle des Materials derart zu begegnen, dass die je betroffene Landschaft für ihn in sinnvollen Zusammen- hängen erlebbar und erkennbar wird. Diese Tendenz zum sinnverstehenden Erleben und Verstehen wird bereits durch den Prozess der Wahrnehmung gefördert. So unterliegt alle Wahrnehmung einer spontanen Tendenz zum Erfassen zusammenhängender Gestalten (z. B. Katz 1969). Beispielsweise drängen unsere Sinne fortwährend darauf, die Landschaft 122 nicht als Ansammlung von Elementen zu erleben, sondern in (zusammenhängenden) Fi- guren und Räumen zu sehen (Nohl 1997). So erleben wir etwa dicht bei einander stehende Bäume i. d. R. nicht als einzelne Elemente sondern als Wald, als Feldgehölz, als Hain oder dergleichen. Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Analysieren bevorzugen wir im ästhe- tischen Erleben den gestalthaften Blick, der die Einzeldinge (noch vor dem Denken) zu einer komplexen Ganzheit verschmilzt. Dabei tendiert die Wahrnehmung dazu, die Dinge im Erlebnisfeld zu „guten Gestalten“ und damit zu einprägsamen Strukturen zusammen- zufassen. Die Wahrnehmung in figürlichen und räumlichen Gestalten bewirkt, dass wir das Erlebnisfeld in einer ersten grundlegenden Gliederung nach dem Figur-Grund-Prinzip un- terteilen, insbesondere wenn sich in ihm auffällige oder bedeutungsgeladene Gegenstände befinden. Dadurch werden die dominanten Figuren wie in einer Reliefdarstellung gegen den Grund deutlich hervorgehoben. Oder wir erleben in der Landschaft oftmals auch dort Raum, wo eine allseitige Geschlossenheit nicht gegeben ist (z. B. unter dem schirmartigen Geäst eines großen Baumes). Die Erkenntnis von und das Wissen über Landschaft wird auch dadurch gefördert, dass an der Wahrnehmung meist mehrere Sinne beteiligt sind. Informationen über die Landschaft sammeln wir ständig mit den Augen, den Ohren, der Nase, ja mit dem ganzen Körper. Beispielsweise sehen wir in einem dunklen Fichtenforst nicht nur, wie sich die regelmä- ßig aufgereihten Stämme im dämmrigen Licht des Hintergrunds allmählich auflösen, wir werden zugleich auch der Stille, z. B. des fehlenden Vogelgezwitschers gewahr, und es steigt uns möglicherweise der faulige Geruch von Pilzen in die Nase. Auch ist nicht sel- ten unser Leib selbst als Sinnesorgan tätig. Wir tasten aktiv mit Händen und Füßen, und unsere Haut nimmt eher reaktiv aber feinfühlig Sonne, Wind, Regen, Kälte usw. wahr. Dennoch ist uns jede Landschaft hauptsächlich als visuelle Welt gegeben, wie schon die Kennzeichnung des Menschen als „Augentier“ verdeutlicht. Deshalb sind im Allgemeinen viele landschaftsästhetische Anmutungen im Visuellen verankert. Dass wir überhaupt die gegenständliche Welt wenn nicht vollständig so doch zusammenhängend und räumlich wahrnehmen, verdanken wir insbesondere dem visuellen Sinn. Indem wir mit unseren Au- gen einen bestimmten Ausschnitt einer Landschaft erfassen, begreifen wir nicht nur seinen räumlichen Aufbau und die Raum schaffenden Strukturen. Mit der detaillierten visuellen Wahrnehmung der Formen, Umrisse, Farben usw. werden diese Strukturen zu zusammen- hängenden Bildern verdichtet. Die Informationen, die die übrigen Sinne liefern, wirken dabei oftmals wie die Gewürze an einer Speise. Sie geben den letzten Schliff und runden das Wahrnehmungsbild ab. Wertbildung und Erinnerung Dem sinnhaften Verstehen von Landschaft dient im ästhetischen Erleben auch der psy- chische Vorgang der Inwertsetzung des Wahrgenommenen, wobei beide Prozesse, Wahr- nehmen und Inwertsetzen, unlöslich miteinander verknüpft sind. Hinter der Wertbildung verbirgt sich das Wechselspiel von Wahrnehmung und Erinnerung. Die Erinnerungen an vorgängig erlebte Landschaften stellen einen wesentlichen Maßstab dar, wenn es darum geht, die ästhetische Qualität einer aktuell erlebten Landschaft zu beurteilen. Wir tragen ja immer schon Erinnerungen an Landschaften mit uns herum. So vergleichen wir bei jedem aktuellen Landschaftserlebnis das gegenwärtige Landschaftsbild mit bereits vorhandenen Erinnerungsbildern dieses Landschaftstyps. Für Erinnerungsbilder ist nun kennzeichnend, dass die weniger wichtigen Einzelheiten im Laufe der Zeit verloren gehen, während das 123 Charakteristische der Landschaft sich gedanklich präzisiert und festsetzt (Arnheim 1969). Aufgrund dieser Tendenzen zur Vereinfachung und andererseits zur Prägnanz bildet sich in unserer Erinnerung ein Fundus an charakteristischen Landschaftstypen heraus, von denen wir genau wissen, dass sie ihren Inhalten nach unseren landschaftsästhetischen Bedürfnis- sen besonders gut entgegenkommen. Umgekehrt werden in der Erinnerung auch ästhetisch unbefriedigende Landschaftserlebnisse in Bildern festgehalten. Sie machen uns im Prozess der Wertbildung deutlich, was wir ästhetisch nicht wollen. Natürlich gibt es keine absolute Erinnerungsgewissheit, wir vergessen Manches – vor allen Dingen Negatives –, wodurch sich die Vergleichsgrundlage im Laufe der Zeit verändern kann. Auch der permanente Wahrnehmungszufluss trägt zur stetigen Modifizierung unserer Erinnerungen bei (Hellpach 1977). Unabhängig davon, wie schnell oder gründlich sich unsere Erinnerungsbilder verändern, der Wert, den wir einer Landschaft im Augenblick des Erlebens zusprechen, hängt vom Ergebnis des Vergleichs der aktuellen Wahrnehmungsbil- der mit den vorhandenen Erinnerungsbildern ab. Das ästhetisch Positive in solchen Erinne- rungsbildern lässt sich vom Betrachter in der Regel ganz gut über Merkmale wie Vielfalt, Naturnähe, Gliederungskraft, Eigenart und Tiefenwirkung der Landschaft u.a. verbal zum Ausdruck bringen. Hier liegt die Begründung dafür, dass diese Landschaftsmerkmale als wesentliche Kriterien landschaftsästhetischer Qualität in planerischen Bewertungsprozes- sen häufig Anwendung finden. Gefühle, Stimmungen und Anmutungen Mit den Wertbildungsprozessen werden die Inhalte landschaftlicher Wahrnehmung aber auch „emotionalisiert“, was daran liegt, dass Bedürfnisse und ihre Befriedigungshandlun- gen, und damit auch ästhetische Bedürfnisse, immer von Gefühlen begleitet sind (z. B. Lersch 1962). Die Verquickung von Wahrnehmung einerseits sowie Gefühl und Stimmung andererseits ist häufig so eng, dass wir auch sagen können, die Wahrnehmung selbst zeich- ne sich durch eine affektive Komponente aus. Wir halten uns beispielsweise nie teilnahms- los in einer Landschaft auf. Wir erschaudern, wenn das Geäst eines alten Baumes im Winde knarzt; ärgern uns, weil eine Windfarm die Horizontlinie der nahen Hügelkette aufreißt; genießen den gelben Aspekt blühenden Ginsters auf einer verbrachten Hangwiese; schauen mit Interesse dem regen Schiffsverkehr auf einem schilfgesäumten Kanal zu usw. Im ästhetischen Erleben gehen die wahrgenommenen Dinge der Landschaft und die Ge- fühle der Betrachter im Laufe der Zeit oftmals derart feste Verbindungen ein, dass uns das Emotionale als Eigenschaft der Dinge erscheint. Soweit diese Eigenschaften selbst wieder Gefühle und Stimmungen beim Betrachter auszulösen vermögen, können sie als „Anmutungsweisen“ (Metzger 1954) bezeichnet werden. Wer sich vor einem großen, dichten Nadelwald ein wenig fürchtet, drückt dies möglicherweise dadurch aus, dass er sagt, der Wald mute ihn „finster“ an. Anmutungen sind meist konnotativer Natur, insofern durch sie die Dinge nicht einen Sachsinn sondern eine Gefühlsaura zum Ausdruck brin- gen (Herrmann, Stäcker, 1975). Aber auch denotative, d. h. eher gegenstandsnahe Begriffe können gelegentlich Anmutungswirkung besitzen. Beispielsweise sind „groß“ und „breit“ im Allgemeinen Eigenschaften, die zunächst nur zur sachlichen Beschreibung eines Ge- genstands dienen. Werden sie aber im Zusammenhang mit dem ästhetischen Erlebnis etwa einer alten, mächtigen Eiche verwendet, dann handelt es sich durchaus um Anmutungen, denn in ihnen schwingt nun Emotionales mit, und damit mehr, als der sachliche Kern die- ser Begriffe hergibt. Natürlich wirken die Dinge auf uns nur deshalb freundlich, rätselhaft, 124 abstoßend oder banal, weil wir in einem Akt der Übertragung unsere eigenen Stimmungen und Gefühle auf die Dinge projizieren. Anmutungen haftet nichts Unerklärliches an. Viel- mehr haben wir gelernt, dass wir unsere Ergriffenheit in der Landschaft auch über die Din- ge anklingen lassen können, wodurch die Landschaft zum Widerschein der menschlichen Seele wird. Dass die Anmutungen letztlich dem erlebenden Subjekt verpflichtet sind, zeigt sich auch daran, dass starke Gefühle auf Seiten des Subjekts die landschaftlichen Dinge entsprechend mit Beschlag belegen können. Es passiert nicht selten, dass sich ein inten- sives Vorerlebnis auf einen danach stattfindenden Landschaftsbesuch in seiner Wirkung überträgt. Die Landschaft erscheint uns dann vielleicht deutlich aufregender, freundlicher usw., als das ohne dieses Vorerlebnis der Fall gewesen wäre. Wie überhaupt bestimmte Stimmungen als oftmals längerfristige Gefühlslagen dem Landschaftserlebnis nicht selten eine spezifische emotionale Ausrichtung verleihen. Relevanz der Dinge Über die Anmutungen offenbaren uns die Dinge oftmals einen sonderbar tätigen Charakter. So erleben wir beispielsweise, dass die Sonne „sticht“, eine Wolke „droht“, ein Schatten nach uns „greift“, der Sand unsere Füße „umspielt“ usw. Mit solchen aktiven, fast mensch- lichen Zügen vermögen die Dinge den Betrachter leicht für sich einzunehmen. Diese über die Anmutungen stattfindende Verlebendigung der Dinge kann der Landschaft einen ganz besonderen ästhetisch-poetischen Zauber verleihen. Es sind also die Anmutungen, die die Dinge im ästhetisch-emotionalen Sinne eindringlich machen, und über die sie in uns ihre je eigenen Eindrücke hinterlassen (Dürckheim 1932). Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, dass wir dieses Lebendig-Werden der Dinge unter- stützen können, indem wir uns selbst entspannen, uns treiben lassen, also zulassen, dass uns die Dinge ansprechen, anstatt dass wir uns ihnen fordernd zuwenden. In solchen Mo- menten des scheinbar absichtslosen Aufenthalts in der Landschaft, wenn wir zum Bei- spiel alle unsere Alltagssorgen oder auch unsere wissenschaftlichen Ambitionen gegenüber Landschaft vorübergehend „vergessen“, und uns statt dessen von den Dingen emotional beeindrucken lassen, merken wir, dass sich uns die Landschaft in ganz besonderer Weise mitteilt. Das Alltagsleben verlangt von uns überall höchste Aufmerksamkeit, Konzentration und Wachsamkeit, sei es am Arbeitsplatz, in den geschäftigen Straßen der Stadt, an den spaß- und gesundheitsorientierten Freizeitorten usw. Solange wir mental und körperlich in die- sen Zwängen des alltäglichen Überlebens verharren, haben es die Dinge natürlich schwer, ästhetisch zu ihrem „Recht“ kommen. Erst wenn wir uns dieser einseitigen Konzentration entziehen, uns leiblich und seelisch entspannen, können wir in einen Zustand geraten, in dem wir erleben, dass uns die Dinge von sich aus anrühren. Für solches Ergriffensein ist kein mystisches Versenken notwendig, denn es handelt sich nicht darum, in eine wie auch immer beschaffene übersinnliche Wirklichkeit abzutauchen. Nötig ist vielmehr, dass wir uns mental von Alltagsproblemen frei machen, aber auch alle vorgefassten Erwartungen in Bezug auf Landschaft zurücknehmen. Solche Entspannung ist die Voraussetzung dafür, dass nicht wir die Dinge betrachten, dass vielmehr uns die Dinge anschauen. Goethe hat – seine erste Begegnung mit Christiane Vulpius beschreibend – dieser anmuten- den Eindringlichkeit der Dinge im Zustand der Weltvergessenheit in geradezu klassischer Weise in dem weithin bekannten, kleinen Gedicht „Gefunden“ Ausdruck verliehen. Die beiden ersten Strophen reißen das ganze Programm an: 125 „Ich ging im Walde / so für mich hin, / um nichts zu suchen, / das war mein Sinn./ Im Schatten sah ich / ein Blümchen stehn, / wie Sterne leuchtend, / wie Äuglein schön.“ Die Eindrucksstärke der Dinge kann im Grenzfall bis zur Anmutung des Ausgeliefertseins gehen. Rilke hat dem verbal etwa in seinem Gedicht „Der Panther“ unübertroffen Aus- druck verliehen: „Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe / so müd geworden, daß er nichts mehr hält, / ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe, / und hinter tausend Stäben keine Welt.“ Anmutungsfelder So wie bei den Dingen die Gefühle und Stimmungen des Betrachters als Anmutungen wirksam werden, werden auch mit Landschaften und landschaftlichen Bereichen Aus- drucksgehalte assoziiert, die sich begrifflich als Anmutungsfelder fassen lassen. Im Anmu- tungsfeld einer Landschaft bringt demnach das erlebende Subjekt seine auf die Landschaft als ganzheitliches Erlebnisfeld gerichteten Emotionen und Werte zum Ausdruck. So mag sich für uns etwa das Anmutungsfeld eines Wiesentals mit plätscherndem Bach und Ufer säumenden Erlen aus den Erlebnisqualitäten des „Heiteren“, des „Anmutigen“, des „Ge- ruhsamen“, des „Schönen“ usw. zusammensetzen, während uns das Anmutungsfeld eines nahebei gelegenen Golfplatzes mit seinen schlierenartigen Sandbunkern und dekorativ ein- gestreuten „Biotopen“ vielleicht eher „imposant“, „beeindruckend“, „gewichtig“, „geschäf- tig“ usw. vorkommt. Landschaften „besitzen“ also in Abhängigkeit von ihrem Raumtypus, ihrer Größe, ihrer Ausstattung, ihrem Ordnungsmuster, ihrer Nutzung usw. eigentümliche ästhetische Anmutungsfelder, über die sie uns emotional beeindrucken oder „kalt“ lassen, uns an sich binden oder abstoßen. Und weil das so ist, sind es die Anmutungsfelder im landschaftsästhetischen Erleben, die in gewisser Weise zu einer „Vermenschlichung der Landschaft“ (Hellpach 1977) führen. Das ästhetische Anmutungsfeld einer Landschaft wird uns vor allem dann zugänglich, wenn wir uns der Landschaft mit „Leib und Seele“ zuwenden, wenn wir bereit und fähig sind, uns mit allen unseren Sinnen wie Sehen, Hören, Riechen, Tasten, unseren Körperfä- higkeiten des Bewegens und Handelns und mit unseren geistigen Fähigkeiten des Denkens, Imaginierens und Fühlens vorbehaltlos auf das Ensemble der Dinge einer Landschaft ein- zulassen. Wenn wir uns der Landschaft in dieser offenen Haltung nähern, zeigt sie uns am ehesten ihr eigentümliches Gesicht und erschließt sich uns in immer neuen ästhetischen Facetten. Das emanzipatorische Moment im landschaftsästhetischen Erleben Die bisher dargestellten Aspekte individueller landschaftsästhetischer Erfahrungsbildung, die in einer erfolgreichen Planungsästhetik zu berücksichtigen wären, verdeutlichen, wie das unmittelbar Wahrnehmbare der Landschaft ästhetisch angeeignet wird. Im ästhetischen 126 Erleben spielen jedoch nicht nur die Wahrnehmung (der landschaftlichen Gegebenheiten) sondern auch die (nicht landschaftsbezogenen) Vorstellungen, Hoffnungen, Wünsche und Visionen des Betrachters eine erhebliche Rolle. Auch wenn letztere dem Subjekt und seiner Bedürftigkeit geschuldet sind, so sind es dennoch bestimmte landschaftliche Reize, an de- nen sich das Visionäre gern und oft entzündet. Im Landschaftsbild spiegeln sich also immer die Landschaft selbst wie auch die mit ihr symbolisch verknüpften ausserlandschaftlichen Gehalte wider. Mit den Hoffnungen, Wünschen und Utopien, wie sie beim Betrachter von bestimmten landschaftlichen Gegebenheiten ausgelöst werden, stellt sich in ästhetischer Hinsicht Landschaft tendenziell als ein Sinnbild einer besseren Welt und einer besseren Gesellschaft dar, in der Unvollkommenheit, Entfremdung und Repression überwunden erscheinen. Im ästhetischen Erlebnis von Landschaft ist demnach ein nicht hintergehbares emanzipato- risches Moment enthalten. So mag der Betrachter im ästhetischen Erlebnis sich spontan entwickelnder Natur etwa gewahr werden, dass nicht alles dem Willen und dem verwer- tenden Zugriff des Menschen unterworfen ist: Das Naturschöne kann so zu einer Chiffre der Freiheit und der Selbstbestimmung werden. Oder ein Stück Kulturlandschaft, das sich seine Eigenart weitgehend erhalten hat, mag das Bild eines freundlichen sozialen Mitein- anders hervorrufen: ein in einen Kranz von Obstwiesen eingebettetes Dorf kann so als ein Sinnbild für Heimat und Selbstverwirklichung erfahren werden. Das Naturschöne wird so als „die Spur des Nicht-Identischen im Bann universaler Identität“ (Adorno 1970, 114) erfahren. Gerade weil im täglichen Leben Emanzipation oft auf der Strecke bleibt, besteht der beson- dere Reiz des landschaftlichen Schönen auch darin, dass es uns daran erinnern kann, dass die Möglichkeit der Mündigkeit und eines selbstbestimmten Lebens zu den besonderen Wesensmerkmalen des Menschen zählen. Dass repressive gesellschaftliche Verhältnisse, die, wie Marx (1974) einmal meinte, dafür sorgen, dass der ganzheitliche Mensch in eine individuelle und eine gesellschaftliche Existenz zerrissen ist, nicht notwendigerweise be- stehen müssen, solche Erkenntnisse blitzen in landschaftsästhetischen Erlebnissen immer wieder auf (Nohl 1980). Tatsächlich können wir uns als Individuen nicht derart in die Gesellschaft einbringen, dass die Freiheit der Anderen nicht als eine Grenze sondern als eine Möglichkeit für unsere eigene freie Entfaltung empfunden würde. Andererseits sind aber die bestehenden gesell- schaftlichen Verhältnisse nicht derart monolithisch, dass sich nicht auch gelegentlich Mög- lichkeiten selbstbestimmten Handelns fänden. Die Sensibilität zu erwerben, die notwendig ist, solche Möglichkeiten zu erkennen, kann kaum besser als durch (landschafts)ästhetische Erfahrung gewonnen werden. Denn ästhetische Erlebnisse nähren unsere Hoffnungen, sti- mulieren unsere Phantasie, regen unser utopisches Denken an (Bloch 1973). Sie erzeugen in uns immer wieder eine Ahnung von Freiheit und Glück, verweisen uns darauf, dass eine Humanisierung der gegenwärtigen, entfremdeten Verhältnisse noch aussteht. Schlussgedanken Die vorstehenden Überlegungen zur Entwicklung einer Planungsästhetik seien durch zwei Bemerkungen abgerundet. Die Beschäftigung mit Gefühlen, Stimmungen und symboli- schen Sinngehalten als individuelle Äusserungen des erlebenden Subjekts sollte auch deut- lich machen, dass es im Akt des ästhetischen Erlebens von Landschaft immer um Gegen- wart und Zukunft zugleich geht. In den ästhetischen Anmutungen, wie sie sich uns beim 127 Betrachten einer Landschaft aufdrängen, lassen wir unsere gefühlsgeleiteten Ansichten über die je gegebene landschaftliche Gegenwart erkennen. Mit unseren ästhetisch-symbo- lisch geäußerten Bedürfnissen sind wir dagegen beschäftigt, Zukunft zu formulieren und zu gestalten. Ästhetisch erlebte Landschaft ist also immer affirmativer Schein und utopi- scher Vor-Schein zugleich. Zweitens sei darauf hingewiesen, dass wir im Hinblick auf die Bildung landschaftsästhe- tischer Anmutungsfelder und symbolischer Erlebnisgehalte nicht wie seelenlose Organis- men agieren. Denn wir leben nicht beziehungslos vor uns hin, wir sind mit unseren land- schaftsästhetischen Erlebensweisen nicht allein in dieser Welt. „Immer schon“ gehören wir einer kulturell wirksamen Gesellschaft an, deren Auffassungen und Werte in Sprache, Verhaltensweisen, Lebensstilen usw. fixiert sind. Wir sind diesen Wertorientierungen schon bei unzähligen Gelegenheiten begegnet, und in vielen Kulturagenturen, insbesondere in Schulen und in den Medien werden und wurden sie uns beinahe systematisch vermittelt. Der Prägekraft dieses „objektiven Geistes“ der Gesellschaft (Dilthey) – oder nüchterner – der sich in jeder Gesellschaft herausbildenden intersubjektiven Auffassungen z. B. auch bezüglich des ästhetischen Erlebens kann sich niemand ganz entziehen. Daher gibt es in jeder Gesellschaft, zumindest für größere Gruppierungen, ein gerüttelt Maß an Überein- stimmung – auch im Hinblick auf landschaftsästhetische Erlebniswirkungen. Gerade weil es solche Übereinstimmung gibt, können Gefühle, Stimmungen, Anmutungen und Sinnge- halte als wichtige Bausteine in einer Planungsästhetik fungieren. Literatur ADORNO, TH. W. (1970): Ästhetische Theorie. Frankfurt/M. ARNHEIM, R. (1969): Anschauliches Denken. Köln. BLOCH, E. (1973): Das Prinzip Hoffnung. 3 Bde. Frankfurt/M. BOULDING, K. (1961): The Image – Knowledge in Life and Society. Ann Arbor. DÜRCKHEIM, K.v. (1932): Untersuchungen zum gelebten Raum. Neue Psychologische Studien (6): 383-480. HELLPACH, W. (1977): Geopsyche – Die Menschenseele unter dem Einfluss von Wetter, Klima, Boden und Landschaft. Stuttgart. HERRMANN, TH.; STÄCKER, K. H. (1975): Sprachpsychologische Beiträge zur Sozialpsycholo- gie. Handbuch der Psychologie: Sozialpsychologie, 7. Bd., 1. Halbbd. Göttingen/Toronto/Zü- rich. 398-474. KATZ, D. (1969): Gestaltpsychologie. Basel. KRUSE, L. (1974): Räumliche Umwelt – Die Phänomenologie des räumlichen Verhaltens als Bei- trag zu einer psychologischen Umwelttheorie. Berlin/New York. LERSCH, PH. (1962): Antriebserlebnisse und Gefühlsregungen. In: THOMAE, H. [Hrsg.]: Die Mo- tivation menschlichen Handelns. Köln. 128-130. MARX, K. (1974): Zur Judenfrage. Marx/Engels Werke, Bd.1. Berlin. METZGER, W. (1954): Psychologie. Darmstadt. NOHL, W. (1980): Freiraumarchitektur und Emanzipation. Frankfurt/Bern/Cirencester. NOHL, W. (1997): Bestimmungsstücke landschaftlicher Eigenart. Stadt und Grün 46 (11): 805-813. NOHL, W. (1981): Der Mensch und sein Landschaftsbild. In: ANL [Hrsg.] Laufen/Salzach. Beurtei- lung des Landschaftsbildes. ANL Tagungsbericht 7/81: 5-11. NOHL, W. (2001): Landschaftsplanung – Ästhetische und rekreative Aspekte. Berlin/Hannover. 128 VIELFALT, EIGENART UND SCHÖNHEIT VON NATUR UND LANDSCHAFT Die Bewertung des Landschaftsbildes im Spagat zwischen rationaler Analyse und ganzheitlicher Betrachtung Beate Jessel Zusammenfassung Obwohl die Wurzeln des Naturschutzes ganz wesentlich im Schutz von Landschaftsbildern liegen und ganzheitliche und lebensweltliche Erfahrungen bei Landschaftsveränderungen eine Rolle spielen, dominieren in heutigen Diskussionen naturwissenschaftlich geprägte Argumente. So sind auch den Werturteilen vieler Planer und Naturschützer ästhetische Auffassungen inhärent, wenngleich sie nicht immer explizit thematisiert werden. Im Bun- desnaturschutzgesetz hat sich dies neben der Vielfalt und Eigenart im Begriff der Schön- heit niedergeschlagen. Um für Entscheidungs- (und Verwaltungs-)Vorgänge nachvollziehbar zu sein, etwa um den Anforderungen der Eingriffsregelung gerecht zu werden, die den Bezug auf einzelne Beeinträchtigungen fordert, muss das Landschaftsbild in aller Regel analytisch in einzelne beschreibbare Komponenten aufgegliedert werden. Als Typisierungsmerkmale für heute gängig angewendete Verfahren der Landschaftsbildanalyse, lassen sich etwa der Planungs- zweck, für den sie konzipiert worden sind und der Formalisierungsgrad anführen, weiterhin ob es sich um eher strukturell oder eher kognitiv-psychologisch ansetzende Vorgehenswei- sen handelt. Daran anknüpfend wird in dem Beitrag ein Verfahrensvorschlag dargestellt, der auf die Kategorien Vielfalt, Eigenart und Schönheit Bezug nimmt, die auch im Natur- schutzrecht zu finden sind. Es wird davon ausgegangen, dass diese Kategorien zugleich unterschiedliche Komplexitätsebenen der Wahrnehmung abbilden und gängig verwendete Erfassungs- und Analysemerkmale darunter subsumiert werden können. Eine besondere Rolle wird dabei der Schönheit zugemessen, die als integrierende Raumebene verstanden wird, in der die einzelnen als Vielfalt und Eigenart erfassten Elemente und Gestaltformen in ihrem Zusammenwirken zu beleuchten sind. Die Landschaftsbildanalyse kann in diesem Zusammenhang insofern einen Beitrag zu nachhaltiger Landschaftsentwicklung leisten, als sie Aspekte einer kulturellen Komponen- te von Nachhaltigkeit mit erfasst und dabei über einen rein physisch verstandenen Natur- und Nachhaltigkeitsbegriff hinaus auf die nachhaltige Wahrnehmung bestimmter Funk- tionen, wie die Informationsfunktion von Landschaften und Ökosystemen, gerichtet ist. Künftig wird die Landschaftsbildanalyse vermehrt die Qualitäten mit einbeziehen müssen, die momentan neu entstehende Landschaften wie Energielandschaften oder Tagebauflä- chen aufweisen. Diese neuen Landschaftsformen lassen sich weniger über „Schönheit“ als ästhetische Kategorie beschreiben, sondern vielmehr über ihre jeweilige Eigenart. Vor dem Hintergrund, dass Landschaft vor allem ein Bild ist, das kollektiv in den Köpfen be- 129 steht und entsteht, sollte zudem nach Kommunikations- und Partizipationsformen gesucht werden, um gängige Landschafts-Bilder aufzudecken und gemeinsam mit den Akteuren weiterzuentwickeln. Ausgangspunkt: Ästhetische Belange im Naturschutz Dem Schutz, der Pflege und Entwicklung von Natur und Landschaft liegen gesellschaftli- che Wertentscheidungen zugrunde, deren Schwerpunktsetzungen sich in den Zeitverläufen wiederholt verschoben haben. Dies gilt auch für die Rolle und die (zumindest nach außen hin bewusst so bekundete) Wertschätzung, die dem Landschaftsbild dabei zugemessen wurde und wird. Bekanntlich waren die Anfänge des Naturschutzes wesentlich vom Heimatschutz und den damit verbundenen ästhetischen Belangen geprägt. Der 1904 gegründete deutsche Heimat- schutzbund wie auch die erste Naturschutzbehörde, die 1906 in Danzig etablierte „Staat- liche Stelle für Naturdenkmalpflege in Preußen“ mit ihrem Leiter Hugo Conwentz, hatten sich vor allem die Bewahrung spektakulärer Einzelschöpfungen der Natur und damit ty- pischer Landschaftsbilder zum Ziel gesetzt. Die ersten Schutzgebiete – der Drachenfels im Siebengebirge (1836) und die Teufelsmauer im Harz (1852) –, auch das erste deutsche Großschutzgebiet, die 1911 zunächst als „Naturschutzpark“ entstandene, 1921 dann als großes Naturschutzgebiet rechtlich verankerte Lüneburger Heide, umfassten spektakuläre Landschaftsformen. Bemerkenswert ist zudem, dass die Unterschutzstellung jeweils we- sentlich durch Aktivitäten aus der Bevölkerung getragen war: In den ersten beiden Fällen war die Unterschutzstellung auf den Widerstand gegen den Gesteinsabbau und die dadurch befürchtete landschaftliche Verunstaltung zurückzuführen, denen der Drachenfels wie die Teufelsmauer ursprünglich zum Opfer hätten fallen sollen. In letzterem Fall waren es die weit verbreiteten Werke des Dichters Hermann Löns, die im Angesicht eines rapiden Ver- schwindens der ursprünglich weit ausgedehnten Heideflächen wesentlich zur Anerkennung der Heide als Prototyp einer „schönen“ Landschaft beitrugen. Derselben Heide, die im übrigen nur wenige Jahrzehnte zuvor von Reisenden noch mit Ödnis und Wüste assoziiert worden war (vgl. hierzu Tönniessen 1993). Auch die Minimierung landschaftlicher Beeinträchtigungen setzte zunächst nicht am Na- turhaushalt, sondern an den optischen Belangen an: In den 30er Jahren wurde der Bau der Reichsautobahnen durch sogenannte „Landschaftsanwälte“ begleitet, deren besonde- res Augenmerk der landschaftlichen Einbindung der Verkehrsbauwerke galt. Als Resultat einer intensiven ästhetischen Auseinandersetzung mit Landschaft wurden Straßenbauten vielfach bewusst nach landschaftlichen Gesichtspunkten konzipiert, wobei man, ohne dass dies damals allerdings explizit thematisiert worden wäre, z. T. Eingriffe in Ökosysteme in Kauf nahm, wie sie heute undenkbar wären (ein anschauliches Beispiel stellt etwa die über mehrere Kilometer direkt am Ufer des Chiemsees verlaufende Autobahn München-Salz- burg dar). Das 1935 erlassene Reichsnaturschutzgesetz enthielt, lange im Übrigen bevor von „Eingriffen“ in den Naturhaushalt überhaupt die Rede war, in § 5 u. a. die (seinerzeit aber noch nicht mit Rechtsfolgen bewehrte) Bestimmung, das Landschaftsbild gegen ver- unstaltende Beeinträchtigungen zu bewahren. In den 50er Jahren wurden im Agrarbereich, im Wasserbau und im Verkehrswesen bereits Begleitplanungen in Form von „Landschaftspflegeplänen“ erstellt, und es existierte in der Tradition der Landschaftskultur und Landesverschönerung ein breites Feld an Literatur, 130 das sich vor allem mit der „landschaftlichen Gestaltung“ von Straßen und Verkehrswegen befasste (vgl. etwa Seifert 1934; Schurhammer 1955). In der stark von technokratischem Denken und zahlreichen technischen Großprojekten geprägten Wiederaufbauphase nach dem Krieg wuchs jedoch auch der Druck, Qualitäten des Landschaftsbildes oder auch der Erholungseignung stärker einer analytisch-rationalen Betrachtung zugänglich zu machen und mit Blick auf ihre Berücksichtigung in Entscheidungsprozessen geeignete Formen der Quantifizierung zu entwickeln. In der Folge wurden verschiedene Bewertungsverfahren entwickelt, die auf der Zusammenführung verschiedener Bewertungsgrößen zu einem Indexwert beruhten (für Waldgebiete etwa: Scamoni, Hofmann 1969). Am bekanntesten ist das von Kiemstedt (1967) publizierte Verfahren zur Bewertung der potenziellen Erho- lungseignung einer Landschaft mittels eines sogenannte V-Wertes, der aus einer Relief-, Nutzungs- und Randzahl (die die Längen von Wald- und Gewässerrändern erfasst) sowie einem Klimafaktor gebildet und aggregiert wird; es kann als der bewusste Versuch verstan- den werden, technokratisch-naturwissenschaftlichem Denken mit einem quantifizierenden Ansatz zu begegnen. Das Verfahren wurde zwar von Kiemstedt selber bald als zu kurz greifend empfunden, da es lediglich auf die Vielfalt und die Grobstruktur einer Landschaft abstellte, und von ihm daher, etwa für Landschaftsbewertung für die Erholung im Sauer- land weiter modifiziert (vgl. etwa Kiemstedt 1973; Kiemstedt et al. 1975). Jedoch hatte es große Ausstrahlung auf die Entwicklung weiterer Bewertungsverfahren nicht nur für das Landschaftsbild, sondern generell im Naturschutz. Mit der Einführung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) 1976, das das bis dahin auf Landesebene weiter geltende Reichsnaturschutzgesetz ablöste, wurden (in § 1) der Schutz, die Pflege und Entwicklung der Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als eine wesentliche Zielbestimmung des Naturschutzes eingeführt. Es darf angenommen werden, dass der Gesetzgeber den Terminus Schönheit nicht zuletzt mit Blick auf die um- rissene Geschichte des Naturschutzes mit aufgenommen hat. Indem die Rechtsprechung in der Auslegung des Begriffes in der Folge von einem „für die Schönheiten der natürlich gewachsenen Landschaft aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter“ ausgeht, setzt sie zu- gleich nicht nur voraus, dass Schönheit ganzheitlich und intuitiv erfassbar ist, sondern ein Konsens darüber möglich ist, was als schön zu gelten hat. Auf Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes Bezug nimmt, nunmehr mit den entsprechenden Rechtsfolgen verse- hen, auch die gleichfalls mit dem BNatSchG von 1976 eingeführte naturschutzrechtliche Eingriffsregelung: Dass Beeinträchtigungen dabei auf einzelne Wertmerkmale bezogen zu ermitteln sind und Vermeidungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gleichfalls Bezug auf einzelne Beeinträchtigungen zu nehmen haben sowie nach Art und Umfang genau zu bestimmen und letztlich zu quantifizieren sind, um in den Genehmigungsbescheiden ent- sprechend festgesetzt zu werden, leistete in der Folge der Entwicklung zahlreicher Land- schaftsbildbewertungsverfahren Vorschub, die eine detaillierte analytische Aufgliederung des Schutzgutes Landschaftsbild in Einzelmerkmale vornehmen. Dadurch wird mit Blick auf Entscheidungen zwar eine größere Transparenz und Nachvollziehbarkeit erreicht; je- doch führt im Gegenzug die analytische Aufgliederung lebensweltlich erfahrbarer Ganz- heiten wohl nahezu zwangsläufig dazu, dass dabei bestimmte Qualitäten verloren gehen. Es mag denn auch damit zusammen hängen, dass ungeachtet der zahlreichen neu entwi- ckelten Erfassungs- und Bewertungsverfahren das Landschaftsbild in der Eingriffsrege- lung wie auch generell in der ökologisch orientierten Planung in der Folge gegenüber dem Naturhaushalt mehr und mehr in den Hintergrund trat: Subjektivität der Wahrnehmung, die unzureichende Operationalisierbarkeit gerade des Begriffes „Schönheit“ sowie man- 131 gelnde Erfassbarkeit und Darstellbarkeit werden als Gründe ins Feld geführt, dass Belange des Landschaftsbildes häufig hintenan gestellt werden und gegenüber den rationaler dar- stellbaren Schutzgütern des Naturhaushalts als „Bewertungsproblem“ gelten (wobei im übrigen verkannt wird, dass auch gängige Wertmerkmale wie Naturnähe, Seltenheit, Ar- ten-/Lebensraumdiversität oder Repräsentativität, die etwa im Arten- und Biotopschutz zur Anwendung kommen, oder die für Bewertungen jeweils herangezogenen taxonomischen Gruppen sich als keineswegs frei von Vorlieben und Moden erweisen!). Gerade wenn es um landschaftliche Veränderungen, um Eingriffe, geht, stellt der visuelle Aspekt heute mittlerweile eine Komponente der Landschaftsentwicklung dar, die zwar ge- genüber den naturwissenschaftlich-rationalen Argumenten in den Hintergrund tritt, dabei aber oft indirekt mitschwingt, wenn Werturteile gefällt werden. Ein anschauliches Beispiel bietet der geplante Ausbau der bayerischen Donau zwischen Straubing und Vilshofen, um den bereits seit gut zwei Jahrzehnten erbitterte Diskussionen geführt werden. Die Natur- schutzverbände und ein Großteil der Bevölkerung wandten sich hier vehement gegen eine sogenannte „Durchstichlösung“, die neben Staustufen einen mehrere Kilometer langen Durchstichkanal vorsah, durch den aber im Gegenzug fünfzehn Kilometer Fließstrecke der Donau aus der Nutzung genommen und in Zukunft frei und unbeeinträchtigt erhalten blei- ben sollten. Sie plädierten statt dessen für eine sogenannte „weiche“ flussbauliche Alter- native, die eine Stabilisierung der Flusssohle über Steinpackungen, verbunden mit einem Erzielen der notwendigen Fahrtiefe für Schiffe über Seitenbauwerke (Buhnen) vorsah. Die erste Variante – Einstau und Durchstichkanal – würde zu starken sichtbaren Veränderungen und Beeinträchtigungen naturnaher Biotope in der Aue führen und zudem abschnittsweise die Fließgeschwindigkeit stark verändern. Dagegen blieben die typischen Lebensräume der Aue bei der zweiten Variante (Steinpackungen) zwar weitgehend erhalten. Stattdessen würde hier aber auf fünfzig Kilometer Länge durch Steinpackungen und Uferverbauungen sowohl das Benthal des Flusses mit der Lebensgemeinschaft des Makrozoobenthos wie auch die Uferzone, das Litoral, stark beeinträchtigt. Einem – deutlich sichtbaren – Schwer- punkt an Auswirkungen im Auenökosystem bei der einen Variante (gegen die sich auch die Öffentlichkeit stark gewandt hat) steht ein Schwerpunkt an Auswirkungen im Gewäs- serökosystem bei der anderen Variante gegenüber, der jedoch nicht so offensichtlich wahr- nehmbar ist (Haber 1996). Letztlich treffen hier zwei Wertsysteme, die am Landschaftsbild und am Naturhaushalt anknüpfen, aufeinander, ein Konflikt zweier konkurrierender Wert- systeme, der mit rationalen Mitteln nicht entscheidbar ist. Anschaulich wird dadurch, dass sich hinter den Werturteilen vieler Planer und Naturschüt- zer oft inhärente ästhetische Auffassungen verbergen, selbst wenn vordergründig mit ver- schiedenen funktionalen Beeinträchtigungen des Naturhaushaltes argumentiert wird. Vi- suelle, in der Gestalt der Landschaft wahrnehmbare Veränderungen rufen oft ein sehr viel stärkeres Echo hervor als eine nicht unmittelbar erfahrbare Veränderung etwa bestimmter Bodenparameter oder eines Artenspektrums, auch wenn dies dann oft hinter anderen, na- turwissenschaftlich-rationalen Argumenten versteckt wird. Sachstand: Derzeit genutzte Verfahren zur Erfassung und Bewertung des Land- schaftsbildes – Versuch eines Überblicks Verfahren der Landschaftsbildanalyse dienen dazu, Entscheidungsvorgänge transparent und nachvollziehbar zu gestalten. Sie können dabei nicht richtig oder falsch, sondern nur, mit Blick auf einen bestimmten zugrundeliegenden Bewertungszweck, angemessen oder 132 nicht angemessen sein (Jessel 1998c). Merkmale, an denen Typisierungsversuche für Land- schaftsbildbewertungsverfahren ansetzen können, sind u. a. (vgl. auch Jessel et al. 2003): A. der Zweck der Bewertung, für den das jeweilige Verfahren ausgestaltet wurde; B. der Grad der Formalisierung; C. die Frage, ob das Verfahren mehr von den strukturellen Ausstattungsmerkmalen der Landschaft oder aber von bestimmten sozial und kulturell bestimmten Wahrnehmungsqua- litäten ausgeht. A. Für verschiedene Planungszwecke ausgestaltete Verfahren der Landschafts- bildanalyse In der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung dienen Erfassungs- und Bewertungsver- fahren für das Schutzgut Landschaftsbild (exemplarisch: ARGE Eingriff-Ausgleich NRW 1994; Bosch & Partner GmbH 1999; Gareis-Grahmann 1993; Jessel et al. 2003; Krause, Klöppel 1996; Regierungspräsidium Darmstadt 1998) dazu, objektiv anwendbare Kriterien zu entwickeln, um bei ähnlichen Konstellationen in die Landschaft eingreifender Vorhaben zu vergleichbaren Schlüssen und Rechtsfolgen zu gelangen. Der Bewertungszweck in der Eingriffsregelung liegt in der Folgenbewältigung von Eingriffen: Die Erheblichkeit von Beeinträchtigungen und die daran anknüpfend zu entwickelnden Vorkehrungen zur Ver- meidung sowie für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen sind schlüssig herzuleiten und zu begründen, da sie in den Genehmigungsbescheiden als vom Verursacher zu leistende Ver- pflichtung in ihrem Umfang genau festgelegt werden müssen. Die Eingriffsregelung bein- haltet dabei einen Arbeits- und Verfahrensablauf, der sich an den rechtlich vorgegebenen Kategorien und einer genau definierten, einzuhaltenden Entscheidungsabfolge orientiert. Diese Ausrichtung unterscheidet Bewertungsverfahren zum Landschaftsbild in der Ein- griffsregelung von anderen Fragestellungen, bei denen es etwa darum geht, allgemeine Strategien oder Handlungsprioritäten für den Umgang mit Kulturlandschaften zu entwi- ckeln oder Landschafts(bild)räume im Hinblick auf ihre Schutzwürdigkeit bzw. auf daraus abzuleitende Erhaltungs- und Entwicklungsziele zu vergleichen (z.B. Augenstein 2001; Köhler, Preiss 2000; Leitl 1997; Nohl 2001; Schafranski 1996). Gängige Anwendungs- bereiche sind für Letzteres neben der Landschafts- und Erholungsplanung etwa Pflege- und Entwicklungspläne/-konzepte; die hierfür entwickelten Verfahren erlauben umgekehrt nicht unbedingt per se auch die differenzierte, wirkungsbezogene Ableitung von Vermei- dungs-, Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen. Da diese Maßnahmen Verursacherpflichten darstellen, die für ihre Verankerung in den Be- scheiden genau bestimmt und festgesetzt werden müssen, steht bei den Landschaftsbildbe- wertungsverfahren für die Eingriffsregelung stärker der Aspekt im Vordergrund, die Ratio- nalität (was im Zweifelsfall auch heißt: die gerichtliche Nachvollziehbarkeit) des Entschei- dens zu erhöhen, dabei den Zusammenhang zu einzelnen Beeinträchtigungen herzustellen (was in aller Regel in eine analytische Aufgliederung des Landschaftsbildes mündet) und letztlich, bezüglich des festzusetzenden Maßnahmenumfanges, zu einer Quantifizierung zu gelangen. Letzteres, d. h. ein stark quantifizierender, bilanzierender Aspekt trifft zudem in besonderem Maße für Verfahren zu, die zur ästhetischen Bilanz in der Flurbereinigung entwickelt wurden (Hoisl et al. 1989). 133 Hingegen sind bei den nicht derart starr in einen bestimmten verfahrensmäßigen Rahmen eingepassten landschaftsplanerischen Aufgaben mehr Freiheitsgrade vorhanden, die grö- ßeren Raum etwa für partizipativ angelegte Beteiligungsprozesse und integrativ darstell- bare Leitbilder lassen. Bemerkenswert ist vor diesem Hintergrund, dass von ein- und demselben Autor stammen- de Publikationen zum Landschaftsbild in der Landschafts- und Erholungsplanung stärker auf die dabei wirksamen Qualitäten abheben (vgl. etwa Nohl 1997, 2001; Hoisl, Nohl, Engelhardt 2000), aber deutlich stärker quantifizierend und formalisiert ausgerichtet sind, sobald sie sich auf die Eingriffsregelung (Adam, Nohl, Valentin 1987) oder auf Bilanzie- rungen für die Flurbereinigung (Hoisl et al. 1989) beziehen. B. Formalisierte versus verbal-argumentative Verfahrensansätze Gängig wird auch eine Unterscheidung zwischen sogenannten formalen bzw. forma- lisierten einerseits sowie verbal-argumentativen bzw. deskriptiven Erfassungs- und Be- wertungsansätzen andererseits vorgenommen. Ein deskriptives Verfahren zur Ermittlung straßenbaubedingter Eingriffe haben etwa Bosch & Partner GmbH (1999) entwickelt. Es setzt an den Gestaltmerkmalen der Landschaft an, erfasst diese mittels verbaler Beschrei- bungskategorien, die über die Schritte der Bestandsdarstellung, Konfliktanalyse und Maß- nahmenbegründung nach einheitlichen Kriterien aufgebaut sind und erlaubt so die funkti- onale Ableitung von Maßnahmen. Dagegen stellt etwa das Verfahren von Adam, Nohl und Valentin (1987) sowie darauf aufbauend der ARGE Eingriff-Ausgleich NRW (1994) einen formalisierten, auf dem Prinzip der Nutzwertanalyse fußenden Ansatz dar: Den Ausprä- gungen einzelner Merkmale des Landschaftsbildes werden Wertpunkte zugeordnet, ggf. noch mit Gewichtungsfaktoren multipliziert und je Raumeinheit zu einem sogenannten „ästhetischen Eigenwert“ aufsaldiert. Bei näherer Betrachtung erweist sich die Dualität von formalen bzw. formal-logischen und verbal-argumentativen Bewertungsverfahren jedoch nicht als strikter Gegensatz. Vielmehr ist auch jede verbale Bewertung, um nachvollziehbar zu sein, nach darzulegenden Kriterien zu strukturieren und aufzubereiten; umgekehrt bedarf jede formale Bewertung für die Zu- ordnung von Wertpunkten oder -klassen einer argumentativen Begründung. Werden in for- malisierten Verfahren durch Aufsaldieren von Werten dimensionslose Wert(punkt)zahlen ermittelt, stellt sich das Problem, daraus dann schlüssig auf die einzelnen Beeinträchti- gungen bzw. Merkmale des Landschaftsraums Bezug nehmende Maßnahmen abzuleiten und zu begründen. Auch die Rechtsprechung hat es im übrigen wiederholt als bedenklich hingestellt, dass Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes einer mathematischen Bewer- tung zur Ermittlung des Kompensationsbedarfs unterzogen werden und vielmehr darauf hingewiesen, dass der Bedarf für den Ausgleich von Beeinträchtigungen letztlich nur in Form von konkreten optisch wirksamen Maßnahmen qualitativ umschrieben werden kann (vgl. etwa OVG Münster, Urt. v. 30. 6. 1999 – 7 a D 144/97.NE–). C. Strukturelle versus kognitiv-psychologische Ansätze Eine häufige Kritik, die an Landschaftsbildbewertungsverfahren gerade auch in der Ein- griffsregelung geäußert wird, bezieht sich darauf, dass die Attraktivität einer Landschaft nicht nur nach ihrer strukturellen Ausstattung beurteilt werden darf. Vielmehr müssten Be- wertungsansätze eine psychologische Komponente aufweisen, die den Menschen, der als 134 Betrachter die Landschaft erlebt, mit berücksichtigt (vgl. etwa Augenstein 2001). Struktu- relle Ansätze werden weitgehend synonym auch als „objektbezogene“, „nutzerunabhängi- ge“ oder „räumlich-normative“ Methoden bezeichnet. Bei ihnen steht die Landschaft mit ihren objektiv erfassbaren strukturellen Ausstattungsmerkmalen im Mittelpunkt. Erklär- termaßen zu einem solch strukturellen Ansatz bekennen sich etwa Krause und Klöppel (1996). Kognitiv-psychologische Ansätze werden hingegen auch als „subjektbezogene“, „nutzerabhängige“ oder „psychologisch-empirische“ Methoden bezeichnet. Sie stellen den Menschen als erlebendes Subjekt mit seinen Empfindungen, Bedürfnissen und Eindrücken in den Vordergrund und sind durch psychologisch-empirische Untersuchungen belegt. Ins- besondere in der angloamerikanischen Literatur findet sich hierzu eine breite Tradition der Landschaftsbildbewertung, die auf psychologische Ansätze (die eine mathematische, z. B. statistisch abgesicherte Korrelation zwischen physikalisch messbaren Strukturen und der Beurteilung der ästhetischen Qualität des Landschaftsraumes vornehmen), kognitive Ansätze (die sich auf die Bedeutung einer szenisch wirksamen Landschaft – engl. „scene- ry“ – konzentrieren, die vom Betrachter als geistiges Konstrukt aufgebaut wird) und auf phänomenologische Ansätze (die auf die Kontextabhängigkeit des Landschaftserlebens in Wechselbeziehung zwischen Person und Umwelt abstellen) Bezug nimmt (zu einer zusam- menfassenden Darstellung vgl. Augenstein 2001). Auch hier fragt sich jedoch wieder, ob diese in der Literatur gängig vorgenommene Unter- teilung in strukturelle versus kognitiv-psychologische Ansätze bzw. in nutzerunabhängige versus nutzerabhängige Verfahren letztlich nicht eine künstliche ist. Denn man wird auch auf der „Objektseite“ der materiell erfassbaren Landschaftsbestandteile nicht beliebige, sondern solche Ausprägungen und Veränderungen auswählen und beschreiben, von denen man annimmt, dass sie auf der „Subjektseite“ relevant sind, d. h. wahrnehmungsrelevante Bedürfnisse und Präferenzen von Menschen widerspiegeln. Als solche Grundbedürfnisse lassen sich mit Nohl (2001) z. B. jenes nach Information über die Landschaft, weiterhin nach Orientierung, Lesbarkeit, Freiheit und Heimat anführen. Augenstein (2001) fügt dem (unter Bezugnahme auf Kaplan and Kaplan 1989) das aus der amerikanischen Literatur stammende „mystery“, d. h. das Angezogen- und Hineingezogen-Werden in eine Land- schaft hinzu, das dazu animiert, in sie hineinzutreten und sie näher zu erkunden. Auch sind Symbolbedeutungen in Landschaften oft an ganz bestimmte herausragende Landschafts- elemente geknüpft bzw. liegt ihnen ein bestimmter, auch strukturell fassbarer Kontext zugrunde (vgl. etwa Jessel 1998a). Einen Ansatz, der versucht, wahrnehmungsrelevante Bedürfnisse mit strukturellen Merkmalen des Landschaftsbildes in Beziehung zu setzen, stellt etwa das von Gareis-Grahmann (1993) für die Erfassung und Darstellung von Land- schaftsbildveränderungen in der Umweltverträglichkeitsprüfung entwickelte Verfahren dar; allerdings sind die Bezeichnungen für die drei darin unterschiedenen Wahrnehmungs- ebenen nur schwer vermittelbar und haben sich wohl auch deshalb in der Praxis kaum durchgesetzt. Einen ähnlichen Anspruch erhebt auch Augenstein (2001) in den von ihr entwickelten rasterbasierten digitalen Landschaftsbildbewertungsverfahren auf regionaler Ebene. Auch die durch das BNatSchG benannten Begriffe Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie die weiteren unter diesen Oberbegriffen subsumierten Teilkriterien können so gefasst wer- den, dass sie bestimmte ästhetische Bedürfnisse der Betrachter widerspiegeln (vgl. Jessel 1998 a, b, 2003): So wird eine ausgeprägte landschaftliche Eigenart, die im Zuge einer längeren, kontinuierlich und ohne Brüche verlaufenen Entwicklung gewachsen ist, häufig 135 mit „sich zu Hause fühlen“, Identität und Heimatgefühl verbunden, das Teilkriterium Na- turnähe mit dem Bedürfnis nach Freiheit und Ungebundensein, Leitlinien und fernwirksa- me Orientierungspunkte wie auch die landschaftliche Vielfalt mit den Bedürfnissen nach Orientierung und Information zusammengebracht (vgl. Bourassa 1988; Heringer 1981; Hoisl, Nohl und Engelhard 2000; Jessel 1998b). Eine weitere, biologische Begründung für die Bedeutung landschaftlicher Vielfalt liefert die sogenannte „prospect-refuge-theory“ (Bourassa 1988), wonach Menschen aus ihrer evolutiven Entwicklung heraus in Land- schaften eine Kombination an Möglichkeiten schätzen, die ihnen sowohl Überblickspunkte wie auch Orte der Zurückgezogenheit – Zufluchtsorte – bietet. Deutlich wird so, dass bei der Erfassung von Landschaften auf einer strukturellen Ebene in den verwendeten Be- schreibungsmerkmalen zugleich verschiedene, möglichst auch empirisch belegte Wahr- nehmungsbedürfnisse und -präferenzen des Menschen mit integriert werden sollten. Ein Vorschlag: Vielfalt, Eigenart und Schönheit als Erfassungs- und Bewertungskategorien – ein Ansatz zur Landschaftsbildanalyse in der Eingriffsregelung Im folgenden wird beispielhaft ein primär struktureller Ansatz umrissen, der speziell zur Anwendung in der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung entwickelt wurde (vgl. Jessel et al. 2003) und dabei das Anliegen verfolgt, auf verschiedenen Komplexitätsebenen der Landschaftsstruktur und -gestalt ansetzend Veränderungen nach ihrer Art und Intensität nachvollziehbar zu machen und diese zugleich auf einer sogenannten Raumebene für die jeweilige Landschaftseinheit in ihrem Zusammenhang zu betrachten sowie in ihrer ganz- heitlichen Erfahrbarkeit widerzuspiegeln. Dabei wird zum einen davon ausgegangen, dass diese Komplexitätsebenen zugleich verschiedene wahrnehmungsrelevante Bedürfnisse widerspiegeln; zum anderen wird mit ihnen kein neues Erfassungs- und Bewertungsver- fahren entwickelt, sondern der Versuch unternommen, die in den oben diskutierten, gängig praktizierten Ansätzen verwendeten Kriterien unter die rechtlich vorgegebenen Begriffe zu fassen und so in einem gemeinsamen Rahmen zusammenzuführen. Zwischen Theorie und Praxis – zur Operationalisierbarkeit des Landschaftsbil- des für planerische Anwendungen Ausgangspunkt und Prämissen sind dabei Folgende: Soll das Schutzgut Landschaftsbild in seiner spezifischen Ausprägung für die Eingriffsregelung handhabbar, „operationali- sierbar“ gemacht werden, um so die Abbildung einzelner Beeinträchtigungen sowie die gezielte Ableitung von Maßnahmen zu erlauben, tut sich ein grundlegendes Dilemma auf: Die Landschaft bzw. das Landschaftsbild sind lebensweltlich wahrgenommene Gesamt- phänomene, die sich als ästhetischer Eindruck im jeweiligen Betrachter mit seinen jeweils subjektiven Stimmungen, Bedürfnissen, Werthaltungen manifestieren. Vor diesem Hinter- grund ist es zwar leicht, sich unter dem Vorwand mangelnder Objektivierbarkeit und Er- fassbarkeit des Landschaftsbildes und seiner Qualitäten in die argumentativ sichere Ecke des Subjektiven zurückzuziehen, jedoch hieße dies, unkontrollierter Landschaftsverände- rung Vorschub zu leisten. Die ästhetische Kategorie Landschaft verbindet sich jedoch in der Regel mit der Annahme, dass ihr ein reales Substrat zugrunde liegt (Sieferle 1997, 24): Der „Subjektseite“ individueller und kollektiver Wünsche, Bedürfnisse, Stimmungen etc., 136 die für die Art wie ein Landschaftseindruck wahrgenommen wird, maßgebend ist, steht eine „Objektseite“ real vorhandener und fassbarer Ausprägungen gegenüber. Das Element- muster eines Landschaftsraumes in seinem Repertoire, seinen charakteristischen Abfolgen sowie in seinem übergreifenden Gestaltcharakter kann dabei als gemeinsamer Bestandteil und Grundlage unserer Wahrnehmungen intersubjektiv nachvollziehbar dargestellt und vergleichenden Betrachtungen zugänglich gemacht werden. Man wird mit einer Erfassung des Landschaftsbildes für die Eingriffsregelung somit zwar auf der „Objektseite“ ansetzen, dabei aber nicht beliebige, sondern solche Veränderungen auswählen und beschreiben, von denen man annimmt, dass sie auch für die „Subjektseite“ relevant sind, d. h. verschiede- ne, auch empirisch abgesicherte wahrnehmungsrelevante Bedürfnisse und Präferenzen im Menschen widerspiegeln. Als weiterer Aspekt bei der Behandlung des Schutzgutes Landschaftsbild in der Eingriffs- regelung ist zu beachten, dass eine Erfassung komplexer Phänomene und ganzheitlich wahrgenommener Landschaftsqualitäten wohl zwangsläufig immer nur reduktionistisch ansetzen kann, zumal wenn dabei, gemäß der rechtlichen Anforderungen der Eingriffs- regelung, eine Zuordnung zu einzelnen Beeinträchtigungen zu erfolgen hat. Der Maxime folgend, dass das Ganze, sprich: der wahrgenommene Gesamteindruck einer Landschaft, mehr ist als die Summe seiner Teile, ist es daher wichtig, die einzelnen erfassten Merkmale abschließend interpretierend wieder in einen gemeinsamen Rahmen einzubinden. Dabei spielt eine weitere Restriktion eine Rolle, die häufig im Zusammenhang mit Erfas- sungen des Landschaftsbildes ins Feld geführt wird: Die Wahrnehmung von Landschaft sei untrennbar mit der Kategorie landschaftlicher Schönheit verbunden, die letztlich im Auge des Betrachters entstehe. Unterschiedliche Ansichten bestehen bereits, inwieweit „Schön- heit“ als eigenständige Kategorie in der Erfassung und Darstellung des Landschaftsbildes Berücksichtigung finden soll: Der Meinung etwa von Breuer (1991), der die Schönheit wie auch die Vielfalt unter die landschaftliche Eigenart als Oberbegriff fasst, steht die Sicht von Wöbse (1991) entgegen, der den Begriff Schönheit in den Mittelpunkt seiner Betrachtun- gen über das Landschaftsbild rückt. Auch Gassner (1995) spricht sich explizit dafür aus, Schönheit als eigenständige Kategorie, die eben mehr sei als nur eine Funktion der na- turraumtypischen Eigenart, zu behandeln. Zudem weisen die Ansichten zur Interpretation dieser Kategorie ein relativ weites Spektrum auf. Teilweise wird Schönheit mit dem Ein- zigartigen, dem eher Seltenen, Ungewohnten, ggf. an Erinnerungen gebundenen gleichge- setzt. Dagegen vertritt Gassner (1989) die Ansicht, die klassische Definition von Schönheit sei die von etwas Vollkommenem, von dem weder etwas weggenommen noch hinzugefügt werden dürfe, damit es seine Schönheit nicht einbüße. In Landschaften muss man dagegen von einem stetigen Wandel ausgehen, sowohl aufgrund natürlicher als auch vom Menschen beeinflusster Gegebenheiten. Daher erscheint die Interpretation, dass Schönheit zunächst einen wahrgenommenen und intuitiv als solchen empfundenen Gesamteindruck von Land- schaft kennzeichnet, zielführender (Jessel 1994; Wöbse 1991). In der hier nun verwendeten Bedeutung basiert der Begriff auf der Vielfalt und der Ei- genart einer Landschaftsbildeinheit und tritt damit ergänzend neben die mit diesen beiden Kategorien verbundenen eher analytisch angelegten Betrachtungen, die in einem Aufglie- dern in die einzelnen jeweils relevanten Merkmale bestehen. Er nimmt zudem auf den in der Rechtsprechung geläufigen „aufgeschlossenen Durchschnittsbetrachter“ Bezug, von dessen intuitivem Urteil es abhängt, ob etwa eine Weihnachtsbaumkultur oder ein Sen- demast in die Landschaft passen. Schönheit ist dabei immer „Schönheit von etwas“, d. 137 h. ihr liegen bestimmte (auch materiell fassbare) Ausprägungen zugrunde. Als derartige, den Raumeindruck als Solchen bestimmende Ausprägungen können neben dem ganzheit- lichen Wahrnehmungseindruck z. B. raumübergreifende Sichtbezüge, einzelne Sichträume verbindende Leitstrukturen, aber auch prägende Vorbelastungen gelten (vgl. Tab. 1). Da Schönheit jeweils im Auge des Betrachters entsteht, spielen auch die Erlebbarkeit und Zu- gänglichkeit einer Landschaft eine Rolle. Wesentlich ist nun, dass es in der Eingriffsrege- lung dabei nicht die Aufgabe des Gutachters sein wird, Landschaften danach zu beurteilen, ob sie (nach seinem subjektiven Wertempfinden) „schön“ oder „hässlich“ sind. Vielmehr geht es darum, Veränderungen durch ein Vorhaben nach Art und Umfang nachvollziehbar zu machen und dabei auch den ganzheitlichen Raumeindruck quasi als Integrationsebene der zuvor im Einzelnen dargestellten Merkmale mit zu berücksichtigen. Entsprechend sollte ein Landschaftsbildbewertungsverfahren verschiedene Ebenen einbe- ziehen und neben einzelnen Merkmalen und Gestaltformen auch den sich darbietenden Gesamteindruck berücksichtigen, – selbst wenn dieser neben der analytisch ansetzenden Komponente nur intuitiv-beschreibend wiedergegeben werden kann. Für eine solche Ein- beziehung verschiedener Komplexitätsebenen in die Landschaftsbildbewertung sprechen zudem Ergebnisse der Wahrnehmungsforschung: So kommen Gestalttheorie und Informa- tionstheorie (u. a. Bense 1982, Moles 1977) zu dem Schluss, dass sich menschliche Wahr- nehmungen in einen Hin- und Heroszillieren zwischen verschiedenen Wahrnehmungsebe- nen abspielen. Da die menschlichen Sinnesorgane nur eine bestimmte Kapazität an Infor- mation verarbeiten können, werden zur Informationsreduktion zwischen aufgenommenen Informationen Ordnungsbeziehungen hergestellt. Dies erfolgt insbesondere, indem das Auge einzelne Elemente zu übergeordneten Gestalten oder bildwirksamen Großstrukturen, sogenannten „Superzeichen“ zusammenfasst. Als eine wesentliche Grundlage für ästhe- tisches Gefallen wird dabei erachtet, dass sich dem Auge zum Einen solche übergeord- neten Superzeichen darbieten, diese aber in ihrem Aufbau ihrerseits zugleich vielfältige, den Einzelort prägende Kleinstrukturen enthalten und beide zusammen das Interesse des Wahrnehmenden im Hin- und Herpendeln zwischen den einzelnen Komplexitätsebenen dauerhaft beschäftigen. Grundzüge eines entwickelten Verfahrens zur Ableitung und Begründung von Kompensationsmaßnahmen für das Landschaftsbild in der Eingriffsregelung Vor diesem Hintergrund versteht sich eine Vorgehensweise, die im Rahmen eines vom Bun- desamt für Naturschutz beauftragten Forschungs- und Entwicklungs-(F+E-)Vorhabens zur Ableitung von Vorkehrungen zur Vermeidung sowie von Maßnahmen zur landschaftsgerech- ten Wiederherstellung und Neugestaltung des Landschaftsbildes bei größeren Verkehrsvor- haben entwickelt wurde (Jessel et al. 2003). Sie setzt zuvorderst an der Charakteristik des jeweiligen Landschaftsraumes an. Diese ist sowohl dafür maßgebend, wie ein Vorhaben sich auswirkt, als auch dafür, welche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen mit Blick auf die jeweili- gen Beeinträchtigungen in Frage kommen. Durchgängige räumliche Beschreibungsgrundla- ge für die einzelnen Arbeitsschritte der Erfassung des Landschaftsbildes, die Ermittlung von Beeinträchtigungen und die Entwicklung von Vorkehrungen zur deren Vermeidung sowie von Maßnahmen zur landschaftsgerechten Wiederherstellung und Neugestaltung sind dem- nach sogenannten Landschaftsbildeinheiten. Darunter werden individuelle oder typenhaft ausgeprägte Landschaftsbilder verstanden, die sich aus der Perspektive einer die Landschaft erlebenden Person als Teilbereiche mit visuell homogenem Charakter darstellen. 138 Elementebene „Vielfalt“ Gestaltebene „Eigenart“ Raumebene „Schönheit“ I Nutzungstypen und Struk- turelemente • Strukturelemente punktförmig linienförmig (klein-) flächig raumbildend/raumbegren- zend • Nutzungstypen Nutzungsart/Nutzungs- struktur Randstrukturen • Merkmale von Einzelformen (z. B. Farbe, Textur, lokal prägende Bestände an Tier- und Pflanzenarten; Bewe- gung im Raum) II Sichtbeziehungen und synästhetische Wahrneh- mungen • Sichtbeziehungen Art der Sichtmöglichkeiten und Leitlinien von Sichtbe- ziehungen (innerhalb einer Raumeinheit) Sichtfolge und Erlebbarkeit von (zugänglichen) Betracht- erstandpunkten • Erlebbarkeit synästhetischer Wahrnehmungen (Geräusche, Gerüche, Tast- empfinden, Geschmack) III Zeitliche Vielfalt • Tag-/Nacht-Wechsel • Jahreszeitlicher Wechsel I Gestalt- und Formenkomplexe • Anordnungsmuster/Nutzungsabfolgen Reihe/Staffel Gruppe/Verband mosaikartig großflächig • Gestaltformen Reliefformen Gewässerformen Siedlungsgestalt • Maßstäblichkeit und Proportion Größenverhältnisse Konturen, Horizontlinie/Silhouette • Standörtliche Differenzierung der Nut- zungs- und Biotopausprägung • Art der Übergänge (strikt, diffus) • Art der Raumbildung Gestalt der Teilräume (offen, panora- misch) Raumcharakter (Grad der Transparenz) II Seltenheit Einzigartigkeit, Prägnanz, ggf. Gefährdung III Zeitliche Merkmale • Zeitrahmen (ablesbare Kontinuität einer historischen Landschaftsentwicklung) • Relative Stabilität (Relative Konstanz und Stabilität der na- türlichen und anthropogenen Prozesse) • Ganzheitlicher Wahr- nehmungseindruck • Raumübergreifende Aspekte: Leitstrukturen Fernwirksame Orien- tierungspunkte Weiträumige Blick- beziehungen Perspektivische Fernwirkung Art des übergreifen- den Raummusters (offen, gestaffelt, gekammert) • Erlebbarkeit/ Zugänglichkeit • Vorbelastung Tabelle 1: Zuordnung gängiger Erfassungs- und Beschreibungsmerkmale des Landschaftsbildes 139 Für das Vorgehen wurden in gängigen Landschaftsbildbewertungsverfahren praktizierte Kriterien systematisiert und drei verschiedenen Komplexitätsebenen zugeordnet (vgl. Tabelle 1). Unterschieden wird in: - eine Elementebene („Vielfalt“), mit der Merkmale einzelner punktueller, line- arer, flächiger Nutzungsformen und Strukturelemente sowie erlebniswirksame Randstrukturen (etwa Wald- und Gewässerränder) erfasst, weiterhin die Vielfalt an Blickbeziehungen, perspektivischen Eindrücken sowie im zeitlichen Sinn eine Vielfalt des Aspektwandels im Laufe der Jahreszeiten dokumentiert werden. We- sentlich war es weiterhin, über den optischen Eindruck hinaus hier die gegebene Vielfalt an synästhetischen Wahrnehmungen, d. h. an Geräuschen, Gerüchen etc. zu integrieren; - eine Gestaltebene („Eigenart“), in der vor allem die typischen Gestalt- und For- menmerkmale erfasst werden (s. u.). Als eine Ausprägung von Eigenart gefasst wird dabei auch die Seltenheit (Einzigartigkeit, Prägnanz) einzelner Raumein- drücke sowie ggf. deren Gefährdung, denn es sind ja gerade auch seltene Land- schaftseindrücke, wie etwa besonders naturnah wirkende Landschaften, die einen hohen Grad an Besonderheit aufweisen. Daneben weist auch die Eigenart eine zeitliche Komponente auf. Darunter werden eine ablesbare historische Kontinui- tät der Landschaftsentwicklung sowie die relative Konstanz und Stabilität der in- nerhalb der jeweiligen Raumeinheit wirksamen natürlichen und anthropogenen Prozesse gefasst. - eine Raumebene, in der ergänzend der Gesamteindruck der einzelnen Land- schaftsbildeinheiten verbal-beschreibend wiedergegeben wird. Diese Raumebe- ne wird als einer der Aspekte von „Schönheit“, verstanden als ganzheitlicher Wahrnehmungseindruck, aufgefasst. Die drei Komplexitätsebenen nehmen somit zum Einen auf die Rechtsbegriffe der Vielfalt, Eigenart und Schönheit Bezug und spiegeln zugleich besagte wahrnehmungsrelevante Er- kenntnisse wider. Bei allen Dreien handelt es sich um landschafts- bzw. naturraumbezogen zu betrachtende und zu definierende Kriterien, die letztlich durch diesen (Natur-)Raumbe- zug eng miteinander gekoppelt sind. Das Verfahren geht davon aus, dass die jeweils relevanten Kriterien über die einzelnen Be- arbeitungsschritte der Eingriffsregelung (d. h. die Bestimmung von Veränderungen einzel- ner Landschaftsmerkmale und ihrer Bewertung nach Art und Intensität, die Ableitung von Vorkehrungen zur Vermeidung, die Bestimmung der verbleibenden Beeinträchtigungen und daraus die Ableitung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen) jeweils durchgängig zu betrachten sind, dabei aber – ausgehend von einer umfassenden Beschreibung jeder betrof- fenen Landschaftsbildeinheit – schrittweise auf die entscheidungserheblichen Merkmale eingegrenzt werden können. Der Raumebene kommt dabei insoweit eine besondere Rolle zu, als sie dazu dient, die er- mittelten einzelnen Beeinträchtigungen sowie die erforderlichen darauf Bezug nehmenden Maßnahmen bezogen auf die einzelnen Landschaftsbildeinheiten jeweils in ihrem Zusam- menwirken zu beleuchten. 140 Perspektiven Landschaftsbildanalyse – ein Beitrag zu einer „nachhaltigen“ Entwicklung? Dem (ohnehin normativ in Wert zu setzenden) Nachhaltigkeitsprinzip kann auch eine ästhetische Komponente zugesprochen werden. Sachs (1992) etwa schlägt vor, die her- kömmlichen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit – ökologisch, ökonomisch, sozial – um zwei weitere zu ergänzen, eine regional-räumliche (unter der etwa das Bestreben nach Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse gefasst werden kann) und eine kulturelle Dimen- sion. Unter Letztere fallen kulturelle Besonderheiten und Lebensformen, denen sich auch Belange des Landschaftsbildes bzw. ästhetische Sehgewohnheiten zuordnen lassen. In Be- zug auf ein Forstökosystem bzw. einen Wald – das klassische Beispiel also zur Veranschau- lichung von Nachhaltigkeitsbelangen – kann dies bedeuten, dass neben seiner natürlichen Produktionsfunktion sowie der aus ökonomischer Sicht gebotenen nachhaltigen Sicherung der daran gebundenen Wirtschaftsformen, in kultureller Hinsicht z. B. auch die Erhaltung eines bestimmten ästhetischen Wahrnehmungseindrucks gemeint sein kann, etwa eines vielfältig gestuften Plenterwaldes, der zwar eine historische Nutzungsform darstellt, aber nicht unbedingt einer naturnahen Bestockung zu entsprechen braucht und durch die da- mit verbundene einzelstammweise Entnahme vielleicht auch ökonomisch nicht unbedingt mehr tragfähig ist. Zu beachten ist dabei, dass menschliche Nutzung der Kulturlandschaft im strengen Sinn nie „nachhaltig“ war, sondern vielmehr laufende Anpassungen erfolgten und die Lebens- basis beständig erweitert wurde: Wie etwa Messerli (1989) anschaulich am Beispiel des Alpenraumes zeigt, hatte jede Epoche wieder eigene Probleme bei der Landnutzung zur Folge, denen durch bestimmte Anpassungen begegnet wurde. Auch die eingangs erwähnte Lüneburger Heide, deren Wahrnehmung sich mit der Zeit erst zum Schönen wandelte, war in ihrer Nutzung zu keiner Zeit „nachhaltig“, und wurde auch erst dann als „schöne“ Land- schaft wahrgenommen, als sie sich in ihrer Typik stark veränderte und eigentlich (fast) schon im Verschwinden begriffen war. Der Hinweis, dass Menschen dabei ihre Lebensbasis immer wieder erweitert haben, darf nun nicht als ein Plädoyer für uneingeschränkte Technikgläubigkeit verstanden werden, wohl aber als eines gegen eine zu statische, am klassischen Fließgleichgewicht orientierte Auffassung von „Nachhaltigkeit“. Demnach werden dann auch landschaftsästhetische Be- lange zu Bestandteilen eines nicht nur physisch verstandenen Natur- und Nachhaltigkeits- begriffs, sondern auch einer Haltung, die vielmehr auf die nachhaltige Wahrnehmung be- stimmter Funktionen gerichtet ist. Darunter fällt auch die sogenannte „Informationsfunk- tion“ von Landschaften, d. h. neben den physischen Belangen sind auch bestimmte ideelle Bedürfnisse, etwa die Wahrnehmung betreffend, zu erfüllen. Wie das Beispiel „Lünebur- ger Heide“ anschaulich macht, dürfen das Ästhetische und das Ökologische dabei nicht einfach miteinander gleichsetzt werden, vielmehr gilt es die Eigenständigkeit ästhetischer Belange zu betonen, die eben nicht nur als Folgefunktionen einer vermeintlich ökologisch „intakten“ Landschaft gesehen werden dürfen. In diesem Sinne kann die Landschaftsbild- analyse helfen, das Typische herauszuarbeiten, maßgebliche Entwicklungslinien aufzuzei- gen, für Menschen einen gewissen Wiedererkennungswert zu gewährleisten, der für viele wohl Voraussetzung für Verwurzelung und Heimatgefühl ist, und Veränderungen nach Art und Intensität deutlich zu machen. 141 Aufgaben künftiger Landschaftsbildanalyse Offen bleibt noch, wie gängige Landschaftsbildanalysen die Qualitäten „neuer“ Landschaf- ten, von Tagebau- und Konversionsflächen etwa, die sich momentan vielerorts heraus- bilden, integrieren werden. Die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, die im Falle der Nicht-Ausgleichbarkeit von Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes eine „landschafts- gerechte Neugestaltung“ vorsieht, erweist sich zwar prinzipiell als offen auch für neue Ge- staltungsformen. Kollektive Landschaftsbilder wie auch die daran geknüpften Erfassungs- und Beschreibungskategorien erweisen sich aber vielfach als stark rückwärtsgewandt bzw. von relativ großem Beharrungsvermögen. Mit Energielandschaften, Bergbaufolge- und Konversionsflächen entstehen demgegenüber momentan neue Landschaftstypen, die sich in der Wahrnehmung gerade erst als Landschaften etablieren, und von denen wir vielfach noch nicht so recht wissen, ob wir sie nun „schön“ oder „hässlich“ finden sollen. Solche Landschaftsformen sind (noch) nicht in den herkömmlichen ästhetischen Kategorien fass- bar; am besten lassen sie sich über ihre spezifische Eigenart erfassen und beschreiben. Die Eigenart als das jeweils herauszuarbeitende „Typische“ eines definierten Landschafts- raums sollte damit im Rahmen von Landschaftsbildanalysen stärker nutzbar gemacht wer- den, um Leitbilder für herkömmliche wie für neue Landschaftsformen zu bestimmen, die zum Einen an Vorhandenes anknüpfen und zum Anderen einen Rahmen für zukünftige Entwicklungen setzen können (Jessel 2006, 211). Bei der Vielfalt, der Eigenart wie auch der Schönheit handelt es sich um landschafts- bzw. naturraumbezogen zu betrachtende Merkmalskategorien. Über diesen (Natur)Raumbezug nimmt die Eigenart ohnehin eine zentrale Stellung ein: So kommt nicht das Hinzufügen jedweder – auch technischer – Elemente einer positiven Erhöhung der Vielfalt gleich; viel- mehr muss diese stets als landschaftstypische Vielfalt betrachtet und beschrieben werden. Auch eine auf der Raumebene als ganzheitlicher Wahrnehmungseindruck verstandene Schönheit stellt letztlich auf das Typische einer Landschaft auf einer höheren Gestalt- und Komplexitätsebene ab. Ein dynamisch verstandenes Konzept der Eigenart kann somit eingesetzt werden, um zu räumlichen Kategorisierungen zu gelangen, mit denen (Kultur) Landschaften nach den spezifischen standörtlichen Bedingungen, aber auch nach den his- torischen und anthropogenen Ausformungen sowie den aktuellen Nutzungsanforderungen differenziert werden, Anforderungen, die es bei der Umsetzung von Infrastrukturvorhaben aber auch erlauben, Lösungen zu entwickeln, unter denen Neues hinzutreten kann, eine Landschaft jedoch gleichzeitig wesentliche Merkmale ihrer Typik behält. „Landschaft“ erweist sich weiter als stark bildhaft geprägt, und zwar nicht nur vom „real“ vorzufindenden Bild, sondern vor allem von kollektiven, bildhaften Vorstellungen. Die- se sind immer noch tradierten Bildern von Landschaften verhaftet, die überwiegend der bäuerlichen Produktion dienen, verkennen aber zum Grossteil, dass unsere Landschaften keine (reinen) Produktionslandschaften mehr sind, sondern mittlerweile ganz überwiegend von den Bedürfnisse einer urbanen Gesellschaft (z. B. Mobilität/Verkehr, Energie, Freizeit/ Erholung) geprägt werden. Eine perspektivisch wichtige, aber auch sehr anspruchsvolle Aufgabe von Landschaftsbildanalyse liegt daher darin, Landschaften nicht nur naturwis- senschaftlich-analytisch in ihre Elemente aufzugliedern, sondern an diesen kollektiven Bil- dern anzusetzen, sie als Bestandteile einer Landschaftsanalyse systematisch aufzudecken und hier über partizipativ ausgestaltete, bewusstseinsbildende Prozesse nach Möglichkei- ten einer Weiterentwicklung zu suchen. 142 Literatur ARGE EINGRIFF-AUSGLEICH NRW (FROELICH & SPORBECK; NOHL, W.; SMEETS & DA- MASCHEK; VALENTIN, W.) (1994): Entwicklung eines einheitlichen Bewertungsrahmens für straßenbedingte Eingriffe in Natur und Landschaft und deren Kompensation. Im Auftrag des Ministeriums für Stadtentwicklung und Verkehr NRW und des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft NRW, Endbericht, Düsseldorf. AUGENSTEIN, I. (2001): Zur Berücksichtigung des landschaftsästhetischen Potenzials in der pla- nerischen Umweltvorsorge: Entwicklung eines GIS-gestützten Verfahrens am Beispiel des Re- gierungsbezirks Dessau. Dissertation an der agrar- und umweltwissenschaftlichen Fakultät der Universität Rostock. BENSE, M. (1982): Aesthetica. Einführung in die neue Ästhetik. Baden-Baden. BOSCH & PARTNER GMBH (1999): Eingriffe in das Landschaftsbild – Ermittlung und Kompen- sation. Forschungsvorhaben im Auftrag der Joachim und Hanna Schmidt Stiftung für Umwelt und Verkehr. BOURASSA, S. C. (1988): Toward a theory of landscape aesthetics. Landscape and Urban Planning. 15: 241-252. BREUER, W. (1991): Grundsätze für die Operationalisierung des Landschaftsbildes in der Eingriffs- regelung und im Naturschutzhandeln insgesamt. Informationsdienst Naturschutz Niedersach- sen. 11 (4): 60-68. GAREIS-GRAHMANN, F.-J. (1993): Landschaftsbild und Umweltverträglichkeitsprüfung. Analy- se, Prognose und Bewertung des Schutzgutes „Landschaft“ nach dem UVPG. Beiträge zur Umweltgestaltung: A; Bd. 132. Erich Schmidt Verlag GmbH & Co, Berlin. GASSNER, E. (1989): Zum Recht des Landschaftsbildes. Eine systematische Untersuchung zum Ausgleich von Eingriffen. Natur + Recht. 11 (2): 61-66. GASSNER, E. (1995): Das Recht der Landschaft. Gesamtdarstellung für Bund und Länder. Neu- mann Verlag Radebeul. HABER, W. (1996): Von der Schwierigkeit der Abwägung zwischen Eingriffen in Natur und Land- schaft. Zum Ausbau der Donau zwischen Straubing und Vilshofen. Verhandlungen der Gesell- schaft für Ökologie, Bd. 26. 287-296. HERINGER, J. K. (1981): Die Eigenart der Berchtesgadener Landschaft. Beiheft 1 zu den Berichten der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege, ANL (Hrsg.), Selbstverlag, Laufen/Salzach. HOISl, R.; NOHL, W.; ZEKORN, S.; ZÖLLNER, G. (1989): Verfahren zur landschaftsästhetischen Bilanz. Bayer. Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Materialien zur Flurbereinigung. Heft 17. HOISL, R.; NOHL, W.; ENGELHARDT, P. (2000): Naturbezogene Erholung und Landschaftsbild. KTBL-Schriften (Kuratorium für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft), Bd. 389. JESSEL, B. (1994): Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft als Objekte der na- turschutzfachlichen Bewertung. In: Norddeutsche Naturschutzakademie (Hrsg.): Biologische Beiträge und Bewertung in Umweltverträglichkeitsprüfung und Landschaftsplanung. NNA- Berichte, 7 (1): 76-89. JESSEL, B. (1998a): Landschaftsästhetik – ein „Bewertungsproblem“ für die Umweltplanung? Stadt + Grün. 47 (9): 641-650. JESSEL, B. (1998b): Das Landschaftsbild erfassen und darstellen. Vorschläge für ein pragmatisches Vorgehen. Naturschutz und Landschaftsplanung. 30 (11): 356-361. JESSEL, B. (1998c): Landschaften als Gegenstand von Planungen. Theoretische Grundlagen ökolo- gisch orientierten Planens. Beiträge zur Umweltgestaltung, Bd. A 139, Erich Schmidt Verlag, Berlin. 143 JESSEL, B. (2006): Zwischen Theorie und Praxis – landschaftliche Eigenart im Naturschutz und in der Eingriffsregelung. In: TANNER, K.M.; BÜRGI, M.; COCH, T. (Hrsg.): Landschaftsquali- täten. Bern/Stuttgart/Wien, Verlag Paul Haupt. JESSEL, B.; FISCHER-HÜFTLE, P.; JENNY, D.; ZSCHALICH, A. (2003): Erarbeitung von Aus- gleichs- und Ersatzmaßnahmen für Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes. Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Reihe Angewandte Landschaftsökologie H. 53, Bonn-Bad Godesberg. KAPLAN, R.; KAPLAN, S. (1989): The experience of nature. A psychological perspective. Cam- bridge University Press. KIEMSTEDT, H. (1967): Zur Bewertung der Landschaft für die Erholung. Beiträge zur Landespfle- ge, Sonderheft 1, Ulmer, Stuttgart. KIEMSTEDT, H. (1973): Erfahrungen und Tendenzen in der Landschaftsbewertung für die Erho- lung. Sitzungsberichte der Akademie für Raumforschung und Raumordnung, Nr. 76, Verlag Gebr. Jänicke, Hannover. KIEMSTEDT, A.; BECHMANN, A.; HEITMANN, G.; HOERSCHELMANN, O.; HULTSCH, E.; MUHS, C.; MEYER, E. (1974): Landschaftsbewertung für die Erholung im Sauerland. Institut für Stadtentwicklungsforschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Dortmund. KÖHLER, B.; PREISS, A. (2000): Erfassung und Bewertung des Landschaftsbildes. Informations- dienst Niedersachsen, Heft 1/2000. KRAUSE, C. L.; KLÖPPEL, D. (1996): Landschaftsbild in der Eingriffsregelung – Hinweise zur Be- rücksichtigung von Landschaftsbildelementen. Ergebnisse aus dem F+E-Vorhaben 80801130 des Bundesamtes für Naturschutz, BfN (Hrsg.). Landwirtschaftsverlag GmbH, Münster-Hil- trup, 180 Seiten. LEITL, G. (1997): Landschaftsbilderfassung und -bewertung in der Landschaftsplanung – dargestellt am Beispiel des Landschaftsplanes Breitungen-Wernshausen. Natur und Landschaft, 72 (6): 282-290. MESSERLI, P. (1989): Mensch und Natur im alpinen Lebensraum. Risiken, Chancen, Perspektiven. Paul Haupt, Stuttgart. MOLES, A. A. (1977): Psychologie und Wahrnehmung des Raumes. Die Scheiben des Menschen. In: Verhalten in der Stadt. Seminarberichte des Instituts für Städtebau und Landesplanung, Universität Karlsruhe. 13-23. NOHL, W. (1997): Bestimmungsstücke landschaftlicher Eigenart. Stadt + Grün 11/97: 805-813. NOHL, W. (2001): Landschaftsplanung. Ästhetische und rekreative Aspekte. Konzepte, Begründun- gen und Verfahrensweisen auf der Ebene des Landschaftsplans. Patzer Verlag, Berlin, Hanno- ver. REGIERUNGSPRÄSIDIUM DARMSTADT – DEZ. VII 61.2, AK LANDSCHAFTSBILDBEWER- TUNG BEIM HMDLLFN (1998): Zusatzbewertung Landschaftsbild: Verfahren gem. Anlage 1, Ziff. 2.2.1 der Ausgleichsabgabenverordnung (AAV) vom 09.02.1995 als Bestandteil der Eingriffs- und Ausgleichsplanung. Selbstverlag, 23 S. SACHS, I. (1992): Transition strategies fort he 21st century. Nature and resources, 28 (19): 4-17. SCAMONI, A. und HOFMANN; G. (1969): Verfahren zur Darstellung des Erholungswertes von Waldgebieten. Arch. Forstwiss., 18 (3): 283-300. SCHAFRANSKI, F. (1996): Landschaftsästhetik und räumliche Planung. Theoretische Herleitung und exemplarische Anwendung eines Analyseansatzes als Beitrag zur Aufstellung von land- schaftsästhetischen Konzepten in der Landschaftsplanung. Materialien zur Raum- und Um- weltplanung am FB Architektur/Raum- und Umweltplanung/Bauingenieurwesen, Universität Kaiserslautern. SCHURHAMMER, H. (1955): Straße und Landschaft. Ein Beitrag zur praktischen Landschafts- pflege. Bearbeitet mit Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums, Kirschbaum Verlag, Bielefeld. SIEFERLE, R. (1997): Rückblick auf die Natur. Eine Geschichte des Menschen und seiner Umwelt. Luchterhand, München. 144 SEIFERT, A. (1934): Natur und Technik im deutschen Straßenbau. Zitiert nach dem Abdruck in: SEIFERT, A. (1941): Im Zeitalter des Lebendigen. Natur – Heimat – Technik. Dresden und Planegg vor München. TÖNNIESSEN, J. (1993): Wie entwickelt sich ein „ästhetisches“ Landschaftsbild? In: Norddeutsche Naturschutzakademie (NNA), Berichte, 6 (1): 15-18. WÖBSE, H. H. (1991): Landschaftsästhetik und ihre Operationalisierungsmöglichkeiten bei der An- wendung des § 8 Bundesnaturschutzgesetz. In: Bundesforschungsanstalt für Naturschutz und Landschaftsökologie (Hrsg.): Landschaftsbild – Eingriff – Ausgleich. Handhabung der natur- schutzrechtlichen Eingriffsregelung für den Bereich Landschaftsbild, Bonn-Bad Godesberg: 31-36. 145 VOM REIZVOLLEN GEGENSATZ ZWISCHEN BEWALDETEN HÄNGEN UND OFFENEM TALGRUND Anmerkungen zu einigen Aspekten der deutschen Rechtsprechung zum Landschaftsbild Hildegard Eissing „Der Dichter ist das Herz der Welt“ Joseph von Eichendorff “I was a happy birdwatcher. Now I am an unhappy conservationist”. Aus einer Umfrage des Natural History Magazin zum Thema “You and The Ecology Movement” aus dem Jahr 1970 Die Programmatik des Naturschutzes speist sich in ihren Ursprüngen bei Ernst Rudorff aus der Romantik. Diese Ansätze wirken bis heute fort. Sie prägen die Sprachbilder in Urteilen und Urteilsbegründungen zu Beeinträch- tigungen und Verunstaltungen des Landschaftsbildes, aber auch – wenn auch zu Kitsch verwandelt – die aktuelle Posterserie des BMU „Wir erhalten Le- bensräume“. Die in der Programmatik der Anfänge des Naturschutzes do- minante, aktuell vielfach verborgene kulturelle Tradition des Naturschutzes, die in diesen Bildern anklingt, gilt es wiederzubeleben und neu zu gestalten, wenn der Naturschutz seine Wirksamkeit und Akzeptanz verbessern will. Hierfür ist ein Verständnis von Landschaft als Symbol für Heimaterfahrung und regionale Identifikation zentral. Die Prozesse, die sie ermöglichen, muss der Naturschutz in Zukunft mitgestalten. Dem liegt ein pluralistisches Ver- ständnis von Heimat zugrunde, deren Inhalte sich in Partizipation konstitu- ieren. 1951 wandte sich der langjährige Bezirks- und ab 1946 auch Landesbeauftragte für Na- turschutz von Rheinland-Pfalz, Heinrich Menke, mit Empörung an die Oberste Natur- schutzbehörde des Landes, das Ministerium für Unterricht und Kultus: „Jeder, der Liebe zur Natur hat, stellt in tiefer Sorge die oft ungeheuerliche Zunahme der Reklame fest... Aus der Erkenntnis heraus, daß die übertriebene Reklame die Landschaft verunstaltet, hat 146 die Naturschutzbehörde den Kampf dagegen aufgenommen...“ (Menke 1951). Das Land- schaftsbild und seine „Verunstaltung“ haben Gemüt und Gemütslage der Naturschützer von Anfang an bis heute bewegt: Ernst Rudorff (1840 bis 1916) wandte sich mit seiner Schrift „Heimatschutz“ bekanntlich vor allem gegen die ästhetischen Auswirkungen der „Verkoppelung“, wie damals die Flurbereinigung hieß (Rudorff 1897). Sein Anliegen war, die Landschaft in ihrer Eigenart zu erhalten. Für dieses Anliegen zog er sich als Musiker und Komponist zurück, um zu schreiben und sich als Programmatiker für den Schutz der Landschaft einzusetzen. Und heute? Wie sieht es in diesem Moment beim „Kampf“ gegen Veränderungen des Landschaftsbildes aus? Im Jahre 2004, also mehr als 100 Jahre nach seiner o. g. Publikation, hätte Rudorff zu- sätzlich zu seiner spitzen Feder ein vielleicht noch probateres Mittel zur Hand, sich gegen eine Flurbereinigung zur Wehr zu setzen: Denn sofern er Mitglied eines anerkannten Na- turschutzverbandes wäre – sagen wir: des NABU – hätte „sein“ Verband unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, eine Klage vor einem Verwaltungsgericht anzustrengen. Das Landschaftsbild beschäftigt also die Verwaltungsgerichte Deutschlands. Denn es ist als Anknüpfungspunkt beliebt, um Veränderungen der Landschaft als „Beeinträchtigun- gen“ oder „Verunstaltungen“, wie es im juristischen Sprachgebrauch heißt, zu beklagen. Diese Hinwendung zum Landschaftsbild liegt darin begründet, dass es jedermann unmit- telbar einsichtig ist und man deshalb auf den ersten Blick meinen könnte, dass man ohne aufwändige Untersuchungen auskommt, um eine Veränderung als akzeptabel oder inak- zeptabel zu beurteilen.1 Stimmt das? Bereits im Jahr 1952 erfanden die Richter am OVG Hamburg einen Homunculus in Gestalt des „gebildeten Durchschnittsbetrachters“, um den Fallen der bloßen Subjektivität bei der Bewertung landschaftsästhetischer Fragen zu entkommen.2 Der Weg vom Sachverhalt zur Urteilsbildung ist beim Landschaftsbild kurz, und das macht hier die Schwierigkeit der „objektiven“ Rechtsprechung aus. Natürlich ist der „homunculus-Trick“ leicht zu durchschauen: Der durchschnittlich gebil- dete Verwaltungsrichter füllt die entsprechende graue Masse in den Hirnzellen des Homun- culus mit seinen Bildern dessen, was eine „schöne“ und „eigenartige“, also eine aus den natürlichen Gegebenheiten und ihrem Zusammenspiel mit menschlichen Nutzungsweisen entstandene Landschaft beschreibt: Häufig wird dies auch als „spezifischer Charakter einer Landschaft“ bezeichnet, bisweilen auch der Schönheit der Landschaft zugerechnet.3 Die Rechtsprechung zum Komplex landschaftlicher Schönheit versteht sich dabei selbst als 1 Der Fragenkomplex des Ob und Wie erforderlicher Untersuchungen wird an dieser Stelle nicht weiter verfolgt; ihm widmen sich andere AutorInnen dieser Publikation. 2 OVG Hamburg, Urt. Vom 29.02.1952, Bf II 388/51 (VRspr. 4, Bd. 821). In: ASAL, K. 1958: Naturschutz und Rechtsprechung. Verlag Goecke & Evers, Krefeld. S. 47. Vgl. OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981 - 2 R 115/80 -. Natur und Recht (1) 1982. S. 29. 3 VG Karlsruhe, Urt. Vom 09.11.1978 - V 19/78 -. Natur und Recht (1) 1980. S. 36. 147 Werturteil, „...das sich naturgemäß nicht bis ins letzte mit Worten umschreiben lässt“.4 Diese Selbstbeschränkung ist weise. Mit einfachen Worten lässt sich ein solches Werturteil vielleicht nicht beschreiben. Wie also? Die Lösung wurde schon angedeutet: Mit Bildern! Solche Bilder können z. B. sprach- liche Bilder sein, in denen sich sowohl der objektive Sachverhalt wie auch die Assoziati- onen, die er auslöst, niederschlägt. Deshalb sind sie exakt, wenn auch nicht „objektiv“ im Sinne von „messbar“. Eines dieser Bilder wurde bereits im Titel genannt: Der „reizvolle Gegensatz zwischen bewaldeten Hängen und offenem Talgrund“ wurde mit exakt diesen Worten vom Oberver- waltungsgericht Saarlouis beschrieben.5 Ein Gegensatz ist etwas objektiv darstellbares, ob er reizvoll ist, hängt vom Betrachter ab, der sich reizen lassen muss – wie hier offensicht- lich geschehen. Die „Unverfälschtheit“ von „...Farben und Formen in Flora und Relief“, deren sich das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Urteil vom 03.11.1980 schüt- zend annahm, zeigen den kurzen Weg vom Objekt des Anschauens zur Assoziation des wahrnehmenden Subjekts besonders schön.6 „Der Eindruck der Geschlossenheit und Abgeschiedenheit...“ gilt der Rechtsprechung als ein Aspekt der Schönheit der Landschaft.7 „...Unberührtheit und die hiervon ausgehende Ruhe...“ oder auch nur die „...weitgehende Unberührtheit der Landschaft...“ werden zur Ei- genart der Landschaft gerechnet.8 Wohlgemerkt: hier werden land- und forstwirtschaftlich genutzte Kulturlandschaften beschrieben, keine Wildniszonen in einem Biosphärenreser- vat! In diesen Bildern drückt sich der Wunsch nach einer Gegenwelt zum Alltag aus. Landschaft ist erkennbar ein primär subjektives Konstrukt, wenn von einer „...sanft geschwungene(n) Hügellandschaft“ oder einer „... bislang als nahezu still zu bezeichnende(n) Landschaft...“ gesprochen wird.9 Jeder weiß, dass es in der Natur nicht still zugeht, son- dern das Leben geradezu „tobt“, jedenfalls meistens. „Still“ ist eine Landschaft dann wohl eher im übertragenen Sinn – oder – wie bei der oben genannten „Unberührtheit“ – im Sinne des Fehlens von „technischen“ Lauten, quasi als Indikator für „nicht vom Menschen gemacht“. 4 VG Regensburg, Urt. Vom 14.10.1982 - RO 7 K 81 A.3544 -. Natur und Recht (3) 1983. S. 128. 5 OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981. A.a.O. 6 OVG Münster, Urt. vom 03.11.1980 - 11 A/ 1686/79 -. Natur und Recht (3) 1981. S. 106/107. Ich gehe hier teilweise auf ältere Rechtsprechung ein, weil sie für den erst durch die Länderna- turschutzgesetze, bzw. durch das Bundesnaturschutzgesetz von 1976 eingeführten Begriff der „Beeinträchtigung des Landschaftsbildes“ neue Wege gehen musste, also Kriterien entwickelt hat; das Reichsnaturschutzgesetz von 1935 kannte demgegenüber nur die „Verunstaltung der Landschaft“, die eine andere Qualität hat. Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege (Bun- desnaturschutzgesetz – BNatSchG) vom 25. März 2002. ( BGBL I S. 1193) Reichsnaturschutz- gesetz vom 26.Juni 1935. RGBL I 68. S. 821 - 825. 7 OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981. A.a.O. 8 VG Karlsruhe, Urt. vom 16.10.2002 - 4 K 2331/01 -. Natur und Recht (19) 2003. S. 641. VGH Mannheim, Urt. vom 19.04.2000 - 8 S 318/99 -. Natur und Recht (9) 2000. S. 515. 9 VG Karlsruhe, Urt. vom 16.10.2002 - 4 K 2331/01-. A.a.O. S. 642. 148 Eine Beschreibung des Verwaltungsgerichts Freiburg verweist auf den „...Charakter einer von Wald umrahmten und auch mit ihm wechselnden geradezu parkartigen Weideland- schaft ... (,der) einen besonderen Reiz auf Besucher und Urlauber ausübt. Nur er wirkt der Eintönigkeit und Konturlosigkeit geschlossener Wälder entgegen, welche ansonsten die teilweise alpin wirkende Gebirgigkeit des Südschwarzwaldes überdecken...“10. Ver- waltungsrichter heben in diesem Sinne die „Unverfälschtheit“ oder die „...Naturhaftigkeit der Nutzung...“ hervor, wenn sie Merkmale eines schönen Landschaftsbildes benennen.11 Das Verwaltungsgericht Freiburg beschreibt in diesem Zusammenhang den „...markanten Wechsel von Wiesen, Weiden und Wäldern der ihn unmittelbar umgebenden Hänge...“, der dem Belchen – einem Höhenrücken des Schwarzwaldes – „...seine Konturen erhält...“.12 Strukturreichtum ist es also, was den bereits zitierten Reiz der Landschaft ausmacht – nicht umsonst wird er mit der „Eintönigkeit geschlossener Wälder“ kontrastiert, die allenfalls zur Rahmung im Bild willkommen sind, aber ansonsten wohl eher als „reizlos“ gelten mögen. Kiemstedts V-Wert wollte das einmal nutzwertanalytischen Rechenoperationen zugänglich machen – und ist dabei u. a. an dem engen Zusammenhang von Sehen und Assoziieren gescheitert. In etwas komplizierter Formulierung wiederholt und bestätigt der Verwaltungsgerichts- hof Mannheim die o.g. Bilder, wenn er von einer „...reich strukturierten, gegliederten und damit optisch ansprechenden Mittelgebirgslandschaft mit ihrem auf der Natürlichkeit, Schönheit und Vielfalt der freien Landschaft basierenden Erholungswert“ spricht.13 Dieses „...vielfältige(n) Wechselspiel...“, die Vielfalt der Natur, hat es den Richtern angetan: Sie heben es immer wieder hervor, wie z. B. das Oberverwaltungsgericht Münster in seinem Urteil vom 12.10.1999, bei dem es um Weihnachtsbaumkulturen und deren Einfluss auf das sauerländische Landschaftsbild geht. Aus Sicht des Oberverwaltungsgerichtes ist letz- teres „... durch das Wechselspiel von Grünland, einzelnen Baum- und Strauchgruppen so- wie -reihen und Wald in Form dichter Nadel- oder Laubbaumbestände“ gekennzeichnet.14 Eine Weihnachtsbaumkultur mehr oder weniger wird zur Überzeugung des Gerichts daran nichts ändern. Ein „...völlig ununterbrochener Horizont sowie ein Fernblick auf typische Landschaftsele- mente und Landschaften ...“ spiegeln den Wunsch nach einem „Rahmen“ für die Wahrneh- mung der Landschaft.15 Damit dieser „Rahmen“ nicht gestört wird, wird „...das öffentliche Interesse an der Erhaltung eines harmonischen Übergangs von der Bebauung zur freien Landschaft an einem gut einsehbaren Hang...“ als öffentlicher Belang bezeichnet, der vom Bauherrn zu respektieren ist.16 10 VG Freiburg, Urt. vom 14.11.2002 - 6 K 2008/02-. Natur und Recht (4) 2004. S. 260. 11 OVG Münster, Urt. vom 03.11.1980. A.a.O.; OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981. A.a.O. 12 VG Freiburg, Urt. vom 14.11.2002. A.a.O. 13 VGH Mannheim, Urt. vom 15.10.2004 - 8 S 737/02. Natur und Recht (2) 2003. S. 103. 14 OVG Münster, Urt. vom 12.10.1999 - 7 A 3813/96 - (VG Arnsberg). Natur und Recht (7) 1999 S. 410. 15 VG Karlsruhe, Urt. vom 16.10.2002. A.a.O. 16 BVerwG, Urt. vom 15.05.1997 – 4 C 23.95 (VGH Münster), Natur und Recht (1) 1998. S. 33. 149 Die Rechtsprechung geht beim Landschaftsbild von einem „optischen Beziehungsgefüge“ aus, also davon, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.17 Dieses optische Be- ziehungsgefüge umfasst z. B. auch „die Blickachse von den Gehöften ins Tal...“.18 Der Wunsch nach Harmonie prägt die Beurteilung einer Landschaft als „schön“. Der Ver- waltungsgerichtshof Kassel beschreibt entsprechend einen Teil des Randbereichs des Wes- terwaldes mit „...die gefällige, im landschaftlichen Gesamtbild wohltuende Mittelgebirgs- landschaft“.19 „Wohltuend“ – damit ist hier vermutlich gemeint, dass die Bild-Erwartung mit dem tatsächlichen Bild der Mittelgebirgslandschaft (noch) übereinstimmt. Eine Art von Kontinuität, die in der Diskontinuität des Alltags offensichtlich als entlastend erlebt wird. In eine ähnliche Richtung zielt das Verwaltungsgericht Karlsruhe, das – wie bereits an- geführt – der Landschaft einen „spezifischen Charakter“ zuspricht.20 Es braucht also eine großräumige Betrachtungsweise, die sich nicht auf einzelne Elemente, sondern eher auf deren typisches Arrangement konzentriert, damit in der Wahrnehmung „Landschaft“ ent- steht. Warum solche Bilder vertraut scheinen, wo die Ursprünge dieses Phänomens liegen, ist Ziel der folgenden Zeitreise, die uns in die deutsche Romantik zurückführt, also in die Zeit zwischen etwa 1790 und 1830 – so genau kann man das nicht abgrenzen. Romantik: „Es ist das Zauberwort ‚Natur‘, das ins beginnende 18. Jahrhundert hineinhallt und nicht so bald wieder verklingt“ (Benz 1986). In Deutschland bezeichnet man mit die- sem Begriff die Hochzeit der deutschen Literatur, wenn wir Heinz Schlaffer (2002) folgen wollen. Eine Zeit, die nach Carl Schmitt als Ausdruck eines „Occasionalismus“ zu gelten hat, in dem jedes Ereignis dem Subjekt zum Beginn eines Romans werden kann, also – wie Walter Benjamin ausführt – die Subjektivität, bis ins Unendliche reflektiert, das Denken und Sprechen bestimmt (Schmitt 1998; Benjamin 1973). Das romantische Subjekt kann aus jeder Gelegenheit den Anlass eines romantischen Empfindens machen. Prägend für die spezifisch deutsche Ausprägung der Romantik ist die „intellektuelle En- ergie religiöser Herkunft“, hier vor allem aus dem protestantisch-pietistischen Milieu der Zeit, die „neuartige poetische Sprechweisen“ schuf und den Glauben an das Christentum durch den „Glauben an die Poesie“, die Andacht zur Poesie, ersetzte (Schlaffer 2002, 20- 21). Mit ihrer Betonung des Individuums und der Hinwendung zur Ästhetik ist die Roman- tik Vorläufer und Wegbereiter der Moderne – mehr als Kitsch und mehr als angestaubt (vgl. Bohrer 1989). Und sie ist ein zentrales Moment für das Verständnis naturschützerischen Denkens (Franke 2003). 17 OVG Münster, Urt. vom 19.01.1994 – 23 D 133/91 AK -. Natur und Recht (1) 1995. S. 46. 18 VGH München, Urt. vom 25.10.2000 – 19 B 98.2562 -. Natur und Recht (10) 2000. S. 589. 19 VGH Kassel, Urt. vom 24.05.1996 – 4 UE 2683/93 -. Natur und Recht (2) 1998. S. 106. 20 VG Karlsruhe, Urt. vom 09.11.1978. A.a.O. 150 Im Weiteren werden den Zitaten aus den o.g. Urteilen und Urteilsbegründungen Zitate aus der Poesie Eichendorffs gegenübergestellt. Das zeigt recht plastisch, dass die entspre- chenden Wahrnehmungen und Beschreibungen in der Romantik verankert sind. Die Poesie Eichendorffs als Repräsentant der Hoch-Romantik wurde ausgewählt, weil seine Sprache das Natur-Erleben seiner Zeit exemplarisch widerspiegelt und seine Gedichte und Lieder Teil des bürgerlichen Bildungskanons sind. „Urbilder unserer innigsten Momente“ hat ein kluger Rezensent in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung einmal die zentralen Elemente eichendorffscher Poesie genannt (Hieber 1988). Hier haben wir Bilder, die seit der Roman- tik – einer der Quellen des Naturschutzes – bis zu uns ihre Prägnanz behauptet haben. Wie sehen diese Bilder aus? In der Überschrift zu diesem Text wurde bereits der „reizvolle Gegensatz zwischen bewal- deten Hängen und offenem Talgrund“ genannt, der an dieser Stelle mit „Farben und For- men in Flora und Relief“ zusammengeführt werden soll.21 Bei Eichendorff (1977, 328-334) finden wir das in folgenden Versen wieder: „Quellen aus der Grüne sprangen, Berg und Wald verzaubert standen, Tausend Vögel schwirrend sangen. Golden blitzt es überm Grunde. Seltne Farben irrend schweifen, Wie zu lang entbehrtem Feste Will die Erde sich bereiten.“ Der „Unverfälschtheit“ und „Unberührtheit“ sowie dem „Eindruck der Geschlossenheit und Abgeschiedenheit“ hat Eichendorff durch Benennung des Verfälschten Kontur ge- schaffen:22 „Da draußen, stets betrogen, saust die geschäftge Welt“. Dieser Welt stellte er das „stille ernste Wort vom rechten Tun und Lieben, und was des Menschen Hort“ ent- gegen, das im Wald zu finden sei (ebd., 31). An anderer Stelle spricht Eichendorff in diesem Zusammenhang von der „falschen Welt“, die er vom Wahren der Natur abgrenzt (ebd., 272-273). Dieses „grüne Zelt“ der Natur, das sich „um mich schlagen“ soll, versinn- bildlicht die „Abgeschiedenheit“ – als Schutzraum gegen „die geschäftge Welt“ mit ihren „buntbewegten Gassen“.23 Kommen wir zum Kriterium der „Naturhaftigkeit der Nutzung“ und zum „vielfältigen Wechselspiel“ von Landschaftselementen:24 Das meint heute wie damals die Land- und Forstwirtschaft, und dafür findet sich bei Eichendorff ein besonders schönes Bild: „Die Luft ging durch die Felder, die Ähren wogten sacht, es rauschten leis` die Wälder, so stern- 21 OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981. A.a.O. OVG Münster, Urt. vom 03.11.1980. A.a.O. 22 OVG Münster, Urt. vom 03.11.1980. A.a.O.. OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981. A.a.O. VG Karlsruhe, Urt. vom 16.10.2002. A.a.O. VGH Mannheim, Urt. vom 19.04.2000. A.a.O. 23 OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981. A.a.O. Eichendorff, J von: Abschied. A.a.O. 24 OVG Münster, Urt. vom 03.11.1980. A.a.O. OVG Münster, Urt. vom 12.10.1999. A.a.O. 151 klar war die Nacht“ (ebd., 271). Ein Bild, das Einklang, Stimmigkeit, Harmonie suggeriert: alles das, was die Mitglieder des Deutschen Wanderverbandes suchen, wenn sie hinausge- hen in den Wald. Das Wandern ist – metaphorisch wie real – eine Erfindung der Romantik (Schlaffer 2002, 69-71). Offensichtlich haben diese Bilder, die Eichendorff „verdichtete“, etwas zutiefst im Men- schen Verankertes beschrieben – daher rührt ihre Wahrheit und Überzeugungsmacht. Oder, wie Ludwig Harig es in der Frankfurter Anthologie ausdrückt: „Weder die goldenen Sterne noch die prächtige Sommernacht, weder Bergeshänge noch Felsenschlüfte sind mir je als poetische Topoi erschienen. Der Klang dieser Verse ruft in meiner Phantasie wirkliches Lautenspiel und Brunnenrauschen hervor, ihre Bilder beschwören mir Marmorstatuen und glänzende Paläste und nichts sonst. Ich lasse mich entrücken aus einer in diesen sehn- suchtsvollen Rhythmen gegenwärtigen in eine bessere Welt“ (Harig 1989). Eichendorffs Bilder knüpfen an die reale Natur an – und poetisieren sie in der Wahrnehmung. Sie geben damit ein sehr genaues Bild der Wirklichkeit, knapper als jede ausführliche Landschafts- schilderung, z. B. in Ellenbergs „Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer Sicht“ (Ellenberg 1978), es vermöchte . Naturerleben als Gegengewicht gegen die Zweck- haftigkeit und Rationalität der Wahrnehmung der Welt, wie sie im Zuge der beginnenden Industrialisierung prägend war und wie sie die Rechtsprechung prägt (Benz 1986). „Flog durch die stillen Lande, als flöge sie nach Haus“ – so setzt sich das oben zitierte Gedicht „Mondnacht“ Eichendorffs fort, und was hier nach Haus fliegen möchte aber im Konjunktiv gefangen bleibt, ist die Seele des dichterischen Ich (Eichendorff 1977). „Nach Haus“ – das sind wohl die magischen Worte, die den Wunsch nach einer vertrauten, sicheren Umgebung beschreiben. In den Bildern der Zeit, in der Eichendorff lebte – Bilder, deren er selbst als Schutz gegen Veränderungen, deren es viele in seinem Leben gab, bedurfte. Diese Bilder finden sich bis in die Inhalte der angeführten juristischen Begrifflichkeit wie- der. Sie klingen aber ebenso an in der aktuellen Posterserie „Wir erhalten Lebensräume“ des BMU, die mehr oder weniger als Illustration zu den eichendorffschen Gedichten ge- macht zu sein scheint – allerdings eher in einem Stil, den man getrost Kitsch nennen darf. Ganz im Sinne des dtv-Brockhaus-Lexikons, dem entsprechend Kitsch ein ohne künstleri- sche Intention hergestellter Gegenstand ist, „der ohne den Filter der ästhetischen Distanz unmittelbar den ästhetischen Selbstgenuss anspricht“.25 Im Folgenden sind einige Poster dieser Serie, die besonders beeindruckend wirken, ab- gebildet: „Wir erhalten Lebensräume: für die Fledermäuse, in den Mittelgebirgen, in den Alpen“.26 Was sehen wir da? Wir erhalten Lebensräume – für die Fledermaus Das Poster (siehe nächste Seite), das die Lebensräume der Fledermäuse thematisiert, zeigt uns eine prächtige Sommernacht, in der die Sterne so golden scheinen. Ein Palast im Mon- 25 dtv Brockhaus Lexikon. Stichwort „Kitsch“. Band 9. Mannheim 1989, 321. 26 Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit: Posterserie „Wir er- halten Lebensräume – für die Fledermäuse, in den Mittelgebirgen, in den Alpen.“ Bonn/Bad Godesberg. 2003. 152 denschein sendet warmes, heimatli- ches Licht in die dämmernden Lau- ben, wo nicht der Brunnen, aber der Wassergraben verschlafen rauscht. Ein Bild der Sehnsucht, wie es das gleichnamige Gedicht Eichendorffs beschreibt, aus dessen Fundus die Beschreibung entliehen wurde (Ei- chendorff 1977, 271). Angesichts des Qualitätsunterschiedes zwischen Eichendorffs Poesie und den Postern des BMU ist dies allerdings schon fast unentschuldbar: Kunst und Kitsch trennen eben Welten. Wir erhalten Lebensräume – in den Mittelgebirgen Das Poster zu den Mittelgebirgen (siehe nächste Seite unten) zeigt uns einen waldigen Bergeshang im reiz- vollen Kontrast zum offenen Tal- grund, der landwirtschaftlich genutzt wird.27 Ein offensichtlich denkmal- geschützter Hof, umgeben von Streu- obstwiesen inmitten einer „als nahezu still zu bezeichnenden Landschaft“: „Sinnend ruht des Tags Gewühle in der dunkelblauen Schwüle“.28 Keine Fernsehfrequenzumsetzer weit und breit, kein Silo, keine Satellitenschüssel auf dem Dach, kein Auto, ja nicht einmal eine Garage. Stattdessen die ununterbrochene Horizontlinie und ein harmonischer Übergang von Bebauung und Landschaft.29 Statt der üblichen Verkehrsgeräusche meint man die Luft durch die Felder gehen, die Ähren sacht wogen und den Wald leis` rauschen zu hören (Eichendorff 1977, 271). Ganz in diesem Sinne schaut uns der Rehbock an, der hier noch munter grast, und ein Acker mit einem schönen Bestand an Beikräutern und geschützten Tierarten. 27 Eichendorff, J. von: Sehnsucht. A.a.O. OVG Saarlouis, Urt. vom 06.05.1981. A.a.O. 28 Eichendorff, J. von: Mittagsruh. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. Herausgegeben von Wolfdietrich Rasch. Carl Hanser Verlag München. 1977. S.33. VGH Mannheim, Urt. vom 19.04.2000. A.a.O. 29 VG Karlsruhe, Urt. vom 16.10.2002. A.a.O. BVerwG, Urt. vom 15.05.1997. A.a.O. Quelle: alle drei Posterabbildungen BMU 2003, siehe Fußnote 26 153 Wir erhalten Lebensräume – in den Alpen Und das Poster über die Lebensräume in den Alpen (Bild rechts) kontrastiert diese Idylle durch eine andere: hier gibt es die „schwindelnden Felsenschlüfte, wo die Wälder rauschen so sacht“ und natürlich auch die „Quellen, die von den Klüften sich stürzen in die Waldesnacht“. Und über allem ein martialischer Adler, der vielleicht den einen oder anderen an noch nicht gar so ferne Zeiten erinnern mag (vgl. Radkau, Uekötter 2003). An dieser Stelle sei das Gedicht „Erin- nerung“ von Eichendorff zitiert, weil es die hinter der Posterserie des BMU steckende Aussage zusammen zu fassen scheint (Eichendorff 1977, 42): Erinnerung 1 „Lindes Rauschen in den Wipfeln, Vöglein, die ihr fernab fliegt, Bronnen von den stillen Gipfeln, Sagt, wo meine Heimat liegt? Heut im Traum sah ich sie weder, Und von allen Bergen ging Solches Grüßen zu mir nieder, Daß ich an zu weinen fing. Ach, hier auf den fremden Gipfeln: Menschen, Quellen, Fels und Baum, Wirres Rauschen in den Wipfeln, - Alles ist mir wie ein Traum. 2 Die fernen Heimathöhen, Das stille, hohe Haus, Der Berg, von dem ich gesehen Jeden Frühling ins Land hinaus, Mutter, Freunde und Brüder, An die ich so oft gedacht, Es grüßt mich alles wieder In stiller Mondesnacht.“ Und diese Bilder rezipiert der Natur- schutz immer wieder – sicherlich nicht 154 in jedem Fall bewusst, aber immerhin so eindeutig, dass sie zumindest auch die Recht- sprechung zum Landschaftsbild beeinflusst haben – ebenso wie offensichtlich die PR-Ab- teilung des BMU, mehr oder weniger verdeckt die Naturschutzgesetze des Bundes und der Länder – auch in den vermeintlich naturwissenschaftlich basierten Passagen – oder auch den Anhang III der FFH-Richtlinie, der bestimmte Lebensraumtypen benennt und Kriterien angibt, die ihre Schutzwürdigkeit begründen. Dort wird z. B. vom „ökologischen Gesamtwert des Gebietes ... aufgrund der Eigenart oder Einzigartigkeit seiner Kompo- nenten als auch von deren Zusammenwirken“ gesprochen.30 Erinnert das nicht stark an den „spezifischen Charakter des Gebietes“, wie ihn das Verwaltungsgericht Karlsruhe anführt, einen durch und durch romantischen Begriff?31 Oder an das „...vielfältige Wechselspiel...“ von Landschaftselementen, dem das Oberverwaltungsgericht Münster so hohen Stellenw- ert für die Bewertung des Landschaftsbildes beimisst?32 Wen kann man mit diesen Bildern überzeugen? Damit ist einerseits die Frage nach der Ge- staltung von Landschaft bei Konflikten, wie sie bei jedem Infrastrukturvorhaben entstehen, gemeint. Kann man auf dieser Basis Lösungen entwickeln, die beim Blick in die Zukunft tragen, weil sie mehr sind als eine bloße Musealisierung? Auf der anderen Seite stellt sich die Frage nach der Akzeptanz für Lösungen, die als in der Vergangenheit verhaftet wah- rgenommen werden. Und Akzeptanz hat viel mit Wirksamkeit zu tun. Ein Zitat aus einem Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 24.08.2004 kann das verdeutlichen: „Früh in ihrer Parteigeschichte haben sie (DIE GRÜNEN; Anm. H. E.) sich statt zur Wildnis als Naturideal für die Kulturlandschaft des neunzehnten Jahrhunderts als Maßstab des sogenannten „Naturschutzes“ entschieden. Man träumte sich zurück in die Zeit unmittelbar vor der industriellen Revolution... Unterfüttert wurde diese Haltung von empirischen Erhebungen, denen zufolge die Biodiversität im neunzehnten Jahrhundert einen Höhepunkt erreicht hatte... Der kulturelle Umbruch der Landwirtschaft (infolge der EU-Agrarreform, die die Förderung der Landwirtschaft nicht länger an die Produktion koppelt; Anm. H. E.) bedeutet aber, dass nun auch für die Landschaft die Maßstäbe der Kulturkritik gelten. Eine ästhetische und ökonomische Diskussion wird unvermeidbar...“ (Schwägerl 2004; Hervorhebung H. E.). Wer führt diese ästhetische und ökonomische Diskussion? Der Naturschutz? Oder einmal mehr „die Anderen“? Und wie wird diese Diskussion geführt? Mit der auf den ersten Blick so „naturwissen- schaftlichen“ Sprache der europäischen FFH-Richtlinie, die Lebensraumtypen und beson- ders geschützte Arten benennt? 33 Oder mit der Sprache und den entsprechenden Maßstäben der Menschen, für die Landschaft der Ort ist, an dem sie leben und arbeiten? Orientieren wir uns im Naturschutz in erster Linie an der vermeintlichen Wissenschaftlichkeit, die „die Ökologie“ uns an die Hand gibt? Oder orientieren wir uns primär an den Bedürfnissen der Menschen nach einer „schönen“ Landschaft – ob sie nun so aussieht wie in den Gedichten 30 FFH-Richtlinie: Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen vom 21. Mai 1992 (ABL. der EG Nr. L 206. S. 7 - 50), zuletzt geändert durch RL 97/62/EG vom 27. Oktober 1997 (ABL. der EG Nr. L 305. S. 42). 31 VG Karlsruhe, Urt. vom 09.11.1978. A.a.O. 32 OVG Münster, Urt. vom 12.10.1999 – 7 A 3813/96 – (VG Arnsberg). A.a.O. 33 FFH-Richtlinie: a.a.O. 155 Eichendorffs oder so wie im Ruhrgebiet? In der Auseinandersetzung mit diesen Fragen liegt der Kern für die künftige Akzeptanz und Wirksamkeit des Naturschutzes. Dazu im folgenden einige Erläuterungen: (vgl. Eissing, Franke, Körner 2003) Die Dominanz des ästhetischen Ansatzes in der Zeit vor etwa 1969/1970 zeigt sich ex- emplarisch in vielen Stellungnahmen der Naturschutzbeauftragten des Landes Rheinland- Pfalz, also des ehrenamtlichen Strangs des Naturschutzes bis zum Inkrafttreten der Län- dernaturschutzgesetze (Franke 2005). Demgegenüber entwickelt der Naturschutz seit etwa 1969/1970 seine Ziele möglichst „wertfrei“ aus den Erkenntnissen der Ökologie. Erste Ansätze hierzu gab es bereits in der Zeit des Nationalsozialismus (vgl. Küster 2003). Heute stützt sich der Naturschutz vor allem auf vermeintlich naturwissenschaftliche Not- wendigkeiten, um seine Ziele und Handlungsweisen zu begründen. Solche Gedankengebäu- de finden sich z. B. in der Naturschutzgesetzgebung, wenn es dort um „Biotopvernetzung“, die Sicherung der „Funktionen des Naturhaushaltes“ oder um „Ausgleich und Ersatz“ von Beeinträchtigungen geht. Der Arten- und Biotopschutz, der sich hier verankert, prägt die Arbeit und das Erscheinungsbild des Naturschutzes in der Öffentlichkeit weitgehend. Gestalterisch-funktionale Argumente, wie sie den Beginn der Naturschutzbewegung, den Heimatschutz, prägten, treten hinter „ökologischen“ Argumenten zurück. Welche Land- schaft gesellschaftlich gewollt ist, welche Werte und Ziele also der Naturschutz verfolgen soll, ist aber eine primär geisteswissenschaftliche Frage. Diese kulturellen Implikationen greift der Naturschutz jedoch kaum mehr direkt auf. Al- lenfalls indirekt lässt er sie durchschimmern. Genau diese Implikationen sind es aber, die die Menschen mit der Landschaft verbinden.34 Da wundert es nicht, wenn Bürgerinitiativen gegen Nationalparks entstehen oder die Diskussion um Schutzgebiete emotional sehr enga- giert geführt wird, weil man aneinander vorbei redet (vgl. Stoll 1999). Wie kann eine Lösung aussehen? Wohl am ehesten so, dass die kulturelle Dimension der Landschaftsgestaltung wieder ent- deckt und neu belebt wird. Damit soll nicht einer bloßen Emotionalisierung das Wort ge- redet werden, wie es als Antwort auf den Titel der Tagung „Die Verwissenschaftlichung kultureller Qualitäten in der Landschaftsplanung und im Naturschutz“ vielleicht nahe läge (vgl. Schemel 2004). Dies ist vielmehr ein Plädoyer für Interdisziplinarität, vor allem zwischen Naturschützern und Geisteswissenschaftlern, aus der heraus eine Stärkung der gesellschaftlichen Kompetenzen des Naturschutzes erwachsen kann. Um was es bei dieser Rückbesinnung auf die kulturellen Wurzeln geht, zeigen die drei Poster des BMU: Es geht um den Garten bzw. den Park – siehe das Plakat mit den Fleder- mäusen. Es geht um die Wildnis – siehe das Plakat zu den Lebensräumen in den Alpen. Und es geht um die Kulturlandschaft – siehe das Poster zu den Mittelgebirgen. Das erste Thema ist der Garten oder auch der Park: Das ist der wohnungsnahe Ort der Erholung, der Rückzugsraum, aber auch der Spielraum der Kinder und Erwachsenen. Das zweite Thema heißt Wildnis und Verwilderung. Auch hier sind Bilder von Landschaf- 34 vgl. Der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (Hrsg.) 2004: Um- weltbewusstsein in Deutschland. Bonn. 156 ten gemeint, die für viele Menschen ansprechend sind, einem Bedürfnis entsprechen. Sie drücken den Wunsch nach dem „ganz Anderen“ aus, das der gebauten Umgebung gegenü- bersteht und eine andere Art von Herausforderung formuliert als der gewohnte Alltag (vgl. Schama 1996, 2002). Dabei gilt es, in die Begründung und Ausformung entsprechender Konzepte den Bezug zum Menschen stärker hervorzuheben, als dies bisweilen geschieht. Geradezu symptomatisch für die im Titel der Tagung genannte Verwissenschaftlichung kultureller Qualitäten im Naturschutz sei hier die Auffassung des BfN von Wildnis zitiert: „Das Konzept der ‚neuen Wildnis‘ lässt sich vor allem aus den Thesen zur Struktur des Primärwaldes unter dem Einfluss von Großherbivoren ableiten...“35 (siehe Abb. nächste Seite). Man entscheidet sich nicht für Wildnis, sondern „leitet ab“. Eine vermeintlich na- turwissenschaftlich abgesicherte Konzeption, die im Expertenjargon daher kommt und Au- torität suggeriert. Warum will man überhaupt ein Konzept der „neuen Wildnis“? Hat das etwas mit dem Menschen zu tun? Anzunehmen ist, dass das BfN diese Fragen beantworten kann – auch wenn es seit 2002 unverändert seine Idee von Wildnis aus der Struktur des Primärwaldes unter dem Einfluss der Großherbivoren ableitet. Und das Dritte ist die Kulturlandschaft: Hierzu seien zunächst noch einmal einige der Ge- danken aus diesem Beitrag zusammengefasst: Die Programmatik des Naturschutzes ist wesentlich durch die Rezeption der Romantik seitens seiner ersten Akteure, namentlich durch Rudorff, geprägt worden. Im Zentrum dieser Programmatik stehen die Poetisierung der Welt und ein Weltbild geordneter sozi- aler Verhältnisse, das man als biedermeierliches und agrarisches „Idyll“, gepaart mit ei- ner antidemokratischen Grundhaltung, beschreiben kann (Franke 2003). Die „malerische“ Landschaft ist „Ort“ der Romantik. Hier liegt der zentrale Bezugspunkt für den von der Romantik beeinflussten Naturschutz. Architektur, Sprache, Liedgut, Dichtung und Traditi- on treten hinzu (Eissing, Franke, Körner 2003). Das sollte mit den Ausführungen über die Bildersprache in den Urteilen und Urteilsbegründungen zum Landschaftsbild einerseits und der Eichendorffschen Poesie andererseits zu zeigen versucht werden. Der Heimatbegriff, den Rudorff in Bezug zur Landschaft setzte, hat hier, in der Romantik, seinen Ursprung: Der Blick des Heimatschutzes auf die Landschaft war sowohl ein gestal- terisch-funktionaler als auch ein romantischer, er war nicht naturwissenschaftlich geprägt. Wesen der Romantik ist, wie bereits gesagt, vom erlebenden Subjekt auszugehen. Sie be- schreibt seine Wahrnehmung der Welt. Hier knüpft der Begriff Heimat an: Heimat konstituiert sich aus dem Blick des Individuums auf innere Bilder. Das Individuum wählt diese Bilder selektiv aus, weil sie einen Teil seiner Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft symbolisieren. Entsprechend spielen Kindheit und Sozialisation eine große Rolle. Wenn es Bilder von Landschaft sind, die das Individuum auswählt, meinen sie zumeist die traditionelle, regionaltypische Kulturlandschaft. Diese inneren Bilder sind zwar individuell, aber nicht „bloß subjektiv“ im Sinne von beliebig: Es gibt vielmehr einen kulturellen Kanon für eine Region, der ihre Identität beschreibt und sie 35 Bundesamt für Naturschutz: Ausgewählte Arbeitsschwerpunkte. Wildnisgebiete. Download vom 29.10.2004. www.bfn.de/03/030501_wildnis.html. 2 Seiten; Bundesamt für Naturschutz: Lüneburger Erklärung zu Weidelandschaften und Wildnisgebieten verabschiedet. Presseservice. 26.09.2003 157 von anderen unterscheidet. Man kann diese Bilder also kommunizieren, ja das muss man sogar, wenn man den kulturellen Kanon einer Region benennen will. Denn er lässt sich nur aus dem Zusammenfügen der individuellen Bilder erzeugen. Heimat ist dementsprechend pluralistisch. Zurück zur Landschaft: Landschaft hat in dieser Sichtweise also eine symbolische Di- mension, die den Ausgangspunkt für Heimaterfahrung und regionale Identifikationspro- zesse bildet. Was kann Landschaft heute im Sinne von Heimat symbolisieren? In erster Linie wohl die Selbständigkeit bei der Gestaltung des eigenen Lebens, das sich in einer demokratischen Gesellschaft verwirklicht. Deshalb sind Heimat und regionale Identität in Zeiten der Globalisierung, die diese Selbständigkeit immer wieder infrage stellt, für den Naturschutz zentrale Themen; insoweit benennt der bereits zitierte Artikel aus der Frank- furter Allgemeinen Zeitung einen richtigen Punkt (Schwägerl 2004). In diesem Sinne ist es für den Naturschutz wichtig, sich damit auseinander zu setzen, wie er die Entwicklung landschaftsgestaltender und nachhaltiger Nutzungsmuster unterstützen kann: Naturschutz durch Nutzung statt Naturschutz gegen Nutzung. Mit diesem Ansatz steht der Naturschutz in seiner Sicht auf die Mensch-Natur Beziehun- gen vor einem Paradigmenwechsel. Die Begründung „Schutz der Natur um ihrer selbst willen“, die den Naturschutz lange Zeit vom Umweltschutz unterschieden hat, steht ihm heute vielfach im Weg (Müller 2001). Sie verstellt ihm bisweilen den Zugang zu den Men- schen. Wenn er diesen Weg verlässt, kann er die Region und die in ihr lebenden Menschen entdecken und sie in den Mittelpunkt seiner Programmatik stellen. In dieser Sichtweise steht der Mensch auch im Naturschutz im Zentrum künftiger Strategien, nicht als Störfak- tor ökologischer Systeme, sondern als Dreh- und Angelpunkt der eigenen Ziele. Wie tief das in das Selbstverständnis des Naturschutzes hineingreift, zeigt nicht zuletzt die Debatte um das Thema Heimat, wie sie sich z. B. im Themenheft „Heimat – ein Tabu im Naturschutz?“ der Zeitschrift Natur und Landschaft ausdrückt.36 Zur kulturellen Tradition des Naturschutzes gehört der Heimatschutz, der als historische Bewegung Teil der Naturschutzgeschichte ist. Diese kulturelle Tradition findet aktuell ih- „Das Konzept der „neuen Wildnis“ lässt sich vor allem aus den Thesen zur Struktur des Primärwaldes unter dem Einfluss von Großherbivoren ableiten...“ Quelle: http://www.bfn. de/0311_weide.html. (Zugriff: 03.04.2006) 36 Heimat – Tabu im Naturschutz? Natur und Landschaft, 2003. 78 (9/10): 381-417 158 ren Ansatzpunkt in der Debatte um Heimat. Der Rückgriff auf die Bildsprache in Urteilen, Urteilsbegründungen und in der zitierten Posterserie des BMU sollte zeigen, dass diese kulturelle Tradition noch wach ist, wenn auch – wie in der Posterserie – eher als Kitsch. Der BMU hat hier also seine Kommunikationsintention in eine Form gekleidet, die diese kulturelle Tradition teilweise eher verschüttet als aktiviert. Nachhaltige Nutzungsmuster in der Landschaft mitzugestalten, in denen Menschen gern le- ben – diese Aufgabe steht im Zentrum einer Wiederbelebung dieser historischen Tradition, wie sie weiter oben erläutert wurde. Die im bereits genannten Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen geforderte ökonomische und ästhetische Diskussion setzt hier an (Schwägerl 2003). Ist der Naturschutz auf diese Diskussion vorbereitet? Diese Frage mit „Ja“ zu beantworten, scheint sehr gewagt. Aber sicher ist: er muss sie führen – oder er wird geführt. Literatur BENJAMIN, W. (1973): Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik. suhrkamp taschen- buch wissenschaft. Band Nr. 4. Frankfurt am Main. BENZ, R. (1986): Die romantische Geistesbewegung. In: Propyläen Weltgeschichte. Band 8. MANN, G. [Hrsg.] Propyläen-Verlag. Berlin, Frankfurt am Main. 196. BOHRER, K. H. (1989): Die Kritik der Romantik. edition suhrkamp. Neue Folge Band 551. Frank- furt am Main. BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (BfN) (2003): Lüneburger Erklärung zu Weidelandschaften und Wildnisgebieten verabschiedet. Presseservice. 26.09.2003. BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ (BfN) (2004): Ausgewählte Arbeitsschwerpunkte. Wildnis- gebiete. Download vom 29.10.2004. www.bfn.de/03/030501_wildnis.html. 2 Seiten. EICHENDORFF, J. V. (1977): Abschied. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. RASCH, W. [Hrsg.]: Carl Hanser Verlag. München. 31. EICHENDORFF, J. V. (1977): Nachtlied. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. RASCH, W. [Hrsg.]: Carl Hanser Verlag. München. 272-273. EICHENDORFF, J. V. (1977): Erinnerung. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. RASCH, W. [Hrsg.]: Carl Hanser Verlag. München. 42. EICHENDORFF, J. V. (1977): Sehnsucht. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. RASCH, W. [Hrsg.]: Carl Hanser Verlag. München. 30. EICHENDORFF, J. V. (1977): Mittagsruh. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. RASCH, W. [Hrsg.]: Carl Hanser Verlag. München. 33. EICHENDORFF, J. V. (1977): Mondnacht. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. RASCH ,W. [Hrsg.]: Carl Hanser Verlag. München. 271. EICHENDORFF, J. V. (1977): Die wunderliche Prinzessin. In: Joseph von Eichendorff. Werke in einem Band. RASCH, W. [Hrsg.]: Carl Hanser Verlag. München. 328-334 ELLENBERG, H. (1978): Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen in ökologischer Sicht. Verlag Eugen Ulmer. 2. Auflage. Stuttgart. 159 EISSING, H.; FRANKE, N. M.; KÖRNER, S. (2003): Heimaterfahrung und regionale Identifikation fördern. Politische Ökologie (85): 73-75. FFH-Richtlinie: Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen vom 21. Mai 1992 (ABL. der EG Nr. L 206. S. 7-50), zuletzt geändert durch RL 97/62/EG vom 27. Oktober 1997 (ABL. der EG Nr. L 305. S. 42). FRANKE, N. (2003): Von der Hornisse zum Helikopter. Industrialisierung und Naturschutz in der deutschen Geschichte. In: STIFTUNG NATUR UND UMWELT RHEINLAND-PFALZ [HRSG.]: Welche Natur schützen wir? Denkanstöße. Mainz. 12-19. FRANKE, N. (2005): Zur Geschichte des Naturschutzes in Rheinland-Pfalz 1949 – 2000. Festschrift 25 Jahre Stiftung Natur und Umwelt Rheinland-Pfalz. STIFTUNG NATUR UND UMWELT RHEINLAND-PFALZ [Hrsg.]. Mainz. HARIG, L. (1989): Posthorn der Freiheit. In: REICH-RANICKI, M. [Hrsg.]: Frankfurter Antholo- gie. Band 12. Gedichte und Interpretationen. Insel Verlag. Frankfurt am Main. 100-102. HIEBER, J. (1988): Spektakel und Treue des Widerrufs. Der Internationale Eichendorff-Kongress in Bonn. FAZ vom 07.07.1988. 27. KÜSTER, H. (2003): Der Staat als Herr über die Natur und ihre Erforscher. In: RADKAU, J.; UE- KÖTTER, F. [Hrsg.]: Naturschutz und Nationalsozialismus. Campus-Verlag. Frankfurt/New York. 55-64. MENKE, H. (o.J.): Der Landesbeauftragte für Naturschutz und Landschaftspflege in Rheinland- Pfalz an das Ministerium für Unterricht und Kultus. Schreiben vom 12.01.1951. In: LANDES- HAUPTARCHIV KOBLENZ, Sign. 910/8762 Naturschutz und Landschaftspflege – Jahres- berichte. 5. MÜLLER, E. (2001): Die Beziehung von Umwelt- und Naturschutz in den 1970er Jahren. In: STIF- TUNG NATURSCHUTZGESCHICHTE [Hrsg.]: Natur im Sinn. Beiträge zur Geschichte des Naturschutzes. Klartext-Verlag. Essen. 31-46. RADKAU, J.; UEKÖTTER, F. [Hrsg.] (2003): Naturschutz und Nationalsozialismus. Campus Ver- lag. Frankfurt am Main. RUDORFF, E. (1897): Heimatschutz. Reichl-Verlag. St. Goar. SCHAMA, S. (1996): Der Traum von der Wildnis. Natur als Imagination. Kindler. München. EVAN- GELISCHE AKADEMIE TUTZING, NATIONALPARKVERWALTUNG BAYERISCHER WALD [Hrsg.]: Wildnis vor der Haustür. Ergebnisse des Workshops 4.-6. Oktober 2001 in Zwieselerhaus. Grafenau. 2002 SCHEMEL, H.-J. (2004): Emotionaler Naturschutz – zur Bedeutung von Gefühlen in naturschutzre- levanten Entscheidungsprozessen. Natur und Landschaft 79 (8): 371-378. SCHLAFFER, H. (2002): Die kurze Geschichte der deutschen Literatur. Carl Hanser Verlag. Mün- chen. SCHMITT, C. (1998): Politische Romantik. Duncker & Humblodt. Berlin. 6. Auflage. SCHWÄGERL, C. (2004): Das alte Mosaik von Wald, Wiese und Dorf. FAZ vom 24.08.2004. Nr. 196. 35. STOLL, S. (1999): Akzeptanzprobleme bei der Ausweisung von Großschutzgebieten: Ursachenana- lyse und Ansätze zu Handlungsstrategien. Europäische Hochschulschriften: Reihe 42, Ökolo- gie, Umwelt und Landespflege; Bd. 24. Peter Lang GmbH. Europäischer Verlag der Wissen- schaften. Frankfurt am Main. 160 STAND DER ANWENDUNG VON METHODEN ZUR LANDSCHAFTSBILDANALYSE UND -BEWERTUNG Ergebnisse einer Auswertung von kommunalen Landschaftsplänen aus den Jahren 1970 bis 2001 Michael Roth Bei der Landschaftsbildanalyse und -bewertung scheint es sowohl in der Planungspraxis als auch in der Wissenschaft methodische Probleme und Defizite zu geben. Weiterhin entsteht der Eindruck, das Landschaftsbild würde in Naturschutz und Landschaftsplanung vernach- lässigt werden. Überschriften wie „Methodische Probleme bei der Erfassung und Bewer- tung des Landschaftsbildes“ (Köhler, Preiss 2000), „Landschaftsästhetik als Bewertungs- problem“ (Schwahn 1990), „Landschaftsästhetik – ein ‚Bewertungsproblem’ für die Um- weltplanung?“ (Jessel 1998), „Ästhetische Bewertungsprobleme in der Landschaftspla- nung“ (Krauss 1974), „Landschaftsästhetische Bewertungsprobleme“ (Riccabona 1981), „Landschaftsästhetik – vernachlässigter Arbeitsbereich im heutigen Naturschutz“ (Nohl 1991), „Visuelle Ressourcen – übersehene ästhetische Komponenten in der Landschafts- forschung und -entwicklung“ (Paar, Stachow 2001) oder „The insufficient consideration of visual aspects in environmental planning“ (Hehl-Lange, Lange 1992), deuten darauf hin. Ob das durch diese „Schlagzeilen“ erzeugte negative Bild für die kommunale Landschafts- planung wirklich zutreffend ist, sollte mit Hilfe einer empirischen Analyse untersucht wer- den, die hinsichtlich ihrer Methodik und Ergebnisse im Folgenden beschrieben wird. Methodik Um Aussagen zu der Verwendung von Landschaftsbildbewertungsverfahren in der Praxis der kommunalen Landschaftsplanung sowie zur Behandlung des Schutzgutes Landschafts- bild im Rahmen der Landschaftsplanung treffen zu können, musste ein forschungsmetho- disches Konzept gefunden werden, das mit einer Stichprobe an Landschaftsplänen aus- kommt, da eine Vollerhebung der Landschaftspläne nicht möglich ist (praktischer Arbeits- aufwand aber auch theoretische Unbekanntheit der Grundgesamtheit). Die im folgenden beschriebene Methodik orientiert sich an der von Gruehn und Kenneweg (1998), die über eine Auswertung von Landschafts- und Flächennutzungsplänen Aussagen zur Berücksich- tigung der Belange von Naturschutz und Landschaftsplanung in der Flächennutzungspla- nung ermittelten. Repräsentativität des Datenmaterials Um bei einer vergleichsweise kleinen Stichprobengröße (ca. 120 Landschaftspläne in der Stichprobe im Vergleich zu über 4500 registrierten Landschaftsplänen im Landschaftsplan- verzeichnis des Bundesamtes für Naturschutz) stichhaltige Aussagen über die Grundge- samtheit treffen zu können, ist es erforderlich, dass die Stichprobe hinsichtlich relevanter Merkmale mit der Grundgesamtheit bzw. einer Bezugsgröße übereinstimmt. Da die Grund- 161 gesamtheit aller Landschaftspläne nicht bekannt ist1, musste eine andere Bezugsgröße he- rangezogen werden, für die einerseits die Grundgesamtheit bekannt ist, andererseits ein enger inhaltlicher Zusammenhang mit der Landschaftsplanung besteht. Die Kommunen erfüllen diese beiden Anforderungen. Erstere, da im Gemeindeverzeichnis des Statisti- schen Bundesamtes2 alle Gemeinden zu einem bestimmten Stand enthalten sind (und dazu noch weitere Angaben wie Fläche, Einwohnerzahl, Einwohnerdichte, etc.). Da die Kom- munen in einem Großteil der Fälle auch Planungsträger der Landschaftsplanung sind und die Landschaftsplanung in der Regel auf dem Gebiet von Kommunen erfolgt, ist auch die zweite Anforderung erfüllt. Als Schichtungskriterien bieten sich vor allem das Bundesland (aufgrund der unterschied- lichen Regelungsmodelle der kommunalen Landschaftsplanung in den Landesnaturschutz- gesetzen, sowie zur Sicherstellung einer Verteilung über das gesamte Bundesgebiet bzw. über die landschaftliche Vielfalt Deutschlands) und die Gemeindegröße an. Die Einwoh- nerzahl bzw. Größe einer Gemeinde lässt Rückschlüsse auf die Größe und Ausdifferenzie- rung ihrer Verwaltung ziehen und kommt somit über den fachlichen Sachverstand in der Kommunalverwaltung als mögliche Einflussgröße auf die Landschaftsplanung in Frage. Als weitere Einflussgröße kommt das Jahr der Planbearbeitung bzw. Feststellung in Frage. Da hier jedoch keine Aussagen über die Verteilung innerhalb der Grundgesamtheit der Landschaftspläne möglich sind, kann lediglich die Forderung nach Berücksichtigung einer möglichst großen Zeitspanne unter Einbeziehung möglichst vieler aktueller Pläne gestellt werden. Damit sind auch Aussagen über die zeitliche Entwicklung des Einsatzes von Land- schaftsbildbewertungsverfahren möglich. Gruehn und Kenneweg (1998, 335 ff.) wiesen signifikante Einflüsse der Faktoren Gemein- degröße, Bundesland (und damit Regelungstyp der Landschaftsplanung) sowie Zeitpunkt der Landschaftsplanerarbeitung auf die Qualität der Landschaftsplanung (Gesamteinschät- zung) nach. Ein potenzieller Einfluss dieser Faktoren auf die Landschaftsbildanalyse und -bewertung innerhalb der kommunalen Landschaftsplanung schien daher ebenfalls mög- lich und wurde im Rahmen der im folgenden beschriebenen Untersuchung analysiert. Da es bei dieser Auswertung darum geht, Aussagen über die Verwendung von Landschafts- bildbewertungsverfahren in den Landschaftsplänen abzuleiten, und nicht darum, flächen- bezogene Aussagen zur Landschaftsbildbewertung zu analysieren, kann als Verteilungs- merkmal die Gemeindezahl je Bundesland und je Gemeindegrößenklasse herangezogen werden, unabhängig von deren Flächengrößen. Insgesamt wurden 135 Landschaftspläne aus dem gesamten Bundesgebiet analysiert. Da- bei konnte einerseits auf die am Institut für Landschaftsarchitektur und Umweltplanung der TU Berlin vorhandenen Landschaftspläne zurückgegriffen werden3, andererseits wurden Landschaftspläne aus dem Landschaftsplanarchiv des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) in Leipzig untersucht. Da insbesondere für das Land Brandenburg in beiden Beständen nur 1 Das Landschaftsplanarchiv des BfN enthält nur einen vergleichsweise kleinen Teil der Land- schafts- pläne, da keine „Abgabepflicht“ für die Planungsträger besteht. Auch das Landschaftsplanver- zeichis des BfN stellt die Grundgesamtheit der Landschaftspläne nicht dar, da es ebenfalls keine „Meldepflicht“ gibt. 2 http://www.destatis.de/allg/d/veroe/gemeindev_d.htm. Zugriff 29.03.2006. 3 Diese Landschaftspläne wurden im Rahmen eines anderen Forschungsprojektes (Gruehn 162 sehr wenig Pläne vorhanden waren, wurde das Datenmaterial durch gezielte Recherche nachverdichtet. Das Land Nordrhein-Westfalen war insbesondere in der Gemeindegrößen- klasse von 20.000 bis 50.000 Einwohnern in den ausgewerteten Plänen deutlich überreprä- sentiert. Deshalb wurde hier durch Zufallsauswahl die Fallzahl reduziert. Insgesamt gingen 116 Landschaftspläne in die im Folgenden beschriebenen Auswertungen ein. Durch korrelationsanalytische Verfahren kann die Übereinstimmung von Stichprobe und Grundgesamtheit überprüft werden. Als Maß für die Korrelation kommt hier Kendalls τb zum Einsatz. Dieses Maß für die Rangkorrelation kann auch bei kleinen Stichprobengrö- ßen und nicht normalverteilten Merkmalen eingesetzt werden. Ein Wert von 0 würde da- bei bedeuten, dass keinerlei Zusammenhang zwischen Stichprobe und Grundgesamtheit besteht, ein Wert von 1 würde eine vollständige Übereinstimmung der Stichprobe mit der Grundgesamtheit hinsichtlich der Verteilung des Schichtungsmerkmals anzeigen. Tabelle 1 stellt die Ergebnisse der Korrelationsanalysen dar. Tabelle 1: Repräsentativität der Stichprobe untersuchter Landschaftspläne Untersuchter Zusammenhang Kendalls τb als Maß für die Korrelation von Soll- und Ist-Stich- probe Irrtumswahrscheinlichkeit p als Signifikanzmaß ► bundesweite Repräsentativität hinsichtlich der Verteilung auf die Bundesländer 0,616 0,002** ► bundesweite Repräsentativität hinsichtlich der Verteilung auf die Gemeindegrößenklassen 0,718 0,016* * signifikant, ** hoch signifikant Im Ergebnis kann somit festgehalten werden, dass die untersuchten Landschaftspläne hinsichtlich der Verteilung auf die Bundesländer und auf die Gemeindegrößenklassen auf Bundesebene eine repräsentative Auswahl darstellen (jeweils signifikante Korrelation von Soll- und Ist-Stichprobe). Weitere Anforderungen an Datenmaterial und Auswertungsmethodik Neben der Repräsentativität des Datenmaterials muss die Auswertung desselben auch den wissenschaftlichen Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität genügen (zur De- finition und zum Inhalt dieser drei Begriffe vgl. Bernotat et al. 2002: 364 ff., Bechmann 1976, Auhagen 1998). Die Objektivität der Analyse der Verwendung von Verfahren zur Landschaftsbildbewer- tung in der kommunalen Landschaftsplanung ist evident: Es wurden nur Merkmale der Landschaftspläne untersucht, die sich „messen“ lassen, auf subjektive Einschätzungen und Bewertungen wurde verzichtet. So wurde neben der Verwendung und Nennung eines literaturkundigen Bewertungsverfahrens die Anzahl der Bewertungsstufen, der Umfang 163 der Behandlung des Schutzgutes Landschaftsbild in Text (Seitenzahl, getrennt nach Be- stand/Bewertung und Planung) und Karte (Anzahl der Karten, Maßstab) sowie eine even- tuelle Trennung von Landschaftsbild und Erholung(seignung) erfasst. Ergänzt wurden diese Angaben durch allgemeine Merkmale des Landschaftsplanes wie Jahr der Planfertig- stellung, Gesamtumfang (Textseitenzahl und Kartenzahl) sowie Maßstab des Landschafts- plans (Planungskarten). Zusätzlich wurden noch einzelne Textstellen als Zitatsammlung exzerpiert. Diese zugegebenermaßen subjektive Auswahl wird jedoch nur ergänzend im Sinne von Fallbeispielen verwendet und nicht statistisch ausgewertet. Der Reliabilität kommt bei der hier untersuchten Thematik nur eine untergeordnete Be- deutung zu, da es sich nicht um eine Zeitreihenanalyse, sondern um eine einmalige Er- fassung handelt. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass Merkmalsfluktuationen (der untersuchten Landschaftspläne) nicht vorliegen. Wird die Reliabilität als Stabilität gegenüber Messfehlern verstanden, so gelten hier die bereits bei der Objektivität getroffenen Aussagen. Auch bei der Validität ergibt sich ein relativ klares Bild: Zwar ist es denkbar, dass die Au- toren der Landschaftspläne eine literaturkundige Methode einsetzen, ohne diese zu nennen, diese Fälle sind jedoch aufgrund der Methodenkenntnis des Autors mit hoher Wahrschein- lichkeit identifizierbar. Außerdem wurde in einem Großteil der untersuchten Planwerke überhaupt keine (flächendeckende) Bewertung durchgeführt bzw. es wurde durch die Land- schaftsplanverfasser bisweilen selbst die Nichtanwendung einer Methode „zugegeben“. Somit kann davon ausgegangen werden, dass einerseits die Verwendung von Verfahren zur Landschaftsbildbewertung valide erfasst wurde. Andererseits lassen sich durch die übrigen untersuchten Kriterien (s. o.) Rückschlüsse auf die Behandlung des Schutzgutes Land- schaftsbild im Landschaftsplan bzw. im Vergleich zu den übrigen Schutzgütern ableiten. Ergebnisse Räumliche Verteilung der untersuchten Landschaftspläne Die räumliche Verteilung der untersuchten Landschaftspläne auf die Bundesländer wurde bereits behandelt (repräsentative Verteilung auf die Bundesländer). Ergänzend dazu soll hier die Verteilung kartographisch dargestellt werden (Abb. 1). Zeitliche Verteilung der ausgewerteten Landschaftspläne Die zeitliche Verteilung der ausgewerteten Landschaftspläne kann Abbildung 2 entnom- men werden. Dabei ist jeweils das Jahr der Fertigstellung des Landschaftsplanes angege- ben, da diese Angabe i. d. R. dem Landschaftsplan entnommen werden kann (Stand des Landschaftsplanes). Für zehn der in die Auswertung einbezogenen Landschaftspläne war das Jahr der Fertigstellung nicht ermittelbar, da im Textband jegliche Zeitangabe fehlte. Die ausgewerteten Landschaftspläne stellen einen zeitlichen Querschnitt ab Anfang der 70er- Jahre des 20. Jahrhunderts dar. Etwa ab diesem Zeitpunkt (ab der zweiten Hälfte der 60er- Jahre) finden sich in der Literatur auch Fundstellen zu Landschaftsbildbewertungsverfahren. Damit ist sichergestellt, dass es zumindest theoretisch möglich gewesen wäre, ein literatur- kundiges Verfahren zur Landschaftsbildbewertung einzusetzen. Der deutliche Schwerpunkt auf den aktuellen Landschaftsplänen aus den letzten 15 Jahren gewährleistet, dass auch die Verwendung aktueller Bewertungsverfahren nachgewiesen werden kann und primär 164 der aktuelle Status der Metho- denanwendung im Rahmen der kommunalen Landschaftspla- nung erfasst wird. Umfang des Textteils Land- schaftsplan insgesamt Die Spannweite des textlichen Umfangs der ausgewerteten Planwerke reicht von 13 Sei- ten bis 585 Seiten. Der Mit- telwert liegt bei 141 Seiten, der Median4 bei 121 Seiten. Diese Angaben sind vor allem für die Beurteilung der Aus- führlichkeit der Auseinander- setzung mit dem Schutzgut Landschaftsbild nötig, da der Umfang der entsprechenden Kapitel zum Gesamtumfang des Landschaftsplanes in Rela- tion gesetzt werden soll. Umfang des Textteils zum Schutzgut Landschaftsbild Tabelle 2 belegt, dass das Landschaftsbild in der kommunalen Landschaftsplanung i. d. R. nicht gleichrangig mit dem Naturhaushalt bzw. mit den übrigen Schutzgütern behandelt wird. Bei mittleren Umfängen von 120 bis 140 Seiten werden dem Landschaftsbild übli- cherweise nicht einmal 5 % des zur Verfügung stehenden Textes gewidmet. Fast ein Drittel der untersuchten Planwerke verliert kein Wort zum Entwicklungskonzept bezüglich des Landschaftsbildes, sondern setzt auf den sog. „Mitläufereffekt“, was bedeutet, dass die naturhaushaltlich hergeleiteten Maßnahmen, da sie auch visuell wirksam (sichtbar) sind, automatisch auch dem Schutzgut Landschaftsbild zu Gute kommen: „Eine Vielzahl Maßnahmen für den Arten- und Biotopschutz, den Boden-, Wasser- oder Klimaschutz und für den Biotopverbund in der freien Landschaft übernehmen gleichzeitig landschaftsbildgliedernde und -aufwertende Funktionen“ (Landschaftsplan der Verwal- tungsgemeinschaft Götschetal – Petersberg 1998, 107). Abb. 1: Lage der ausgewerteten Landschaftspläne 4 Der Median ist definiert als Grenze zwischen zwei gleich großen Hälften einer Menge, wobei die eine Hälfte kleinere Werte als den Median, die andere Hälfte größere Werte als den Median enthält. Im Gegensatz zum Mittelwert wird der Median nicht durch Extremwerte in der Stichprobe verzerrt. Durch seine „Immunität“ gegen Ausreißer ist der Median besonders gut zur Beschrei- bung nicht normalverteilter Grundgesamtheiten geeignet. 165 Tabelle 2: Umfänge der Textteile zum Landschaftsbild in Relation zum Gesamtum- fang der Landschaftspläne Textteil Minimalwert Median Mittelwert Maximalwert Landschaftsbild Bestandserfassung und Bewertung 0 3 5 29 Landschaftsbild Planung 0 1 1 7 Landschaftsbild gesamt 0 4 6 29 Landschaftsplan gesamt 13 121 141 585 Mögliche Konflikte zwischen den Zielen für das Schutzgut Landschaftsbild im Vergleich zu den Zielen für andere Schutzgüter werden i. d. R. nicht thematisiert. Somit wird die kommunale Landschaftsplanung dem Auftrag von § 1 BNatSchG, die Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie den Erholungswert von Natur und Landschaft gleichrangig mit der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts zu behandeln, nicht gerecht. Abb. 2: Zeitliche Verteilung der ausgewerteten Landschaftspläne (n = 106) A nz ah l d er P lä ne Jahr der Planfertigstellung 166 Umfang des Kartenwerkes Landschaftsplan insgesamt Ähnlich wie die Textteile weisen auch die Kartenwerke hinsichtlich ihres Umfangs eine beträchtliche Spannweite auf. Während im Minimalfall eine Karte erstellt wurde, umfasst das Kartenwerk im Maximalfall 46 Karten! Der Mittelwert liegt bei 11 Karten, der Median bei 10 Karten (n = 116). Umfang des Kartenwerkes Schutzgut Landschaftsbild Fast die Hälfte der Landschaftspläne kommt ohne Karte zum Schutzgut Landschaftsbild aus. Die übrigen Landschaftspläne enthalten i. d. R. eine Karte zur Bestandserfassung und Bewertung des Landschaftsbildes. Mehrere (oder getrennte) Bestands- und Bewertungs- karten sowie separate Karten zum Entwicklungskonzept für das Landschaftsbild sind die absolute Ausnahme. Maßstab der Planungskarte des Landschaftsplans Exakt die Hälfte der ausgewerteten Pläne (58 Pläne von n = 116) enthält eine Planungskar- te im Maßstab 1:10.000. Dieser Maßstab entspricht auch dem Mittelwert und dem Median. Die Spannweite reicht von 1:5.000 (28 Pläne) bis zu 1:25.000. Abb. 3: Umfang des Kartenwerkes zum Schutzgut Landschaftsbild. H äu fig ke it Anzahl der Karten zum Landschaftsbild 167 Maßstab der Karte Landschaftsbild Der häufigste Maßstab der Landschaftsbildkarten ist 1:25.000 (Modalwert), der Median ist auch 1:25.000. Die Spanne reicht von 1:5.000 bis 1:50.000. Somit kann festgestellt werden, dass das Landschaftsbild im Allgemeinen in einem um eine Größenordnung (Maßstabsfak- tor 2, d. h. die dargestellte Fläche beträgt nur ca. 1/4!) kleineren Maßstab bearbeitet wird, als der eigentliche Bearbeitungsmaßstab des Landschaftsplanes (Planungskarte). Auch diese Tatsache belegt, dass das Landschaftsbild im Rahmen der kommunalen Landschafts- planung durch Planbearbeiter, aber auch durch die Auftraggeber und prüfenden Behörden, welche das Planwerk akzeptieren, als Schutzgut mit nachrangiger Bedeutung gesehen wird und nicht mit gleicher Differenziertheit wie z. B. das Schutzgut Arten und Biotope behan- delt wird. Trennung Landschaftsbild – Erholung(seignung) Dass Landschaftsbild und Erholungseignung nicht identisch sind, hat auch der Gesetzge- ber bei der Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes im Jahr 2002 berücksichtigt, indem § 1, Abs. 1, Nr. 4 von „Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft [...] als Voraussetzung für seine Erholung in Natur und Landschaft“ zu „Vielfalt, Eigenart und Schönheit sowie der Erholungswert von Natur und Landschaft“ geändert wurde. Doch selbst beim Wortlaut des BNatSchG in der bis 2002 gültigen Version wird das Landschafts- bild nicht als alleinige Voraussetzung für die Erholung genannt. Auch die Fachmeinungen, die von Autoren neuerer Methoden zur Landschaftsbildbewertung geäußert werden, gehen in die Richtung, das Landschaftsbild von der Erholungseignung zu trennen. So stellt z. B. Gareis-Grahmann (1993, 98) fest, „daß die Beurteilung für die Erholungseignung eine andere ist als für die [...] Bewertung des Landschaftsbildes.“ Für eine grundsätzliche Tren- nung der Landschaftsplanung als Fachplanung von Naturschutz und Landschaftspflege (deren Aufgabe die nachhaltige Sicherung der Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes, der Artenschutz und der Schutz, die Pflege und die Entwicklung des Landschaftsbildes als „für eine Erholung notwendige Eigenschaften der Landschaften“ ist) von der „Fachplanung Erholung“ setzt sich Pflug (1981) ein. In 13 der untersuchten 116 Landschaftspläne wird das Landschaftsbild getrennt von der Erholung(seignung) behandelt. Alle Landschaftspläne, die das Landschaftsbild von der Er- holungseignung trennen, sind 1995 oder später fertiggestellt worden. Diese zeitlich relativ genau verortbare Wendung von einer synonymen Auffassung von Erholungseignung und Landschaftsbild hin zu einer Trennung dieser beiden „Erlebnisdimensionen“ der Landschaft ist vor dem Hintergrund des Wandels der Freizeit- und Erholungsgewohnheiten durchaus nachvollziehbar. Während Kiemstedt (1967, 13) feststellt, „die Erholungswirkungen be- stehen danach wesentlich aus dem sinnlich – vor allem optisch – erlebbaren Eindruck der natürlichen Gestaltelemente eines Raumes“, so wird heute besonders in den Medien auch der aktivitäts- und infrastrukturbezogene Erholungswert (Indoor-Ski, tropische Badeland- schaften in Glashäusern in ansonsten ausgeräumten Agrarlandschaften, Disney-Parks, um nur einige extreme Beispiele zu nennen, aber auch Outdoorsportarten wie Rafting, Moun- tainbiking, Freeclimbing) beworben. Vor diesem Hintergrund scheint eine Differenzierung von Erholungseignung/Erholungswert und Landschaftsbild besonders angebracht, da die angesprochenen Aktivitäten bzw. die dafür nötigen Infrastruktureinrichtungen auch starke negative Auswirkungen auf das Landschaftsbild haben können. 168 Bewertungsmethode Trotz der immensen Vielfalt an Landschaftsbildbewertungsmethoden (alleine im deutsch- sprachigen Raum wurden vom Autor über 130 recherchiert, Zube et al. weisen bereits 1982 über 160 Veröffentlichungen von Landschaftsbildbewertungsverfahren im anglo- amerikanischen Sprachraum nach) spielen diese bisher für die Praxis der kommunalen Landschaftsplanung nahezu keine Rolle, wie Abbildung 4 zeigt. Die Hälfte der ausgewer- teten Planwerke verwendet überhaupt keine flächendeckende Bewertung des Landschafts- bildes. Ein weiteres Drittel enthält keine literaturkundige Methode, sondern eine i.d.R. planerisch-argumentative Bewertung. Schon hier wird deutlich, dass die von Bernotat et al. (2002) geforderte Standardisierung von Methoden (und ihre Anwendung!) in der Praxis keinesfalls realisiert wird. Neben der vereinzelten Anwendung von literaturkundigen Metho- den, konnte die mehrfache Verwendung innerhalb der Stichprobe von immerhin 116 Land- schaftspläne nur für zwei Bewertungsverfahren nachgewiesen werden. Dabei handelt es sich zum einen um die Methode von Kiemstedt (1967), die Anfang der 70er-Jahre des vorigen Jahrhunderts in drei der ausgewerteten Landschaftspläne angewendet wurde. Häufiger kam die Methode von Adam et al. (1986) bzw. eine ihrer zahlreichen Modifikationen zum Einsatz. Hier konnten insgesamt acht Anwendungsfälle in den 90er-Jahren nachgewiesen werden. Über die Ursachen für die Nicht-Verwendung von literaturkundigen Methoden kann die statistische Auswertung keine Auskunft geben. Hier können nur Aussagen der Planer, wel- che diese im Rahmen ihrer Landschaftspläne veröffentlicht haben, zitiert werden. Da ein Großteil der ausgewerteten Planwerke nur unter dem Gebot der Anonymität zur Verfügung gestellt wurden, muss oft auf die Nennung der konkreten Quelle verzichtet werden. Abb. 4: Einsatz verschiedener Methoden zur Bewertung des Landschaftsbildes 1 keine flächendeckende Bewertung 2 keine Methode genannt (i.d.R. planerisch-argumentativ) 3 Adam et al. 1986 (auch Modifikationen) 4 Kiemstedt 1967 5 Leitl 1997 6 LfU 1987 7 NLÖ 1994 H äu fig ke it Bewertungsmethode 169 - „Eine erprobte, einheitlich angewendete Vorgehensweise bei der Aufnahme des Landschaftsbildes hat sich in der Praxis noch nicht durchgesetzt.“ - „Für die Bewertung des Landschaftsbildes gibt es keine verbindliche bzw. all- gemeine anerkannte Untersuchungsmethodik.“ - „Hierzu ist zunächst eine räumlich differenzierte Bewertung des Erholungs- potentials der Landschaft durchzuführen. Weil es sich dabei um einen schwer definierbaren Nutzungsanspruch mit individuell verschiedenen Bedürfnissen handelt, liegen besondere Probleme in der Methodik der Bewertung.“ - „Zur Bewertung des natürlichen Erholungspotentials und des Landschaftsbil- des [...] werden in der Regel verschiedene landschaftliche Indikatoren zu Hilfe genommen. Es gibt dazu in der Fach- und Planungsliteratur zahlreiche Bewer- tungsansätze und Beispiele.“ (Im Landschaftsplan wird aber keine davon ange- wendet!) - „Beim Landschaftserlebnis spielen hauptsächlich subjektive Eindrücke eine Rolle.“ Eine ganze Reihe von Gründen für die Nicht-Verwendung von literaturkundigen Methoden nennt der Landschaftsplan der Stadt Leipzig (2001, 59): „Die Landschaftsbilderfassung und -bewertung bildet etwa seit Mitte der 1970er Jahre ein Forschungs- und Arbeitsfeld der Landschaftsplanung. Trotzdem wird das Landschaftsbild in Landschaftsplänen eher vernachlässigt, da es eine Reihe von Schwierigkeiten bei der Objektivierung gibt: - Es gibt bislang keine fachliche Einigung zu bewährten Methoden der Erfassung und Bewertung. - Die vorgeschlagenen Verfahren sind i. d. R. sehr aufwendig, da zahlreiche Ein- zelelemente (Gewässer, Waldränder, Heckenstrukturen, Siedlungskanten ...) zu erfassen sind. - Die Verfahren sind ortsunabhängig und auf eine (relativ schematische) Anwen- dung durch Ortsfremde zugeschnitten. - Die Bewertung der Schönheit einer Landschaft ist umstritten. - Das Landschaftsbild der Stadt wird häufig ausgeklammert.“ Die Erkenntnis der Methodenvielfalt, der fehlenden Erprobung, fehlenden fachlichen An- erkennung und fehlenden Verbindlichkeit sowie des Problems der Objektivität/Nachvoll- ziehbarkeit durch die Praktiker erstaunt vor dem Hintergrund der oft daran anschließenden Durchführung einer fachlich nicht fundierten, nicht standardisierten, vollkommen subjek- tiven Bewertung um so mehr. Somit bleibt die Situation der ungebremsten Methodenentwicklung auf der einen (fachlich/ wissenschaftlichen) Seite und der Nicht-Anwendung auf der anderen (praktischen) Seite weiterhin bestehen. Anzahl der Bewertungsstufen In 35 Landschaftsplänen wird eine in Bewertungsstufen mündende Bewertung des Land- schaftsbildes vorgenommen. Untersucht wurde, wie viele (i. d. R. ordinale) Bewertungs- stufen dabei verwendet werden. 170 Die ungeradzahligen Skalen werden bevorzugt, was der Absicht entsprechen dürfte, einen mittleren Zustand in eine entsprechende Kategorie einordnen zu können. Dass die Diskri- minierungsfähigkeit bei der Landschaftsbildbewertung mit einer dreistufigen Skala nicht ausgeschöpft ist, zeigt die Präferenz der fünfstufigen Bewertungsskalen. Fazit Die Analyse einer repräsentativen Stichprobe von kommunalen Landschaftsplänen be- stätigt die dem Naturhaushalt nachrangige Behandlung des Schutzgutes Landschaftsbild im Rahmen der kommunalen Landschaftsplanung. Insbesondere der geringe Umfang der entsprechenden Textteile, das Fehlen von Entwicklungskonzeptionen bzw. spezifischen Entwicklungszielen und Maßnahmen für das Schutzgut Landschaftsbild und die kartogra- phisch kleinmaßstäbigere Bearbeitung belegen dies. Ähnliches gilt im übrigen auch für die naturschutzrechtliche Eingriffsregelung, wie Jessel und Fischer-Hüftle (2003, 373) kon- statieren. Darüber hinaus müssen große methodische Unsicherheiten in der Planungspraxis festgestellt werden, die teilweise auch offen zugegeben werden. Somit unterstreicht die Analyse von Landschaftsplänen aus den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten die Wichtigkeit der Überprüfung bestehender Landschaftsbildbewertungsver- fahren anhand (fach-)wissenschaftlicher Kriterien. Bei der Neuentwicklung von Methoden zur Landschaftsbildbewertung sollte von vornherein auf die Einhaltung dieser Kriterien sowie auf eine nachvollziehbare Dokumentation und eine möglichst gute Übertragbarkeit auf andere Landschaftsräume Wert gelegt werden. Nur durch diese Qualifizierung von Me- thoden zur Landschaftsbildanalyse und -bewertung kann in Zukunft eine dem gesetzlichen Auftrag des BNatSchG ensprechende, angemessene Berücksichtigung des Schutzgutes Abb.5: Anzahl der Bewertungsstufen bei der Bewertung des Landschaftsbildes H äu fig ke it Anzahl der Bewertungsstufen 171 Landschaftsbild in der kommunalen Landschaftsplanung sowie im Naturschutzhandeln allgemein erreicht werden. Daneben ist es erforderlich, dass das Landschaftsbild in der Hochschulausbildung aus sei- nem Schattendasein (vgl. dazu auch Nohl 1991, 59) befreit wird, um die dadurch induzierte „vermutete Bedeutungslosigkeit“ (ebd.) bei zukünftigen Planern, Gutachtern und Behör- denmitarbeitern zu vermeiden und diese mit der notwendigen Sachkenntnis und einem adäquaten „Handwerkszeug“ auszustatten. Literatur ADAM, K.; NOHL, W.; VALENTIN, W. (1986): Bewertungsgrundlagen für Kompensationsmaß- nahmen bei Eingriffen in die Landschaft. MINISTERIUM FÜR UMWELT, RAUMORD- NUNG UND LANDWIRTSCHAFT DES LANDES NORDRHEIN-WESTFALEN [Hrsg.]: Naturschutz und Landschaftspflege in Nordrhein-Westfalen. Düsseldorf: Als Typoskript ver- vielfältigt. 399 S. AUHAGEN, A. (1998): Verbal-Argumentation oder Punkte-Ökologie. Bewertungsverfahren unter der Lupe des Planers. In: SÄCHSISCHE AKADEMIE FÜR NATUR UND UMWELT IM SÄCHSISCHEN STAATSMINISTERIUM FÜR UMWELT UND LANDESENTWICK- LUNG IN ZUSAMMENARBEIT MIT DEM LEHR UND FORSCHUNGSGEBIET LAND- SCHAFTSPLANUNG DER TECHNISCHEN UNIVERSITÄT DRESDEN [Hrsg.]: Dresdner Planergespräche. Vom Leitbild zur Quantifizierung. Bewertungsprobleme und ihre Lösung in der Landschafts- und Grünordnungsplanung. Bericht zur wissenschaftlichen Arbeitstagung am 14. und 15. November 1997. Oppenheim: Schmid und Druck. 57-109. BECHMANN, A. (1976): Überlegungen zur Gültigkeit von Landschaftsbewertungsverfahren. Land- schaft + Stadt 8 (2): 70-81. BERNOTAT, D.; JEBRAM, J.; GRUEHN, D.; KAISER, T.; KRÖNERT, R.; PLACHTER, H., RÜCKRIEM, C.; WINKELBRANDT, A. (2002): Gelbdruck „Bewertung“. In: BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ [Hrsg.]: Entwicklung und Festlegung von Methodenstandards im Na- turschutz. Ergebnisse einer Pilotstudie. Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz, 70. Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 357-407. BNatSchG (Gesetz über Naturschutz und Landschaftspflege – Bundesnaturschutzgesetz) in der Fas- sung der Bekanntmachung vom 25. März 2002 (BGBl. I 2002, S. 1193), zuletzt geändert durch Art. 40 G v. 21.06.2005 (BGBl. I, S. 1818). GAREIS-GRAHMANN, F.-J. (1993): Landschaftsbild und Umweltverträglichkeitsprüfung. Analy- se, Prognose und Bewertung des Schutzgutes „Landschaft“ nach dem UVPG. Beiträge zur Umweltgestaltung A 132. Berlin: Erich Schmidt Verlag. 270 S. GRUEHN, D.; KENNEWEG, H. (1998): Berücksichtigung der Belange von Naturschutz und Land- schaftspflege in der Flächennutzungsplanung. BUNDESAMT FÜR NATURSCHUTZ [Hrsg.]: Angewandte Landschaftsökologie 17. Münster-Hiltrup: Landwirtschaftsverlag. 492 S. HEHL-LANGE, S.; LANGE, E. (1992): The insufficient consideration of visual aspects in envi- ronmental planning. Association of European Schools of Planning, VI. AESOP – Congress, Stockholm. JESSEL, B.; FISCHER-HÜFTLE, P. (2003): Bewältigung von Eingriffen durch Verkehrsvorhaben in das Landschaftsbild. Naturschutz und Landschaftsplanung 35 (12): 373-383. JESSEL, B. (1998b): Landschaftsästhetik – ein „Bewertungsproblem“ für die Umweltplanung? Stadt und Grün 47 (9): 641-650. KIEMSTEDT, H. (1967): Zur Bewertung natürlicher Landschaftselemente für die Planung von Er- holungsgebieten. Technische Hochschule Hannover, Fakultät für Gartenbau und Landeskultur: Dissertation. 149 S. 172 KÖHLER, B.; PREISS, A. (2000): Erfassung und Bewertung des Landschaftsbildes. Grundlagen und Methoden zur Bearbeitung des Schutzguts „Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft“ in der Planung. Informationsdienst Naturschutz Niedersachsen 20 (1): 1-60. KRAUSS, K. O. (1974): Ästhetische Bewertungsprobleme in der Landschaftsplanung. Landschaft + Stadt 6 (1): 27-38. LANDSCHAFTSPLAN DER STADT LEIPZIG (2001). LANDSCHAFTSPLAN DER VERWALTUNGSGEMEINSCHAFT GÖTSCHETAL-PETERS- BERG (1998). LEITL, G. (1997): Landschaftsbilderfassung und -bewertung in der Landschaftsplanung – darge- stellt am Beispiel des Landschaftsplans Breitungen-Wernshausen. Natur und Landschaft 72 (6): 282-290. LFU – LANDESANSTALT FÜR UMWELTSCHUTZ BADEN-WÜRTTEMBERG [Hrsg.] (1987): Materialien zur Landschaftsrahmenplanung in Baden-Württemberg. In: Untersuchungen zur Landschaftsplanung, Bd. 12. Karlsruhe. NLÖ – NIEDERSÄCHSISCHES LANDESAMT FÜR ÖKOLOGIE [Hrsg.] (1994): Naturschutz- fachliche Hinweise zu Anwendung der Eingriffsregelung in der Bauleitplanung. Informations- dienst Naturschutz Niedersachsen Heft 1/94. 60 S. PAAR, P.; STACHOW, U. [Hrsg.] (2001a): Visuelle Ressourcen – Übersehene ästhetische Kom- ponenten in der Landschaftsforschung und -entwicklung. ZALF-Bericht 44. Müncheberg: Zentrum für Agrarlandschafts- und Landnutzungsforschung e.V. 128 S. PFLUG, W. (1981): Dürfen Naturschutz und Landschaftspflege Fachplanung für den Nutzungsan- spruch Erholung sein? In: DEUTSCHER RAT FÜR LANDESPFLEGE [Hrsg.]: Analyse und Fortentwicklung des neuen Naturschutzrechts in der Bunderepublik Deutschland. Schriftenrei- he des Deutschen Rates für Landespflege 36. Bonn: Leopold. 561-563. CCABONA S. (1981): Landschaftsästhetische Bewertungsprobleme. In: AKADEMIE FÜR NA- TURSCHUTZ UND LANDSCHAFTSPFLEGE [Hrsg.]: Beurteilung des Landschaftsbildes. Laufener Seminarbeiträge 7/1981. Laufen/Salzach: ANL. 23-32. SCHWAHN, C. (1990): Landschaftsästhetik als Bewertungsproblem. Zur Problematik der Bewer- tung ästhetischer Qualität von Landschaft als Entscheidungshilfe bei der Planung von land- schaftsverändernden Maßnahmen. Universität Hannover, Institut für Landschaftspflege und Naturschutz: Dissertation. 189 S. ZUBE, E. H.; SELL, J. L.; TAYLOR, J. G. (1982): Landscape perception, research, application and theory. Landscape Planning 9 (1): 1-33. 173 DIE BEURTEILUNG DES LANDSCHAFTSBILDES Konzept, Methodik und praktische Anwendungen bei Eingriffen und in der Landschaftsplanung Dietrich Kraetzschmer Rechtliche Grundlagen und Ziele der Landschaftsbildbeurteilung in der Landschaftsplanung Nach § 1 (1) BNatSchG sowie § 2 ROG sind Vielfalt, Eigenart und Schönheit von Natur und Landschaft zu schützen, zu pflegen und zu entwickeln. Auch die Erhaltung histori- scher Kulturlandschaften, Landschaftsteile von besonderer Eigenart, von Kultur, Bau- und Bodendenkmäler ist in diesem Zusammenhang von Bedeutung (§2 (1) BNatSchG). Mit diesen Gesetzesinhalten wird dem Aspekt Rechnung getragen, dass die Landschaft als Vor- aussetzung für die Erholung der Bevölkerung, mithin als Gegenstand der sinnlichen Wahr- nehmung und darauf aufbauender Betätigung für den Menschen von Bedeutung ist. Daraus folgt, dass das Landschaftsbild1 als Voraussetzung für die Erholung zu sichern und zu ent- wickeln (BNatSchG, §§ 1 und 2) ist. So weist das Landschaftsbild deutliche Parallelen zum Schutzgut Mensch gemäß Definition im UVPG auf. Dies zeigt die in Abb. 1 dargestellte Operationalisierung des Zielsystems für das Schutzgut Mensch, Teilbereich Erholung. Abb. 1: Operationalisierung des Zielsystems für das Schutzgut Mensch, Teilbereich Erholung. Quelle: PPT vom 4. 10. 2004. Planungsgruppe Ökologie und Umwelt GmbH. 1 im UVPG, § 2 lautet die entsprechende Begrifflichkeit Schutzgut Landschaft. Unmittelbare Rechtswirkung Mittelbare Rechtswirkung Politisch Programmati- sches Ziel Sachverständigen Empfehlung Gutachterliche Zielsetzung/ Kriterium Erhaltung von LSG NNatG § 26 Sicherung von Natur und Landschaft als Vorausset- zung für Erholung BNatG § 1 (1); ROG § 2 (1) Schutz, Pflege, Entwick- lung der Vielfalt, Eigenart und Schöheit von Natur und Landschaft BNatG § 1 (1) Zugang zu erho- lungsgeeigneten Landschaften erleichtern BNatG § 2(1) Nr. 12 TA-Luft Immissions- schutz Sicherung der Vorranggebiete für Erholung Schutz wichtiger Erholungs- gebiete Erhaltung un- zerschnittener Räume Nds. LvwA Immissions- schutz Erholungsvor- sorge, Erhalt unzerschnitte- ner Gebiete Barriere- wirkung / Zugäng- lichkeit Erholungsvor- sorge, keine Störung d. Land- schaftsbildes Erholungsvor- sorge, Immissi- onsschutz, Erhalt v. Bereichen mit Ruhe, Lärmfreiheit Erholungs- vorsorge, Erhalt der Raumqualität Zielsystem Schutzgut Mensch – Erholung 174 Prägend für das Landschaftsbild wirken die naturräumlichen Voraussetzungen und die wirtschaftlichen und kulturellen Einflüsse des Menschen. Diese Einflüsse wirken auch im besiedelten Bereich. Auch die Erholung des Menschen im Sinne des § 2 Nr. 13 BNatSchG ist nicht per se auf die „unbesiedelten“ Teile der Landschaft beschränkt. Das Objekt der Betrachtung erstreckt sich – als Ortsbild – daher gleichfalls auf den besiedelten Bereich. Die Bewertung des Landschaftsbildes in der Landschaftsplanung beschränkt sich in der Regel auf die landschaftsgebundene, ruhige Erholung wie Spazierengehen, Radfahren und Natur beobachten, auch als Landschaftserleben bezeichnet. Im weiteren Sinne gehören auch natur- und landschaftsverträgliche sportliche Betätigungen in der freien Natur zur Er- holung. In welchem Maße ein Landschaftsraum diese Funktionen erfüllen kann, hängt von seiner Ausstattung mit erlebniswirksamen Landschaftselementen sowie seiner Qualitäten hinsichtlich visueller Störungen und Immissionsbelastungen (Lärm, Schadstoffe, Stäube, Gerüche) ab. In ähnlicher Weise enthält Art. 6c der Europäischen Landschaftskonvention die Verpflich- tung, Landschaften zu erfassen, ihre Charakteristika und die sie verändernden Kräfte zu analysieren und den Zustand der auf diese Weise erfassten Landschaften unter Berück- sichtigung der ihnen von den interessierten Parteien und der betroffenen Bevölkerung zu- geschriebenen besonderen Werte zu bewerten. Hier zeigt sich, dass – zusätzlich zu einer fachlich-gutachterlichen Bewertung, wie sie in der Operationalisierung in Abb. 1 ihren Ausdruck findet – die Bewertung durch die Nutzer nicht außer acht gelassen werden soll. In der Landschaftsplanung sind folgende vorsorgeorientierte Ziele der Planung für das Landschaftsbild wesentlich: - Sicherung und Entwicklung der landschaftstypischen Vielfalt kulturgeprägter und naturnaher Landschaftsausschnitte - Sicherung und Entwicklung von traditionellen Nutzungsstrukturen der Kultur- landschaft sowie von kultur- und naturhistorischen Zeugnissen - Sicherung und Entwicklung von landschaftstypischen Siedlungsstrukturen - Sicherung und Entwicklung der Eignung für die landschaftsbezogene Erholung - Vermeiden und Vermindern von Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes und Landschaftserlebens. Zur vorsorgeorientierten Analyse und Bewertung des Landschaftsbildes in der Landschaftsplanung Analyseschritte Die Analyse des Landschaftsbildes besteht aus den in Abb. 2 dargestellten Komponenten. Bei großmaßstäblichen Untersuchungen auf übergeordneten Planungsebenen, wie der re- gionalen Landschaftsrahmenplanung, kommen maßstabsbezogen vereinfachte Ansätze zur Anwendung. Auf der Grundlage der Biotoptypen- und Geländekartierung lassen sich erlebniswirksame Raumtypen ableiten, die sich durch ein relativ einheitliches Erscheinungsbild auszeichnen. Die Abgrenzung orientiert sich an den konkret wahrnehmbaren Strukturen, Landschafts- 175 räumen einheitlicher Prägung und Grenzlinien der Landschaft, die im wesentlichen ge- prägt werden durch Relief, Vegetations- und Nutzungsstrukturen. Zusätzlich zu diesen flä- chenhaften Raumtypen werden prägende Einzelelemente der Landschaft erfasst, die einen eigenständigen Charakter aufweisen, jedoch kleinflächig/punktuell oder linear auftreten. Sie beeinflussen die Erlebniswirksamkeit (den Raumeindruck) von Teilräumen. Bewertungskriterien Das Landschaftsbild der Raumtypen und ihrer Teilräume wird hinsichtlich ihrer Bedeutung für das Landschaftserleben, also der Erlebniswirksamkeit beurteilt. Die Bewertung erfolgt anhand der Kriterien „Eigenart“ und „Freiheit von Beeinträchtigungen“. Das Kriterium Eigenart lässt sich durch die Unterkriterien „Natürlichkeit“, „Vielfalt“ und „historische Kontinuität“ darstellen. Als Grundlage für diese Beurteilung existieren rechtlich, politisch oder fachlich auf zumindest regionaler Ebene festgelegte raumbezogene Festsetzungen und Umweltziele mit Bezug zum Landschaftsbild (vgl. Abb. 1), die als Grundlage heran- gezogen werden können. Unter Vielfalt ist der Wechsel unterschiedlicher, naturraumtypischer Landschaftsstrukturen und gliedernder Elemente zu verstehen. Die Vielfalt einer Landschaft hängt eng zusam- men mit ihren naturräumlichen Gegebenheiten. Jeder Landschaftsraum weist eine für ihn charakteristische Ausstattung auf. Diese wird von den Nutzungseinflüssen überprägt, die der Mensch ausübt. Die sich ergebende landschaftsräumliche Vielfalt kann maßgeblich Abb. 2: Die Schritte der Landschaftsbildanalyse und -Bewertung. Quelle: PPT vom 4. 10. 2004. Planungsgruppe Ökologie und Umwelt GmbH. 176 bestimmt werden von Strukturen, die auf der Mikroebene (Vielfalt der Biotop-Nutzungs- strukturen innerhalb einheitlich genutzter Flächen), auf der Mesoebene (Vielfalt des Nut- zungsmusters eines Landschaftsraums) und/oder auf der Makroebene (Vielfalt der Land- schaftsraum übergreifenden Sichtbeziehungen), angesiedelt sind. Sofern ein Landschaftsraum insgesamt durch Vorkommen punktueller oder linearer Struk- turen geprägt ist, fließt deren Bedeutung direkt in die Bewertung von Raumtypen ein. Die Erlebniswirksamkeit der Einzelelemente wird je nach Ausprägung der Struktur bewertet. „Natürlichkeit“ beschreibt die natürliche Wirkung von Landschaftsmerkmalen auf den Menschen. Sie ermöglicht Eindrücke natürlicher Vorgänge in der Landschaft, einschließ- lich der naturraumtypischen Geräusche und Gerüche sowie von Ruhe. Die Naturwirkung ist, u. a. aufgrund der begrenzten Wahrnehmungsmöglichkeiten des Menschen, nicht ohne weiteres gleichzusetzen mit der naturschutzfachlichen Bewertung der Habitate und ihrer Artenausstattung. In der Praxis wird dies aufgrund der fehlenden direkten Meßbarkeit der „Naturwirkung“ oftmals dennoch hilfsweise so gehandhabt. Die historische Kontinuität einer Landschaft zeigt sich in ihren historisch, d. h. über Gene- rationen hinweg gewachsenen Ausprägung und in deren Wirkung auf den Betrachter. Kul- turhistorische Elemente bieten die Möglichkeit zur Orientierung und Identifikation. Hier kommt, sowohl für überkommene kulturhistorische Elemente der Landschaft als auch für die Spuren der Naturgeschichte, die zeitliche Dimension ins Spiel. Dies zeigt sich in Über- bleibseln, wie Findlingen (Eiszeit), Erdwälle und Hünengräber (untergegangene Kulturen), noch sichtbare Relikte früherer Nutzungen aus unserer Kultur (Mühlen, Flachsrotten, ural- te Bäume usw.), die ein Prozessgeschehen dokumentieren und eine Bedeutung vermitteln können, die weit über die einfache Interpretation des aktuellen visuellen Eindrucks hinaus reichen. Die historische Kontinuität kann bis hin zu Elementen eines kollektiven „kulturellen Ge- dächtnisses“ reichen, die materiell in der Landschaft gar nicht mehr zu finden sind, daher oftmals auch nicht in die Analyse und Bewertung einbezogen werden, aber beispielsweise in Flurnamen erhalten sein können („Galgenberg“). Beeinträchtigungen des Landschaftserlebens gehen vor allem von sinnlich wahrnehmba- ren und den Gesamteindruck bestimmenden landschaftsuntypischen baulichen Anlagen wie Hochspannungsleitungen, Windenergieanlagen, Industrie- und Gewerbeflächen, von großmaßstäblichen technischen Bauwerken, wie Kläranlagen, sowie von Ortsrändern ohne harmonischen Übergang in die umgebende Landschaft aus. Besonders schwerwiegend sind die Zerschneidungswirkungen, die von den modernen Transportwegen ausgehen. Sehr weit verbreitet sind vom Straßenverkehr verursachte akustische Beeinträchtigungen. Der Begriff landschaftsuntypisch beschreibt Elemente, die mit der Nutzung der lokalen Landschaft nichts zu tun haben, sondern von außerhalb des jeweiligen Landschaftsaus- schnittes bestimmt sind. Hierzu ist anzumerken, dass bezüglich des Landschaftsbildes nicht nur – aufgrund der bereits erwähnten begrenzten Wahrnehmungsfähigkeit – die Schwel- le einer möglichen Beeinträchtigung anders zu setzen sein kann, als dies bezüglich einer Beeinträchtigung von Tieren, Pflanzen und ihren Lebensstätten erfolgt. Es kann auch der Fall eintreten, dass eine Nutzungsänderung, die einen Eingriff für die am Ort vorhandenen Tiere und Pflanzen bedeutet, hinsichtlich des Landschaftsbildes neutral oder gar positiv zu bewerten wäre. So wird beispielsweise die Neuanlage eines Fischteiches auf einer Nass- wiese innerhalb einer Bachniederung, die für den betroffenen Standort zweifelsohne als 177 Eingriff zu bewerten ist, bezüglich des Landschaftsbildes, sofern in Größe und Gestaltung angemessen, gleichwohl als neutral, wenn mit Bezug zu nutzungsgeschichtlich ähnlichen Anlagen, möglicherweise sogar als positiv zu bewerten sein. Bewertungsmethoden Diese Bewertung steht in der Landschaftsplanung nicht für sich, sondern ist in einen größe- ren Bewertungszusammenhang eingebettet, wie in Abb. 3 exemplarisch für die Ebene der Landschaftsrahmenplanung gezeigt. Für die Bewertung von Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes existieren verschiedene vorhabens- oder flächenbezogene Ansätze aus dem Zusammenhang der naturschutzrecht- lichen Eingriffsregelung sowie der auf Grund der EU-rechtlichen Vorgaben durchzufüh- renden Umweltverträglichkeitsprüfung, hier als „Schutzgut Landschaft“ bezeichnet. Sie werden abhängig von Eingriffscharakteristik einzelfallbezogen angewendet. Ohne hier auf die verschiedenen Verfahren und ihre Besonderheiten in Einzelheiten eingehen zu können, soll jedoch auf maßgebliche Unterschiede hingewiesen werden, die zwischen den vorsor- georientierten Ansätzen der Landschaftsplanung bestehen. Die Unterschiede werden aber auch innerhalb von Umweltverträglichkeitsprüfungen wirksam (Erlebniswirksamkeit als räumliche Eignung, wie oben dargestellt). Abb. 3: Grundlagen für die Erarbeitung des Entwicklungskonzeptes in der Landschafts- rahmenplanung. Quelle: PPT vom 4. 10. 2004. Planungsgruppe Ökologie und Umwelt GmbH. 178 Nutzerorientierte Ansätze beziehen als Erholungsnutzung die Nutzungsintensität durch die Bevölkerung in stärkerem Umfange ein – beispielsweise durch Analyse der Zugänglich- keit und ergänzend ggf. auch durch Erfassung der realen Nutzerzahlen. Derartige Ansätze werden in der Landschaftsplanung verfolgt, indem die Erholung(snutzung) z. B. zusätzlich zum Landschaftsbild als separater Bewertungsschwerpunkt in die Untersuchung einbezo- gen wird, wie am LEK Oberfranken beispielhaft für die regionale Ebene gezeigt (vgl. Abb. 3, Planungsgruppe Ökologie + Umwelt, 2003). Ähnliche Ansätze werden teilweise auch im Zuge von Umweltverträglichkeitsstudien verfolgt. Noch weiter gehende Ansätze verwenden eine Befragung von Nutzergruppen für die Ana- lyse der Nutzungsintensität oder beziehen statistisch-soziologische Verfahren zur Bewer- tung der Landschaftsausstattung ein. Aufgrund des Aufwandes für solche Untersuchungen und methodisch bedingten Unsicherheiten bei der Auslegung der Ergebnisse sollten diese Methoden nur für spezielle Fragestellungen und Einzelfälle bzw. ergänzend angewendet werden. So wird beispielsweise die Einbeziehung der realen Nutzungsintensität für Unter- suchungen, die mit volkswirtschaftlichen Methoden, beispielsweise der Kosten-Nutzen- Analyse arbeiten, eine unverzichtbare Voraussetzung sein. Was ist Gegenstand der Bewertung? – Wahrnehmungspsychologische Grundlagen Landschaft ist überall. Aber wann ist ein Landschaftsbild „schön“ oder gar „einmalig“ bzw. wird so empfunden? Genauer gefragt: was sind die Bedingungen der Wahrnehmung, Abb. 4: Verhältnis von Erreichbarkeit und räumlicher Distanz. Quelle: PPT vom 4. 10. 2004. Planungsgruppe Ökologie und Umwelt GmbH. 179 auf die der Planer sich bei der Bewertung des Landschaftsbildes beziehen kann: - Das Schönheitsempfinden des durchschnittlich erfahrenen professionell in der Landschaftsplanung Tätigen – ergo die Expertenentscheidung? - Das durchschnittliche Schönheitsempfinden der betroffenen bzw. interessierten Bevölkerung? - Das Schönheitsempfinden des durchschnittlich interessierten Juristen? - Das Schönheitsempfinden der jeweils gewählten politischen Vertreter oder das der sich artikulierenden Verbändevertreter? Die Erfahrung zeigt, dass unterschiedliche Prädispositionen der betroffenen Bevölkerung dabei bisweilen zu geradezu gegensätzlichen individuellen Bewertungen führen: Den Een sien Uhl is den Annern sien Nachtigall. Diese Bewertungen sind aber keineswegs unbe- einflusst von äußeren Einflüssen und können daher, auf längere Sicht betrachtet, durchaus als veränderlich gelten. Insofern werden die Möglichkeiten, durch direkte Methoden wie Befragungen langfristig valide Hinweise zur Bewertung der Landschaft durch (potentielle) Nutzer ermitteln zu können, als begrenzt eingeschätzt. Da lassen wir das Thema Schönheit aus der individuellen Bewertung lieber beiseite, weil sich so trefflich darüber disputieren lässt... So ist also aus bewertungsmethodischer Sicht die Frage zu stellen, was diejenigen Aspekte oder zugrunde liegenden Gesetzmäßigkeiten sind, für die einigermaßen verlässlich davon ausgegangen werden kann, dass sie unterschiedliche Betrachter, oder besser „sich erho- Abb. 5: Zeitmaß und Wahrnehmbarkeit von Prozessgeschehen in der Landschaft. Quelle: PPT vom 4. 10. 2004. Planungsgruppe Ökologie und Umwelt GmbH. 180 lende Nutzer einer Landschaft“ unabhängig von Alter, Geschlecht, von Vorbildung oder aber – in einem Einwanderungsland – auch unabhängig vom kulturellen Hintergrund zu übereinstimmenden „Bewertungen“ führen? Anders gefragt: Was hat die Landschaftsbild- bewertung mit Wahrnehmungspsychologie zu tun? Der Bezug auf den Erlebnis- bzw. Erholungswert der Landschaft in den §§ 1 und 2 BNatSchG verweist auf deren Bedeutung als Ausschnitt des menschlichen „Lebensrau- mes“. Daraus folgt die Erfordernis, sich mit dem Bewertungsobjekt Landschaft und ihren physikalischen Merkmalen im Hinblick auf ihre Bedeutung für den menschlichen Lebens- raum, also insbesondere ihrer Wahrnehmbarkeit und ihrem Aufforderungscharakter aus- einander zu setzen. Die Frage: Was ist wahrnehmbar? bezeichnet dabei nur den ersten Schritt einer räum- lich-zeitlichen Annäherung an das menschliche Maß. Darüber hinaus ist danach zu fragen, welche in uns liegenden Bedingungen menschlichen Seins uns Hinweise für die Bewertung des wahrgenommenen (Landschaftsbildes) liefern können. Die Übersichten in Abb. 4 und 5 geben eine überblicksartige Systematisierung zur Wahr- nehmbarkeit der in Landschaften wirksamen und manifesten Strukturen, Prozesse und ihrer Dimension, indem sie die räumliche Bezugsmaßstäbe der Wahrnehmbarkeit von Strukturen sowie das Zeitmaß aktuell stattfindender oder früherer Prozesse in Bezug set- zen zu typischen Handlungsformen und Wahrnehmungsebenen der Landschaftsnutzer im Verhältnis zu Entfernung-Dimension-Erreichbarkeit sowie Zeitmaß-Wahrnehmbarkeit. Die Übersichten basieren auf langjährigen eigenen planungspraktischen Erfahrungen (vgl. z. B. Kraetzschmer, 1995), sowie verschiedenen ähnlichen Ansätzen der raumbezogenen Strukturierung (z. B. Jacobs, Jessel 2003). Die Systematisierung basiert auf der Überlegung, dass eine auf den Lebensraum der Men- schen bezogene Bewertung in maßgeblicher Weise die Möglichkeiten und Bedingungen des menschlichen Wahrnehmens und Handelns zugrunde legen sollte. An „abstrakten“ Beispielen erläutert, könnten die Bewertungsergebnisse folgendermaßen formuliert werden: Ein Landschaftsausschnitt („Landschaftsbildeinheit“) - wirkt unbehaglich, sofern extrem starke (plötzliche Prozesse, Lärm, Geröll) oder nur extrem schwache Reize (z. B. Nebel, Dunkelheit) vorhanden sind – die das Wohlbefinden beeinträchtigen bzw. die Wahrnehmung, die räumliche Orientie- rung oder sogar die Bewegungsfreiheit (zeitlich räumliche Orientierung) ein- schränken; - ist von allgemeiner Bedeutung, wenn Strukturen begrenzt Wiedererkennen bzw. neue Erfahrungen erlauben; - ist von besonderer Bedeutung, wenn im räumlichen Zusammenhang ausgeprägte Reize auf mehreren der angesprochenen räumlichen und zeitlichen Ebenen gege- ben sind, besonders auch durch Erkennbarkeit von Prozessen; - ist von herausragender Bedeutung, wenn darüber hinaus bei durchschnittlichen Nutzern starke (positive) persönliche Gefühle, Grenzerfahrungen ausgelöst wer- den können. 181 Literatur BNATSCHG, BUNDESNATURSCHUTZGESETZ, BGBl I G 5702 2002, S. 1193. JACOBS, J.; JESSEL, B. (2003): Entwickung und Bewertung von Landschaftsszenarien auf ver- schiedenen Skalenebenen als Grundlage für die Bewirtschaftung von Flusseinzugsgebieten nach den Anforderungen der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL). In: IALE [Hrsg.]: Land- nutzungswandel Analyse – Bewertung – Planung – Management. Tagungsband mit Kurzfas- sungen der Beiträge zur 4. Jahrestagung der IALE-Region Deutschland. KRAETZSCHMER, D. (1995): Ökologische Bewertungen im Rahmen der Umweltverträglichkeits- studie für ein Güterverkehrszentrum im Raum Osnabrück. In: VELTRUP, W.; MARQUARDT- KURON, A.: UVP und UVS als Instrumente der Umweltvorsorge. DVAG – Materialien zur angewandten Geographie, Bd. 31, 67-77. PLANUNGSGRUPPE ÖKOLOGIE + UMWELT (2003): LEK für die Region 5 – Oberfranken (Bayern). I. A. der Regierung der Region Oberfranken. UVPG, Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EU- Richtlinien zum Umweltschutz, BGBl I G 5702 v. 27. 07. 2001, S. 1950. 182 VORSORGENDE BERÜCKSICHTIGUNG DES LANDSCHAFTSBILDES Beispiele aus der Bauleit- und Regionalplanung Ulrich Bielefeld Im vorliegenden Text werden eingespielte Verfahrensweisen der Landschaftsbildbewer- tung aus Rheinland-Pfalz vorgestellt, die zeigen, wie das Schutzgut Landschaftsbild bei den landschaftsplanerischen Beiträgen zur Bauleitplanung berücksichtigt wird. Die größte planerische Bedeutung erlangte die Landschaftsbildanalyse bei Entscheidungen zur Wind- energie im Mittelgebirge. Auch hier kommen rheinland-pfälzische Erfahrungen aus der Ei- fel sowie aktuelle methodische Beiträge zur Beurteilung der Verträglichkeit der Schwarz- wald-Landschaft mit der Windenergie zur Sprache. Bauleitplanung In Rheinland-Pfalz (RP) besteht seit 1987 für Gemeinden eine gesetzliche Pflicht zur Aufstellung von Landschaftsplänen sowie zu ihrer Berücksichtigung bei der Inte- gration in die Flächennutzungs- und Bebauungspläne. Dies schließt eine Pflicht zur Umweltprüfung von Planungsvorhaben wie auch die Anwendung der Eingriffsrege- lung ein. Die Neuregelung des BauGB 2004 bringt lediglich ergänzende Pflichten mit sich. Landschaftspläne dieser Generation liegen nahezu flächendeckend in RP vor. Zum Schutzgut „Landschaftsbild“ werden, wie zu anderen Schutzgütern in den Land- schaftsplänen nach Erfassung und Bewertung, spezifische und integrierte Zielvorstellun- gen flächendeckend dargestellt. Landschaftsplanung/Beiträge zur Flächennutzungsplanung Auf der Stufe der vorbereitenden Bauleitplanung kommen bei der Landschaftsbildanalyse heute i. d. R. formalisierte nutzerunabhängige Verfahren zum Einsatz. In unserem Büro wurde die Methodik der „Nutzwertanalyse 2. Generation“ mit ordinalen Wertskalen zu leitbildorientierter Einstufung von „Erlebnisräumen“ weiterentwickelt. Mit Hilfe nachfolgender Grafiken wird der übliche Bewertungsablauf am Beispiel der Landschaftsplanung für die Verbandsgemeinde „Obere Kyll“/Eifel illustriert. Sie befindet sich derzeit im Integrationsprozess in den Flächennutzungsplan. Begleitend hierzu wird im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz eine Studie zur Erprobung der „Umweltbeob- achtung“ nach neuem BauGB durchgeführt. 183 A Bildung von Reliefklassen als räumlich-visuelle Grundeinheiten unter Auswertung digitaler Höhenmodelle mittels GIS1 B Definition örtlicher/naturraumtypischer Leitbilder für die Räume/Grundeinheiten Visualisierte Leitbilder der Erlebnisräume (= Optimale Ausprägung) Beispiele für verschiedene Raumtypen: k Kerbtäler und Steilhänge, hochgelegene Talräume Hänge mit naturnahen Wäl- dern (Altholz, lichte Trocken- wälder) mit Gehölzstrukturen 15-50%, offene Wiesentäler t Breite Täler, Niederungen naturnahe Bäche, Gewäs- ser mit Gehölzbewuchs, Nass-/ Extensiv-grünland, Streuobst, Nass-/ Feucht- wald 1 Alle Grafiken und Bilder in diesem Beitrag: Bielefeld, U., BGHplan, Trier, 2004. 184 C Definition von räumlichen Indikatoren für die Leitbild-Ausprägung (z. B. Flächenanteile erlebnisrelevanter Biotoptypen) Erlebnisräume Leitbilder für kleinräumige visuelle Erlebnis- qualität, Indikatoren für die Werteinstufung Ausprägung der Eigenart/ Schönheit k Kerbtäler und Steilhänge, hochgele- gene Talräume k3 k2 k1 Hänge mit naturnahen Wäldern (Altholz, lichte Trockenwälder) / mit Gehölz- strukturen 15-50% / offene Wiesentäler Hänge mit Laub-/Mischwald/Niederwald/ naturnahe Waldbäche S / Offenland mit 3-5% Gehölzen Hänge mit Nadelwald / Acker / Grünland hoch = Leitbild mittel gering t Breite Täler, Niederungen t3 t2 t1 naturnahe Bäche, Gewässer mit Ge- hölzbewuchs, Nass-/ Extensivgrünland, Streuobst, Nass-/ Feuchtwald naturferne Gewässer, Intensivgrünland mit Gehölzanteil <3%, Buschwald, Verbu- schung, Feldgehölze <10 ha, Gehölzstruktu- ren 3-5% Anteil ausgeräumte Ackerfluren, Hochwald > 10 ha (Nadel-/Laubwald) hoch = Leitbild mittel gering Aus dem Grad der Leitbildausprägung der Räume ergeben sich bereits generelle Entwick- lungsziele für die Landschaftsentwicklung/Erholungsvorsorge: Hohe Leitbildausprägung → Ziel: Erhaltung der Qualitäten Geringe Leitbildausprägung → Ziel: Aufwertung entsprechend des Leitbildes D Ermittlung und überlagernde Darstellung der Raumvielfalt (kleinräumiger Wech- sel verschiedener Raumtypen) und weiterer Wertaspekte des Einzelfalls Überlagernde wert- steigernde Merkmale Beispielbild aus dem Raum Bewertung kleinräumiger Wech- sel von Erlebnisräu- men (senkrechte Über- schraffur, vgl. Karte unter h) Großräumige visu- elle Erlebnisqualität (Raum mit weit- räumigem Sichtkontakt zur Vulkaneifel) hohe Ausprägung der landschaftlichen Raum-Vielfalt Seltenes, bedeutsa- mes Erlebnismerkmal in der Eifel (führt zur Attraktivitäts- steigerung der Erho- lungs- und Wohnfunk- tion) 185 E Überlagernde Darstellung von Beeinträchtigungen Beeinträchtigungen z. B. Beispielbild aus dem Raum örtliche Belastungs- effekte Straßen mit hoher Lärm- und Abgas- emission Hochspannungs- leitungen Große Windparks Immissionszonen mit weitgehendem Verlust der Erholungs- qualität Visuelle- und Lärm- Beeinträchtigungen F Ermittlung von Nachfrageräumen für die Nah-/ Regionale Erholung ggf. Darstellung als überlagernde Erreichbarkeitszonen (z. B. fußläufiger Bereich um Sied- lungen, Fremdenverkehrszonen) G Ableitung von Zielprioritäten für Erhaltung/Entwicklung von Räumen generelles Ziel: Aufwertung von Erlebnisräumen mit mäßig oder gering ausgeprägter Eigenart / Schönheit. Alle nachfolgend genannten Maßnahmen sind auch als Ausgleich für Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch bauliche Eingriffe geeignet. Entwicklungsprioritäten: Aufwertung des Erlebniswertes vorrangig im Umfeld der Wohnsiedlungen, Maßnahmen z. B.: A hohe Anreicherung mit Gehölzen. Optische Einbindung vor allem der Ortsränder / Gestaltung des wohnungsnahen Umfeldes U Umwandlung von Nadelwald in Laubwald Bereicherung der Waldstruktur mit Elementen der Eigenart und Vielfalt Aufwertung des Erlebniswertes der großen zusammenhängenden Wälder im Naturpark, Maßnahmen z. B.: L Schaffung von Waldlichtungen Auflockerung / Erhöhung der Erlebnisvielfalt in großen geschlossenen Waldblöcken (gleichzeitig Verbesserung der Struktur für seltene Wald-Tierhabitate) Vermeidung von Beeinträchtigungen, z. B.: Verzicht auf weiteren Ausbau der Windparks Begrenzung der visuellen Beeinträchtigungen im Umfeld der Fremdenverkehrszonen 186 H Darstellung aller Bewertungsaspekte und Schutzgutziele in einer Karte Graustufen = Ausprägung der Eigenart/Schönheit (im Original farbig), Schraffur = Hohe Raumvielfalt, Buchstaben = Ziele zur Aufwertung/Entwicklung entspr. Punkt G) Grünordnungsplanung / Beiträge zur Bebauungsplanung Auf der Stufe der verbindlichen Bauleitplanung wird in Rheinland-Pfalz eine formali- sierte Bewertung zum Schutzgut Landschaftsbild kaum noch durchgeführt, wenn ein aktueller Landschaftsplan vorliegt (was überwiegend der Fall ist). Es kommen verstärkt verbal-argumentative Einschätzun- gen zum Einsatz, unterstützt durch Sichtbarkeitsanalysen und Visuali- sierungen, z. B. zur Überprüfung von Gebäudehöhen, Farbgebung, Abschirmungswirkung durch Wäl- le, Bepflanzung etc. Sichtfeldanalyse eines geplanten Hochregal-Lagers (2 Varianten der Gebäudehöhe) mittels digitalem Höhenmodell Visualisierung von Minderungsmaß- nahmen (bepflanzter Wall, Farbge- bung) Ergebnis nach der Ausführung 187 Steuerung der Windenergienutzung im Rahmen der örtlichen Bauleitplanung Das Landschaftsbild im ländlichen Raum wurde durch kaum eine Entwicklung so stark betroffen wie durch die der Windenergienutzung. Auch nach Berücksichtigung vieler aus- schließender Restriktionen wie Lärmschutzzonen um Siedlungen, Schutz- und FFH-Ge- biete verblieben z. B. in der Eifel noch sehr viele Potenziale, die zu einer zu hohen Anla- gendichte führen könnten, wenn keine weiteren öffentlichen Belange aus örtlicher Sicht der allgemeinen Privilegierung dieser Anlagen entgegengehalten werden können. Der As- pekt des Orts- und Landschaftsbildes ist das wichtigste Kriterium für die örtliche Ebene, rechtssichere Argumente gegen eine Überlastung durch Windkraftanlagen vorzubringen. In den letzten Jahren konnten mit Hilfe vorliegender Bewertungen durch die Landschafts- planung und zusätzlicher Analysen nach Art der Risikoanalyse große zusammenhängende Räume wie die Schneifel und sein Vorland freigehalten werden. Mit Hilfe von zusätzlichen Sichtfeldanalysen und Fotomontagen konnten Risiken von Summationswirkungen aufge- deckt bzw. überhaupt erst vorstellbar gemacht werden. Erforderlich sind flächendeckende Gesamtkonzeptionen, wenn Konzentrationszonen für Windkraft ausgewiesen und rechtssichere Ausschlusswirkung außerhalb dieser Zonen er- zielt werden soll. In der Eifel wurde dies durch folgende Vorgehensweise erreicht: In einer 1. Filterung werden alle Flächen mit gesetzlichen Restriktionen gegenüber Wind- kraft überlagert. Übrig bleiben nach allgemeinen Regeln privilegierte Standorte. Diese ausgeschiedenen Standorte (schwarze Flächen in nebenstehender Karte) werden in einer 2. Filterung mit Räumen hohen Erlebnis- wertes und hoher Empfindlichkeit gegenüber Windkraftanlagen nach örtlicher Landschafts- planung überlagert. (Graustufen) Durch die Zugehörigkeit zu einem Naturpark (Schraffur) erhöht sich die rechtliche Relevanz der Erlebnisqualität. Übrig bleiben Standorte (schwarze Flächen) mit geringen Einwirkungen in empfindliche Land- schaftsbildräume. Der markante Höhenrücken der Schneifel (siehe Schummerung) sowie ihr Vorland werden nach diesem Ergebnis weitgehend freigehalten. 188 Auch diese, nach zwei Filterungen ermittelten Standorte werden i. d. R. weiter untersucht. In einer 3. Filterung werden Sichtfeldanalysen (mittels digitalem Höhenmodell) zum Ver- gleich der Standorte hinsichtlich der sichtbelasteten Flächen eingesetzt. Sie lassen sich statistisch auswerten: Vergleich von Standorten nach Umfang empfindlicher sichtbetroffener Flächen. Als weitere Filterung werden nach Bedarf Fotosimulationen erstellt, anhand de- rer Wirkungen wie Dominanz, Maßstäblichkeit, Symbolgehalt und mögliche Über- lastung durch Kumulationseffekte erkennbar werden. Sie haben für Entscheidun- gen auf örtlichen Ebene sowie bei Betroffenen meist die ausschlaggebende Wirkung. Simulation der Standorte 1-3 aus obigem Diagramm In allen Kommunen der Eifel, die eine umfassende Konzeption zur Steuerung der Wind- energie beauftragt hatten, konnten die anfänglichen kontroversen Positionen, die bis zur weitgehenden Entscheidungsunfähigkeit der Kommunalpolitik reichten, mit Hilfe der Landschaftsbildanalyse soweit versachlicht werden, dass am Ende von Planungsprozessen einmütige Entscheidungen gefunden wurden. Diese hielten nach bisherigen Erfahrungen rechtlichen Anfechtungen stand. Auf den vorbereitenden Planungsstufen sind allerdings nicht alle Ausformungen regelbar. Zur Höhenbegrenzung, Farbgebung, Festlegung von Aufstellungsmustern und Konzeption von Ausgleichsmaßnahmen sind Bebauungspläne erforderlich. 189 3. Steuerung der Windenergienutzung auf regionaler Ebene In der Schwarzwaldregion ist das Windkraftproblem später als in anderen Mittelgebirgen angekommen. Es handelt sich um einen Raum, der von der Landschaft lebt, wie kaum ein anderer in der BRD. Die Fremdenverkehrswirtschaft fürchtet bei Installation der Wind- energie in ähnlichem Umfang wie anderenorts Einbußen im Fremdenverkehr um bis zu 20%, was einem Verlust von bis zu 100.000 Arbeitsplätzen entspräche. Im politischen Raum ist daher die Windenergie weitgehend unerwünscht. Allerdings be- wirkt der Tatbestand der Privilegierung ein Erfordernis zu umfassender Planung, da anders eine ungeordnete Entwicklung rechtlich nicht abgewehrt werden kann. Im Auftrag des Regionalverbandes Südlicher Oberrhein, Freiburg wurde eine Studie erar- beitet, wie das Thema Landschaftsbild in der Regionalplanung zur Windenergie verankert werden soll. Als Besonderheit der Planungsregion gegenüber anderen Mittelgebirgsräumen ist zu nennen: - nationaler Tourismusschwerpunkt - herausragende Vielfalt an Kulturlandschaftstypen - außergewöhnliche emotionale Bindung der Bewohner und Besucher - außergewöhnlich weite Sichtbeziehungen aufgrund extremer Reliefenergie Vorgeschlagen wird eine mehrschichtige Methode mit folgenden Elementen: - Formalisierte Bewertungsschritte (definierter Bewertungsmaßstab) - Verbal-argumentative Einzelfallbetrachtung der nicht formalisierbaren Aspekte - Computergestützte Visualisierungen (Fotosimulationen und 3D-Modelle) - Überprüfung der Plausibilität im Gelände Bewertungsansätze zu Belastungswirkungen von Windkraftlanlagen (WKA) aus anderen Regionen, die ausgewertet wurden, sind ohne weitgehende Modifizierungen nicht über- tragbar. Beispielsweise wurden zur Abstufung der Wirkzonen die besonderen Sichtverhält- nisse berücksichtigt: Nahbereich: Wirkzone I: 0 - 450 m (Verlärmung, totale visuelle Dominanz) Mittelbereich: Wirkzone II: 450 - 2.500 m Normaler Fernbereich: Wirkzone III: 2.500 - 10.000 m Besonderer Fernbereich: Wirkzone IV: >10.000 m (bis max. 20.000 m, Fernwirkung in Sonderfällen – Stellung auf Horizont/Zwischenhorizont) In der Wirkzone IV erreichen Windkraftanlagen in bestimmten Fällen im Schwarzwald eine tatsächlich hohe Störwirkung (s. u.). Das entwickelte formale Bewertungsverfahren ist dem nachfolgenden Ablaufschema zu entnehmen. 190 191 Die besondere Qualität des Schwarzwaldes gegenüber anderen Räumen besteht in den genannten, oft sehr weitreichenden Sichtbeziehungen. Sie erstrecken sich bis zu 80 km zwischen Hochlagen im Schwarzwald und den Vogesen und bis zu 250 km zu den Alpen, wobei das Panorama von der Zugspitze bis zum Mont Blanc reicht. Technische Anlagen in solchen Sichtkorridoren wirken sich besonders störend aus, vor allem auch, weil bei Fernsichtbeziehungen Objekte am Horizont vom Auge wesentlich (bis zu 4fach) größer wahrgenommen werden (psychologisches Phänomen der „Mondtäu- schung“). Dies illustrieren die folgenden Abbildungen. Himmelskörper sind im Zenit nicht kleiner als am Horizont, wie jedes Vergleichsfoto trotz gegenteiliger Wahrnehmung beweist. Das Auge „zoomt“ sich an Objekte am Horizont wie mit einem Teleobjektiv heran, leider auch an Windkraftanlagen. Ziel der Regionalplanung ist es, mit Hilfe der Landschaftsbildanalyse zu erreichen, - Sichtkorridore zu den Alpen und den Schwarzwaldhöhen weitgehend freizuhalten - Windparkgrößen von nur max. 5-7 Anlagen zuzulassen - Mindestabstände von Windparks festzulegen (mind. 5 km), damit die Schwarzwaldlandschaft möglichst nur kleinräumig von technischen Anlagen dominiert wird. 192 Literatur DEUTSCHER NATURSCHUTZRING (2004): Vorschlag eines Mindeststandards zur freiwilligen Selbstverpflichtung zum umwelt- und sozialverträglichen Ausbau der Windenergie. Beitrag des DNR zur Weltenergiekonferenz vom 1.-4. Juni 2004 in Bonn. GALLER, C. (2000): Auswirkungen der Windenergienutzung auf Landschaftsbilder einer Mittel- gebirgsregion. Arbeitsmaterialien des Instituts für Landschaftspflege und Naturschutz, Uni Hannover, Heft 43. JAEGER, J.; ESSWEIN, H.; SCHWARZ VON RAUMER, H.-G.; MÜLLER, M. (2001): Land- schaftszerschneidung in Baden-Württemberg. Naturschutz und Landschaftsplanung 33 (10): 1-13. JESSEL, B. (1998): Das Landschaftsbild erfassen und darstellen – Vorschläge für ein pragmatisches Vorgehen. Naturschutz und Landschaftplanung 30 (11): 356-361. JESSEL, B.; FISCHER-HÜFTLE, P.; JENNY, D.; ZSCHALICH, A. (2003): Erarbeitung von Aus- gleichs- und Ersatzmaßnahmen für Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes. Angewandte Landschaftsökologie Heft 53. KÖHLER, B.; PREIß, A. (2000): Erfassung und Bewertung des Landschaftsbildes. Informations- dienst Naturschutz Niedersachsen 1/2000. KRAUSE, C. L.; KLÖPPEL, D. (1996): Landschaftsbild in der Eingriffsregelung. Angewandte Landschaftsökologie Heft 8. LENZ, S. (2004): Akzeptanz von Windenergieanlagen in der Erholungslandschaft. Naturschutz und Landschaftsplanung 35 (4): 120-126. MAYER, S. (ohne Jahreszahl): Mondtäuschung – Mondillusion – Mondparadoxie. Internet-Veröf- fentlichung. http://www.psy-mayer.de/links/Mond/mond.htm (Zugriff: 05.06.2006). NOHL, W. (1993): Beeinträchtigungen des Landschaftsbildes durch mastenartige Eingriffe. Gutach- ten im Auftrag des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft Nordrhein- Westfalen. REGIERUNGSPRÄSIDIUM DARMSTADT (1998): Zusatzbewertung Landschaftsbild – Verfahren gem. Anlage 1, Ziff. 2.2.1 der Ausgleichsabgabenverordnung als Bestandteil der Eingriffs- und Ausgleichsplanung. ROTH, M. (2002): Möglichkeiten des Einsatzes geografischer Informationssysteme zur Analyse, Bewertung und Darstellung des Landschaftsbildes, Natur und Landschaft 77 (4): 154-160. WIRTSCHAFTSMINISTERIUM BADEN-WÜRTTEMBERG [Hrsg.] (2003): Windfibel – Wind- energienutzung: Technik, Planung und Genehmigung. 193 3D-VISUALISIERUNG ALS BESTANDTEIL DER LANDSCHAFTSPLANUNG Philip Paar Wir leben in einem visuellen Zeitalter, einem Zeitalter der Bilder, in dem Information mit Hilfe von Bildern dargestellt, vermittelt, verständlich gemacht wird (Sachs-Hombach, Rehkämpfer 1998). Mit Bildern lässt sich nicht nur etwas darstellen, mit Bildern kann auch zu einer Handlung aufgerufen oder eine Stimmung erzeugt werden. Der Stellenwert von Bildern in der modernen Medienlandschaft kann gar nicht überschätzt werden. „Wer die Bilder besitzt, beherrscht auch die Köpfe“ sagte Bill Gates (zit. n. Milchert 1998, 242-243), als er nach dem Grund des Kaufs eines großen Bildarchivs gefragt wurde. Bilder von Gärten, Landschaften und Natur sind auf medialer Ebene sehr präsent. Die Werbung hat längst erkannt, dass es „...kaum ein positiveres Image gibt, als das einer schö- nen Natur beziehungsweise einer idyllischen oder aufregend-faszinierenden Landschaft“ (Rekittke 2001a, 109). Auch solche landschaftlichen Bilder, die ohne einen direkten Natur- bezug auf künstliche Weise generiert wurden, können nach Rekittke (2001b) im Kopf des Betrachters eine vollwertige landschaftliche Assoziation auslösen, was auf das Wesens- merkmal von Landschaft, ein kollektives, ästhetisches Bildungsgut darzustellen, zurück- zuführen sei. Auch die Landschaftsplanung „produziert“ Bilder. Die folgenden Ausführungen gehen den Fragen nach, wie es um diese Bilder – „außerhalb der Köpfe“ – und um die graphischen Darstellungen des Landschaftsbildes bestellt ist. Landschaft als Kartendarstellung Die grafische Qualität von landschaftsplanerischen Kartenwerken spielt im Gegensatz zu Plänen in der Freiraum- und Objektplanung nur eine marginale Rolle. Diese Darstellungen haben sich in der Vergangenheit mehr an andere Fachplaner und Behörden gerichtet als an den Bürger. Wie in einem Geheimbund verstecken wir uns hinter einer eigenen, für andere unverständlichen Sprache, dem Planerdeutsch und Karten, die nur von Behörden lesbar sind; heutzutage meist digital gespeichert – vereinzelt auch über das Internet abruf- bar (Hachmann 2004). Bei Neugebauer (1999) findet sich eine Übersicht von häufig genannten Gründen für Umsetzungsmängel kommunaler Landschaftspläne. Neben diversen Punkten, wie z. B. sozio-ökonomischer „Blindheit” der Landschaftsplanung, werden auch Kommunikati- onsprobleme und Vermittlungsschwächen zwischen den Planungsbeteiligten und die nur fachwissenschaftlich, nicht allgemeinverständlich abgefassten Planinhalte genannt. Na- turschutzfachliche Karten und Pläne und die teilweise vorliegenden Planzeichenvorgaben werden hinsichtlich Kartografie, Allgemeinverständlichkeit und damit auch bezüglich ihrer „Werbewirksamkeit“ als unzureichend gestaltet bzw. verbesserungsbedürftig eingeschätzt (vgl. Kirch 1995; Paar, Rekittke 1997; Uehlein 2000). 194 Lehmkühler (1998) führt die reichhaltige Palette der zur Verfügung stehenden Visuali- sierungstechniken des Planers auf. Zu den traditionellen Techniken zählt er Karte, Zwei- tafel- und Mehrtafelprojektionen, Axonometrie, Perspektive, Modell, Modellsimulations- flug und Fotomontage, zu den computergestützten CAD, Computeranimation, elektroni- sche Bildverarbeitung, Planungssimulationsvideo und Virtual Reality. Diese Aufzählung soll vor Augen führen, dass es uns keines Falls an grafischen Ausdrucksmitteln mangelt. Es fehlt nur an Planern, die sich ihrer im Rahmen von Planungsverfahren bedienen. Die Landschaftsarchitekten – vor allem die bekennenden Künstler unter ihnen – können sich analog, digital oder gemischt auf kreative und meist ansprechende Weise grafisch aus- drücken. Der Landschaftsplaner, früher noch mit Copics oder Buntstiften „beseelt“, greift zum Geografischen Informationssystem (GIS). In Deutschland nutzen inzwischen 35 % der Landschaftsplanungs- und Landschaftsarchitekturbüros GIS; bei den Büros mit dem Schwerpunkt Landschaftsplanung sind es 75 % (Buhmann, Wesel 2003). Die Wurzeln der Geografischen Informationssysteme (GIS) liegen in der Beschreibung von Landnutzungs- formen und deren kartografischer Darstellung. Dieser Ansatz ist traditionell 2-dimensional und beschreibt einen Landschaftsausschnitt durch sich berührende, aber nicht gegenseitig überlagernde Polygone oder Rasterzellen. Es finden sich in der Literatur keinerlei Anga- ben wie viele dieser GIS-Nutzer die analytischen und geo-statistischen Funktionen dieses Werkzeuges nutzen und wie viele sich nur der Datenhaltungs- und Darstellungsfunktionen bedienen. Letzteres wird von GIS-Experten gerne als „Papier-GIS“ belächelt. Landschaft als Scheibe Visualisierung wird in der Landschaftsplanung häufig mit 2D-Kartografie gleichgesetzt. Die etablierten GIS haben dieses Verständnis eher begünstigt. In den meisten Landschafts- plänen ist die Erde quasi noch eine Scheibe, was sich negativ auf das Vorstellungsvermögen und damit die Akzeptanz der Bürger und Entscheidungsträger auswirkt. Dazu kommt, dass viele raumbezogene Problemstellungen als Plangrafik nur rudimentär oder gar nicht gelöst bzw. grafisch dargestellt werden können. „Obwohl gerade unter Planern viel von Informa- tion und Partizipation die Rede ist, mangelt es immer noch an allgemein verständlichen Bildern. Soll die traditionell mit eher abstrahierenden Darstellungen arbeitende Planung besser begreifbar werden, müssen Planer vermehrt mit der dritten Dimension arbeiten“ (Lange 1999, 9). Zu Studienzeiten des Verfassers galt sogar das Kartenzeichnen in manchen landschaftspla- nerischen Kreisen der Technischen Universität Berlin als verpönt. In der Landschaftsar- chitektur ist es dagegen üblich, Perspektiven zu zeichnen oder Modelle zu bauen. Pers- pektivische Darstellungen und Vorher-Nachher-Bilder können auf eine lange Tradition in der Freiraumplanung zurückblicken. Es war Humphry Repton, der seinen Kunden mit den Red Books auf anschauliche und erfolgreiche Weise Planung in Form von Aquarellskizzen präsentiert hat (Abb. 1). Der auf eine bewegliche Klappe gemalte Ist-Zustand konnte dabei auf innovative Weise mit dem darunter liegenden Gestaltungsvorschlag verglichen werden (Lange 1999, 31). Pioniere der digitalen, perspektivischen Landschaftsvisualisierung in der Landschafts- planung sind Anwendungen von Fotomontage, vielfach auch Fotosimulation genannt, im Rahmen von Umweltverträglichkeitsstudien, Landschaftspflegerischen Begleitplänen und Eingriffsregelungen (Abb. 2). 195 Gegen eine Verwendung von Fotomontagen im Planungsprozess sprechen zum einen die „künstlerisch-handwerkliche“ Freiheit bei gleichzeitigem Fotorealismus und der manuelle Aufwand bei der Erstellung. Zum anderen sind auch die Argumente, die gegen eine (allei- nige) Verwendung von Standbildern und vorproduzierten Animationen geltend zu machen, die Planungen häufig nur von ihrer „Schokoladenseite“ zeigen. Während Fotomontagen nur einen kleinen Ausschnitt aus der Realität von einem festen Standpunkt des Betrachters aus aufzeigen, können interaktive 3D-Modelle den Betrachter in die Lage versetzen, den Raum zu betreten und seinen Standpunkt selbst zu bestimmen. „Nur die Möglichkeit des freien Schauens und freier Bewegung im Raum ermöglicht dem Betrachter, sich mit dem räumlichen Kontext intellektuell auseinander zu setzen (...) Denn, um über Lösungsmodel- le anspruchsvoll reflektieren und debattieren zu können, ist es nötig, mit Hilfe des Modells Beziehungen zwischen den Landschaftselementen sowie räumlich-zeitliche Beziehungen zu erfahren“ (Danahy, Hoinkes 1999). Landschaft als Simulation Angetrieben vom Paradigma des Fotorealismus in der Computergrafik und den Umsätzen der Computerspiele- und Filmindustrie können Softwareprogramme inzwischen virtuelle Landschaftsbilder in erstaunlicher grafischer Qualität simulieren. „Das Erschaffen einer, von einer bestimmten tatsächlich existierenden Lokalität losgelösten, virtuellen Landschaft ist für sich genommen heutzutage kein Problem mehr. (...) Schwieriger wird dieses Unter- fangen, wenn das Ziel verfolgt wird, virtuelle Landschaften zu erzeugen, die tatsächlich in der Realität existieren und somit in der Erfahrungswelt eines jeden einzelnen mit dieser Landschaft vertrauten Betrachters verankert sind“ (Lange 1999, 52). Abb. 1: Humphry Repton (1752-1818): Red Books, Vignette eines vorgeschlagenen Land- schaftsgartens (aus: Vercelloni 1994, Historischer Gartenatlas). 196 Lange (1999, 18) betont, dass weder ein synthetisches Bild noch die virtuelle Realität einen Besuch einer realen Landschaft mit all ihren Eindrücken, die durch die menschlichen Sinne wahrgenommen werden können, ersetzen könnten. Und trotzdem: „Die reale Landschaft bekommt zunehmend Konkurrenz“ (Rekittke 2001a, 109). Rekittke (ebenda; Zitat gramm. verändert, Ph.P.) fordert, dass alles, „das in irgendeiner Weise den Namen Landschaft trägt, (...) von Landschaftern ernstgenomen, analysiert und weiterentwickeltwerden soll“. Landschaftsvisualisierung in der Landschaftsplanung Durwen und Bortt (1995) äußern sich zu Gefahren von Visualisierung in Planungsprozes- sen für Planer, Auftraggeber und die zu beteiligende Öffentlichkeit. Schlechte Präsentati- onen würden Unverständnis beim Bürger hervorrufen und so zu unnötigen Zeitverlusten führen. Im schlimmsten Fall würde der Bürger mit einem „Werbefilm“ überfahren. Wenn über den Einsatz von Landschaftsvisualisierung in der Landschaftsplanung diskutiert wird, sollte stets nach den Anwendungsmotiven unterschieden werden: - Planungspräsentation als Marketing, - Landschaftsbildsimulation für Analyse und Bewertung, - Planungsvisualisierung für den Beteiligungsprozess, da einerseits verschiedene Ansprüche an die Visualisierung gestellt werden und andererseits auch Kritik an Techniken und Anwendung zu differenzieren ist. Sheppard (1989) nennt als drei fundamentale Punkte für Landschaftsvisualisierungen Verständlichkeit, Glaubwürdig- keit und Unbefangenheit. Planungspräsentation als Marketing Landschaftsvisualisierung wird in der Praxis derzeit vor allem zur Präsentation, Erläute- rung und Marketing von Planungsergebnissen eingesetzt. Nach Lange (1999, 143) über- nehmen Visualisierungen zumeist eine dekorative Funktion, um ein Planungsprodukt zu Abb. 2: Fotosimulation mit Silberweiden, Paar 2006 197 „verkaufen“, anstatt einen substanziellen Beitrag für ein verbessertes Ergebnis zu liefern. Computervisualisierungen können sehr konkrete Bilder produzieren, die die Gefahr in sich bergen, dass Betrachter sie unkritisch für „wahr“ halten können. Muhar (1992) wirft die Frage nach der Detailgenauigkeit auf, mit der Planungsaussagen abgebildet werden sollen bzw. können. Problematisch sei das Schüren von Erwartungen, die nicht umgesetzt werden können bzw. in der Realität anders aussehen. Bedenklich seien kaschierende bzw. vernied- lichende Fotosimulationen oder Animationen von kontroversen Projekten und Eingriffen in Natur und Landschaft einzuschätzen, die für die „Öffentlichkeitsarbeit“ aufwändig her- gestellt werden. „Die unter dem Deckmantel des Fotorealismus betriebene Verschleierung von Eingriffen kann nur dann Ziel einer Visualisierung sein, wenn man diese Eingriffe auch wirklich verstecken will. Es muß ja auch einen Grund haben, warum Kraftwerksbe- treiber so gerne Computersimulationen bestellen“ (Muhar, Tschemernig 1994, 17). Außer- dem würden im Rahmen von Visualisierungsprojekten fast immer nur Endzustände Be- rücksichtigung finden, Baustellenphasen blieben so unberücksichtigt. Orland et al. (1997) beobachten eine immanente Tendenz zur Bildmanipulation: Um den Eindruck eines voll- ständigen Bildes wiederzugeben, scheint es häufig unvermeidlich, fehlende oder passende Daten zu fabrizieren oder zu manipulieren. Es sei daher unabdingbar, dass die zugrunde liegenden Daten und Metadaten über die Zuverlässigkeit und Genauigkeit der Visualisie- rung dargelegt werden. Auch Muhar (1992) fordert, dass bei der Planungskommunikation deutlich werden muss, mit welcher Unschärfe die Prognose von Landschaftsentwicklung behaftet ist. Das Wissen um die persuasiven Wirkungen von Visualisierungen muss kein Privileg „bö- ser Investoren“ sein. Dieses Wissen könnte auch ganz bewusst zum Marketing für Natur- schutz und Landschaftspflege eingesetzt werden – ohne damit eine schlechte Planung ka- schieren zu müssen. Dabei stellt sich die Problematik, Akteure zu überzeugen, ohne sie zu manipulieren. Für die Landschaftsplanung wird daher „...dringend ein Regelwerk benötigt, das klare Richtlinien für die Umsetzung von Visualisierungen vorgibt. Eindeutige Rege- lungen, wie sie in der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion gefordert werden, bilden die Grundlage für die geregelte Handhabung dieses Instrumentes auch im Sinne einer ge- richtlichen Überprüfung. Durch die Aufstellung von klaren Richtlinien sind Vorgaben für die zweckmäßige Erstellung von Visualisierungen auch im Sinne einer Qualitätssicherung bzw. Zertifizierung zu erarbeiten“ (Demuth, Fünkner 2000). Buhmann (1994) betont, dass aus der erreichbaren Glaubwürdig- und Gefälligkeit eine große Verantwortung für den Planer erwachse. Er müsse die Balance zwischen Simulati- onstreue und Herausarbeitung der Wirkung finden. Nestmann (1993) schlägt vor, dass die Visualisierung von Landschaftsbildveränderungen von einem Dritten durchgeführt oder dass die Visualisierungsergebnisse von einer projektbegleitenden Gruppe gegengeprüft werden sollten, um ggf. Modifikationen einzufordern. Landschaftsbildsimulation für Analyse und Bewertung Die realitätsorientierte visuelle Simulation des Landschaftsbilds sollte für nutzerabhängige Verfahren zur Landschaftsbildbewertung (z. B. im Rahmen der Eingriffregelung) und für demoskopische Untersuchungen auf jeden Fall wissenschaftlichen Gütekriterien genügen. Lange (1999, 18) vermutet, dass die Möglichkeit der Visualisierung realitätsnaher virtu- eller Landschaften und der geplanten Veränderungen ein wichtiger Schritt zur besseren Integration des Landschaftsbilds in die Planung sein könnte. An anderer Stelle schreibt 198 Lange (1999, 9): „Die Auswirkungen geplanter Veränderungen auf das Landschaftsbild können nur anhand dreidimensionaler Visualisierungen zuverlässig beurteilt werden. Der Einsatz computergestützter Visualisierung wird also zunehmen, auch wenn ihre Stärken in der Planungspraxis noch oft ignoriert werden. Doch wie viel virtueller Realismus ist noch realistisch und angemessen bei der fachlichen Visualisierung des Landschaftsbilds? Forschungsbedarf sieht Lange (1999, 6) in der Frage der Repräsentation der Landschaft und fragt: „Wie real muss eine Repräsentation sein? Wie abstrahiert darf eine Repräsentation sein?“ Roth (2003) gibt zu bedenken, dass eine Bewertung von geplanten Zuständen oder von durch bestimmte Vorhaben sich ergebenden Änderungen mittels Nutzerbefragung durch das Fehlen einer Bewertungsgrundlage erschwert werde, und führt dann aus: „Simulatio- nen in Form von Computeranimationen, Foto- oder Videobearbeitungen oder Baugerüsten im Gelände erzielen oft nicht die gleiche Wirkung wie die tatsächlichen Veränderungen, da bestimmte Sinneswahrnehmungen nicht berücksichtigt werden bzw. der Realitätsgrad der Simulation oft zu gering ist“ (Roth 2003, 3). Lange (1999) geht in seinen Untersu- chungen zum Realitätsgrad der Frage nach, wie und inwieweit das visuell wahrnehmbare Landschaftsbild durch eine virtuelle Landschaft abgebildet werden kann. „Gemessen an der stetigen Zunahme der Anwendung analoger und digitaler 3D-Repräsenationstechniken in der Praxis, ist die Zahl der Studien, die sich mit der Wahrnehmung dieser Simulationen beschäftigen, verschwindend gering, obwohl dies doch eigentlich die Voraussetzung für eine effiziente Anwendung sein müsste“ (Lange 1999, 17). Ähnlich wie bei Landschafts- bildbewertungen gibt es ein eklatantes Defizit an validierten Verfahren. Stereoskopische Bilder wurden bisher kaum in Verfahren der visuellen Simulation des Landschaftsbilds eingesetzt, weil der manuelle Aufwand für das Erstellen perspektivischer Fotos und Grafiken sehr hoch ist bzw. entsprechende Displaytechniken noch nicht breit verfügbar sind. Digital vorliegende 3D-Szenen ermöglichen prinzipiell die dreidimensio- nale Betrachtung, indem eine Visualisierungssoftware die Szene aus zwei verschiedenen Blickwinkeln generiert und das Gehirn daraus den dreidimensionalen Eindruck zusammen- mischt. Durwen und Bortt (1995) betonen, dass virtuelle Welten zwar noch nicht realistisch genug sind, Virtual Reality aber vielleicht das Darstellungs- und Entwicklungsinstrument für Planer der Zukunft sei. Inwieweit es auch ein geeignetes Medium für partizipative Bürgerbeteiligungen und Ver- fahren zur Landschaftsbildbewertung sein könnte, wurde noch nicht systematisch unter- sucht. Slater und Steed (2000) haben experimentell herausgefunden, dass Aktionen, die durch geeignete Bewegungen des ganzen Körpers erfolgen, mit einem größeren Gefühl von Präsenz in computergestützten, immersiven Environments einhergehen als bei der Steuerung über Mouse, Joystick etc. Planungsvisualisierung für den Beteiligungsprozess Landschaftsvisualisierung, die Planungs- und Beteiligungsprozesse unterstützt, kann als die eigentliche Herausforderung für Landschaftsplaner betrachtet werden (Paar, Rekittke 2003; Werner et al. 2005). Visualisierung – als integrierter und integrierender Bestandteil des Pla- nungsprozesses verstanden – kann eine verbesserte Kommunikation zwischen Planern und Akteuren unterstützen. Für Demuth und Fünkner (2000) sind Computervisualisierungen in der Landschaftsplanung dann sinnvoll, „wenn die Auswirkungen einer Planung bereits vor 199 deren Ausführung dargestellt und diskutiert werden sollen (Vorher-Nachher-Variante) oder auch als Orientierungs- und Entscheidungshilfe, wenn verschiedene Planungsalternativen (Alternativmodelle) zur Disposition stehen.“ Dabei könnten nicht nur Eingriffe sondern auch Rückbaumaßnahmen und bisher uneinsehbare Einblicke visualisiert werden. In Verbindung mit der Aufstellung eines Leitbildes und der Ableitung konkreter Zielvor- stellungen können zukünftige Entwicklungen aufgezeigt, gemeinsam diskutiert und als Grundlage zur Ableitung von Maßnahmen und für Entscheidungen genutzt werden. Im Zusammenhang mit der Planung von Agrarlandschaften äußert sich Schmidt (1997) kritisch über ästhetisch und ökologisch begründete Leitbilder, die eher hinderlich für Über- einkünfte seien. „Sie versuchen in der Regel über bildhafte Visionen künftige Agrarland- schaften zu beschreiben – meist, ohne die Interessen der aktuellen und künftigen Nutzung der Agrarlandschaften zu berücksichtigen“ (ebenda, 24). „Ein öffentlicher Diskurs darüber kann nicht erfolgreich sein, wenn er die Bauern nur als Regelungsobjekt sieht – statt sie in die demokratischen Auseinandersetzungen der Gesellschaft einzubeziehen. Auf die Gestalt der Landschaft, die dabei herauskommt, müssen wir es ankommen lassen“ (ebenda, 25). Erfolg versprechender als die Projektion und Herstellung einer Landschaftsgestalt sei eine Auseinandersetzung über die Prinzipien des produktiven Umgangs mit dem Land. Visualisierung und die Beschäftigung mit dem Landschaftsbild muss nicht zwangsläufig zu Ästhetizismus führen. Im Rahmen der Planungskommunikation sind vor allem ab- strahierende oder illustrierende Darstellungsmethoden erforderlich, um beabsichtigte bzw. mögliche Veränderungen besonders hervorzuheben und zu erläutern (Rekittke, Paar 2005, Abb. 4). Hervorhebungen des wesentlichen Planungsinhaltes sind von entscheidender Be- deutung, um diese Inhalte vermitteln zu können. Bei konzeptionellen Planungsphasen, in denen Ideen und Strukturen verdeutlicht werden sollen oder in denen Ortskundige und an- dere Fachleute sich einbringen sollen, entspricht eine illustrierende oder skizzierende Visu- alisierung dem Charakter einer offenen Planung. „Eine (...) potentielle Gefahr bei der Prä- sentation sehr realistischer Simulationen in der Öffentlichkeitsbeteiligung ist der Eindruck des Endgültigen. Dem Betrachter ist möglicherweise nicht bewußt, daß das Planungsver- fahren noch nicht abgeschlossen ist, und daß zunächst Zwischenergebnisse zur Diskussion gestellt werden. Das Prozeßhafte geht durch eine zu ausgefeilte Simulation verloren, die Planung sollte in der Simulation deutlich erkennbar sein“ (Demuth, Fünkner 2000). Nach den bisherigen Erfahrungen des Verfassers, „vertragen“ partizipative Planungspro- zesse eine (foto)realistische Darstellung des Landschaftsbilds, wenn zum einen eine Re- duzierung der Darstellung auf die jeweils planungsrelevanten Strukturen und zum anderen eine (regelbare) Differenzierung der Darstellung von Planung und Bestand möglich ist. „Wichtig für den Landschaftsschutz bei planerischen Entscheidungen ist die Gegenüber- stellung von heute und morgen. So werden Visualisierungen beispielsweise eingesetzt, um Planungsvarianten zu vergleichen, aber auch um Phänomene wie Schadstoffbelastungen oder funktionale Beziehungen in der Landschaft sichtbar zu machen“ (Lange 1999, 9). Nicht sichtbare Prozesse können sowohl Ereignisse sein, die sich außerhalb der visuellen menschlichen Wahrnehmung befinden, als auch „schleichende“ Veränderungen wie Ero- sion oder Waldsterben. Beispiele für die Visualisierung ökologischer Funktionen in einer 3D-Landschaftsbild-Metapher finden sich bei Hehl-Lange (1999). 200 Automatisierte Erstellung von 3D-Landschaftsmodellen Mittlerweile können aus 2D-Geodaten und mit Hilfe teilweise automatischer Verfahren virtuelle 3D-Landschaften erzeugt werden, die einen hohen Realitätsgrad aufweisen (vgl. Lange 1999). Diese Visualisierungen werden in der Regel mit hohem manuellem Aufwand und langen Rechenzeiten erstellt. Schneller und einfacher können realistisch wirkende Bil- der generiert werden, wenn die Bildkomposition oder die Landschaft so gewählt wird, dass keine Details im Vordergrund abzubilden sind. „Um einen sehr hohen Realitätsgrad einer Vordergrundszene zu erzielen, bedarf es vermutlich einer Steigerung des Detailreich- tums insgesamt“ (ebenda, 142). Ein Grundproblem – insbesondere bei interaktiver Visua- lisierung – ist dabei die Vegetation und häufig auch die Repräsentation von Boden. Ervin (2001) kritisiert die Missachtung von Besonderheiten bei der Darstellung von Büschen und Bäumen – er vermisst etwas, was er mit „eco-realistic“ umschreibt. Zu den Fragen zur Repräsentation von Landschaftselementen gesellt sich die der Daten. Sheppard (1999) schreibt dazu: „Oft fehlen korrekt aufbereitete Landschaftsdaten, was die extrem realistische Visualisierung jedoch nicht erkennen lässt.“ Landschaftsplanung findet auf unterschiedlichen Maßstabsebenen statt, die sich auch auf die Visualisierung übertragen lassen, wie Orland (1992) am Beispiel der Forstvisualisie- rung darstellt. Einerseits bestehe der Wunsch, mit Regionalbezug zu planen und anderer- seits spezifische Waldbaustrategien auf lokaler Ebene zu entwickeln („tree-by-tree scale“). Hinzu kommt ein „mittlerer Maßstabsbereich“ für die akkurate Abbildung von Plänen auf Gemeindeebene und von größeren Projekten der Objektplanung, wie er von Dorau (1998) auch für die Visualisierung gefordert wird. Lenné3D für eine interaktive Landschaftsplanung Im Rahmen des von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt geförderten Forschungsver- bunds Lenné3D wurden photorealistische und non-photorealistische Methoden zur geoda- tenbasierten, interaktiven Landschaftsvisualisierung entwickelt (Paar, Rekittke 2003). Mit dem Lenné3D-System können Bürgern und Fachanwendern verständliche Einsichten in Planungen gegeben werden, Planungsprozesse durch interaktive Editierfunktionen unter- stützt und Bürgerbeteilungen interessanter gestaltet werden. Mit diesem Werkzeug entsteht auch ein flexibles Instrument für umweltpsychologische Experimente und Landschafts- bildbewertungsverfahren. Für die Akteursbeteiligung des BfN-Vorhabens „Interaktiver Landschaftsplan Königslut- ter“ (Kunze et al. 2003) erfolgte eine Erprobung eines prototypischen Lenné3D-Systems zusammen mit anderen Visualisierungsmethoden. Einer computergrafisch unterstützten Akteursbeteiligung standen die Teilnehmer prinzipiell aufgeschlossen gegenüber. Mit ei- ner interaktiven 3D-Karte wurden diskutierte Landschaftsausschnitte angezeigt, Fachda- ten eingeblendet und Maßnahmenvorschläge oder Einwände eingetragen (Abb. 3). Vorher- Nachher-Simulationen regten die Diskussion über Ziele, Maßnahmen und Umsetzungen an. Dabei warfen Akteure auch Fragen nach der Genauigkeit der Darstellung und den verwen- deten Geodaten auf. Es war zu beobachten, dass sich kritische Betrachter auf inkonsistent erscheinende oder weniger detaillierte Bildelemente fokussieren, die die Glaubwürdigkeit der gesamten Visualisierung beeinträchtigen können. Ein Ausweg aus dem Dilemma des unvoll- kommenen Photorealismus bietet der Einsatz von grafisch reduzierten Landschaftsvisualisierun- gen in der Planungskommunikation (Rekittke et al. 2004) oder Mischformen (Abb. 4). 201 Abb. 4: Kombination von photorealistischer und skizzenhafter Darstel- lung in der Landschaftsvisualisierung aus Spaziergängerperspektive. Quelle: Paar, Bildschirmfoto vom Lenné3D-Player, 05/2005. Fazit Abb. 3: Interaktive Landschaftseditierung in der Akteursbeteiligung. Quelle: Paar, Bildschirmfoto vom interaktiven Lenné3D-LandXplorer, GIS-datenbasiert, 03/2004. 202 Der Landschaftsplanungspraxis fehlt es in der Regel noch an konkreten, visuellen Darstel- lungen der Landschaft, wie die Bürger sie kennen und aus eigener Anschauung her ein- schätzen können. Abstrakte und graphisch oft unzulängliche Kartenwerke können den Bür- ger des Medien- und Internetzeitalters nicht überzeugen. Google Earth und das Pendant der Nasa WorldWind führen es eindrucksvoll vor: Geodaten können sexy und cool dargeboten werden. Konventionelle Medien wie historische Karten, Luftbilder, Fotografien, Gemälde, aber auch (Video-)Filme bleiben wichtige Quellen für eine bürgernahe, obgleich zunächst retrospektive Auseinandersetzung mit der lokalen oder regionalen Landschaftsentwicklung. Und sie werden in Zukunft verstärkt als Kartenschichten in interaktiven 3D-Geländemo- dellen zum Einsatz kommen. Darüber hinaus sind auch künftige Landschaftszustände für den Bürger sichtbar und erfahrbar zu machen. Visualisierungen von nicht repräsentativen Standbildern, „Fly-throughs“ aus Adlerperspektive und in Höchstgeschwindigkeit sowie zweifelhafte photorealistische Qualitäten irritieren ihn oder führen gar zur Abschreckung gegenüber naturschutzfachlichen Planungsinhalten und Umsetzungsstrategien. Ein Beige- schmack von Verschleierung stellt sich regelmäßig beim Betrachten von Visualisierungen ein, die im Auftrag von Vorhabenträgern – oder deren Gegnern – erstellt werden. Für die Planungspraxis in Deutschland sind daher wissenschaftlich fundierte Richtlinien und frei- willige Selbstverpflichtungen für die Umsetzung und Handhabung von Landschaftsvisua- lisierungen dringend erforderlich. 3D-Visualisierung als Bestandteil eines interaktiven Landschaftsplans sollte künftig ver- stärkt als Werkzeug für eine offensive und öffentliche Auseinandersetzung über nachhalti- ge Landschaftsentwicklung, auch im Sinne von kultureller Nachhaltigkeit und landschaft- licher Eigenart, genutzt werden. In Anlehnung an Peter Joseph Lenné könnte es in der Landschaftsplanung künftig darum gehen, das Ökologisch-Funktionale mit dem Schönen und Eigenartigen zu verbinden. Das bloße Kaschieren von Eingriffen ins Landschaftsbild ist eine viel zu defensive Beschäftigung mit dem Schutzgut Landschaftsbild. Literatur BUHMANN, E. (1994): Technische Möglichkeiten – EDV in der Landschaftsbildsimulation. Garten + Landschaft 104 (10): 31-32. BUHMANN, E.; WIESEL, J. (2003): GIS-Report 2003: Software, Daten, Firmen. Harzer, Karlsruhe. DANAHY, J.; HOINKES, R. (1999): Schauen, Bewegen und Verknüpfen. Garten + Landschaft 109 (11): 22-27. DEMUTH, B.; FÜNKNER, R. (2000): Einsatz computergestützter Visualisierungstechniken in der Landschaftsplanung – Chancen, Risiken und Perspektiven. In: GRUEHN, D.; HERBERG, A.; ROESRATH, C. [Hrsg.]: Naturschutz und Landschaftsplanung: moderne Technologien, Methoden und Verfahrensweisen. Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Hartmut Ken- neweg. – Mensch-und-Buch, Berlin: 97-111. DORAU, U. (1998): Computergestützte 3D-Visualisierung in der Landschaftsplanung: Die Anwend- barkeit verschiedener Visualisierungsprogramme im mittleren Maßstabsbereich. CORP 98, Wien. 73-88. DURWEN, K.-J.; BORTT, W. (1995): Dynamisierung der kommunalen Umweltplanung durch Ver- besserung der Informations- und Präsentationsmittel. Salzburger Geographische Materialien 22: 65-66. 203 ERVIN, S. M. (2001): Digital landscape modeling and visualization: a research agenda. Landscape and Urban Planning 54 (1-4): 49-62. HACHMANN, R. (2004): Interaktive Landschaftsplanung in Königslutter am Elm. In: CORP 2004 – Computergestützte Raumplanung, TU Wien. 483-488. HEHL-LANGE, S. (1999): Ökologische Funktionen sichtbar gemacht. Garten + Landschaft 109 (11): 39-40. HOPPENSTEDT, A.; KRAMER, C. (1994): Simulierter Landschaftswandel. Garten + Landschaft 104 (10): 9-13. KIRCH, C. (1995): Der ansprechende Landschaftsplan. In: Der ansprechende Landschaftsplan. Schöne Worte – Bunte Pläne? – Arbeitsmaterialien 29, Institut für Landschaftspflege und Naturschutz der Universität Hannover. KUNZE, K.; V. HAAREN, C.; KNICKREHM, B.; REDSLOB M. (2003): Stand und Perspektiven der Landschaftsplanung in Deutschland IV: Einsatzmöglichkeiten und Chancen der neuen Medien in der kommunalen Landschaftsplanung. Natur und Landschaft 78 (1): 23-29. LANGE, E. (1999): Our Visual Landscape. Bemerkungen zur „Conference on Visual Resource Management“ auf dem Monte Verità und zur Stellung von Landschaftsbild und Landschafts- visualisierung in Forschung und Praxis. DISP 139: 4-7. LANGE, E. (1999): Thema Visual Landscape. Garten + Landschaft 109 (11): 9. LANGE, E. (1999): Realität und computergestützte visuelle Simulation. Eine empirische Unter- suchung über den Realitätsgrad virtueller Landschaften am Beispiel des Talraums Brunnen/ Schwyz. vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich. Berichte zur Orts-, Regional- und Landesplanung, 106. LANGE, E. (1994): Integration of Computerized Visual Simulation and Visual Assessment in Envi- ronmental Planning. Landscape and Urban Planning 30: 99-112. LANGE, E.; BISHOP I.D. [Hrsg.] (2001): Our Visual Landscape. Landscape and Urban Planning, Vol. 54, Issues 1-4, special issue. MILCHERT, J. (1998): Von den Bildern, der Kunst und dem Spielen. Stadt + Grün, 47 (4): 242- 246. NESTMANN, U. (1993): Simulationstechniken als Hilfsmittel der Landschaftsbildbewertung im Planungsprozess. NNA-Berichte 1: 9-11. NEUGEBAUER, B. (1999): Mediation in der Landschaftplanung. Alternative Konfliktregelungs- verfahren zur Effizienzsteigerung der Landschaftsplanung. Naturschutz und Landschaftspla- nung 31 (1): 12-18. ORLAND, B. (1992): Evaluating Regional Changes on the Basis of Local Expectations: A Visuali- zation Dilemma. Landscape and Urban Planning 21: 257-259. PAAR, P.; REKITTKE, J. (1997): Farbe bekennen – Farbgestaltung von naturschutzfachlichen Kar- ten. Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg, 6 (1): 28-34. PAAR, P.; REKITTKE, J. (2003): Geplante Landschaft – wie sie der Spaziergänger kennt. Lenné3D – Entwicklung eines Programms zur Landschaftsvisualisierung. Stadt + Grün 52 (11): 26- 30. REKITTKE, J.; PAAR, P. (2005): Enlightenment Approaches for Digital Absolutism – Diplomatic Steping-Stones Between the Real and the Envisioned. In: BUHMANN, E., PAAR, P., BI- SHOP, I.D.; LANGE E. (eds.) Trends in Real-time Visualization and Participation; Proc. at Anhalt University of Applied Sciences, Heidelberg, Wichmann, pp. 210-224. REKITTKE, J.; PAAR, P.; COCONU, L. (2004): Dogma 3D. Grundsätze der non-photorealisti- schen Landschaftsvisualisierung. Stadt + Grün 53 (7): 15–21. REKITTKE, J. (2001a): Landschaft via Interface – zum Einfluß neuer Medien auf zukünftige Land- schaftsbilder. In: PAAR, P.; STACHOW U. [Hrsg.], Visuelle Ressourcen – übersehene ästhe- tische Komponenten in der Landschaftsforschung und -entwicklung, Selbstverlag, Münche- berg (ZALF-Berichte, 44): 97-112. 204 REKITTKE, J. (2001b): Landschaft 1.0. Erörterung der theoretischen Eignung von Landschaft, in der digital generierten virtuellen Realität dargestellt, vermittelt und erlebt zu werden. Disser- tation, RWTH Aachen. SACHS-HOMBACH, K.; REHKÄMPFER, K. [Hrsg.] (1998): Bild, Bildwahrnehmung, Bildverar- beitung. Interdisziplinäre Beiträge zur Bildwissenschaft. Wiesbaden: Deutscher Universitäts- verlag. SCHMIDT, G. (1997): Der Schein des Überflusses. Garten + Landschaft.107 (12) 22-25. SHEPPARD, S. R.-J. (1999): Regeln für die Nutzung der digitalen Kristallkugel. Garten + Land- schaft. 109 (11): 28-32. SLATER, M.; STEED A. (2000): A virtual presence counter. Presence, Teleoperators and Virtual Environments, 9: 413-434. UEHLEIN, U. (2000): Schlaglichter der graphischen Semiotik – Ihr Beitrag zur Effektivierung der Planzeichengenerierung in der Landschaftsplanung. In: GRUEHN, D.; HERBERG, A.; RO- ESRATH, C. [Hrsg.], Naturschutz und Landschaftsplanung: moderne Technologien, Metho- den und Verfahrensweisen; Festschrift zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Hartmut Kenneweg. Mensch-und-Buch, Berlin. WERNER, A.; DEUSSEN, O.; DÖLLNER, J.; HEGE, H.-C.; PAAR, P.; REKITTKE J. (2005): Lenné3D – Walking through Landscape Plans. In: BUHMANN, E., PAAR, P., BISHOP, I.D.; LANGE, E. (eds.): Trends in Real-time Visualization and Participation. Proc. at Anhalt Uni- versity of Applied Sciences, Wichmann, Heidelberg. 48-59. Infosystem Planung – Lieferbare Schriften www.isp.uni-kassel.de Bezugsadresse: Universität Kassel, Fachbereich 6 Infosystem Planung, Henschelstraße 2, 34127 Kassel Telefon: 0561/ 804-2016, Fax: 0561/ 804-2232 E-mail: info-isp@uni-kassel.de Auf die Preise werden Porto und Verpackung berechnet VERÖFFENTLICHUNGEN ASL Wegbeschreibungen (Festschrift) 14,00 Invention und Intervention, Seminarbericht Sommersemester 2003 18,00 Monu-magazin on urbanism, Heft 1: Paid Urbanism, 6,00 Monu-magazin on urbanism, Heft 2: Middle Class Urbanism 6,00 Monu-magazin on urbanism, Heft 3: Political Urbanism 6,00 Monu-magazin on urbanism, Heft 4: Denied Urbanism 6,00 Monu-magazin on urbanism, Heft 5: Brutal Urbanism 6,00 Stadtumbau Konkret – Das Fallbeispiel Leipzig 6,50 Am schönsten sind nach alledem die Entwürfe des Esels 14,00 Selbst gebaute Nachbarschaft 12,00 Wieviel „gebauter“ Krieg steckt in der Stadt 11,00 Die besten Diplomarbeiten 2004–05 21,30 ONLINE-VERÖFFENTLICHUNGEN Stadt-Planung-Studium, Perspektive 21 http//: opus.uni-kassel.de/opus/volltexte/2004/91 Die Zeitschrift (Magazin) als Portal unter: http//: opus.uni-kassel.de/opus/volltexte/2005/198/ Heft 1 Monu, Paid Urbanism http//: opus.uni-kassel.de/opus/volltexte/2005/199/ Heft 2 Monu, Middle Class Urbanism http//: opus.uni-kassel.de/opus/volltexte/2005/200/ Heft 3 Monu, Political Urbanism http//: opus.uni-kassel.de/opus/volltexte/2005/201/ Heft 4 Monu, Denied Urbanism http//: opus.uni-kassel.de/opus/volltexte/ SCHRIFTENREIHE S 10 O m – Der Beginn der Landschaft 6,96 S 11 Die Fahrt nach Tahiti 3,75 S12/13 Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Stadt Kassel Bd I + II 16,59 S 15 Die verpaßte Stadt 6,96 S 16 Agrarfabriken oder bäuerliche Wirtschaftsweise 5,00 S 17 Stadt und Raum 1933–1949 11,02 S 20 Das Zebra streifen 8,35 S 23 Verkehr und Modernisierung 13,38 S 24 Freiraumführer von Kassel – Parks und Plätze 17,98 S 25 Freiraumqualität statt Abstandsgrün Band 1 13,38 S 26 Freiraumqualität statt Abstandsgrün Band 2 17,33 S 27 Klangorte 15,00 S 28 Regionale Prozesse gestalten – Handbuch für Regionalmanagement und Regionalberatung 39,00 S 29 Bedeutung und Arbeitsfelder von Freiraum - und Landschaftsplanerinnen SCHRIFTENREIHE ARCHITEKTUR Heft 20 Privatheit – Privater Raum 9,84 Heft 21 Organisierte Planung im Bestand 12,63 Heft 22 Wohn-Dichte Zwei Komma Null 11,77 Heft 23 Stahl im Kirchenbau in Deutschl. nach 1945 26,22 Heft 24 Wieviel Platz braucht der Mensch? 8,35 Heft 25 Karlsplatz – Enge und Weite in der Stadt 10,91 Architekturtheorie & Entwerfen 1997–2003 3,60 From Theory to Architectural Gesture: A Stroll With Daniel Libeskind 22,00 ARBEITSBERICHTE A 106 Bedürfnisse in der Planung der Städte 9,84 A 110 Radikale Parks brauchen radikale Freiflächen 7,28 A 111 Festsetzungen in Bebauungsplänen 7,28 A 112 Giftweiber 8,03 A 113 Ein-Sicht ist der erste Schritt 8,03 A 114 Weiß – Rein – Klar – Hygienevorstellungen des Neuen Bauens und ihre soziale Vermittlung durch die Frau 8,35 A 115 Nachhaltigkeit und Effizienz – Aktuelle Beiträge zur Verkehrsplanung 8,35 A 116 Gewalt – ein Thema für die Stadt- und Landschaftsplanung? 6,96 A 117 Sind Baulandreserven Reserven? 12,31 A 118 Klima + Luft in der Planung 3,00 A 119 Gestapelte Fahrzeuge 11,24 A 120 Die ganze Siedlung 8,35 A 122 Transitorische Gärten 16,05 A 123 Konversion – Segen oder Fluch? 8,35 A 125 Landschaftsökologischer Hochwasserschutz 6,96 A 126 Die öffentliche Toilette als Zivilisationsprodukt 7,28 A 127 Vom Discobus zum Nachtbus 8,35 A 129 GropiusStadt 7,28 A 130 Die Angst ausRäumen 8,35 A 131 Bioklimakarte Nordhessen 8,35 A 133 Die Novellierung des Baugesetzbuches 16,59 A 134 Mädchenbeteiligungsprojekte im öffentlichen Raum 6,96 A 135 Planerinnenreader 1998 16,59 A 136 Fluß und Wald – Zur Landschaftsgeschichte Niederaltaichs 10,49 A 137 Wohnungspolitik in der alten Frauenbewegung 19,80 A 140 Konzepte für einen „urbanen“ Städtebau 12,84 A 141 GEHEN – Ein Essay über ein leibliches Phänomen 8,77 A 142 Bilder für Brachen 21,40 A 143 Dorf und Landschaft 2000 8,77 A 144 Spurensuche – Frauen in der Disziplingeschichte der Freiraum- und Landschaftsplanung 1700–1933 11,24 A 145 Stadt, Zuwanderung, Wohnen 16,69 A 146 Stadtluft macht frei – und unsicher 16,69 A 147 Zum Dilemma einer querschnittsorientierten Fachplanung 18,19 A 148 Revitalisierung von Kasseler Industriebrachen 15,00 A 149 Frauen in der Geschichte der Gartenkultur 10,49 A 150 Europäisches Planungsrecht 11,30 A 151 Natur- und Sozialverträglichkeit des Integrierten Obstbaus 23,00 A 152 Schließe die Augen, damit du sehen kannst 8,50 A 153 Zukunft Landschaft 12,50 A 154 Stark allein oder gemeinsam stärker? 12,50 A 155 Endstation Eigenheim 13,50 A 156 Bibliographie über Leberecht Migge 15,00 A 157 Ballungsräume und ihre Freiräume 8,00 A 158 Regionen Aktiv – Neue Wege in der Regionalförderung? 12,00 A 159 Mit Bewohnern rechnen – Nachhaltige Modernisierung von Wohnsiedlungen im Dialog mit den Mietern 14,00 A 160 Toronto – Migration als Ressource der Stadtentwicklung 15,60 A 161 The Genesis of Urban Landscape. The Pearl River Delta in South China 21,00 A 162 Prag, Warschau und Dublin - Städte im Aufbruch 12,00 A 163 Landschaft in einer Kultur der Nachhaltigkeit Bd. I Zu den Autoren Ulrich Bielefeld, Dipl.-Ing. Landschaftsarchitekt BDLA. Studium an der TU Berlin. Autor verschiedener Pilot-Landschaftsplanungen in Rheinland-Pfalz (1986-2006) mit Entwicklung von Planungs- und Bewertungsmethodiken zum Landschaftsbild, veröf- fentlicht durch das Ministerium für Umwelt und Forsten Rheinland-Pfalz und das Bun- desamt für Naturschutz, Leipzig (i. Bearb.). Ulrich Eisel, Prof. Dr. Studium der Geographie, Soziologie und Politologie an der FU Berlin. Danach wissenschaftlicher Mitarbeiter an der FU Berlin und an der Uni- versität Osnabrück. Ab 1985 Professor an der TU Berlin, emeritiert. Fachgebiet „Kul- turgeschichte der Natur“ im Studiengang „Landschaftsplanung“. Arbeitsschwerpunkte: Geschichte der Idee der Landschaft; Konstitutionsweisen der Natur in Geographie und Ökologie; Wissenschaftstheorie der beschreibenden Naturwissenschaften. Hildegard Eissing, Dipl.-Ing. Landespflege. Referentin für den Aufgabenbereich „Naturschutz und Gesellschaft“ im Ministerium für Umwelt, Forsten und Verbraucher- schutz des Landes Rheinland-Pfalz. Beate Jessel, Prof. Dr. Studium der Landespflege an der TU München, danach Tätig- keiten in einem Planungsbüro und an der Bayerischen Akademie für Naturschutz und Landschaftspflege. Von 1999-2006 Professorin für Landschaftsplanung an der Univer- sität Potsdam, seit April 2006 Lehrstuhlinhaberin für Strategie und Management der Landschaftsentwicklung (Allianz-Stiftungsprofessur) an der TU München. Stefan Körner, Prof. Dr. Studium der Landschaftsplanung an der TU Berlin, danach Tätigkeit als Landschaftsarchitekt. 1994-2001 Wissenschaftlicher Assistent am Lehr- stuhl für Landschaftsökologie der TU München und zeitgleich Promotion an der TU Berlin. Von 2001-2005 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Stadtökologie der TU Berlin. Seit Oktober 2005 Professor für Landschaftsbau/Vegetationstechnik an der Universität Kassel (Stiftungsprofessur des Bundesverbandes Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau). Dietrich Kraetzschmer, Dipl. Ing. Studium der Landespflege in Hannover. Seit 15 Jahren bei der Planungsgruppe Ökologie + Umwelt in Hannover. Tätigkeitsschwer- punkte Umweltverträglichkeitsstudien, Strategische Umweltprüfung in Praxis und Me- thodenentwicklung, teils auch in internationalen Zusammenhängen, Landschafts- und Grünordnungsplanung, Beratungsaufgaben. Werner Nohl, Prof. Dr. Studium der Landschaftsarchitektur und des Städtebaus in Berlin und Berkeley/USA. Freier Landschaftsarchitekt mit einem Büro in Kirchheim bei München und Honorarprofessor der Technischen Universität München. Öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Landschaftsästhetik und Erholungswe- sen. Philip Paar, Dipl.-Ing. Landschaftsplanung. Geschäftsführer der Lenné3D GmbH. Von 2000-2005 Projektmanager der von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderten Projekte „Machbarkeitsstudie für ein Visualisierungstool“ und „Lenné3D“. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an verschiedenen Instituionen u.a. am Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF), am Zuse-Institut Berlin (ZIB) und im Bundes- amt für Naturschutz. Michael Roth, Dipl.-Ing. Landschaftsplanung. Mitarbeit an Forschungsprojekten zur Landschaftsbildbewertung an der TU Berlin, Dissertationsthema „Validierung von Verfahren zur Bewertung des Landschaftsbildes“. Arbeitsschwerpunkte: Theorie und Methodik der Landschaftsplanung, Landschaftsbild(bewertung) in der Landschaftspla- nung, Landschaftsbild und Kulturlandschaft in Osteuropa, GIS-Einsatz in der Umwelt- planung, Einsatz neuer Medien in der Planung, partizipative Planungsinstrumente.