SCHRIFTEN ZUM DEUTSCHEN UND EUROPÄISCHEN ZIVIL-, HANDELS- UND PROZESSRECHT Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. h. c. F. W. Bosch, Bonn Prof. Dr. H. F. Gaul, Bonn Prof. Dr. o. Sandrock, Münster Band 137 VERLAG ERNST UND WERNER GIESEKING, BIELEFELD Die Heranziehung Unterhaltspflichtiger bei langwährender Pflegebedürftigkeit Volljähriger nach BSHG und BGB von Dr. Andreas Hänlein 1992 VERLAG ERNST UND WERNER GIESEKING, BIELEFELD Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Hänlein, Andreas: Die Heranziehung Unterhaltspflichtiger bei langwährender Pfle- gebedürftigkeit Volljähriger nach BSHG und BGB / von Andreas Hänlein. - Bielefeld: Gieseking, 1992 (Schriften zum deutschen und europäischen ZiviI-, Handels- und Prozeßrecht; Bd. 137) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Diss., 1991 ISBN 3-7694-0237-5 NE:GT 1992 Verlag Ernst und Werner Gieseking GmbH, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Es ist auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege ohne Genehmigung des Verlages zu vervielfältigen. Druck: Graphischer Betrieb LN. Schaffrath, Geldern Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 1991 von der Juristischen Fa- kultät der Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Danken möchte ich vor allem meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Albrecht Dieckmann, der in zahlreichen Gesprächen die Entstehung dieser Arbeit begleitet hat. Herrn Professor Dr. Manfred Löwisch danke ich für die Fertigung des Zweitgut- achtens. Das Evangelische Studienwerk Villigst e. V. hat mich während der Anfertigung dieser Doktorschrift durch die Gewährung eines Stipendiums unterstützt. Der C. F. Müller Verlag GmbH, Heidelberg, hat den Carl-von-Rotteck-Preis gestif- tet, mit dem die Arbeit ausgezeichnet wurde. Die damit verbundene finanzielle Zuwendung hat die Drucklegung erheblich erleichtert. Nicht zuletzt gilt mein Dank den Herausgebern der "Schriften zum Deutschen und Europäischen Zivil-, Handels- und Prozeßrecht", die die Doktorschrift in ih- re Schriftenreihe aufgenommen haben. Freiburg im Breisgau, Februar 1992 Andreas Hänlein Inhaltsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. XIII Einleitung 1. Rechtspolitischer Standpunkt der Arbeit 2. Gang der Darstellung . Teil A: Vorbereitender Teil 1 5 Kapitel t: Begrifflichkeit I Eingrenzung der Fragestellung 1. Begriff der "langwährenden Pflegebedürftigkeit" 9 2. Pflegeaufwand 10 Kapitel 2: Dimensionen des Problems »Pflegebedürftigkeit" 1.Vorbemerkung 12 2. Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit in der sozialen Wirklichkeit 12 2.1. Anzahl der Pflegebedürftigen 12 2.2. Lebenssituationen Pflegebedürftiger . . . 13 2.2.1. Pflegebedürftige in häuslicher Pflege 13 2.2.2. Pflegebedürftige in stationärer Pflege 15 2.3. Einkommenssituation Pflegebedürftiger 17 2.4. Pflegeaufwand 20 2.4.1. Aufwand bei häuslicher Pflege 20 2.4.1.1. Betreuungsaufwand bei Familienpflege 20 2.4.1.2. Finanzielle Belastung der Pflegehaushalte 21 2.4.1.3. Aufwand alleinstehender Pflegebedürftiger 22 2.4.1.4. Finanzieller Aufwand der Sozialhilfeträger 22 2.4.2. Aufwand bei Heimpflege 23 2.4.2.1. Kosten stationärer Pflege 23 2.4.2.2. Aufwand der Sozialhilfeträger 24 2.4.2.3. Aufwand der Angehörigen . . 24 VIII Inhaltsverzeichnis 3. Pflegebedürftigkeit in der forensischen Praxis 3.1.Pflege alter Menschen 3.1.1. Ambulante Pflege . 3.1.2. Stationäre Pflege . . . . . . . 3.2. Pflegebedürftige mittleren Alters 3.2.1. Ambulante Pflege . 3.2.2. Stationäre Pflege . . . . . . . 3.3. Pflegebedürftige volljährige Kinder 3.3.1. Ambulante bzw. teilstationäre Pflege 3.3.2. Vollstationäre Pflege . Teil B: Sozialhilferechtlicher Teil 25 25 25 26 26 26 27 27 27 27 Kapitel 3: Überblick über das Recht der Pflegeleistungen nach dem BSHG 1. Hilfe zur Pflege: Art und Umfang der Hilfe 29 1.1. Bestimmung der Bedarfslage 29 1.2. Art der Bedarfsdeckung 31 1.2.1. Ambulante Pflege 31 1.2.1.1. Leistungen bei einfacher Pflegebedürftigkeit 32 1.2.1.2. Leistungen bei erheblicher Pflegebedürftigkeit 35 1.2.1.3. Leistungen bei außergewöhnlicher und bei Schwerstpflegebedürftigkeit 39 1.2.1.4. Hilfe zum Lebensunterhalt 39 1.2.2. Stationäre Pflege . . . . . . . . . . . . . . . 40 1.2.2.1. Ausreichen der nicht-stationären Pflege 40 1.2.2.2. Umfang der stationären Pflege 41 1.2.3. Teilstationäre Hilfe 42 2. Vergleichbare Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte . . . . . . 42 2.1. Bedarfslage 42 2.2. Art der Bedarfsbefriedigung 42 3. Bedürftigkeit bei der Hilfe zur Pflege 43 3.1. Allgemeine Bedürftigkeit 43 3.2. Spezielle Bedürftigkeit 44 3.2.1. Einkommensbegriff 44 3.2.1.1. "Wartung und Pflege" als Einkommen? 44 3.2.1.2. Alterssicherungskosten Selbständiger 46 3.2.2. Einsatz des Einkommens 46 3.2.2.1. Einkommensgrenze 46 3.2.2.2. Regeln über den Einsatz des Einkommens 47 3.2.2.2.1. Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze (§ 84 BSHG) 47 3.2.2.2.2. Einsatz des Einkommens unter der Einkommensgrenze (§ 85 BSHG) 48 Inhaltsverzeichnis 3.2.3. Einsatz des Vermögens . 4. Bedürftigkeit bei der Eingliederungshilfe für Behinderte 5. Auswirkungen der Gesundheitsreform 5.1. Regelung des SGB-V . 5.2. Verhältnis zu den Leistungen der Sozialhilfe 5.3. Fazit . Kapitel 4: Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 1. Abwälzungswege . 2. Abwälzungshindernisse . 2.1. Überleitungshindernisse 2.1.1. Zeitliche Deckungsgleichheit 2.1.2. § 90 I 3 BSHG: "kausale Verknüpfung" 2.1.3. § 91 I 1 BSHG . 2.1.4. § 91 12 BSHG . 2.1.5. § 91 111 1 BSHG (Härteklausel) 2.1.5.1. Zur besonderen Härteklausel 2.1.5.1.1. Auslegung der besonderen Härteklausel durch das Bundesverwaltungsgericht . 2.1.5.1.2. Inanspruchnahme von Einkommen in der Praxis 2.1.5.1.3. Inanspruchnahme von Vermögen in der Praxis 2.1.5.2. Zur allgemeinen Härteklausel . 2.1.5.2.1. Allgemeines zur allgemeinen Härteklausel . . . 2.1.5.2.2. Härtekonstellationen bei Pflegefällen 2.1.5.2.2.1. Heranziehung von Kindern für ihre Eltern 2.1.5.2.2.2. Heranziehung von Eltern für 18 bis 21 jährige behinderte Kinder, die stationär versorgt werden . 2.1.5.2.2.3. Heranziehung von Eltern behinderter Kinder für Hilfe zum Lebensunterhalt . 2.1.5.2.2.4. Heranziehung geschiedener Ehegatten . 2.1.6. § 91 1112 BSHG . 2.1.7. Unzulässige Umgehung von Überleitungshindernissen . 2.2. "Heranziehungsempfehlungen" des Deutschen Vereins 2.3. Grenzen der Vermutungsregel des § 16 BSHG 3. Exkurs zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins 3.1. Zur Geschichte der Empfehlungen . 3.2. Zusammensetzung des Arbeitskreises . 3.3. Inhalt, Aufbau und Bedeutung der Empfehlungen 3.4. Sonstige Empfehlungen . Teil C: Unterhaltsrechtlicher Teil Kapitel 5: Unterhaltsansprüche Pflegebedürftiger im Recht des Verwandtenunterhalts 1.Pflegeaufwand als unterhaltsbeachtlicher Bedarf 1.1. Gesamter Lebensbedarf . IX 51 55 56 56 57 59 60 62 62 62 64 67 69 74 75 75 77 82 83 83 84 84 85 88 89 90 90 92 94 96 96 97 98 98 99 100 x Inhaltsverzeichnis 1.2. Sonstige Bedarfsbegriffe . 1.3. Deutungsspielräume . . . . . . . . . . . . . 1.3.1. Das "Sonderbedarfsargument" desAG Hagen 1.3.2. Zum Parallelproblem bei § 1708 I 2 BGB a.F. 1.3.3. "Temporäre Natur von Unterhaltsleistungen" 1.3.4. Opfergrenze . 1.3.5. Fazit . 1.4. Berechnung des Bedarfs 1.5.Art der Bedarfsbefriedigung 2. Probleme der Anrechnung von Einkommen und Vermögen 2.1. Einsatz des Einkommens . 2.1.1. Grundsatz umfassender Anrechnung der Einkünfte . . 2.1.2. Anrechnung von Einkünften aus Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte . 2.1.3. Zur Anrechnung pauschal bemessener, pflegefalltypischer Sozial- leistungen, insbesondere der Grundrente nach dem BVG . 2.1.3.1. Rechtslage nach bisherigem Recht . 2.1.3.2. Auswirkungen des "Gesetzes zur unterhaltsrechtlichen Berech- nung vonAufwendungen für Körper und Gesundheitsschäden" 2.2. Einsatz des Vermögensstammes 3. Leistungsfähigkeit bei Pflegeunterhalt 3.1. Allgemeines zum Selbstbehalt 3.2. Ansatz des AG Hagen ("erhöhter Selbstbehalt") 3.3. Rechtsprechung zu § 1708 I BGB a. F. als Vorbild? 3.4. Variable Opfergrenze in der bisherigen Diskussion 3.4.1. Einkommensabhängiger Selbstbehalt . 3.4.2. Erhöhter Selbstbehalt in Abhängigkeit von der Art der Mittel . 3.4.3. Erhöhter Selbstbehalt gegenüber Ausbildungsbedarf 3.5. Variable Opfergrenze bei Pflegeunterhalt .. 3.5.1. Vorschlag für Pflegeunterhalt . . . . . . . 3.5.2. Methodische Zulässigkeit des Vorschlags 3.5.3. Praktische Umsetzung des Vorschlags 3.5.4. Folgeprobleme . . . . . . . . . . . . . Kapitel 6: Unterhaltsanspriiche Pflegebedürftiger im Recht des nachehelichen Unterhalts 1. Unterhaltsrechtliche Beachtlichkeit des Pflegebedarfs 1.1. Allgemeine Regeln der Bedarfsberechnung 1.1.1. Maß und Inhalt des nachehelichen Unterhalts 1.1.2. Berechnung des Unterhalts . 1.2. Bestimmung des Bedarfs bei Pflegebedürftigkeit l .2.1. Pflegebedürftigkeit schon bei währender Ehe 103 104 104 106 107 108 111 111 112 114 115 115 115 117 117 120 122 123 123 125 126 127 127 128 128 129 129 130 131 131 133 133 133 135 136 136 Inhaltsverzeichnis XI 1.2.1.1. Deckung des Pflegebedarfs aus eigenen Mitteln 137 1.2.1.2. Auswirkungen des Bezugs pflegefalltypischer Sozialleistungen, insbesondere einer Grundrente nach dem BVG 139 1.2.1.2.1. Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1578a BGB 139 1.2.1.2.2. Rechtslage seit Inkrafttreten des § 1578a BGB 141 1.2.2. Nacheheliche Pflegebedürftigkeit 141 2. Bedürftigkeit des pflegebedürftigen früheren Ehegatten .. 143 3. Leistungsfähigkeit bei Pflegebedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers 146 3.1. Allgemeine Regeln zur Leistungsfähigkeit des Schuldners 146 3.2. § 1581 BGB bei Pflegeunterhalt 147 4. Kürzungsmäglichkeiten 149 4.1. § 1573 V BGB .. 149 4.2. § 1578 12 BGB 150 4.3. § 1579 Nr. 7 BGB ... 152 4.3.1. Anwendung des § 1579 N r. 7 BGB bei Pflegebedürftigkeit vor der Scheidung 152 4.3.2. Einsatz des § 1579 Nr. 7 BGB bei nachehelicher Pflegebedürftigkeit 157 4.3.3. Verlagerung der Unterhaltslast wegen Anwendung der Härteklausel 158 5. Analoge Anwendung von § 1579 Nr. 7 BGB im Recht des Verwandtenunterhalts? 159 6.Art der Bedarfsbefriedigung 159 7.Fazit 159 Teil D: Sozialhilferechtliche Schutzvorschriften und Unterhaltsrecht Kapitel 7: Ausstrahlung 1. Zur Ausstrahlung des § 91 I 1 BSHG in das Unterhaltsrecht 1.1. Diskussionsstand zum "A usstrahlungsproblem" 1.1.1. Ausstrahlungsanhänger 1.1.2. Ausstrahlungsgegner 1.2. Stellungnahme . 1.3. Folgeprobleme . 2. Ausstrahlung anderer Rückgriffsschranken 2.1.§9112BSHG . 2.2. § 91 III 1 BSHG . 2.3. Regeln der "Heranziehungsempfehlungen" 3. Zusammenfassung . Ausblick 1.Vorbemerkung . 2. Sozialrechtliche Reformansätze . 2.1. Derzeitiger Diskussionsstand . 2.2. Auswirkungen des Modells aus Rheinland-Pfalz 162 163 163 164 166 171 174 174 179 180 181 183 184 184 186 XII Inhaltsverzeichnis 2.3. Auswirkungen des Modells aus Baden-Württemberg 2.4. Auswirkungen des "Blüm"-Modells 2.5. Fazit . 3. Überblick über die Diskussion zur Reform des Verwandtenunterhaltsrecht . 3.1. Vorstoß des "Deutschen Vereins" in den siebziger Jahren 3.2. Rechtspolitischer Kongreß der SPD 3.3. 69. Deutscher Fürsorgetag 3.4. Weitere En twicklung . 3.5. Fazit und Reformvorschlag . . . . . 4. Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlußbemerkung Literaturverzeichnis 186 187 188 189 189 191 191 192 193 195 197 Abkürzungsverzeichnis Das Abkürzungsverzeichnis führt vor allem die weniger bekannten Abkürzungen auf. Im übrigen wird auf die gängigen Abkürzungsverzeichnisse verwiesen. ArchSozArb BWSHR BldW BVO DV FAG FEVS FGB GDV GHVO GRG LKrO LPK LWVG NDV RFV RGr RegE RsDE SchwbWV SRH Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit Baden- Württembergische Sozialhilferichtlinien Blätter der Wohlfahrtspflege Beihilfeverordnung Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge Finanzausgleichsgesetz Baden-Württemberg Fürsorgerechtliche Entscheidungen der Verwaltungs- und Sozialgerichte Familiengesetzbuch DDR vom 20.12.1965 (GBl I 1966, Nr. 1,1) i. d. F. des Einführungsgesetzes vom 19. 6. 1975 zum Zivilgesetzbuch der DDR (GBI I Nr. 27, 517) Gutachten des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge Gemeindehaushaltsverordnung Baden-Württemberg Gesundheitsreformgesetz 1989 Landkreisordnung Baden-Württemberg Lehr- und Praxis-Kommentar zum BSHG Landeswohlfahrtsverbandgesetz Baden -Württemberg Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (Reichs- )Verordnung über die Fürsorgepflicht Reichsgrundsätze über Voraussetzungen, Art und Maß der öffcntlichcn Fürsorge Regierungsen twu rf Beiträge zum Recht der sozialen Dienste und Einrichtungen Schwerbehindertenwerkstättenverordnung Sozialrechtshandbuch (Hrsg.: v. Maydell/Ruland) XIV TuP WuSt ZfF ZU ZfGerontol Abkürzungsverzeichnis Theorie und Praxis der sozialen Arbeit Wirtschaft und Statistik Zeitschrift für das Fürsorgewesen Zeitschrift für Jugendrecht Zeitschrift für Gerontologie Einleitung 1. Rechtspolitischer Standpunkt der Arbeit In der Bundesrepublik Deutschland gab es bereits 1978 ca. 2,5 Millionen Men- schen, die als "Pflegefälle" auf ambulante fremde Hilfe angewiesen waren. Die er- forderlichen Pflegeleistungen werden meist unter großen persönlichen Opfern von i. d. R. weiblichen Familienangehörigen erbracht - häufig über viele Jahre. Eine große Gruppe pflegebedürftiger Menschen ist stationär untergebracht - im Jahr 1984 ca. 260 000 Personen. Die stationäre Unterbringung verursacht er- hebliche Kosten. Ein Pflegeheimplatz kostet zur Zeit ca. 3500 DM im Monat. Mangels gesetzlicher Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit tragen die Kosten für häusliche und v. a. stationäre Pflege meist die Sozialhilfeträger, die sich aber bemühen, bei den Angehörigen Rückgriff zu nehmen. So werden in vie- len Fällen familiäre Spannungen und seelische Not erzeugt'). Das hiermit schlaglichtartig angesprochene Sozialproblem langwährender Pfle- gebedürftigkeit ist eine relativ neue Erscheinung. Das gilt zum einen für die AI- terspflegebedürftigkeit: Die Lebenserwartung ist stark gestiegen. Ein 60 Jahre al- ter Mann hat heute durchschnittlich weitere 17,26 Lebensjahre vor sich, eine 60jährige Frau sogar noch 21,72 Jahre - im Unterscheid zu 13,14 bzw. 14,17 Jah- ren zu Anfang des Jahrhunderts. Von 100 000 Lebendgeborenen wird heute 64489 Männern und 80 934 Frauen das Erreichen des siebzigsten Lebensjahres vorausgesagt. Das Alter von achzig Jahren werden von 100 000 Lebendgeborenen 32500 Männer und 55 656 Frauen (gegenüber 8987 Männern und 12 348 Frauen am Anfang des Jahrhunderts) erreichen"). I) Die rechtstatsächliche Seite der Fragestellung der Arbeit wird näher und mit Nachweisen in Kapitel 2 behandelt. 2) Statistisches Bundesamt, 67; Nach den gerade veröffentlichten neuesten Daten ist die Le- benserwartung noch weiter gestiegen: Im Durchschnitt können heute 60jährige Männer noch mit 15,3 Lebensjahren, 60jährige Frauen mit 22 weiteren Lebensjahren rechnen (Badische Zeitung vom 13./14.4.1991, S. 2). 2 Einleitung Es gilt aber: "Sinkende Sterblichkeit korreliert mit steigender Morbidität'"}, und damit auch mit einer steigenden Anzahl Pflegebedürftiger. Dazu kommt der medizinische Fortschritt, der es ermöglicht, viele Alters- krankheiten längere Zeit, aber in pflegebedürftigem Zustand zu überleben. Auch das längere Überleben z. B. der Bettlägerigkeit als solcher ist ohne die modernen medizinischen Standards nicht denkbar. Zum Umfang des gesamtgesellschaftli- chen Pflegebedarfs dürfte der medizinische Fortschritt auch aufgrund seiner frag- würdigen Seite beitragen, insofern die medizinischen Fertigkeiten heute oft in ei- ner Weise angewandt werden, die bisweilen als "menschenunwürdige Praxis ge- waltsamer Lebensverlängerung" charakterisiert wird"). Ein junges Phänomen ist zum anderen - zumindest teilweise - die langandau- ernde Pflegebedürftigkeit behinderter Kinder bzw. junger Erwachsener oder die- jenige von Menschen mittleren Alters, die Opfer eines Unfalls oder einer schwe- ren Krankheit geworden sind. Auch sie ist Folge des medizinischen Fortschritts. Man denke z. B. an die gestiegene Überlebensquote nach auch hohen Rückgrats- frakturen. Bei der gestiegenen Lebenserwartung sowie bei den Folgen des medizinischen Fortschritts handelt es sich um Umstände, die sich der Beeinflussung durch den einzelnen und seine Familie entziehen. Deshalb liegt es nahe, für die Folgen in Ge- stalt des entstehenden Pflegeaufwandes nicht in erster Linie die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen einstehen zu lassen, sondern "die Allgemeinheit". Nach- dem in der Bundesrepublik Deutschland schon seit anderthalb Jahrzehnten über die sozialrechtliche Absicherung des Pflegefallrisikos debattiert wird, ist zwar nach wie vor äußerst umstritten, in welcher Gestalt die "Allgemeinheit" in die Pflicht genommen werden soll: Als Gesamtheit der Steuerzahler, als Solidarge- meinschaft der pflichtversicherten Arbeitnehmer (unter finanzieller Mitwirkung der Arbeitgeber) oder als Risikogemeinschaft privater Zwangsversicherter. Allge- meine Einigkeit dürfte jedoch insoweit bestehen, als die Inpflichtnahme der An- gehörigen des Pflegebedürftigen für Pflegeaufwand als Mißstand angesehen wird"). In seinem für diese Arbeit bedeutsamen Urteil vom 14.12.1987 hat das AG Hagen den Meinungsstand daher wohl zutreffend so beschrieben: "Nicht von ungefähr ist es heute allgemein anerkannt, daß die Möglichkeit der Pflegebe- dürftigkeit ein Risiko darstellt, das alsbald in Form einer Pflegeversicherung abzudecken ist, wobei lediglich die Form dieser Versicherung im politischen Raum umstritten ist. Die- 3) Sieder, Probleme des Alterns, 169. 4) Spaemann, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. 8. 1990, 35. 5) Die Erkenntnis, daß die Verantwortung für Pflegcleistungen die Familie stark belastet und häufig überfordert, läßt das alte Sprichwort in einem neuen Sinn erscheinen, das lau- tet: "Ein Vattcr kan eher zehen Kinder ernehren, als zehen Kinder einen Vatter. (( (Herti- us D 25,3,5 paroemium 75; zit. bei: Krause, 112). Einleitung 3 se Überlegungen zeigen indessen, daß nach allgemeiner Überzeugung dieses Risiko nicht vom einzelnen und seiner Familie, sondern nur von einer großen Solidargemeinschaft an- gemessen getragen werden kann?"). Für diesen Standpunkt spricht nicht nur, daß die Dimensionen des Pflegepro- blems sich objektiven gesellschaftlichen Umständen verdanken, sondern einige weitere gute Gründe: a) Zum einen ist auf die anderen allgemeinen Lebensrisiken zu verweisen, mit deren Bewältigung die Familie überfordert wäre: Für den allgemeinen Lebensunterhalt bei Invalidität und im Alter trägt die gesetz- liche Rentenversicherung Sorge, seit bei der Rentereform von 1957 das System der "faktischen Zuschußrente'") aufgegeben wurde. Auch das Risiko langwährender Krankheit ist sozialrechtlich abgesichert: Seit 1974 sieht das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung einen Rechtsanspruch auf zeitlich unbegrenzte Krankenhauspflege vor"), so daß versicherte Kranken- hausbehandlungsbedürftigkeit von "bloßer" nicht versicherter Pflegebedürftigkeit abzugrenzen ist") - eine Abgrenzung, die praktisch oft kaum plausibel vorzuneh- men und daher schon vielfach beklagt worden ist!"). Es ist nicht einzusehen, wieso für das inzwischen ebenfalls zum allgemeinen Le- bensrisiko gewordene Risiko der Pflegebedürftigkeit, das entweder großen Natu- ralpflegeaufwand oder sehr hohe Kosten verursacht, keine Risikostreuung statt- finden soll!"). b) Behält man die Verantwortlichkeit der Familie bei, setzt man zweitens auf deren permanente Überforderung!"). Wird die Pflege in natura erbracht, werden dadurch die Frauen der mittleren Generation an die Grenze ihrer physischen und psychischen Leistungsfähigkeit 6) AG Hagen, FamRZ 1988,755 (756) 7) SRH-Tennstedt, Rdnr. 105. 8) Aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung von Leistungen in der gesetzlichen Kranken- versicherung vom 19.12.1973 (BGBI. I, 1925). 9) vgl. BSG SozR 2200 § 184 RVO Nr. 11, 15, 27, 28 . Siehe auch die Darstellung von Schroeder-Printzen, ZSR 1978, 617. 10) Naendrup, ZSR 1982, 322 (336 - 342); aus sozialmedizinischer Sicht Viefhues, ZSR 1982, 357 - 365. ll) Bemerkenswert ist, daß dies ursprünglich auch der Standpunkt des Gesetzes war. Nach dem IVG und später nach der RVO konnte der Rentenversicherungsträger Mittel der Versicherung aufwenden, um Rentenberechtigte in einem Altenheim oder einer ähnli- chen Anstalt unterzubringen. Während der Unterbringung ruhte die Rente, konnte dem Berechtigten jedoch ganz oder teilweise belassen werden (so §§ 1307 RVO, 86 AVG, 89 BKG a. F.). Wegen der Kostenentwicklung im Heimbereich hatte die Ermessensvor- schrift anscheinend an Bedeutung verloren und wurde 1977 ohne viel Aufhebens gestri- chen (Durch Art. 2 § 1 Nr. 28 des 20. RAnpG v. 27.6.1977, BGBI 1,1040, vgl. auch BT- Drs 8/337, 92). 12) Vgl. dazu eingehend Kapitel 2 sub 2.4.1 (S. 20 ff). 4 Einleitung gebracht - und zwar in einem Lebensabschnitt, in dem viele Frauen schon ihrer- seits als junge Großmütter in Anspruch genommen werden. Geht es darum, Heimkosten den Privaten anzulasten, wird die mittlere Genera- tion i. d. R. zu einem Zeitpunkt getroffen, zu dem häufig noch hohe Unterhaltsla- sten für die Ausbildung der Kinder zu tragen sind - oder aber bis vor kurzem zu tragen waren - und zu dem die Schuldner schon das eigene Alter anvisierent-). c) Ferner bedeutet unterlassene Risikostreuung eine ungerechte Verteilung der Lasten: Wer das "Glück" hat, keine kranken Eltern oder keine behinderten Kinder zu haben, wird nicht weiter behelligt, denn es wird ihm nicht angesonnen, das Schicksal der weniger Glücklichen durch Zahlung von Steuern oder Beiträgen zu erleichtern. Überdies wird derjenige, der pflegebedürftige Angehörige zu unterhalten hat, gewissermaßen doppelt herangezogen, insofern er insbesondere über die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung ja ohnehin schon zum Unterhalt der Eltern- generation beiträgt!"). d) Als Argument mag schließlich die Rechtslage im benachbarten Ausland die- nen: In den skandinavischen Ländern, in England und seit etwa zwanzig Jahren in den Niederlanden ist der Kreis der Unterhaltsberechtigten erheblich kleiner als in Deutschlandt-). In Dänemark z. B. geht die Verpflichtung der Eltern zur Versorgung ihrer Kin- der nicht über die Zeit der Ausbildung hinaus. Auch eine Unterhaltspflicht von Kindern ist dort weder privat- noch öffentlichrechtlich anerkanntl"), so daß eine Heranziehung für Pflegeaufwand insbesondere alter Menschen nicht möglich ist. In jüngster Zeit hat man in Dänemark auf das Pflegeproblem mit dem aufse- henerregenden Konzept "Würdiges Altern" reagiert, das den Bau von Heimen un- tersagt und auf gemeindenahe, weitgehend kostenfreie Versorgung!") alter Men- schen setzt, die, solange es irgend geht, in einer eigenen Wohnung leben sollen!"). "Während bei uns immer noch davon ausgegangen wird, daß dem privaten Netz der Familie die vorrangige Funktion bei der Unterstützung und Betreuung älterer Menschen zukommt und professionelle Systeme gewissermaßen nur den letzten Notnagel bilden, geht das dänische System von einer weitreichenden Verantwor- 13) Ähnlich Leitner in Im/au/Leitner, 138. 14) Schulte, Perspektiven, 87. 15) Landfermann, RabclsZ 1971, 505 ff. 16) Landfermann, a.a.O., 513. 17) Die dem Sozialhilfebereich zuzuordnenden Aufwendungen werden den örtlichen und überörtlichen Trägern zu 50% durch das nationale Sozialministerium erstattet; Hottelet, 42. 18) Vgl. die Berichte in Badische Zeitung vom 30./31. 12. 1989, S. 3 und Süddeutsche Zeitung vom 16.2. 1990, S. 13 f. Einleitung 5 tung und Dienstleistung durch das professionelle System aus, das vom familiären System unterstützt wird. '(19) Das geltende Sozialrecht erkennt demgegenüber den "Pflegefall" nicht allge- mein als Versicherungsfall an, da seine Grundkonzeption aus einer Zeit stammt, in der die Pflegebedürftigkeit noch nicht zum allgemeinen Lebensrisiko geworden war. Daran haben auch die durch das Gesundheitsreformgesetz eingeführten Lei- stungen bei Schwerpflegebedürftigkeit nur wenig geändert. Nach wie vor tragen die Lasten die Sozialhilfeträger und die Unterhaltspflichtigen, wenn wie in der Re- gel der Pflegebedürftige selbst die Kosten nicht aufbringen kann. Daß die Belastung der Familie die schlechteste Lösung ist, ist der rechtspoliti- sche Standpunkt dieser Arbeit. Es soll in ihr in erster Linie darum gehen auszulo- ten, ob das geltende Recht Spielräume läßt, die man zur Entlastung der Angehöri- gen nutzen kann. 2. Gang der Darstellung Die Arbeit setzt ein mit einem Teil A, der vorbereitenden Charakter hat. Im er- sten Kapitel werden Fragestellung und Begrifflichkeit präzisiert. Kapitel zwei be- leuchtet die eingangs angedeuteten tatsächlichen Verhältnisse, auf die sich die spä- teren Überlegungen beziehen. Zunächst werden die Dimensionen des Sozialpro- blems "Pflegebedürftigkeit" in groben Strichen skizziert. Zum anderen werden die Sachverhalte ausgewählter Gerichtsentscheidungen vorgestellt, die die Problema- tik prägnant aufzeigen und auf die die Arbeit immer wieder Bezug nimmt. Im Mittelpunkt der Arbeit stehen die Rechtsregeln, mit deren Hilfe der Auf- wand bei langwährender Pflegebedürftigkeit Volljähriger Angehörigen zugescho- ben wird, sowie die Regeln, die diesem Mechanismus Grenzen ziehen. Dement- sprechend wird das Rückgriffsrecht der Sozialhilfeträger und aus dem privaten Unterhaltsrecht das Recht des Verwandten- und des nachehelichen Unterhalts daraufhin untersucht, inwieweit es die Inanspruchnahme Angehöriger ermöglicht, bzw. wo es potentielle Unterhaltsschuldner schont oder schonen könnte. Ein erheblicher Teil der untersuchten Rechtsfragen läßt sich anhand der er- wähnten Entscheidung des AG Hagen illustrieren-P), deren Sachverhalt bereits hier berichtet werden soll: Die Mutter M des Beklagten erhielt seit dem 1. 8. 1984 Hilfe zur Pflege in einer Einrich- tung seitens des zuständigen Sozialhilfeträgers. Sie lebte in einem Pflegeheim, Die monat- lichen Pflegekosten betrugen im Jahr 1986 durchschnittlich 3085 DM. M bezog eine Ren- 19) So das Sozialreferat der Stadt München, zit. im soeben erwähnten Bericht in der Süd- deutschen Zeitung. 20) FamRZ 1988, 755; vgl. oben bei Fn. 6; zu dieser Entscheidung ferner Kapitel 4 sub 2.1.4. c (5. 73 f) und 2.2.b (5.93 f) sowie Kapitel S sub 1.3. (5. 104 ff) und 3 (5. 123 ff). 6 Einleitung te i. H. v, 947,65 DM, ab 1. 7. 1986 968 DM. Die Rente wurde voll auf die Pflegekosten geleistet. Ungedeckt blieben Pflegekosten i. H. v. 2137,35 DM bzw. 2217 DM. Der Beklagte lebte mit seiner nicht berufstätigen Ehefrau in einer beiden Ehegatten gehö- renden großen Eigentumswohnung. Er hatte zwei Kinder, die sich in Ausbildung befan- den und für die er 120 DM Kindergeld erhielt. Sein monatliches Nettoeinkommen aus sei- ner Tätigkeit im öffentlichen Dienst belief sich 1986 auf 6282,58 DM. Berufsbedingte Aufwendungen sowie Beiträge zur Krankenversicherung fielen i. H. v. 714,46 DM an. Der Beklagte bezahlte monatlich 350 DM für seine Mutter. Der etwaige Unterhaltsan- spruch der M wurde durch Überleitungsanzeige übergeleitet. Der Sozialhilfeträger ent- schied, der Beklagte müsse 550 DM monatlich für seine Mutter bezahlen. Dementspre- chend klagte er einen monatlichen Unterhaltsbetrag i. H. v. 200 DM ein. Das Amtsgericht Hagen hat in seinem Urteil in bemerkenswerter Weise ver- sucht, den Beklagten vor der Inanspruchnahme zu schützen. Vor einer Analyse seines Lösungsansatzes drängt sich freilich die Frage auf, wieso es überhaupt zu diesem Rechtsstreit kommen konnte. Das BSHG ermöglicht zwar dem Sozialhilfeträger grundsätzlich den Rückgriff im Wege der Überleitung von Unterhaltsansprüchen. Die einschlägigen Vor- schriften (§§ 90, 91 BSHG) enthalten aber zahlreiche Rückgriffsbeschränkungen, die insbesondere bei der "Hilfe in besonderen Lebenslagen", zu der die "Hilfe zur Pflege" zählt, zum Zuge kommen: So sieht etwa § 91 I 2 BSHG gewisse "Freibe- träge" für den Unterhaltspflichtigen vor, und nach § 91 111 1 BSHG ist in Härte- fällen von einer Inanspruchnahme abzusehen. Zu dem Rechtsstreit beim AG Ha- gen konnte es nur kommen, wenn dem Beklagten diese rückgriffsbeschränkenden Vorschriften nicht helfen konnten. Diese Vorschriften stehen im Zentrum des so- zialhilferechtlichen Teils B der Arbeit. In Teil B Kapitel4 werden zunächst die Wege dargestellt, die der Sozialhilfeträ- ger einschlagen kann, um Kosten für Pflegeaufwand auf Angehörige "abzuwäl- zen". Die Überleitung nach § 90 BSHG ist der wichtigste, aber nicht der einzige Weg. Anschließend werden die Hindernisse behandelt, die - wie etwa die Härte- vorschrift des § 91 111 1 BSHG - diese grundsätzlich gangbaren Wege wieder ver- sperren. Diese Darstellung des "Abwälzungsrechts" wird allerdings erst verständlich, wenn man sich einen Überblick über das Recht der Pflegeleistungen nach dem BSHG verschafft hat, den Kapitel 3 gibt. Das Kapitel beschreibt zum einen, wel- che Ansprüche ein Pflegebedürftiger nach dem BSHG haben kann. Diese Ansprü- che setzen voraus, daß der Anspruchsteller im Sinne des BSHG "bedürftig" ist. Die Darstellung der Regeln über die Bedürftigkeit (§§ 76 - 88 BSHG) nimmt breiten Raum ein, da das Rückgriffsrecht diese Regeln für entsprechend anwend- bar erklärt, wenn Unterhaltspflichtige in Anspruch genommen werden sollen (§ 91 12 BSHG). Abschließend beschäftigt sich Kapitel 3 mit der Frage, inwieweit die neuen Pflegeleistungen nach dem SGB-V die Sozialhilfeträger entlasten. Einleitung 7 Nachdem die Darstellung in Teil B u.a. gezeigt hat, daß dem Beklagten im Fall des AG Hagen sozialhilferechtlich nicht geholfen werden konnte, wendet sich die Arbeit den Lösungsansätzen des AG Hagen zu: Der Rückgriff des klagenden Sozialhilfeträgers konnte nur Erfolg haben, wenn ein Unterhaltsanspruch der Mutter gegen ihren Sohn bestand. Das AG hat in der Hauptbegründung seines klagabweisenden Urteils in höchst unorthodoxer Weise den Standpunkt eingenommen, die Heimkosten seien nicht als unterhaltserhebli- cher Bedarf i. S. des § 1610 BGB anzusehen, es handele sich vielmehr um angeb- lich unbeachtlichen "unregelmäßigen Sonderbedarf". Der unterhaltsrechtliche Teil C der Arbeit beginnt mit einem Kapitel 5 zum Ver- wandtenunterhaltsrecht, in dem zunächst die Tragfähigkeit des restriktiven Be- darfsbegriffs des A G Hagen überprüft wird - mit negativem Ergebnis. Der demnach beachtliche Bedarf kann allerdings nur dann zu einem U nterhalts- anspruch führen, wenn ihn der Pflegebedürftige nicht aus eigenen Mitteln decken kann (§ 1602 BGB). Bei Sozialleistungen, die "abstrakt" bemessen werden wie et- wa die Grundrente nach dem BVG, ist mitunter fraglich, ob und inwieweit sie als Einkommen eingesetzt werden müssen. Dieses Anrechnungsproblem genießt be- sondere Aktualität, da es dem Gesetzgeber jüngst Anlaß zu einer Änderung des Unterhaltsrechts war: Das "Gesetz zur unterhaltsrechtlichen Berechnung von Aufwendungen für Körper- und Gesundheitsschäden" vom 15. 1. 1991 hat einen §1610 a BGB eingeführt, der die Anrechnung erschweren soll. Die Anrechnungsproblematik und die Auswirkungen dieses Gesetzes sind der wichtigste Gegenstand des 2. Abschnitts des 5. Kapitels, der Fragen der "Bedürf- tigkeit" untersucht, von deren Beurteilung die Inanspruchnahme der Unterhalts- pflichtigen ebenfalls abhängt. Der letzte Abschnitt des 5. Kapitels befaßt sich wieder mit dem Amtsgericht Ha- gen, das in einer Hilfsbegründung in einem einzigen Satz den richtungsweisenden Standpunkt eingenommen hat, bei der Inanspruchnahme wegen Pflegebedarfs sei dem Schuldner im Rahmen der Prüfung der "Leistungsfähigkeit" nach § 1603 I BGB ein höherer "Selbstbehalt" als sonst üblich zuzugestehen. Die Arbeit unter- nimmt es, diesen Standpunkt zu begründen. Wie im Fall des AG Hagen geht es in der Praxis meist um die Inanspruchnahme Verwandter. Es kommt jedoch auch vor, daß Pflegebedarf in Unterhaltsstreitig- keiten zwischen geschiedenen Ehegatten eine Rolle spielt. Kapitel 6 untersucht das Recht des nachehelichen Unterhalts darauf, inwieweit ein früherer Ehegatte für Pflegebedarf in Anspruch genommen werden kann, und welche besonderen Mechanismen ihn vor Lasten schützen, die dem Verantwortungsbereich der All- gemeinheit zuzuschreiben sind. Wie in Kapitel S geht es zunächst um die Frage, ob und inwieweit Pflegebedarf als unterhaltsbeachtlicher Bedarf anzusehen ist. Diese Frage ist nur dem auf § 1578 I 4 BGB beruhenden Anschein nach so zu be- urteilen wie nach § 1610 BG B. 8 Einleitung Im Anschluß daran werden die Fragen der "Bedürftigkeit" des Gläubigers und der "Leistungsfähigkeit" des Schuldners untersucht. Eine besondere Hilfe bieten dem Schuldner im nach ehelichen Unterhaltsrecht schließlich die Kürzungsvor- schriften in § 1578 I 2 sowie in § 1579 Nr. 7 BGB. Mit der Erörterung der Bedeu- tung dieser Vorschriften für Pflegelagen schließt Kapitel 6. Die in den Kapiteln 6 und 7 angestellten Erwägungen über die Möglichkeiten, potentiellen Unterhaltsschuldnern im Rahmen des Unterhaltsrechts Entlastung zu verschaffen, werden in Fällen praktisch bedeutsam, in denen die Schutzvor- schriften des Sozialhilferechts dem Schuldner keine Hilfe bieten. Es kommt demgegenüber auch vor, daß Unterhaltsschuldner in Anspruch ge- nommen werden, obwohlein Sozialhilfeträger mit seinem Rückgriff erfolglos blei- ben müßte. Angesprochen sind damit Konstellationen, in denen der Pflegebedürf- tige etwa aus Unkenntnis gar nicht erst an den Sozialhilfeträger, sondern sogleich an den Unterhaltsschuldner herantritt. Denkbar ist auch, daß Sozialhilfeträger ei- ne solche Vorgehensweise anregen. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die sozialhilferechtlichen Schutzvorschriften auch im Unterhaltsrecht Bedeutung erlangen, ob sie gewisser- maßen in das Unterhaltsrecht "ausstrahlen". Die Arbeit wird sich der These an- schließen, daß eine "Ausstrahlungswirkung" anzunehmen sei. Bestehe die Mög- lichkeit, rückgriffslose Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen, entfalle insoweit die unterhaltsrechtliche Bedürftigkeit. Bei der Erörterung dieser "Ausstrahlungsthe- se" spielen einerseits die sozialhilferechtlichen Regeln eine Rolle, die den Rück- griff beschränken. Andererseits ist sie systematisch der unterhaltsrechtlichen Vor- aussetzung der "Bedürftigkeit" zuzuordnen. Das ist der Grund, weshalb dem Pro- blemkomplex ein eigener Teil D (Kapitell) gewidmet wird, in dem zunächst Stel- lung zur bisherigen Diskussion bezogen wird, die in erster Linie § 91 I 1 BSHG betraf. Sodann wird die Ausstrahlungsthese auf die anderen, in Pflegelagen be- deutsameren Rückgriffshindernisse ausgedehnt. Die Arbeit schließt mit dem Kapitel ,,Ausblick", das die Frage untersucht, ob und in welchem Umfang die Ausführungen der Arbeit bedeutsam bleiben, wenn die sozial- bzw. unterhaltsrechtlichen Reformprojekte realisiert werden, die zur Zeit im Gespräch sind. In diesem Zusammenhang wird als "kleine unterhaltsrecht- liche Lösung" eine Änderung des § 1611 BGB vorgeschlagen. Das Kapitel endet mit einigen resumierenden Bemerkungen. Teil A: Vorbereitender Teil Kapitel 1: Begrifflichkeit/Eingrenzung der Fragestellung Vorweg muß bestimmt werden, was unter "langwährender Pflegebedürftigkeit" verstanden wird. Ferner ist festzulegen, welcher Aufwand in dieser Bedarfslage entstehen kann und in die Betrachtung einbezogen wird. 1. Begriff der "langwährenden Pflegebedürftigkeit CC Zweckmäßigerweise wird die Bestimmung des Begriffs der "langwährenden Pflegebedürftigkeit" zunächst unabhängig von den zu untersuchenden Rechtshe- reichen - "vorrechtlich" - vorgenommen. Auf diese Weise wird eine mögliche vorschnelle Verengung des Untersuchungsgegenstandes vermieden. Abgesehen davon ist das Gesetz auch nicht in der Lage, viel zur Begriffsklärung beizutragen. Das BSHG enthält in den §§ 68, 69 einschlägige Begrifflichkeit, zu der aber man- ches streitig ist. Das Bürgerliche Recht kennt den Begriff im Unterhaltsrecht nicht. Mit der "Betreuung und Pflege" in den §§ 1606 111 2, 1570 etc, ist die Ver- sorgung minderjähriger Kinder angesprochen, um die es in der Arbeit nicht geht. Lediglich das Erbrecht verwendet den Begriff im einschlägigen Sinn in § 2057 aI 2 BGB. Im allgemeinen betrachtet man jemanden als "pflegebedürftig'C, der für seine Exi- stenzerhaltung auf dauerhafte fremde Hilfe angewiesen ist 1) . Diese sehr allgemei- ne Bestimmung kann näher aufgefächert werden nach einzelnen Bedarfslagen, die verschiedene Leistungen erforderlich machen, die dem Sammelbegriff "Pflege'(2) zuzuordnen sind. Im Zusammenhang mit der Diskussion über die soziale Absi- cherung des Pflegefallrisikos sind insoweit verschiedene systematische Klärungs- versuche unternommen worden. Am intensivsten hat sich Jürgens in seiner Arbeit "Pflegeleistungen für Behin- derte" darum bemüht. Er faßt die bisherigen Ansätze') systematisierend zusam- 1) Socialdata, 23; IgI, 259. 2) Igl, ebd. 3) Zu ihnen[ürgens, 63 - 65. 10 Vorbereitender Teil men und gelangt zu einem Bedarfsraster, das seinem Zweck gerecht wird, die Pfle- gebedürftigkeit Behinderter, die ambulant oder stationär versorgt werden, zu er- fassen. Die Beschränkung auf Behinderte - unter Ausschluß der Alterspflegebe- dürftigkeit - dürfte die Komplexität seines Schemas nicht beeinträchtigent), Sein Bedarfsschema ist im übrigen fast deckungsgleich mit dem Indikatorensystem der Socialdatastudie"), auf die später die Rede kommt. Jürgens unterscheidet sechs Bedarfshinsichtene), von denen im folgenden drei zur Bestimmung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit verwendet werden sollen: a) Grundpflege. Sie besteht aus Hilfe bei der Körperpflege, beim Essen (Füt- tern), beim Ankleiden etc .. b) Behandlungspflege. Unter Behandlungspflege wird verstanden die Hilfe bei der Befriedigung von körperlichen und psychischen Grundbedürfnissen unter er- schwerten Bedingungen, so daß - nichtärztliche - Fachkenntnisse erforderlich sind. Man kann von Hilfsdiensten für den ärztlichen Aufgabenbereich sprechen"), c) Hauswirtschaftliche Versorgung. Hierzu gehört Hilfe zum Wäsche-Waschen, Kochen, Einkaufen etc.") Unter Pflegebedürftigkeit versteht diese Arbeit eine Situation, in der Hilfebe- darf bezüglich der Bedarfshinsichten a) bis c) gegeben ist. Meist werden die Hin- sichten a) bis c) zusammentreffen. Pflegebedürftigkeit liegt aber auch dann vor, wenn es um u. U. leichte Grund- oder Behandlungspflege geht, wobei dann zu- sätzlich Bedarf bezüglich hauswirtschaftlicher Versorgung bestehen sollte"). Ins- gesamt muß der Hilfebedarf über das hinausgehen, was üblicherweise im Rahmen gegenseitiger Hilfe bewältigt wird. .Langtoährend" ist Pflegebedürftigkeit, die sich länger als drei Monate hinzieht. Das Merkmal dient dazu, die weniger brisanten Bedarfslagen auszugrenzent''). 2. Pflegeaufwand Der Aufwand, der entsteht, wenn der bei langwährender Pflegebedürftigkeit anfallende Bedarf gedeckt wird, ist zunächst der bei der Deckung dieses Bedarfs in spezifischer Weise entstehende: Die Versorgung durch eine Pflegeperson. Dieser 4) S. 5: "...Die Pflegebedürftigkeit Behinderter ist jedoch mit ihrer größeren Problemviel- falt für eine ausführliche juristische Analyse bei weitem ergiebiger." 5) Socialdata, 24 und 35. 6) Dieser Schematisierung schließt sich auch Igl (260, 263) an, wobei er die Bedarfslagen hinsichtlich Grund- und Behandlungspflege in eine Bedarfsgruppe zusammenfaßt. 7) [ürgens, 68. ll) Die von Jürgens außerdem genannten Hilfeaspekte sind Mobilitätshilfe, Kommunikati- onshilfe sowie Präsenz anderer Personen aus sonstigen Gründen. 9) Ähnlich die Gruppen Abis C der Socialdatastudie, Socialdata, 36 H. 10) Vgl. Socialdata, 23; IgI, 258; zu beachten ist freilich, das rechtlich gelegentlich auch eine kürzere Pflegebedürftigkeit beachtlich sein kann, vgl. Jürgens, 138. Begrifflichkeit / Eingrenzung der Fragestellung 11 Aufwand kann sich - je nach Perspektive - als Natural- oder als Kostenaufwand darstellen. Es wird aber auch der nicht-pflegespezifische Aufwand einbezogen, der für den laufenden Lebensunterhalt anfällt!"): Pflegebedürftige können häufig - wenn- gleich nicht zwingend - nicht erwerbstätig sein, so daß sie auch finanzieller U n- terstützung für den allgemeinen Lebensunterhalt bedürfen. Auch dieser Aufwand verdient Interesse, da im Sozialhilferecht eine enge Verknüpfurig mit spezifischen Pflegeleistungen vorhanden ist: Nach § 27 111 BSHG umfaßt die Hilfe zur Pflege, die stationär erbracht wird, auch den in der Einrichtung gewährten Lebensunter- halt. Diese Regelung wirft erörterungswürdige Sonderfragen auf. 11) Im Unterschied zu Igl, 263. Kapitel 2: Dimensionen des Problems Pflegebedürftigkeit 1. Vorbemerkung Das folgende Kapitel soll die tatsächlichen Verhältnisse beleuchten, auf die sich die späteren rechtlichen Überlegungen beziehen. Damit soll zum einen die Trag- weite der Fragestellung verdeutlicht, zum anderen soll Anschauungsmaterial zu- sammengestellt werden, das den rechtlichen Erörterungen einen konkreten Bezug vermittelt. Am Beginn steht eine grobe Skizze der Dimensionen des Problems "Pflegebe- dürftigkeit", die auf den vorliegenden Untersuchungen und Statistiken basiert. Ei- ne umfassende Darstellung ist für die Zwecke der Arbeit nicht erforderlich. Es folgt eine Darstellung von Sachverhalten ausgewählter gerichtlicher Entscheidun- gen, in denen typische Pflegekonstellationen angesprochen sind. 2. Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit" in der sozialen Wirklichkeit 2.1. Anzahl der Pflegebedürftigen Über die Anzahl der Pflegebedürftigen in der BRD lassen sich keine ganz siche- ren Angaben machen. Was sich sagen läßt, ist folgendes 1): Der überwiegende Teil der Pflegebedürftigen wird zu Hause versorgt. Im Jahr 1978 gab es 1,6 bis 2,5 Millionen Personen deutscher Staatsangehörigkeit über sie- ben Jahren, die zu Hause-) versorgt wurden; das sind 2,9 bis 4,7% der deutschen 1) Die Ausführungen beziehen sich auf die BRD vor dem 3. Oktober 1990. 2) Diese Angaben beruhen auf einer im Auftrag des Bundesministeriums für Jugend, Fami- lie und Gesundheit von der Münchner "Socialdata - Institut für empirische Sozialfor- schung GmbH" erstellten Studie. Die Studie trägt den Titel "Anzahl und Situation zu Hause lebender Pflegebedürftiger". Diese Studie ist nach wie vor die einzige umfassende Untersuchung. Die zugrundeliegenden Erhebungen fanden im Jahr 1978 statt. Mangels anderer ähnlicher Untersuchungen müssen leider auch die problematischen Vorgaben dieser Studie (z. B. Beschränkung auf die deutsche Wohnbevölkerung) übernommen Dimensionen des Problems uPflegebedürftigkeitCC 13 Wohnbevölkerung,3). Die Schwankungsbreite ergibt sich aus den verschiedenen Möglichkeiten, den Begriff der Pflegebedürftigkeit zu definieren. In jedem zwan- zigsten Haushalt (5%) lebte 1978 mindestens ein Hilfebedürftiger"). In einer an- deren Studie wird für 1984 ein Anteil von 4,2% Pflegehaushalten angegeben"). In stationärer Pflege haben sich im Jahr 1984 ca. 260 000 Personen befundene), Etwa 90 000 dieser Menschen lebten in Einrichtungen, die auf die Versorgung sol- cher Patienten nicht eingestellt sind - beispielsweise psychiatrische Kliniken oder Altenheime ohne Pflegeabteilung"). 1987 erhielten 265 700 Personen Hilfe zur Pflege in Einrichtungen nach dem BSHG8). Allein in Bayern lebten Mitte 1990 in Altenpflegeheimen 38 331 Menschen") Eine in diesen Zahlen nicht enthaltene er- hebliche Anzahl Pflegebedürftiger lebt schließlich in Akutkrankenhäusern10). 2.2. Lebenssituationen Pflegebedürftiger 2.2.1. Pflegebedürftige in häuslicher Pflege Soweit die Hilfe häuslich erbracht wird, lassen sich aufgrund des qualitativen Untersuchungsteils der Socialdatastudie!') relativ genaue Angaben über die Le- benssituationen machen. werden. Der quantitative Untersuchungsteil dieser Studie (Teil A) beruht auf einer flä- chendeckenden Großstichprobe, die 30 000 Haushalte erfaßte (vgl. S. 27). Das Bundes- ministerium für Familie und Senioren hat unlängst ein neues, groß angelegtes For- schungsprojekt in Auftrag gegeben. Mit den Vorarbeiten hat das Sozialforschungsinsti- tut Infratest gemeinsam mit den Universitäten Erlangen und Tübingen im Jahr 1991 be- gonnen. Ergebnisse werden für das Jahr 1993 erwartet; vgI. Süddeutsche Zeitung vom 20. 1. 1992, 19. 3) Socialdata, 39. 4) Socialdata, 47. 5) Tbiede, NDV 1986, 123 (125); Basis: 6000 Haushalte. 6) Hierzu gibt es keine umfassenden Erhebungen. Die Daten, die sich finden, beruhen auf Schätzungen. Die angegebene Zahl stammt aus dem "Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Pflegebedürftigkeit" vom 5.9. 1984, BT-Drs 10/1943, 6. 7) Scbultet'Trenk-Hinterberger, 315. 8) Deininger, WuSt 1989,537 (538). 9) Süddeutsche Zeitung v. 26. 11. 1990, 19. 10) Pflegebericht der Bundesregierung, BT-Drs 10/1943, 7. 11) Dieser Teil (B) der Studie beruht auf primär qualitativ orientierten Haushaltinterviews. Zur Auswertung wurden "Situationsgruppen" gebildet (vgI. zum Situationsgruppenan- satz Socialdata, 115 - 119). In dieser zusammenfassenden Darstellung wird auf die je- weils angesprochenen Situationsgruppen der Studie verwiesen. Die beigefügten Prozent- zahlen sind in der Studie jeweils zu den einzelnen Situationsgruppen vermerkt. Seit der Erstellung der Studie dürfte sich freilich insoweit eine Änderung ergeben haben, als sich in den letzten Jahren die Unterstützung der Familienpflege durch ambulante Dienste entwickelt hat. So wurden etwa in Bayern seit der "Richtlinie zur Förderung der offenen Bchindcrtcnarbcit" vom 1. 7. 1988 über 30 ambulante Betreuungsdienste als 14 Vorbereitender Teil a) Den weitaus größten Anteil an den Pflegebedürftigen stellen alte Menschen (ab 63 Jahren) 12). Ihr Anteil beträgt etwa 75% der Pflegebedürftigen13). Von ihnen wiederum leben die meisten in einem Zweipersonenhaushalt in der Weise, daß von Ehegatten einer den anderen, meist die Frau den Mann, pflegt (35%)14). In weiteren 3% der Fälle sind heide Ehegatten pflegebedürftig und hel- fen sich gegenseitigt"). Eine zweite große Gruppe pflegebedürftiger alter Men- schen lebt alleine (26 % ) 16). Die erforderliche Pflege wird fast ausschließlich un- entgeltlich von Frauen (Töchter, Pflegetöchter, Schwägerinnen, Schwiegertöch- ter!"), Enkelinnen, Nachbarinnen, Freundinnen, Bekannte) erbracht!"). Eine dritte Gruppe (10 % ) lebt in Mehrgenerationenhaushalten19). Es handelt sich weit überwiegend um Frauen, die achzig Jahre alt oder älter sind. Häufig wird es zu dieser Konstellation gekommen sein, wenn die Frau nach dem Tod ihres Ehemannes selbst hilfebedürftig geworden ist. Die Pflege wird ganz überwiegend vom weiblichen Familienmitglied der mittleren Generation getragen20) . Diese Pflegekonstellation wird aufgrund des sich verändernden Altersaufbaus der Bevöl- kerung an Bedeutung stetig zunehmen. b) Menschen mittleren Alters (31 bis 62 Jahre), die mit ihrem Partner und u. U. mit Kindern zusammenleben, stellen die nächst wichtige Gruppe Hilfebedürftiger dar: 150/0 beträgt ihr Anteil!"). Es handelt sich dabei um Menschen, die im Laufe ihres Lebens durch Krankheit oder Unfall pflegebedürftig geworden sind und die von ihrem Partner und ggf. vorhandenen Kindern, gelegentlich auch von einem Elternteil gepflegt werden. grundsätzlich förderungswürdig anerkannt (vgl. Süddeutsche Zeitung vom 7.9. 1989). Zum Projekt einer betreuten Wohngemeinschaft für fünf schwerbehinderte junge Frau- en vgl. Badische Zeitung vom 9./10. 6. 1990. Da diese Entwicklung - soweit ersichtlich - noch nicht in vergleichbaren Untersuchungen verarbeitet worden ist, kann in der fol- genden Darstellung nicht näher auf sie eingegangen werden. Die in Fn. 2 erwähnte "In- fratest-Studie" soll auch über die vorhandenen Kapazitäten der ambulanten Versorgung Erkenntnisse erbringen. 12) Socialdata, 116. 13) Situationsgruppen 1, 4, 5, 6, 7, 11. Vgl. auch Socialdata, 47. 14) Situationsgruppen 4 und 5. 15) Ähnlich das Infratest - Ergebnis bei Tbiede, NDV 1986, 125: ca. 40% aller Pflegehaus- halte sind Zweipersonen - Haushalte gegenüber 28,7°/0 nach allgemeinen Mikrozensus- werten. 16) Situationsgruppe 1. 17) Bei Socialdata heißt es stattdessen "Schwiegermütter", was wohl auf einem Versehen be- ruht. 18) Socialdata 126. 19) Situationsgruppen 6 und 7. 20) Dieser Befund auch schon bei Leitner, in: Imlau/Leitner, 78 f. 21) Situationsgruppen 8 und 9. Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit" 15 c) Die letzte ins Gewicht fallende Gruppe besteht aus Kindern/-] und jungen Erwachsenen, die behindert sind und bei ihren Eltern leben (8% )23). Die Pflege wird in der Regel überwiegend von der Mutter erbracht, wobei in relativ großem Umfang mit teilstationären Einrichtungen zusammengearbeitet wird. d) In der Rechtsprechung spielt in zunehmendem Maße eine Fallgruppe eine Rolle, der nach der Socialdatastudie kein Gewicht zukommt: Die Gruppe der Pfle- gebedürftigen, die nicht von Angehörigen unterstützt werden, die aber gleichwohl einen Heimaufenthalt vermeiden wollen>'}, Es handelt sich z. B. um alleinstehen- de junge Schwerbehinderte, die ein selbständiges Leben führen wollen. Das Baye- rische VG München hatte es z. B. mit einem 28jährigen Querschnittsgelähmten zu tun, der eine 24-Stunden-Betreuung für alle wesentlichen Verrichtungen benö- tigte-"). Zum anderen handelt es sich um alte Menschen, die trotz des Pflegebe- darfs in ihrer vertrauten Umgebung bleiben möchten 26) , ohne sich ausreichende unentgeltliche Pflege selbst beschaffen zu können. e) Die Socialdata - Studie berichtet schließlich von einigen interessanten Son- derfällen, die in einer Situationsgruppe vorkommen, deren Kennzeichnung die Beinahe-Hilfebedürftigkeit auch der Hauptpflegeperson ist27) . In zwei dieser Fälle hatten sich Großmütter ihrer behinderten Enkel angenommen, weil - in einem Fall - eine Mutter ihr behindertes Kind verstoßen und - im anderen Fall - der Stiefvater den behinderten Stiefsohn aus dem Haushalt der Mutter gewiesen hat- te28) . Ferner wird ein Fall erwähnt, in dem eine getrennt oder geschieden lebende Mutter allein die Pflege ihrer drei spastisch gelähmten Kinder versieht-"), 2.2.2. Pflegebedürftige in stationärer Pflege Eine der Socialdata - Studie vergleichbare Untersuchung über die Situation in Heimen lebender Pflegebedürftiger gibt es nicht-?»). In der Socialdata - Studie wird die Erforschung der Frage, wie es zur stationären Versorgung kam, dement- sprechend als besonderes desideratum hervorgehoben-P) . Angesichts dessen lassen sich die Situationen, in denen es zur Heimpflege kommt, nur mehr oder weniger spekulativ erfassen. Ansetzen kann man mit die- senSpekulationen allerdings bei der Socialdata - Studie: Bei allen dort untersuch- 22) Erfaßt ab sieben Jahren. 23) Situationsgruppe 3. 24) Auf diese Fallgruppe weist Giese hin, 5Gb 1990,384. 25) BayVe München, SGb 1990, 382; vgl. ferner: ave Lüneburg, FEVS 38 (1989), 452 und VGH Kassel, RsDE 3 (1988), 89. 26) Vgl. Giese, 5Gb 1990, 384. 27) Situationsgruppe 10, 2%, 206 H. 28) Socialdata, 207. 29) Socialdata, 207. 29a) Vgl. aber: Pflegebedürftige in Heimen - Erste Ergebnisse einer Untersuchung im Auf- trag des Bundesfamilienministeriums - SGB 1992, 179 f. 30) Socialdata, 237. 16 Vorbereitender Teil ten Gruppen außer den alleinstehenden Alten-") wurde eine ausgesprochen nega- tive Einstellung zu stationärer Versorgung festgestellt. Man kann also davon aus- gehen, daß in der Regel eine Heimunterbringung nur dann stattfindet, wenn das bisherige Versorgungsnetz nicht mehr tragfähig ist - insbesondere wegen Todes oder Pflegebedürftigkeit der Pflegeperson und/oder wegen Zunahme der Pflege- bedürftigkeit des zu Versorgenden. Relativ gesichert ist ferner die Annahme, daß der überwiegende Teil der Pflege- bedürftigen in Anstalten aus Frauen bcsteht-"). An diesen Überlegungen ansetzend ergeben sich folgende Vermutungen: a) Am häufigsten wird ein Heimübertritt bei alten, alleinstehenden Frauen sein, die nach dem Tod ihres Partners pflegebedürftig werden: Wenn hier eine ambu- lante externe Versorgung durch Familienangehörige oder eine Aufnahme in eine Kindesfamilie nicht möglich ist, bleibt nur die Heimunterbringung. In einer Reihe von Fällen schließt sich die Heimunterbringung an langjährige Versorgung in ei- ner Kindesfamilie an33) . Gelegentlich wird die Rollenverteilung auch umgekehrt sein. Schließlich ist an den Fall zu denken, daß im Zweipersonen - Pflegehaushalt die Pflegeperson ausfällt. Auch dann bleibt häufig nur der Weg ins Heim>'). b) Bisweilen wird es auch bei Behinderten der mittleren Generation zu Heimauf- enthalten kommen, wenn nämlich der Partner oder die Partnerin durch Tod oder Scheidung als Pflegeperson entfällt. c) Was schließlich behinderte Kinder angeht, ist zunächst festzuhalten, daß Heimaufenthalte minderjähriger behinderter Kinder aufgrund der verbesserten gemeindenahen Versorgung seltener geworden sind. Heimübertritte kommen nun v. a. in zwei Konstellationen vor-"): Häufig wird Eltern die Versorgung behinderter Kinder zu schwierig, wenn die Kinder das Alter von 17 bis 25 Jahren erreicht haben. Gerade in dieser Zeit fällt auch oft die Unterstützung durch teilstationäre Einrichtungen weg. Haben die Kinder das mittlere Alter durch Überschreiten der 30-jahres-Grenze erreicht, kommt der Zeitpunkt, zu dem auch für die Kinder ein neuer Lebenskreis gefunden werden muß, die bis zu diesem Alter bei ihren nunmehr alten Eltern ge- lebt haben, deren Verfall oder Tod absehbar wird "}, d) Auch in den erwähnten Sonderfällen dürfte ein Heimaufenthalt bevorstehen, wenn die Kräfte der Hilfeperson endgültig erschöpft sind. 31) Socialdata 130 sowie zusammenfassend 231 f. Situationsgruppe 1. 32) Bericht der Bundesregierung zu Fragen der Pflegebedürftigkeit, BT-Drs 10/1943, 6. 33) Vierter Familienbericht der Bundesregierung, BT-DRs 10/6145,89. 34) Socialdata, 163. 35) Die folgenden Ausführungen beruhen auf einer Auskunft von Dr. Schulz, Stiftung Lie- benau. VgI. auch Socialdata, 133. 36) Sehr prägnant insoweit BGH FamRZ 1990, 730: Ein Vater hatte seine im Jahr 1943 ge- borene, spastisch gelähmte und geistig schwer behinderte Tochter bis Anfang März 1981 in seiner Wohnung gepflegt. Am 6. März starb er im Alter von 77 Jahren. Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit CC 17 2.3. Einkommenssituation Pflegebedürftiger 1791 DM 840 DM 1149 DM 395 DM für Männer für Frauen die ab dem 65. Lebensjahr zu zahlende Ren te für Männer für Frauen Die Inanspruchnahme der Sozialhilfe oder Unterhaltspflichtiger ist nur not- wendig, wenn die eigenen Mittel des Pflegebedürftigen nicht ausreichen, sich die Pflege aus eigener Kraft zu beschaffen. Im folgenden werden daher Überlegungen darüber angestellt, wie die Einkommensverhältnisse Pflegebedürftiger in der Re- gel aussehen werden. Dem wird in Abschnitt 2.4. der entstehende Pflegeaufwand gegenübergestellt. a) Das Einkommen pflegebedürftiger alter Menschen stammt in den meisten Fällen aus dem jeweiligen Alterssicherungssystem, insbesondere aus der gesetzli- chen Rentenversicherung oder der Beamtenversorgung. Bei Selbständigen ist an Altersicherungen auf Lebensversicherungsbasis oder an Versorgungswerke z. B. für Anwälte zu denken. Zur Alterssicherung der Rentner, dem größten Teil der Bevölkerung, einige Zahlen, die die Einkommenssituation charakterisieren: Am 1. 7. 1988 betrug-") in der Rentenversicherung der Arbeiter das flexible Altersruhegeld 2279 DM 1322 DM für Männer für Frauen die ab dem 65. Lebensjahr zu zahlende Rente für Männer 1703 DM für Frauen 649 DM Witwen- und Witwerrenten beliefen sich für Arbeiter auf 785 DM, für Ange- stellte auf 1090 DM. Die Höhe der Rente sagt freilich noch nichts über die Höhe des Alterseinkom- men aus, da häufig noch andere Einkommensquellen vorhanden sind. Eine große Rolle spielen insbesondere Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Die Bundesregierung schätzt das durchschnittliche Alterseinkommen auf 1500 bis 2000 DM38). b) Bei Menschen mittleren Alters, die durch Unfall oder Krankheit pflegebedürf- tig geworden sind, kommt es durchaus vor, daß nach erfolgreicher Rehabilitation trotz der Pflegebedürftigkeit ein Erwerbseinkommen erzielt wird. Soweit dies in der Rentenversicherung der Angestellten das flexible Altersruhegeld 37) Rentenanpassungsbericht der Bundesregierung 1989, BT-Drs 11/6123, 70. 38) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. 7. 1990. 18 Vorbereitender Teil nicht möglich ist, kommen unter je spezifischen Voraussetzungen verschiedene Sozial- und ähnliche Leistungen in Betracht: aa) Lohnersatzleistungen sieht zunächst das Recht der gesetzlichen Rentenversi- cherung in Gestalt der Erwerbsunfähigkeitsrente vor, die am 1. 7. 1989 in der Rentenversicherung der Arbeiter im Durchschnitt 1201 DM (Männer) bzw 405 DM (Frauen) und in der Rentenversicherung der Angestellten 1428 DM bzw 712 DM ausmachte-"). Bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten kommt eine Verletztenrente der gesetzlichen Unfallversicherung in Betracht, die i. H. v. maximal 2/3 des Jahresar- beitsverdienstes gewährt wird (§ 581 RVO). Dieser Rente kommt auch eine im- materielle Ersatzfunktion zu 40) . Die beam tenrechtliche Entsprechung der Verlet- zenrente ist das Unfallruhegehalt nach §§ 36 ff BeamtVG. Für Kriegsopfer sieht das BVG Berufsschadensausgleich (§ 30 111) und Ausgleichsrente für Schwerbe- schädigte (§ 32) vor, die bei Erwerbsunfähigkeit 950 DM beträgt. bb) Neben diese Lohnersatzleistungen können Leistungen treten, die speziell auf Pflegelagen zugeschnitten sind. So besteht im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung nach § 558 RVO Anspruch auf Pflege in Gestalt von Haus- oder Anstaltspflege. Statt dessen kann ein Pflegegeld gewährt werden, das ab 1. 7. 1990 von 490 DM bis 1802 DM mo- natlich beträgt. Pflegeleistungen sind für Beamten und Richter im Rahmen der Krankenfürsor- ge nach den Beihilfevorschriften vorgesehen. Nach § 6 I Nr. 7 der Beihilfevor- schriften sind Pflegekosten beihilfefähig. Dasselbe gilt in begrenztem Umfang für die Kosten für Unterkunft und Verpflegung bei stationärer Unterbringung (§ 9 I der Beihilfevorschriften}!"). Die Beihilfevorschriften des Bundes oder der Länder werden auch im Bereich der EKD und der evangelischen Landeskirchen ange- wandt. Nach einem Dienstunfall besteht für Beamte und Richter im Rahmen der Un- fallfürsorge nach den §§ 33 I Nr. 3, 34 BeamtVG Anspruch auf Erstattung der Kosten für die notwendige Pflege in angemessenem U mfang42) . Auch das BVG kennt spezielle Pflegeleistungen für Kriegsopfer: die Pflegezula- ge nach § 35: Beschädigte können entweder eine Pflegezulage nach verschiedenen Stufen (Stufe I 402 DM bis Stufe VI 1996 DM) oder die Übernahme der Kosten bei Anstaltspflege beanspruchent"). 39) Rentenanpassungsbericht der Bundesregierung, BT-Drs 11/6123, 70. 40) Vgl. BVerfGE 34, 118 (132 f). 41) Igl, 364 - 369. 42) Igl, 372 - 378. 43) 19l, 379 - 385. Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit CC 19 cc) Eine Leistung besonderer Art stellt schließlich die Beschädigten-Grundrente nach § 31 BVG dar, die weder eine Lohnersatzleistung darstellt, noch von der Voraussetzung der Pflegebedürftigkeit abhängt. Insofern sie aber eine Entschädi- gung für die Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit und einen Aus- gleich für schädigungsbedingten Mehraufwand darstellt?"), kann man sie als ein typisches Einkommen bei Pflegebedürftigkeit betrachten. Sie wird nicht nur Kriegsopfern gezahlt. Vielmehr verweisen einige andere Gesetze des sozialen Ent- schädigungsrechts auf § 31 BVG45). Bei Erwerbsunfähigkeit beträgt die Grund- rente 950 DM monatlich. Bei Schwerstbeschädigten wird sie durch eine Schwerst- beschädigtenzulage aufgestockt, die in der höchsten Stufe 675 DM beträgt. dd) Es bleibt festzuhalten, daß die soziale Sicherung relativ gut ist, wenn der Pflegebedürftige Ansprüche nach dem Recht der gesetzlichen Unfallversicherung, nach dem Beihilfe- oder Beamtenversorgungsrecht oder nach dem BVG hat. Eine gewisse Rolle spielt noch die Erwerbsunfähigkeitsrente der gesetzlichen Renten- versicherung. Wer die jeweiligen besonderen Voraussetzungen nicht erfüllt, bleibt auf die Sozialhilfe oder auf seine Angehörigen angewiesen. Gerade bei der Gruppe der Unfallopfer führt das zu einer für die Betroffenen kaum mehr nachvollziehba- ren "Behindertenhierarchie", an deren Spitze die "privilegierten" Opfer von Ar- beitsunfällen stehen. c) Jungen Pflegebedürftigen, deren Zustand schon seit Geburt oder Kindheit be- steht, stehen am wenigsten Mittel zur Verfügung. Erwerbseinkommen wird häu- fig nich t erzielt. Anders kann es allenfalls nach erfolgreicher Rehabilitation Kör- perbehinderter sein. So könnte z. B. ein durch Unfall im Kindesalter Quer- schnittsgelähmter durchaus etwa als Industriekaufmann ungeachtet seiner Pflege- bedürftigkeit eine auskömmliche Beschäftigung ausüben. Bei geistig Behinderten ist an die geringen Einkünfte zu denken, die in beschützenden Werkstätten erzielt werden (durchschnittlich ca. 220 DM)46). Abgesehen von der Sozialhilfe gibt es kaum Sozialleistungen für diese Perso- nengruppe: Den Eltern behinderter Kinder steht das Kindergeld auch über das 16. Lebens- jahr des Kindes hinaus zu (§ 2 11N r. 3 BKiGG). Hat das Kind keine Eltern mehr, kann es bis zu seinem 27. Lebensjahr selbst Kindergeld in Höhe von 50 DM bean- spruchen (§§ 1 11, 2 11 N r. 3, 14 BKiGG). Im Rahmen des Beihilferechts können Eltern für ihre Kinder unter Umständen 44) Wilke/Förster, § 31 Rdnr. 3. 45) z. B. SVG, ZDG, OEG, BScuchG, HHG. Auch das BcamtVG verweist auf § 31 I - IV BVG (§ 35 BcamtVG). 46) Bundesvereinigung Lebenshilfefür geistig Behinderte, 31. 20 Vorbereitender Teil Ersatz für Pflegekosten beanspruchen (§§ 6 Nr. 7, 9 I, 3 I Nr. 2 der Beihilfevor- schriften mit § 40 BBesG) 46a) • 2.4. Pflegeaufwand 2.4.1. Aufwand bei häuslicher Pflege 2.4.1.1. Betreuungsaufwand bei Familienpflege Die häusliche Versorgung hilfebedürftiger Menschen durch Familienangehörige bedeutet für die Pflegepersonen, in aller Regel Frauen, eine erhebliche Belastung, die in ihrer Tragweite häufig nicht angemessen gewürdigt wird. Die pflegenden Frauen gehören meist der mittleren Generation an und betreiben häufig mit der Pflegetätigkeit Raubbau an ihrer eigenen körperlichen und seelischen Gesundheit. Die Bundesregierung hat zur Verdeutlichung der Belastungen mehrfach auf Be- funde der Socialdata - Studie verwieserr'"), z. B. auf die folgenden: 33°,10 aller Pflegepersonen verbrachten mehr als sechs Stunden täglich beim Pflege- und Hilfcbedürftigerr'") . 16% haben negative Auswirkungen auf ihre Berufstätigkeit erfahren. 37% aller Pflegepersonen mußten Beeinträchtigungen der eigenen Gesundheit in Kauf nehmen. In zwei Fallgruppen sind die Belastungen besonders schwerwiegend: Besonders belastet sind die Frauen, die ihr behindertes Kind auch über die Voll- jährigkeit hinaus betreuen. Sie müsen gravierende Einschränkungen in Beruf und Freizeit hinnehmen. 560/0 der Mütter behinderter Kinder geben berufliche Beein- trächtigungen arr'"). Gut die Hälfte der von Socialdata befragten Mütter ist psy- chisch oder physisch geschädigt-") . Für Geschwister ist zu wenig Zeit vorhanden. Häufig wird auch die Beziehung zum Partner beeinträchtigt. Man muß sich klar machen, daß bei volljährigen Kindern die Belastungslage schon zwei Jahrzehnte angedauert hat. Nach den veröffentlichten Befunden sind noch stärker betroffen die Frauen, die pflegebedürftige alte Menschen in ihren Haushalt aufgenommen haben. Hier prägt häufig die Pflege über lange Jahre die gesamte Lebensführung - und zwar 463) Näher dazu IgI, 364 ff; vgl. ferner das beihilferechtliche Beispiel in Kapitel 4 sub 2.1.5.1.2. d (4) (5.81). 47) Pflegebericht der Bundesregierung, BT-Drs 10/1943, 6; Vierter Familienbericht der Bun- desregierung, BT-Drs 10/6145, 173. 48) Hier wird die Studie ungenau wiedergegeben. Richtig muß es wohl heißen, daß 33% mehr als sechs Stunden am Tag und weitere sechs Stunden in der Nacht für den Hilfebe- dürftigen da sind, vgl. Socialdata, 255 f. 49) Socialdata, 258. 50) Socialdata, 138. Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit" 21 Tag und Nacht>'). Urlaub ist so gut wie nie möglich. Es ist ausgesprochen schwie- rig, Kontakte zu Freunden und Bekannten aufrecht zu erhalten. Wenn ihrerseits älter werdende Frauen Pflegeleistungen erbringen (z. B. Heben, Umbetten), für die sie i. d. R. nicht ausgebildet sind, sind gesundheitliche Schäden vorprogram- miert. Eine besondere Rolle spielen in dieser Konstellation psychische Spannungen, die sich häufig in psychosomatischen Erkrankungen der Pflegeperson äußern52) . Die Umwelt neigt allerdings dazu, die psychischen Probleme pflegender Frauen als hormonell bedingte "Krise der Wechseljahre" Iehlzudeuten'"). Hintergrund der psychischen Probleme ist zum einen der geistige und seelische Zustand der Hochbetagten, meist die Mütter der pflegenden Frauen, die mit ihrer Hinfällig- keit und dem bevorstehenden Tod nicht zurecht kommen. Außerdem kulminie- ren in der Pflegesituation ggf. Probleme, die sich in jahrzehntelangen Mutter/ Tochter-Beziehungen entwickelt haben: "Die Beziehung zwischen erwachsenen Kindern und ihren Eltern ist eigener und oft schwieriger Art, da sie mehr als alle anderen Beziehungen durch die gesamte Biographie von Eltern und Kindern ge- prägt wird."54). Es gibt sogar Hinweise darauf, daß die Überforderung von Pflege- personen zu Mißhandlungen schwerpflegebedürftiger Pfleglinge führt - ein Pro- blem, das ebenso gravierend wie das der Kindesmißhandlung s~in soll55). 2.4.1.2. Finanzielle Belastung der Pflegehaushalte Für 28% der Pflegehaushalte hat die Pflege negative Auswirkungen auf die fi- nanzielle Lage. Wiederum besonders betroffen sind die Eltern behinderter Kinder'"), Hier tref- fen finanzielle Beeinträchtigungen sogar 50% der Haushalte. Diese Belastungen treten auf, obwohl in mehr als 2/3 der Fälle Pflegegeld nach dem BSHG oder ähn- liche Leistungen bezogen werden. Diese Leistungen werden aber meist als den Pflegeaufwand nicht deckend angesehen'"). Außerdem entstehen Einbußen durch den Berufsverzicht der Pflegeperson>"). Finanziell ebenfalls vergleichbar betroffen sind Mehrgenerationen-Haushalte, in denen schwerpflegebedürftige alte Eltern gepflegt werden-") , sowie Pflegehaus- 51) Articus/Karolus, NDV 1985, 41 (42). 52) Articus/Karolus, NDV 1985,41 (43). 53) Vierter Familienbericht der Bundesregierung, BT-Drs 10/6145, 89. 54) Vierter Familienbericht der Bundesregierung, BT-Drs 10/6145,89. 55) Ebd., 91; zum diesbezüglichen Forschungsstand: Dieck, ZfGerontol 1987, 305. 56) Socialdata, 264, Tabelle 3m; es wird hier unterstellt, daß die Prozentsätze auch auf die El- tern volljähriger behinderter Kinder zutreffen, die nicht gesondert ausgewiesen sind. 57) Socialdata, 139. 58) Socialdata, ebd. 59) Socialdata, 181. 22 Vorbereitender Teil halte, in denen ein Ehegatte den pflegebedürftigen Partner versorgte"). 2.4.1.3. Aufwand alleinstehender Pflegebedürftiger Alleinstehende Pflegebedürftige sind darauf angewiesen, sich die Betreuung auf dem freien Markt zu beschaffen. Exemplarisch ist insoweit der Fall eines 83jährigen alten Herren, der seinen dritten Schlaganfall überlebt hatte'<). Er gab v. a. die folgenden monatlichen Auf- wendungen an: Für einen Zivildienstleistenden, der das Frühstück zubereitet und einen Spaziergang ermöglicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 DM Für Hilfe beim Baden durch eine Schwester der Sozialstation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 DM Für eine Haushaltshilfe + 800 DM 1082 DM Wird rund um die Uhr Pflege benötigt, wie bei dem oben erwähnten Quer- schnittsgelähmten, den die Entscheidung des Bayerischen VG bctraf-'}, liegen die Kosten weit höher und übersteigen schnell die üblichen Heimpflegesätze. Im Fall des Bayerischen VG handelte es sich um unqualifizierte Pflegekräfte, für die der Kläger einen Stundenlohn von 10 DM geltend gemacht hatte (= 7200 DM im Monatjv'). Professionelle Pflegekräfte kosten demgegenüber derzeit noch zwi- schen 28 und 36 DM in der Stunde-"). 2.4.1. 4. Finanzieller Aufwand der Sozialhilfeträger Im Jahr 1987 haben die Sozialhilfeträger an 241.600 Personenw) 1,023 Mrd. DM für die häusliche Pflege ausgegeben. 852 Mio DM entfielen auf das Pflegegeld nach § 69 111 BSHG67). Diesem Betrag sind hinzuzurechnen die in den Bundeslän- dern Bremen, Rheinland-Pfalz und Berlin /West gewährten Landespflegegelder i. H. v. 159,3 Mio DM im Jahr 198768) . Insgesamt wurde also über 1 Mrd DM an Pflegegeld gewährt. Die in der Sozialhilfestatistik darüberhinaus aufgeführten 171 Mio DM wurden für die übrigen in § 69 BSHG für häusliche Pflege vorgesehenen Leistungen aus- 61) Socialdata, 264, Tabelle 3m, Situationsgruppe 8. 62) Vgl. den Bericht in Badische Zeitung vom 20./21. 10. 1990,3. 63) BayVG München, 5Gb 1990,382. 64) Vgl. auch ave Lüneburg FEVS 38,452: 18 DM /h (= 13000 DM im Monat); VGH Kassel RsDE 1989, 89: 16 DM/h (= 11 520 DM im Monat). 65) Giese, SGb 1990, 385. 66) Deininger, WuSt 1989, 537 (538). 67) Deininger WuSt 1989, 537 (539). 68) Deininger, WuSt 1988, 795 (798). Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit" 23 gegeben. Im Einzelfall können diese Kosten sehr hoch sein. Dem mehrfach er- wähnten Querschnittsgelähmten aus München zahlte der Sozialhilfeträger bei- spielsweise 7200 DM zur Finanzierung der Pflege, die rund um die Uhr gewährlei- stet sein mußte69) . Keine genauen Angaben lassen sich darüber machen, wie groß der Anteil an die- sen Kosten ist, den die Sozialhilfeträger von Unterhaltspflichtigen wieder beitrei- ben. Die Statistik weist nur die Gesamteinnahmen der Sozialhilfe aufgrund über- geleiteter Ansprüche aus. Bei der Hilfe außerhalb von Einrichtungen handelte es sich 1987 um ca. 250 Mio DM. Diese Einnahmen dürften sich jedoch kaum auf das Pflegegeld beziehen, da insoweit aus Rechtsgründen ein Rückgriff kaum in Frage komm t70). Die Kosten für die häusliche Pflege belasten die örtlichen Sozialhilfeträger (§§ 96, 99 BSHG). Das sind in Baden-Württemberg die kreisfreien Städte und die Landkreise (§ 6 AG/ BSHG). 2.4.2. Aufwand bei Heimpflege 2.4.2.1. Kosten stationärer Pflege Die Pflegekosten in Altenpflegeheimen sind in den letzten Jahren stark ange- stiegen. In1 Jahr 1983 etwa betrug der Pflegesatz für ein Alterspflegeheim mittle- rer Ausstattung an der Peripherie eines Ballungsraumes 75,10 DM pro Tag, das sind 2253 DM monatlich. 56,7% hiervon entfielen auf Personalkosten"). Für 1990 prognostizierte der Landeswohlfahrtsverband Baden einen Anstieg der Ko- sten für einen Pflegeheimplatz auf 3300 bis 3500 DM monatlich"). Ähnlich schätzt die Bundesregierung den Pflegebedarf auf 2800 bis 3400 DM73). Erheblich höher sind schließlich die Pflegesätze in Einrichtungen, in denen geistig behinder- te Menschen leben. So betrug der Pflegesatz für einen Heimplatz der Stiftung Lie- benau im Jahr 1989 ca. 4500 DM p. m. und war auch nur deshalb so "niedrig", weil dieStiftung mit einem vom Grad der Behinderung unabhängigen Pflegesatz arbei- tet74) • Infolge Verbesserung der personellen und baulichen Standards und wegen des wohl in Bewegung geratenen Einkommens des Pflegepersonals werden die Kosten auch weiterhin steigen. 69) Bayer. VG München 5Gb 1990, 382. 70) Vgl. dazu Kapitel 5 sub 1.1.b (S. 101 ff). 71) Metzger, BldW 1984, 248. 72) Badische Zeitung vom 2./3. 7. 1990. 73) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. 7. 1990. 74) Auskunft von Dr. Schutz, Stiftung Liebenau. Vgl. auch Bayer. VG München, 5Gb t 990, 382 m. Anm. Giese. 24 Vorbereitender Teil 2.4.2.2. Aufwand der Sozialhilfeträger Die danach sehr häufig bestehende Lücke zwischen Einkommen und Heimko- sten wird i. d. R. von der Sozialhilfe gedeckt. Es wird angenommen, daß über zwei Drittel aller Pflegebedürftigen in Einrichtungen ganz oder teilweise auf Leistun- gen der Sozialhilfe angewiesen sind 75) . Im Jahr 1987 erhielten 265 700 Menschen Hilfe zur Pflege in Einrichtungen"). Die Bruttokosten hierfür beliefen sich auf 7,139 Mrd. DM77). Mit in den Blick zu nehmen ist ferner die Eingliederungshilfe für Behinderte, die weitgehend stationä- re Pflege für Behinderte umfaßt: 1987 gaben die Sozialhilfeträger für 189 000 Be- hinderte in Einrichtungen?") 4,7 Mrd. DM aus?"). 30% dieser Ausgaben entfielen auf die Hilfe zur Beschäftigung in Behindertenwerkstätten'"), also auf eine ver- breitete Variante teilstationärer Versorgung. Schon für das Jahr 1982 bezifferte die Bundesregierung den durchschnittlichen Aufwand der Sozialhilfeträger für einen Pflegeplatz einschließlich "Taschengeld" auf rund 2400 DM monatlich'"). Für dauernd wesentlich Behinderte, also auch für Pflegebedürftige, die Hilfe in besonderen Lebenslagen in einer Einrichtung erhalten, sind i. d. R. die überörtli- chen Sozialhilfeträger zuständig (§ 100 I Nr. 1 mit § 38 I 1 BSHG82)). In Baden- Württemberg beispielsweise sind die überörtlichen Sozialhilfeträger die Landes- wohlfahrtsverbände (§ 2 AG/BSHG). Sie tragen die Kosten der ihnen obliegen- den Aufgaben (§ 6 S. 1 AG/BSHG). Die Landeswohlfahrtsverbände ihrerseits werden im wesentlichen von den zu ihnen gehörenden Stadt- und Landkreisen fi- nanzierts-), So tragen also letztlich Städte und Landkreise die Kosten der stationä- ren Pflege. 2.4.2.3. Aufwand der Angehörigen Auch Angehörige leisten finanzielle Beiträge bei Heimunterbringung. Zahlen- material gibt es dazu wenig. Soweit die Beiträge aufgrund der Überleitung von Unterhaltsansprüchen gezahlt wurden, läßt sich die Größenordnung mit Hilfe der Sozialhilfestatistik abschätzen. Im Jahr 1987 nahmen die Sozialhilfeträger auf- 75) Pflegebericht der Bundesregierung, BT-Drs t01t943, 7. 76) Deininger, WuSt 1989, 537 (538). 77) Deininger, WuSt 1988, 795 (796). 78) Deininger, WuSt 1989, 537 (538). 79) Deininger, WuSt 1988, 795 (796). 80) Deininger, ebd. 81) Pflegebericht der Bundesregierung, BT-Drs 10/1943, 7. 82) Vgl. SchelihornljiraseklSeipp, § 100, Rdnr. 17. 83) Über die Finanzausgleichsumlage (§§ t a,3 Nr. 4, 10 a FAG) und über die Landeswohl- fahrtsumlage (§ 23 11 LWVG i. V. m. § 36 FAG). Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit CC 25 grund übergeleiteter Ansprüche 235 Mio DM ein 84) . Diese Angabe bezieht sich auf alle Hilfearten, die in Einrichtungen erbracht werden. Ganz überwiegend wird es sich dabei um Hilfe zur Pflege bzw. Eingliederungshilfe handeln. Man kann wohl ferner davon ausgehen, daß der häufigste Fall der Überleitung der der Über- leitung von Unterhaltsansprüchen ist. Dementsprechend ist es legitim zu schät- zen, daß Angehörige für Heimpflege i. w. S. im Jahr 1987 ca. 200 Mio DM an die Sozialhilfeträger gezahlt haben. 3. Pflegebedürftigkeit in der forensischen Praxis Nahezu alle oben skizzierten Lebenslagen lassen sich in veröffentlichten Ge- riehtsen tscheidun gen wiederfinden. In der Regel handelt es sich um zivilgerichtliche Entscheidungen, wenn es um unterhaltsrechtliche Fragen, um verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, wenn es um sozialhilferechtliche Fragen geht. Bisweilen wird man aber auch in anderen Geriehtszweigen fündig. Im folgenden werden jeweils beispielhafte Sachverhalte zur Lage Pflegebedürftiger in den drei verschiedenen Alters- und Lebensstufen (abis e) aufgeführt, und zwar jeweils für ambulante wie für stationäre Versorgung. 3.1. Pflege alter Menschen 3.1.1. Ambulante Pflege Beispielsfall: BVerwGE 29, 10885) Der 90 Jahre alte K ist so hilflos, daß er für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkeh- renden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens in erheblichem Umfang der War- tung und Pflege dauernd bedarf. Wartung und Pflege erhält er von seiner Tochter Bcrta aufgrund eines Übergabevertrages, in dem sich die Tochter verpflichtet hat, ihrem Vater bei Krankheit oder Altersschwäche "Wart und Pflege" in vollem Umfang angedeihen zu lassen. Auf seinen Antrag gewährte der Sozialhilfeträger dem K Pflegegeld nach dem BSHG - und zwar für die Zeit von September bis Dezember 1964 in Höhe von monatlich 52DM. Zu diesem Betrag ist der Sozialhilfeträger dadurch gelangt, daß er dem Einkom- men des K, bestehend aus Invalidenrente, Kost (zusammen ca. 80 DM86)) sowie Wartung und Pflege (bewertet mit 60 DM), die Einkommensgrenze des BSHG gegenübergestellt hat. Die Bemühungen des K um ein höheres Pflegegeld in gesetzlicher Höhe (damals 100 DM87)) blieben erfolglos88). 84) Deininger, WuSt, 1988, 795 (797). 85) Vorinstanz BayVGH NDV 1967,93. 86) Betrag geschätzt nach G DV NDV 1967, 92. 87) SchellhomijirasektSeipp, § 69, Rdnr 63. 88) Vgl. zu diesem Fall: Kapitel 3 sub 1.2.1.2.c(l) (5. 36); sub 3.2.1. 1. (5. 44 f); sub 3.2.2.2.2. (1) (5. 49 f). 26 3.1.2. Stationäre Pflege Vorbereitender Teil Beispielsfall: LG DuisburgDAVorm 1987, 809 Anna W. hat vier Kinder. Vom 1. 1. 1980 an lebt sie in einem Altenpflegeheim, für dessen Kosten der Sozialhilfeträger aufkommt, soweit Anna Ws Einkommen nicht ausreicht. Ihr Einkommen im Jahr 1980 beläuft sich auf 1473,19 DM (Rente, Mieteinnahmen und Wohngeld). Von den Heimkosten i. H. v. 2975,07 DM monatlich sind daher 1501,88 DM offen. Zwei der Kinder sind nicht leistungsfähig. Die zwei anderen nimmt der Sozialhilfeträger aus übergeleitetem Recht in Anspruch. Der eine der beiden in Anspruch genommenen Söhne hat ein Nettoeinkommen von 3305,38 DM. Er lebt im eigenen Haus, hat aber er- hebliche Schuldenlasten und Erhaltungsaufwendungen zu tragen. Seine Ehefrau ist schwerbehindert. Der andere Sohn verdient 2792,32 DM netto. Beide Söhne leben mit ih- ren Ehefrauen zusammenf"). Vor Gericht drang der Sozialhilfeträger mit seinen Anträgen durch, die auf fast vollständi- gen Ersatz der noch offenen Heimkosten ziclten'P). 3.2. Pflegebedürftige mittlerenAlters 3.2.1. Ambulante Pflege Beispielsfall: aLG Celle FamRZ 1986,910 (912)91): Die Parteien heirateten im Jahr 1979. Die Ehefrau und spätere Klägerin hatte als achtjähri- ges Kind einen Unfall erlitten, der zu einer bleibenden geistigen Behinderung führte. Als Behinderung ist ein Entwicklungsrückstand mit Minderbegabung und Verdacht auf An- fallsleiden mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 80% fcstgcsrcllt.Dcr Ehemann ist Schlachtergeselle. Die Parteien lebten seit 1981 getrennt. Die Klägerin zog nach der Trennung wieder zu ih- ren Eltern. Die kinderlose Ehe wurde im Jahr 1984 nach einer Dauer von vier Jahren und einem Monat geschieden. Im Jahr 1984 hatte der Kläger ein erzielbares Einkomrnen'<] i. H. v. 1720 DM. Die Kläge- rin ist nicht erwerbstätig. Sie lebt seit der Trennung bei ihren Eltern. Besonderer Aufwand infolge der Pflegebedürftigkeit entsteht offenbar nicht. Sie ist Inhaberin eines Wohn- rechts, das mit 200 DM zu bewerten ist. Die Klägerin begehrte nachehelichen Unterhalt i. H. v. 570 DM p. m.. Amtsgericht und Oberlandesgericht sprachen ihr den Anspruch in dieser Höhe ab August 1984 zu, be- grenzten ihn jedoch zeitlich. Das Oberlandesgericht ließ den Anspruch mit dem Jahres- ende 1988 auslaufcn'v). 89) Vgl. auch AG Hagen FamRZ 1988,755 (Einleitung, [5.5 f]). 90) Vgl. zu diesem Fall Kapitel 5 bei Fn. 8 (5. 100). 91) Ähnlicher Fall OLG Hamm FamRZ 1987, 1151 mit BGH FamRZ 1988,930. 92) Das OLG geht also teilweise von einem fiktiven Einkommen aus. Die einschlägigen Er- wägungen des Urteils sind nicht veröffentlicht. 93) Vgl. zu diesem Fall Kapitel 6 sub 4.3.1.a (S. 152 f). Dimensionen des Problems "Pflegebedürftigkeit CC 27 3.2.2. Stationäre Pflege94) Beispielsfall: BGH NJW - RR 1989,1218 Der Ehemann der späteren Beklagten litt an Depressionen und an einem schweren Band- scheibenleiden, aufgrund dessen er befürchtete, später im Rollstuhl leben zu müssen. 1977 unternahm er im Alter von 24 Jahren einen Selbsttötungsversuch, der zu einer nicht mehr behebbaren Hirnschädigung führte, die seit 1979 Dauerpflege in einem Heim erfor- derlich machte. Am 22. 9. 1980 wurde die Ehe, die offenbar spätestens in der Mitte der siebziger Jahre geschlossen worden war, geschieden. Seit 1982 trägt der klagende Land- kreis die die Erwerbsunfähigkeitsrente des früheren Ehemannes der Beklagten i. H. v. 1200 DM übersteigenden Pflegekosten, die sich 1986 auf 1650 DM im Monat beliefen. Die Beklagte erzielte im Jahr 1986 eine Nettoeinkommen von monatlich ca. 2260 DM. Nach Überleitung verlangt der Kläger von ihr für das Jahr 1986 einen monatlichen Ko- stenbeitrag i. H. v. 153 DM. Die Klage war in drei Instanzen crfolgrcich'"'). 3.3. Pflegebedürftige volljährige Kinder 3.3.1. Ambulante bzw. teilstationäre Pflege Beispielsfall: OVG Lüneburg FEVS 37 (1988), 367: Der 26jährige Kläger ist geistig behindert. Sein Gesundheitszustand fordert eine erhebli- che Pflege und Betreuung. Aus der Vergütung, die er für seine Arbeit in einer beschützen- den Werkstatt erhält, leistet er einen Beitrag zu den Kosten der Mittagessen, die er in der Einrichtung einnimmt. Der beklagte Sozialhilfeträger gewährt ein Pflegegeld nach § 69 111 BSHG, das er wegen der teilstationären Unterbringung kürzt. Der Kläger lebt bei seinen Eltern, die zusammen im Jahr 1983 über einen bereinigtes monatliches Einkommen von 2251,58 DM verfügten (v. a. Ruhegehalt des Vaters und Rente der Mutter). Der Kläger begehrte die Gewährung von laufender Hilfe zum Lebensunterhalt neben dem Pflegegeld. Seine Klage war wegen § 16 BSHG nur teilweise erfolgreich?"). 3.3.2. Vol/stationäre Pflege Beispielsfall: BGH FamRZ 1986, 48 Die geistig behinderte volljährige T ist in einem psychiatrischen Krankenhaus unterge- bracht. Naheliegend ist, daß sie vorher zu Hause betreut worden war. Der veröffentlichte Sachverhalt äußert sich hierzu nicht. Ihr Vater bezieht eine Altersrente, ist also minde- stens 60 bis 65 Jahre alt. Er hat ferner Einkünfte aus Kapitalvermögen sowie Mieteinnah- men. Er ist Eigentümer bzw. hälftiger Miteigentümer von fünf Hausgrundstücken, deren eines er selbst mit seiner Familie bewohnt. Der Aufenthalt der T im psychiatrischen Krankenhaus in den Jahren 1977 bis 1979 verur- sachte Kosten i. H. v. ca. 45 000 DM, worüber - nebst Zinsen - das Land X als Kranken- hausträger einen Titel gegen T erwirkte. Wegen des titulierten Anspruchs wurde im Jahr 1980 vom Vollstreckungsgericht der U n- terhaltsanspruch der T gegen ihren Vater gepfändet und dem Land zur Einziehung über- 94) Ein nach dem EheG zu beurteilender Fall findet sich in BEH BStBI 111 1964, 363. 95) Vgl. zu diesem Fall Kapitel 6 sub 4.3.l.c (S. 155). 96) Vgl. zu diesem Fall Kapitel 4 sub 2.3 (5. 94 ff). 28 Vorbereitender Teil wiesen. Diese Unterhaltsforderung machte das Land mit der im Juli 1980 erhobenen Kla- ge geltend. Das Familiengericht gab der Klage statt. Die Berufung des Beklagten führte zu einer Teil- abweisung der Klage. Nunmehr wurde der Beklagte für die Zeit ab dem 1. 4. 1984 zur Zahlung von monatlich 1369 DM verurteilt. Die Revision des Klägers war im Sinne der Zurückverweisung erfolgreich, da das Ol.G bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht alle berücksichtigungsfähigen Mittel herangezogen hatte?"). 97) VgI. zu diesem Fall Kapitel 4 sub 2.1.1 (S. 62 ff). Teil B: Sozialhilferechtlicher Teil Kapitel 3: Überblick über das Recht der Pflegeleistungen nach dem BSHG 1. Hilfe zur Pflege: Art und Umfang der Hilfe Die Hilfe zur Pflege ist in den §§ 68, 69 BSHG geregelt. Diese Vorschriften wa- ren bei Inkrafttreten des BSHG am 1. Juni 1962 insofern eine Neuigkeit, als eine besondere Bedarfslage geschaffen wurde, die Hilfe zur Pflege also nicht mehr als Bestandteil des Lebensunterhalts betrachtet wurde. §§ 35 BVG und 558 RVO dienten dabei als Vorbilder"). Der Grund der Umschichtung bestand in den groß- zügigeren Opfergrenzen für den Hilfesuchenden und seine Angehörigen, die für die "Hilfen in besonderen Lebenslagen" eingeführt wurden. 1.1. Bestimmung der Bedarfslage "Personen, die infolge Krankheit und Behinderung so hilflos sind, daß sie nicht ohne Wartung und Pflege sein können", ist nach § 68 I BSHG Hilfe zur Pflege zu gewähren. Diese Formulierung wird üblicherweise-) unter Hinweis auf § 69 111 1 BSHG dahin konkretisiert, daß pflegebedürftig sei, wer für die "gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens" der Hilfe anderer bedürfe. a) Fraglich ist, ob alle möglichen Pflegebedarfe von dieser Bestimmung erfaßt werden. Unstreitig ist zunächst pflegebedürftig, wer der Grundpflege bedarf'). Schon bei der Behandlungspflege ist die Frage streitig. Schulte und Trenk-Hin- terberger beziehen die Behandlungspflege nicht eirr'}. Wenn man unter Behand- lungspflege aber nichtärztliche Tätigkeit versteht, muß man Jürgens zustimmen, und sie zu den - für den Hilfebedürftigen - gewöhnlichen und regelmäßigen Ver- I) Jürgens, 98. 2) Schulte/Trenk-Hinterberger, 304; [ürgens, 99 rn.w.N.; LPK § 68, Rdnr. 8. 3) Schultel'Trenle-Hinterberger, 305; [ürgens, 113 f. 4) SchulteITrenk-Hinterberger, 305. 30 Sozialhi/ferechtlicher Teil richtungen zählen"). Andernfalls entstünde eine nicht hinnehmbare Versorgungs- lücke. Vollends unklar ist die Lage bei Bedar[an hauswirtschaftlichen Verrichtungen. Nach wohl herrschender Meinung, insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesuertoaltungsgerichts'n, gehört hauswirtschaftliche Versorgung nicht zu den pflegeerheblichen Verrichtungen, es sei denn, die fragliche Hilfeleistung wäre im Einzelfall als personenbezogen zu betrachten"). Die herrschende Meinung führt allerdings zu einer Sicherungslücke, da im Rahmen der Hilfe in besonderen Le- benslagen Hilfe zur Haushaltsführung nur nach Maßgabe des § 70 BSHG, d. h. i. d. R. nur vorübergehend gewährt werden soll. Ein Ansatz, diese Lücke zu schließen, besteht darin, bei langwährendem Bedarf an Haushaltshilfe gemäß §§ 3 I, 22 I 2 BSHG Hilfe zum Lebensunterhalt abwei- chend von den Regelsätzen zu gewähren und die Kosten einer Haushaltshilfe als Bestandteil des notwendigen Lebensunterhalts anzusehen"). Diesem Ansatz stimmt Birk zu") und überträgt ihn auf den Haushaltshilfebedarf Pflegebedürfti- ger'P). Einleuchtender ist der Versuch von Jürgens, den Begriff der "Verrichtun- gen" weit auszulegen und die hauswirtschaftliche Versorgung einzubeziehen!'). Jürgens meint, es sei nicht einzusehen, z.B. die Hilfe beim technischen Vorgang des Essens als personenbezogene Verrichtung, nicht aber als solche das Einkaufen und Kochen anzusehen. Der en tsprechend Hilflose brauche beide Hilfen gleicher- maßen, um nicht zu verhungern, und erhalte sie i. d. R. auch von der gleichen Hil- fepersorr'"). Über § 70 BSHG könne der Bedarf nicht gedeckt werden. Die Mög- lichkeit der Erhöhung der Hilfe zum Lebensunterhalt zieht Jürgens nicht in Be- tracht. M. E. sollte nach dem BSHG auch Hilfe zu hauswirtschaftlichen Verrichtungen gewährt werden. Dem Hilfebedürftigen wird es so länger möglich sein, lediglich ambulante Versorgung in Anspruch zu nehmen. M. E. sollte die Hilfe auch im Rahmen der Hilfe zur Pflege erbracht werden. Gegen den Weg über die Erhöhung 5) [ürgens, 115 f. 6) BVerwGE FEVS 26 (1978) , 1. 7) Schulte/Trenk-Hinterberger, 304 f; LPK, § 68 Rdnr. 8; eingehende Übersicht über Rechtsprechung und Literatur bei Jürgens, 118 - 120. R) ave Lüneburg, FEVS 29 (1981),113 (117). 9) LPK § 70, Rdnr. 10. 10) Ebd. Rdnr. 19: ein besonderer Einzelfall im Sinne des § 22 I 2 BSHG könne vorliegen "bei alten Menschen zur Vermeidung einer Heimaufnahme". 11) Jürgens, 121 - 123; diese Ausführungen hat die Kommentarliteratur bisher leider nicht zur Kenntnis genommen. Zu demselben, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge- richts ablehnenden Ergebnis gelangen Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 69, Rdnr. 34. 12) Vgl. auch Socialdata, 92 f:"Leben erhält sich nicht nur dann, wenn die im Bereich der Grundpflege abgedeckten Körperfunktionen stimmen, sondern wenn darüber hinaus das räumliche und soziale Umfeld Leben erlaubt." Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 31 der Hilfe zum Lebensunterhalt spricht, daß bei einander so naheliegenden Bedar- fenverschiedene Einkommensgrenzen nicht gerechtfertigt wären. Schließlich ent- spricht diese weite Auslegung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit auch der im Gesundheitsreformgesetz deutlich gewordenen Tendenz, die hauswirtschaftliehe Versorgung in die sozialrechtlichen Pflegeleistungen einzubeziehen13) 14). b) Das BSHG kennt verschiedene Grade der Pflegebedürftigkeit. So setzt etwa derAnspruch auf Pflegegeld nach § 69 111 1 BSHG voraus, daß Wartung und Pfle- ge "in erheblichem Umfang" vonnöten sind. Aber auch schon bei geringerer Intensität der Pflegebedürftigkeit sind im Rah- men des § 69 111 gewisse Ansprüche gegeben. Insoweit spricht man von "einfa- eher Pflegebedürftigkeit"15) , die - lediglich - voraussetzt, daß jemand wegen Krankheit oder Behinderung so hilflos ist, daß er nicht ohne Wartung und Pflege bleiben kann. Diese Bedürftigkeit kann sich auf Grund- oder Behandlungspflege oder auf Bedarf an hauswirtschaftlicher Versorgung beziehen. Der Bedarf muß überdas hinausgehen, was üblicherweise im Rahmen gegenseitiger Hilfe bewältigt wird!"), Der Hilfesuchende darf "nicht nur geringfügige Hilfeleistungen anderer" benötigen17). 1.2. Art der Bedarfsdeckung 1.2.1. Ambulante Pflege Hilfe zur Pflege kann zum einen als "häusliche Pflege" gewährt werden18). Am- bulante, häusliche Pflege in diesem Sinne kann auch Pflege in einem Alters- (nicht: Altenpflege-)heim sein!"). Einschlägig ist § 69 BSHG. Die erforderlichen Pflegeleistungen können durch Pflegepersonen erbracht werden, die sich der Hil- fesuchende entweder selbst beschafft hat, oder die von Dritten eingeschaltet wer- den. Ferner kann die Pflegeleistung seitens der Pflegeperson entgeltlich oder un- entgeltlich erbracht werden. §69 BSHG sieht verschiedene Leistungen der Sozialhilfe vor, die von der In- tensität der Pflegebedürftigkeit abhängen. Unterschieden wird nach vier Graden: einfache Pflegebedürftigkeit, erhebliche sowie außergewöhnliche Pflegebedürftig- keit, Die vierte Stufe nehmen die Schwerstbehinderten ein. 13) Vgl. § 55 125GB-V. 14) Zu den weiteren Bedarfen, auf die hier nicht näher eingegangen wird, vg1.]ürgens,123 - 127. 15) LPK, § 69, Rdnr. 10. 16) Jürgens, 129. 17) Schulte/Trenk-Hinterberger, 306; LPK § 69, Rdnr.l0. 18) Auf die in § 68 11 BSHG geregelte Hilfe durch Stellung von Hilfsmitteln sowie durch Kulturzugang wird hier nicht eingegangen. 19) LPK, § 69, Rdnr.5. 32 Sozialhilferechtlicher Teil 1.2.1.1. Leistungen bei einfacher Pflegebedürftigkeit Der Träger der Sozialhilfe soll darauf hinwirken, daß die Pflege durch naheste- hende Personen oder im Wege der Nachbarschaftshilfe erbracht wird ( durch "Pflegepersonen", § 69 11 1 BSHG). Dabei denkt das Gesetz nach dem Zusam- menhang der Vorschrift an unentgeltliche Pflege20). Wenn und soweit die Pflege durch "Pflegepersonen" nicht erbracht werden kann, kommt der Einsatz einer be- sonderen "Pflegekraft" in Betracht. § 69 11 BSHG sieht eine Reihe von Einzelansprüchen vor, die es dem Pflegebe- dürftigen ermöglichen sollen, sich die häusliche Pflege zu verschaffen. a) Wird der Hilfebedürftige durch Nahestehende oder Nachbarn gepflegt, hat er nach § 69 11 2 BSHG Anspruch auf Ersatz der angemessenen Aufwendungen der Pflegeperson. Erstattungsfähige Aufwendungen der Pflegeperson sind z.B. Fahrt- kosten, Kosten doppelter Haushaltsführung, Aufwendungen für besonderen Kleider- oder Wäscheverschleiß21) oder Kosten für die Unterbringung der Kinder der Pflegeperson im Kindergarten während der Pflegeeinsätze-"), b) Bei der Pflege durch Pflegepersonen sind ferner als Ermessensleistung "ange- messene Beihilfen" vorgesehen (§ 69 11 2 HS 2 BSHG). Den Sozialhilfeträgern wird es dadurch ermöglicht, über den Aufwendungsersatz hinausgehend Beihilfen für sonstige Ausgaben zu erbringen, die der Gewinnung und Erhaltung von Pfle- gebereitschaft dienen-'). Als Beispiele werden genannt ein Taschengeld für die Pflegeperson, eine angemessene Vergütung für ihren Zeitaufwand oder eine Ent- schädigung für unvermeidbaren Verdienstausfall-"), Die Beihilfe soll es freilich nicht ermöglichen, der - nahestehenden - Pflegeperson ein Entgelt zu zahlen. Die Beihilfe kann auch in der Übernahme angemessener Krankenversicherungsbeiträ- ge bestehen-"). Zu den Pflegebeihilfen nach § 69 11 2 HS 2 BSHG hatte das OVG Münster ei- nen bemerkenswerten Fall zu entscheiden-v): 20) So ausdrücklich BVerwG NDV 1975,26 (27). 21) BWSHR Rdnr. 69.07. 22) Schellbornljirasek/Seipp, Rdnr. 15. 23) Schellhorn/'[irasekt Seipp, § 69, Rdnr. 17. 24) BWSHR Rdnr. 69.08. 25) LPK § 69, Rdnr. 12. Eine spezielle Zugangsberechtigung für Pflegepersonen sieht das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung freilich auch nach dem GRG nicht vor. Das ist bedauerlich, da das Weiterreichen des Pflegegcldes an eine verwandte Pflegeperson nicht ohne weiteres als ausreichend angesehen wird, um das Pflegeverhältnis als versi- cherungspflich tiges Beschäftigungsverhältnis im Sinne des § 5 I N r. 1 SGB-V einzuord- nen (vgI. BSG SGb 1988,383; dieses Verfahren zeigt, wie schwierig es für eine Pflegeper- son sein kann, den Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung zu erlangen. Zum Par- allclproblem in der gesetzlichen Unfallversicherung: BSG NJW 1990, 1558). 26) aVG Münster FEVS 38 (1989) 290. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 33 Die ca. 18jährige Klägerin-") litt an den Folgen eines frühkindlichen Hirnschadens. Nach ihrer Entlassung aus einer Schule für Lernbehinderte nahm sie eine Beschäftigung in einer beschützenden Werkstatt auf. Die erforderliche Pflege erbrachte wie schon seit langem ihre Mutter. Die Klägerin beantragte die Gewährung von Hilfe zur Pflege. Antrag, Widerspruch und Klage blieben erfolglos, da die Richtlinien des örtlichen Trägers der Sozialhilfe vorsahen, Pflegebeihilfen seien nicht zu gewähren, wenn die Pflege von Unterhaltspflichtigen aus- geübt werde. Auf die Berufung der Kl. verpflichtete das ave den Beklagten zur Neubescheidung. Das aVG rügte die Unterlassung der gebotenen Ermessensausübung. Diese Unterlassung hielt es auch nicht deshalb für unschädlich, weil die Sozialhilfericht- linien ohnehin im Wege der antizipierten Ermessensausübung Ansprüche der Kl. ausschlössen. Die Richtlinien seien fehlerhaft. Angesichts des Zwecks der Beihilfe, Pflegebereitschaft zu wecken und zu erhalten, sei es zwar möglicherweise nicht gerechtfertigt, öffentliche Mittel einzusetzen, wenn die Pflegeleistungen dem en- genpersönlichen Verhältnis zwischen Pflegendem und Gepflegtem zuzurechnen seien, wie es bei bestehenden Unterhaltspflichten der Fall sei. Anderslautende Einzelfallentscheidungen müßten aber möglich sein, wenn die Pflegebeziehung von Besonderheiten gekennzeichnet sei, die den Austausch von Wartung und Pflege nicht mehr als Selbstverständlichkeit im Rahmen einer gesetzlichen oder sittlichen PflichtensteIlung qualifizieren ließen. So sei es im Fall: Die Mutter habe der Klägerin über lange Zeit pflegerische Zu- wendung zuteil werden lassen. Sie unterstütze sie durch Aufsicht und Anleitung noch zu einer Zeit, zu der sich Kinder sonst verselbständigten. Zum anderen er- bringe die Mutter die Pflegeleistungen, obwohl sie selbst gesundheitlich erheblich eingeschränkt sei. Werden volljährige Kinder von den Eltern gepflegt, besteht ohne das Vorliegen von Besonderheiten demnach weiterhin die Möglichkeit, im Rahmen der Ermes- sensausübung den Beihilfebedarf abzustreiten und die Pflegebereitschaft als selbstverständlich vorauszusetzen. Diese Haltung beruht auf der These, daß Pfle- ge- und Hilfeleistungen vom volljährigen Kind beansprucht werden könnten. Die- seThese ist nicht richtig, da der Unterhaltsanspruch volljähriger Kinder nicht auf dieErbringung von Dienstleistungen gerichtet ist. Dies wird im einzelnen in Kapi- tel 528) dargelegt. Dementsprechend ist die die Ermessensausübung antizipierende Regelung der Richtlinien des örtlichen Sozialhilfeträger im Fall des OVG Münster nicht nur im Ausnahmefall, sondern immer verfehlt. 27) Der Urteilsabdruck enthält keine exakten Angaben über den in Rede stehenden Zeit- raum. Den Sozialhilfeantrag hatte die Kl. noch vor ihrem achzehnten Geburtstag ge- stellt. Gleichwohl wird im folgenden davon ausgegangen, daß sich das Urteil im wesent- lichen auf die Zeit der Volljährigkeit der Kl. bezieht. 28) Sub 1.5 (S. 112 ff). 34 Sozialhilferechtlicher Teil c) Schließlich können nach Abs. 11Satz 2 HS 2 auch Beiträge für eine angemesse- ne Alterssicherung der Pflegeperson übernommen werden, wenn diese nicht schon anderweitig sichergestellt ist. Als Alterssicherung kommt insoweit eine private Lebensversicherung auf Rentenbasis oder eine freiwillige Versicherung in der ge- setzlichen Rentenversicherung in Frage (§ 7 SGB-VI)29). In der Sozialhilfepraxis spielt die Übernahme von Alterssicherungsbeiträgen nach § 69 11 2 BSHG fast keine Rolle. Erklärt wird dies mit mangelhafter Aufklärung und Beratung-"). d) Kann die erforderliche Pflege ganz oder teilweise nicht durch Nahestehende oder Nachbarn erbracht werden, muß der Sozialhilfeträger nach § 69 11 3 BSHG die angemessenen Kosten einer besonderen Pflegekraft übernehmen. Besondere Pfle- gekräfte sind zur Pflege geeignete Personen, die nicht zu den Angehörigen oder Nachbarn gehören. Eine besondere Ausbildung müssen sie nicht haben. Zu den- ken ist an Mitarbeiter oder Mitarbeiterinnen einer Krankenpflege-, Hauspflege- oder Sozialstation oder an selbständige Pflegekräfte-"), In Frage kommen auch Zi- vildienstleistendev) . Die Angemessenheit der Kosten wird i. d. R. an den Gebührensätzen für eine angestellte Hauspflegerin ausgerichtet-'). Wenn und soweit Pflege durch voll aus- gebildete Kräfte nötig ist, wird man aber auch höhere Beträge als angemessen an- sehen müssen. Vertragspartner der Pflegekraft kann der Sozialhilfeträger oder der Hilfebedürftige selbst sein-"). Je mehr und je höherqualifizierte Pflege pro Tag erforderlich ist, desto höher liegen naturgemäß die Kosten der Pflege. Es ist dann schnell der Punkt erreicht, ab dem Heimpflege für den Sozialhilfeträger billiger wäre. In der Praxis wird in solchen Fällen nun § 3 11 BSHG geprüft, wonach Wün- schen des Hilfeempfängers, die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten, entspro- chen werden soll, soweit sie angemessen sind (Satz 1). Nach Satz 3 braucht der Träger Wünschen nicht zu entsprechen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre. Der Träger kann also den Hilfeempfänger auf ein Alternativangebot verweisen, das kostengünstiger ist, allerdings auch eine tatsäch- lich realisierbare Möglichkeit darstellen muß35). Der Hilfesuchende hat dann die Möglichkeit, auf das Alternativangebot einzugehen oder sich einen Zuschuß in Höhe der Kosten des Alternativangebots zuzüglich der verhältnismäßigen Mehr- 29) Zu den Einzelheiten BWSHR 69.11.- 69.23. 30) LPK, § 69, Rdnrn.13 und 28. 31) BWSHR Rdnr. 69.24. 32) LPK, § 69, Rdnr. 14. 33) BWSHR Rdnr. 69.24; aVG Lüneburg, FEV5 38 (1989),452 (455): 9 DM netto/h. 34) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 69, Rdnr. 22. 35) Giese, 5Gb 1990, 384 (386, sub. 4.2.2.). Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 35 kosten gewähren zu lassenw). Giese hat vorgeschlagen, die U nverhältnismäßigkeit von Mehrkosten dann anzunehmen, wenn die ohnehin notwendigen Kosten in- folge des Wunsches des Hilfeempfängers um mehr als 15 bis 20% überschritten würden"), Diese Praxis ist kritikwürdig. wie in diesem Kapitel unter 1.2.2.1. gezeigt wer- den wird. 1.2.1.2. Leistungen bei erheblicher Pflegebedürftigkeit Ist jemand dauernd in erheblichem Umfang pflegebedürftig, kann er die in § 69 III BSHG vorgesehenen Leistungen beanspruchen. Ein erheblicher Umfang ist erreicht, wenn sich Hilfebedarf bezüglich verschie- dener Verrichtungen summiert. In Empfehlungen des Landeswohlfahrtsverban- des Hessen wird etwa verlangt, daß mindestens drei der notwendigen täglichen Verrichtungen nicht alleine bewältigt werden können oder daß der Hilfesuchende zumindest teilweise bettlägerig und geh- und stehunfähig oder daß er quer- schnittsgelähmt ist 38) . Es soll ein strenger Maßstab anzuwenden sein 39)Jürgens nennt als Kriterium einen Mindestaufwand von einer Stunde Pflegezeit pro Tag40) . Der erheblich Pflegebedürftige kann nach § 69 111 1 BSHG Pflegegeld bean- spruchen (a). Zusätzlich sind ihm die Aufwendungen für die Beiträge einer Pfle- geperson für eine angemessene Alterssicherung zu erstatten (b) . Neben diesen Leistungen kann der Pflegebedürftige u.U. auch Anspruch auf die in Absatz 2 vorgesehenen Leistungen haben (c). a) Das Pflegegeld beträgt nach dem Gesetzeswortlaut 276 DM monatlich (§ 69 IV 1HS 1). Gemäß Absatz 6 ist es dynamisiert und entwickelt sich entsprechend der Anpassung der Versorgungsbezüge nach § 56 BVG41). Seit dem 1.7.1990 be- trägt es 325 DM monatlich. Pflegegeld wird nicht gewährt, soweit der Pflegebe- dürftige "gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhält" (§ 69 III 3 BSHG). Zu denken ist hier an die Pflegezulage nach § 35 BVG, an Pflegegeld nach § 558 111 RVO oder an Leistungen nach Landespflegegeldgesetzen. b) Der Pflegebedürftige hat ferner einen Anspruch auf Erstattung der Aufwen- dungen für die Beiträge einer Pflegeperson oder einer Pflegekraft für eine angemesse- 36) VGH Kassel, RsDE 3 (1988), 89; Giese, RsDE 4 (1989),39 (43) gegen Neumann, RsDE 3 (1988), 93 (94). 37) Giese, RsDE 4 (1989), 39 (49). 38) LPK, § 69 Rdnr. 19. 39) BWSHR, Rdnr. 69.29. 40) [ürgens, 137. 41) Ab 1.1.1992 ist das Pflegegeld an die Entwicklung des Rentenwerts in der gesetzlichen Rentenversicherung gekoppelt (Art. 51 RRG 1992). 42) Hierzu z.B. LPK, § 69, Rdnr. 25 f. 36 Sozialhilferechtlicher Teil ne42) Alterssicherung. Im Unterschied zu Absatz 2 Satz 2 ist dem Sozialhilfeträger kein Ermessen eröffnet. Es handelt sich vielmehr um einen Rechtsansprucht-), der freilich ebenfalls praktisch keine große Rolle spielr'"). c) Nach § 69 V BSHG werden Aufwendungsersatz und Beihilfen gemäß § 69 11 2 oder die Kosten für eine besondere Pflegekraft nach § 69 11 3 neben dem Pflege- geld gewährt. Das Pflegegeld kann dann um bis zu 50% gekürzt werden (§ 69 V 2 BSHG). Diese Regelung ist so zu verstehen, daß ein im Einzelfall zu geringes Pflegegeld, das gewissermaßen die "Grundleistung" darstellt, - aufgestockt wer- den kanrr"). Zu unterscheiden sind drei Fallgestaltungen, deren Darstellung zu- gleich Gelegenheit bietet, den Zweck des Pflegegeldes herauszuarbeiten. (1) Denkbar ist zunächst, daß die Pflege ausschließlich durch das soziale U m- feld erbracht wird. Vor dem 3. Änderungsgesetz zum BSHG war die Pflege durch nahestehende Personen oder Nachbarn Voraussetzung für die Zahlung von Pflegegeld. Dies war die Rechtslage, nach der das Bundesverwaltungsgericht den in Kapitel 2 unter 3.1.1. dargestellten Fall zu beurteilen hatte"}, Das Gericht hat den Fall zum Anlaß ge- nommen, grundsätzliche Erwägungen zum Zweck des Pflegegeldes anzustellen. Da § 69 III BSHG (a.F.). davon ausgehe, daß der Pflegebedürftige die Pflege durch nahestehende Personen erhalte, könne das Pflegegeld nicht unmittelbar der Deckung des bereits befriedigten Pflegebedarfs dienen. Das Gesetz bevorzuge die Erbringung der Pflege in der Familie (§ 69 11). In den in § 69 111 BSHG angespro- chenen besonders schweren Pflegefällen sei häusliche Pflege aber nur möglich, wenn sich pflegebereite Personen fänden. Das Verhältnis zwischen Pflegebedürf- tigem und Pflegeperson sei nicht in erster Linie von wirtschaftlichen Überlegun- gen geprägt. Dementsprechend diene das Pflegegeld nicht unmittelbar der Abgel- tung des Pflegebedarfs, sondern in erster Linie der Erhaltung der Pflegebereit- schaft46a) . Daß der Zweck des Pflegegeldes nicht ausschließlich darin bestehe, die wirtschaftlich meßbaren Lasten infolge der Pflege abzudecken, zeige die Möglich- keit, das Pflegegeld aufzustocken, wenn Aufwendungen und Beihilfen nach Ab- satz 2 den Betrag des Pflegegeldes übersteigen (§ 69 IV BSHG a.F.). Das Pflegegeld bezweckt danach zweierlei: Es ermöglicht dem Pflegebedürfti- gen, in gewissem Umfang Pflegeleistungen wirtschaftlich abzugelten, etwa durch Ersatz von Aufwendungen der Pflegeperson. Entscheidend aber ist, daß es dem 43) Soweit das Pflegeverhältnis kein Beschäftigungsverhältnis ist, besteht die Möglichkeit der freiwilligen Versicherung (§ 1233 RVO, § 7 SGB-VI). Bei erheblicher Pflegebedürf- tigkeit werden die freiwilligen Beiträge ab 1.1.1992 auf Antrag als Pflichtbeiträge behan- delt. Außerdem gibt es nun die Möglichkeit, aus anderweitiger Beschäftigung stammen- de Pflichtbeiträge aufzustocken (§ 177 SGB- VI). 44) LPK, § 69, Rdnr. 28. 45) SehellhornlJiraseklSeipp, § 69, Rdnr. 73; GottsehieklGiese, § 69, Rdnr. 9 . 46) BVerwGE 29, 108 (vgl. Kapitel 2 sub. 3.1.1.; S. 25 f). 46:1) Jüngst wieder in BVerwG FEVS 41 (1991),401 (405). Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 37 Pflegebedürftigen wirtschaftlichen Spielraum verschafft, um sich für geleistete Pflege durch Geschenke oder ein Taschengeld erkenntlich zu zeigen. Nach dem früheren § 69 IV BSHG konnte das Pflegegeld aufgestockt werden, soweit Aufwendungsersatz und Beihilfen nach Absatz 11 das Pflegegeld überstie- gen hätten. In der Zwischenzeit hat sich der Charakter des Pflegegeldes aufgrund einerGesetzesänderung geändert. Nach dem heutigen Absatz 5 Satz 2, der auf das 2.Haushaltsstrukturgesetz zurückgehr'"), kann das Pflegegeld nur um bis zu 50% gekürzt werden, wenn Aufwendungsersatz oder Beihilfen nach Absatz 2 Satz 2 gewährt werden. Umgekehrt ausgedrückt heißt das, daß das Pflegegeld minde- stens um den Betrag aufgestockt werden muß, um den Aufwendungsersatz und angemessene Beihilfen 50% des Pflegegeldes übersteigen. Beispiel: Der 80jährige P ist in erheblichem Umfang pflegebedürftig. Er wird von seiner Tochter T versorgt. P ersetzt der T die ihr entstehenden Aufwendungen i. H. v. 150 DM im Monat. Außerdem zahlt er ihr ein Taschengeld i. H. v. monatlich 100 DM. Nach § 69 11 2 BSHG könnte P Erstattung der Aufwendungen und für das Taschengeld eine Beihilfe, insgesamt also 250 DM beanspruchen. Er bezieht jedoch Pflegegcld i. H. v. 325 DM.Seine Zahlungen an T übersteigen die Hälfte des Pflegegcldes um 250 DM - 162 DM = 88 DM. Mindestens diesen Betrag kann er zusätzlich zum Pflegegeld beanspru- chen. Die "andere" Hälfte des Pflegegcldes verbleibt ihm mithin zur freien Verwendung. Diese andere Hälfte des Pflegegeldes dient demnach nicht der Finanzierung der Pflege oder der Weckung der Pflegebereitschaft, sondern soll dem Pflegebedürfti- gen darüber hinaus ohne Einzelnachweis "die vielfältigen weiteren Aufwendun- gen ..., die ihm wegen seiner Hilflosigkeit entstehen'(48), ermöglichen. (2) Die Pflege kann auch ausschließlich durch besondere Pflegekräfte erbracht werden. Seitdem 3. Änderungsgesetz zum BSHG49) wird Pflegegeld auch gezahlt, wenn die Pflege nicht durch nahestehende Pflegepersonen sondern durch besondere Pflegekräfte erbracht wird. Auch insoweit gilt heute Absatz 5: Übersteigen die Kosten für die Pflegekraft die Hälfte des Pflegegeldes, ist das Pflegegeld entsprechend aufzustocken. Bei dem Aufstockungsbetrag handelt es sich dann um eine Leistung nach § 69 11 3 BSHG.In dieser Konstellation verfolgt das Pflegegeld also den Zweck, zum einen die Kosten der Pflegekraft und zum anderen (in Höhe von 50% ) sonstige Kosten abzudecken, die infolge der Hilflosigkeit entstehen'"). (3) Denkbar ist schließlich, daß der in hohem Maße Pflegebedürftige sowohl von Angehörigen wie von Außenstehenden versorgt wird. 47) G v.22.12.1981, BGBI I, 1523. 48) Knopp/Fichtner, § 69, Rdnr. 15. 49) Gesetz vom 25.3.1974, BGBI I, 777. 50) Knopp/Fichtner,§ 69, Rdnr. 25. 38 Sozialhi/ferechtlicher Teil In diesem Fall gilt ebenfalls Absatz 5: In Höhe von 50% dient das Pflegegeld dazu, Aufwendungsersatz und Beihilfen für die Angehörigen und die Kosten für die besondere Pflege kraft zu finanzieren. Die andere Hälfte verbleibt auch hier für das "Sonstige'(51). In dieser Konstellation wird also am ehesten eine Aufstockung des Pflegegeldes nötig. Es muß genau berechnet werden, welche Beträge auf Pflegeperson bzw. Pflegekraft entfallen, bevor der Aufstockungsbetrag ermittelt werden kannv), Beispiel: Der erheblich pflegebedürftige P wird von seiner Toch tcr T und von einem Gerneinde- pflegedienst gepflegt. T ersetzt er monatlich Aufwendungen i. H. v. 100 DM. Die Pflege durch den Pflegedienst, die eine Stunde am Tag umfaßt, kostet ihn 8 DM pro Stunde, das sind 240 DM im Monat. Nach § 69 11 2 und 3 BSHG könnte er daher 340 DM beanspru- chen. Dieser Betrag übersteigt die Hälfte des Pflegegcldes um 340 DM - 162 DM = 178 DM. Mindestens um diesen Betrag ist das Pflegegcld aufzustocken. Nach Ermessen kommt auch eine höhere Aufstockung in Betracht, deren Obergrenze bei 340 DM liegt. Festzuhalten bleibt, daß das Pflegegeld genau besehen drei Zwecken dient: - Es setzt den Pflegebedürftigen in die Lage, Aufwendungen für Pflegeperson oder Pflegekraft zu ersetzen - ohne diese Aufwendungen einzeln nachweisen zu müssen. - Es ermöglicht dem Pflegebedürftigen, sich gegenüber Angehörigen als Pfle- gepersonen erkenntlich zu zeigen, ohne diese Dankesbekundungen im einzelnen belegen zu müssen. - Schließlich dient es zur Hälfte der pauschal bemessenen Finanzierung sonsti- ger Aufwendungen, die infolge der Pflegebedürftigkeit entstehen. Die Aufstockungsvorschrift greift ein, soweit sich im Einzelfall das Pflegegeld als zu knapp bemessen erweist. Die Ausgestaltung des Absatz 5 als "Kann"-Vor- schrift ermöglicht es, den verschiedenen denkbaren Konstellationen Rechnung zu tragen. 51) In der Regierungsbegründung zur Neufassung des § 69 V BSHG durch das 2. Haushalt- strukturgesetz heißt es freilich gerade zu den Mischfällen. die vorgeschlagene Fassung wolle sicherstellen, daß dem Pflegebedürftigen ein Betrag von mindestens 500/0 des Pfle- gegcldes verbleibe, um daraus den nahestehenden Pflegepersonen einen Ausgleich für ihre Tätigkeit ZUkOmITIen zu lassen. Diese Auffassung erlaubt aber keine stimmige Er- klärung der Fälle, in denen nur Familienpflege erbracht wird. Es ist nicht einzusehen, wieso bei ausschließlicher Familienpflege dem Pflegebedürftigen 50% des Pflegegeldes für "Sonstiges" verbleiben sollte, während er diese Hälfte bei gemischter Pflege einset- zen muß zur Erhaltung der Pflegebereitschaft seiner Angehörigen. 52) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 69, Rdnr. 76. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 39 1.2.1.3. Leistungen bei außergewöhnlicher Pflegebedürftigkeit und bei Schwerstpfle- gebedürftigkeit Beiaußergewöhnlicher Pflegebedürftigkeit ist das Pflegegeld angemessen zu erhö- hen (§ 69 IV 1 HS 2). Es liegt je nach dem Maß der Mehrbelastung für die Pflege- person zwischen dem "einfachen" Pflegegeld53) und dem Pflegegeld für Schwerst- behinderte. Außergewöhnliche Pflegebedürftigkeit ist gegeben, wenn an Pflege- person bzw. Pflegekraft besonders hohe Anforderungen gestellt werden, z. B. bei "unruhigen Geisteskranken'v") oder bei großem Körpergewicht des Pflegebedürf- tigen55) . Bei Schwerstpflegebedürftigkeit beträgt das Pflegegeld schließlich seit 1.7.1990 883 DM monatlich. Schwerstpflegebedürftig sind die in § 24 11 BSHG und der dazu ergangenen Verordnungw) genannten Personen, bei denen dauernde, erhebliche Pflegebe- dürftigkeit stets als gegeben anzusehen ist ( § 69 IV 2 BSHG). Dazu zählen z.B. die folgenden Fälle: Ohnhänder, Personen mit Verlust dreier Gliedmaßen, Hirn- beschädigte mit schweren körperlichen und geistigen Störungen und Gebrauchs- behinderungen an mehreren Gliedmaßen. 1.2.1.4. Hilfe zum Lebensunterhalt Wer als Pflegebedürftiger nicht in der Lage ist, seinen notwendigen Lebensun- terhalt zu decken, hat nach den Regeln des zweiten Abschnitts Anspruch auf lau- fende Hilfe zum Lebensunterhalt. Teilweise wird vertreten, daß der Pflegebedarf in hauswirtschaftlicher Hinsicht auch über diese Regeln (§ 22 I 2 BSHG) abzu- wickeln sei. Diese Auffassung wurde schon oben dargestellt und kritisiert 57). Mehrbedarfszuschläge, die auf die besondere Situation der Pflegebedürftigkeit zugeschnitten wären, sind angesichts der Sonderregeln in § 69 BSHG nicht vorge- sehen. Pflegebedürftige Personen unter 60 Jahren werden aber häufig erwerbsun- fähig sein, so daß der 20% ige Mehrbedarf nach § 23 I N r. 2 BSHG in Betracht kommt. Ab dem 60. Lebensjahr gibt es nur den allgemeinen Altersmehrbedarfs- zuschlag nach § 23 I Nr. 1 BSHG. In Betracht kommt auch der "angemessene" Mehrbedarf für Erwerbstätige, (§ 23 IV Nr. 1 BSHG), wenn etwa der Behinderte in einer Werkstatt für Behin- derte arbeitet. 53) Nach BWSHR, Rdnr. 69.32. 125% des einfachen Pflegegeldes als Untergrenze. 54) BWSHR Rdnr. 69.31. 55) LPK, § 69, Rdnr. 35. 56) Verordnung zur Durchführung des § 24 11 1 B5HG vom 28.6.1974, BGBI I, 1365. 57) In diesem Kapitel sub 1.1.a (5. 30). 40 1.2.2. Stationäre Pflege Sozialhilferechtlicher Teil Stationäre Pflege, d. h. Hilfe in einer "Anstalt, einem Heim oder einer gleichar- tigen Einrichtung" (§ 100 I Nr. 1 BSHG) wird erbracht, wenn sie "erforderlich" ist (§ 100 I Nr. 1 BSHG), bzw. wenn die nicht-stationäre Hilfe nicht "ausreicht" (§ 69 I BSHG). 1.2.2.1. Ausreichen der nicht-stationären Pflege Ambulante Pflege kann auch bei schwerer Behinderung und umfangreichem Pflegebedarf "ausreichend" sein. Dies zeigt insbesondere § 69 IV BSHG, wonach das - nur bei ambulanter Pflege zu zahlende Pflegegeld - auch für Schwerstbehin- derte vorgesehen ist 58) . Umstritten ist die Frage, ob bei der Beurteilung des "Aus- reichens" Kostengesichtspunkte eine Rolle spielen dürfen. Diese Frage wird viru- lent, wenn Schwerbehinderte sich ganz oder teilweise durch "besondere Pflege- kräfte" pflegen lassen wollen, deren Finanzierung die Kosten stationärer Pflege aber übersteigen würde. In der Praxis der Sozialhilteträger'") und der Oberverwaltungsgerichte'P) wird in diesen Fällen zunächst festgestellt, daß zwar ambulante Pflege angemessen und möglich sei. Es folgt dann aber unter Hinweis auf § 3 11 BSHG eine Prüfung, ob die ambulante Pflege unverhältnismäßige Mehrkosten verursache-t). Eventuelle unverhältnismäßige Mehrkosten werden nicht übernommen. In der Literatur ist die Gegenansicht verbreitet, daß bei der Frage, ob stationäre Hilfe erforderlich ist, Kostenfragen keine Rolle spielen dürften'<). Diese Gegenansicht entspricht dem Gesetz: Nach § 3 11 5.1 BSHG soll Wünschen des Hilfeempfängers. "die sich auf die Gestaltung der Hilfe richten", entsprochen werden, soweit die Wünsche angemes- sen sind. Nach Satz 3 braucht der Sozialhilfeträger Wünschen nicht zu entspre- chen, deren Erfüllung mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden wäre (sog. "Mehrkostenvorbehalt'(63»). Das Wunschrecht des Hilfeempfängers bezieht sich demnach auf das "Wie" der Hilfev') . Wenn ausnahmsweise der Bedarf durch verschiedene Hilfearten in glei- 58) vgl. [ürgens, 185 f. 59) [ürgens, 186; Neumann, RsDE 1 (1988), 1 (13). 60) VGH Kassel, RsDE 3 (1988), 89 (92); OVG Lüneburg FEV5 38 (1989),452 (457) ; zu- stimmend Giese 5Gb 1990, 384 (385 f). 61) Vgl. schon oben in diesem Kapitel unter 1.2.1.1.d (5.34 f). 62) [ürgens, 186 f; Krahmer, ZfF 1987,5; Neurnann, RsDE 1 (1988), 1 (13 /14); LPK, § 3a Rdnr.9. 63) Neurnann, RsDE 1 (1988), 1 (12). 64) Neurnann, RsDE 1 (1988), 1 (6); BVerwGE 65, 52 (54); OVG Lüneburg FEV5 32 (1983),282 (286). Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 41 eher Weise befriedigt werden kann, kann der Wunsch auch einmal die "Art" der Hilfe betreffen's). Die Entscheidung über das "Wie" der Hilfe ist eine Ermessen- sentscheidung, soweit das BSHG das Ermessen nicht auschließt (§ 4 11 ). Bei ei- nem nach § 3 11 BSHG beachtlichen Wunsch wird dieses Ermessen reduziert. Ist freilich das Gestaltungsermessen ausgeschlossen, können nach dieser Systematik Gestaltungswünsche des Hilfesuchenden keine Rolle mehr spielen. Der Mehrko- stenvorbehalt in § 3 11 3 BSHG, der das Wunschrecht begrenzt, kann dann auch nicht mehr zum Zuge kommen. Eine solche Situation ist bei der Hilfe zur Pflege gegeben. Die die Gestaltung der Hilfe betreffende Frage, ob die Hilfe stationär oder nicht-stationär erbracht werden soll, ist vom Gesetz strikt, ohne eine Ermessensklausel geregelt. Es heißt in §69 I BSHG nicht etwa, daß häusliche Pflege gewährt werden soll oder kann, sondern: "Reichen häusliche Wartung und Pflege ... aus, gelten die Absätze 2 bis 6". So sieht nach den Usancen der Gesetzessprache keine Ermessensvorschrift aus. Mithin fehlt es an einem Ansatzpunkt für den Mehrkostenvorbehalt'e). Eine sonstige Vorschrift, die es rechtfertigen könnte, den Begriff des Ausreichens selbst auch unter Kostengesichtspunkten auszulegen gibt es nicht. Es ist vielmehr eine rein fachliche Frage, ob die häusliche Pflege ausreichts/). Sie ist zu bejahen, wenn angesichts der medizinischen und sozialen Lage des Pflege- bedürftigen der Pflegebedarf auch ohne stationäre Unterbringung tatsächlich ge- decktwerden kann, insbesondere wenn Pflegepersonen oder Pflegekräfte zur Ver- fügung stehene"). 1.2.2.2. Umfang der stationären Hilfe WirdHeimpflege gewährt, wird als Teil dieser umfassenden Leistung der Pflege- bedarfabgedeckt. In der Praxis liegt - angesichts der Personalschlüssel - die In- tensität der Pflege häufig unter der bei häuslicher Pflege69) . Die Hilfe zur Pflege in einer Einrichtung umfaßt nach § 27 111 BSHG "auch denin der Einrichtung gewährten Lebensunterhalt", also nicht etwa den gesamten Lebensbedarf, sondern nur den tatsächlich in der Einrichtung angebotenen (v. a. Unterkunft, Verköstigung). Kosten für Bekleidung gehören beispielsweise nicht zum in der Einrichtung gewährten Unterhalt?"). Pflegegeld wird nicht gewährt. Angesichts der "Rundumversorgung" in der 65) Neumann ebd. m.w.N.. 66) Jürgens, 186; Neumann, RsDE 1 (1988), 1 ( 13 f). 67). GottschicklGiese, § 69, Rdnr. 2; Krahmer, ZfF 1987, 5. 68) Jürgens, 188; MerglerlZink, § 69, Rdnr. 35. 69) Jürgens, 186. 70) BVerwGE FEVS 40 (1990),397 (398 f). 42 Sozialhilferechtlicher Teil Einrichtung besteht nach der Konzeption des Gesetzes keine Notwendigkeit, Pflegebereitschaft zu wecken oder zu erhalten. 1.2.3. Teilstationäre Hilfe Die Hilfe kann auch teilstationär gewährt werden. Auch in diesem Fall ist nach § 100 I Nr. 1 BSHG der überörtliche Träger der Sozialhilfe zuständig. Zu denken ist dabei an Tages-, Nacht- und Wochenendkliniken, Behindertenwerkstätten oder Tagesstätten für behinderte Kinder. Das Pflegegeld kann bei teilstationärer Unterbringung angemessen gekürzt werden (§ 69 IV 3 BSHG)70a). In Richtlinien wird häufig eine pauschale Kürzung um 20 bis 30% vorgesehen."). 2. Vergleichbare Leistungen im Rahmen der Eingliederungshilfe für Behinderte Auch Leistungen der Eingliederungshilfe für Behinderte können Pflegeanteile enthalten. Sie müssen daher in die Betrachtung mit einbezogen werden. Die Ein- gliederungshilfe für Behinderte zählt zu den Hilfen in besonderen Lebenslagen. Sie ist in den §§ 39 bis 47 BSHG geregelt. 2.1. Bedarfslage Eingliederungshilfe erhalten Personen, die nicht nur vorübergehend körperlich, geistig oder seelisch behindert sind. Von entsprechender Behinderung Bedrohte stehen den Behinderten gleich (§ 39 I, 11BSHG). Langwährende Pflegebedürftig- keit ist eine typische Behinderungssituation im Sinne des § 39 I BSHG. Die Eingliederungshilfe bezweckt eine Besserung des Zustandes des Behinder- ten und seine Eingliederung in die Gesellschaft (§ 39 111 und IV BSHG). Dazu ge- hört nach § 39 111 2 BSHG vor allem, dem Behinderten die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihm die Ausübung eines angemessenen Berufs zu ermöglichen oder ihn soweit wie möglich unabhängig von der Pflege zu machen. Insofern unterscheidet sich die Eingliederungshilfe von der "statischen" Hilfe zur Pflege. 2.2. A,·t der Bedarfsdeckung § 40 I BSHG enthält einen - nicht abschließenden - Katalog von Eingliede- rungsmaßnahmen, die ihrem Ansatz nach der Zielsetzung der Eingliederungshilfe entsprechend keinen pflegerischen Charakter haben. Soweit die Hilfe ambulant erbracht wird, kann der daneben bestehende Pflegebedarf über die Hilfe zur Pfle- ge befriedigt werden. Der Überschneidungsbereich der beiden Leistungen be- 70a) Vgl. hierzu jetzt BVerwG FEVS 41 (1991), 401. 71) LPK, § 69, Rdnr. 43 f; BWSHR Rdnr. 69.40: maximal 20%. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 43 ginnt, wo die Eingliederungshilfe in Einrichtungen erbracht wird. Nach den §§ 40 11, 43 I BSHG kommt Eingliederungshilfe nämlich auch als stationäre oder teilsta- tionäre Hilfe in Frage. In diesem Fall umfaßt die Hilfe auch Pflegeanteile, obwohl das Gesetz dies nicht ausdrücklich sagt72) . Der Pflegeanteil geht in der Eingliede- rungshilfe auf und ist nicht als selbständige Hilfe anzusehen"]. Meist findet sich diese Konstellation, wenn sich behinderte Kinder einen Teil des Tages in Werkstätten für Behinderte aufhalten, im übrigen aber bei ihren El- tern wohnen und von diesen gepflegt werden. Bei alterspflegebedürftigen Perso- nen dürften solche Mischfälle nicht vorkommen, da bei ihnen die stationäre Un- terbringung kaum einem der in § 39 111 BSHG angesprochenen Eingliederungs- zwecke dienen kann. Auch die Fälle teilstationärer Versorgung im Rahmen der Eingliederungshilfe rechtfertigen im übrigen eine Kürzung des Pflegegeldes nach § 69 IV 3 BSHG74). §23 111 BSHG sieht einen 40% igen Mehrbedarfszuschlag bei gewissen Einglie- derungsmaßnahmen vor. 3. Bedürjiigkeit bei der Hilfe zur Pflege 3.1. Allgemeine Bedür[tigkeit Nach § 2 I BSHG erhält keine Hilfe, wer Hilfe von anderen, besonders von An- gehörigen erhält. Hieraus ist geschlossen worden, daß Pflegeleistungen dann ausschieden, wenn häusliche Pflege durch Unterhaltspflichtige erbracht werde?"), Soweit es um das Pflegegeld geht, sieht die ganz allgemeine Ansicht das anders. Pflegegeld soll gera- de auch dann gewährt werden, wenn Angehörige pflegen - unabhängig davon, ob dieseunterhaltsrechtlich oder gar vertraglich zur Pflege verpflichtet sind"}, Eine Durchbrechung des Nachranggrundsatzes stellt das deswegen nicht dar, weil das Pflegegeld nicht den unmittelbaren Pflegebedarf abdecken soll. Anders verfährt die Praxis bisweilen bei der nach Ermessen zu gewährenden Beihilfe nach § 69 111 2 BSHG und versagt bei Pflege aufgrund einer Pflegever- pflichtung die Gewährung einer Beihilfen). 72) IgI, 404. 73) Schellhorn/]irasek/Seipp, § 39, Rdnr. 41. 74) Gottschick/Giese, § 69, 7.4. 75) Kilian, NDV 1962,266 (268); BayVGH NDV 1967, 93. 76) BVerwGE29,108 (Revisionsurteil zu BayVGH NDV 1967, 93); ave Münster, FEVS 38,(1989) 63 (73);]ürgens, 205. 77) Vgl. zu dieser Praxis und ihrer Kritikwürdigkeit schon in diesem Kapitel sub 1.2.1.1.b (5. 32 f). 44 Sozialhi/ferechtlicher Teil 3.2. Spezielle Bedürftigkeit Seit dem Erlaß des BSHG zählt die Hilfe zur Pflege zu den Hilfen in besonde- ren Lebenslagen, für die das Gesetz in Abweichung vom bisherigen Fürsorgerecht (§§ 5,8 RGr) nach dem Vorbild einiger Spezialregelungen/") einen erweiterten Hilfebedürftigkeitsbegriff eingeführt hat?"). Dementsprechend wird nach § 28 BSHG Hilfe in besonderen Lebenslagen gewährt, soweit dem Hilfesuchenden der Einsatz seines Einkommens und Vermögens nicht zuzumuten ist. Soweit eigene Mittel eingesetzt werden müssen, werden die Pflegeleistungen, wie sie zunächst z. B. nach § 69 BSHG errechnet worden sind, entsprechend gekürzt. Das Pflege- geld kann also beispielsweise nach § 69 V BSHG auf der "Bedarfsseite", oder aber wegen § 28 BSHG auf der "Einkommensseite" gekürzt werden. Die Zumutbarkeit ist näher geregelt im 4. Abschnitt (§§ 79 bis 88 BSHG), der auch einige Spezialregeln für Fälle der Pflegebedürftigkeit enthält. In § 76 BSHG ist der Begriff des Einkommens festgelegt, den auch die späteren Regeln über den Einkommenseinsatz bei Hilfen in besonderen Lebenslagen voraussetzen. 3.2.1. Einkommensbegriff Zum Einkommen gehören alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnah- me insbesondere der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und ähnli- cher Leistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz (§ 76 I BSHG). Diese Ausnahmen lassen sich begreifen als "gesetzliche Sonderbedarfspauschalie- rung"SO). Vom Einkommen sind nach § 76 11 BSHG Steuern, Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung, gewisse sonstige Versicherungsbeiträge sowie Werbungsko- sten abzusetzen. Zwei Einzelfragen verdienen nähere Betrachtung: 3.2.1.1. "Wartung und Pflege" als Einkommen? Fraglich ist, ob tatsächlich erbrachte Pflege durch nahestehende Personen als Einkommen in Geldeswert angesehen werden kann. Eine Rolle spielt diese Frage besonders in den Fällen, in denen aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung "Wartung und Pflege" gewährt wird, wie es sich in dem in Kapitel 281) berichteten Fall verhielt'"). Das Bundesverwaltungsgericht hat in jenem Fall grundsätzlich auch Wartung und Pflege als Einkommen angesehen, allerdings auf erhebliche Bewertungs- 78) Im Körperbehinderten- und im Tuberkulosehilfegesetz aus dem Jahr 1957. 79) Amtl, Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drs 3/1799, 34. 80) Giese, bei Münder (Hrsg), 1988, 18. 81) Sub 3.1.1. (S. 25 f). 82) BVerwGE 29, 108. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSH G 45 schwierigkeiten hingewiesen'ü). Die baden-württembergischen Sozialhilferichtli- nien betrachten Wartung und Pflege aufgrund vertraglichen Anspruchs als Ein- künfte in Geldeswert'"). In der Literatur wird wohl überwiegend die Auffassung vertreten, Wartung und Pflege könnten nicht als Einkommen angesehen werden'"), Der in der Literatur vertretenen Auffassung ist zuzustimmen. Zum einen führt siezu einem Wertungsgleichklang mit dem allgemeinen sozialversicherungsrecht- liehen- und steuerrechtliehen Einkommensbegriff86) , wonach persönliche Dienst- leistungen nicht zu den Einkünften i. S. d. §§ 2 I Nr. 7, 22 Nr. 1 EStG zählen'"). Vor allem aber spricht die Ausgestaltung des § 69 BSHG schon im Ansatz ge- geneine Anrechnung tatsächlicher Betreuungsleistungen auf der Einkommenssei- te. Nach der Fassung des § 69 BSHG vor dem Dritten Änderungsgesetz war die Gewährung von Pflegegeld sogar davon abhängig, daß Pflege durch nahestehende Personen erbracht wurde. Es war angesichts dessen schwer verständlich, die er- brachte Pflege gleichzeitig wieder auf das Pflegegeld anzurechnen. Mittlerweile ist die Gewährung des Pflegegeldes nicht mehr von Pflegeleistungen abhängig. Da- durch sollte aber gerade der Zugang zum Pflegegeld erleichtert werden. In anderen Fällen, in denen die Betreuung gewährleistet ist, sieht § 69 eine "Kürzung" vor: Bei vollstationärer Pflege wird kein Pflegegeld gezahlt, bei teils ta- tionärer Pflege kann es gekürzt werden (§ 69 IV 3 BSHG). Eine entsprechende Kürzungsvorschrift, wonach etwa aufgrund eines Altenteilvertrages geschuldete Pflege zur Kürzung des Pflegegeldes berechtigen könnte, würde systematisch ebenfalls zu § 69 gehören. Dort aber findet sich keine solche Regel. Das läßt sich nur so erklären, daß das Gesetz auch in diesen Fällen einen Bedarf sieht, die Pfle- gebereitschaft zu fördern. Die Verpflichtung zur Pflege mag im Rahmen des Er- messens bei der Aufstockung des Pflegegeldes (§ 69 V 2 BSHG) berücksichtigt werden. Eine Anrechnung auf der Einkommensseite liefe der Systematik und dem Sinndes § 69 zuwider'"), 83) BVerwG a.a.O. (Fn. 82), 112 f. 84) BWSHR Rdnr. 76.11. 85) LPK § 76, Rdnr. 7; GottschicklGiese, § 76 Anm. 4 und § 69 Anm. 10.2; ebenso auch BayVGH FEVS 39 (1990),45 (50);im Ergebnis auch G DV 1967,92 (93); Schmitt, K., BayVBI 1968, 205 (207) soweit es um die Erfüllung einer Unterhaltspflicht geht; a. A. Millieh, 130. 86) Vgl. § 165GB-IV "Gesamteinkommen ist die Summe der Einkünfte i. S. d. Einkom- menssteuerrechts." 87) Tipke, 355; Schmidt, E5tG, § 22, Anm. 6 a,aa. 88) Ähnlich GottschicklGiese, § 69, Anm. 10.2.; vgl. auch BayVGH a.a.O. (Fn.), 49 unten und 52. 46 Sozialhilferechtlicher Teil 3.2.1.2. Alterssicherungskosten Selbständiger Bei der Bereinigung des Einkommens nach § 76 11BSHG ist problematisch und für spätere Erörterungen bedeutsamf") die Aussonderung der Alterssicherungs- kosten für Selbständige. Bei Beamten fällt der Erwerb der Pensionsanwartschaften von vorneherein nicht unter den Begriff der "Einkünfte". Für in der gesetzlichen Rentenversiche- rung Versicherungspflichtige werden die Pflichtbeiträge nach § 76 11Nr.2 BSHG abgesetzt. Die Aufwendungen Selbständiger für ihre Alterssicherung werden über N r. 3 berücksichtigt, allerdings nur, wenn sie nach Grund und Höhe angemessen sind. Angemessen sind Beiträge - etwa zu einer Lebensversicherung - , wenn sie zu ei- ner Alterssicherung führen, wie sie ein vergleichbarer Angestellter oder Beamter erhalten wird. Die Praxis orientiert sich insoweit häufig an den Beitragssätzen der gesetzlichen Rentenversicherung. Gramm hat in einem für die Bundesvereinigung Lebenshilfe erstellten Gutachten darauf hingewiesen, daß dieser Prozentsatz dann nicht realistisch ist, wenn - wie nicht unüblich - eine Lebensversicherung zur Al- tersversorgung erst relativ spät abgeschlossen wird'") . 3.2.2. Einsatz des Einkommens 3.2.2.1. Einkommensgrenze Für die Hilfe zur Pflege gilt grundsätzlich die allgemeine Einkommensgrenze für Hilfe in besonderen Lebenslagen, die in § 79 BSHG geregelt ist. Nach § 79 BSHG ist dem Hilfesuchenden und seinem nicht getrennt lebenden Ehegatten die Aufbringung der Mittel nicht zuzumuten, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen die Einkommensgrenze nicht übersteigt. Die Einkommensgrenze errechnet sich aus einem Grundbetrag zuzüglich der angernessenen'") Kosten der Unterkunft sowie eines Familienzuschlages in Höhe von 80% des Eckregelsatzes für den Ehegatten und andere vom Hilfesuchenden überwiegend unterhaltene Personen. Der Grundbetrag beträgt nach dem Geset- zeswortlaut 736 DM. Er ist nach § 82 BSHG entsprechend der Entwicklung der allgemeinen Bemessungsgrundlage in der Rentenversicherung der Arbeiter anzu- passen. Seit dem 1.7.1990 beträgt er 860 DM92). Der Grundbetrag des § 79 BSH G gilt aber nur bei einfacher Pflegebedürftigkeit, wenn die Pflege außerhalb einer 89) Der Einkommensbegriff des § 76 BSHG gilt gemäß § 91 I 2 BSHG auch, wenn Rück- griff gegen Unterhaltspflichtige genommen wird. 90) Gramm, 49. 91) Seit dem Haushaltbegleitgesetz 1984 werden hier nicht mehr die tatsächlichen Unter- kunftskosten angesetzt. 92) Entwicklung des Grundbetrages bei Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 82, Rdnr. 7. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 47 Anstalt erbracht wird. Ein erhöhter Grundbetrag gilt bei Pflege in einer Einrich- tung, wenn sie voraussichtlich über längere Zeit'") erforderlich ist, und bei häusli- cher Pflege, wenn die Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 69 111 BSHG erheblich ist94) (§ 81 I Nr. 5 BSHG). Der erhöhte Grundbetrag beläuft sich auf 1104 DM, seit 1.7.1990 angepaßt auf 1289 DM. Eine weitere Erhöhung findet statt bei Schwerstpflegebedürftigkeit (2208, seit 1.7.1990 2580 DM). In den zuletzt ge- nannten Fällen gilt nach § 81 111 BSHG auch ein erhöhter Familienzuschlag. 3.2.2.2. Regeln über den Einsatz des Einkommens Genau genommen ist der Begriff "Einkommensgrenze" unscharf. Mit ihrer Feststellung ist über den Einsatz des Einkommens nämlich zunächst noch nicht viel gesagt. Nach der Systematik der §§ 79 ff BSHG wird durch die Einkommens- grenze die Weiche zu den maßgeblichen Einsatzregeln gestellt, die sich in den §§ 84 und 85 BSHG finden. 3.2.2.2.1. Einsatz des Einkommens über der Einkommensgrenze (§ 84 BSHG) Wirddie Einkommensgrenze überschritten, "ist die Aufbringung der Mittel in an- gemessenemUmfang zuzumuten" (§ 84 I 1 BSHG). Bei der Prüfung, welcher Um- fang angemessen ist, sind vor allem die Art des Bedarfs, die Dauer und Höhe der er- forderlichen Aufwendungen sowie besondere Belastungen des Hilfesuchenden und seiner unterhaltsberechtigten Angehörigen zu berücksichtigen (§ 84 I 2 BSHG). Zur Anwendung der §§ 84 ff BSHG hat der "Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge" Empfehlungen herausgegeben. Ausführungen zu § 84 BSHG finden sich dort in den Randnummern 10 bis 22. Bedeutsam ist besonders die Kommentierung des vom Gesetz vorgegebenen Auslegungsmaterials. Inso- weit enthalten die Empfehlungen auch Hinweise, die gerade in Pflegesituationen zumTragen kommen können. Zunächst wird der Gesichtspunkt "Art des Bedarfs" konkretisiert"}. Eine groß- zügige Beurteilung sei geboten, wenn der Bedarf auf ein Ereignis zurückgehe, "durchwelches die Gesundheit oder Lebensgrundlage des Hilfesuchenden voraus- sichtlich auf Dauer beeinträchtigt wird (Schicksalsschlag}'?"). Dazu wird man ins- besondere Pflegebedürftigkeit infolge eines Unfalls zählen können. Dieselbe großzügige Behandlung sei geboten, wenn eine weitgehende Eigenbe- teiligung die Erreichung des sozialpolitischen Zwecks der Hilfeart erschweren 93) BWSHR, Rdnr. 81.01: mindestens 1 Jahr. 94) BWSHR Rdnr. 81.02. 95) "Empfehlungen für die Anwendung der §§ 84 ff BSHC", Rdnr. 12. 96) Rdnr. 12 a. 48 Sozialhi/ferechtlicher Teil würde. Dies kann insbesondere auf häusliche Pflege zutreffen?"). Zum Aspekt "Dauer der Aufwendungen" wird bei länger als sechs Monate dau- ernden Aufwendungen großzügige Handhabung empfohlen?") .Dadurch soll einer "nachhaltigen wirtschaftlichen Herabstufung" entgegengewirkt werden?"). Schließlich kann die Pflegebedürftigkeit unter dem Gesichtspunkt "besondere Belastung" ins Gewicht fallen: Kosten für Pflegepersonentw), soweit dafür nicht gesonderte Sozialhilfeleistungen geltend gemacht werden oder geltend gemacht werden könnent?"), können solche besonderen Belastungen sein, Zur Frage, in welchem Umfang die Eigenbeteiligung "angemessen" ist, geben die Empfehlungen im übrigen bewußt keine näheren Anweisungen'P"). Nach der neuesten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich um ei- nen unbestimmten Rechtsbegriff, dessen Anwendung gerichtlich in vollem Um- fang kontrolliert wird103) . 3.2.2.2.2. Einsatz des Einkommens unter der Einkommensgrenze (§ 85 BSHC) Der Einsatz des Einkommens, das unter der Einkommensgrenze liegt, kann grundsätzlich nicht verlangt werden. Ausnahmen läßt § 85 BSHG in drei Fällen - nach Ermessen des SozialhiIfeträgers - zu. Hat der Hilfebedürftige Einkommen, das die Einkommensgrenze übersteigt, so kann § 85 neben § 84 angewendet wer- den. Gegebenenfalls ist ein Gesamtanrechnungsbetrag zu ermitteln'?"). Die Anrechnung nach § 85 darf nicht dazu führen, daß der Pflegebedürftige da- durch hilfebedürftig bezüglich seines allgemeinen Lebensunterhalts wird. Der Be- darfssatz der Hilfe zum Lebensunterhalt ist daher im Rahmen des § 85 BSHG mindestens freizulassen 105). Die baden-württembergischen Sozialhilferichtlinien belassen einen "Garantiebetrag" i. H. v. 1300/0 des Regelsatzes zuzüglich etwaiger Mehrbedarfszuschläge zuzüglich Unterkunftskosten106). 97) LPK, § 84, Rdnr. 4. 98) Rdnr. 17. 99) Imlau, zu Rdnr. 17,41 f; vgl. auch BVerwGE 35, 360 (363): "... daß namentlich die Hil- fe in besonderen Lebenslagen nicht zu einer nachhaltigen wirtschaftlichen Herabstu- fung des Hilfeempfängers führen soll." 100) Rdnr. 21 b Nr. 2. 101) LPK, § 84, Rdnr. 7; Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 84, Rdnr. 15; BVerwGE 22,319 (324). 102) Rdnr. 22. 103) BVerwG FEVS 39 (1990),93 (96); so auch LPK, § 84 Rdnr. 3 m.w.N.; für Ermessen ave Bremen, FEVS 21, 94; Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 84, Rdnr. 9; Gottschick/Gie- se,§ 84, Rdnr.5. 104) LPK § 85, Rdnr. 19; ScbellhornijiraseklSeipp, § 85, Rdnr. 28 wollen in Fällen der Nr. 1 aus Billigkeitsgründen eine Ausnahme machen. 105) Gottschick/Giese, § 85, Anm. 4; LPK § 85, Rdnr. 18. 106) BWSHR Rdnr. 85.23. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 49 (1)Nach § 85 Nr. 1 BSHG kann der Einsatz des Einkommens verlangt werden, soweit von einem anderen Leistungen für einen besonderen Zweck gewährt wer- den, für den sonst Sozialhilfe zu gewähren wäre. Die Tragweite dieser Vorschrift bei der Hilfe zur Pflege ist gering. Soweit im Blick auf den Pflegebedarf öffentlich-rechtliche Leistungen gezahlt werden, wer- den diese schon auf der "Bedarfsseite" berücksichtigt: Nach § 69 111 3 BSHG wer- den "gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften" insbesondere auf das Pflegegeld angerechnet (z. B. Pflegegeld nach § 35 BVG oder § 558 111 RV0)1°7). Eine gewisse Rolle kann § 85 Nr. 1 BSHG bei Zahlungen Privater spielen. Beispiel'08): H ist im Sinne des § 69 11BSHG pflegebedürftig. Für eine Pflegekraft bezahlt er monat- lich 300 DM. Sein zu berücksichtigendes Einkommen beträgt 1200 DM monatlich. Es setzt sich zusammen aus dem Einkommen der nicht getrennt lebenden Ehefrau (1000 DM) sowie einem Betrag von 200 DM, der dem H für die Bezahlung einer Pflegekraft von Verwandten gewährt wird. Die Einkommensgrenze beträgt 1230 DM. Nach § 69 113 BSHG kann H Ersatz der Kosten für die Pflegekraft i. H. v. 300 DM ver- langen. Davon ist ein eventueller Eigenanteil abzuziehen. Da sein Einkommen unter der Einkommensgrenze liegt, kommt ein Eigenanteil nur i. H. v. maximal 200 DM nach § 85 Nr. 1 in Frage: Die Zahlung der Verwandten ist eine Leistung i. S. der Vorschrift, da sie ebenfalls die Aufwendungen für die Pflegekraft - teilweise - abdecken soll. Verlangt der Sozialhilfeträger nach Ermessensausübung z. B. einen Eigenanteil von 100 DM, erhält H 300 DM - 100 DM = 200 DM als Aufwendungsersatz. Probleme ergeben sich, wenn die Pflegeleistungen aufgrund eines Vertrages er- brach t werden. In dem in Kapitel 2109) berichteten Fall hat das Bundesverwaltungsgericht zu- nächst die freie Wartung und Pflege als - wenn auch schwer zu bewertendes - Ein- kommen des 90 jährigen K angesehen, das der Sozialhilfeträger für K günstig nur mit 60DM bewertet hatte. Im Anschluß führte das Bundesverwaltungsgericht aus l!"}, K erhalte in Gestalt derWartung und Pflege seitens seiner Tochter Leistungen, für die sonst Sozialhil- fe zu gewähren wäre. Zwar diene das Pflegegeld der Erhaltung der Pflegebereit- schaft. Insoweit sei der Bedarf aber geringer, wenn vertragsgemäß Wartung und Pflege erbracht werde. Dem Restbedarf bezüglich Erhaltung der Pflegebereit- schaft habe der Sozialhilfeträger angemessen Rechnung getragen, indem K noch 50 DM zu diesem Zweck zur Verfügung stünden. 107) Das übersieht Krahmer, LPK § 85, Rdnr. 3; wie hier BWSHR, Rdnr. 84.13. 108) Nach GottschicklGiese, § 85, Anm. 5.4. Die Zahlen in diesem Beispiel beziehen sich auf dasJahr 1985. 109) Sub 3.1.1 (5. 25). 110) BVerwGE 29, 108 (113); ebenso: aVG Münster FEVS 38 (1989), 64 (73 f) und BWSHR Rdnr. 85.04: Kürzung des Pflegegeldes um die Hälfte in solchen Fällen. 50 Sozialh ilferechtlicher Teil Dieser Auffassung ist mit Recht widersprochen wordent!"). Es kann insoweit auf die Argumente verwiesen werden, die bereits gegen die Berücksichtigung der Naturalpflege als Einkommen sprecherr'!"). Ferner ist zu bedenken, daß nach dem Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts freiwillig geleistete Pflege nicht nach § 85 N r. 1 angerechnet werden dürfte, da dann voller Bedarf an Erhaltung der Pflege- bereitschaft besteht. § 85 Nr.1 unterscheidet aber nicht danach, ob die "Leistung" geschuldet wird oder nicht. Maßgeblich ist nur, ob sie gewährt wirdl 13) . Dies be- stätigt, daß die Kürzungserwägung des Bundesverwaltungsgericht richtigerweise auf der .Bedarfsseite" anzusiedeln wäre. Insoweit gibt aber § 69 BSHG keine Le- gitimation für eine Kürzung. (2) § 85 Nr. 2 BSHG, der den Fall betrifft, daß die Bedarfsdeckung lediglich ge- ringfügige Mitte] erfordert, spielt in Pflegekonstellationen nur eine geringe Rolle. Denkbar ist vor allem der Fan, daß nach Berücksichtigung des Eigenanteils nach §§ 84, 85 Nr. 1, 3 nur noch z. B. Pflegegeld i. H. v. maximal 10 DM monatlich zu zahlen wärc!'"). (3) Wichtig hingegen ist § 85 Nr. 3 BSHG. Nach Satz 1 kann der Einkommenseinsatz verlangt werden, soweit bei der Hilfe in einer Anstalt, einem Heim oder einer gleichartigen Einrichtung oder in einer Einrichtung zur teilstationären Betreuung Aufwendungen für den häuslichen Le- bensunterhalt erspart werden. Diese Vorschrift ist gewissermaßen das Gegenstück zu § 27 111 BSHG: Sie soll vermeiden, daß der Hilfeempfänger, der im Heim den Lebensunterhalt erhält, besser steht, als lebte er zu Hause, wo er im Hinblick auf Einkommen keine Hilfe zum Lebensunterhalt hätte beanspruchen können. In der Praxis wird meist eine Ersparnis in Höhe von 70 bis 80% des Regelsatzes angenommen115). Bei teilstationärer Versorgung ist die Ersparnis entsprechend geringer. Entgegen der h. M.116) ist die Ersparnis bei höherem Einkommen nicht höher anzusetzen. Krahmer weist zu Recht darauf hin 117), daß höheres Einkom- men ansonsten zweimal, nämlich im Rahmen des § 85 wie des § 84 , berücksich- tigt würde. Schließlich sieht Nr. 3 Satz 2 vor, daß in angemessenem Umfang die Aufbrin- gung der Mittel verlangt werden soll von Personen, die auf voraussichtlich längere 111) GottschicklGiese, § 69, Anm. 10.2.; BayVGH, a.a.O. (Fn. 85), 51 f; Millieh, 140 - 142. 112) In diesem Kapitel sub 3.2.1.1 (5. 44 f). 113) BayVGH a.a.O. (Fn. 85); Millieh, 141. 114) BWSHR Rdnr. 85.06/ 85.07; kritisch hierzu LPK, § 85, Rdnr. 6. 115) LPK, § 85, Rdnr. 9. 116) z .B. Schellhorn/jirasek/Seipp, § 85, Rdnr. 14; BWSHR Rdnr. 85.11: je nach Einkom- men 80 - 150% des Regelsatzes. 117) LPK, § 84, Rdnr. 10. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 51 Zeit stationärer (nicht:teilstationärer) Hilfe'!") bedürfen, solange sie nicht einen anderen überwiegend unterhalten. Zur Sollvorschrift wurde die vormalige Ermes- sensregel durch das Haushaltbegleitgesetz 1984 119) . »Längere Zeit" bedeutet nach den einschlägigen Empfehlungen des Deutschen Vereins mehr als ein Jahr120) . Eine Untergrenze zur Anrechnung stellt der Barbe- trag zur 'persönlichen Verfügung dar (§ 21 111 BSHG). Zur Begründung dieser Vorschrift findet sich wenig: Die Regierungsbegrün- dung ist unergiebigl-"). In seiner Kommentierung der ersten Auflage der Heran- ziehungsempfehlungen kennzeichnet Giese § 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG als "Bereiche- rungsvorschrift"!"): In Imlaus Kommentierung der dritten Auflage der Empfeh- lungenzu den §§ 84 ff BSHG heißt es, die Regelung werde gerechtfertigt dadurch, daß bei alleinstehenden Heimbewohnern nicht mehr auf Angehörige und auf die Aufrechterhaltung ihres Lebensstandards Bedacht zu nehmen sei l 23) . 3.2.3. Einsatzdes Vermögens a) Der vierte Abschnitt des BSHG enthält anders als hinsichtlich des Einkom- menseinsatzes keine Sonderregelung für den Einsatz des Vermögens bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen. Vielmehr gilt die einschlägige Regel des § 88 BSHG für alle Hilfearten. Nach Absatz 1 gehört zum Vermögen, das gemäß § 28 BSHG einzusetzen ist, das gesamte verwertbare Vermögen. Nach Absatz 2 darf die Gewährung der Sozialhilfe nicht abhängig gemacht wer- den von Einsatz oder Verwertung der nachfolgend genannten Vermögensgegen- stände. Abs. 3 enthält eine Härteregelung, Absatz 4 eine Verordnungsermächti- gung zu § 88 11 Nr. 8 BSHG, von der der Bundesminister für Jugend Familie, Frauen und Gesundheit Gebrauch gemacht hat124). Angesichts dieser dem Anschein nach für alle Hilfearten gleichen Regelung ist zunächst daran zu erinnern, daß das BSHG die Vorschriften über den Einsatz ei- gener Mittel grundlegend unterschiedlich ausgestaltet hat je nachdem, ob es um 118) »Pflege" wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hier untech- nisch - d. h. z. B. stationäre Maßnahmen der Eingliederungshilfe umfassend - verstan- den, BVerwG FEVS 32 (1983) 309 (312 ff); a.A. LPK, § 85, Rdnr. 16. 119) Vom 22.12.1983, BGBI I, 1532. 120) Rdnr. 28 Abs. 1 Satz 2. 121) BT-Drs 3/1799, 54: keine Begründung. 122) Heranziehungsempfehlungen, 1. Aufl., /Giese, 65 f. 123) lmlau, 55. 124) Verordnung zur Durchführung des § 88 Abs. 2 Nr. 8 des Bundessozialhilfegesetzes vom 11.12.1988, BGBI I, 150. 52 Sozialhi/ferechtlicher Teil Hilfe zum Lebensunterhalt oder um Hilfe in besonderen Lebenslagen geht125). Im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt muß der Hilfesuchende im Grundsatz alle Mittel einsetzen; bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen muß er nach der Grundsatzbestimmung des § 28 seine Mittel nur einsetzen, soweit es ihm zuzu- muten ist. Dementsprechend sind die Einkommensgrenzen "außerordentlich großzügig und zugunsten des Hilfebedürftigen ausgestaltet'(126), wobei nochmals darauf hinzuweisen ist, daß u. U. sogar über der Einkommensgrenze liegendes Einkommen freigelassen werden muß (§ 84 BSHG). Es wäre nicht einsichtig, wenn demgegenüber bezüglich des Einsatzes von Ver- mögen Empfänger von Hilfe in besonderen Lebenslagen mit Empfängern von Hilfe zum Lebensunterhalt gleichbehandelt würden. Daß dies auch der Stand- punkt des Gesetzes ist, zeigt § 88 111 BSHG. Danach darf die Sozialhilfe in Härte- fällen nicht vom Vermögenseinsatz abhängig gemacht werden. Erforderlich ist nicht mehr - wie nach früherem Recht127)- eine besondere Härte. Bei Hilfen in be- sonderen Lebenslagen liegt nach Absatz 3 Satz 2 eine Härte u. a. insoweit vor, als eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich erschwert würde. Besonders diese Klausel zeigt, daß der grundlegende Unterschied zwischen den Hilfearten auch beim Einsatz des Vermögens zu beachten ist 128). In der erwähnten Entscheidung aus dem Jahr 1963 hat der VGH Mannheim zum anderen versucht, den Wertungsgleichklang beim Einsatz von Einkommen und Vermögen durch die Überlegung zu gewährleisten, der Einsatz von Vermö- gen dürfe dann nicht verlangt werden, wenn dieses aus Einkommen erspart wor- den sei, das unter der maßgeblichen Einkommensgrenze gelegen habe. Es sei wi- dersinnig, wenn demjenigen, der die ihm zugebilligten Mittel nicht voll verbrau- che, sondern zur Rücklagenbildung verwende, die Ersparnisse aufgrund der Ver- pflichtung zum Vermögenseinsatz später wieder abgenommen würden'?"), M. E. ist diese Überlegung einleuchtend, auch wenn das Bundesverwaltungsgericht in ei- ner umstrittenen Entscheidung ausgeführt hat, bei der Beurteilung der Frage nach einer Härte i. S. d. § 88 111 BSHG komme es auf die Herkunft des Vermögens nicht an 130). Zumindest als ergänzende Überlegung sollte man den Ansatz des VGH Mannheim anerkennen. 125) Darauf machen insbesondere aufmerksam VGH Mannheim. NDV 1963, 541 sowie aVG Koblenz, VerwRspr. 21, 361 (362). 126) VGH Mannheim, NDV 1963, 541 (543). 127) § 8 a 11 RGr. 128) VGH Mannheim, a.a.O. (Fn. 126), 543; GottschicklGiese, Vorbemerkung vor § 88. 129) VGH Mannheim a.a.O. (Fn. 126), 544. 130) BVerwG ZfSH 1973, 116 (118); zustimmend: Mergler/Zink, § 88, Rdnr. 70; grundsätz- lich zustimmend: SchellhornlJiraseklSeipp, § 88, Rdnr. 70; ablehnend: GottschicklGiese, § 88, Anrn. 6.3.; JehlelSchmidt, § 88, Anm. 6 b mit Hinweis auf VG Ansbach, Urteil v. 10.7.1975 - 7507 - VI 73; LPK § 88, Rdnr. 46. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 53 Festzuhalten bleibt, daß dem grundlegenden Unterschied zwischen den Hilfe- arten beim Einsatz der Mittel mit Hilfe der Härteklausel Rechnung zu tragen ist - jedenfalls insoweit, als nicht schon § 88 11 BSHG die gebotene großzügigere Be- handlung des Pflegebedürftigen ermöglicht. Am besten wäre es freilich, wenn das Gesetz den grundlegenden Unterschied zwischen den Hilfearten klarer zum Ausdruck brächte. Einen Vorschlag in diese Richtung haben Lachwitz/Wendt gemacht, die das Vorliegen einer schweren Be- hinderung als Regelbeispiel einer Härte in § 88 III 2 BSHG aufgenommen wissen wollen'!"). b) Einzelne Vorschriften des § 88 11 BSHG lassen bei Pflegebedürftigkeit mehr Mittel frei als bei der Hilfe zum Lebensunterhalt: aa) Nach § 88 11 Nr. 8 BSHG sind kleinere Barbeträge oder sonstige kleinere Geldwerte anrechnungsfrei. Eine besondere Notlage des Hilfesuchenden ist zu berücksichtigen. § 1 I Nr. 1 b der Verordnung zu dieser Vorschrift setzt den Freibetrag bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen auf 4500 DM zuzüglich eines Familienzuschlags fest - gegenüber 2500 DM bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Bei Schwerstpfle- gebedürftigkeit beträgt der Freibetrag 8000 DM. Nach § 2 der Verordnung ist der Freibetrag angemessen zu erhöhen, wenn im Einzelfall eine besondere Notlage besteht. Bei der Prüfung, ob das der Fall ist, sindunter anderem Art und Dauer des Bedarfs sowie besondere Belastungen zu berücksichtigen. Die "Empfehlungen für den Einsatz des Vermögens" des Deut- schen Vereins verweisen123) insoweit auf die zu § 84 BSHG entwickelten Grund- sätze. Die in den Randnummern 10 bis 22 der "Empfehlungen für die Anwendung der§§ 84 ff" genannten pflegerelevanten U rnständel v) können also auch zu einer Erhöhung der Vermögensfreigrenze führen. Schellhorn nennt als Beispiel den Fall langdauernder stationärer Behandlung eines Kindes, wenn in der Familie noch Ge- schwister vorhanden sind134) • bb) § 88 11 Nr. 7 BSHG in der bisherigen Fassung nahm ein "kleines Haus- grundstück" von der Verwertung aus, wenn es vom Hilfesuchenden und von An- gehörigen bewohnt war. Ob ein Hausgrundstück "klein" sei, war nach sach- und wertbezogenen sowie nach personenbezogenen Kriterien zu beurteilen. Im Rah- men der personenbezogenen Kriterien konnten besondere Wohnbedürfnisse we- gen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit berücksichtigt werden135). 131) LachwitzlWendt, 1985, 64 - 66. 132) Rdnr.60. 133) Vgl. in diesem Kapitel sub 3.2.2.2.1 (S. 47). 134) Empfehlungen für den Einsatz des VermögenslSchellhorn, 75. 135) Sog. »Kombinationstheorie" des B VerwG. 54 Beispiel 136) : Sozialhilferechtlicher Teil Die 1944 geborene K ist seit langem querschnittsgelähmt und deshalb schwerstbehindert. Seit 1971 ist sie mit einem Krankenpfleger verheiratet. Sie erhielt bis 1982 Pflegegeld nach § 69 IV 2 BSHG. Seit 1984 bewohnen die Eheleute eine von ihnen erworbene Eigentums- wohnung mit einer Wohnfläche von 94 rrr' (einschließlich Terasse). Der Kaufpreis hatte 336.540 DM betragen. Die Belastungen beliefen sich im Jahr 1985 auf 194.000 DM. Ks Antrag vom 11.12.1985 auf Gewährung von Pflegegcld als Beihilfe blieb erfolglos. Der VGH billigte die auf den baden-württembergischen Sozialhilferichtlinien beruhende Auffassung des Sozialhilfeträgers zum Vermögenseinsatz: Die Wohnung sei für § 88 11Nr. 7 BSHG zu groß: Nach den Richtlinien gilt als angemes- sen für zwei Personen eine Wohnfläche von 60 m2 zuzüglich 15 m2 für einen behinderten Bewohncr'V). Der Zuschlag von 15 m2 für Behinderte stellt nach Auffassung des VGH »eine ganz erhebliche Vergünstigung" dar 138) . Die Wohnung sei auch zu wertvoll. Die Wertgrenze (Wohnung und Grundstück) liege für eine 75 m2 - Wohnung bei 169.000 DM139). Der VGH hielt dementsprechend eine Belastung der Wohnung zur Sicherung eines Pfle- gegelddarlehens nach § 89 BSHG für zumutbarlt"). Diese angesichts der Schwere der Behinderung kleinliche Handhabung ist durch eine Änderung des § 88 11 Nr. 7 BSHG inzwischen überholt':"). Nunmehr darf die Gewährung der Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung "eines Hausgrundstücks von angemessener Größe". Familienheime und Eigentumswohnungen sind regelmäßig jedenfalls dann nicht unangemessen groß, wenn ihre Wohnfläche die Grenze des § 39 I 1 Nrn. 1 und 3, 11 des 2.WBauG (130 bzw 120 m2) nicht übersteigt. Bei häuslicher Pflege gilt zusätzlich die Erhöhung der Flächengrenzen gern. § 82 desselben Ge- setzes um 20%, so daß die Wohnfläche 156 bzw 144 m2 betragen darf. Soweit die- ser Rahmen eingehalten ist, spielt regelmäßig der Wert des Grundstücks keine Rolle mehr. Gegen diese Neuregelung ist eingewandt worden, sie werde die Motivation zu häuslicher Pflege senken, da nun auch bei teurer stationärer Unterbringung das Grundvermögen dem Erben erhalten bleibe142) . Dieser Einwand beruht auf einem Mißverständnis: Der erhöhte Wohnbedarf wird nur bei häuslicher Pflege aner- kannt. Der nicht erhöhte Bedarf (130 bzw. 120 m2) gilt im Rahmen der Hilfe in 136) VGH Mannheim, VBIBW 1989, 430, zu dieser Entscheidung eingehend Hänlein, RsDE 16 (1992), 45 ff. 137) BWSHR Rdnr. 88.14 und 15. 138) VGH Mannheim a.a.O. (Fn. 136),431. 139) BWSHR Rdnr. 88.13; VGH Mannheim, a.a.O. (Fn. 136),432. 140) M. E. wären die Überlegungen des VGH einleuchtend, wenn es um HLU ginge. Auf die großzügige Entscheidung desselben Gerichts aus dem Jahr 1963 wird unverständli- cherweise nicht eingegangen. 141) Gesetz vom 10.12.1990, BGBI I, 2649. 142) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16.11.1990, 12 (Lescrbricf) . Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 55 besonderen Lebenslagen nur, wenn die Wohnung vom Hilfesuchenden oder sei- nem nicht getrenntlebenden Ehegatten bewohnt wird. Demnach kann § 88 II Nr.7 n. F. in den meisten Heimpflegefällen nicht zum Zuge kommen. Aber auch für die Pflegefälle, in denen § 88 II Nr. 7 BSHG n. F. zum Zuge kommt, enthält das Gesetz Vorkehrungen dagegen, daß dem Erben eines Hil- feempfängers Vermögen deshalb zuwächst, weil dem Hilfeempfänger die Verwer- tung des Vermögens nicht zugemutet wurde: § 92 c BSHG sieht nämlich vor, daß der Erbe des Hilfeempfängers - unter Beschränkung der Haftung auf den Nach- laß - die Kosten der Sozialhilfe ersetzen muß, die innerhalb der letzten 10 Jahre vor dem Erbfall aufgewendet wurden. Lediglich der Ehegatte oder Verwandte als Erbe, die mit dem Erblasser zusammengelebt und ihn gepflegt haben, können ei- nen nennenswerten Betrag (30.000 DM) für sich behalten (§ 92 c 111 Nr. 2 BSHG). c) § 881112 BSHG sieht eine Härte, die dem Vermögenseinsatz entgegensteht, vor allem dann, wenn durch die Heranziehung eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen Alterssicherung wesentlich er- schwert würde. Nach der Änderung des § 88 11Nr. 7 BSHG hat die Aufgabe die- serVorschrift, die großzügige Verschonung von Empfängern der Hilfe in beson- deren Lebenslagen zu gewährleisten, an Bedeutung verloren. Gewisse Berechnungsprobleme können sich ergeben, wenn es um die Frage geht,ob durch den erstrebten Vermögenseinsatz die angemessene Alterssicherung eines Selbständigen erschwert wird. Da diese Frage aber vornehmlich für Unter- haltsschuldner bedeutsam ist, die nach Überleitung in Anspruch genommen wer- den, wird die Problematik erst später erörtert l "}. 4. Bedürftigkeit bei der Eingliederungshilfe für Behinderte Hinsichtlich des Einkommens- und Vermögenseinsatzes gelten für die Einglie- derungshilfe gemäß § 28 BSHG die soeben dargestellten Regeln des vierten Ab- schnitts. Die Eingliederungshilfe ist besonders hervorgehoben nur in § 81 1 N r. 1 BSHG, wonach bei stationärer oder teilstationärer Eingliederungshilfe ebenfalls der erhöhte Grundbetrag gilt. Ferner enthält § 43 1 BSHG eine Sonderregelung, die bei stationärer Hilfe eine Vorleistungspflicht des Sozialhilfeträgers vorsieht. Nach § 43 11BSHG darf unter Umständen der Einsatz der Mittel nur teilweise verlangtwerden. Die Vorschrift spielt in erster Linie für den Rückgriff eine Rolle. Sie wird daher an anderer Stelle behandelt. 143) Kapitel 4 sub. 2.1.4.b,dd (1) (5. 72). 56 Sozialhilferechtlicher Teil 5. Auswirkungen der Gesundheitsreform Um die Tragweite der Verteilungskämpfe zwischen Sozialhilfeträgern und Un- terhaltspflichtigen abschätzen zu können, ist es bedeutsam zu untersuchen, inwie- weit durch die neuen Pflegeleistungen, die das Gesundheitsreformgesetz einge- führt hat, eine Entlastung der Sozialhilfeträger und damit auch der U nterhalts- pflich tigen eintreten wird. 5.1.Regelung des SGB-V a) Das SGB-V sieht bei Schwerpflegebedürftigkeit häusliche Pflegehilfe vor. Stationäre Pflege ist nicht angesprochen. Schwerpflegebedürftig sind nach der De- finition des Gesetzes Personen, die wegen einer Krankheit oder Behinderung so hilflos sind, daß sie für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Ver- richtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer in sehr hohem Maße der Hilfe bedürfen (§ 53 I SGB-V). Ausweislieh der Begründung des Fraktionsent- wurfs wurde bewußt eine vom Entschädigungsrecht - und damit auch vom Sozial- hilferecht - unabhängige Terminologie gewählt. Die Gesetzesverfasser führen aus, in der Mehrzahl der Fälle werde bei außergewöhnlicher Pflegebedürftigkeit nach § 69 111 1 HS 2 BSHG Schwerpflegebedürftigkeit gegeben sein 144). Als mögliche Fallgruppen nennt die Begründung "Querschnittsgelähmte, ständig Bettlägerige, Personen mit schweren psychischen und physischen Störungen, Hochbetagte oder Gebrechliche, die sich nicht mehr aus eigener Kraft bewegen können"145). Die bisher erschienene Aufsatzliteratur schließt sich dem an und siedelt die Ein- satzschwelle grundsätzlich bei außergewöhnlicher Pflegebedürftigkeit i. S. d. § 69 IV 1 HS 2 BSHG an146) . Die Spitzenverbände der Krankenkassen haben aufgrund des § 53 111 SGB-V i. V. m. § 213 11 SGB-V Richtlinien über die Abgrenzung der schwerpflegebedürf- tigen Personen beschlossen147): »Die Hilfsbedürftigkeit muß in sehr hohem Maße bestehen. Das bedeutet, daß die Person in der Regel in nahezu allen Bereichen ... regelmäßig auf intensive Hilfe angewiesen ist. Daher reicht die Unfähigkeit zur Ausübung einzelner Verrichtungen nicht aus, um Schwerpflegebedürftigkeit zu begründen. Die Hilfebedürftigkeit ergibt sich vielmehr aus Umfang und Menge der Defizite, die in ihrem Zusammenwirken das Gesamtbild prägen." Auch nach dieser Begriffsbestimmung dürfte bei Pflegebedürftigkeit, die bloß Anspruch auf einfaches Pflegegeld begründet, ein krankenversicherungsrechtli- cher Anspruch nicht bestehen. 144) BT-Drs 11/2237, 183. 145) Ebd. 146) Birk, info also, 1989,71; Nees, ZfSH/SGB 1989, 113 (122), Putz, ZfS 1989, 110; Eicher, SGb 1990, 129 (134). 147) Schwerpflegebedürftigkeitsrichtlinien vom 9.8.1989, DOK 1989, 636. Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSHG 57 b) Das SGB-V macht die Leistung von verschiedenen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abhängigf"). Der Pflegebedürftige muß versichert sein (§ 53 I SGB-V) . Nach der neuen Terminologie des Gesetzes ist versichert auch, wer den Schutz der Krankenversicherung im Wege der Familienversicherung genießt (§ 10 SGB-V). Nach § 10 11 N r. 4 SGB-V sind Kinder von Mitgliedern ohne Altersgren- ze versichert, wenn sie wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande sind, sich selbst zu unterhalten. §54 SGB-V verlangt ferner eine Art "Halbbelegung" - Versicherung während mindestens neun Zehnteln der zweiten Hälfte des Zeitraurns seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit bis zur Feststellung der Schwerpflegebedürftig- keit oder während einer Zeit von mindestens 180 Kalendermonaten - sowie eine Vorversicherungszeit von 36 Monaten während der letzten fünf Jahre. Für Kinder gelten diese Voraussetzungen als erfüllt, wenn sie bei einem Elternteil vorliegen (§54 1125GB-V). c) In erster Linie wird ab dem 1.1.1991 gemäß § 55 I SGB-V Pflegehilfe als Sachleistung gewährttt"), also durch Gestellung einer professionellen Pflegekraft für eine bestimmte Anzahl von Pflegeeinsätzen im Monat. Bedeutsam ist, daß die Pflege eine "Gesamtleistung" darstellt'>"), die Grundpflege und hauswirtschaftli- che Versorgung umfaßt (§ 55 I 3 SGB-V).Wird der Pflegebedürftige durch eine selbstbeschaffte Pflegeperson geeignet und ausreichend versorgt, zahlt die Kran- kenkasse ab 1.1.1991 "anstelle der häuslichen Pflegehilfe" einen Geldbetrag von 400 DM (§ 57 SGB-V). BisEnde Februar 1991 wurden bei den Ortskrankenkassen ca. 160.000 Anträge (= 90% aller Anträge auf Pflegehilfe) gestellt, die auf Zahlung dieses Geldbetrages gerichtet waren I 50a) . Der AOK-Bundesverband führt die Bevorzugung der Geld- leistung auf entsprechende Intervention der Sozialhilfeträger zurück150b) . 5.2. Verhältnis zu den Leistungen der Sozialhilfe Fraglich ist, inwiefern bei Leistungen nach dem 5GB-V die Leistungen der Sozi- alhilfe gekürzt werden können. a) Für den Fall regulärer Pflegehilfe nach § 55 SGB-V hat das GRG die Anrech- nungsregel in § 69 V BSHG erweitert. Dort heißt es jetzt: »Werden Leistungen nach Abs. 2 Satz 2 und 3 oder gleichartige Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften gewährt, kann das Pflegegcld um bis zu 50~~ gekürzt werden." 148) Diese Voraussetzungen wurden durch das 2. Gesetz zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch v. 20. 12. 1991, BGBI I, 2325 erleichtert. 149) Vgl. Begründung BT -Drs 11/2237, 184. 150) Ebd. IS()a) Badische Zeitung vom 22.3.1991, 10. ISob) AOK-Bundesverband, So nicht !, DOK 1991,235. 58 Sozialhilferechtlicher Teil Die Pflegehilfe ist der Gestellung einer besonderen Pflegekraft nach § 69 111 3 BSHG gleichartig. Da § 55 SGB- V darauf abzielt, die familiäre Pflege zu ergänzen, handelt es sich um dieselbe Konstellation, die oben unter dem Titel "gemischte Pflege" erörtert wurde l'"). Das Kürzungsermessen, das § 69 V BSHG eröffnet, kann daher nur zum Zuge kommen, soweit" die Hälfte des Pflegegeldes, die für die Kürzung in Be- tracht kommt, nicht notwendig ist, um die Pflegebereitschaft der Angehörigen zu erhalten. Eine volle Ausschöpfung des Kürzungsrahmens wird demnach in aller Regel nicht möglich sein. Der DeutscheVerein empfiehlt dementsprechend, daß das (bei Schwerpflegebe- dürftigkeit erhöhte !) Pflegegeld (nur) um die Hälfte des einfachen Pflegegeldes (162,50 DM) gekürzt werden solle 152) . Hintergrund der zurückhaltenden Anrech- nung ist die Auffassung, daß die häusliche Pflegehilfe der Leistung nach § 69 11 3 BSHG nicht vollständig gleichartig sei, da sie auch hauswirtschaftliche Verrich- tungen umfaßt 153) . Die Sozialhilfeträger haben demgegenüber offenbar drastische Kürzungen der Pflegegelder zum 1.1.1991 vor. Mit Recht hat der Bundesarbeitsminister daher ge- genüber den kommunalen Spitzenverbänden angemahnt, daß die Sozialhilfeträger großzügig verfahren und den Willen des Gesetzgebers berücksichtigen sollten, der die häusliche Pflege habe unterstützen wollen'>'}, b) Problematisch ist die Lage, wenn an die Stelle der Pflegehilfe die Geldlei- stung von 400 DM nach § 57 SGB-V tritt, weil die Familie die Rundumpflege des Schwerpflegebedürftigen selbst leisten kann. Die Begründung zum GRG meint, es gelte § 69 111 3 BSHG, wonach das Pflegegeld nicht gewährt wird, soweit der Hil- fesuchende gleichzeitig Leistungen nach anderen Rechtsvorschriften erhält. Das- erhöhte - Pflegegeld wäre danach zwingend um die 400 DM zu kürzen. Putz155) hat darauf hingewiesen, daß es widersinnig wäre, wenn die Ersatzleistung (400 DM) zur vollen Anrechnung, die ersetzte Leistung (Pflegehilfe nach § 55 SGB-V) aber nur zur teilweisen Anrechnung nach Ermessen führte. Man sollte daher den Geldbetrag nach § 57 SGB-V nicht als dem Pflegegeld gleichartig sondern als einer Beihilfe nach § 69 III 2 BSHG gleichend ansehen, um so die Weichen zur Anrechnung nach Ermessen im Sinne des § 69 V BSHG zu stellen. Der Deutsche Verein gelangt auch hier mit anderer Begründung zu einem ähnli- chen Ergebnis: Anrechnungsvorschrift sei § 69 III 3 BSHG. Wegen nur teilweiser Gleichartigkeit sei jedoch die Hälfte der Geldleistung (also 200 DM) anzurech- 151) In diesem Kapitel sub 1.2.1.2.b (3) (S. 37 ff). 152) Anrechnungsempfehlungen, NDV 1991, 4. 153) Anrechnungsempfehlungen, NDV 1991, 5. 154) Süddeutsche Zeitung vom 1./2.12.1990, 2. 155) Putz, ZfS 1989, 97 (111). Überblick über das Recht der Pflegeleistungen des BSH G 59 nen, dies aber mangels Ermessensermächtigung zwingendl'"). Manche Kommu- nen folgen dieser Empfehlung. Andere kürzen jedoch das Pflegegeld um den vol- len Betrag von 400 DM156a) . 5.3. Fazit Der Entlastungseffekt des geschilderten Regelungsgefüges wird bestimmt von den - engen - Leistungsvoraussetzungen sowie von den teilweise unklaren An- rechnungsregeln. Leistungen sind nur für häusliche Pflege, bei Schwerpflegebe- dürftigkeit und unter besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen vor- gesehen. Insbesondere die stationäre Pflege, die den größten Kostenfaktor dar- stellt, wird nicht erfaßt. Aber auch die häusliche Pflege wird von der Neuregelung nur zu einem Teil betroffen. Der größte Aufwand entsteht insoweit nach der So- zialhilfestatistik den Sozialhilfeträgern aber durch das einfache Pflegegeld, das im SGB-V keine Entsprechung hat157) . Wenn Leistungen erbracht werden, steht dem keine entsprechende Entlastung der Sozialhilfeträger gegenüber, da nur eine teil- weise Kürzung nach Ermessen in Betracht kommt. Angesichts dessen ist Skepsis angebracht gegenüber der Prognose der Bundesregierung, die eine jährliche Entla- stung der Sozialhilfeträger von 6,4 Mrd. DM veranschlagt hat158) . Das GRG hat das Pflegeproblem nicht einmal im Ansatz nennenswert gelöst. Auch nach der Reform bleibt es die entscheidende Frage, ob Familie oder Sozial- hilfeträger für den Pflegeaufwand aufkommen müssen. 1)6) Anrechnungsempfehlungen, NDV 1991,4,5; ebenso BayVGH FEVS 41 (1991),426. 1)63) Badische Zeitung vom 22.3.1991, 10. 157) Statistisches Bundesamt, WuSt 1979, 759 (763 f). 158) Sozialpolitische Umschau, Presse- und Informationsamt der Bundesregierung vom 28.11.1988. Kapitel 4: Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 1. Abwälzungswege Es gibt verschiedene Wege, die der Sozialhilfeträger einschlagen kann, um die Pflegelast von sich "abzuwälzen"!) und diejenigen damit zu belasten, die vorrang- ig verpflichtet sind. Als vorrangig Verpflichtete sind im Rahmen dieser Untersu- chung Unterhaltsschuldner in den Blick zu nehmen. Soweit es um die Überleitung von Unterhaltsansprüchen oder um Verweisung auf solche geht, wird im folgen- den zunächst vom Bestehen solcher Ansprüche ausgegangen. Die Voraussetzun- gen von Unterhaltsansprüchen, die sich auf Pflegekosten beziehen, werden in spä- teren Kapiteln behandelt. a) Der Sozialhilfeträger kann die Sozialhilfe im Wege einer Vorleistung erbrin- gen und dann den Nachrang dadurch wiederherstellen, daß er den Anspruch ge- gen den Dritten durch schriftliche Anzeige auf sich überleitet (§§ 90, 91 BSHG)2). Die Entscheidung über die Überleitung ist eine Ermessensentschei- dung. Das Ermessen ist "pflichtgemäß" auszuüben (§ 39 SGB-AT). Der Sozialhilfeträger kann den Nachrang auch dadurch wiederherstellen, daß er sich den Unterhaltsanspruch abtreten läßt. Eine andere Möglichkeit, nach Vorleistung den Nachrang wiederherzustellen, kennt das BSHG in den §§ 11 11,29,43 I. Diese drei Vorschriften, von denen die letzte thematisch einschlägig ist, sehen eine öffentlich-rechtliche Kostenbeitrags- pflicht vor. Ein Kostenbeitrag zur Eingliederungshilfe kann nach § 43 I BSHG aber nur von Personen verlangt werden, die mit dem Hilfeempfänger in der "Ein- satzgemeinschaft" des § 28 BSHG leben. Nach § 28 BSHG wird Hilfe in besonde- I) Den Begriff des "Abwälzens" verwendet die Arbeit anders, als er bei Bley, B VI 1, zur be- grifflichen Erfassung der sozialrechtlichen Ausgleichsansprüche der Leistungsträger ver- wendet wird. Bley bezeichnet als "Abwälzungsansprüche" solche Ansprüche, die den Ausgleich für ohne Rechtsgrund erbrachte Leistungen bezwecken. Hier bezeichnet "Ab- wälzen" die Verlagerung von Lasten, die den Sozialhilfeträger belasten oder zu belasten drohen, auf einen Dritten. 2) Eine beim Deutschen Verein eingesetzte Arbeitsgruppe schlägt vor, statt dessen einen ge- setzlichen Forderungsübergang einzuführen; Künkel, FamRZ 1991 (23, Fn. 87). Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 61 ren Lebenslagen gewährt, soweit dem Hilfesuchenden, dem nicht getrennt leben- den Ehegatten und den Eltern minderjähriger unverheirateter Kinder die Aufbrin- gung der erforderlichen Mittel nach den Bestimmungen des vierten Abschnitts nicht zuzumuten ist. Eltern können also öffentlich-rechtlich nur herangezogen werden, wenn das behinderte Kind noch minderjährig ist. Ab Volljährigkeit des Kindes ist ein Rückgriff nur noch durch Überleitung möglich-j.Zum Zuge kom- men kann - soweit es um Volljährige geht - § 43 I BSHG also nu~ gegenüber ei- nemnicht getrennt lebenden Ehegatten. Auch dieser Fall wird hier nicht näher be- handelt, da nur nachehelicher Unterhalt Gegenstand der Arbeit ist. b) Will der Sozialhilfeträger nicht vorleisten, wird er den Hilfesuchenden auf den Anspruch gegen den Dritten "verweisen", d. h. er wird veranlassen, daß der Bedürftige seinen Anspruch durchsetzt und dadurch die Bedürftigkeit im sozial- hilferechtlichen Sinn beseitigt. Die Verweisung kann mehr oder weniger förmlich praktiziert werden. Denkbar ist, daß der Sozialhilfeträger den Antrag auf Gewäh- rungvon Sozialhilfe förmlich ablehnt. Eher dürfte es vorkommen, daß der Träger der Sozialhilfe die Inanspruchnahme von Unterhaltspflichtigen formlos anregt. Brühl etwa hat in den sechziger Jahren beobachtet, daß die Sozialämter es v. a. ge- schiedenen Ehefrauen aufgeben, ihre Unterhaltsansprüche einzuklagen"). Diese Möglichkeit ist insbesondere dann naheliegend, wenn der Hilfesuchende durch ei- nen Amtspfleger vertreten wird. Denkbar ist auch, daß sich der Sozialhilfeträger zur Geltendmachung des An- spruchs ermächtigen läß t. c) In einigen Fällen sieht das Gesetz die Verweisung gewissermaßen zwingend vor, indem es davon ausgeht, daß durch das Einkommen und Vermögen anderer Personen der Bedarf abgedeckt wird. Für Pflegefälle ist insoweit der erwähnte § 28 BSHG einschlägig. In den von dieser Vorschrift angesprochenen Fällen steht eine Vorleistung mit anschließen- der Überleitung nicht zur Wahl. Soweit es um die hier untersuchten Pflegefälle geht, spielt die Vorschrift freilich keine Rolle, da Unterhalt bei währender Ehe nicht Gegenstand der Betrachtung ist und zwischen Eltern und volljährigen Kin- dern oder zwischen pflegebedürftigen Eltern und ihren sie pflegenden Kindern keine "Einsatzgemeinschaft" im Sinne des § 28 BSHG besteht. Soweit es um Hilfe zum Lebensunterhalt geht, die neben häuslicher Pflege ge- währt wird, ist die Vermutungsregel des § 16 BSHG bedeutsam: Lebt der Hilfesu- chende in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird widerleglieh vermutet, daß er von ihnen Leistungen zum Lebensunterhalt erhält, soweit dies nach ihrem Einkommen oder Vermögen erwartet werden kann. Ob ein Unterhaltsanspruch besteht, spielt keine Rolle. 3) Schellhorn/jirasek/Seipp, § 43, Rdnr. 27. 4) Brühl, NDV 1963, 305 (306). 62 Sozialhilferechtlicher Teil d) In Fällen der Heimunterbringung kann sich der Sozialhilfeträger auch mit der Heimverwaltung gutstellen mit dem Ziel, daß deren Mitarbeiter nicht die In- anspruchnahme von Sozialhilfe anregen, sondern wegen des Zahlungsanspruchs aus dem Heimvertrag in die Unterhaltsansprüche des Pflegebedürftigen vollstrek- ken"). 2. Abwälzungshindemisse Vom Gesetz grundsätzlich vorgesehene Abwälzungswege werden in bestimm- ten Lagen wieder "gesperrt". Diese Sperren werden hier "Abwälzungshindernisse" genannt. Solche Hindernisse sind zahlreich insbesondere in den Überleitungsvor- schriften vorgesehen. Diese "Abwälzungshindernisse" heißen im folgenden "Überleitungshindernisse". 2.1. Überleitungshindernisse Hat ein Hilfeempfänger einen Anspruch gegen einen Dritten, der nicht Lei- stungsträger ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige bewir- ken, daß der Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn übergeht (§ 90 I 1 BSHG). Dieses Regreßinstitut der Überleitungsanzeige ist in mehrfacher Hin- sicht von Hindernissen begrenzt. Diese bezwecken teilweise den Schutz des Hil- feempfängers, teilweise den Schutz des "anderen". Das Schwergewicht der folgen- den Darstellung wird auf den schuldnerschützenden Hindernissen liegen. 2.1.1. Zeitliche Deckungsgleichheit a)Den Schutz des Hilfeempfängers bezweckt der Grundsatz der zeitlichen Deckungsgleichheit. Er besagt, daß ein Anspruch übergeleitet werden kann, so- weit er für die Zeit besteht, für die Hilfe gewährt wird (§ 90 I 1 BSHG). Der Be- willigungszeitraum muß mit der zeitlichen Leistungspflicht des Dritten überein- stimmens). Die Überleitung von Ansprüchen soll rückwirkend den Zustand herbeiführen, der bei rechtzeitiger Zahlung eines Dritten bestanden hätte. Darüberhinausgehen- de Refinanzierungsquellen sollen dem Sozialhilfeträger nicht erschlossen wer- den/). Diese Beschränkung der Refinanzierung bewirkt der Grundsatz der Gleich- zeitigkeit. Er stellt dementsprechend auch sicher, daß dem Hilfebedürftigen nicht Mittel entzogen werden, die zu anderer Zeit seinen Lebensunterhalt sicherstellen würden.. Der Grundsatz der Gleichzeitigkeit vermeidet also gewissermaßen eine 5) So kann man sich den Hintergrund des in Kapitcl2 sub 3.3.2. (5. 27 f) dargestellten Falles (RGH FamRZ 1986, 48) vorstellen. 6) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 90, Rdnr. 23. 7) Vgl. VGH Mannheim, FEVS 33 (1984),286 (290). Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 63 Verlängerung der Hilfebedürftigkeit in die Zukunft als Auswirkung eines Regres- ses. Beispiel: Die geistig behinderte volljährige T ist in einem psychiatrischen Landeskrankenhaus un- tergebracht. Ihr Vater, der mehr als 65 Jahre alt ist, hat ein relativ hohes Einkommen so- wie diverses Grundvermögen. Der Aufenthalt der T im Landeskrankenhaus verursacht in den Jahren 1977 bis 1979 Kosten i. H. v. ca. 45.000 DM, die der Träger der Sozialhilfe übernommen hat. Eine rechtzeitige Rechtswahrungsanzeige (§ 91 11 BSHG) ist unterblie- ben. Der Sozialhilfeträger möchte wegen seiner Aufwendungen in den Jahren 1977 bis 1979 die Unterhaltsansprüche der T gegen ihren Vater aus dem Jahr 1980 auf sich überleiten. Der Überleitung steht der Grundsatz der zeitlichen Deckungsgleichheit (§ 90 I 1BSHG) entgegen: Die Gewährung der Sozialhilfe bezog sich auf die Jahre 1977 bis 1979. Ein Unterhaltsanspruch konnte nur übergeleitet werden, wenn er sich ebenfalls auf diese Zeit bezog. Der Unterhaltsanspruch, der sich auf das Jahr 1980 bezieht, kann nicht zur Refinanzierung herangezogen werden. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß gemäß § 1613 I BGB und wegen der unterlassenen Rechtswahrungsanzeige nach § 91 11 BSHG der Unterhaltsanspruch für die Jahre 1977 bis 1979 nicht mehr geltend gemacht werden kann. Dies Ergebnis ist sinnvoll, denn T muß ja auch im Jahr 1980 u. U. die Kranken- hauskosten finanzieren, wofür ihr dann der auf das Jahr 1980 bezogene Unterhaltsanspruch zur Verfügung steht. Soweit es um Hilfe in besonderen Lebenslagen geht, ergänzt der Grundsatz der zeitlichen Deckungsgleichheit darüber hinaus die Regel des § 90 I 3 BSHG. Bei- denVorschriften geht es darum sicherzustellen, daß die Regeln über die Einkom- mensgrenzen auch im Überleitungszusammenhang eingehalten werden. Betroffen isthier der Aspekt, daß nach § 79 I BSHG die Aufbringung der Mittel nicht zuzu- muten ist, wenn während der Dauer des Bedarfs das monatliche Einkommen die Einkommensgrenze nicht übersteigt: Wird ein Anspruch, der sich nicht auf die Bedarfsperiode bezieht, seitens des Dritten nicht erfüllt, hat der Anspruchsinhaber insoweit vorläufig kein Einkom- men. Wird deshalb Hilfe in besonderen Lebenslagen gezahlt, steht der unerfüllte Anspruch dem Rückgriff zur Verfügung, soweit nicht auch bei Erfüllung der Zu- fluß geschütztes Einkommen dargestellt hätte"). Würde eine Überleitung für spä- teren Bedarf gestattet, könnte wegen etwa nun vorhandenen anderen Einkom- mens der unerfüllte Anspruch aus dem Schutz der Einkommensgrenze entwach- sen. Auch dies vermeidet der Grundsatz der zeitlichen Deckungsgleichheit. b) Der soeben herangezogene Beispielsfall ist eine Abwandlung eines in Kapitel 2vorgestellten Falles"). Der Verlauf des wirklichen Falles veranlaßt einige Bemer- R) Vgl. dazu sogleich 2.1.2. ("kausale Vcrknüpfung") (5. 64 ff). 9) Sub 3.3.2. (5. 27 f), BGH FamRZ 1986, 48. 64 Sozialhilferechtlicher Teil kungen, die deutlich machen, daß dem Grundsatz der Gleichzeitigkeit über das Sozialhilferecht hinausgehende Bedeutung zukommt. Der Sozialhilfeträger war in Wirklichkeit nicht in Vorlage getreten. Es hatte vielmehr das Land als Krankenhausträger einen Titel wegen der Kosten aus den Jahren 1977 bis 1979 erwirkt und aufgrund dieses Titels in die U nterhaltsansprü- ehe der T gegen ihren Vater aus späterer Zeit vollstreckt. Das Vollstreckungsge- richt hatte die angebliche Unterhaltsforderung der T gegen ihren Vater gepfändet und dem Land zur Einziehung überwiesen (Beschluß zugestellt am 10.1.1980). Offenbar war das Gericht der Ansicht, die Vollstreckung entspreche im Sinne des § 850 b ZPO der Billigkeit. Im Juli 1980 klagte dann das Land den überwiesenen Unterhaltsanspruch ein. Es bestand in diesem Fall für das Land allerdings keine andere Möglichkeit, als den Versuch zu unternehmen, den Unterhaltsanspruch aus späterer Zeit zu verwerten. Unterhalt für die Jahre 1977 bis 1979 konnte we- gen § 1613 I BGB nicht mehr geltend gemacht werden. Gleichwohl hätte m. E. das Vollstreckungsgericht im Rahmen der Billigkeitserwägungen nach § 850 b 11 ZPO berücksichtigen sollen, daß nach Vorleistung des Sozialhilfeträgers nur zeit- lich deckungsgleiche Ansprüche für die Refinanzierung in Frage gekommen wä- ren. Das Gebot der zeitlichen Deckungsgleichheit beruht nämlich letztlich auf derselben Erwägung wie das Verbot der Pfändung von Unterhaltsansprüchen: Es soll den jeweils aktuellen Unterhalt sichern. M. E. ändert sich diese Wertung auch dann nicht, wenn rückständige Unterhaltsansprüche nicht mehr geltend gemacht werden können. Auch im übrigen ist das Vorgehen des Landes im Blick auf das Alter des Beklag- ten zweifelhaft. Es soll allerdings immer wieder vorkommen, daß Länder als Kran- kenhausträger sich bemühen, die Kosten, die langdauernde Aufenthalte von Pfle- gepatienten verursachen, von diesen oder ihren Angehörigen beizutreiben, ob- wohl eine Finanzierung durch den Sozialhilfeträger möglich gewesen wäre. Im Re- gierungsbezirk Freiburg wurde diese Praxis erst vor noch nicht allzu langer Zeit aufgegeben. Im Fall BGH FamRZ 1986, 48 hätte das Einschalten der Sozialhilfe möglicherweise zu rückgriffsloser Gewährung von Sozialhilfe geführt, da wegen des Alters des Beklagten an eine Anwendung der Härteklausel des § 91 111 1 HS 1 BSHG zu denken war. 2.1.2. § 90 I 3 BSHG : "kausale Verknüpfung" a) Der Regierungsentwurf zum BSHG beschränkte in Anlehnung an die Vor- gängervorschrift in § 21 a RFV die Überleitung von Ansprüchen des Hilfeem- pfängers gegen einen anderen auf Leistungen zur Deckung seines Bedarfs an Le- bensunterhalt oder in besonderen Lebenslagen. Dieser sog. Grundsatz der Gleich- artigkeit ist heute noch Bestandteil verschiedener anderer Rückgriffsmechanis- men, die dem Rückgriff nur Ansprüche zugänglich machen, die sich auf denselben Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 65 Bedarf beziehen, wie die zuvor erbrachte Sozialleistung! '). Das BSHG enthält diesen Grundsatz freilich nicht mehr. Der Sozialhilfeträger kann grundsätzlich jeden Anspruch auf sich überleiten. Eine gewisse Nähe zum Grundsatz der Gleichartigkeit hat allerdings das nun zu erörternde Erfordernis der "kausalen Verknüpfung" nach § 90 I 3 BSHGt2). b) Die Regelung des § 90 I 3 BSHG ist nicht leicht verständlich. Sie soll insbe- sondere den Schutz der Einkommensgrenzen auch dann sicherstellen, wenn Ein- kommen nicht zufließt, obwohl es beansprucht werden kann12).Der Hilfeempfän- ger soll nicht auf dem Umweg über § 90 BSHG stärker herangezogen werden als im Rahmen der ihn schützenden Einkommensgrenze' '). Der Übergang darf nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger Leistung des anderen die Hilfe nicht gewährt worden wäre. Beispiel: X erhält Hilfe zur Pflege. Die Einkommensgrenze betrage 1500 DM. X hat einen An- spruch auf wiederkehrende Leistungen in Höhe von 500 DM monatlich14).Sein sonstiges Einkommen beläuft sich auf 1250 DM. Zahlt D regeln1äßig, können von den eingehenden 500 DM 250 DM nach näherer Bestim- mung des § 84 BSHG angerechnet werden. Zahlt D nicht und ist X die Durchsetzung des Anspruchs nicht zumutbar, scheidet An- rechnung mangels Einkommens aus. Der Nachrang muß durch Überleitung wiederherge- stellt werden. Der Träger der Sozialhilfe darf aber gemäß § 90 I 3 BSHG nur soviel von dem Anspruch an sich ziehen, wie er bei rechtzeitiger Leistung des D hätte anrechnen dürfen, höchstens also 250 DM. Nur insoweit nämlich wäre bei rechtzeitiger Leistung des D die Hilfe zur Pflege nicht gezahlt worden. c) An diesem Beispiel wird deutlich, daß § 90 I 3 BSHG den Schutz des Hil- feempfängers bezweckt!"). Es wird freilich auch vertreten, sie bezwecke auch den Schutz des Schuldners. So hat der baden-württembergische VGH16) die Klagebe- fugnis eines Schuldners für eine Klage gegen eine Überleitungsanzeige mit dem angeblich schuldnerschützenden Zweck des § 90 I 3 BSHG begründet. Dem Schuldner sei es nämlich nicht stets gleichgültig, wem der übergeleitete Anspruch zustehe. Diese Ansicht verkennt jedoch schon im Ansatz, daß der Gläubiger- 11) Vgl. z.B. § 116 I SGB-X. 12) Vgl. Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 90, Rdnr. 24. 12) Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drs 3/1799, 55: "Im Hinblick auf die neu ein- geführten Einkommensgrenzen bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen ist es notwen- dig, eine Einschränkung der Überleitungsmöglichkeit vorzusehen." 13) fehle, ZfSH 1967, 1 (8). 14) Seitdem SGB-X kann es sich wegen § 115 SGB -X i. V. m. § 90 IV 2 BSHG nicht mehr um Lohnansprüche handeln. 15) Aufdie unterschiedliche Schutzrichtung des § 90 I 3 und des § 91 I 2 BSHG hat vor al- lem Weinbrenner, Fan1RZ 1963, 269 (270) aufmerksam gemacht. Vgl. auch Heranzie- hungsempfehlungen, 2. Aufl., [Schellhorn 128 f. 16) FEVS 33 (1984), 286 (288 f) unter ausdrücklicher Abgrenzung von GottschicklGiese, §90, Rdnr. 21.Zustimmung bei Münder ZfSH/SGB 1985,248 (256). 66 Sozialhilferechtlicher Teil wechsel als solcher die Schuldnerposition nicht rechtlich, sondern nur tatsächlich verschlechtert. Eine solche Verschlechterung muß der Schuldner auch bei einer gewöhnlichen Abtretung oder bei einer cessio legis hinnehmen!"). Man muß schon durch Auslegung der sozialhilferechtlichen Regel zu dem Ergebnis kom- men können, daß der Schutz des Schuldners bezweckt sei. § 90 BSH G bietet aber insoweit im Unterschied zu § 91 BSHG keinen Anhaltspunkt. Das Gegenteil wird etwa auch an § 90 IV 1 BSHG deutlich: Danach scheidet die Überleitung von Ansprüchen aus, wenn ein Hilfeempfänger z. B. im Rahmen ge- meinnütziger Arbeit nach § 19 11 BSHG beschäftigt wird und Hilfe zum Lebens- unterhalt erhält. Die Vorschrift beruht auf der Erwägung, daß es nicht zumutbar wäre, den Einsatz der Arbeitskraft zu verlangen und trotzdem dem Hilfeempfän- ger Ansprüche gegen Dritte zu entziehen. Auch diese Regel zeigt, daß es § 90 BSHG um ein Austarieren der Belange des Hilfeempfängers mit den Interessen des Sozialhilfeträgers geht18) . Belange des Schuldners können nur im Rahmen der haushaltsrechtlichen Vorschriften Beachtung finden, die es der Verwaltung in Härtelagen ermöglichen, einen Anspruch z. B. zu erlassen!"). d) Auch im Zusammenhang des § 90 I 3 BSHG sind die Vorschriften der §§ 84, 85 BSHG zu beachten. Dementsprechend kann im Beispiel nicht ohne weiteres ei- ne Überleitung in Höhe des Betrages stattfinden, um den die Einkommensgrenze überschritten wird. Es ist vielmehr zunächst zu prüfen, in welchem U mfang dies dem Hilfeempfänger zurnutbar wäre (§ 84 I BSHG). Umgekehrt kann u. U. auch dann übergeleitet werden, wenn nach Hinzurechnung des Betrages, auf den sich der Anspruch richtet, die Einkommensgrenze nicht erreicht wird: § 85 ist im Rah- men des § 90 I 3 BSHG ebenfalls zu beachten. Dies ist besonders für Unterhalts- ansprüche, die sich auf außergewöhnlichen Bedarf beziehen, bedeutsam-P) . Beispiel zu § 85 Nr. 1 BSHG (aus dem Jahr 1969)21): Ein Sozialhilfeempfänger (E) erhält im Wege der Sozialhilfe eine Diätkostenzulage und Pflegegeld. Er hat ein Renteneinkommen von monatlich 207 DM. Für beide Hilfearten betrug damals die Einkommensgrenze 290,50 DM. Sein einziger Sohn ist nach Auffassung des zuständigen Sozialhilfeträgers unterhalts- rechtlich verpflichtet, 30 DM zur Diät und 27 DM zum Pflegegc1d bcizutragcn-"). 17) Vgl. auch Witte, 51 - 65. 18) Ähnlich 0 VG Lüneburg, FEVS 38 (1989) 410 (413 f): § 90 räume dem Schuldner keinen Anspruch auf Ermessensbetätigung ein. 19) In Baden-Württemberg sind einschlägig § 32 GHVO bzw. - soweit es um überörtliche Sozialhilfeträger geht - die §§ 22 LWVG, 48 LKrO mit § 32 GHVO . Übrigens zeigt sich hier, daß § 91 111 BSHG strenggenommen eine haushaltsrechtliche Vorschrift dar- stellt. 20) Mergler/Zink, § 85, Rdnr. 16; KnopplFichtner, § 90, Rdnr. 30; Heranziebungsempjeblun- gen, 2. Aufl.,/Schellhorn, 129. 21) Briefkastenauskunft des Sozialamts Hannover, ZfF 1969, 174. 22) Die aus unterhaltsrechtlicher Sicht merkwürdige Aufspaltung entstammt dem Sachver- halt der "Briefkastenauskunft". Der Sozialhilfeträger hat offenbar sozialhilferechtlich Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 67 Das Einkommen des E zuzüglich der Beträge, die er von S beanspruchen kann (207 DM + 57 DM), lag also unter der maßgeblichen Einkommensgrenze. Gleichwohl hat man im Sozialamt Hannover-v) den Unterhaltsanspruch auch an- gesichts des § 90 I 3 BSHG als überleitungsfähig angesehen, weil der Unterhalt- sanspruch demselben besonderen Zweck diene wie die Sozialhilfeleistung, so daß §85 Nr. 1 BSHG die Anrechnung und damit auch die Überleitung ermögliche. Dem ist im Ansatz zuzustimmen. Es fragt sich nur, wieso ein unterhaltsrechtli- cher Anspruch auf Zahlung eines Beitrages zum Pflegegeld bestehen soll. Zu den- ken ist an eine Situation, in der aus dem Pflegegeld konkrete Aufwendungen ge- deckt werden müssen-"). 2.1.3. § 91 I 1 BSHG Unterhaltsansprüche gegen Verwandte zweiten oder entfernteren Grades dür- fen nicht übergeleitet werden (§91 I 1 BSHG). Dieses Hindernis bezweckt im Unterschied zu den bisher erörterten den Schutz der angesprochenen U nterhaltsschuldner-"). § 91 I 1 BSHG dürfte auch in Pflegekonstellationen eine gewisse praktische Rolle spielen, wenngleich sich das forensisch nicht niedergeschlagen hat. Daß pflegebedürftige Großeltern leistungsfähige Enkel haben ist eine gut vorstellbare Situation-s). Eine nähere Betrachtung der Geschichte der Vorschrift ist aber auch deshalb sinnvoll, weil später an ihrem Beispiel die "Ausstrahlungsproblematik" er- örtert wird. §91 I 1 BSHG war in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes nicht enthalten. Gleichwohl hatte der Gesetzgeber die Problematik der Inanspruchnahme von Verwandten zweiten Grades im Auge: Schon der ursprüngliche Gesetzestext sah nämlich in Absatz 3 eine Härteklausel vor, um "bei der Heranziehung U nterhalts- pflichtiger Unbilligkeiten zu vermeiden". Dies werde "besonders im Verhältnis von Großeltern zu Enkeln oder zwischen entfernteren Verwandten der Fall sein C(27) • gedacht: Es ging um zwei verschiedene Arten der Hilfe in besonderen Lebenslagen: Krankenhilfe und Pflegehilfe. Dementsprechend hat der Sozialhilfeträger den Unter- haltsbetrag gespalten. 23) Die Zeitschrift ZfF, deren Redaktion die Briefkastenauskünfte erstellt, wird vom Sozial- amt Hannover herausgegeben. 24) Vgl Kapitel 5, sub l.1.b (5. 101 ff). 25) Vgl. BVerwGE 29, 229 (231). 26) Schäfer, 121, hält zur Illustration der sozialen Probleme, die § 91 I 1 BSHG aufwirft, die- se Konstellation mit Recht für viel geeigneter als den in der Regel erörterten Fall des Un- terhaltsanspruchs eines Enkels gegen seine Großeltern. 27) RegE BT-Drs 3/1799, 55. 68 Sozialhilferechtlicher Teil Der heutige Satz 1 der Vorschrift beruht auf dem Dritten Änderungsgesetz zum BSHG28). Zur Begründung heißt es im Entwurf der sozialliberalen Bundesre- gierung-") : "Die zum Ausgleich von Sozialhilfeleistungen vorgesehene Möglichkeit der Heranzie- hung Unterhaltspflichtiger, die sich hinsichtlich des Kreises der Betroffenen an den bür- gerlich-rechtlichen Unterhaltsvorschriften orientiert, bedarf nach überwiegender Auffas- sung einer Beschränkung. Die bisher mögliche Inanspruchnahme auch entfernter Ver- wandter ... entspricht nicht mehr den gewandelten gesellschaftlichen Anschauungen. Schon im Verhältnis von Großeltern und Enkeln sind nach Auflösung der in Wohnge- meinschaft lebenden Großfamilie die persönlichen Bindungen so weit gelockert, daß das Verständnis für eine Heranziehung zum Ausgleich gewährter Sozialhilfeleistungen nicht mehr vorhanden ist. In der Praxis kommt es immer wieder vor, daß ältere Menschen auf Sozialhilfe verzichten, weil sie befürchten, daß ihre Kinder oder Enkel zum Ausgleich der Sozialhilfeleistungen in Anspruch genommen werden. Dieser Entwicklung sollte nach ganz überwiegender Ansicht der Sozialhilfepraxis Rechnung getragen werden, ohne daß dadurch einer Neuordnung des bürgerlichen Unterhaltsrechts vorgegriffen wird .... Diese Regelung läßt im übrigen eine fühlbare Verwaltungsvereinfachung erwarten. Dem Ausfall der ohnehin nur geringen Einnahmen aus Unterhaltsleistungen entfernter Verwandter steht eine beträchtliche Minderung des Verwaltungsaufwandes gegenüber, der zudem oft in einem nicht erwünschten Eindringen in die innerfamiliären Beziehungen besteht." Die Änderung des Gesetzes war befördert worden durch billigende Stellung- nahmen auf einer Hauptausschußsitzung des Deutschen Vereins im Mai 1971 zum Thema "Das Unterhaltsrecht und die Sozial- und Jugendhilfe"30). Die christlich-liberale- Bundesregierung mit ihrem damaligen Familienminister Geißler unternahm im Jahr 1983 einen Versuch, § 91 I 1 BSHG wieder abzuschaf- fen. In der Begründung zur dahingehenden Regelung des Haushaltbegleitgesetzes 1984 heißt es dazu: "Der Vorschlag dient der Wiederherstellung des früheren Rechtszustandes und damit zu- gleich der Wiederherstellung besserer Übereinstimmung mit dem bürgerlichen Unter- haltsrecht. Es erscheint nicht vertretbar, unterhaltsfähige Verwandte zweiten oder ent- fernteren Grades, z. B. Enkel und Großeltern, zu Lasten der Allgemeinheit von ihrer bür- gerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht freizustellen. Der Nachrang der Sozialhilfe gegen- über der Selbsthilfe und der Hilfe durch nahe Angehörige soll wieder stärker betont wer- den.'(31) Der Bundestag akzeptierte freilich diesen Vorschlag nicht. Zur Begründung wurde verwiesen auf unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand, den die Än- derung zur Folge haben würdet"). Art. 21 Nr. 4 des Regierungsentwurfs wurde daher nicht in das Haushaltbegleitgesetz übernommen. 28) Vom 25.3.1974 BGBI I, 777. 29) BTDrs 7/308, 19. 30) Zu dieser Tagung s. eingehend das Kapitel "Ausblick" unter 3.1. (S. 189 f). 31) BT-Drs 10/335,92. 32) Vgl. Schellharn/jirasek/Seipp, § 91, Rdnr. 5; vgl. auch die Kritik von Rasch, FamRZ 1983, 976 (977) .. Alnvälzungswege und Alnvälzungshindernisse 2.1.4. § 91 I 2 BSHG 69 a) Nach dieser Vorschrift - bis zum Dritten Änderungsgesetz einziger Satz des Absatzes 1 - darf ein Unterhaltsanspruch nur übergeleitet werden in dem Um- fang, in dem ein Hilfeempfänger nach den Bestimmungen des vierten Abschnitts sein Einkommen und Vermögen einzusetzen hätte. Ausgenommen ist § 84 11 BSHG und - seit dem Zweiten Änderungsgesetz-") - § 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG. Die zuletzt genannte Vorschrift war in der Überleitungspraxis auch vorher nicht ange- wandt worden>'}, §91 I 2 BSHG beruht auf der Überlegung, daß es unbillig wäre, den Unter- haltspflichtigen stärker heranzuziehen als den Hilfeempfänger selbst-"), Es han- delt sich also um eine Vorschrift, die den Schutz des Unterhaltsschuldners be- zweckt. Nach herrschender Ansicht ist die etwas unklare Bestimmung so zu lesen: Überleitung kommt nur in Frage, soweit der Unterhaltspflichtige - wäre er der Hilfeempfänger - nach Maßgabe der Hilfeart, die der tatsächliche Hilfeempfänger erhält, seine Mittel einsetzen müßte36) . Es sind sowohl die allgemeinen Vorschriften der §§ 76 bis 78 BSHG über den Einkommensbegriff, die Vorschriften über die Einkommensgrenzen einschließ- lich der §§ 84 und 85 BSHG sowie die Regeln über den Vermögenseinsatz anzu- wenden. § 84 11 BSHG37) sowie § 85 Nr. 3 Satz 2 BSHG gelten nicht. b) Dementsprechend muß der Sozialhilfeträger auf verschiedene Weise die An- gehörigen von Pflegebedürftigen schonen: aa) Zunächst sind die Erhöhungen der Einkommensgrenzen zu beachten, die § 81 I Nr. 5 BSHG vorsieht>"). bb) Soweit das Einkommen die so ermittelte Einkommensgrenze übersteigt, ist auch im Zusammenhang mit der Überleitung § 84 I BSHG zu beachten, d. h. es ist der angemessene Umfang des Angehörigenbeitrages zu ermitteln, wobei die vomGesetzgeber genannten Umstände in das Angemessenheitsurteil einzustellen sind"). Im Rahmen dieses Angemessenheitsurteils ist der in Pflegefällen gebote- nen besonderen Schonung der Unterhaltspflichtigen Rechnung zu tragen. Insbe- sondere ist daran zu erinnern, daß nach den "Empfehlungen zur Anwendung der 33) Vom 1.10.1969 BGBI 1,1153. 34) Heranziehungsempjehlungen, 1. Aufl., Rdnr. 53 a.E.; dazu ebd/ Giese, 65. 35) Vgl. die Begründung zur Vorgängervorschrift. des § 19 111 Tuberkulosehilfegesetz BT- Drs 3/349, 18, sowie die Begründung zu § 91 BSHG BT-Drs 3/1799, 55. 36) Mergler/Zink, § 91, Rdnr. 56; Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 91, Rdnr. 45; LPK, § 91, Rdnr. 24. 37) § 84 II B5HG macht bei kurzfristigem Bedarf eine Ausnahme von der Regel, daß Ein- kommen und Bedarf lediglich im Bedarfsmonat einander gegenüberzustellen sind. 3R) Vgl. Kapitel 3, sub 3.2.2.1 (5. 46 f). 39) Vgl. Kapitel 3, sub 3.2.2.2.1 (5. 47 f). 70 Sozialhilferechtlicher Teil 2580 DM 400 DM 2980 DM §§ 84 ff BSHG" bei Aufwendungen, die über eine 6 Monate übersteigende Zeit er- forderlich sind, eine großzügige Handhabung geboten isr'P). Der Kommentar zu den "Heranziehungsempfehlungen" verweist übrigens ausdrücklich auf diese Stel- le der Empfehlungen zu den §§ 84 ff41). Es sollte unter dem Stichwort "Art des Bedarfs" auch eine Rolle spielen, daß bei dem Sozialproblem Pflegebedürftigkeit eine wesentliche Finanzierungsverantwor- tung bei der Gesellschaft liegt, und daß angesichts der längst überfälligen Reform- gesetzgebung die Inanspruchnahme der Unterhaltspflichtigen ein historisches Re- likt darstellt. cc) Auch Unterhaltspflichtige müssen ihr unter der Einkommensgrenze liegen- des Einkommen grundsätzlich nicht einsetzen (§ 91 I 2 BSHG mit § 79 BSHG). Auch im Überleitungszusammenhang gelten freilich die Ausnahmevorschriften des § 85 BSHG, die unter Umständen auch den Einsatz des unter der Grenze lie- genden Einkommens gestatten. (1) Fraglich ist zunächst, in welchen Konstellationen dies bei der Inanspruch- nahme Unterhaltspflichtiger praktisch werden kann. Es muß sich um Fälle handeln, in denen einerseits die unterhaltsrechtliche Lei- stungsfähigkeitsgrenze überschritten ist, in denen andererseits das Einkommen noch unterhalb der u. U. hohen sozialhilferechtlichen Einkommensgrenze liegt. Beispiel: Die 2Sjährige P ist schwerstpflegebedürftig und lebt in einem Heim. Ihre verwitwete Mutter verdient 2000 DM im Monat und zahlt 400 DM Miete. Außerdem erhält sie von ihrem vermögenden Bruder einen Zuschuß i. H. v. 300 DM, der ihr die Belastungen durch die Pflegebedürftigkeit der Tochter erleichtern soll. Geht man von den üblichen zivilrechtliehen Selbstbehaltsätzen aus (z. Zt. 1400 DM), ist M zivilrechtlich betrachtet i. H. v. 900 DM leistungsfähig. Die sozialhilferechtliche Ein- kommensgrenze beträgt demgegenüber: Grundbetrag nach § 81 11BSH G Unterkunft Ms Einkommen von 2300 DM liegt demnach unter der Einkommensgrenze. Zu denken ist ferner daran, daß eine Anwendung des § 85 auch neben § 84 in Frage kommt, also auch dann, wenn Einkommen bezogen wird, das über der Ein- kommensgrenze liegt. (2) Im Beispielsfall ist eine Heranziehung nach § 91 I 2 BSHG i. V. m. § 85 Nr. 1 BSHG denkbar. Die Vorschrift kann dann zum Zuge kommen, wenn der Un- terhaltspflichtige von einem Dritten eine Leistung erhält, die für den Hilfeem- pfänger bestimmt ist und sich auf denselben Bedarf bezieht, für den auch die Sozi- alhilfe aufkommt't-). So ist es bei der Zahlung des vermögenden Bruders. Ebenso 40) Empfehlungen für die Anwendung der §§ 84 ff BSHG, Rdnr. 17. 41) Heranziehungsempfehlungen, 2.Aufl.,ISchellhom, 133 (bei Buchst. e). 42) GottschicklGiese, § 91 Anm. 4.3. Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 71 können Kinderzuschläge zu Renten oder im Blick auf das Kind erhöhte Ortszu- schläge eines Beamten behandelt werderr'") 44). Anderes gilt nach wohl überwie- gender Auffassung für das Kindergeld, das keiner unmittelbaren Zweckbestim- mung unterliegr"}. (3) Eine weitere Ausnahme gestattet § 91 I 2 BSHG i. V. m. § 85 Nr.2, wenn zur Deckung des Bedarfs nur geringfügige Mittel erforderlich sind. Diese Vor- schrift bewirkt, wenn man sie auf den Hilfebedürftigen selbst anwendet, daß keine Bagatellsozialhilfe gezahlt wird, um Verwaltungsaufwand zu sparen. Auf den U n- terhaltspflichtigen angewendet würde es sich um Rückgriff wegen Bagatellsozial- hilfe handeln. Abgesehen davon, daß der Fall bei Hilfe zur Pflege kaum vorkom- men dürfte, würde durch einen "Bagatellrückgriff" gerade Verwaltungsaufwand verursacht. Die Anwendung des § 85 Nr. 2 über § 91 I 2 BSHG ist daher nicht sinnvollt-) . (4) Die Anwendung des § 85 Nr. 3 Satz 1 BSHG auf Unterhaltspflichtige ist nachdem Gesetzeswortlaut möglich. Danach kann unter der Einkommensgrenze liegendes Einkommen herangezogen werden, soweit der Unterhaltspflichtige Aufwendungen erspart, die ohne den Heimaufenthalt des Hilfeempfängers anfal- lenwürderr"). Berücksichtigt man aber, daß § 85 Nr. 3 Satz 1 BSHG - auf den Hilfeempfänger angewandt - dessen Einkommen in Höhe ersparter Aufwendungen deshalb nicht schont, weil im Rahmen der Heimunterbringung der Lebensunterhalt mitgewährt wird (§ 27 111 BSHG), zeigt sich, daß die Vorschrift im Überleitungszusammen- hang schlecht paßt. Dementsprechend empfehlen die baden-württembergischen Sozialhilferichtlinien im Blick auf Sinn und Zweck des § 85 Nr. 3 Satz 1, die Vor- schrift auf Unterhaltspflichtige nicht anzuwenderr'") . . §85Nr. 3 Satz 2 BSHG, der bei langdauernder Heimunterbringung den Schutz 43) GottschicklGiese, § 91, Anm. 4.3. 44) Im Beispielsfall wäre übrigens weiter zu erwägen, ob die Härteklausel in § 91 1111 HS 2 BSHG eine Inanspruchnahme hindert. Nach dieser Klausel soll bei über 21jährigen be- hinderten Kindern bei Hilfe zur Pflege von einer Inanspruchnahme abgesehen werden. Geht es aber um Einkommensbestandteile, die gerade zur Finanzierung der Pflege ge- währt werden, kann eine Härte in diesem Sinne schwerlich angenommen werden; vgl. auchBWSHR Rdnr. 91.16 Nr. 2 d. Vgl. hierzu auch unten Kapitcl-t sub 2.1.5.1.2. d (4) (5.81 f). 45) LPK, § 85, Rdnr. 3; Mergler/Zink, § 85, Anm. 17; vgl. auch BVerwG FEVS 35 (1986) 1 ff zu § 77 BSHG; a.A. Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 85, Rdnr. 8. 46) Vgl. Heranziehungsempfehlungen, 1. Auflage/Giese, 65; ebenso BWSHR Rdnr. 91.71. 47) Vgl. Gottschick/Giese, § 91, Rdnr. 5.2. 48) BWSHR, Rdnr. 91.71. 72 Sozialhilferechtlicher Teil der Einkommensgrenze bei Alleinstehenden völlig aufhebt, ist schon kraft Geset- zes auf Unterhaltspflichtige nicht anwendbar (§ 91 I 2 BSHG)49). dd) Nach § 91 I 2 BSHG gilt für den Unterhaltspflichtigen auch die Vorschrift des § 88 über den Einsatz des Vermögens. Er muß Vermögen also nur dann ein- setzen, wenn er es auch im Falle eigener Pflegebedürftigkeit verwerten oder bela- sten müßte. Dementsprechend gilt auch für den Unterhaltspflichtigen bei einer Inanspruchnahme wegen Hilfe zur Pflege der besondere Schutz, den § 88 BSHG bei Hilfe in besonderen Lebenslagen vorsieht. Zu beachten ist also u. a. die auf Hilfe in besonderen Lebenslagen zugeschnittene Härteklausel in § 88 111 S. 2 BSHGsO). (1) Vermögen ist nach § 88 III 2 BSHG vor allem insoweit freizulassen, als eine angemessene Lebensführung oder die Aufrechterhaltung einer angemessenen AI- terssicherung wesentlich erschwert würde. Die Frage, welches Vermögen zur angemessenen Alterssicherung erforderlich ist, ist nicht leicht zu beantworten. Die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemein- schaft der überörtlichen Sozialhilfeträger aus dem Jahr 1985 gehen davon aus, daß verheirateten Unterhaltspflichtigen zur Alterssicherung die folgenden Beträge zur Verfügung stehen müssen:"): bis zum 45. Lebensjahr bis zum 55. Lebensjahr bis zum 65. Lebensjahr .. 200.000 DM . 300.000 DM . 350.000 DM Aus Anlaß eines Falles, in dem eine über siebzigjährige alte Dame aus ihrem Vermögen einen Unterhaltsbeitrag von 263.000 DM für die Heimbetreuung ihrer Tochter bezahlen sollte, hat die Bundesvereinigung Lebenshilfe ein Gutachten ein- geholt zur Frage, ob diese Beträge ausreichen, um Selbständigen eine Altersver- sorgung zu gewährleisten, die mit derjenigen von Beamten und Angestellten ver- gleichbar ist52) . Nach diesem Gutachten-') müßten die Freigrenzen für einen Selbständigen, der seine Altersversorgung über Vermögen sicherstellen will, er- heblich höher liegen. Den Wert der Versorgung eines Lebenszeitbeamten im 65. Lebensjahr z. B. berechnet der Gutachter Gramm zum 1.7.1987 mit 780.399 DMS4). (2) Besonders bedeutsam ist für Unterhaltspflichtige die neue Regelung in § 88 II Nr. 7 über das angemessene Hausgrundstück. Der Unterhaltspflichtige muß 49) Auch § 84 11BSHG, wonach ausnahmsweise auch Einkommen einzusetzen ist, das nicht im Bedarfsmonat anfällt, gilt für Unterhaltspflichtige nicht (§ 91 I 2 BSHG). 50) Vgl. Gottscbick/Giese, § 91, Anm. 4.4. 51) 3.2.8, zitiert bei Wendt/Lachwitz, 1988, 14. 52) Vgl. Wendt/ Lachwitz, 1988, 25. 53) Gramm, 33 H. 54) Gramm, 47. Abwälzungswege und Abwälzungshindemisse 73 nun in der Regel jedenfalls ein Eigenheim, das die in § 39 I 1 Nm. 1 und 3, 11 des 2.WBauG angegebenen Flächen nicht übersteigt, nicht antasten. Fragen kann man sich, ob er bei Inanspruchnahme wegen Pflegekosten auch größereWohnungen verteidigen kann. Ob die Erhöhung der Flächen bei Gewäh- rung von häuslicher Pflege, die dem Hilfesuchenden zugutekäme ( § 88 I Nr. 7 HS 22. Fall BSHG i. V. m. § 822. WBauG) , auch im Überleitungszusammenhang gelten kann, mag fraglich sein, da sie auf die speziellen Wohnbedürfnisse des Pfle- gebedürftigen zugeschnitten ist. Man sollte aber bei einer solchen Inanspruchnah- me den Begriff "angemessene Größe" so auslegen, daß die Mindestflächenzahlen deutlich überschritten werden. Auf diese Weise wäre sowohl bei ambulanter wie bei stationärer Pflege der gebotenen großzügigeren Schonung bei Inanspruchnah- me wegen Hilfe in besonderen Lebenslagen Rechnung getragen. e) Zu dem Unterhaltsprozeß im Fall desAG Hagen, über den in der Einleitung berichtet wurdev), konnte es nur kommen, wenn § 91 I 2 BSHG dem in An- spruch genommenen Sohn nicht zur Seite stand. Um die Wirkungsweise des § 91 I 2 BSHG nochmals zu demonstrieren, sollen die Überlegungen nachvollzogen werden, die der Träger der Sozialhilfe in diesem Fall anstellen mußte. In einem ersten Schritt ist das i. S. des § 76 BSHG maßgebliche Einkommen zu ermitteln. Gemäß § 76 11 BSHG sind von dem Nettoeinkommen i, H. v. 6282,58 DM die berufsbedingten Aufwendungen sowie die Beiträge zur Krankenversiche- rung (zusammen: 714, 46 DM) abzusetzen, so daß ein Einkommen i. H. v. 5568,18 DM verbleibt. Zum zweiten ist die maßgebliche Einkommensgrenze zu ermitteln. Dabei ist der Sohn so zu behandeln, als erhielte er selbst Hilfe zur Pflege in einer Einrichtung. Es gilt also der erhöhte Grundbetrag des § 81 I Nr. 5 BSHG: im Jahre 1986 1136 DM56). Dazu kommen gemäß § 79 I Nr. 2 die angemessenen Kosten der Unterkunft. Bei Eigenheimen sind dies die angemessenen Bewirtschaftungskostenv) . Der Sachverhalt des Urteils des AG Hagen enthält insoweit keine Angaben. Die Praxis betrachtet häufig ohne nähere Prüfung Kosten als angemessen, soweit sie den Höchstbetrag nach § 8 WoGG (letzte Spalte der Tabelle) erhöht um einen Zu- schlag in Höhe von 200/0 (= 978 DM58)) nicht überschreiten'") . Im Rahmen die- serBerechnung wird unterstellt, daß der beklagte Sohn Bewirtschaftungskosten in Höhevon 700 DM aufwenden muß. In dieser Höhe sind Unterkunftskosten auf jeden Fall angemessen. 55) FamRZ 1988, 755, s.o. Einleitung, sub 2 (S. 5 f). 56) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 81, Rdnr. 9. 57) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 79, Rdnr. 26. 58) Beivier Familienmitgliedern und Mietniveau der Stufe V: 815 DM + 200/0 = 978 DM (Stand 1990). 59) BWSHR Rdnr. 79.08; Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 79, Rdnr. 29. 74 Sozialhilferechtlicher Teil Gemäß § 79 I Nr. 3 BSHG ist schließlich noch der Familienzuschlag für Ehe- frau und Kinder hinzuzurechnen. Der Familienzuschlag beträgt 80% des jeweili- gen Eckregelsatzes, der im Jahr 1986 in Nordrhein-Westfalen 385 DM betrug'P) (365 DM x 80% = 308 DM). Zu berücksichtigen sind die Ehefrau und die beiden Kinder. Insgesamt beträgt der Familienzuschlag daher 308 DM x 3 = 924 DM. Es ergibt sich eine Einkommensgrenze i. H. v. 1136 DM 978 DM +924 DM 3038 DM Stellt man diese Einkommensgrenze dem zu berücksichtigen Einkommen ge- genüber, zeigt sich, daß die Einkommensgrenze um 5568,12 DM - 3038 DM = 2530, 12 DM überschritten wird. In dieser Höhe kommt demnach eine Inanspruchnahme in Betracht, soweit dies i. S. d. § 84 I BSHG als angemessen anzusehen ist. Ein Einsatz des Einkommens unter der Einkommensgrenze kommt nicht in Frage. Für das Vorliegen eines der Ausnahmefälle des § 85 BSHG bestehen keine Anhaltspunkte. § 85 Nr. 3 Satz 2, der bei stationärer Pflege den Schutz der Ein- kommensgrenze versagt, gilt gemäß § 91 I 2 im Überleitungszusammenhang nicht. Da die Heimkosten (2117 DM) deutlich unter dem höchstens einzusetzenden Betrag lagen, konnte möglicherweise sogar eine volle Heranziehung, jedenfalls aber die tatsächlich erfolgte i. H. v. insgesamt 550 DM als angemessen i. S. d. §§ 91 I 2, 84 I BSHG angesehen werden. § 91 I 2 BSHG konnte mithin dem Sohn der Pflegebedürftigen nicht helfen. Auf die Frage, ob er auch sein Vermögen ein- setzen muß, kam es nicht mehr an. 2.1.5.§ 91 111 1 BSHG (Härteklausel) Der Träger der Sozialhilfe soll in Härtefällen von der Inanspruchnahme Unter- haltspflichtiger absehen (§ 91 111 1 HS 1 BSHG, allgemeine Härteklausel). "Er soll vor allem von der Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Eltern absehen, soweit einem Behinderten, einem von einer Behinderung Bedrohten oder einem Pflege- bedürftigen nach Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres Eingliede- rungshilfe für Behinderte oder Hilfe zur Pflege gewährt wird." (§ 91 111 1 HS 2 BSHG, besondere HärteklauseI61) ) . Im ursprünglichen BSHG hatte die Vorschrift noch folgendermaßen gelautet: 60) GottschicklGiese, § 22, Anm. 6.2. 61) Die Begriffe "allgemeine" und "besondere" Härteklausel werden hier eingeführt, um die folgende Darstellung sprachlich glätten zu können. Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 75 »Dcr Trägcr der Sozialhilfe kann davon absehen, einen nach bürgerlichem Recht U nter- haltspflichtigen in Anspruch zu nehmen, soweit dies eine besondere62) Härte bedeuten würde." Ihre heutige Fassung erhielt auch diese Vorschrift durch das Dritte Änderungs- gesetz zum BSHG. Der Regierungsentwurf zu diesem Gesetz hatte eine Verstär- kung der Härteklausel durch Umwandlung in eine "SoH"-Vorschrift vorgeschla- gen. Außerdem sollte keine "besondere" Härte mehr erforderlich sein-'). Auf den zuständigen Ausschuß des Bundestages geht die Anfügung des zweiten Halbsat- zes zurück64) . Nach h. M. ist die in § 91 111 1 BSH G angesprochene "Inanspruchnahme" nicht dasselbe wie die Überleitung des Anspruchs. Es handelt sich vielmehr um die ne- ben der Entscheidung über die Überleitung zu treffende Entscheidung, ob der übergeleitete Anspruch auch geltend gemacht werden soll>"). Die Härteklausel bezweckt den Schutz der Unterhaltspflichtigen. 2.1.5.1. Zur besonderen Härteklausel Der Träger der Sozialhilfe soll bei stationärer Hilfe von der Inanspruchnahme unterhaltspflichtiger Eltern absehen (§ 91 111 1 HS 2 BSHG). Zunächst stellt sich die Frage nach der Auslegung des Wortes "soll": ob die Klausel als zwingend auf- zufassen ist, oder ob in gewissen Fällen gleichwohl eine Inanspruchnahme der El- tern möglich sein soll. Sind solche Fälle denkbar, ist zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen eine Inanspruchnahme von Einkommen bzw. von Vermögen keine Härte mehr bedeutet. 2.1.5.1.1. Auslegung der besonderen Härteklausel durch das Bundesverwaltungsge- richt a) Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zum Charakter der Sollvorschrift in §91 111 1 HS 2 BSHG in einem Urteil geäußert, das den folgenden Fall betraf66) : Die 22jährige Tochter V des Klägers - eines praktischen Arztes -litt an einem cerebralen Anfallsleiden mit epileptischen Anfällen und Wesensveränderung. Seit ihrem 16. Lebens- jahr war sie stationär untergebracht. In der Anstalt besuchte sie die Heimsonderschule für Anfallskranke. Der Kläger wurde vom beklagten überörtlichen Träger der Sozialhilfe ge- mäߧ 43 111 Nr. 2, 2 BSHG nur zu einem Beitrag in Höhe seiner ersparten Aufwendun- gen herangezogen. Nach Beendigung des Schulbesuchs erhielt V weiterhin Anstalts- pflege. 62) Hervorhebung vom Verf. 63) BT-Drs 7/308, 19. M) MerglerlZink, § 91, Rdnr. 18. 65) LPK, § 91, Rdnr. 52, BVerwGE 34, 219 (223). 66) BVerwGE 56, 220. 76 Sozialhilferechtlicher Teil Der Beklagte leitete den Unterhaltsanspruch der V gegen den Kläger u.a. für die Zeit nach Vs 21. Geburtstag auf sich über. Er verlangte einen Kostenbeitrag i. H. v. 650 DM (im Jahr 1974). Dabei ging er von einem bereinigten Einkommen des Klägers von 7368 DM monatlich aus. Davon setzte er den dreifachen Betrag der Einkommensgrenze sowie Unterkunftskosten ab. Von dem Rest- 2116 DM - ließ er nochmals 75% frei. b) Das Bundesverwaltungsgericht betrachtet den Halbsatz 2 der Vorschrift als Konkretisierung der in Halbsatz 1 angesprochenen Härte von Gesetzes wegen. Die Inanspruchnahme von Eltern über 21jähriger Kinder wegen Eingliederungs- und Pflegehilfe wird danach stets als hart angesehen. Die Vorschrift sei aber als Sollvorschrift ausgestaltet worden, um in Ausnahmefällen eine Korrektur zu er- möglichen, wenn die Nichtinanspruchnahme mit dem Anliegen des Sozialhilfe- rechts unvereinbar wäre'"), Diese Auslegung des Wortes "soll" entspricht der auch sonst üblichen Einord- nung von Sollvorschriften, wonach "soll" ein "muß" bedeutet, wenn keine Um- stände vorliegen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen-''). Dementsprechend hat die Auffassung des BVerwG breite Zustimmung gefunden69) . Im Fortgang des Urteils zeigt das Bundesverwaltungsgericht70) , wie die so ausge- legte Vorschrift in ein sinnvoll abgestuftes System der Heranziehung unterhalts- pflichtiger Eltern zu den Kosten der Eingliederungs- und Pflegehilfe paßt: Bei Minderjährigen hätten die Eltern grundsätzlich Einkommen und Vermögen nach den Regeln des BSHG einzusetzen (§ 28 BSHG). Vom 18. bis zu 21. Lebensjahr komme eine Inanspruchnahme nach Maßgabe der Unterhaltspflicht in Betracht, die von der allgemeinen Härteklausel (§ 91 111 1 HS 1 BSHG) eingeschränkt sei. Dies entspreche der Tatsache, daß auch sonst in dieser Zeit häufig Eltern trotz Volljährigkeit ihrer Kinder und dem Wegfall der "gesteigerten" Unterhaltspflicht wegen einer Ausbildung des Kindes besonderen finanziellen Einsatz leisten müß- ten. Nach Vollendung des 21. Lebensjahres komme dann die Inanspruchnahme nach § 91 111 1 HS 2 BSHG nur in atypischen Fällen in Frage. Im zu entscheidenden Fall hat das Gericht den besonderen Umstand, der eine Inanspruchnahme rech tfertigte, darin gesehen, daß der Kläger als Arzt im Sozial- gefüge eine Stellung einnehme, in der Eltern üblicherweise ihre Kinder studieren ließen. Dementsprechend habe der Kläger auch seinem nicht behinderten Sohn über das 21. Lebensjahr hinaus das Studium finanziert. Angesichts seines über- durchschnittlichen Einkommens hätte er nach Auffassung des Bundesverwal- 67) BVerwGE 56, 220 (223f). 68) Vgl. GottschicklGiese, § 4, Anm. 9.2.; vgl auch BSG SozR 1300 § 48 SGB-X, Nrn. 19 u. 53 zu § 48 SGB -X. 69) ScbellbornljiraseklSeipp, § 91, Rdnr. 74 f; LPK, § 91, Rdnr. 57; jetzt auch Giese: Gott- schicklGiese, § 91, Anm. 10.3. A.A. LachwitzlWendt, 1985, 74. 70) B VerwGE 56, 220 ( 225 f). Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 77 tungsgerichts eine gleichwertige Ausbildung seiner Tochter V entsprechend un- terstützt. Die Grenze der Inanspruchnahme liege dementsprechend bei der üblichen Dau- er einer von Eltern finanzierten Ausbildung. Regelmäßig sei die Vollendung des 27. Lebensjahres als Grenze anzusehen. Zur Begründung der Altersgrenze ,,27. Lebensjahr" weist das Gericht auf andere Gesetze hin (§ 27 V BVG; § 2 111 BKiGG), die im Zusammenhang mit der Ausbildung von Kindern eben diese Grenze ziehen?'). Eine Inanspruchnahme könne aber auch aus anderen Gründen unstatthaft wer- den, z. B. wenn der Kläger in das allgemeine Rentenalter eintrete. Dies sei auch nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutsam. 2.1.5.1.2. Inanspruchnahme von Einkommen in der Praxis Die überwiegende Behördenpraxis hat lange Jahre von Eltern behinderter Kin- der über 21 Jahre generell keinen Beitrag verlangt"). Dies hat sich Anfang der BOer Jahre offensichtlich wegen der angespannten Finanzlage der Sozialhilfeträger infolge der damaligen Wirtschaftkrise geändert. a) Diese geänderte Praxis kann man etwa ablesen an den Empfehlungen der Bun- desarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträger aus dem Jahr 1982, die als Muster für Richtlinien der zuständigen Sozialhilfeträger dienen sollen. Die Emp- fehlungen lauten unter Nr. 3.1., wo es um den Einsatz des Einkommens geht, aus- zugsweise") : "Empfehlungen für Unterhaltsbeiträge für hilfebedürftige Kinder vom Beginn des 22. Lebens- jahres an: Der Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen ergibt sich aus dem dreifachen Grundbetrag (§§79, 81), den dreifachen Familienzuschlägen (§§ 79, 81) und den einfachen Kosten für die Unterkunft. Das auf diesen Eigenbedarf anrechenbare Einkommen wird in der Regel mit 33 1/3% in Anspruch genommen. Empfehlungen für Unterhalts beiträge für hilfebedürftige Kinder vom Beginn des 28. Lebens- jahres an: Der Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen ergibt sich aus dem sechsfachen Grundbetrag (§§79, 81) und den einfachen Kosten der Unterkunft. Das diesen Eigenbedarf überstei- gende anrechenbare Einkommen wird in der Regel mit 33 1/3% in Anspruch genom- men." Die Empfehlungen knüpfen also im Ansatz am System des BVerwG an. Sie se- hen jedoch eine Inanspruchnahme bei besonders hohem Einkommen auch dann vor,wenn das Kind das 27. Lebensjahr vollendet hat. Die Empfehlungen berück- 71) BVerwGE 56, 220 (227). 72) Wendt/Lachwitz, 1988, 10 f. 73) Abgedruckt bei Wendt/Lachwitz, 1988, 10 f. Anderweit sind diese Empfehlungen - so- weit ersichtlich - nicht veröffentlicht. 78 SozialhilJerechtlicher Teil sichtigen nicht, daß andere Umstände wie das Erreichen der Altersgrenze auch bei hohem Einkommen einer Inanspruchnahme entgegenstehen können. Soweit diese Empfehlungen die Praxis steuern, betreffen sie im übrigen auch weniger verdienende Eltern, da die Sozialhilfeträger routinemäßig von allen Eltern Auskunft verlangen?"). Schon derartige Ermittlungen können "zu einer erhebli- chen Unruhe in der Familie und evtl, zu einer Benachteiligung des Hilfesuchen- den im Familienverband" führen:"). b) Die "Heranziehungsempjehlungen" des Deutschen Vereins äußern sich auch in ihrer dritten Auflage nicht näher zu § 91 111 1 HS 2. Sie geben vielmehr nur den Gesetzeswortlaut wieder"). Vor Verabschiedung der dritten Auflage hatte sich freilich der Fachausschuß I des Deutschen Vereins an den Vorschlägen der BundesarbeitsgemeinschaJt überört- licher SozialhilJeträger orientiert. Dagegen hatten die vier Fachverbände Diakonie, Caritas, Lebenshilfe und Anthroposophen protestiert, weswegen der Vorstand des Deutschen Vereins insoweit dem Vorschlag des Ausschusses nicht folgte 77) . Im Vorschlag der Opponenren/s) waren einige Gründe vorgesehen, die ungeachtet der Einkommens- und Vermögensverhältnisse eine Härte begründen sollten: Langjährige Versorgung des behinderten Kindes zu Hause, Versorgung von ande- ren Verwandten im Haushalt, Unterhaltspflicht gegenüber mehreren nicht-behin- derten Kindern, Einschränkung der Berufstätigkeit wegen Behinderung des Kin- des, besondere finanzielle Aufwendungen für das Kind, häufiger Urlaubsverzicht. Beim Fehlen persönlicher Härtegründe sollte bezüglich 22 bis 27jähriger Kinder eine Einkommensgrenze wie nach den Empfehlungen der überörtlichen Sozialhil- feträger gelten. Vom überschießenden Einkommen sollte aber in Anlehnung an § 43 11 BSHG nur ein Betrag in Höhe der häuslichen Ersparnis herangezogen wer- den, maximal 150% des Regelsatzes. Bei älteren Kindern sollte eine Heranziehung unterbleiben. Dieses schuldnerfreundliche Konzept konnte freilich nicht durch- gesetzt werden. c) Die baden-württembergischen SozialhilJerichtlinien empfehlen folgende Handhabung/") : Eltern behinderter Kinder, die das 21. Lebensjahr vollendet haben, sollen we- gen Pflegeaufwand nur bei Heimunterbringung in Anspruch genommen werden. Voraussetzung ist, daß ihr Einkommen die maßgebliche Einkommensgrenze um das Dreifache übersteigt. Die Inanspruchnahme ist aber auf 150% des Regelsatzes für einen über 21jährigen Haushaltsangehörigen beschränkt (1989: 511,50 DM). 74) Wendt/Lachwitz, 1988, 2. 75) Schellhorn/jirasek/Seipp, § 91, Rndr. 85. 76) Heranziehungsemp[ehlungen, 3. Aufl, Rdnr. 18; 2. Auflage, Rdnr. 7. 77) Wendt/Lacbuntz, 1988, 2. 78) Abgedruckt bei Wendt/ Lachwitz, 1988, 24 f. 79) BWSHR Rdnr. 91.16. Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 79 1074 DM x 3 287 DM x 3 287 DM x 3 287 DM x 3 3222 DM 861 DM 861 DM 861 DM 350 DM 6155 DM Das Einkommen überschreitet also die Freigrenze um 6850 DM - 6155 DM = 735 DM. Nach den Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft würden hier- von 735 DM x 33,33% = 244,90 DM herangezogen. Nach den baden-württem- bergischen Empfehlungen wird vorab das Kindergeld herangezogen-"). Im übri- gen beträgt der maximale Unterhaltsbeitrag, der hier aus dem Überschuß aufge- bracht werden kann, 511,50 DM. Insgesamt werden die Eltern also zu 511,50 DM + 50 DM Kindergeld = 565,50 DM (150% des Regelsatzes) herangezogen. Die baden-württernbergischen Richtlinien sind also ungünstiger als die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft, es sei denn das Einkommen wäre sehr hoch. d) M. E. ist gegen die Konkretisierung der Ausnahmefälle, in denen Eltern trotz §91 111 1 HS 2 BSHG in Anspruch genommen werden können, in Gestalt beson- derer Einkommensgrenzen im Ansatz nichts einzuwenden. (1) Fragwürdig ist aber, wenn Richtlinien wie in Baden-Württemberg die Inan- spruchnahme von Kindergeld vorsehen, auch wenn die besonderen Einkommens- grenzen nicht erreicht sind. Diese Problematik war Gegenstand einer Entscheidung des OVG Münster82 ) : Der behinderte Sohn S des Klägers lebte nach Vollendung des 21. Lebensjahres in einem Behindertenwohnheim. Die Unterbringungskosten betrugen ca. 2700 DM monatlich zu- züglich Taschengeld. Der Kläger bezog Einkommen i. H. v. 4300 DM (bereinigt, ein- schließlich Kindergeld). Derbeklagte überörtliche Träger der Sozialhilfe leitete den Unterhaltsanspruch des Soh- nes des Klägers in Höhe des auf S entfallenden Kindergeldanteils über. Zwar überschreite Die Eltern sollen aber mindestens i. H. d. Einnahmen herangezogen werden, die für den Lebensunterhalt des Hilfeempfängers bestimmt sind. Schließlich sollen Einnahmen der Eltern herangezogen werden, die für denselben Zweck bestimmt sind, dem die Hilfe dient. Beispiel'P) : KlaraS, 24 Jahre, körperlich und geistig behindert, erhält Hilfe zur Pflege in einem Pfle- geheim.Unterhaltspflichtig sind die Eltern Karl und Martha S. Sie haben noch ihren Sohn Albert, 17 Jahre, Schüler, im Haushalt. Das anrechenbare Einkommen des Vaters beträgt monatlich 6890 DM einschließlich 50 DM Kindergeld für Klara. Nach den baden-württembergischen Richtlinien ist die Einkommensgrenze wie folgt zu berechnen: Grundbetrag Familienzuschlag Ehefrau Familienzuschlag Albert Familienzuschlag Klara Kosten der Unterkunft 80) BWSHR 91.16, Beispiel 4. 81) Rdnr. 91.16. Nr. 2 b.. 82) ave Münster, FEVS 35 (1986) 140. 80 Sozialhi/ferechtlicher Teil das Einkommen des Klägers nicht die in den Empfehlungen der überörtlichen Sozialhil- feträger angegebenen Grenze (5915 DM). In Höhe des Kindergeldanteils könne der Klä- ger gleichwohl herangezogen werden. Das OVG Münster hat entschiedenv), auch der Bezug von Kindergeld lasse die Verhältnisse des Klägers nicht als atypisch erscheinen. Zwar sei das Kindergeld da- zu bestimmt, den Unterhaltspflichtigen zu entlasten. Er sei aber nicht verpflich- tet, das Kindergeld dem Kind zuzuwenden'"). Jedenfalls wenn sich der Empfänger von Kindergeld wie der Kläger um das stationär untergebrachte Kind kümmere, würden Aufwendungen verursacht, deren Deckung des Kindergeld dienen könne. Der Bezug von Kindergeld für behinderte Kinder sei in § 2 II Nr.3 BKiGG ohne Lebensaltersbeschränkung vorgesehen und stelle gerade keinen Ausnahmefall dar. Diese Auffassung harmoniert mit der Ansicht, die das Kindergeld als "zweck- neutral'T') dem sonstigen allgemeinen Einkommen eines Hilfesuchenden zuord- net und als Einkommen anrechnet. Inkonsequent wäre es, im Überleitungszusam- menhang das Kindergeld auf einmal dem Kind zuzurechnen, um die Schutzvor- schrift des § 91 111 BSHG auszuschalten. Die Auffassung des OVG Münster harmoniert schließlich mit der wohl über- wiegenden Meinung zu der Parallelfrage, ob das Kindergeld wegen §§ 91 I 2, 85 Nr. 1 BSHG etwa nicht den Schutz der Einkommensgrenze genießt. Auch in die- sem Zusammenhang betrachtet man das Kindergeld nicht als zweckgebundene Leistung i. S. des § 85 Nr. 1 BSHG86). Die baden-württembergischen Sozialhilferichtlinien sollten dementsprechend korrigiert werden. (2) Fragwürdig ist die Richtlinienpraxis auch, soweit sie eine Heranziehung auch über das 27. Lebensjahr hinaus (nach Maßgabe einer nochmals erhöhten Ein- kommensgrenze) ermöglicht. Man sollte die vom Bundesverwaltungsgericht gezo- gene Grenze des 27. Lebensjahres ernster nehmen und ab diesem Zeitpunkt von einer Inanspruchnahme ganz absehen. Mit dem Bundesverwaltungsgericht87) kann man an den entsprechenden Altersgrenzen für die Erziehungsbeihilfe nach dem BVG (§ 27 IV BVG) und für das Kindergeld (§ 2 III BKiGG) anknüpfen und mit diesem Zeitpunkt ein gesetzlich vermutetes Ende einer hypothetischen Hoch- schulausbildung annehmen. (3) Fragwürdig sind die Richtlinien schließlich insoweit, als sie den Umstand nicht ansprechen, daß auch eine Inanspruchnahme sehr gut verdienender Eltern 83) aVG Münster, FEVS 35 (1986), 140 (144 - 146). 84) Man hätte auch darauf hinweisen können, daß das Kindergeld es außerdem bezweckt, die Minderung der steuerlichen Leistungsfähgikeit der Eltern infolge kindesbedingter Aufwendungen auszugleichen; vgl. BVerfG NJW 1990, 2869. 85) BVerwGE FEVS 35 (1986) 1; vgl. auch BGH FamRZ 1990,979 (980). 86) Vgl. in diesem Kapitel sub 2.1.4. b, cc, (2) a.E. (S. 70 f). 87) BVerwGE 56, 220 (227). Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 81 540 DM +1944 DM 2484 DM Fraglich ist allerdings, ob R für seine Tochter nachweisbare Aufwendungen entstanden sind. Beihilfe wird nur gezahlt für Aufwendungen, die der Beihilfeberechtigte aus seinen Mitteln bestritten hat87b) 87C) . Aufwendungen entstehen in diesem Sinne auch, wenn der Sozialhilfeträger den potentiell Beihilfeberechtigten als Unterhaltspflichtigen im Wege der Überleitung eines Unterhaltsanspruchs in Anspruch nimmt87d) . In Höhe der Beihilfe steht - wie schon an anderer Stelle dargelegt87e) - § 91 I 2 BSHG auch insoweit der Über- leitung nicht entgegen, als die Pension erst durch die Beihilfe bis zur Einkommensgrenze aufgrund einkommensunabhängiger Faktoren eine Härte darstellen kann. Zu den- ken ist an den vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen Fall, daß der Unter- haltspflichtige die Altersgrenze erreicht hat. (4) Nicht zu beanstanden ist es, wenn die baden-württembergischen Sozialhil- ferichtlinien Eltern in Höhe derjenigen Einnahmen ungeachtet der Härteklausel heranziehen wollen, die nicht wie das Kindergeld "zweckneutral" sind, sondern ausschließlich dazu dienen, den entstehenden Pflegeaufwand abzudecken. Beispiel: Der verwitwete Ruhestandsbeamte R bezieht eine Pension i. H. v. 2000 DM. Seine 30 jäh- rige schwerbehinderte Tochter T ist in einem Pflegeheim untergebracht. Den Pflegesatz, der sich auf 3375 DM p.m. beläuft, finanziert der Träger der Sozialhilfe. R kann u. U. für seine Tochter Beihilfe bcanspruchcnf?"): R selbst ist nach § 2 I Nr. 1 BVO als Ruhestandsbeamter beihilfeberechtigt. Wegen ihrer Behinderung ist T trotz ih- res Alters eine berücksichtigungsfähige Angehörige (§§ 3 I Nr. 2 BVa, 40 111 BBesG, 2 11 Nr. 3, III BKiGG). Bei den Pflegekosten handelt es sich um Aufwendungen, die nach den §§ 6 und 9 BVa beihilfefähig sein können. Gemäß § 9 111 svo sind 20% des Pflegesatzes als Aufwendungen i. S. des § 6 I Nr. 7 BVa (Aufwendungen für pflegerische Leistungen) anzusehen. Die restlichen 80% fallen als Kosten für Unterkunft und Verpflegung unter §9 BVa und sind nur eingeschränkt beihilfefähig: Nach § 9 111 1 Nr. 1 BVa ist ein Selbstbehalt von 270 DM in Abzug zu bringen. Der Beihilfesatz beträgt nach § 14 I Nr. 3 BVO 800/0. R erhält für T demnach folgende Beihilfe: a) für Aufwendungen i. S. des § 6 I Nr. 7 BVa: b) für Aufwendungen nach § 9 BVa: 2700 DM -270 DM (Sclbstbchalt) 2430 DM x 80% = 87a) In den folgenden Ausführungen werden die Vorschriften der Beihilfeverordnung (BVO) Baden-Württembergs vom 12.3.1986 zugrundegelegt (GBl.I986, 67 und 1988, 114). 87b) VGH Mannheim, Urt. v. 15.1.1985 - 4 S 1855/82 -, bei Schütz, ES/C IV 2 Nr. 18. 87C) Für erbrachte Sach- und Dienstleistungen wird keine Beihilfe geleistet, es sei denn, ein Sozialhilfeträger hätte den Beihilfeanspruch auf sich übergeleitet (§ 5 IV Nr. 1 BVa). Eine Überleitung des Beihilfeanspruchs des R wegen der an T erbrachten Soziahilfe scheidet im Fall jedoch aus, da T nicht mehr minderjährig ist (§§ 90 I 1, 28 BSHG). 87d) VGH Mannheim, wie Fn. 87b, S. 70. 87e) Kapitel 4, sub 2.1.4, b.cc (2) (S. 70 f). 82 Sozialhilferechtlicher Teil aufgestockt wird, da § 85 Nr. 1 BSHG den Schutz der Einkommensgrenze für die zweck- gebundene Beihilfe entfallen läßt87f) . Auch den Schutz der Härteklausel des § 91 111 1 BSHG verdienen solche zweckbestimm- te Leistungen nicht, ohne daß es dabei auf das Alter der Eltern oder auf ihre sonstigen Verhältnisse ankommen könnte. Ebensowenig kann das Alter der Tochter eine Rolle spie- len. Im Ergebnis "behält" R sein Ruhegehalt i. H. v. 2000 DM; der Träger der Sozialhilfclast erhält von R die Beihilfcleistungen - als "übergeleiteten Unterhalt" - i. H. v. 2484 DM- aber nicht mehr. 2.1.5.1.3. Inanspruchnahme von Vermögen in der Praxis a) In der Praxis spielt schließlich die Frage eine Rolle, ob eine ausnahmsweise mögliche Inanspruchnahme im Rahmen des § 91 111 1 HS 2 BSHG auch in Be- tracht kommen kann, wenn die Eltern über hohes Vermögen verfügen. Die baden-württembergischen Sozialhilferichtlinien gehen davon aus, daß in den von § 91 111 1 HS 2 BSHG angesprochenen Fällen Vermögen einen Härtefall nicht entfallen läßt88) , da davon auszugehen sei, daß aus größerem Vermögen Ein- künfte erzielt würden, die bei der Feststellung des anrechenbaren Einkommens berücksichtigt würden'"). Die Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhi/fe- träger sehen demgegenüber einen Vermögenseinsatz der Eltern behinderter Kin- der bei hohem Vermögen vor90) .Der Vermögenseinsatz wird von gestaffelten Vermögensfreigrenzen abhängig gemacht, bei deren Überschreiten nicht mehr von einem Härtefall ausgegangen wird. Ein selbst bewohntes Ein - oder Zweifa- milienhaus bleibt dabei von vorneherein außer Betracht. Für 18 bis 21 jährige Kin- der - ein im Rahmen der allgemeinen Härteklausel zu verortender Fall - wird als Grenze empfohlen ein Betrag i. H. des Zehnfachen der nach § 1 I Nr. 3 der Ver- ordnung zu § 88 11 Nr. 8 BSHG freizulassenden Beträge (im Regelfall 6200 DM91)). Vom 22. bis zum 27. Lebensjahr soll die Grenze das 40 fache (248.000 DM), ab dem 28.Lebensjahr das 60 fache (372.000 DM) betragen. Vor der Gegen- 87f) Eine gewisse Schwierigkeit liegt darin, daß § 85 Nr. 1 BSHG den Schutz der Einkom- mengrenze entfallen läßt, soweit zweckbestimmtes Einkommen gewährt wird. Im Bei- spielsfall hängt aber die Gewährung der Beihilfe gerade davon ab, ob sozialhilferechtlich Rückgriff genommen werden kann. Im Blick auf den Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 II 1 BSHG) sollte man m. E. gleichwohl § 85 Nr. 1 BSHG anwenden, um den Rückgriff zu ermöglichen, um eben dadurch beihilferechtlich erhebliche Aufwendungen und damit auch den Beihilfeanspruch entstehen zu lassen. 88) Rdnr.91.17. 89) Ebenso die Forderung der vier Fachverbände im Rahmen der Debatte im Deutschen Verein, vgl. Wendt/Lachwitz, 1988, 11 ff. 90) Abgedruckt bei Wendt/Lachwitz, 11 ff. 91) Grundbetrag 4500 DM + für einen Elternteil 1200 DM + für den Hilfesuchenden 500 DM. Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 83 überstellung mit diesen Freigrenzen soll vom Gesamtvermögen das Vermögen ab- gesetzt werden, das zur Alterssicherung erforderlich ist. Soweit das verbleibende Vermögen die Freigrenze übersteigt, soll es mit höchstens 50% in Anspruch ge- nommen werden. Beispiel'<) : Ein 30jähriges behindertes Kind wird in einer Einrichtung betreut. Die Eltern, deren Al- tersversorgung durch die gesetzliche Rentenversicherung sichergestellt ist, verfügen über Sparvermögen und Aktien im Wert von 500.000 DM. Das Vermögen übersteigt die Freigrenze von 372.000 DM (6200 DM x 60) um 128.000 DM. Die Eltern müssen also 64.000 DM zur Finanzierung des Aufent- halts in der Einrichtung aufwenden. b) M. E. sollte man auch dann eine Grenze der Inanspruchnahme beim 27. Le- bensjahr des Kindes ziehen, wenn es um die Heranziehung von Vermögen geht. Die baden-württembergische Praxis, die Vermögen im Rahmen der besonderen Härteklausel gänzlich außer acht läßt, hat überdies den Vorteil, daß sie nicht ge- nötigt ist, den vorweg abzuziehenden Teil des Vermögens zu bewerten, der der Altersversorgung dient. Bei der Berechnung des für die Altersversorgung Selb- ständiger abzusetzenden Betrages müssen nämlich zur Erzielung gerechter Ergeb- nisse aufwendige versicherungsmathematische Gutachten erstellt werden'"), 2.1.5.2 Zur allgemeinen Härteklausel 2.1.5.2.1. Allgemeines zur allgemeinen Härteklausel In anderen Härtefällen soll der Sozialhilfeträger von der Inanspruchnahme ab- sehen ( § 91 111 1 HS 1 BSHG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt eine solche Härte nur dann vor, wenn mit der Inanspruchnahme "soziale Belange" vernach- lässigt werden müBten 94) . Wäre die Inanspruchnahme hart, weil der Bedürftige eine der in § 1611 I BGB aufgeführten Verhaltensweisen an den Tag gelegt hat, ist dies freilich keine Verlet- zung "sozialer Balange" i. S. d. Härteklausel. Insoweit besteht nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts nur eine zivilrichterliche Prüfungsbefugnis'"), Dies muß entsprechend für die in § 1579 Nrn. 2 bis 6 BGB genannten Verhaltens- weisen gelten. Auch die Beurteilung der Dauer der Ehe als Härtegrund (§ 1579 Nr. 1BGB) sollte man dem Zivilgericht überlassen. Etwas anderes dürfte u. U. für 92) Wendt/Lachwitz,1988, 13. 93) Dies hat Gramm, 51, nachgewiesen. 94) BVerwGE 58,209 (211); ave Hamburg FEVS 37 (1988), 277 (280 f). 95) BVerwGE 58, 209 (213 - 215). 84 Sozialhilferechtlicher Teil die "unbenannten Härtegründe" in § 1579 Nr. 7 BGB gelten, soweit es dabei um rein objektive Umstände geht. Zur Konkretisierung dessen, was man sich unter einer so bestimmten Härte vorzustellen hat, tragen die "Heranziehungsempfehlungen " des Deutschen Ver- eins selbst nichts bei, da sie nur den Gesetzeswortlaut wiedergeben'"}, In der Kommentierung werden dann freilich einige Beispiele genannt?"), auf die teilweise auch das Bundesverwaltungsgericht hinweist?"). Danach kann eine Härte gegeben sein wenn: - eine unverhältnismäßige und nachhaltige Störung des Familienfriedens droht; - das Verbleiben des Hilfeempfängers im Familienverband gefährdet ist; - die Heranziehung zur einer nachhaltigen und unzumutbaren Beeinträchtigung der übri- gen Familienangehörigen führen würde; - wenn die Familienbande sehr stark gelockert sind; - der Unterhaltspflichtige vor Eintritt der Sozialhilfe über das Maß seiner Unterhaltsver- pflichtung hinaus den Hilfesuchenden betreut und gepflegt hat. Auch bei den Fällen, die unter die allgemeine Härteklausel fallen, kann es um die Inanspruchnahme von Einkommen oder von Vermögen gehen, wobei die Be- urteilung vom Umfang der zur Verfügung stehenden Mittel abhängt. Soweit er- sichtlich hat sich jedoch kein System von Einkommensgrenzen auf Richtlinienba- sis herausgebildet, wie es im Rahmen des zweiten Halbsatzes der Fall ist. 2.1.5.2.2. Härtekonstellationen bei Pflegefällen Im Folgenden werden vier Konstellationen angesprochen, in denen bei Pflege- fällen die Frage nach dem Vorliegen einer Härte aufkommt. 2.1.5.2.2.1. Heranziehung von Kindern für ihre Eltern Zunächst ist an die Fälle zu denken, in denen Kinder für die Kosten der Pflege ihrer Eltern in Anspruch genommen werden, insbesondere wenn es um die Ko- sten stationärer Unterbringung geht. Sehr häufig folgt ein Heimaufenthalt einer langjährigen Versorgung in einer Kindesfamilie?"). M. E. sollte man stets eine Härte annehmen, wenn ein Kind in Anspruch genommen werden soll, das den nunmehr Heimpflegebedürftigen zu- vor länger gepflegt hat. (1) Zu verweisen ist zunächst auf den Grundgedanken, der der besonderen Härteklausel in § 91 111 1 HS 2 BSHG zugrundeliegt: Die besondere Härteklausel trägt dem Umstand Rechnung, daß Eltern behinderter Kinder bis zu deren Voll- 96) 2. Auflage, Rdnr. 9; 3. Auflage, Rdnr. 17. 97) Heranziehungsempfehlungen, 2. Auflage/Schellhorn, 417. 98) BVerwGE 58,209 (216). 99) Vgl. Kapitel 2 sub 2.2.2., a (S. 16). Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 85 jährigkeit einer Belastung ausgesetzt sind, die weit über die Belastung der Eltern nicht-behinderter Kinder hinausgeht und die es verdient, honoriert zu werden. Mit dem Ende der gesteigerten Unterhaltspflicht soll daher der wirtschaftliche Spielraum wieder größer werden. (2) Haben Kinder pflegebedürftige Eltern länger gepflegt, verdient auch dies Honorierung. Zwar wird die Dauer der Pflegebelastung kaum einmal 18 Jahre lang dauern. Aber auch kürzere Pflegezeiten können eine erhebliche Belastung darstel- len, wie im einzelnen in Kapitel 2100) dargestellt wurde. (3) Für die Bewertung ist auch wichtig, daß Kinder ihren Eltern - anders als El- tern ihren minderjährigen Kindern - die Pflege nicht als Dienstleistung schulden. Eineventueller Unterhaltsanspruch richtet sich auf Zahlung einer Geldrentet'"). Als überobligationsmäßige Leistung verdient es die Pflege, durch Verschonung vor einem späteren Heimkostenregreß honoriert zu werden. (4) Für die Annahme einer Härte sollte es schließlich gleichgültig sein, ob die in derKindesfamilie erbrachte Pflege von dem Kind höchstpersönlich geleistet wur- deoder etwa von der Schwiegertochter. Auch in diesem Fall mußte die Kindesfa- milie insgesamt die Last tragen. Ebenso würde ein späterer Heimkostenregreß das Familieneinkommen der Kindesfamilie schmälern. 2.1.5.2.2.2. Heranziehung von Eltern für 18 bis 21jährige behinderte Kinder, die stationär versorgt werden Insoweit sind grundsätzlich zwei Fallkonstellationen zu unterscheiden: (1) Wird einem behinderten Kind Eingliederungshilfe in Gestalt einer Ausbil- dung in einer besonderen Einrichtung gewährt, ist der Rückgriff des Sozialhilfe- trägers nach § 43 11 1 Nr. 4 BSHG beschränkt: Bis zum 21. Lebensjahr - u.U. auch noch darüber hinaus - (§ 43 11 4 B5HG) - können die Eltern nur für die Ko- sten des Lebensunterhalts 'in Anspruch genommen werden (5 1), wobei bei statio- nären Maßnahmen auf die ersparten Aufwendungen abzustellen ist (S 2). Absatz 2 ist durch das Zweite Änderungsgesetz zum BSHGI02) eingeführt wor- den. Damals war die Vergünstigung noch auf schulpflichtige Kinder beschränkt. Zweck war eine Gleichstellung der Eltern behinderter Kinder mit den Eltern nicht-behinderter Kinder, indem auch jene von den Kosten der Schuldbildung freigestellt werden sollten, wenn diese Kosten nicht von der Schulverwaltung ge- tragen wurden103). Das Anliegen der Vorschrift wird besonders prägnant in einer 100) Sub 2.4.1.1 (S. 20 f). 101) Vgl.unten Kapitel 5 sub 1.5 (S. 112 ff). (02) Vom 14.8.1969, BGBI I 1153. 103) Vgl. Löden, ZfSH/SGB 1983, 484 (486). 86 Sozialhilferechtlicher Teil Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Ausdruck gebracht, die daher auszugsweise wörtlich zitiert wirdl'"): "Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist ...., die Eltern behinderter Kinder mit den Eltern nicht-behinderter Kinder wirtschaftlich gleichzustellen, damit ihnen durch eine angemes- sene Schulbildung ihrer Kinder keine höheren Kosten entstehen als den anderen Eltern. Der Grund hierfür ist nicht Mitleid mit den betroffenen Eltern, sondern das Allgemeinin- teresse an der Eingliederung behinderter Kinder. Die Eltern sollen nicht durch eine wirt- schaftliche Belastung, die sich aus der oft mit großen Unkosten verbundenen Schulausbil- dung behinderter Kinder ergeben kann, in ihrer unentbehrlichen aktiven Mitwirkung an der Eingliederung ihrer Kinder in die Gesellschaft erlahmen; sie sollen nicht danach trach- ten, im Interesse ihrer wirtschaftlichen Besserstellung die Eingliederung ihres behinderten Kindes zu vernachlässigen oder sogar zu hintertreiben." Das Dritte Änderungsgesetz zum BSHGlOS) dehnte den Kreis der erfaßten Be- hinderten und der begünstigten Maßnahmen durch Einbeziehung des vorschuli- schen Bereichs aus. Die vom Bundesrat vorgeschlagene'w) gänzliche Streichung des Absatzes 2 im Rahmen des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes'P") konnte im Gesetzgebungs- verfahren nicht durchgesetzt werden. Das Gesetz beschränkte sich dann darauf, § 43 Absatz 2 Satz 2 zu streichen, wonach sich der Kostenbeitrag auf die ersparten Aufwendungen beschränkt hatte. Die Folge war, daß die überörtlichen Sozialhilfeträger ihre Forderungen von bis dahin i. d. R. ca. 200 DM auf bis zu 850 DM monatlich erhöhten lP"). Viele Eltern sahen sich infolgedessen genötigt, ihre Kinder in den Reha- Einrichtungen abzu- melden. Aufgrund der Proteste der betroffenen Eltern und ihrer Organisationen, v. a. wohl der Bundesvereinigung Lebenshilfe, wurde im November 1982 der vor- herige Rechtszustand rückwirkend wieder herbeigeführtl?"). Die ursprünglich vorgesehene Funktionsweise des § 43 11 BSHG war es, den in § 28 BSHG angesprochenen Zumutbarkeitsbegriff zu ergänzen. Die Regel hätte daher besser in den vierten Abschnitt des Gesetzes gepaßt110) . In den angespro- chenen Fällen sollte ausnahmsweise nur eine beschränkte Anrechnung der an sich nach dem vierten Abschnitt einzusetzenden Mittel der Einsatzgemeinschaft mög- lich sein. In derselben Weise war gegebenenfalls auch der Kostenbeitrag nach § 43 I BSHG beschränkt. Schwierigkeiten haben sich daraus ergeben, daß zum 1. Janu- ar 1975 das Volljährigkeitsalter auf achzehn Jahre gesenkt wurdet!"). Seitdem 104) BVerwGE 48, 228. 105) Vom 25.3.1974, BGBI 1,777. 106) BT -Drs 9/842. 107) Gesetz vom 22.12.1981, BGBI I, 1523. 108) Giese, ZfSH/SGB 1982, 285 (293); Löden, ZfSH/SGB, 1983, 484 (487); LPK §43 Rdnr. 7. 109) Art. 11 § 14, Nr. 5 SGB-X 3, BGBI I 1450. 110) Schellbornijirasek/Seipp, § 43, Rdnr. 19. 111) Gesetz vom 31.7.1974, BGBI I 1713. Alnvälzungswege und Ab-wälzungshindernisse 87 kommt bei 18 bis 21jährigen Kindern weder Anrechnung noch Kostenbeitrag in Frage. Ihre Eltern können nur noch im Wege der Überleitung herangezogen wer- den. Fraglich ist, ob auch in dieser Lage die Vergünstigung Anwendung findet. Der Wortlaut des § 43 II BSHG ist durch die Änderung der Gesetzeslage wider- sprüchlich geworden: Ab dem achzehnten Lebensjahr des Kindes gehören die El- tern nämlich nicht mehr zu den in § 28 genannten Personen, auf die § 43 11BSHG verweist, da in § 28 nur die Eltern minderjähriger Kinder angesprochen sind. Gleichwohl muß nach dem sozialpolitischen Anliegen der Vorschrift auch in die- sen Fällen die Rückgriffsschranke angewendet werden. Andernfalls erhielte man das wenig sinnvolle Ergebnis, daß drei Jahren voller Inanspruchnahme die voll- ständige Entlastung nach § 91 III 1 HS 2 BSHG folgte. Einleuchtender ist ein Konzept, das die Belastung der Eltern mit zunehmendem Alter des Kindes schrittweise sinken läßt. Zur rechtstechnischen Einordnung wird vorgeschlagen, § 43 11 BSHG über §9112 BSHG zu berücksichtigen'!"). Eine andere Möglichkeit wäre es, an der all- gemeinen Härteklausel des § 91 III 1 HS 1 BSHG anzusetzen und in § 43 11 BSHG einen gesetzlich typisierten Härtefall zu sehen, bei dessen Vorliegen kein Raum mehr für Ermessenserwägungen gegeben ist. So jedenfalls wäre § 43 11 BSHG gut in das vom Bundesverwaltungsgericht entworfene System einzubauen. (2) Zweitens ist denkbar, daß das 18 bis 21 Jahre alte behinderte Kind nicht "privilegierte" Eingliederungshilfe sondern stationäre Hilfe zur Pflege erhält, ent- weder weil die Ausbildung schon beendet ist oder aber weil das Kind wegen der Schwere seiner Behinderung als nicht rehabilitationsfähig und damit als "Pflege- fall" eingeordnet wird l 13) . Auf diese Kinder ist § 43 11 BSHG nicht anwendbar. Insoweit ist m. E. zu Recht betont worden, es sei nicht nachvollziehbar, wenn die Eltern von schwerer behinderten Kindern in größerem Umfang als die Eltern leichter behinderter Kinder zu Kostenbeiträgen herangezogen würden. Dies sei auch schwerlich mit der Wertung der besonderen Härteklausel vereinbar, die nicht danach unterscheidet, ob Hilfe zur Pflege oder Eingliederungshilfe gewährt wird'!"), Man sollte also auch hier insoweit eine Härte annehmen, als der Rück- griff die ersparten häuslichen Aufwendungen übersteigt. 112) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 43, Rdnr. 27; LPK § 43, Rdnr. 13 (Hier auch § 90 I 3 als An- satzpunkt);§ 90 I 3 als Ansatzpunkt wird auch genannt in G DV NDV 1985, 265 und bei Gottschick/Giese, § 43 Anm. 17.2. und 17.4. 1l3) Zu diesen Konstellationen LachwitzIWendt,1985, 75 f. 114) V.a. Giese, ZfF 1975, 25 (28); Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 91, Rdnr. 83; Lachwitz/ Wendt,1985, 76. 88 Sozialhilferechtlicher Teil 2.1.5.2.2.3. Heranziehung von Eltern behinderter Kinder für Hilfe zum Lebensun- terhalt Erhalten Kinder stationäre Hilfe, umfaßt diese Hilfe auch die Hilfe zum Le- bensunterhalt ( § 27 111 BSHG). Soweit bei stationärer Hilfe eine Inanspruchnahme der Unterhaltspflichtigen wegen der Härteklausel ausscheidet, bezieht sich das Rückgriffsverbot auch auf die mitgeleistete Hilfe zum Lebensunterhalt'!"). Es gelten also ausnahmsweise im Bereich der Hilfe zum Lebensunterhalt die Einkommensgrenzen des vierten Ab- schnitts. Es kann aber auch der Fall eintreten, daß Kinder Hilfe zum Lebensunterhalt er- halten, die nicht-stationär untergebracht sind, sei es daß sie nicht bei Verwandten sondern in einer Wohngemeinschaft leben, sei es auch, daß sie mit ihren Eltern zusammenleben, daß aber § 16 BSHG aus irgend einem Grund zunächst nicht an- gewandt wird. In diesen Fällen kommt eine Anwendung der besonderen Härteklausel nicht in Frage, der es um Hilfe zur Pflege und nicht um Hilfe zum Lebensunterhalt geht. § 27 111 BSHG hilft hier nicht weiter, da die Hilfe nicht in einer Einrichtung ge- währt wird. Beispielüv): Die Kläger sind Eltern einer 3 t Jahre alten geistig behinderten Tochter T, die seit Geburt bei ihren Eltern lebt und von diesen gepflegt wird. Die beklagte Stadt gewährte T Pflege- geld wegen erheblicher Pflegebedürftigkeit, das wegen einer teilstationären Versorgung über Tag gekürzt wurde. Seit ihrem 31. Lebensjahr erhält T Hilfe zum Lebensunterhalt. Wegen dieser Hilfe zum Lebensunterhalt hat die Beklagte den Unterhaltsanspruch der T gegen ihre Eltern auf sich übergeleitet. Die Kläger wehren sich mit der Klage gegen die Überleitung: Sie hätten ihre Tochter über dreißig Jahre lang gepflegt, ohne Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Der Unterhalts- und Betreuungsbedarf der Tochter liege weit über dem Durchschnitt. Wegen der Behin- derung der Tochter lebe die Familie in familiärer Abgeschiedenheit. Die Eltern müßten bei geöffneter Schlafzimmertüre schlafen, weil die Tochter oftmals nachts Krämpfe be- komme. Sie würden schlechter behandelt, als Eltern, die ihre Kinder vollstationär unter- gebracht hätten, obwohl sie mindestens ebenso belastet seien. In diesem Fall konnte den Klägern § 91 111 1 HS 2 BSHG nicht helfen. Die be- sondere Härteklausel erschwert den Rückgriff nur bei Hilfe zur Pflege. Hilfe zum Lebensunterhalt wird aber nur bei stationärer Pflege der Hilfe zur Pflege zuge- rechnet (§ 27 111 BSHG). Lebt der Hilfeempfänger wie im Fall bei den Eltern, kann der Inanspruchnahme allenfalls die allgemeine Härteklausel entgegenstehen. 115) Heranziehungsempfeblungen, 2. Auflage/Schellhorn, 38; LPK § 91, Rdnr. 58. 116) ave Lüneburg, 4 ave 142/84 Urteil vom 8.10.1986 (unveröffentlicht; nicht rechts- kräftig); über diese Entscheidung berichtet Atz/er, ZfF 1989, 73 (75). Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 89 Das ave Lüneburg hat sich m. E. zu Recht auf den Standpunkt gestellt'!"), Schwere und Dauer des Leidenszustandes eines behinderten Kindes, das zu Hause gepflegt werde, unterscheide sich nicht vom Zustand eines stationär versorgten Hilfeempfängers. Auch die Lebenssituation der Unterhaltspflichtigen sei gleichar- tig. Die deshalb gebotene Gleichbehandlung der Fälle sei durch Annahme einer rückgriffshinderlichen Härte im Sinne der allgemeinen Härteklausel in den Fällen der häuslichen Versorgung zu gewährleisten. Zusätzlich verweist das ave zugunsten der Kläger auch darauf, daß diese ihre schwerbehinderte Tochter vor dem Eintreten der Sozialhilfe weit über das Maß ihrer Unterhaltspflicht hinaus, nämlich über 30 Jahre lang, betreut und gepflegt hätten. Trotz Vorliegens einer Härte hält das ave freilich eine Inanspruchnahme des Vaters wegen des Steuerfreibetrages für geboten, den er gemäß § 33 b EStG er- hielt. § 33 b EStG räumt Behinderten in Abhängigkeit vom Ausmaß der Behinderung einen pauschalen Steuerfreibetrag ein wegen der außergewöhnlichen Belastungen, die einem Behinderten unmittelbar infolge seiner Behinderung erwachsen. Nach Absatz 5 steht der Freibetrag einem Steuerpflichtigen zu, dessen behindertes Kind den Freibetrag nicht in Anspruch nimmt. Das ave hält eine Inanspruchnahme des Klägers i. H. seiner Steuerersparnis für zulässig, da er sonst besser stünde, als wenn seine Tochter nicht behindert wä- re. Abzusetzen sei allerdings von der Steuerersparnis ein Betrag i. H. v. 30% des Regelsatzes, da der Kläger für einmalige Bedürfnisse seiner Tochter aufkomme, die nicht im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt von der Beklagten bezahlt wurden. Das Vorgehen des ave ähnelt der Operation, die §91 I 2 BSHG i. V. m. § 85 Nr. 1 BSHG vorschreibt: Die Steuerersparnis wird als zweckbestimmte Leistung behandelt, die dem Unterhaltsgläubiger zuzurechnen ist und daher (nicht den Schutz der Einkommensgrenze, sondern) den Schutz der Härteklausel nicht ver- dient, die den Schutz des Unterhaltspflichtigen bezweckt. 2.1.5.2.2.4. Heranziehung geschiedener Ehegatten Denkbar ist schließlich der Fall, daß ein Sozialhilfeträger für stationäre Hilfe beim früheren Ehegatten Rückgriff nehmen will. Es fragt sich auch hier, unter welchen Voraussetzungen eine rückgriffshinderliche Härte anzunehmen ist. Voraussetzung ist m. E., daß der Unterhaltsanspruch "Pflegeanteile" enthält. Das setzt voraus, daß der Pflegebedarf schon die ehelichen Lebensverhältnisse ge- 117) Urteil S. 8 f. 90 Sozialhi/ferechtlicher Teil prägt hat l 18) . Ist der Unterhalt unabhängig vom Pflegebedarf bemessen, steht der Unterhaltspflichtige nicht anders da als potentiell jeder frühere Ehegatte. Enthält der Unterhalt Pflegeanteile, wird man entsprechend den bisherigen Ausführungen eine Härte dann annehmen können, wenn der Inanspruchgenommene während der Ehe längere Zeit Pflegeleistungen erbracht hat oder wenn er wegen der Behin- derung sonst größeren Belastungen ausgesetzt war. Demgegenüber kann der Ge- sichtspunkt der "gelockerten Familienbande" angesichts der Unterhaltserwartun- gen, die geschiedene Ehen vermitteln, schwerlich eine Härte begründen. 2.1.6.§ 91 1112 BSHG Nach § 91 111 2 BSHG kann der Sozialhilfeträger von der Inanspruchnahme ab- sehen, "wenn anzunehmen ist, daß der mit der Inanspruchnahme verbundene Verwaltungsaufwand in keinem angemessenen Verhältnis zu der U nterhaltslei- stung stehen wird." Das wird in der Regel angenommen, wenn Unterhaltsbeiträge von 10 bis 20 DM monatlich in Rede stehen 119). Die Vorschrift beruht allein auf verwaltungs- ökonomischen Erwägungen und vermittelt kein subjektives Recht. Sie interessiert hier nicht näher. 2.1.7. Unzulässige Umgehung von Überleitungsshindernissen Es gibt verschiedene Wege, die der Sozialhilfeträger einschlagen kann, um ins- besondere die Rückgriffshindernisse des § 91 BSHG zu umgehen120). a) § 91 BSHG kann umgangen werden, wenn der Sozialhilfeträger die Gewäh- rung der Sozialhilfe von der Abtretung des Unterhaltsanspruchs abhängig macht, um sich trotz des Rückgriffshindernisses eine Refinanzierungsmöglichkeit zu ver- schaffen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu entschieden, die Überleitungsvor- schriften dienten nicht nur der Herstellung des Nachranges, sondern begrenzten auch den Nachranggrundsatz. Dementsprechend begrenzten sie auch die Verwei- sung auf Eigenhilfe. Daraus sei zu schließen, "daß der Träger der Sozialhilfe dann, wenn er (... ) nicht im Wege der Überleitung, auch nicht im Wege der Abtretung zum Ersatz seiner Aufwendungen gelangen kann'T"). Diese Rechtsprechung betrifft freilich das Rückgriffshindernis des § 90 I 2 BSHG, das den Hilfesuchenden schützt. M. E, besteht aber kein Grund, die Frage 118) Dazu unten Kapitel 6 sub 1.2.1 (S. 136 ff). 119) Scbulte/Trenk - Hinterberger, 401; BWSHR, 91.18 Nr. 4. 120) Zum Teil hat diese Fragen schon Paulus (286 bis 288) recht eingehend behandelt. 121) BVerwGE 41, 216 (220); bestätigt in BVerwGE 51,211 (214). Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 91 anders zu behandeln, wenn der Rückgriff an schuldnerschützenden Rückgriffs- hindernissen scheitert. läßt sich der Hilfeempfänger trotz dieser Rechtslage auf eine Abtretung ein, steht deren Wirksamkeit zwar nicht § 400 BGB mit § 850 b I ZPO im Wege122) . Die Abtretung ist aber als Umgehungsgeschäft gemäß § 134 BGB nichtig l 23) . b) Der Sozialhilfeträger kann angesichts eines Rückgriffshindernisses den Hil- fesuchenden auch darauf verweisen, seinen Anspruch selbst geltend zu machen. Es wird von Vereinbarungen in Gestalt "privater Absprachen" zwischen Unterhalts- gläubigern und Sozialhilfeträgern berichtet, die vorsehen, daß der Hilfeempfänger den Unterhaltsanspruch einklagt und durchsetzt, um dann den eingezogenen Be- trag bis zur Höhe der bereits (vor)geleisteten Sozialhilfe an den Sozialhilfeträger weiterzuleiten124). Aus der erwähnten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt aber auch insoweit, daß die Gewährung der Sozialhilfe nicht zur Umgehung der Rück- griffsverbote davon abhängig gemacht werden darf, daß der Hilfesuchende seine Unterhaltsansprüche beitreibt. Das hilft dem Schuldner freilich dann nichts, wenn der Hilfesuchende sich auf solche "Anregungen" des Sozialhilfeträgers einläßt. Solche Anregungen sind of- fenbar in der Praxis bisweilen gerade dann üblich, wenn Rückgriffshindernisse im Spiele sind. So heißt es z. B. in den baden-württembergischen Sozialhilferichtli- nien125) : . "Ansprüche des Hilfesuchenden gegen Unterhaltspflichtige 2. oder entfernteren Grades können nicht übergeleitet werden, bleiben dem Hilfesuchenden aber erhalten. Wenn So- zialhilfe beansprucht wird, soll der Hilfesuchende in solchen Fällen auf sein Recht hinge- wiesen werden, diese Unterhaltsansprüche. die unter Umständen höher sind als die Sozi- alhilfeleistungen, bürgerlich-rechtlich geltend zu machen." In diesen Konstellationen kann dem Schuldner nur geholfen werden, wenn das Rückgriffshindernis in das Unterhaltsrecht "ausstrahlt". Dies Problem wird in Ka- pitel 7 erörtert. c) Dasselbe Ziel kann der Sozialhilfeträger zu erreichen suchen, indem er eine Einzugsermächtigung verlangt und sich zum Prozeßstandschafter küren läßt. In der Praxis der Sozialhilfeträger soll dies im Unterschied zur Praxis der Aus- bildungsförderungsämter nicht vorkommen, weil die Sozialhilfeträger eher zu Entgegenkommen neigterr'?"). Die Neigungen der Sozialhilfeträger dürften aber stark von ihrer Finanzlage abhängen, so daß die Konstellation ggf. durchaus auch in der sozialhilferechtlichen Praxis auftauchen kann. 122) Vgl. PalandtlHeinricbs, § 400, Anm. 2, Rdnr. 3. 123) Paulus, 287 f. 124) Künkel, FamRZ 1991, 14 (20). 125) BWSHR Rdnr. 91.03. 126) Müller - Freienfels, FS Beitzke,311 (328 m. w. N.). 92 Sozialhi/ferechtlicher Teil Die soeben zur Abtretungs- und Verweisungsfrage vorgebrachten Argumente lassen sich auf diese Situation übertragen. Auch auf diesem Wege würde nämlich letztlich der Sozialhilfeträger entgegen der Wertung des § 91 BSHG eine Bela- stung der Angehörigen bewirken. Ist es zu Einziehungsermächtigung und Prozeßstandschaft gekommen, gilt fol- gendes: Jedenfalls die gewillkürte Prozeßstandschaft setzt voraus, daß der Einzie- hende ein eigenes schutzwürdiges Interesse an der Einziehung im eigenen Namen hat127)~ Das Ansinnen, § 91 BSHG zulasten des Schuldners/Beklagten zu unter- laufen, muß dazu führen, die Schutzwürdigkeit seines Interesses abzulehnen'?"), d) Wird - etwa auf Anregung des Sozialhilfeträgers - wegen Heimkosten in Unterhaltsansprüche vollstreckt und dadurch der Unterhaltsschuldner zu Zahlun- gen gezwungen, die er einem Sozialhilfeträger nicht hätte erstatten müssen, sollte man die Pfändung als unbillig im Sinne des § 850 b 11 ZPO ansehen. So lag m. E. der Fall in der mehrfach erwähnten einschlägigen Entscheidung des BGH129): Dort bezog der unterhaltspflichtige Vater eine Altersrente, war also ver- mutlich älter als 65 Jahre. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge- richts130) wäre in dieser Lage auch bei sehr guten Einkommens- und Vermögensver- hältnissen die besondere Härteklausel des § 91 III1HS 2 BSHG anwendbar gewesen. Eine weitere Hilfe für den Schuldner wäre es, nähme man eine "Ausstrahlung" der Härteklausel an. 2.2."Heranziehungsempfehlungen" des Deutschen Vereins Ein Rückgriffshindernis anderer Provenienz ergibt sich aus den Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge über die Heranzie- hung Unterhaltspflichtiger. Legen Sozialhilfeträger diese Empfehlungen ihrer Praxis zugrunde, ergibt sich daraus eine "Selbstbindung" bezüglich der Ausübung des Überleitungsermessens. a) Die die Ausübung des Überleitungsermessens steuernden Empfehlungen des Deutschen Vereins versuchen u.a. den Begriff des "angemessenen Unterhalts" des § 1603 I BGB durch eine schematisierte Berechnung zu konkretisieren, die häufig für den Pflichtigen günstiger ist als die üblichen Selbstbehaltsätze. Soweit nicht gestei- gert Unterhaltspflichtige in Anspruch genommen werden sollen, soll diese Berech- nung 'neben der Rechnung nach § 91 12 BSHG angestellt werden, da nicht allgemein 127) BGHZ 102, 294 (296); BGHZ 96, 151 (152). 128) Dasselbe dürfte gelten, wenn der Sozialhilfeträger den Bedürftigen ermächtigt, den schon übergeleiteten und daher fremden Anspruch zur Umgehung der Härteklausel im eigenen Namen einzuklagen. 129) BGH FamRZ 1986, 48, s. Kapitel 2, sub 3.3.2 (5.27 f). und in diesem Kapitel sub 2.1.1 (5. 63 f), Fn. 9. 130) BVerwGE 56, 220, vgl. dazu in diesem Kapitel sub 2.1.5.1.1. (5.75 ff). Alnvälzungswege und Alnvälzungshindernisse 93 770,00 DM 1732,50 DM 700,00 DM 557,00 DM +557,00 DM 4316,50 DM gesagt werden könne, welche Berechnung günstiger sei!"). Als bürgerlich-rechtli- cher Eigenbedarf wird nach den Empfehlungen folgendes anerkannt'V): - der doppelte Regelsatz für den Unterhaltspflichtigen und der anderthalbfache Regelsatz für die von ihm unterhaltenen unterhaltsberechtigten Angehörigen133); - die vom Unterhaltspflichtigen zu tragenden Kosten der UntcrkunftU'i): - ein Betrag i. H. v. 100/0 des bereinigten Einkommens des Unterhaltspflichtigen. Da- durch soll dem Begriff des "angemessenen" Unterhalts Rechnung getragen werden135) - ein Betrag i. H. v. 10% des bereinigten Erwerbseinkommens als Ausgleich für mit der Erwerbstätigkeit verbundene höhere Aufwendungen136); - schließlich werden diverse besondere Belastungen bcrücksichtigtf V). Von dem über den Eigenbedarf des Unterhaltspflichtigen hinausgehenden Be- trag sind i. d. R. 500/0 als Unterhaltsbeitrag in Anspruch zu nehmeri'?"). Die 2. Auflage der Empfehlungen hatte noch eine Inanspruchnahme von nur 33 1/3% vorgesehen. Nun haben sich die Empfehlungen der Praxis angepaßt, die teilweise offenbar schon 1978 50% in Anspruch nahm 139).Von der Regel kann abgewichen werden, wenn der Unterhaltspflichtige durch Haushaltsgemeinschaft mit dem Hilfeempfänger, z. B. wegen dessen Gebrechlichkeit, besonders belastet ist 140) . Auch die nur beschränkte Heranziehung des überschießenden Betrages soll dem Begriff der Angemessenheit in § 1603 I BGB Rechnung tragen, die sich nämlich in erster Linie nach den aufgrund des eigenen Einkommens möglichen Lebensver- hältnissen bestimmet!"). b) Im Fall des AG Hagen 142) hatte der Sachbearbeiter demnach folgende Be- rechnung anzustellen: - doppelter Regelsatz für den Beklagten 385 DM143) x 2 = - anderthalbfacher Regelsatz für Ehefrau und zwei unterhaltene Kinder 385 DM x 3 = - Kosten für die Unterkunft - 10% des bereinigten Einkommens 5568,12 x 100/0 - 10% des Nettoerwerbseinkommens 131) Heranziehungsempfehlungen, 2. Auflage/Schellhorn, 131. 132) Heranziehungsempfehlungen, 3. Auflage, Rdnrn. 125, 106 - 115. Ebenso - mit geringfü- gigen Abweichungen - BWSH R Rdnr. 91.52. 133) Rdnr. 108 134) Rdnr. 109. 135) Vgl. Heranziehungsempfehlungen, 2. Auflage/Schellhorn, 118, Buchst. A c. 136) Rdnr. 111; BWSHR: insoweit Höchstgrenze von 400 DM, Rdnr. 91.52. 137) Rdnr. 112. 138) Rdnr. 113. 139) Heranziehungsempfehlungen, 2. Auflage/ Schellhorn, 121. 140) BWSHR Rdnr. 114, Satz 3. 141) Heranziehungsempfehlungen, 2. Auflage/ Schellhorn, 120 f. 142) FamRZ 1988, 755; Einleitung sub 2 (S. 5 f). 143) Eckregelsatz NRW ab 1.9.1985; vgl. Gottschick/Giese, § 22, Anm. 6.2. 94 Sozialhilferechtlicher Teil 220,80 DM 55,20 DM 66,00 DM +20,00 DM 362,00 DM Von der Differenz zwischen dem Nettoeinkommen i. S. d. § 76 BSHG und die- ser Grenze (5568,12 DM - 4316,50 DM= 1252 DM) können bei unterstellter strenger Heranziehungspraxis im Jahr 1986 1252 DM : 2 = 626 DM in Anspruch genommen werden. Der Schutz durch die Heranziehungsempfehlungen ist in diesem Fall also er- heblich stärker als der durch § 91 I 2 BSHG, demzufolge der Beklagte für die ge- samten Heimkosten hätte in Anspruch genommen werden können'"), wenn es um das Verhältnis von Eltern zu ihren volljährigen Kin- dern geht, wird vom OVG Münster abgelehnt'>t), da dieses Verfahren "der § 16 BSHG innewohnenden Intention einer sittlichen Verpflichtung zu gegenseitiger Hilfeleistung innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft nicht gerecht" werde'V). In der Literatur findet sich überwiegend Zustimmung'Vs). M. E. ist vor allem der dieser Rechtsprechung zugrundeliegende Gedanke ein- leuchtend, daß Eltern über § 16 BSHG nicht schärfer herangezogen werden dür- fen als im Wege der Überleitung. Es ist sehr naheliegend, dem BSHG einheitliche Maßstäbe zu unterstellen, wenn es um Heranziehungsfragen geht. Die Zufällig- keit, ob die Abrechnung nach einer Vorleistung erfolgt oder nicht, kann schwer- lich eine Rolle spielen. 146) § 3 V vo zu § 76 BSHG. 147) ave Lüneburg, FEVS 37 (1988), 367 (370). 148) ave Lüneburg, FEVS 37 (1988), 367 (373). 149) Ein weiterer Zuschlag in Höhe von 10% entfiel, da die Eltern keine Erwerbseinkommen bezogen. 150) So schon aVG Lüneburg FEVS 31 (1982), 142 (144). 151) ave Münster FEVS 38 (1989),319 (322 f). 152) ave Münster FEVS 38 (1989),319 (323). 152a) LPK, § 16, Rdnr. 10; GottschicklGiese, § 16, Anm. 5; KnopplFichtner, § 16, Anm. 8; Cesterreicher/ScheltertKanz, § 16, Anm. 5. 96 Sozialh ilferechtlicher Teil Leider führt das OVG Lüneburg seinen Ansatz aber nicht konsequent durch. Man müßte nämlich über den Eigenbedarf, wie ihn die Heranziehungsempfehlun- gen regeln, hinaus prüfen, ob eine Inanspruchnahme im Wege des Rückgriffs an der Härteklausel des § 91 111 1 BSHG scheitern müßte. In dem oben dargestellten Urteil vom 8.10.1986 hatte das OVG Lüneburg in einem Überleitungsfall eine Härte angenommen, wo es um Hilfe zum Lebensunterhalt für ein behindertes Kind ging, das von seinen Eltern versorgt wurde!v). Derartige Fälle werden aber in der Regel über § 16 BSHG abgewickelt, ohne daß dies an den Wertungsfragen etwas ändern kann: Es will so oder so nicht einleuchten, daß Eltern, die ihr voll- jähriges Kind zu Hause pflegen, schärfer herangezogen werden, als wenn das Kind stationär versorgt würdet-"). M. E. kann man den gebotenen Wertungsgleichklang ohne weiteres durch entsprechende Auslegung des Begriffs der "Erwartbarkeit" in § 16 BSHG herbeiführen, statt sich mit dem ungerechten gegenteiligen Ergebnis unter Hinweis darauf abzufinden, der "Gesetzgeber (habe das) offensichtlich so gewollt'(155) . 3. Exkurs zu den Empfehlungen des Deutschen Vereins Es ist in diesem Kapitel deutlich geworden, daß die Heranziehungspraxis in vielfältiger Weise von Empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und pri- vate Fürsorge (DV) geprägt wird, die in dieser Arbeit dementsprechend mehrfach eine Rolle spielen. Daher einige Bemerkungen zu diesen Empfehlungen: Der Deutsche Verein ist "der wohl einflußreichste Lobbyist auf dem Gebiet der Sozialhilfe'T'"). Es handelt sich um einen seit 1880 existierenden bürgerlich-recht- lichen Verein, in dem ca. 1500 Institutionen (Gebietskörperschaften, Träger der Wohlfahrtspflege) und zahlreiche Einzelpersonen Mitglieder sind157). Neben vielen anderen Aktivitäten hat der DV für die Heranziehungspraxis be- deutsame Empfehlungen herausgegeben. 3.1. Zur Geschichte der Empfehlungen Nach § 23 RFV konnte der Fürsorgeträger Unterhaltspflichtige durch Verwal- tungsakt in Anspruch nehmen (sog. Resolutverfahren). Das BSHG sieht dieses Instrument nicht mehr vor. Es war daher schon 1961 abzusehen, daß häufiger übergeleitete Ansprüche vor den Zivilgerichten geltend gemacht würden. Deshalb 153) Vgl. in diesem Kapitel sub 2.1.5.2.2.3. (5.88 f).; ave Lüneburg Urteil vom 8.10.1986, 4 A 142/84. 154) So auch Lachwitz/Wendt, 1985, 44. 155) Mergler/Zink, § 91, Rdnr. 84. 156) Schulte/Trenk-Hinterberger, 86. 157) Zur Geschichte eingehend Tennstedt, Fürsorgepflicht und Vereinsgeschichte, ZSR 1981,72. Abwälzungswege und Abwälzungshindernisse 97 und um dem Gleichheitsgrundsatz besser gerecht zu werden, wurde schon früh ei- ne Vereinheitlichung der Heranziehungspraxis gefordert'>"), Der Deutsche Verein griff die Anregung auf und bildete 1962 einen Arbeits- kreis "Einsatz des Einkommens, Unterhaltspflicht und Kostenersatz". Dieser Ar- beitskreis erarbeitete verschiedene Empfehlungen, die anschließend von den Gre- mien des DV beschlossen und veröffentlicht wurde. Zunächst entwarf er in den Jahren 1962 und 1963 "Empfehlungen zur Anwen- dung der §§ 84 ff BSHG". Dies war erforderlich, weil diese Vorschriften gemäß §91 BSHG bei der Heranziehung Unterhaltspflichtiger zu beachten sind. Mittler- weile liegen diese Empfehlungen in der dritten Auflage - erläutert von Imlau - vor159) • Im Jahr 1965 erschien die erste Auflage der "Empfehlungen für die Heranzie- hung Unterhaltspflichtiger", die von Giese erläutert wurde. Die Rechtsänderun- gen der 70er Jahre veranlaßten die Herausgabe der überarbeiteten zweiten Auflage imJahr 1978, erläutert von Schellhorn. Mittlerweile liegt eine noch unkommentierte dritte Auflage aus dem Jahr 1987 vor159a) • Ebenfalls für die Heranziehung Unterhaltspflichtiger von Bedeutung sind die "Empfehlungen für den Einsatz des Vermögens in der Sozialhilfe und der öffentli- chen Jugendhilfe", die der Arbeitskreis 1971 fertigstelIte. 3.2. Zusammensetzung des Arbeitskreises Aufschlußreich ist ein Blick auf die Zusammensetzung des Arbeitskreises. SeineVorsitzende war lange Jahre Dr. Käthe Petersen, zunächst leitende Regie- rungsdirektorin in Hamburg, später Vorsitzende des Deutschen Vereins. Für die Bearbeitungder Empfehlungen besonders wichtig waren die Mitglieder Brühl und Gottschick. Brühl war Vorsitzender Richter am Landgericht Wiesbaden. Er war der Begründerdes umfassendsten zivilrechtlichen Werkes zum Unterhaltsrecht. Gott- schick, Gesetzgebungsreferent für das Sozialhilferecht. war als MinisterialratMit- verfasser des BSHG. Von ihm stammt ein Kommentar, an dem später Giese mit- arbeitete, der Leiter der Abteilung Recht des Deutschen Vereins war. Weitere Kommentatoren waren zeitweise Mitglieder des Arbeitskreises: Fichtner (bis 1969), damals Beigeordneter der Stadt Essen, später Vorsitzender des Deutschen Vereins; Mergler, Beigeordneter in Essen ab 1969 sowie Dahlinger, Direktor beim LandeswohIfahrtsverband W ürttemberg-Hohenzollern. 158) Mayer regte auf dem Fürsorgetag 1961 in Mannheim die Einrichtung eines Gremiums zur Behandlung der damit zusammenhängenden Fragen an; Mayer, 279. 159) Dritte Auflage aus dem Jahr 1975. 159a) Die Kommcntierung der dritten Auflage ist im Februar 1992 erschienen. Sie konnte in dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden. 98 Sozialhi/ferechtlicher Teil Man sieht, wie eng Sozialhilfeträger, Deutscher Verein und die Fachliteratur miteinander verwoben sind. Als der einzige von diesen Kreisen unabhängige der aktuellen Kommentare zum BSHG erweist sich der LPK, dessen Bearbeiter über- wiegend dem Fachhochschulbereich entstammen. 3.3. Inhalt, Aufbau und Bedeutung der Empfehlungen Die Empfehlungen stellen knapp gefaßt die einschlägigen Vorschriften des BSHG dar und geben insbesondere Vorschläge für die Konkretisierung von Er- messens- und Auslegungsspielräumen. In den "Heranziehungsempfehlungen" ist darüber hinaus das bürgerliche Unterhaltsrecht dargestellt. Im Anschluß werden die Empfehlungen von Funktionären des DV erläutert; z. T. werden in diesen Erläuterungen die Diskussionen des Arbeitskreises wieder- gegeben. Die Empfehlungen werden vielfach von Sozialhilfeträgern ganz oder teilweise ihrer Verwaltungspraxis zugrunde gelegt. Richtet ein Sozialhilfeträger hieran seine Praxis aus, bindet er sich dadurch selbsr'v"). Dementsprechend kann dann ihre Einhaltung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren kontrolliert werden. 3.4. Sonstige Empfehlungen In der Sozialhilfepraxis spielen ferner Empfehlungen eine Rolle, die nicht vom Deutschen Verein stammen. In dieser Arbeit angesprochen werden insoweit die "Empfehlungen der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Sozialhilfeträ- ger", die u. a. Vorgaben für die Anwendung der Härteklausel in § 91 111 BSHG enthalten. Ferner spielen gelegentlich die baden-württembergischen Sozialhilferichtlinien eine Rolle. Hierbei handelt es sich um Musterrichtlinien des Landkreistages und des Städteverbandes Baden-Württemberg, die erstmals 1968 erschienen. In diese Richtlinien sind die "Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Anwendung der §§ 84 ff BSHG" sowie die "Heranziehungsempfehlungen'(161) eingearbeitet, wo- bei die eingearbeiteten Empfehlungen gelegentlich vertieft und konkretisiert wur- den 162). 160) Vgl. ErichsenlMartens, § 12 11 2 c, bb. 161) Vgl. etwa BWSHR Rdnr. 91.52. 162) Vgl. Mayer, Einleitung zu den BWSHR, VI. Teil C: Unterhaltsrechtlicher Teil Kapitel 5: Unterhaltsansprüche Pflegebedürftiger im Recht des Verwandtenunterhalts Soweit die sozialhilferechtlichen Abwälzungshindernisse einen potentiell Un- terhaltspflichtigen nicht schützen, stellt sich die Frage nach dem U nterhaltsan- spruch des Pflegebedürftigen. So war es z. B. im Fall des Amtsgerichts Hagen, in dem wie gezeigt weder § 91 I 2 BSHG noch die Heranziehungsempfehlungen des Deutschen Vereins die [nanspruchnahrne verhindern konnten"). Anlaß zur Prü- fung der Härteklausel hatte sich gar nicht erst ergeben. Die Arbeit wendet sich daher nun dem bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsrecht zu - zunächst dem Recht des Verwandtenunterhalts - und untersucht, inwieweit eine Unterhaltspflicht bei Pflegebedürftigkeit bestehen kann. 1. Pflegeaufwand als unterhaltsbeachtlicher Bedar[ Unterhaltsansprüche setzen Bedürftigkeit des Berechtigten sowie Leistungsfä- higkeit des Verpflichteten voraus. Bedürftigkeit ist das Unvermögen, selbst für den eigenen Unterhalt aufzukommen. Sie bezieht sich auf die unterhaltsbeachtli- ehen Bedürfnisse des Berechtigten. Wie der Kreis dieser Bedürfnisse zu bestim- men ist, ist Gegenstand dieses Abschnitts. Fraglich ist insbesondere, ob durch Einschränkung des unterhaltserheblichen Bedarfs eine Schonung U nterhalts- pflichtiger bewirkt werden kann. Ferner geht es um die Berechnung des Bedarfs sowie um die Art und Weise seiner Befriedigung. Einschlägig ist § 1610 1,11 BGB. Das Maß des Unterhalts bestimmt sich nach der Lebensstellung des Bedürftigen (Abs. 1). Der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf (Abs. 2). Das Zusammenspiel dieser beiden Sätze wird nicht immer klar herausgestellt: Auszugehen ist von Absatz 2, der den Inhalt der Unterhaltspflicht regelt-): Der Unterhalt besteht aus dem gesamten Lebensbedarf, der als "Inbegriff einzelner 1) FamRZ 1989, 755; vgl. Kapitel 4 sub 2.1.4.c (5. 73 f) und 2.2.b (5. 93 f). 2) Staudinger/Gotthardt, § 1610, Rdnr.2. 100 Unterhaltsrechtlicher Teil Bedürfnisse" aufzufassen ist-'). In einem zweiten Schritt ist das Unterhaltsmaß des Abs. 1 heranzuziehen. In der Regel können nämlich die einzelnen Bedürfnisse auf verschiedenem Kostenniveau befriedigt werderr'), das nach Abs. 1 von der Le- bensstellung des Bedürftigen gesteuert wird. Diese Systematik läßt sich freilich in zweierlei Hinsicht nicht strikt durchhal- ten: Im Bereich gehobener Bedürfnisse kann die Lebensstellung auch Einfluß auf den Inhalt des Unterhalts haben-j.Andererseits sind auch Bedürfnisse denkbar, deren Befriedigung in unterschiedlicher Qualität nicht möglich ist (z.B. teure Operation)"), Der zuletzt genannte Fall dürfte gegeben sein, wenn ambulante Pflege durch professionelle Pflegekräfte erbracht wird. Anders ist es, wenn es um Heimkosten geht: Hier gibt es durchaus Heime verschiedener Qualitätsstufen, so daß gehobene Lebensstellung zur Inanspruchnahme eines Pflegeheims gehobener Klasse berechtigen mag. Dementsprechend hatten in dem in Kapitel 27) berichte- ten Fall des LG Duisburg8) die Beklagten vorgebracht, ihre Mutter sei in zu teuren Heimen untergebracht. Das LG schloß sich demgegenüber dem Amtsgericht an, nach dessen Urteil "die Unterbringung den Lebensumständen der Frau Anna W. unter Berücksichtigung der Kosten von 20 Vergleichsheimen im Raum D. durch- aus angemessen war". 1.1. Gesamter Lebensbedarf a) Der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf einschließlich Ausbil- dungskosten (§ 1610 11 BGB). Dieser Begriff ist umfassend und weit konzipiert. Gemeint ist der "Lebensbedarf in seiner Totalität... wie immer er auch gegenständlich bestimmt sein mag?"). Der Begriff des gesamten Lebensbedarfs ist nicht nur weit, sondern im Ansatz auch undiJferenziert gefaßt~ Lediglich die Ausbildungskosten finden gesonderte Erwähnung. Insoweit unterscheidet sich das Bürgerliche Recht vom Sozialhilfe- recht, das neben dem allgemeinen Lebensunterhalt zahlreiche besondere Bedarfs- lagen regelt, die § 27 BSHG aufzählt. Ein gesetzestechnischer Hintergrund dieser Differenzierung sind die besonderen Anrechnungsregeln bei der Hilfe in beson- deren Lebenslagen. Schließlich hat das Unterhaltsrecht individuell-konkreten Bedarf im Blick. Der Gläubiger kann das verlangen, was er nach seinen individuellen Verhältnissen 3) ErmanlHolzhauer, § 1610, Rdnr. 2. 4) ErmanlHolzbauer, § 1610, Rdnr. 6 ( bei 4). 5) ErmanlHolzhauer, § 1610, Rdnr. 2; ähnlich StaudingerlGotthard, § 1610, Rdnr. 3. 6) StaudingerlGotthardt, ebd. 7) Sub 3.1.2 (S. 26). 8) DAVorm 1987, 810. 9) Gemhuber, FamRZ 1983, 1069 (1078). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 101 wirklich braucht!"). Lediglich beim Unterhalt nichtehelicher minderjähriger Kin- der schuldet der Vater Unterhalt, der nach einem pauschalen Regelbedarf bemes- sen ist (§ 1615 f BGB), auch das aber nur mindestens (§ 1615 f I BGB) und mit Herabsetzungsmöglichkeit (§ 1615 h BGB) 11). Nach diesen Regeln ist der Bedarf, der bei Pflegebedürftigkeit anfällt, unter- haltsbeachtlich, soweit er konkret nachgewiesen werden kann12). Demgegenüber ist im Sozialhilferecht teilweise ein weitergehender Bedarf aner- kannt. Was Pflegefälle angeht, ist insoweit besonders auf das Pflegegeld zu verwei- sen. Es wird pauschal gewährt und bezieht sich unter anderem auf einen nicht nä- her nachzuweisenden Bedarf des Hilfeempfängers an "Erhaltung der Pflegebereit- schalt"13) . b) Der zuletzt genannte Unterschied zwischen den Bedarlskonzeptionen!") gibt Anlaß zu der Frage, ob bei Gewährung insbesondere von Pflegegeld über- haupt ein Regreß denkbar ist. Ein Rückgriff im Wege der Überleitung setzt voraus, daß ein U nterhaltsan- spruch besteht. Dies wiederum hängt davon ab, ob der Hilfeempfänger auch un- terhaltsrechtlich betrachtet bedürftig ist, ob also der sozialhilferechtlich beachtli- che Bedarf auch bürgerlich-rechtlich beachtlich ist. Zur Veranschaulichung des Problems die folgenden Fälle: Fall 1: Die 80ährige M ist in erheblichem Umfang pflegebedürftig. Die Pflege wird erbracht von einem privaten Träger, der Zivildienstleistende beschäftigt und dafür 800 DM p. m. be- rechnet. Ms Witwenrente wird für ihren allgemeinen Lebensbedarf aufgezehrt. Der Sozi- alhilfeträger übernimmt die Pflegekosten gemäß § 69 11 3 BSHG und zahlt ihr ein nach § 69 V 2 BSHG um die Hälfte gekürztes Pflegegeld i. H. v. 162 DM. Insgesamt wendet er mithin 962 DM auf 15) . 10) Göppinger, Rdnr. 611. 11) Diese Konstruktion, die dem Vater zunächst die Einwände abschneidet, das Kind sei nicht bedürftig oder er sei nicht leistungsfähig, bewahrt dem nichtehelichen Kind eine gewisse Bevorzugung gegenüber dem ehelichen Kind. Nach altem Recht waren diese Einwände materiellrechtlich ohne Belang; vgl. Odersky, § 1615 h I. 12) Vgl. etwa Staudinger/Gotthardt, § 1610, Rdnr. 10; Millich, 194. 13) Vgl. zum Zweck des Pflegegcldes eingehend Kapitel 3 sub 1.2.1.2 (5. 36-38). 14) Auf diesen Unterschied weisen mit Recht auch die Heranziehungsempfehlungen, 3. Aufl., Nr. 36; 2. Aufl., Rdnr. 26 bis 29 hin. Eine Bedarfsdifferenz besteht wohl auch be- züglich der in § 69 II, III B5HG angesprochenen Beiträge zur Alterssicherung einer Pflegeperson; vgl. Heranziehungsempjehlungen, 2. Aufl./Schellhorn, 71: es handele sich um keine "Entgeltleistung" für gewährte Pflege, sondern um eine sozialpolitische "An- reizleistung" für die Pflegeperson. 15) .Fürdie Lösung des Falles spielt es keine Rolle, ob man sagt, das ungekürzte Pflegegeld i. H. v. 325 DM werde um 800 DM - 162 DM = 638 DM aufgestockt, oder aber es wer- 102 Unterhaltsrechtlicher Teil M hat einen gutverdienenden Sohn (5). Fall 2 (Abwandlung): M wird von ihrer Nachbarin und Freundin N im Wege der Nachbarschaftshilfe unent- geltlich versorgt. Der Sozialhilfeträger zahlt M ungekürztes Pflegegeld i. H. v. 325 DM. Hiervon gibt M 50 DM an N als Fahrtkostenersatz weiter. Sie macht N im übrigen gele- gentlich kleinere Geschenke, über die sie aber nicht Buch führt. Fall 3 (Abwandlung): M wird von ihrem Sohn und dessen Frau gepflegt. In Fall 1 muß S auf jeden Fall für den konkreten Pflegebedarf i. H. v. 800 DM aufkommen. Das daneben gezahlte Pflegegeld erhält M, ohne daß sie konkreten Pflegebedarf nachweisen müßte. Es steht zu ihrer freien Disposition und soll es ihr ermöglichen, sonstige Kosten abzudecken, die ihr infolge der Hilflosigkeit entstehen16). Einen solchen "abstrakten Bedarf" kennt das Unterhaltsrecht nicht!"). Ein Un- terhaltsanspruch, der den Rückgriff ermöglichte, besteht daher insoweit nicht. In Fall 2 ist der Bedarf der M überwiegend durch die unentgeltliche Pflege sei- tens der Nachbarin gedeckt18) . Nachweisbarer Bedarf besteht freilich in Höhe von 50 DM (Fahrtkosten). Insoweit kann man nicht sagen, Ms Bedarf sei befrie- digt!"). Es besteht daher ein überleitungsfähiger Unterhaltsanspruch in Höhe von 50 DM monatlich. Millich vertritt demgegenüber die Auffassung, das Pflegegeld könne nicht "ge- teilt werden in einen Teil, der einen bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsbedarf (ab- decke) und in einen anderen Teil, der diesen überhaupt nicht (umfasse) "20). Eine Überleitung sei daher bei der Gewährung von Pflegegeld immer ausgeschlos- sen-"). Diese Auffassung ist zwar schuldnerfreundlich. Sie verkennt jedoch, daß das Pflegegeld je nach Fallgestaltung verschiedenen Zwecken dienen kann, wie sich aus der beschränkten Kürzungsmöglichkeit des § 69 V 2 BSHG ergibt22) . de um 162 DM gekürztes Pflegegeld zuzüglich 800 DM Aufwendungsersatz nach § 69 II 3 BSH G gezahlt. 16) Vgl. Kapitel 3 sub 1.2.1.2.c Variante 2 (5. 37). 17) Ähnlich Heranziehungsempfehlungen/Schellhorn, 2. Aufl., 72; Keese, 4. 18) Vgl. Schellhorn/jirasek/Seipp, § 91 , Rdnr. 13 für den Fall, daß der unterhaltspflichtige Angehörige selbst pflegt; vgl. auch BWSHR Rdnr. 91.23, Nr. 2.3. 19) Ähnlich Heranziehungsempjehlungen, 2. Au fl.ISchellhorn, 72: Es müsse nach den Ver- hältnissen des Einzelfalls, insbesondere nach dem tatsächlichen Pflegeaufwand entschie- den werden. 20) Millieh, 197, Fn. 1. 21) Millieh, 199. 22) Vgl. dazu eingehend Kapitel 3 sub 1.2.1.2. c (5. 37). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 103 Auch in Fall 3 besteht zunächst ein unterhaltserheblicher Pflegebedarf. Auch wenn S rechtlich nicht verpflichtet ist, den Bedarf durch eigenhändige Pflegelei- stungen zu decken-"), kann er gleichwohl im Einvernehmen mit M diese Möglich- keit der Erfüllung wählen. Die Naturalpflege deckt gleichfalls den Bedarf und läßt daher den Unterhaltsanspruch erlöschen. Dasselbe gilt nach dem Rechtsgedanken des § 267 BGB, soweit die Schwieger- tochter unentgeltliche Pflegeleistungen erbringt/"). Für einen Rückgriff des Sozialhilfeträgers wegen des Pflegegeldes fehlt es mit- hin an einer Grundlageö) 26). 1.2. Sonstige Bedarfsbegriffe Außer dem Begriff des "gesamten Lebensbedarfs" kennt das Recht des Ver- wandtenunterhalts seit dem NEG noch den Begriff des "Sonderbedarfs" (§ 1613 II, § 1615 h 11). Sonderbedarf ist gesetzlich definiert als unregelmäßiger außerge- wöhnlich hoher Bedarf (§ 1613 11 BGB). Es geht nicht etwa darum, den Begriff des Lebensbedarfs zu erweitern. Das wäre angesichts seiner Weite auch nicht nö- tig gewesen. Vielmehr sollte die Geltendmachung des Sonderbedarfs für die Ver- gangenheit gegenüber § 1613 I BGB erleichtert werden-"), In der Literatur wird ferner der Begriff des "außerordentlichen Unterhaltsbe- darfes" verwendet. Damit war früher im Rahmen des Unterhaltsanspruchs des un- ehelichen Kindes gegen seinen Erzeuger der verlängerte Unterhalt nach § 1708 11 BGBa. F. gemeint, der auch nach Vollendung des 16. bzw. des 18. Lebensjahres zu zahlen war, wenn das Kind zu diesem Zeitpunkt infolge körperlicher oder gei- stiger Gebrechen außerstande war, sich selbst zu unterhalten-"). Nach dem NEG taucht der Begriff bei Göppingerwieder auf-"). Synonym wird auch "außerordentlicher Mehrbedarf" verwender'P). Damit wird für das minder- jährige Kind der Bedarf angesprochen, der den Regelbedarf übersteigt und daher zusätzlich geltend gemacht werden kann. 23) Vgl. dazu in diesem Kapitel sub 1.5 (S. 112 ff). 24) Vgl. Göppinger, Rdnr. 337. 25) So auch Schellhorn/jirasek/Seipp, § 91, Rdnr. 13; BWSHR Rdnr. 91.23 Nr. 2.3. 26) Fraglich kann aber sein, ob S kraft eines ,Jamilienrechtlichen Ausgleichsanspruchs" Rückgriff gegenüber seinen Geschwistern nehmen kann, die die Pflege weder tatsächlich noch finanziell belastet. Die Konstruktion eines solchen Ausgleichsanspruchs dürfte sich jedoch wegen des Ausgleichsmechanismus des § 2057 a I 2 BGB verbieten. 27) BT-Drs V/2370, 42 zu Nr. 15; Soergel/Häberle, § 1613, Rdnr. 9. 28) Vgl. RGRK 10./11. Aufl., 1964, § 1708, Anm. 13. 29) Göppinger,3. Aufl., Rdnr. 316. 30) Göppinger, ebd, Fn. 48. 104 1.3. Deutungsspielräume Unterhaltsrechtlicher Teil 1.3.1. Das "Sonderbedarfsargument" des AG Hagen a) Am 14.12.1987 hat das Amtsgericht Hagen seine spektakuläre Entscheidung gefällt-"), deren Sachverhalt schon in der Einleitungv) wiedergegeben wurde. Die Entscheidung, in der es das Gericht unternommen hat, durch eine eigenwillige In- terpretation des Bedarfsbegriffes den Unterhaltspflichtigen zu entlasten, hat weit- hin Beachtung gefunden33) . Das Gericht, das die Unterhaltsklage des Sozialhilfeträgers abwies, vertrat in ei- ner Hauptbegründung die Auffassung, "daß die Aufwendungen für die ständige Unterbringung in einem Pflegeheim einen Sonderbedarf (darstellten), der nicht mehr von den Unterhaltspflichtigen zu tragen (sei)". Es sei allgemein anerkannt, daß beim Unterhaltsbedarf von Kindern eine Sättigungsgrenze zu beachten sei, so daß selbst bei günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen des Unterhaltspflichtigen die Unterhaltspflicht nach oben zu begrenzen sei. Das Gesetz lasse es offen, wie ein regelmäßiger Sonderbedarf zu tragen sei. Der Wortlaut des Gesetzes sei uner- giebig, denn der Maßstab der "Lebensstellung" besage zur Sonderbedarfsfrage nichts. Aus § 1613 11 BGB lasse sich nichts anderes herleiten, weil dort nur unre- gelmäßiger außergewöhnlicher Bedarf geregelt sei. Das Schweigen des Gesetzes spreche aber gegen eine Belastung des Unterhaltspflichtigen. Es sei von Zufällig- keiten abhängig, ob der Pflegebedarf von einem Träger der Sozialversicherung ab- gedeckt werde oder nicht. Daher sei die Notwendigkeit einer Pflegefallversiche- rung allgemein anerkannt. Nach allgemeiner Überzeugung könne dieses Risiko nur von einer großen Solidargemeinschaft getragen werden. b)Zu seinem Sonderbedarfsargument gelangt das AG aufgrund einer unortho- doxen begrifflichen Konstruktion, indem es nämlich einen Sonderbedarfsbegriff unterstellt, der regelmäßigen und unregelmäßigen Sonderbedarf umfassen soll, wobei nur letzterer im Gesetz Erwähnung finde. Diese Konstruktion geht an der Begrifflichkeit des Gesetzes vorbei. Offenbar liegt die Wurzel des Fehlers darin, daß das Gericht versucht, die Frage nach dem unterhaltserheblichen Bedarf mit Hilfe des Unterhaltsmaßstabes der Lebensstel- 31) FamRZ 1988, 755. Die Entscheidung wurde infolge Rücknahme der Berufung rechts- kräftig. 32) Sub 2 (S. 5 f). 33) VgI. den Bericht "Verarmte Sandwichs", Spiegel, Nr. 38 vom 18.9.1989,99 ff; ferner: Scbioenzer, FamRZ 1989,685 (688); ErmanlHolzhauer, § 1610, Rdnr. 3; E.M.v. Münch, 8. FamGT, 19; LG Hagen, FamRZ 1989, 1330 (entgegen Münder, NJW 1990, 2031 [2033, Fn. 14J handelt es sich bei der Entscheidung des LG Hagen FamRZ 1989, 1330 nicht um ein Berufungsurteil, das die zu erörternde Entscheidung des AG Hagen aufge- hoben hätte. Es ging vielmehr um einen neuen Fall); AG Hamburg, FamRZ 1991, 1086; LG Duisburg, FamRZ 1991, 1086 (1087). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 105 lung des Bedürftigen zu beantworten. Die insoweit einschlägige Regelung des § 1610 I BGB - die das Gericht nicht einmal nennt - sagt in der Tat nichts über den erheblichen Bedarf aus. Aussagekräftig ist hingegen der - vom AG ebenfalls nicht erwähnte - § 1610 11 BGB, der den Inhalt des Unterhaltsanspruchs regelt und den gesamten Lebensbedarf als erheblich ansieht. Über diese eindeutige Regel setzt sich das AG schlicht hinweg. Das nachfolgende rechtspolitische Argument erweist sich also nicht als sachhaltiger Gesichtspunkt zur Lösung einer vom Wort- laut des Gesetzes her offenen Frage, sondern als Instrument zur Korrektur des Gesetzes - verschleiert durch das unzutreffende Wortlautargument. M. E. geht dieser Umgang mit dem Gesetz auch im Ergebnis zu weit. Das Unterhaltsrecht kennt genügend generalklauselartige Begriffe, die Sachargumenten Eingang er- möglichen. Ausgerechnet der Bedarfsbegriff ist hingegen klar konzipiert. Das sollte man de lege lata respektieren"). c) Überlegen ließe sich, ob der Gesichtspunkt der "Sättigungsgrenze", dessen argumentativer Stellenwert in der Begründung des AG Hagen übrigens durchaus undeutlich ist, fruchtbar gemacht werden kann. Eine Sättigungsgrenze, d. h. eine absolute Obergrenze des U nterhalts") wird im Unterhaltsrecht zum Kindes- und zum Geschiedenenunterhalt diskutiert. Zum Kindesunterhalt sagt man, auch wohlhabende Eltern müßten ihren Kindern nicht den eigenen Lebenszuschnitt ermöglichenw). Im Recht des Geschiedene- nunterhalts hat der BGH eine Sättigungsgrenze bisher nicht anerkannt-"). Einige Autoren plädieren für die Gegenauffassung-"}, Eine Übertragung dieser Ansätze aufPflegefälle etwa derart, daß gegenüber Heimkosten eine Obergrenze der Inan- spruchnahme angenommen würde, kommt jedoch nicht in Betrachr'"). Die Sätti- gungsdiskussion setzt nämlich am Maß des Unterhalts, nicht hingegen an seinem Inhalt arr'"). Wo die Befriedigung eines beachtlichen Bedarfs nicht in unterschied- licher Qualität möglich ist oder aber auch "schlichte" Bedarfsbefriedigung sehr teuer ist, besteht kein Spielraum, in dem eine abweichende Bestimmung des Un- terhaltsmaßes zum Zuge kommen könnte. So räumt beispielsweise der Sätti- gungsgrenzenanhänger Schwab dem Unterhaltsgläubiger ausdrücklich das Recht ein darzutun, daß gerade seine Lebenssituation aus besonderen Gründen einen 34) Zu Recht ablehnend daher: ErmanlHolzhauer. § 1610, Rdnr. 3; Sclnaenzer, FamRZ 1989, 685 (688); E.M.v. Münch, 8. FamGT, 19; LG Hagen, FamRZ 1989, 1330;AG Harnburg. FamRZ 1991, 1086; LG Duisburg, FamRZ 1991, 1086 (1087). 35) GöppingerlKindennann, Rdnr. 674. 36) Gernhuber, § 41 VII 3, 614. 37) BGH FamRZ 1982, 151 (152); NjW 1983,683; ErmanlDieckmann, § 1578 Rdnr. 29. 38) Schwab, FamRZ 1982, 456; PalandtlDiederichsen, 41. Aufl.,1982, § 1578, Anm. 2. 39) So auch Sclnoenzer, a.a.O. (Fn. 33). 40) Vgl. Schwab, FamRZ 1982,456 (457 f). 106 Unterhaltsrechtlicher Teil höheren Bedarf erheische-t), Eine solche besondere Lebenslage stellt die Heim- pflege dar. Pflegekosten sind in der Regel durch den Pflegesatz festgelegt. Das AG Hagen legt nicht etwa dar, daß die Mutter des Beklagten in einem Luxusheim un- tergebracht sei. Die Heimkosten i. H. v. 3085 DM im Jahr 1986 liegen vielmehr durchaus im Rahmen des Ublicherr'<). "Luxuspflege" hätte der Träger der Sozial- hilfe ohnehin nicht finanziert43). Anhaltspunkte für einen Spielraum, an dem der Faktor "Maß des Unterhalts" ansetzen könnte, bestehen daher nicht. Im übrigen bewegen sich die in der Sättigungsdiskussion genannten Grenzwer- te um 5000 bis 6000 DM44). 1.3.2. Zum Parallelproblem bei § 1708 I 2 BGB a.F. Man kann sich fragen, ob das A G Hagen auf Lösungsansätze hätte zurückgrei- fen können, die in den 50er und 60er Jahren zu einer Frage entwickelt wurden, die Berührungspunkte zum Problem des Gerichts aufweist. Vor dem NEG schuldete der Erzeuger dem Kinde dessen gesamten Lebensbe- darf (§ 1708 I 2 BGB a. F.), der auch Heimkosten umfaßte45), ohne daß materiell- rechtlich seine Leistungsfähigkeit eine Rolle gespielt hätte46). Die uneinge- schränkte Belastung des Erzeugers mit Heimkosten wurde von manchen als unan- gemessen betrachter"). Damals ging es freilich meist um die auf minderjährige Kinder beschränkte Fra- ge, ob - trotz § 1709 I BGB a. F. - ein Teil dieser Last auch auf die Mutter des Kindes abgewälzt werden könnte. Zu diesem Zweck wurde bisweilen der Begriff des "gesamten Lebensbedarfs" einengend ausgelegt, indem die Verantwortung für die persönliche Betreuung des Kindes wegen § 1707 BGB a. F. der Mutter auch dann zugeschrieben wurde, wenn das Kind im Heim lebtet"). Das Problem und die Lösungsansätze sind mit dem NEG obsolet geworden; seitdem gilt auch für das nichteheliche Kind ggf. § 1606 III 1 BGB (§ 1615 a BGB). Am Rande ging es in der Debatte aber auch darum, ob der Erzeuger Schonung verdiente, wenn eine 41) Schwab, FamRZ 1982, 456(458). 42) Vgl. Kapitel 2 sub 2.4.2.1. (S. 23). 43) Vgl. die in § 93 11BSHG kodifizierten Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsam- keit. 44) Vgl. Schwab, FamRZ 1982, 456 (458). 45) Staudinger/Göppinger, 10./ 11. Aufl., § 1708, Rdnr. 103 mit Nachw. der Rechtspre- chung. 46) Vgl. Odersky, a.a.O. (Fn. 11). 47) Streng nach dem Gesetzeswortlaut allerdings LG Hagen DAVorm 1959/1960, 135. 48) LG Braunschweig, N]W 1965,351 (352); LG Lüneburg, DAVorm 1965, 142; vgl. zu den verschiedenen Vorschlägen, die Kosten zu verteilen, im einzelnen den Überblick bei Staudinger/Göppinger, 10./11. Aufl.,§ 1708 Rdnr. 104. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 107 Verlagerung von Kosten auf die Mutter nicht möglich war'") .Manche wollten den Erzeuger in diesem Fall durch Anwendung des § 242 BGB schützen!"), Vorge- schlagen wurde auch, entgegen dem Gesetzeswortlaut die Leistungsfähigkeit des Erzeugers zu berücksichtigen-"). Schließlich wurde mit dem Rückgriffsverbot des § 91 I BSHG argumentiert'<). Diese Ansätze setzten allerdings nicht am Bedarfsbegriff an. Auch sie haben sich im übrigen erledigt, da man heute im Rahmen des § 1603 11 BGB auch dem nichtehelichen Vater den "notwendigen Selbstbehalt" zubilligt. Das AG Hagen hatte daher keinen Anlaß, auf diese alte Kontroverse einzuge- hen. 1.3.3. »Temporäre Natur von Unterbaltsleistungen" Der Bedarfsfall Pflegebedürftigkeit bringt es mit sich, daß häufig U nterhaltslei- stungen über lange Zeiträume erbracht werden. So wird in der Socialdatastudie zur häuslichen Pflegesituation festgestellt, daß etwa 2 /3 aller Hilfebedürftigen seit bis zu 10 Jahren hilfsbedürftig sind53) • Erreichen behinderte Kinder die Volljährigkeit und befinden sie sich in gesund- heitlich guter Verfassung, liegt es auf der Hand, daß der Pflegebedarf lange andau- ern wird. Für die sehr alten Hilfebedürftigen stellt die Studie zwar fest, daß ihr Anteil an der Gruppe Pflegebedürftiger, die länger als 12 Jahre Hilfe benötigen, gering ist. Die Studie erklärt dies aber damit, daß sich überproportionaJ viele Hilfebedürftige dieser Altersgruppe in stationären - von der Studie nicht erfaßten - Einrichtungen befänden>"), Die Belastung der Angehörigen in Gestalt von - zunächst - "Natu- ralpflege" und - anschließend - Kostenbeteiligung an der Heimpflege dürfte da- her auch bei sehr alten Pflegebedürftigen häufig viele Jahre andauern. Man kann erwägen, wegen dieser regelmäßig sehr langen Dauer der Bedürftig:" keit Unterhaltsansprüche mit Hilfe des Ventils des unterhaltserheblichen Bedarfs zu begrenzen. Es ließe sich ein Gedanke von Müller-Freienfels aufgreifen55) , der meint, "daß allen Unterhaltsleistungen 'ihrer Natur' nach grundsätzlich nur ein temporärer Charakter eigen" sei. Müller-Freienfels verweist auf einen amerikani- ~9) Vgl. Brüggemann, Zf] 1958, 181 (187); Hülsen, FamRZ 1965, 589 (594). 50) AG Celle, FamRZ 1963, 374; Staudinger/Göppinger, 10./11. Aufl., § 1708, Rdnr. 56. 51) Hülsen, FamRZ 1965,589 (594, IV 5). 52) LG Stuttgart, FamRZ 1967, 341 (343 f). 53) Socialdata, 55. 54) Socialdata, 56. 55) Müller - Freienjels, FS Beitzke, 354. 108 Unterhaltsrechtlicher Teil sehen Autor, der auf einen entsprechenden Einstellungswandel in den USA auf- merksam macht?"). Eine gesetzliche Ausformung solcher Vorstellungen fand sich bisher im Schei- dungsfolgenrecht der früheren DDR. Nach § 29 I FGB hatte das Gericht unter bestimmten Voraussetzungen angemessenen Unterhalt "für eine Übergangszeit" festzusetzen. Unbefristeter Unterhalt war nur für Ausnahmefälle vorgesehen. Fraglich ist aber, ob das Recht der Bundesrepublik Deutschland ebenfalls von der vorübergehenden Natur von Unterhaltsansprüchen ausgeht. Im Recht des Verwandtenunterhalts gibt es dafür keinen Anhaltspunkt, der zur Annahme einer immanenten zeitlichen Begrenzung der Beachtlichkeit des Bedarfs ermächtigte. Selbst der Unterhaltsanspruch des nichtehelichen Kindes, der bis zum NEG zeit- lich begrenzt war, ist nach geltendem Recht keiner solchen Beschränkung unter- worfen. Demgegenüber sind nacheheliche Unterhaltsansprüche als - vom Ansatz her- Unterhaltsansprüche auf Zeit bezeichnet worden'"). In der Tat enthält das nach- eheliche Unterhaltsrecht positive Regeln über zeitliche Grenzen von Unterhalts- ansprüchen (§§ 1573 V, 1578 12,1579 BGB). Die Frage, ob diese Ansätze auch im Recht des Verwandtenunterhalts fruchtbar gemacht werden können, kann aller- dings erst beantwortet werden, wenn untersucht ist, ob die genannten Vorschrif- ten in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich für Pflegelagen bedeutsam wer- den können. Nach dieser Untersuchung wird die Analogiefrage aufgeworfen'"), 1.3.4. Opfergrenze a) Einen anderen Akzent trägt eine Überlegung von Derleder, der sich ebenfalls um die Schonung von Unterhaltspflichtigen bemüht hat. Derleder hat einen An- satzpunkt in § 1610 II BGB gesehen. In1 Rahmen einer Anmerkung zu einem Ur- teil des Bundesgerichtshofs59) , in dem es um Unterhaltsansprüche einer 30-jähri- gen geschiedenen Frau mit zwei nichtehelichen Kindern gegen ihre Eltern ging, hat er zunächst auf den Strukturwandel der Familie seit Inkrafttreten des BGB hingewiesen. Diese Strukturveränderung müsse rechtsdogmatische Konsequen- zen bei der Anwendung der §§ 1601 ff BGB haben. Notwendig sei die Konkreti- sierung einer Opfergrenze für die Unterhaltslast der älteren Generation, die grundsätzlich bis zum Abschluß der Ausbildungsphase alimentationspflichtig sei. Ansatzpunkte fänden sich in der Rechtsprechung zu § 1610 II BGB, die Unterhalt für eine Zweitausbildung nur unter engen Voraussetzungen zulasse. Darüberhin- 56) Krause, zit. bei Müller -Freienfels, Fußnote: "Society (as wcll as judges) has become in- creasingly unwilling to accept alimony as an utterly openended obligation...". 57) Cambeis - Glenz, 56. 58) Kapitel 6 sub 5 (S. 159). 59) BGH J2 1985, 434; Anm. Derleder 437 H. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 109 ausgehend solle die familiäre Beistandspflicht bei gesellschaftlichen Risiken wie z. B. mutterschaftsbedingter Erwerbsunfähigkeit einer vormals schon berufstäti- gen Tochter beschränkt werden. Weiter heißt es bei Derleder: »Die Kriterien für eine solche Opfergrenze (seien) vor allem an der bisherigen U nter- haltslast, den damit verbundenen Einschränkungen des Unterhaltspflichtigen, seiner bis- herigen Erwerbstätigkeit und sozialen Sicherung, dem Alter des Verwandten usw festzu- machen. "60). b) Die Rechtsprechung des BGH zum Ausbildungsunterhalt weist in der Tat die Besonderheit auf, daß - schon - in die Bestimmung des unterhaltsbeachtlichen Bedarfs Überlegungen eingehen, die die Leistungsfähigkeit der Unterhaltsschuld- ner betreffen, indem nämlich die Beurteilung der "Angemessenheit" einer Ausbil- dung u. a. von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Eltern abhängig ge- macht wird. Zur Begründung hat der Bundesgerichtshof in seiner Ausgangsent- scheidung zur "Zweitausbildung" ausgeführt, diese Einschränkung sei "wenn nicht aus § 1610 I BGG, so jedenfalls aus der die Unterhaltspflicht allgemein be- schränkenden Vorschrift des § 1603 BGB zu entnehmen. Geschuldet (werde) von den El- tern also eine ihnen wirtschaftlich zumutbare Finanzierung einer optimalen begabungsbe- zogenen Berufsausbildung ihres Kindes, ... (61) In seinem jüngsten Urteil, das den Zugang zum Unterhalt bei Zweitausbildun- gen erleichtert hat 62) , führt der BGH einige Gesichtspunkte auf, die bei der Prü- fung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit der Ausbildungsfinanzierung eine Rolle spielen können'v): Die wegen der Dauer der Ausbildung besonders hohen Ausbil- dungskosten könnten infolge der Verlängerung in eine Zeit fallen, in der die El- tern bereits ein besonderes Interesse an einer Entlastung von der U nterhalts- pflicht hätten. Das sei der Fall, wenn die Eltern wegen des Alters des Auszubil- denden mit einer weiteren Finanzierung nicht rechnen müßten. Ebenso liege der Fall, wenn die Eltern in der gerechtfertigten Erwartung eines früheren Ausbil- dungsabschlusses nicht oder nur schwer rückgängig zu machende anderweitige Dispositionen getroffen hätten. Auch aus dem Alter der Eltern oder ihrer Lebens- planung könne sich ein solches Interesse ergeben. Näherten sie sich bereits der be- ruflichen Altersgrenze, so müsse ihnen ein besonderes Interesse zugestanden wer- den, ihre Geldmittel baldmöglichst unbelastet von Unterhaltsansprüchen frei zur eigenen Verfügung zu haben. Diese Gesichtspunkte träten allerdings zurück, wenn die Eltern in besonders günstigen wirtschaftlichen Verhältnissen lebten und von dem Ausbildungsbeitrag nicht wesentlich berührt würden. c) Die Konzeption des BGH, die den Schutz der Eltern vor einer Inanspruch- nahme in Härtefällen bewirkt, hat die Struktur der Härteklausel des § 91 111 1 60) Derleder, JZ 1985, 437 (440). 61) BGHZ 69, 190 (192). 62) BGH FamRZ 1989, 853. 63) BGH FamRZ 1989, 853 (855). 110 Unterhaltsrechtlicher Teil BSHG - einschließlich des Ausnahmevorbehaltes betreffend besonders gut ver- dienende Eltern. Daß der BGH die Unterhaltspflicht der Eltern im Ausbildungsbereich mit ei- ner solchen "Härteklausel" reguliert, mag seinen Grund darin haben, daß die Rückgriffsvorschrift des BAföG (§ 37) keine dem § 91 111 1 BSHG vergleichbare Regel kennt. Da der sozialrechtliche Filter einer Rückgriffsschranke fehlt, ent- steht die Notwendigkeit, einen entsprechenden Mechanismus im Unterhaltsrecht zu entwickeln. Sowohl die jüngste wie die Ausgangsentscheidung des BGH zum Unterhalt bei Zweitausbildung betrafen übrigens Rückgriffsfälle. Gleichwohl ist das Vorgehen des BGH schon für den Bereich des Ausbildungs- unterhaltes abzulehnen. Paulus hat dem BGH folgendes entgegengehalten: Die Regelung wonach der gesamte Lebensbedarf die Kosten einer angemesse- nen Vorbildung zu einem Beruf umfaßt, gehört nach Paulus systematisch zu § 1602 BGB, indem sie den Ausbildungswilligen von Erwerbsobliegenheiten frei- stelle'r), Bei der Feststellung der Bedürftigkeit nach § 1602 I BGB könne es aber nur auf die Situation des Unterhaltsberechtigten ankornrnen'v). Es sei ferner in- konsequent, die Angemessenheit einer Ausbildung einerseits nicht mehr am Stand der Eltern, andererseits aber doch an ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten'"}, Einem Kind, das wegen Leistungsschwäche der Eltern nur eine an seiner Persönlichkeit gemessen unangemessene Ausbildung erhalten habe, ver- baue der BCH drittens den Weg zu einem Anspruch auf Finanzierung einer Zweit- ausbildung, wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Eltern geändert hät- te 67) . Schließlich und m. E. vor allem verweist er darauf, daß die Rechtsprechung des BGH die Systematik des Unterhaltsrechts auflöse. Der Auflösungsprozeß in der Systematik des Unterhaltsrechts werde angehal- ten, wenn man bei § 1610 11 BGB allein auf die Persönlichkeit des Kindes abstelle und der Situation der Eltern nur im Rahmen des § 1603 BGB Rechnung trage68) . Den Ansatz des BGH mit Derleder auch noch auf Fälle des Erwerbslosenunter- halts oder - über Derleder hinausgehend - gar auf Pflegelagen zu übertragen, ver- bietet sich darüber hinaus aus methodischen Gründen: Das Gesetz stellt nämlich den Unterhaltsanspruch von Verwandten nicht unter den Vorbehalt einer Här- teklausel nach Art des § 1579 Nr. 7 BGB. Daß auch eine Gesetzeskorrektur im Wege der Analogie nicht in Betracht kommt, wird weiter unten dargelegte"). 64) Paulus, 130. 65) Paulus, 138; vgl. zur Fragwürdigkeit dieses Arguments in diesem Kapitel sub 3A.3.b (5. 129). 66) Paulus, 138 H. 67) Paulus, 141 H. 68) Paulus, 149. 69) Kapitel 6 sub 5 (5. 159). 1.3.5. Fazit Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 111 Es hat sich erwiesen, daß der bei Pflegebedürftigkeit anfallende Bedarf gemäß § 1610 11 BGB beachtlich ist. Deutungsspielräume, die es gestatten würden, etwa Heimkosten auszugliedern, ließen sich nicht feststellen; insbesondere ist der da- hingehende Versuch des AG Hagen als gescheitert anzusehen. 1.4. Berechnung des Bedarfs Vom Ansatz des Unterhaltsrechts her ist der Bedarf konkret zu bestimmen. In den praktisch bedeutsamsten Fallgruppen - Unterhalt minderjähriger Kinder, Ge- schiedenenunterhalt - hat sich jedoch aus Praktikabilitätsgründen eine pauschalie- rende Betrachtungsweise, der sogenannte Tabellenunterhalt, durchgesetzt. Zur Berechnung des Unterhalts werden von den Oberlandesgerichten herausgegebene sogenannte Tabellen herangezogen, deren Verwendung der Bundesgerichtshof ge- billigt hat. Der Vereinfachung halber wird im folgenden nur von der am weitesten verbreiteten Tabelle, der Düsseldorfer TabelleP) gesprochen. Soweit die Tabelle nicht einschlägig ist, bleibt es bei der konkreten Bedarfsbe- rechnung, so daß der Bedarf grundsätzlich nach Einzelposten aufzuschlüsseln ist. § 287 11 ZPO bietet hier in Gestalt der Schätzungsmöglichkeit eine Erleichterung. Was das Recht des Verwandtenunterhalts angeht, ist die Düsseldorfer Tabelle für die untersuchten Pflegelagen nicht einschlägig. Insbesondere enthält die Ta- belle keine Bedarfswerte für Elternunterhalt. Sollen die Kosten für die Pflege alter Eltern geltend gemacht werden, z. B. die Kosten für eine professionelle Pflege- kraft oder Heimkosten, sind die anfallenden Kosten daher einzeln anzuführen. Die Tabelle könnte allenfalls in einigen Fällen zum Zuge kommen, in denen es um den Unterhalt pflegebedürftiger Kinder geht. In erster Linie weist die Tabelle freilich Bedarfswerte für minderjährige Kinder aus, die nach Altersgruppen gestaffelt sind und vom Nettoeinkommen des U nter- haltspflichtigen abhängen. Darüber hinaus sieht die Tabelle für volljährige Kinder, die im Haushalt ihrer Eltern wohnen, einen Zuschlag vor zum Tabellenwert der letzten Altersgruppe in Höhe der Differenz der 2. und 3. Altersstufe?"). Bei am- bulant oder teilstationär versorgten Kindern kann sich also die Frage stellen, ob Pflegeaufwand mit dem Tabellenunterhalt abgegolten ist. Insoweit ist zu beachten, daß die Tabellenwerte nicht striktes Recht darstellen. Es ist anerkannt, daß bei besonders hohem Unterhaltsbedarf der Tabellensatz zu erhöhen ist. Dies gilt insbesondere bei hohen Pflegekosten"). Je gravierender die Sonderkosten werden, desto geringer muß der Stellenwert der Tabellenwerte wer- 70) Stand 1.1.1989, FamRZ 1988,911. 71) FamRZ 1988, 911 (912),Anm. 7 Satz 1. 72) Köhler, Rdnr. 539. 112 Unterhaltsrechtlicher Teil den. Dementsprechend ist es ständige Rechtsprechung, daß bei Heimaufenthalten minderjähriger Kinder die Düsseldorfer Tabelle nicht heranzuziehen, daß viel- mehr der Bedarf - d. h. i, d. R. der Pflegesatz - konkret zu ermitteln ist73) . Im Ergebnis bleibt festzuhalten, daß bei der Bemessung von Pflegeunterhalt im Verwandtenunterhaltsrecht in aller Regel nicht nach Tabelle verfahren werden kann. 1.5. Art der Bedarfsbefriedigung a) Für die konkrete Belastung der unterhaltspflichtigen Angehörigen spielt es auch eine Rolle, auf welche Weise sie den Unterhalt befriedigen müssen. Dement- sprechend ist an unterschiedlichen Stellen dieser Arbeit die Frage aufgetaucht, ob Naturalpflege die eigentlich geschuldete oder aber eine überobligationsmäßige Er- füllung der Unterhaltspflicht darstellt. Holzhauer hat ausgeführt, die Pflege naher Angehörige sei ein Akt familialer Solidarität. In der Regel stelle die Krankenpflege sogar eine nach §§ 1601 ff BGB geschuldete Unterhaltsleistung dar/"). Mit dieser Auffassung steht Holzhauer durchaus nicht alleine da. In jüngster Zeit hat sie in zwei Entscheidungen des Bun- dessozialgerichts eine Rolle gespielt"). Beispiel") : K arbeitete als Krankenschwester in einem Kreiskrankenhaus. Dort unterzog sich ihr Va- ter einer Darmresektion. Nach Beendigung der stationären Behandlung wurde er von ei- nem niedergelassenen Arzt behandelt. Auf Wunsch dieses Arztes überwachte die in dem- selben Ort wie ihr Vater wohnende K unentgeltlich die erforderlichen Infusionen, ent- fernte nach dem Einlaufen die Kanüle, verabreichte Medikamente und erbrachte allgemei- ne Pflegeleistungen. Am 17.5.1985 wollte K ihren Vater zu Bett bringen und ihm eine Infusion anlegen. Auf dem Weg von ihrer Wohnung zu der ihres Vaters stürzte sie infolge Schnee- und Eisglätte und zog sich einen Oberschenkelhalsbruch zu. Ihre Klage, mit der K von der beklagten Berufsgenossenschaft Entschädigung begehrte, blieb erfolglos. Das BSG verneinte einen Versicherungschutz nach § 539 I Nr. 1 RVO, weil K ihren Vater nicht im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses gepflegt habe. Ebensowenig sei K nach § 539 I Nr. 7 RVO - auch nicht i. V. m. Absatz 2 der Vorschrift - versichert, wo- nach die in der Gesundheits- oder Wohlfahrtspflege Tätigen versichert sind. K habe sich nämlich im Rahmen ihres grundsätzlich unversicherten privaten, familiären Lebensbe- reichs um ihren Vater persönlich gesorgt und ihn gepflegt. Die von K erbrachten Pflege- leistungen hätten nicht die jedenfalls im Eltern - Kind - Verhältnis zu erwartenden und 73) BGH FamRZ 1986,48 (49); aLG Hamm, FamRZ 1987,742; aLG Frankfurt, DA- Vorm 1983,515; KG, DAVorm 1982, 808; aLG Celle, DAVorm 1982,571. 74) Holzhauer. Verhandlungen des 57. DtJT, Mainz 1988, Band I, Gutachten B, 104. 75) BSG SGb 1988,383 (keine Krankenversicherung der Pflegeperson); BSG NJW 1990, 1558. Vgl. auch die Andeutungen in BVerwGE 29, 108 (110 f) sowie - ähnlich - OVG Münster FEVS 38 (1989), 290 (292). 76) BSG NJW 1990, 1558. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 113 insoweit üblichen Hilfeleistungen überschritten. Es könne auf § 1618 a BGB zurückge- griffen werden. Die Vorschrift, die Leitbildfunktion habe, erhebe einen Teil der in der Fa- milie bestehenden sittlichen Pflichten zu Rechtspflichten. Dies gelte insbesondere für Unterstützung und Pflege in Krankheitsfällen. b) Ursprünglich war dem BGB der Gedanke fremd, daß die Leistung von Dien- sten als Unterhaltsleistung anzusehen sei. Als Unterhalt wurde vielmehr nur der sachliche Alimentierungsaufwand aufgefaßt, der bar oder in Naturalien anfallen konnte"), Betreuungs- oder Pflegetätigkeit war im Unterhaltsrecht nicht er- wähnt. Die Betreuung von minderjährigen Kindern war lediglich in den Vorschrif- ten über die elterliche Gewalt in Gestalt einer Zuständigkeitszuweisung angespro- chen. Die Pflicht, für das Kind zu sorgen, wurde als selbstverständlich vorausge- setzt?"). Auch die Dienstleistungspflicht des dem elterlichen Haushalt angehören- den Kindes war nicht im Unterhaltsrecht. sondern nur in § 1617 a. F. (heute §1619 ) BG B angesprochen. Diese Auffassung vom Unterhalt änderte sich unter dem Eindruck des Gleich- berechtigungsdenkens ausgehend von der Rechtsprechung zu § 844 11 BGB, die nun entgangene Betreuungsdienste der Mutter als Unterhaltsschaden einord- nete79) • Seit dem Gleichberechtigungsgesetz findet sich diese weitere Auffassung auch im Gesetzestext. Nach § 1360 Satz 2 BGB a. F. erfüllte nun die Frau ihre Pflicht, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen, in der Regel durch die Füh- rung des Haushalts. Nach § 1606 111 Satz 2 BGB a. F. galt diese Regel sinngemäß für den Kindesunterhalt. Durch das NEG erhielt § 1606 111 BGB seine heutige Fassung, wonach die Mutter ihre Verpflichtung, zum Unterhalt eines minderjäh- rigen Kindes beizutragen, i. d. R. durch Pflege und Erziehung des Kindes erfüllt. Demnach zählt das BGB heute auch Leistungen fürsorgerischer, betreuender oder ähnlicher Natur zu den Unterhaltsleistungen. Eine andere Frage ist es demgegenüber, in welcher Form der Unterhalt bean- sprucht werden kann. Insoweit gilt nach wie vor § 1612 I BGB, wonach Unterhalt durch Entrichtung einer Geldrente zu gewähren ist. Der Verpflichtete kann unter Umständen eine andere Art der Erfüllung wählen. Bei unverheirateten Kindern bestimmen die Eltern über die Art der Unterhaltsgewährung. Auch darüberhin- ausgehend kann in Absprache mit dem Unterhaltsberechtigten eine Unterhalts- pflicht durch Betreuungsleistungen erfüllt werden. Eine Regel aber, derzufolge Eltern von ihren Kindern Unterhalt in Gestalt von Naturalpflege beanspruchen könnten, enthält das BGB nicht. e) Fragen läßt sich ferner, ob man eine Rechtspflicht zur Pflege aus § 1618 a BGB herleiten kann, wie das BSG es tut. 77) Staudinger/Gotthardt, vor § 1601, Rdnr. 20 a; Brüggemann, ZfJ 1958, 181 (183 f). 78) Staudinger/Gotthardt, vor § 1601, Rdnr. 20 a. 79) BGH NJW 1953,619. 114 Unterhaltsrechtlicher Teil Es ist zwar richtig, daß der erst im Jahr 1979 durch das Sorgerechtsgesetz einge- führten Vorschrift "Leitbildfunktion" zukornmt'"). Die Norm dient jedoch v. a. der Auslegung, Lückenfüllung und Rechtsfortbildung, wobei Vorsicht geboten ist, damit keine Rechtsinstitute eingeführt werden, die dem Normenkomplex fremd sind, um den es jeweils geht81) . Insbesondere darf die Beistandspflicht nicht mit der Unterhaltspflicht vermengt werden'<). Knöpfte betont besonders, daß un- entgeltliche Pflege gebrechlicher Eltern nicht von § 1618 a BGB gefordert werde; andernfalls würde entgegen dem Zweck des § 1618 a die Pflegebereitschaft gerade geschwächt werden'<-). Dem ist nur hinzuzufügen, daß § 1618 a BGB als Anspruchsgrundlage für Na- turalpflege auch die Konzeption des § 1612 I BGB umstoßen würde. Dies wäre gewiß eine zu weitgehende Interpretation der Vorschrift. Die Auffassung des BSG ist mithin abzulehnen. Es wäre daher richtig gewesen, die K als versichert i. S. d. § 539 I Nr. 7, 11 RVO anzusehens-). d) Das Gesetz bietet demnach keinen Ansatzpunkt, einen Anspruch auf Natu- ralpflege anzunehmen'"). Tatsächlich erbrachte Naturalpflege tilgt zwar i. d. R den Unterhaltsanspruch. Als geschuldet kann man sie gleichwohl nicht erachten. Man muß sie vielmehr angesichts der Belastung, die sie darstellt, als überobligati- onsmäßig ansehen. Offenbar hatte auch der Gesetzgeber des NEG diese Vorstel- lung, als er längere Pflege durch einen Abkömmling mit dem Anspruch auf Aus- gleichung des § 2057 a I 2 BGB belohntes"). Dieselbe Vorstellung liegt § 91 III 1 HS 2 BSHG zugrunde, wonach Eltern volljähriger behinderter Kinder angesichts der vorgängigen Belastungen grundsätzlich von der Heranziehung freigestellt werden. Es wird sich angesichts des überobligationsmäßigen Charakters der Na- turalpflege als sinnvoll erweisen, dies auch in anderem Zusammenhang durch nachfolgende Entlastung zu honorieren. 2. Probleme der Anrechnung von Einkommen und Vermögen Bedürftigkeit ist das Unvermögen, den unterhaltsrechtlich beachtlichen Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln zu decken. Sie ist sachliche Voraussetzung des Unterhaltsanspruchs. Der Hinweis auf fehlende Bedürftigkeit etwa wegen ander- weitiger Einkünfte ist damit eine der Verteidigungsmöglichkeiten von Angehöri- gen, die für Pflegeaufwand in Anspruch genommen werden sollen. 80) Vgl. etwa MüKo-Hinz, § 1618 a, Rdnr. 1. 81) Knöpfte, FamRZ 1985, 554 (558). 82) Knöpfte, FamRZ 1985,554 (561). 82a) Knöpfte, FamRZ 1985,554 (561 f; bei Fn. 169). 83) So auch Wo/ber, SGb 1990, 419/420, allerdings nur deshalb, weil Ks Tätigkeit über allge- meine Pflegcleistungen hinausging. Kritisch auch Gitter/Köhler-Fleischmann, 65f. 84) So auch mit Nachdruck Dieck, TuP, 1988, 130 (133). 85) So versteht auch Knöpfte § 2057 a I 2 BGB: FamRZ 1985, 554 (562, Fn. 169) Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 115 Das Recht des Verwandtenunterhalts spricht diesen Gesichtspunkt in § 1602 I BGB an, wonach unterhaltsberechtigt nur ist, wer außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Keinen Unterhalt kann beanspruchen, wem genügend finanzielle Mittel zur Hand sind oder wer sich insbesondere durch Einsatz seiner Arbeits- kraft solche Mittel beschaffen könnte. Mit dem zweiten Punkt ist der Komplex der Erwerbsobliegenheiten angesprochen. Die damit verbundenen Fragen werden im folgenden außer acht gelassen. Sie spielen in der Praxis des Unterhalts für Pfle- gebedürftige verständlicherweise keine große Rolle. Die Untersuchung be- schränkt sich auf Fragen, die sich beim tatsächlichen Vorhandensein gewisser Mit- tel stellen - wenn nämlich fraglich ist, ob auf den Bedarf Einkünfte oder Vermö- gen anzurechnen sind. 2.1. Einsatz des Einkommens 2.1.1. Grundsatz umfassender Anrechnung der Einkünfte Auszugehen ist von dem Grundsatz, daß der Unterhaltsgläubiger sämtliche Einkünfte für die Deckung seines unterhaltsrechtlich beachtlichen Bedarfs einset- zen muß86). Dies gilt zum einen für Erwerbseinkommen, falls ein Pflegebedürfti- ger trotz seiner Behinderung ein solches bezieht. Ebenfalls anzurechnen sind Ein- künfte aus Vermögen. Bei Sozialleistungen kann es Sonderprobleme geben. So- weit es sich um schlichte Lohnersatzleistungen handelt, ergeben sich allerdings an der Anrechenbarkeit keine Zweifel. So sind insbesondere Erwerbsunfähigkeits- oder Altersrenten aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder entsprechende Leistungen anderer Herkunft voll anzurechnen'"). Diese Regel ist vor allem be- deutsam für die Fälle, in denen Unterhaltsansprüche pflegebedürftiger alter Men- schen gegen ihre Kinder oder Enkel in Rede stehen. 2.1.2. Anrechnung von Einkünften aus Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte Was die Anrechnung von Erwerbseinkünften angeht, kann man allenfalls die Frage aufwerfen, ob auch die geringen Einkünfte, die in Werkstätten für Behin- derte erzielt werden, anzurechnen sind. Diese Frage stellt sich, wenn behinderte volljährige Kinder Unterhalt von ihren Eltern beanspruchen. Werkstätten für Behinderte sind Einrichtungen zur Eingliederung in das Ar- beitsleben für Menschen, die wegen ihrer Behinderung nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können (§ 54 I SchwbG). In diesen Werkstätten müssen die Behinderten nach § 54 11 SchwbG ein angemessenes Arbeitsentgelt erhalten, 86) Z. B. ErmanlHolzhauer, § 1602, Rdnr. 14. 87) Soergel/Häberle, § 1602, Rdnr. 8; ErmanlH olzbauer, § 1602, Rdnr. 16; Göppinger/Kin- dermann, Rdnr. 1700 a; BGH FamRZ 1983,574. 116 Unterhaltsrechtlicher Teil das nach § 13 11SchwbWV aus einem Grundbetrag und einem Steigerungsbetrag bestehen soll. Der Grundbetrag soll sich der Höhe nach an Leistungen der Bun- desanstalt für Arbeit im Arbeitstrainingsbereich nach den §§ 56, 58 I a AFG ori- entieren. Dies "Ausbildungsgeld" der Bundesanstalt betrug 1987 100 DM (im zweiten Jahr)88). In dem in Kapitel 489) erwähnten Fall des OVG Lüneburg90) be- trug die Vergütung - nach Abzug eines Essensbeitrages i. H. v. ca. 46 DM - 29 DM. Die durchschnittliche. Entlohnung beträgt ca. 220 DM91). Der Anrechnung der Vergütung könnte entgegenstehen, daß es sich um kein echtes Erwerbseinkommen handelt. Es wird gesagt, die Tätigkeit sei keine Er- werbstätigkeit, sondern nur der Versuch einer Vorbereitung auf eine Eingliede- rung in das Erwerbsleben'"). Diese Einordnung soll begründen, wieso aus einer später abgebrochenen Tätigkeit in einer Werkstatt für Behinderte kein Schluß auf die Erwerbsfähigkeit gezogen werden kann. Daran kann man die Frage anschlie- ßen, ob das Arbeitsentgelt nach § 54 11 SchwbG etwa als Einkommen aus überob- ligationsmäßiger und daher unzumutbarer Tätigkeit anrechnungsfrei bleiben solle. Zwar enthält das Recht des Verwandtenunterhalts - anders als § 1577 11 BGB - keine kodifizierte Regel, die derartige Anrechnungsfreiheit vorsähe. Man könnte aber über § 242 BGB u. U. zu einem ähnlichen Ergebnis gelangen'"), M. E. sollte man mit einer Übertragung der Vergünstigung, die § 1577 11 BGB gewährt, aber vorsichtig sein und sie nur in Betracht ziehen, wenn die Erwerbstätigkeit auf Zah- lungsunwilligkeit des Schuldners beruht, was kaum ein Motiv für die Arbeit in ei- ner Werkstätte für Behinderte sein wird. Es bietet sich an, bei Einkünften aus Arbeit in einer Werkstatt für Behinderte so zu verfahren wie bei anderen Einkünften aus berufsvorbereitender Tätigkeit, ins- besondere wie bei der Ausbildungsvergütung, die in Berufsausbildungsverhältnis- sen gezahlt wird (§ 10 BBiG). Solche Ausbildungsvergütungen sind nach allge- meiner Ansicht auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen. Von diesem Einkommen sind berufsbedingte Aufwendungen sowie die Kosten eines etwaigen sonstigen Mehrbedarfs abzusetzen?"). Diese Abzüge dürfen zwar nicht pauschal vorgenom- men werden, können sich aber an der Lebenserfahrung entsprechenden Richtlini- en orientieren'"). Die Düsseldorfer Tabelle geht i. d. R. von einem ausbildungsbe- 88) [ung/Cramer, § 13 SchwbWV, Rdnr. 12. 89) Sub 2.3 (5. 94 f). 90) aVG Lüneburg, FEVS 37 (1988) 375. 91) Bundesvereinigung Lebenshilfe für geistig Behinderte, 31. 92) OLG Hamm, FamRZ 1987,1151; OLG Celle, FamRZ 1986,910 (911). 93) Vgl. Göppinger/Kindermann, Rdnr. 1015. 94) Göppinger, Rdnr. 1017; Deisenhofer/Göhlich, FamRZ 1985, 1103; BGH FamRZ 1981, 541 (542 f). 95) BGH FamRZ 1981,541 (543). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 117 dingten Mehrbedarf von 150 DM im Monat aus?"). Das aLG Köln gesteht diese Pauschale bei "hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkten" ZU 97). Den Mehrbedarf in solcher Höhe anzusetzen ist freilich fragwürdig. Mit Recht wird darauf hingewiesen, daß bei dem üblichen Satz von 5% des Nettoeinkom- mens für berufsbedingte Aufwendungen ein Unterhaltspflichtiger mehr als 4000 DM brutto verdienen muß, um in den Genuß einer entsprechend hohen Unko- stenpauschale zu gelangen?"). Das BSHG gesteht einem erwerbstätigen Hilfeem- pfänger gar nur eine Pauschale für berufsbedingte Aufwendungen i. H. v. 10 DM zu, wenn er keine höheren Aufwendungen nachweisen kann?"), Angesichts dessen sollte man zumindest wie das aLG Köln hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für Aufwendungen in derartiger Höhe verlangen. Mit dieser Maßgabe passen die Grundsätze über die Anrechnung einer Ausbil- dungsvergütung m. E. auch auf die Anrechnung von Entgelt in einer Werkstatt für Behinderte. 2.1.3. Zur Anrechnung pauschal bemessener, pflegefal/typischer Sozialleistungen, ins- besondere der Grundrente nach dem BVG 2.1.3.1. Rechtslage nach bisherigem Recht a)Obwohl das Pflegefallrisiko nicht allgemein sozialrechtlich abgesichert ist, gibt es nach einigen Spezialgesetzen Leistungen, die auf Pflegebedürftigkeit zuge- schnitten sind oder zumindest typischerweise in solchen Lagen gezahlt wer- den100). Probleme ergeben sich, wenn solche Leistungen pauschal bemessen wer- den und dem Empfänger ein vom konkreten pflegebedingten Mehrbedarf nicht aufgezehrter Überschuß verbleibt. Es fragt sich dann, ob er über den Überschuß frei verfügen darf. Eine solche Situation kann z. B. entstehen bei der Verletzten- rente nach § 580 ff RVO, bei der Grundrente nach § 31 BVG oder bei der Pflege- zulage nach § 35 BVGI01). Die folgenden Ausführungen werden sich exemplarisch mit der Grundrente nach dem BVG befassen, die nicht nur im Kriegsopferbereich eineRolle spielt, sondern in einer Reihe anderer Versorgungsgesetze in Bezug ge- nommen wird 101). Die Grundrente hat eine Doppelfunktion. Sie soll in pauschaler Weise Mehrauf- wendungen ausgleichen, die der Beschädigte infolge der Beschädigung im Ver- 96) FamRZ 1988,911 (912: Anmerkung 8). 97) FamRZ 1985,24 (26: Anmerkung 8.2.). 98) Deisenhofer/Göhlich, FamRZ 1985, 1103. 99) § 3 V VO zu § 76 BSHG. 100) Vgl. auch Kapitel 2 sub 2.3 (5. 18 f). 101) Beispielsfall zu nicht aufgezehrter Pflegezulage BGH FamRZ 1981, 1165 (1166). 102) SVG,ZDG, OEG, BSeuchG, HHG. 118 Unterhaltsrechtlicher Teil gleich zu anderen Menschen hat, und wird als immaterielle Entschädigung für die Beeinträchtigung der körperlichen U nversehrtheit gewährt'?'). Insofern unter- scheidet sie sich von der Ausgleichsrente nach § 32 BVG, die Erwerbseinkommen ersetzen sollI04), und ist vergleichbar mit der Unfallrente aus der gesetzlichen Un- fallversicherung, der die nämliche Doppelfunktion zukommt'Pt). Dementspre- chend wird die Grundrente unabhängig vom konkreten Mehrbedarf nach dem "abstrakten" Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit bemessen. Nach § 31 V BVG ist zusätzlich eine abgestufte, ebenfalls abstrakt bemessene Schwerstbeschä- digtenzulage vorgesehen. Die Sozialleistungen, für die die Grundrente ein Exempel abgibt, können in Fäl- len eine Rolle spielen, bei denen die Pflegebedürftigkeit auf einem Unfall beruht. Zunächst ein Beispiel: Zivildienstleistender Z erleidet einen Zivildienstunfall, in dessen Folge er als Rollstuhlfah- rer häuslicher Pflege bedarf. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 100°/0. Z benö- tigt für seinen allgemeinen Lebensunterhalt 800 DM monatlich sowie weitere 800 DM zur Finanzierung der häuslichen Pflege. Er erhält eine Grundrente nach § 50 ZDG i. V. m. § 31 BVG. Die Grundrente beträgt106) 921 DM nebst Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe 11 i. H. v. 216 DM, insgesamt also 1137 DM. In welcher Höhe muß sein leistungsfähiger Vater Unterhalt zahlen? Der unterhaltsbeachtliche Bedarf des Z beträgt 1600 DM. Unproblematisch ist, daß der Pflegeanteil von 800 DM durch die Grundrente abgedeckt wird. Fraglich aber ist, ob der "Pauschalisierungsvorteil" i. H. v. 337 DM auf den allgemeinen Bedarf angerechnet werden muß, ob der Vater also 800 DM oder 463 DM an Un- terhalt schuldet. b) Zur Grundrente gibt es eine ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die allerdings ihre Berücksichtigung auf seiten des Unterhaltspflichtigen - in den entschiedenen Fällen ein früherer Ehemann - betrifftl'"). Die Rente sei ungeach- tet ihrer sozialrechtlichen Zwecksetzung geeignet, den allgemeinen Lebensunter- halt des Empfängers zu decken, soweit sie nicht von konkret nachzuweisendem Mehrbedarf aufgezehrt werde. Etwas gemildert hat der BGH freilich diesen An- satz, indem er den Instanzgerichten gestattet hat, im Rahmen der Schätzung nach § 287 ZPO zugunsten des Rentenempfängers großzügig zu verfahren: Bei Spezifi- zierungsproblemen könne dem Behinderten u. U. eine Darlegung des Mehrauf- wandes in allen Einzelheiten erspart werden. Daneben könne auch dem ideellen 103) Wilke/Förster, § 31, Rdnr.3. 104) Wilke/Förster, § 32 Rdnr. 1. Die Ausgleichsrente wird angerechnet, vgl. etwa Derleder/ Derleder, DAVorm 1984, 99 (115). 105) BVerfGE 34, 118 (132 f). 106) Stand 1.7.1989 (KOVAnpG 1989, BGBI I, 1288). 107) BGH FamRZ 1981,338 (Grundrente); BGH FatnRZ 1981,1165 (Schwerstbeschädig- tenzulage). Daß der RGH an dieser Rechtsprechung jedenfalls im Grundsatz Iesthält, ist zuletzt in BGH NJW 1989, 524 (526) deutlich geworden. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 119 Zweck der Grundrente gesondert Rechnung getragen werden108). Die Erwägun- gen über die Grundrente gelten nach Auffassung des BGH auch für die Pflegezu- lage nach § 35 BVG109). Diese Rechtsprechung läuft also darauf hinaus, daß - mit Abstrichen - der im- materielle Anteil der Grundrente, der identisch ist mit dem "Pauschalisierungs- verteil", vom Unterhaltspflichtigen in den "Verteilungstopf" hineingenommen werden muß. Die Auffassung des BGH hat in der Literatur überwiegend Zustimmung erfah- ren110). Kritisch haben sich insbesondere Derleder/Derledergeäußert"!'}. Sie mei- nen, der spezifische doppelte Zweck der Grundrente müsse auch im U nterhalts- recht Berücksichtigung finden. Die Grundrente dürfe daher insgesamt nicht als verteilungsfähiges Einkommen angesehen werden. In einem neueren Urteil hatte der BGH Stellung zu nehmen zu der verwandten Frage nach dem Einsatz von Schmerzensgeld, das der Unterhaltspflichtige be- zieht l12). Er hat einen Querschnittsgelähmten für verpflichtet gehalten, auch das Schmerzensgeld für den Unterhalt seiner minderjährigen Tochter einzusetzen. Gerade die erweiterte Unterhaltspflicht, die auf der besonderen familienrechtli- chen Verantwortung der Eltern für ihre minderjährigen unverheirateten Kinder beruhe, gebiete es, die Leistungsfähigkeit unabhängig von der Herkunft der Mittel zu beurteilen113). Diese Begründung legt den Gedanken nahe, daß der in Anspruch genommene Vater das Schmerzensgeld möglicherweise dann nicht hätte einsetzen müssen, wenn es um den Unterhalt eines volljährigen Kindes gegangen wäre, demgegen- über keine besondere familienrechtliche Verantwortung bestanden hätte. c) Zur Frage der Anrechnung auf seiten des Unterhaltsgläubigers, um die es im Rahmen dieser Arbeit geht, hat der BGH - soweit ersichtlich - noch nicht SteI- lung genommen. In der Literatur wird sein Ansatz auch auf diese Frage übertra- gen114). Derleder/Derlederhingegen schließen auch auf seiten des Gläubigers eine Anrechnung aus 115) . Insoweit führen sie zusätzlich das Argument an, beim Un- terhalt verlangenden Ehegatten könne es zu inakzeptablen Ergebnissen führen, wenn er eine unterhaltsrechtlich anzurechnende Grundrente bezöge, deswegen 108) BGH FamRZ 1981, 338 (340). 109) BGH FamRZ 1981, 1165 (1166). 110) PalandtlDiederichsen, § 1603, Anm. 2 b, aa, Rdnr. 5; ErmanfHolzhauer, § 1603, Rdnr.6; EnnanlDieckmann, § 1581, Rdnr.8. 111)_ DAVorm 1984, 99; kritisch auch Scboller/Fuchs, 11 ff. 112) BGH NJW 1989, 524. 113) BGH NJW 1989, 524 (526). 114) Erman/Dieckmann, § 1577, Rdnr, 6; Soergel/Haberle, § 1602,Rdnr. 8, § 1577, Rdnr. 6; MüKo - Köhler, § 1602, Rdnr. 17. 115) DAVorm 1984,99 (110,113). 120 Unterhaltsrechtlicher Teil keinen oder geringeren Unterhalt fordern, aber darüber hinaus gemäß § 76 1 BSHG Sozialhilfe verlangen könntet!"). M. E. ist es richtig, jedenfalls bei volljährigen Unterhaltsgläubigern den Über- schuß anzurechnen. aa) Zunächst ist m. E. das sozialhilferechtliche Argument von Derleder/Derleder nicht stichhaltig. Muß im oben dargestellten Beispiel Z sich den Überschuß der Grundrente auf seinen all- gemeinen Lebensbedarf anrechnen lassen, verbleibt ihm ein Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater i. H. v. 463 DM. Diesen Betrag könnte Z nun u. U. über die Sozialhilfe auf- stocken, da insoweit die Grundrente nicht zum anzurechnenden Einkommen zählt (§ 76 I BSHG). Wäre im Beispiel auch der sozialhilferechtlich beachtliche Bedarf mit 800 DM anzusetzen, erhielte Z noch 337 DM als Hilfe zum Lebensunterhalt. Diesen Betrag wie- derum unterhaltsrechtlich anzurechnen, scheidet aus: Eine Anrechnung würde letztlich den Unterhaltsanspruch vollends zum Wegfall bringen und erneuten sozialhilferechtli- chen Bedarf eröffnen. Dies kann man als Folge einer Vorschrift, die dem Sozialhilfeem- pfänger sozialhilferechtlich den "PauschalisierungsvorteilCl reservieren will, nicht akzep- tieren. Es bleibt nur, Zeine Aufstockung seiner Mittel durch die Sozialhilfe zu gestatten. Entgegen Derleder/Derleder kann das nicht als inakzeptabel angesehen werden. Es ist vielmehr die schlichte Folge der sazialhi/ferechtlichen Nichtanrechnungsbestimmung. In ähnlicher Weise kann etwa auch das Erziehungsgeld durch die Sozialhilfe aufgestockt werden (§ 9 BErzGG). bb) Entscheidend ist m. E., daß Anrechnungsfreiheit auf seiten des Bedürftigen andere Folgen als eine Berücksichtigung auf seiten des Pflichtigen hat. Beim Pflichtigen führt An- rechnungsfreiheit zur Schonung. Unterhaltsansprüche werden abgeschnitten. Insoweit mag einiges für Derleder/Derleders Ansatz sprechen. Anrechnungsfreiheit beim Gläubi- ger führt aber dazu, daß Unterhaltsansprüche begründet und damit auch Rückgriffschan- cen eröffnet werden, obwohl der Gläubiger freie Mittel zu Verfügung hat. Dies Ergebnis ist jedenfalls dann unbillig, wenn es um eine Inanspruchnahme nicht gesteigert Unter- haltspflichtiger geht. Die Wertung, daß die Inanspruchnahme z: B. von Eltern für ihre volljährigen Kinder - oder umgekehrt - ohnehin problematisch ist, sollte auch auf die An- rechnungsfrage Einfluß ausüben dürfen. An anderer Stelle läßt das BGB übrigens erkennen, daß bei "gesteigerter Unterhalts- pflicht" dem Unterhaltsberechtigten ein Unterhaltsanspruch zustehen kann, obwohl er über eigene Mittel verfügt: Nach § 1602 11 BGB muß das minderjährige unverheiratete Kind den Stamm seines Vermögens nicht einsetzen. Mit der Volljährigkeit fällt diese Ver- günstigung weg. Diese Regelung bestätigt das soeben gefundene Ergebnis, das bei Ver- wandtenunterhalt für Volljährige strenge Anrechnungsregeln vorsieht, um den Schuldner zu schonen. 2.1.3.2. Auswirkungen des "Gesetzes zur unterhaltsrechtlichen Berechnung von Auf wendungen für Körper- und Gesundheitsschäden" a) Scboller und Fuchs haben im Jahr 1984 ihre Kritik an der Rechtsprechung des BGH zur Grundrente in einen rechtspolitischen Vorschlag einmünden lassen. In Anlehnung an § 138 111 Nr. 1 AFG haben sie die Einfügung eines § 1603 a BGB 116) ScbollerlFuchs, 13, weisen zustimmend auf dieses Argument hin. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 121 mit folgendem Wortlaut vorgeschlagen117): »Bei der Ermittlung der Unterhaltsberechtigung oder -verpflichtung bleiben Leistungen außer Betracht, die nach bundcs- oder landesgesetzlichen Vorschriften gewährt werden, um einen Mehrbedarf zu decken, der durch einen Körperschaden verursacht ist." Möglicherweise war dies der Anstoß für eine Gesetzesinitiative, die die Bundes- regierungergriffen hat. Sie hat im Jahr 1989 einen "Entwurf eines Gesetzes zur un- terhaltsrechtlichen Berechnung von Aufwendungen für Körper- oder Gesund- heitschäden" vorgelegt l 18) , der mittlerweile das Gesetzgebungsverfahren durch- laufen har'!"). Seit dem 23.1.1991 gilt daher ein neuer § 1610 a BGB, der wie folgt lautet: »Werden für Aufwendungen infolge eines Körper- oder Gesundheitsschadens Soziallei- stungen in Anspruch genommen, wird bei der Feststellung eines Unterhaltsanspruchs vermutet, daß die Kosten der Aufwendungen nicht geringer sind als die Höhe dieser Sozi- alleistungen." Die Regierungsbegründung steht mit dem BGH auf dem Standpunkt, daß die öffentlich-rechtliche Zweckbestimmung einer Sozialleistung für das Unterhalts- recht nicht ohne weiteres maßgebend sein könne. Gleichwohl sieht sie besondere Härten, wenn Beschädigte ihre Mehraufwendungen im einzelnen darlegen müs- sen. Von dieser Last will der Entwurf den Beschädigten "regelmäßig" befreien, in- dem er eine gesetzliche widerlegbare Vermutung zur Höhe des Mehrbedarfs vor- sieht. Sache des Gegners wird es also sein, den "Beweis des Gegenteils" gegen die Vermutung zu führen (§ 292 Satz 1 ZPO), den Beweis also, daß der Beschädigte die Sozialleistung nicht vollständig für seine Mehraufwendungen aufbraucht. b) Die neue Regelung sucht eine Lösung allein auf prozeßrechtlichem Wege. Steht fest, daß der Beschädigte die Grundrente nicht vollständig für Mehraufwen- dungen benötigt, bleibt es bei der bisherigen materiellrechtlichen Lage. Dement- sprechend ändert sich nichts an der Vertretbarkeit der oben119a) verfochtenen These, daß ein festgestellter Überschuß auf seiten eines volljährigen U nterhalts- gläubigers anzurechnen ist. Die Auffassung von Derleder/Derleder, die sich gegen jegliche Anrechnung aussprechen, läßt sich nun freilich nicht mehr vertreten. c) Gleichwohl veranlaßt die halbherzige Reform eine kritische Anmerkungt-v). Es verwundert, daß sich die Regierungsbegründung nicht näher mit der Proble- matik der Anrechnung auf seiten des Berechtigten auseinandersetzt. Die Begrün- dung des Regierungsentwurfs läßt erkennen, daß es ihr in erster Linie um die Fra- ge geht, ob der Unterhaltsschuldner, der eine entsprechende Sozialleistung be- 117) Scbollerl Fuchs, 26. 118) BT-Drs 11/6153. 119) Gesetz vom 15.1.1991, BGBI 1,46. 119a) S. 119 f. 120) Eine umfassende Kritik soll hier allerdings nicht vorgelegt werden. 122 Unterhaltsrechtlicher Teil zieht, diese mit seinen Unterhaltsgläubigern teilen muß121). Nebenbei heißt es dann, die Neuregelung betreffe Körper- und Gesundheitsbeschädigte als Unter- haltsverpflichtete und als Unterhaltsberechtigte, da das Einkommen auf beiden Sei- ten nach einheitlichen Grundsätzen zu berechnen sei122). Unter dem Gliederungs- punkt "Kosten" wird schließlich darauf hingewiesen, daß die Regelung zu einer erhöhten Inanspruchnahme von Unterhaltsverpflichteten führen könne. Eine er- höhte Inanspruchnahme Unterhaltspflichtiger kann nur auf Nichtanrechnung auf seiten des Unterhaltsberechtigten beruhen. Kosten wegen Sozialhilfebedürftigkeit des Pflichtigen seien aber wegen des unterhaltsrechtlichen Selbstbehalts nicht zu befürchten 123) . Dieser nur flüchtigen Behandlung der Anrechnung auf seiten des Unterhalts- gläubigers entspricht es, daß sich die Regierungsbegründung mit den dadurch auf- geworfenen Fragen nicht angemessen auseinandersetzt. Es ist doch ein U nter- schied, ob jemand sich vor einer Verteilung seiner Grundrente nur durch peinliche Angaben über seinen Mehrbedarf schützen kann, oder ob jemand neben der Grundrente noch Unterhalt beziehen möchte. M. E. verdienen private Unter- haltsschuldner eher Schutz als öffentliche "Unterhaltsschuldner", Dementspre- chend sollte man mit pauschalen Bedarfsberechnungen vorsichtig sein, wenn es um die Inanspruchnahme Privater geht. Anders als Scholler/Fuchs es propagieren, sollte man daher m. E. gerade nicht den Ansatz des § 138 111 N r. 1 AFG in das Unterhaltsrecht transponieren. Da sich die Regierungsbegründung mit den entscheidenden Wertungsfragen nicht auseinandersetzt, entgeht ihr im übrigen auch, daß sich die Problematik je nach In- tensität der unterhaltsrechliehen Beziehung unterschiedlich darstellen kann124). 2.2. Einsatz des Vermögensstammes Bei der Frage, ob die Substanz des Vermögens zur Deckung auch des Pflegebe- darfs einzusetzen ist, ergeben sich keine besonderen Probleme. Fragen könnte al- lenfalls der Fall aufwerfen, daß die Pflegebedürftigkeit durch einen Unfall ausge- löst wurde, der die Zahlung einer Schmerzensgeldkapitals zur Folge hatte. Nach allgemeinen Regeln kann Unterhalt im Rahmen des § 1602 I BGB nur verlangt werden, wenn der Bedarf auch nicht aus dem Vermögensstamm des Un- terhaltsgläubigers gedeckt werden kann. Geschont wird der Vermögensstamm nach dem Gesetz nur bei "gesteigerter" Unterhaltspflicht: Ein minderjähriges Kind muß seinen Vermögensstamm nur einsetzen, wenn die Unterhaltszahlung den "angemessenen Unterhalt" seiner Eltern gefährdet (§§ 1602 11, 1603 112 HS 2 121) BT-Drs 11/6153, 5 (111). 122) Ebd. IV a.E. 123) BT-Drs 11/6153, 7 (V). 124) VgI. in diesem Kapitel sub 2.1.3.1. b am Ende (5.119) und c, bb (5.120). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 123 BGB; geschiedene Ehegatten betrifft die Billigkeitsregel des § 1577 111 BGB). Es ist freilich anerkannt, daß auch im Rahmen des § 1602 I BGB eine unzumutbare, insbesondere eine unwirtschaftliche Verwertung des Vermögens nicht verlangt werden kann 125) . Angesichts der geringeren personalen Verantwortung volljähriger Verwandter füreinander können solche Billigkeitserwägungen nur einen abgeschwächten Schutz des Vermögens des Pflegebedürftigen bewirkent-ö). Demnach besteht kein Anlaß, ein Schmerzensgeldkapital von der Verwertungspflicht auszunehmen - ebenso wie auch Einkünfte mit immateriellem Einschlag angerechnet werden müssen127). Daß demgegenüber im Sozialhilferecht Schmerzensgeldkapital als freibleibendes Vermögen im Sinne des § 88 111 BSHG betrachtet wird 128) , ändert die Beurteilung nicht. Die (nur) unterhaltsrechtliche Verwertungspflicht eröffnet dem Pflegebedürftigen einen Weg zu rückgriffsloser Sozialhilfe, was nicht als an- stößig angesehen werden kann. 3. Leistungsfähigkeit bei »Pflegeunterhalt" 3.1. Allgemeines zum Selbstbehalt Auf Unterhalt kann nicht in Anspruch genommen werden, wer bei Berücksich- tigung seiner sonstigen Verpflichtungen außerstande ist, ohne Gefährdung seines eigenen angemessenen Unterhalts den Unterhalt zu gewähren. Diese Regel ent- hält das BGB in § 1603 I von Anbeginn an 129). Der Begriff des angemessenen U n- terhalts ergibt sich aus § 1610 I BGB: entscheidend ist - im Zusammenhang mit § 1603 - die Lebensstellung des Verpflichteten. Falls die Mittel des Verpflichteten aus Einkünften bestehen, ist zu ermitteln, welcher Betrag dem Unterhaltspflichtigen zu verbleiben hat. Nur soweit seine Einkünfte diese "Opfergrenze" überschreiten, muß er Unterhalt zahlen. Der Sy- stematik des Gesetzes zufolge muß die "Opfergrenze" gegenüber einem Volljähri- gen jedenfalls über dem Betrag liegen, der Eltern verbleibt, die gemäß § 1603 11 1 BGB gegenüber ihren minderjährigen Kindern "alle verfügbaren Mittel" einsetzen müssen und denen nach ständiger Praxis der knapp über den Sozialhilfesätzen lie- gende sog. "notwendige Selbstbehalt" belassen wird130) • 125) BGH FamRZ 1966,28 (29). 126) Göppinger/Kindermann, Rdnr. 1061, 127) Vgl. in diesem Kapitel,2.1.3.1 (S. 120). 128) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 88 Rdnr. 70 unter Hinweis auf § 77 BSHG. 129) Lediglich das FamRÄndG hat dcncstandcsmäßigcn Unterhalt" zum "angemessenen" gemacht. 130) BGH NJW 1989, 524 (526) unter Hinweis auf RG JW 1903, Beil., 29. 124 Unterhaltsrechtlicher Teil In einem Teil der Fälle bemißt die Praxis die Opfergrenze nach pauschalen Werten, die in Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte enthalten sind. Die Düsseldorfer Tabelle etwa gibt an, der angemessene Eigenbedarf gegenüber Un- terhaltserwartungen volljähriger Kinder, der sogenannte "große Selbstbehalt", be- trage in der Regel monatlich 1400 DM; er könne auch höher liegenD 1) . Dieser auf Erfahrungswerten beruhende Betrag erfaßt den im "Normalfall" angemessenen Bedarf eines Unterhaltspflichtigen einschließlich der Aufwendungen für den Wohnbedarf, der im "Normalfall" durch das Mieten einer Wohnung gedeckt wird132) . Für die Fälle, in denen Eltern ihre Kinder auf Unterhalt in Anspruch nehmen, enthält die Düsseldorfer Tabelle keine Aussage132a) . In solchen Fällen werden frei- lich die Werte zum "großen Selbstbehalt" gegenüber volljährigen Kindern biswei- len übernommen, ohne daß dazu ein Wort verloren würde133). Der Einkommensgrenze, die anders als die "Einkommensgrenze" nach den §§ 79, 81 BSHG eine echte Grenze darstellt, sind die Einkünfte gegenüberzustel- len. Grundsätzlich sind sämtliche Einnahmen zu berücksichtigenl>'}. Da sich mietfreies Wohnen wirtschaftlich als zusätzliches Einkommen in Höhe der an- sonsten zu zahlenden Miete darstellt135), wird auch der Wohnwert mietfreien Wohnens als Einkommen angerechnet, soweit der Unterhaltspflichtige auch an- gesichts etwaiger Zins- und Tilgungsleistungen billiger lebt als ein Mieter einer vergleichbaren Wohnung136) . Das Einkommen ist zu bereinigen 137) um Steuern, um Beiträge zu Krankenversicherung und Altersversorgung sowie um berufsbe- dingte Aufwendungen, die nach DüsseIdorfer Tabelle i. d. R. 50/0 des Nettoein- kommensl-") betragen. Nach dem in der Praxis gängigen Selbstbehaltdenken steht die Differenz zwi- schen dem bereinigten Einkommen und dem "großen Selbstbehalt" dem Unter- halt zur Verfügung. Die weiteren Ausführungen werden zeigen, daß dieses Ver- fahren, insbesondere seine Ausrichtung an festen Selbstbehaltsätzen, nicht unbe- stritten ist und manchen Fallgruppen nicht gerecht wird. 131) FamRZ 1988, 911 (912; Anmerkung 5 11); vgl. auch Nr. 27 der "Düsseldorfer Leitlini- en", FamRZ 1987, 151. 132) Graba, FamRZ 1985, 657. 132a) Vgl. hierzu auch BGH NJW 1992, 1393 (1394). 133) AG Hagen, FamRZ 1988,755 (756); LG Hagen, FamRZ 1989, 1330 (1331); LG Duis- burg DAVorm 1987,809 (813: Stichwort "Eigenbedarf" in den Tabellen zur Leistungs- fähigkeit). 134) PalandtlDiederichsen, § 1603, Anm. 2 a.bb.cc, Rdnr. 6/7. 135) Graba FamRZ 1985, 657. 136) BGH FamRZ 1986,48 (49); Graba FamRZ 1985,657 H. 137) Vgl. dazu PalandtlDiederichsen, § 1603, Anm. 2 a, bb, cc, Rdnr. 5. 13R) FamRZ 1988, 911 (912: Anmerkung 3). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 125 1500,00 DM 1532,00 DM 350,00 DM .. 2186,12 DM Kann der Verpflichtete den Unterhaltsanspruch nicht aus seinen Einkünften befriedigen, muß er auch eventuell vorhandenes Vermögen t3 8a) einsetzen. Eine § 1581 S.2 2. Variante BGB entsprechende Billigkeitsgrenze für die Verwertung des Vermögens sieht § 1603 BGB nicht vor. Soweit jedoch Einkünfte aus dem Vermögen benötigt werden, um den gegenwärtigen oder künftigen Eigenbedarf des Pflichtigen zu befriedigen, braucht er den Vermögensstamm nicht zu verwer- ten139). Wegen der danach erforderlichen, auf die voraussichtliche Lebenszeit be- zogenen Prognose können sich die Selbstbehaltsätze u. U. auch als Schutz für den Vermögensstamm auswirken. 3.2. Ansatz des AG Hagen ("erhöhter Selbstbehalt'') Auch zur Bestimmung der Opfergrenze hat das AG Hagen in der schon behan- delten Entscheidunglw) eine originelle Überlegung angestellt: Das Gericht hat die Abweisung der Klage hilfsweise mit fehlender Leistungsfä- higkeit des Beklagten begründet. Es geht von einem Nettoeinkommen des beklag- ten Sohnes i. H. v. 5568,12 DM aus!") 142) und bringt davon folgende Posten in Abzug: Unterhaltszahlungen an die Kinder (abzüglich Kindergeld) Unterhalt Ehefrau . freiwillige Zahlung des Beklagten an seine Mutter . Danach verbleiben dem Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . Im Urteil, das von einem "großen Selbstbehalt" von 1300 DM ausgeht, heißt es dann lapidar: 1383) Die weiteren Ausführungen in diesem Kapitel konzentrieren sich auf Probleme des Einkommenseinsatzes. 139) BGH FamRZ 1986,48 (50); BGH NJW 1989,524 (525); dasAG Wetter gewährt einem unterhaltspflichtigen Sohn, der für die Pflegeheimkosten seiner Mutter in Anspruch ge- nommen worden war, einen Vermögensfreibetrag i. H. v. 20.000 DM als Rücklage für Not- und Krankheitsfälle (FamRZ 1991, 852). 140) AG Hagen, FamRZ 1988, 755 (756) (vgl. Einleitung sub 2 (5. 5 f) und Kapitel 5, sub 1.3.1. (5.104 f)). 141) Einkommen nach Abzug der Steuern: 6282, 58 DM abzüglich Vorsorgeaufwendungen und Werbungskosten i. H. v. 714,46 DM. 142) Bei der Ermittlung des Einkommens berücksichtigt das Amtsgericht nicht den Miet- wert der eigenen Wohnung. Es gehe nicht an, die Vorleistungen des Beklagten in Ge- stalt "jahre-, ja jahrzehntelang unter Verzicht auf eine seinem Stand angemessene Le- bensführung (erbrachter) Tilgungs-, Zins- und Sparleistungen" damit zu honorieren, daß sie ihm später bei seiner Leistungsfähigkeit zusätzlich angerechnet würden (FamRZ 1988, 755 [756]). Dieser Ansatz ist mit der soeben sub 3.1. (5. 124) dargestellten Rechtsprechung des BGH (FamRZ 1986, 48) nicht vereinbar. Das Amtsgericht hätte vielmehr feststellen müssen, ob der Mietwert die aktuellen Aufwendungen des Beklag- ten für sein Eigenheim überstieg. 126 Unterhaltsrechtlicher Teil »Billigt man dem Beklagten einen angemessenen um 700/0 erhöhten Selbstbehalt zu, wür- de dieser bereits 2210 DM ausmachen...". Daher sei eine über die freiwillige Leistung des Beklagten in Höhe von 350 DM monatlich hinausgehende Unterhaltspflicht auch aus dem Gesichtspunkt der Lei- stungsfähigkeit zu verneinen. Die Vorstellung des AG, das erstaunlicherweise für sein Vorgehen keinerlei Be- gründung gibt, geht offenbar dahin, daß der "Selbstbehalt" kein fixer Betrag - et- wa 1300 DM - , sondern daß er in gewissen Konstellationen zu erhöhen sei. Diese originelle Hilfserwägung ist. von den Kritikern des AG Hagen nicht zur Kenntnis genommen worden143). Sie gibt zunächst zu der Frage Anlaß, ob sich in der unterhaltsrechtlichen Diskussion Vorbilder für eine solche Erhöhung der Op- fergrenze finden lassen. 3.3. Rechtsprechung zu § 1708 I BGB a. F. als Vorbild? Es hat schon früher den Versuch gegeben, durch Pflegekosten belasteten Schuldnern zu helfen: Man kann sich die Frage stellen, ob sich das AG Hagen auf Rechtsprechung zum alten § 1708 I BGB hätte beziehen können. Nach der zuletzt gültigen Fassung dieser Vorschrift war der Erzeuger des un- ehelichen Kindes verpflichtet, dem Kind bis zur Vollendung des ach zehnten Le- bensjahres den der Lebensstellung der Mutter entsprechenden Unterhalt zu ge- währen (Satz 1). Nach Satz 2 umfaßte der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf. Hierzu gehörten nach ganz herrschender Auffassung auch Kosten, die bei An- staltspflege eines behinderten Kindes entstandentv'). Einige Gerichte haben ver- sucht, diese Verpflichtung in Heimpflegefällen unter Berufung auf § 242 BGB im Zusammenspiel mit Verfassungsbestimmungen materiellrechtlich zu begren- zen 145). Hintergrund dieser Entscheidungen ist jedoch, daß der Anspruch nach § 1708 I BGB a. F. vom Gesetz ungeachtet der Leistungsfähigkeit des Erzeugers gewährt wurde':"). Lediglich wenn das Kind nach Vollendung des 18. Lebensjah- res infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen außerordentlichen Unterhalt nach § 1708 11 BGB a. F. verlangen konnte, schützte das Gesetz den Erzeuger durch eine Verweisung auf § 1603 I BGB. Damals ging es mithin darum, einen Weg zur Berücksichtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners erst zu eröffnen. Zur Konkretisierung der von Gesetzes wegen erheblichen Leistungsfähigkeit des Schuldners lassen sich die erwähnten Urteile deshalb nicht fruchtbar machen. 143) Schwenzer, FamRZ 1989, 685 (688); Erman IHolzhauer, § 1610, Rdnr. 3; LG Hagen, FamRZ 1989, 1330 f; AG Hamburg, FamRZ 1991, 1086. 144) Vgl. Kapitel 5, sub 1.3.2 (S. 106). 145) Etwa AG Celle, FamRZ 1963, 374; LG Flensburg, FamRZ 1968,474. 146) Odersky, § 1615 h, I. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 3.4. Variable Opfergrenze in der bisherigen Diskussion 3.4.1. Einkommensabhängiger Selbstbehalt 127 Der Konzeption des AG Hagen stehen die Positionen näher, die die Höhe des Selbstbehalts von der Höhe des Einkommens des Unterhaltspflichtigen abhängig machen wollen. Dieckmann vertritt die Ansicht, der "angemessene Eigenbedarf", der nach § 1603 I BGB die Opfergrenze für den Unterhaltsschuldner darstellt, solle vom Einkommen des Schuldners abhängen, da der Lebensstandard eines potentiell Un- terhaltspflichtigen gegenüber dem Lebensstandard eines verwandtenlosen Men- schen mit vergleichbarem Einkommen nicht zu stark absinken dürfe147) . Auf demselben Ansatz beruhen die einschlägigen Regeln der Heranziehungs- empfehlungen des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge. Wie oben dargestellt!"), geht in die Berechnung des Eigenbedarfs nach diesen Emp- fehlungen ein Posten ein, der als Prozentsatz (10% ) des Einkommens zu errech- nen ist. Darüber hinaus wird nur ein bestimmter Anteil des überschießenden Be- trages für den Berechtigten in Anspruch genommen. Das Konzept, dem Unterhaltsschuldner einen umso höheren Betrag zu belas- sen, je höher sein Einkommen ist, hat übrigens eine Parallele in der Art, wie der Staat die Schuldner von Einkommenssteuer behandelt: Soweit Einkommen den Grund- und den Kinderfreibetrag übersteigt, die das Existenzminimum der Fami- lie steuerfrei belassen sollen 149), wird ein - ansteigender - Prozentsatz des Ein- kommens für die Steuer in Anspruch genommen. Trotz der Steuerprogression führt das dazu, daß der steuerrechtliche "Selbstbehalt" mit steigendem Einkom- men zunimmt. Das Existenzminimum für die ganze Familie ist auch besser Verdienenden in vollem Umfang steuerfrei zu belassen, damit Familien mit unterhaltsberechtigten Kindern gegenüber Kinderlosen nicht benachteiligt werden150). Auch dieser ver- fassungsrechtliche Grundsatz spricht für Dieckmanns Überlegung, durch einen einkommensabhängigen Selbstbehalt sei sicherzustellen, daß der Lebensstandard von Menschen mit bedürftigen Verwandten nicht zu sehr absinke. 147) Dieckmann, DAVorm 1979,553 (561); ders. Selbstbehalt. 60; vgl. auch Arbeitskreis I des 2. Dt. Familiengerichtstags, FamRZ 1979, 895 (896 All); Scbellborn, FuR 1990, 20 (24); a.A. SoergellHäberle, 8. Aufl., § 1603, Rdnr. 19. 14R) Kapitel 4 sub 2.2. (5. 93). 149) Vgl. BVerfG NjW 1990,2868 (2871: sub UI, 2). 150) BVerfG NJW 1990,2868 (2871: 111 3 am Anfang). 128 Unterhaltsrechtlicher Teil 3.4.2. Erhöhter Selbstbehalt in Abhängigkeit von der Art der Mittel Auch dem BGH ist - wenngleich in anderem Zusammenhang - eine bewegliche Opfergrenze nicht unbekannt: In seiner bereits erwähnten Entscheidung zum Einsatz eines Schmerzensgeldes, das der Unterhaltspflichtige erhalten hat 1S1) , hat der Bundesgerichtshofausgeführt, der besonderen Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes sei durch eine billige Anhebung dessen Rechnung zu tragen, was dem Pflichtigen zur Deckung seines notwendigen Eigenbedarfs zu belassen sei l 52) . 3.4.3. Erhöhter Selbstbehalt gegenüber Ausbildungsbedarf Dem Standpunkt desAG Hagen am nächsten steht die Ansicht, die Paulus zum Ausbildungsunterhalt vertreten hat. a) Paulus schlägt vor, bei der Ausbildung eines volljährigen Kindes die - zu- nächst vom Einkommen der Eltern abhängige - Opfergrenze von vorneherein hö- her als sonst anzusetzen und sie schließlich mit dem Alter des Kindes wachsen zu lassen I 53) . Er begründet das mit der Erwägung, daß "den Eltern bei einer ausbil- dungsbedingten Bedürftigkeit nicht so viel abverlangt werden könne wie bei einer auf sonstigen Gründen (z. B. Krankheit, Arbeitslosigkeit, Notfall) beruhenden Bedürftigkeit". Von Eltern könne nicht verlangt werden, sich jahrelang mit dem üblichen Selbstbehalt zu begnügen, nur um dem Kind eine optimale Ausbildung zu ermöglichenl'"). b) Diese Auffassung ähnelt der des AG Hagen strukturell insofern, als in beiden Fällen die Opfergrenze als derart variabel gedacht wird, daß sie von der Art der Be- darfslage abhängen soll. Es fällt freilich auf, daß nach Paulus' Argumentation gera- de in Pflegefällen eine Erhöhung nicht in Betracht käme, da seine Begründung von der Erwägung getragen wird, Ausbildungsunterhalt sei eine Art "Luxusunterhalt". Genauere Überlegung, die dieser Umstand auslöst, zeigt, daß Paulus' Konstrukti- on - nicht sein Ergebnis! - fragwürdig ist. Sie harmoniert nämlich nicht mit Prä- missen, von denen er in anderem Zusammenhang ausgeht: Nach Paulus ist die Bedarfssituation "Ausbildung" gen au genommen keine be- sondere Bedarfslage. Beim Ausbildungsunterhalt gehe es vielmer darum, Auszu- bildende von der Obliegenheit freizustellen, ihren ganz gewöhnlichen Bedarf durch Einsatz der Arbeitskraft selbst zu decken. Soweit § 161011 BGB die Kosten 151)_ In diesem Kapitel sub 2.1.3.1., b am Ende (S. 119); NJW 1989, 524 (526). 152) BGH NJW 1989, 524 (526). 153) Paulus, 180 f; ähnlich Finger FamR, 3.Teil, 10. Kapitel, IV, Fn. 49 sowie Göppinger/ Wenz, Rdnr. 1215 (S. 673). 154) Paulus, 179; Dieckmann hält es für rechtspolitisch richtig, im Recht des Verwandtenun- terhalts unter Volljährigen die Opfergrenze beim Ausbildungsunterhalt anders zu zie- hen als beim übrigen Unterhalt, Ennan/Dieckmann, § J578, Rdnr. 28. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Verwandte 129 einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf dem gesamten Lebensbedarf zu- schlägt, würde die Vorschrift Paulus zufolge besser als ein § 1602 Absatz 1 Satz 2 BGB in das Gesetz passen: Unterhaltsberechtigt solle auch der sein, der während und wegen einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf außerstande ist, sich selbst zu unterhalten155). Zu dieser Konzeption dürfte es besser passen, wenn man den Schutz der Eltern etwa bei Aufwand für Zweitausbildungen durch erhöhteAnforderungen an die Er- werbsobliegenheit des ausbildungswilligen Kindes gewährleisten würde, wobei die Erhöhung der Anforderungen auch von der Situation der Eltern abhängen müßte. Dem läßt sich nicht die von Paulus nicht näher belegte These entgegenhal- ten 156) , im Rahmen des § 1602 BGB komme es allein auf die Situation des Unter- haltsberechtigten an. Z.B. Schwab hat demgegenüber betont, über die Zumutbar- keit einer Erwerbstätigkeit könne nur unter Berücksichtigung der Gesamtsituati- on beider Parteien geurteilt werden'>"). Mag dieser Ansatz im nachehelichen Un- terhaltsrecht angesichts der Ausgestaltung des § 1574 11 BGB auch fragwürdig seint 58) , so erscheint er doch jedenfalls im Recht des Verwandtenunterhalts als einleuchtend. Eine solche auf § 1610 11-BGB gestützte Erwerbsobliegenheitslösung würde üb- rigens eine systemkonforme Deutung der Ausbildungsunterhaltsrechtsprechung des BGH zulassen'!"): Mit ihr ließe sich besser begründen, wieso diese Zurnutbar- keitsprüfung nicht auch in Krankheits- und Pflegefällen vorgenommen werden kann: In solchen Fällen liegt es nämlich von vorneherein auf der Hand, daß eine Erwerbsobliegenheit nicht in Betracht kommt. c) Auch wenn Paulus' Ansatz im Bereich des Ausbildungsunterhalts konstruk- tiv fragwürdig ist, kann man sich doch von seinen Überlegungen inspirieren lassen und prüfen, ob sie nicht für Pflegeunterhalt nutzbar gemacht werden können. 3.5. Variable Opfergrenzebei Pflegeunterhalt 3.5.1. Vorschlag für Pflegeunterhalt Die Erörterung der bisherigen Debatte hat gezeigt, daß es durchaus nichts Un- gewöhnliches ist, wenn das AG Hagen die Opfergrenze des § 1603 I BGB als va- riabel konzipiert. 155) Paulus, 130. 156) Paulus, 138. 157) Schwab, Handbuch, 1. Auf!., Rdnr. 259. 158) Vgl. ErmanlDieckmann, § 1574, Rdnr. 3. 159) Vgl. Kapitel 5 sub 1.3.4.b (S. 109). 130 Unterhaltsrechtlicher Teil M. E. ist es sinnvoll, den Satz aufzustellen, bei langwährender Pflegebedürftig- keit verdienten Unterhaltsschuldner den Schutz eines deutlich erhöhten Selbstbe- halts, da für die Kosten der in dieser Lebenslage erforderlichen umfangreichen Hilfe jedenfalls nicht die Angehörigen, vielmehr "die Allgemeinheit" einstehen sollte - in welcher Einzelausgestaltung auch immer160) . Man macht damit die Hö- he des Selbstbehalts nach Art von Paulus von Umständen abhängig, die die Situa- tion des Unterhaltsgläubigers prägen. Man sollte darüber hinaus eine weitere Er- höhung des Selbstbehalts vornehmen, wenn der potentielle Unterhaltsschuldner wegen der Pflegebedürftigkeit schon bisher hohen Belastungen ausgesetzt war, insbesondere wenn er - oder sein Ehepartner - die pflegebedürftige Person schon länger persönlich gepflegt hat. 3.5.2. Methodische Zulässigkeit des Vorschlags Als bedenklich an diesem Vorschlag mag man ansehen, daß die Höhe des Selbstbehalts von Erwägungen abhängig gemacht wird, die auch die Lage des Gläubigers in Betracht ziehen. M. E. ist dies aber ebenso sinnvoll, wie wenn man im Rahmen des § 1602 BGB bei der Frage nach der Angemessenheit einer Erwerbstätigkeit die Situation des Pflichtigen in den Blick nimmtlv'}. Der generalklauselartige Wortlaut des § 1603 1 BGB jedenfalls ist auch für eine solche Lösung offen. Einschränkende Formulierungen über den Kreis der für das Angemessenheitsurteil bedeutsamen Umstände nach Art des § 1574 11 BGB fin- den sich im Gesetz nich t. Überdies kann man auf ein gesetzliches Vorbild für diese Lösung verweisen: Geht es um die Frage, ob ein Hilfesuchender sein über der sozialhilferechtlichen Freigrenze liegendes Einkommen einsetzen muß, bevor Hilfe in besonderen Le- benslagen gewährt wird, ist nach § 84 I 1 BSHG die Angemessenheit des Einkom- menseinsatzes zu untersuchen. Für die Beurteilung des Angemessenheit ist nach Satz 2 u. a. die Art des Bedarfs zu berücksichtigentw). Dasselbe Angemessenheits- urteil ist gemäß § 91 1 2 BSHG anzustellen, wenn es um die Heranziehung von Einkommen eines Angehörigen geht, das die Freigrenze übersteigt'P). § 91 I 2 160) Vgl. Einleitung, sub 1 (5.2-5); ähnlich Künkel, FamRZ 1991, 14 (22 f): "Beim großen Selbstbehalt könnte sich eine Unterscheidung nach Fallgruppen anbieten. Zur Sicher- steIlung des Ausbildungsunterhalts für das eben volljährig gewordene Kind können den Unterhaltspflichtigen größere Opfer angesonnen werden, als wenn es um die Heimko- sten der Eltern geht. Es wäre unangebracht, hier mit denselben Eigenbedarfssätzen zu arbeiten. Solange der Gesetzgeber untätig bleibt, müssen die Gerichte zwangsläufig rechtsgestaltend tätig sein. ce Zustimmend jetzt RGH NJW 1992, 1393(1394, sub 114 c). 161) Vgl. soeben 3.4.3. b bei Fn. (S. 157). 162) Vgl. zu § 84 BSHG schon oben Kapitel 3, sub 3.2.2.2.1. (S. 47). 163) Vgl. oben Kapitel 4 sub 2.1.4.b,bb (S. 69 f). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen Ver7JJandte 131 BSHG verweist nämlich auch auf § 84 I 2 BSHG, wonach die Art des Bedarfs be- achtlich sein soll. Der Sache nach wird also auch hier eine quasiunterhaltsrechtli- che Opfergrenze nicht nur nach Umständen bemessen, die die Lage des Pflichti- gen prägen. Wieso sollte nicht das Zivilrecht insofern beim Sozialrecht eine Anlei- he machen können1(4) ? 3.5.3. Praktische Umsetzung des Vorschlags Es stellt sich die Frage, ob die Anwendung des Konzepts "erhöhter Selbstbe- halt" durch Hilfsmittel, etwa Tabellen, erleichtert werden sollte. Für seinen Vor- schlag zum Ausbildungsunterhalt hat Paulus derartiges für sinnvoll gehalten. Er möchte wie in § 25 IV, 25 a BAföG einen - gegenüber dem normalen Selbstbehalt erhöhten - Grundbetrag in Abhängigkeit vom Alter des Kindes und vom Ein- kommen der Eltern kontinuierlich anwachsen lassen 1(5). M. E. ist es sinnvoller, für die doch nicht so häufigen Fälle keine allzu strikten Richtlinien festzulegen - wie auch der Deutsche Verein in seinen Empfehlungen zur Anwendung der §§ 84 ff BSHG von pauschalierenden Beurteilungsrichtlinien abgesehen hat 1( 6) . 3.5.4. Folgeprobleme Die soeben gutgeheißene Lösung des AG Hagen löst freilich verschiedene er- wähnenswerte Folgen und Schwierigkeiten aus: a) Zu bedenken ist zum einen, daß die Entlastung von Unterhaltsschuldnern über die "Schiene" der Leistungsfähigkeit dazu führt, daß die Ersatzhaftung des § 1607 I BGB schneller zum Zuge kommt: Soweit ein Verwandter aufgrund man- gelnder Leistungsfähigkeit nicht unterhaltspflichtig ist, hat der nach ihm haftende Verwandte Unterhalt zu gewähren. Auch diesem kommt jedoch die Erhöhung des Selbstbehalts bei Pflegeunterhalt zugute. Angesichts dessen dürfte trotz § 1607 I BGB die Erhöhung des Selbstbehalts in den meisten Fällen die Lasten auf die öffentliche Hand in Gestalt des Sozialhilfeträgers verlagern. b) Gewisse Schwierigkeiten resultieren daraus, daß bei der Bestimmung der Opfergrenze nicht allein auf die Lage des Pflichtigen abgestellt wird. Sowohl die besondere Bedarfslage "Pflegefall" wie etwaige frühere Belastungen des Pflichti- gen durch die Pflegebedürftigkeit gründen allein in der Beziehung des potentiellen Schuldners zum potentiellen Gläubiger. Es kann also theoretisch der Fall eintre- ten, daß der Pflegebedürftige mit gleichrangigen weiteren Unterhaltsgläubigern 164) Zu einem anderen Beispiel der "Verschuldung" des Zivilrechts beim Sozialrecht. Denck, JZ 1987, 127 (bes. 129 f). 165) Paulus, 181. 166) 3. Auflage, 1975, Nr. 22 (5. 17). 132 Unterhaltsrechtlicher Teil konkurriert, in deren Beziehung zum Schuldner keine Umstände auffindbar sind, die die Opfergrenze erhöhen könnten. Es gälten demzufolge verschiedene Opfer- grenzen. Dies führt im Mangelfall zu Schwierigkeiten. Solche Schwierigkeiten sind dem Unterhaltsrecht allerdings nicht unbekannt. Auch wenn ein geschiedener Ehegatte mit minderjährigen Kindern konkurriert, kann die Anwendung der §§ 1603 11, 1581 BGB zu unterschiedlichen Selbstbehal- ten führen 167) , die wohl nicht "glatt" aufzulösen sind. Angesichts dessen erwächst aus dieser Schwierigkeit kein Einwand gegen die vorgeschlagene Lösung. c) Denkbar ist auch der Fall, daß der Pflegeunterhaltsanspruch gegenüber meh- reren gleichrangig verpflichteten Verwandten besteht, die dafür gemäß § 1606 111 BGB anteilig haften. Bei der Ermittlung des Kreises der einstandspflichtigen Verwandten muß die Erhöhung des Selbstbehalts wegen des objektiven Umstandes "Pflegebedürftig- keit" allen in gleicher Weise zugute kommen. Hat jedoch beispielsweise eines von mehreren Kindern vor der Aufnahme in ein Heim den betroffenen Elternteillan- ge gepflegt, führt dies zu einer weiteren Erhöhung der Opfergrenze - und zwar nur bei einem der potentiellen Unterhaltsschuldner. Dieser Umstand kann eine Erhöhung der Unterhaltslast der anderen bewirken. d) Hat der Unterhaltsschuldner, dem der erhöhte Selbstbehalt zugestanden wird, noch Unterhaltsansprüche zu befriedigen, die dem Anspruch des Pflegebe- dürftigen nach § 1609 11 BGB vorgehen, stellt sich überdies die Frage, ob der vor- rangige Unterhaltsanspruch mit Rücksicht auf die Pflegebedürftigkeit ebenfalls zu erhöhen ist. Diese Frage ist wohl zu bejahen. e) Zu bedenken ist schließlich der Fall, daß Einkommen des Unterhaltspflichti- gen den Schutz des (erhöhten) Selbstbebalts nicht verdient: Wenn nämlich Ein- kommensbestandteiIe gerade dem Zweck dienen, Pflegelasten abzudecken, wie et- wa die Beihilfe, die Beamte auch für ältere behinderte und pflegebeürftige Kinder beanspruchen könnent-"), Insoweit darf - entsprechend dem § 85 Nr. 1 BSHG zugrundeliegenden Gedanken - eine Inanspruchnahme nicht an einem erhöhten oder auch nicht erhöhten "Selbstbehalt" scheitern. 167) Vgl. Dieckmann, Selbstbehalt. 57; Weychardt, DAVorm 1980,673 (693) mit Berech- nungsbeispiel DAVorm 1979,145 (158 f); BGHZ 104,158 (171). 168) Vgl. hierzu das Beispiel Kapitel 4 sub 2.t.5.1.2.d(4) (5.81 f). Kapitel 6: Unterhaltsansprüche Pflegebedürftiger im Recht des nachehelichen Unterhalts 1. Unterhaltsrechtliche Beachtlichkeit des Pfiegebedarfs 1.1. Allgemeine Regeln der Bedarfsberechnung 1.1.1. Maß und Inhalt des nachehelichen Unterhalts a)Gemäß § 1578 I 1 BGB richtet sich das Maß des Unterhalts nach den eheli- chen Lebensverhältnissen. Der Unterhalt umfaßt den gesamten Lebensbedarf (§ 1578 I 4 BGB). Diese Regeln erwecken den Eindruck, die Bestimmung des nachehelichen Un- terhaltsbedarfs funktioniere nach derselben Mechanik, wie sie oben für den Ver- wandtenunterhalt dargestellt wurde. Dieser Eindruck täuscht. Ausgangspunkt ist nicht etwa der gesamte sich u. U. in der Zeit verändernde nacheheliche Lebensbedarf, sondern die ehelichen Lebensver- hältnisse zum Zeitpunkt der Scheidung'). Dementsprechend formuliert Dieck- mann,die zum Zeitpunkt der Scheidung vorhandenen Deckungsmittel sollten den (anerkennungsfähigen) Bedarf bestimmen"). Der Unterschied im Vorgehen liegt im Sinn des § 1578 I BGBbegründet. Die Vorschrift bezweckt, den (ehelichen) Lebens- zuschnitt der Ehegatten so gut als möglich aufrechtzuerhalten, falls nur die Voraus- setzungen eines der verschiedenen Unterhaltstatbestände gegeben sind. Der eheli- che Lebensstandard soll auch nach dem Ende der Ehe garantiert sein-). Andererseits bezweckt die Ausrichtung des Unterhalts an den ehelichen Le- bensverhältnissen den Schutz des Unterhaltsschuldners, der davor bewahrt wer- den soll, daß eine Änderung seiner wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Ehe die 1) Zum Zeitpunkt Erman/Dieckmann, § 1578, Rdnr. 16 ff. 2) Ebd. § 1578, Rdnr. 32; vgl. auch Graba, FamRZ 1989, 562 (568): Satz 4 fülle die Bestim- mung des Satzes 1 aus. »Bis zur Obergrenze 'Unterhalt entsprechend den ehelichen Le- bcnsverhältnisscn' hat der Verpflichtete für sämtlichen Bedarf des Berechtigten aufzu- kommen." 3) BT-Drs 7/650, 136; vgl. auch BT-Drs 10/2888, 18. 134 Unterhaltsrechtlicher Teil Unterhaltserwartungen des Berechtigten ausdehnr'). Bleiben z. B. während der Ehe wegen beengter finanzieller Verhältnisse Bedürfnisse ungedeckt und muß deshalb die Sozialhilfe in Anspruch genommen werden, orientieren sich die nach- ehelichen Unterhaltserwartungen an diesen beengten Verhältnissen, auch wenn das Einkommen des Unterhaltspflichtigen unerwartet stark ansteigen sollte. Der nacheheliche Unterhalt ist also im Grundsatz nicht nach den jeweils gegenwärti- gerr"), sondern nach den vergangenen Lebensverhältnissen der geschiedenen Ehe zu bemessen. Angesichts dessen ist es konsequent, wenn der BGH es ablehnt, in § 1578 I 1 BGB einen "Mindestunterhalt" garantiert zu sehen, der u. U. den an den ehelichen Lebensverhältnissen bemessenen Unterhalt übersteigen würde"), Es gilt vielmehr: Mangellage bleibt Mangellage. Nacheheliche Änderungen der Einkommensverhältnisse können nur aus- nahmsweise, und zwar nur dann berücksichtigt werden, wenn sie die ehelichen Le- bensverhältnisse schon mitgeprägt haben. Das setzt voraus, daß die Änderung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten war-). Die Grundentscheidung des Gesetzes, die vergangenen ehelichen Lebensver- hältnisse den Unterhalt bestimmen zu lassen, wird freilich in der Rechtsprechung zunehmend aufgeweicht. Dieckmann mutmaßt, dahinter stehe die Absicht, die Unterhaltserwartungen des geschiedenen Ehegatten mehr und mehr auf die jewei- ligen Einkommensverhältnisse des Unterhaltsschuldners abzustimmen"). Zuletzt ist diese Tendenz deutlich geworden in der geänderten Rechtsprechung des BGH zu einem lange Zeit nach der Scheidung eingetretenen Wegfall der Unterhaltsver- pflichtung gegenüber einem gemeinschaftlichen Kind der früheren Ehegattent): Der Unterhaltsbedarf minderjähriger unverheirateter Kinder zur Zeit der Schei- dung prägt naturgemäß die ehelichen Lebensverhältnisse. Nach der bisherigen Rechtsprechung konnte ein nachehelicher Wegfall dieses Unterhaltsanspruchs den Bedarf nur ausnahmweise beeinflussen"). Nunmehr hat sich der BGH auf den Standpunkt gestellt, der Unterhaltsmaßstab des § 1578 I 1 BGB müsse schon vom 4) ErmanlDieckmann, § 1578, Rdnr. 2 a.E. 4 a) So aber ausdrücklich Spangenberg. DAVorm 1990, 507. 5) RGH FamRZ 1988, 705 (708); RGH FalnRZ 1987, 266; ErmanlDieckmann, § 1578, Rdnr. 31; die Gegenansicht wird u. a. vertreten von: Hampel, FamRZ 1989, 113 (120); Luthin, FamRZ 1988,1109 (1111); Deisenhofer, FamRZ 1990, 586; PalandtlDiederichsen, § 1578, Rdnr. 36 (zu § 1578 I 2 BGB). 6) RGH FamRZ 1985,791 (793); RGH FamRZ 1987, 459 (460). 7) Dieckmann, FalnRZ 1990, 1335 (1339). 8) Vgl. außerdem: RGH FamRZ 1990,499 (501 f); RGH FamRZ 1989,842 (maßgeblich die jeweilige Steuerklasse); BGH FamRZ 1990, 981 (983, sub 4) (auch erhöhter Ortszu- schlag und Kinderzuschlag für Kinder aus neuer Ehe bedarfsbeachtlich) . 9) BGH FamRZ 1990, 258 (259). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 135 Grundsatzher den Veränderungen folgen, die sich aus dem jeweiligen U nterhalts- bedarf des Kindes ergeben10). b) Soweit eheliches Einkommen nicht zur Vermögensbildung verwendet wird, dient es in der Regel dazu, die Kosten des täglichen Lebens (Wohnung, Ernäh- rung, Kleidung etc.) zu decken. Für den Zweck der Bestimmung des nacheheli- ehen Bedarfs geht man von der Erfahrungsregel aus!'}, daß dabei jedem Ehegatten grundsätzlich die Hälfte des zur Verfügung stehenden Einkommens zugute kommt. Dementsprechend müssen auch nach der Ehe die den ehelichen Lebens- verhältnissen entsprechenden Mittel nach dem "Grundsatz der gleichmäßigen Teilhabe" unter den früheren Ehegatten verteilt werdenl-). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs bedeutet gleichmäßige Teilha- be freilich nicht notwendig die strikt hälftige Aufteilung der zur Verfügung ste- henden Mittel. Dem erwerbstätigen Ehegatten ist vielmehr ein 50% der Mittel maßvoll übersteigender Betrag zu belassen. Dadurch soll dem erhöhten Aufwand, der mit der Berufstätigkeit einhergeht, Rechnung getragen und der Anreiz zur Er- werbstätigkeit gesteigert werden13). 1.1.2. Berechnung des Unterhalts In der Praxis wird der Unterhalt nach Quoten festgelegt, die sich in den Unter- haltstabellen der Oberlandesgerichte finden. Diese Quoten werden auf die die ehelichen Lebensverhältnisse prägenden Mittel bezogen. Die Düsseldorfer Tabelle arbeitet beispielsweise mit einer Quote von 3/7 für den Berechtigten!"), die der BGH mit der Maßgabe gebilligt hat, daß sie schon im Rahmen der Bedarfsbestimmung nach § 1578 I 1 BGB (und nicht erst im Rahmen des § 1581 BGB) heranzuziehen ist 15) . War während der Ehe nur einer der Ehegatten erwerbstätig, besteht der Bedarf des erwerbstätigen Partners in 4/7, der des anderen in 3/7 der maßgeblichen Mit- tel. Der Vorteil in H. v. 1/ 7 für den erwerbstätigen Ehegatten stellt die maßvolle Überschreitung der Hälfte des Einkommens dar, der die erwähnte Anreiz- und Aufwendungsersatzfunktion zukommt. Auf den Bedarf des Unterhaltsberechtig- ten wird dann u. U. etwaiges nacheheliches Einkommen gemäß § 1577 I BGB an- 10) BGH FamRZ 1990, 1085 (1087). Zu den möglichen Weiterungen dieser Entscheidung Dieckmann, FamRZ 1990, 1335 (1337-1339). 11) Vgl. aLG Hamm FamRZ 1989, 870 (874); aLG Karlsruhe Farr.RZ 1988, 507 (508). 12) Vgl. BGH FamRZ 1990,260 (264). 13) BGH FamRZ 1988,265 (267); FamRZ 1989,842 (843); 1990, 1085 (1087). 1~) FamRZ 1988, 911 (912). 15) BGH FamRZ 1989, 842 (844). 136 Unterhaltsrechtlicher Teil gerechnet (sog. Anrechnungsmethodevn], Bei dieser Anrechnung wird auch dem Berechtigten ein gewisser Teil als Anreiz und Aufwendungsersatz belassen!"). Waren beide Ehegatten erwerbstätig, wird in der Praxis die sogenannte Diffe- renzmethode angewandt!"): .Der Unterhaltsberechtigte kann danach eine Quote- nach Düsseldorfer Tabelle 3/7 - der Differenz der beiderseitigen, die ehelichen Lebensverhältnisse prägenden Einkommen beanspruchen. Der nach den ehelichen Lebensverhältnissen bestimmte gesamte Unterhaltsbedarf des Berechtigten be- steht dann aus der Summe des schon während der Ehe erzielten eigenen Einkom- mens und der Quote an der Differenz der beiden Einkommen!"). Auch diese Me- thode bewirkt, daß jedem Ehegatten von seinem eigenen Einkommen ein gleicher Prozentsatz vorweg verbleibt-P). Beispiel!') : Einkommen des Mannes 2800 DM Einkommen der Frau 420 DM Differenzmethode: 2800 DM - 420 DM = 2380 DM x 3/7= 1020 DM Bedarf der Frau: 420 DM +1020 DM 1440 DM Bedarf des Mannes: 2800 DM -1020 DM 1780 DM Vergleichsberechnung: Bedarf der Frau: Bedarf des Mannes: 2800 DM x 3/7= 1200 DM 420 DM x 4/7= + 240 DM 1440 DM 2800 DM x 4/7= 1600 DM 420 DM x 3/7= + 180 DM 1780 DM 1.2. Bestimmung des Bedarfs bei Pflegebedürftigkeit Fällt Pflegebedarf an, ist zu unterscheiden, ob der Bedarf schon während der Ehe vorhanden war oder ob die Pflegebedürftigkeit erst nach der Ehe aufgetreten ist. 1.2.1. Pflegebedürftigkeit schon bei währender Ehe War ein Ehegatte schon während der Ehe pflegebedürftig, beeinflußte dieser Umstand die ehelichen Lebensverhältnisse. Die Intensität dieses Einflusses hängt davon ab, ob der Pflegebedarf voll aus den eigenen Mitteln der Ehegatten gedeckt 16) Vgl. Erman/Dieckmann, § 1573, Rdnr. 20 und § 1578, Rdnr. 45. 17) RGH FamRZ 1988,265 (267 sub 11, 3); RGH FamRZ 1990,499 (503). IR) Erman/Dieckmann, § 1573, Rdnr. 22 und § 1578, Rdnr. 45. 19) Erman/Dieckmann, § 1577, Rdnr. 22 und § 1578, Rdnr. 45. 20) BGH FamRZ 1988, 265 (267: sub 11 3). 21) Beispiel von Scholz, FamRZ 1990, 1088 (1089 f). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 137 wurde, oder ob im Blick auf diesen besonderen Bedarf Sozialleistungen gezahlt wurden. 1.2.1.1. Deckung des Pflegebedarfs aus eigenen Mitteln Auszugehen ist davon, daß ohne die Pflegebedürftigkeit das Einkommen der Ehegatten für den allgemeinen Bedarf eingesetzt würde. Auf diese Situation be- zieht sich der Grundsatz der gleichmäßigen Teilhabe. Hat ein Ehegatte aber einen außergewöhnlich hohen Bedarf, der aus den in der Ehe vorhandenen Mitteln ge- deckt werden muß, kann dieser Grundsatz nicht mehr unmodifiziert angewendet werden, da der nacheheliche Unterhalt die ehelichen Verhältnisse abbilden soll. Werden die Pflegekosten aus dem Erwerbseinkommen bestritten, bleibt entspre- chend weniger für den allgemeinen Lebensunterhalt. Die ehelichen Verhältnisse sind also geprägt einerseits durch den außergewöhnlichen Bedarf, andererseits durch nur eingeschränkt zu befriedigenden allgemeinen Bedarf. Nimmt man diese Verhältnisse als Maß für den nachehelichen Unterhalt, bietet es sich an, von den zur Verfügung stehenden Mitteln zunächst die Kosten für den besonderen Bedarf abzuziehen. Die verbleibenden Mittel dienten während der Ehe dem allgemeinen Lebensunterhalt. An einem höheren Betrag kann sich auch der nacheheliche allge- meine Lebensunterhalt nicht orientieren. Ähnlich verfährt der BGH, wenn die ehelichen Lebensverhältnisse von Auf- wendungen für die Ausbildung eines Kindes geprägt waren: Diese Aufwendungen sind im Grundsatz vorweg abzuziehen, da die entsprechenden Beträge den Ehe- gatten für die Dauer der Ausbildung "ohnehin nicht für ihren allgemeinen Le- bensbedarf zur Verfügung" stünden-"). Diese Rechtsprechung ist zwar besonders dann nicht unproblematisch, wenn es um die Ausbildung eines volljährigen. Kin- des geht, dessen Unterhaltsanspruch dem des geschiedenen Ehegatten im Range nachgeht (§ 1609 11 2 BGB)22a) . Der Vorwegabzug stellt den Rangvorzug des ge- schiedenen Ehegatten in Frage22b) . Andererseits läßt sich nicht leugnen, daß wäh- rend der Ehe gezahlter Ausbildungsunterhalt die für den Konsum zur Verfügung stehenden Mittel gemindert hat - wie auch für Pflege aufgewandte Mittel nicht anderweit verbraucht werden konnten. Die Vergleichbarkeit der Fallgruppen wird mithin von der Problematik der Rechtsprechung zum Vorwegabzug beim Ausbil- dungsunterhalt nicht in Frage gestellt. Auf den nach Vorwegabzug des Pflegebedarfs verbleibenden, den allgemeinen Lebensunterhalt betreffenden Teil der Mittel ist entsprechend den oben darge- stellten Regeln die Unterhaltsquote zu beziehen. 22) BGH FamRZ 1986, 553 (556). 223 ) Dieckmann, FamRZ 1990,1335 (1336):» ...eine ganz heikle Frage des Unterhaltsrcchts". 22b) Vgl. Krenzler, FamRZ 1990,221 (225) 138 Unterhaltsrechtlicher Teil Einen Trennungsunterhalt betreffenden Fall, in dem die ehelichen Lebensver- hältnisse durch Pflegebedürftigkeit des potentiellen Unterhaltsschuldners geprägt waren, hat der BGH in dieser Weise entschieden-'}: Die miteinander verheirateten Parteien lebten getrennt. Der bekl. Mann bezieht ein mo- natliches Renteneinkommen i. H. v. 3000 DM. Seit längerem leidet er an der Parkinson- sehen Krankheit. Er ist nicht in der Lage, allein das Haus zu verlassen, kann kein Essen mehr zubereiten und kommt bei vielerlei täglichen Verrichtungen nicht ohne fremde Hil- fe aus. Öffentliche Pflegedienste mußte er nur deshalb noch nicht in Anspruch nehmen, weil ihm die nötige Hilfe durch seine jetzige Lebensgefährtin und eine Nachbarin zuteil wird. Die klagende Ehefrau, die bereits während des Zusammenlebens berufstätig war, verdient 2000 DM netto. Sie begehrte als Trennungsunterhalt einen 300 DM monatlich übersteigenden Betrag-t). Nachdem dasAG - FamG- ihr unter Abweisung der weiterge- henden Klage 300 DM monatlich zugesprochen hatte, wies das aLG auf Berufung des Bekl. die Klage unter Hinweis auf § 1579 Nr. 7 BGB i. V. m. § 1361 111 BGB insgesamt ab. Die Revision der KI. blieb erfolglos. aa) Wäre der Ehemann nicht pflegebedürftig gewesen, wäre der Unterhaltsanspruch nach allgemeinen Regeln zu bemessen, wobei zu beachten wäre, daß der Bekl. kein Erwerbsein- kommen bezog, so daß ihm von seinem Einkommen kein 1/7 Zuschlag zustand: Bedarf M: 3000 DM x 1/2 = 1500 DM 2000 DM x 3/7 = 857 DM 2357 DM Bedarf F: 3000 DM x 1/2 = 1500 DM 2000 DM x 4/7 = 1142 DM 2642 DM Unterhaltsanspruch F: 642 DM bb) Der RGH hat ausgeführt25) , die schwere Krankheit präge die ehelichen Lebensver- hältnisse. Die Hilfsbedürftigkeit des Bekl. steigere seinen Lebensbedarf in einem Maße, daß der eheangemessene allgemeine Bedarf der Klägerirr nach dem Grundsatz der gleich- mäßigen Teilhabe beider Ehegatten nicht den Betrag übersteige, den sie durch eigene Er- werbstätigkeit verdiene. Auf der Basis dieses Ansatzes wären die einzelnen Bedarfsbestandteile wie folgt zu be- rechnen: Zunächst ist der Kl. ein gewisser Teil ihres Einkommens mit Anreiz- und Aufwendungs- ersatzfunktion zu belassen: 2000 DM x 1/7 = 285 DM. Der auf die KI. entfallende Anteil am allgemeinen Lebensbedarf beträgt daher 2000 DM - 285 DM = 1715 DM. Der allge- meine Bedarf beider Ehegatten beträgt 1715 DM x 2 = 3430 DM. Daraus folgt, daß ein Pflegebedarf i. H. v. 5000 DM - 285 DM - 3430 DM = 1285 DM besteht. Es bleibt zu untersuchen, wie der Unterhaltsbedarf zu berechnen ist, wenn der potentielle Unterhaltsgläubiger schon während der Ehe pflegebedürftig war. Beispiel: Ehefrau F ist querschnittsgelähmt und pflegebedürftig. Die Pflege wird durch professi- onelle Pflegekräfte erbracht, für die die Eheleute im Monat 1000 DM aufwenden. Ehe- mann M verdient 4000 DM netto. Die Ehe wird geschieden. 23) RGH NJW -RR 1989, 196. 24) Näheres läßt sich der veröffentlichten Fassung des Urteils nicht entnehmen. 25) RGH NJW-RR 1989, 196. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 139 857 DM 1285 DM 2142 DM Auch hier ist in einem ersten Schritt davon auszugehen, daß von den vorhande- nen Mitteln nur ein Teil für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stand, der nach dem Grundsatz der gleichmäßigen Teilhabe verteilt werden kann. Neben den sich daraus ergebenden Betrag muß ein weiterer Betrag für den außer- gewöhnlichen Bedarf treten. Da dieser während der Ehe nur bei einem der Partner angefallen ist, kann und muß auch nur sein allgemeiner Bedarf um Pflegebedarf aufgestockt werden. Im Ansatz steht also der während der Ehe für Pflegekosten aufgewandte Betrag dem Pflegebedürftigen auch nach der Ehe ganz zu. Auch in- soweit muß aber modifizierend der Gedanke zum Zuge kommen, daß dem er- werbstätigen Ehegatten vorab ein gewisser Anteil als Anreiz und Aufwendungser- satz zu verbleiben hat. Es bietet sich an, auch insoweit an die 1/7 Quote anzu- knüpfen. Das soeben gegebene Beispiel ist danach wie folgt zu lösen: Bedarf der Ehefrau: - 6/7 des Pflegebedarfs i. H. v. 1000 DM = - 3/7 des nach Abzug des Pflegebedarfs verbleibenden Einkommens i. H. v. 3000 DM = 1.2.1.2. Auswirkungen des Bezugs pflegefalltypischer Sozialleistungen, insbesondere einer Grundrente nach dem BVG Fraglich ist, welchen Einfluß Sozialleistungen auf die Unterhaltsbemessung ha- ben, die im Blick auf die Pflegebedürftigkeit gewährt werden. Auch an dieser Stel- le sollen Sozialleistungen in den Blick genommen werden, die wie die Grundrente nach dem BVG abstrakt nach dem Grad der Behinderung bemessen werden und daher den konkreten Mehraufwand übersteigen können. 1.2.1.2.1. Rechtslage vor Inkrafttreten des § 1578a BGB Zunächst soll die Rechtslage vor Inkrafttreten des "Gesetzes zur unterhalts- rechtlichen Berechnung von Aufwendungen für Körper- und Gesundheitsschä- den" untersucht werden. Beispiel 126) : K ist Kriegsbeschädigter. Er bezieht wie schon während der Ehe mit seiner früheren Ehe- frau B Grundrente, Pflegezulage und Schwerstbeschädigtenzulage i. H. v. insgesamt 1100 DM. Ferner bezieht er eine Rente in H. v. 1400 DM, die aus der Zeit vor der Ehe stammt. Sein behinderungsbedingter Mehrbedarf beträgt 800 DM. Seine frühere Ehefrau B hat kein Einkommen. Der Bezug der pauschal bemessenen Sozialleistungen bewirkt in diesem Bei- spiel, in dem der Unterhaltsschuldner die Sozialleistung bezieht, zum einen, daß die für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Mittel nicht 26) Der Fall lehnt sich an BGH FamRZ 1981, 1165 an. 140 Unterhaltsrechtlicher Teil 1400 DM Rente + 1100 DM Versorgungsbezüge 2500 DM - 800 DM Mehrbedarf 1700 DM abzüglich für den behinderungsbedingten Mehrbedarf verwendet werden müssen, da dieser voll aus den Sozialleistungen gedeckt werden kann. Dank der Grundrente nebst Zuschlägen führt der Pflegebedarf im Fall nicht zu einer Einschränkung der Un- terhaltserwartungen der B. Es ergibt sich die Folgefrage, ob der Übersehuß, um den die Sozialleistungen den Mehrbedarf übersteigen, als Einkommen anzusehen ist, das in der Ehe für den allgemeinen Lebensunterhalt zur Verfügung stand. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist der Überschuß bei der Unter- haltsbemessung als Einkommen zu berücksichtigen, wobei die Höhe des vorweg abzusetzenden Mehrbedarfs gemäß § 287 ZPO - und zwar im Blick auf die auch immaterielle Zweckbestimmung der Grundrente großzügig - geschätzt werden kann-"). Im Beispiel ist danach der Unterhaltsbedarf der nicht pflegebedürftigen B wie folgt zu berechnen: Einkommen K: Hiervon steht B die Hälfte zu, da es sich nicht um Erwerbseinkommen handelt: 850 DM. Bezieht umgekehrt ein pflegebedürftiger potentieller Unterhaltsgläubiger die Sozialleistungen, erübrigt sich eine Aufstockung des Quotenunterhalts um einen Betrag für den Pflegeaufwand. Beispiel 2: Der pflegebedürftige M bezieht Grundrente nebst Zuschlägen i. H. v. 1100 DM. Sein Mehrbedarf beträgt 800 DM. Seine frühere Ehefrau F, die schon während der Ehe er- werbstätig war, hat ein Einkommen von 3000 DM netto. Für den allgemeinen Lebensunterhalt standen in der Ehe 3000 DM sowie 300 DM überschüssige Sozialleistung zur Verfügung. Der Pflegebedarf war durch die Sozialleistung gedeckt. Der eheangemessene Bedarf ist wie folgt zu berechnen: Bedarf M: 3000 DM x 3/7 = 1285 DM 300 DM x 1/2 = + 150 DM 1435 DM Bedarf F: 3000 DM x 4/7 = 1714 DM 300 DM x 1/2 = + 150 DM 1864 DM Beanspruchen kann M von F 1435 DM - 300 DM = 1135 DM. 27) BGH FamRZ 1981, 1165 (1166); vgl. schon oben Kapitel 5 sub 2.1.3.1.b (S. 118 f). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 1.2.1.2.2. Rechtslage seit Inkrafttreten des § 1578a BGB 141 Das "Gesetz zur unterhaltsrechtlichen Berechnung von Aufwendungen für Körper- oder Gesundheitsschäden'"), In Literatur und Rechtsprechung finden sich vereinzelte Stellungnahmen, die sich in den Fällen fruchtbar machen lassen, in denen ein Ehegatte schon während der Ehe pflegebedürftig war: Hahne hat die Anwendung des § 1578 I 2 BGB für möglich gehalten, wenn die Krankheit schon vor der Ehe vorhanden war 55). Auch 5t a) Vgl. Erman/Dieckmann, § 1573, Rdnr. 61. 52) BGH FamRZ 1986, 886 (888). 53) BT-Drs 10/2888, 19. 54) BT-Drs 10/2888, 18 f. 54a) Siehe auch Erman/Dieckmann, § 1578, Rdnr. 37. 55) Hahne, FamRZ 1986, 305 ( 308; sub e, am Endc). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 151 der BGH hat in einem Fall, in dem es um Unterhalt nach § 1572 Nr. 1 BGB ging56), im Rahmen der nach § 1578 12 vorgesehenen Abwägung den Vortrag der früheren Ehefrau für erheblich gehalten, wonach sie auf Wunsch ihres früheren Ehemannes "beim Bau des späteren Familienheimes mitgeholfen und sich dabei durch Heben schwerer Last und Arbeiten 'über Kopf' ein schweres Rückenleiden zugezogen habe. Auch ihre Schilddrüsenerkrankung habe sich dadurch verschlim- mert."56a) Gegenüber Unterhalt nach § 1572 BGB kommt demzufolge eine Kürzung nicht in Frage, wenn das während der Ehe erworbene Leiden mit der Ehe zusam- menhängt. Umgekehrt ist eine Kürzung möglich, wenn kein Zusammenhang mit der Ehe festzustellen ist, sei es daß die Pflegebedürftigkeit schon vor der Ehe- schließung vorhanden war, sei es daß sie während der Ehe aus eheunabhängigen Gründen eingetreten ist. Vorstellen könnte man sich insbesondere, daß in solchen Fällen nach einer Übergangszeit der Bedarf um den besonderen Pflegeaufwand bereinigt wird, so daß als "angemessener Lebensunterhalt" maximal der allgemeine Lebensunterhalt nach dem Standard der ehelichen Lebensverhältnisse übrig bleibt. Beispiel: Ehefrau F ist von Jugend an querschnittsgelähmt und pflegebedürftig. Die Pflege wird durch professionelle Pflegekräfte erbracht, für die die Eheleute im Monat 1000 DM auf- wenden. Ehemann M verdient 4000 DM netto. Die Ehe wird geschieden. Der eheangemessene Bedarf für F beträgt57) : 1000 DM x 6/7 = 857 DM 3000 DM x 3/7 = + 1285 DM 2142 DM Ohne die Pflegebedürftigkeit wäre angemessen ein Bedarf von 4000 DM x 3/7 = 1717 DM. Da die Pflegebedürftigkeit keinerlei Zusammenhang mit der Ehe hat, kommt nach einer Übergangszeit eine Kürzung auf diesen Betrag in Frage. Damit ist freilich nicht gesagt, daß eine weitere Kürzung ausgeschlossen wäre. Die Frage ist m. E. unabhängig von der Pflegebedürftigkeit insbesondere unter Beachtung der im Gesetz angesprochenen Gesichtspunkte zu beurteilen. Zu bedenken bleibt die Gruppe der Fälle, in denen die Pflegebedürftigkeit erst nach der Scheidung eintritt. Abgesehen von dem Sonderfall, daß Auslöser ein in der Ehe wurzelndes Leiden ist, besteht auch in diesen Fällen kein Zusammenhang zwischen Ehe und Pflege- bedürftigkeit, so daß eine Kürzung des Unterhalts nach § 1578 I 2 BGB nicht aus- geschlossen sein kann. Eine Bereinigung des Unterhalts um "Pflegebedarfsbe- standteile" wie im soeben gegebenen Beispiel erübrigt sich freilich, da die nachehe- 56) BGH FamRZ 1986, 886 (888). 563 ) Zustimmend ErmanlDieckmann, § 1578, Rdnr. 56. 57) Vgl. in diesem Kapitel sub 1.2.1.1 (5. 137 ff). 152 Unterhaltsrechtlicher Teil 1720 DM -245 DM 1475 DM liehe Pflegebedürftigkeit nicht zu einer Erhöhung des Bedarfs führt57a) . Anderer- seits steht die nach eheliche Pflegebedürftigkeit einer Kürzung des Unterhalts et- wa wegen relativer Kürze und Kinderlosigkeit der Ehe nicht im Wege. 4.3. § 1579 Nr. 7 BGB Nach § 1579 Nr. 7 BGB ist ein Unterhaltsanspruch zu versagen, herabzusetzen oder zeitlich zu begrenzen, wenn die Inanspruchnahme des Verpflichteten unter Wahrung von Kindesbelangen grob unbillig wäre, weil "ein anderer Grund vor- liegt, der ebenso schwer wiegt, wie die in den Nummern 1 bis 6 aufgeführten Gründe". Dieser Unterfall der sogenannten "negativen Härteklausel" entspricht nach dem Wortlaut seines Tatbestandes § 1579 I Nr. 4 BGB i. d. F. vor dem Un- terhaltsrechtsänderungsgesetz. Dies Gesetz hat als zusätzliche Unterfälle die ver- haltensbezogenen Nummern 4 bis 6 eingeführt, so daß für den Auffangstatbe- stand der Nummer 7 vornehmlich zustandsbezogene, objektive Umstände be- deutsam sind58) • Als derartiger Umstand kommt die Dauerbelastung des Schuldners bei Pflege- bedürftigkeit des Unterhaltsgläubigers in Betracht, wobei wieder danach zu unter- scheiden ist, ob die Pflegebedürftigkeit vor oder nach der Scheidung aufgetreten ist. 4.3.1. Anwendung des § 1579 Nr. 7 BGB bei Pflegebedürftig- keit vor der Scheidung Mit dieser Fallgruppe hat sich die Rechtsprechung bisweilen befaßt: a) Das aLG Cellehat in dem in Kapitel 2 dargestellten Fall>") zunächst die Un- terhaltsberechnung des AG gebilligt, das den beantragten Betrag von 570 DM zu- gesprochen hatte. Die zugrundeliegende Berechnung dürfte folgendermaßen aus- gesehen haben: Einkommen des Mannes: Abzug 1/7 Differenz der beiden Einkommen: 1475 DM -200 DM 1275 DM x 1/2 = 637 DM. F konnte 637 DM Unterhalt beanspruchen, daher auf jeden Fall die beantragten 570 DM. Zu beachten ist, daß in die Bedarfsberechnung keine besonderen Pflege- 57a) Vgl. in diesem Kapitel sub 1.2.2 (S. 141 ff). 58) Erman/Dieckmann, § 1579, Rdnr. 26. 59) Sub 3.2.1. (S. 26); FamRZ 1986,910. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 153 kosten eingegangen sind. Im Anschluß hat das OLG den Unterhaltsanspruch der behinderten früheren Ehefrau nach gut vier Jahren abbrechen lassen. Es hat zu- nächst die Voraussetzungen der Nummern 1 und 6 des § 1579 BGB als nicht gege- ben betrachtet und stützt anschließend die zeitliche Begrenzung auf die Nummer 7. Es betont zunächst-"), auch rein objektive, nicht vorwerfbare Umstände könn- ten das Urteil "grob unbillig" begründen. Es verweist dann auf die wirtschaftlich beengte Lage des Beklagten, der den Unterhalt nur unter Beeinträchtigung seines notwendigen Selbstbehaltes finanzieren könnest}. Die Unterhaltslast würde dem Beklagten jede Aussicht auf eine Normalisierung seiner wirtschaftlichen Lage nehmen. Der Senat betrachtet die Belastung des Beklagten ab Ablauf des Jahres 1988 als unzumutbar. Die schicksalhafte weitere Unterhaltsbedürftigkeit der Klägerin, für die nicht sie, aber auch nicht der Beklagte verantwortlich sei, müsse dann von der Familie und von der Allgemeinheit getragen werden, wie es ohnehin schon über- wiegend geschehe. Für die zeitliche Begrenzung spreche schließlich, daß trotz der schweren Belastung des Beklagten durch den Unterhalt der Bedarf der Klägerin nicht annähernd gedeckt werden könne. Voelskow hat den Standpunkt des OLG Celle kritisiert'<). Die Auffangklausel der Nr, 7 dürfe nicht dazu dienen, die Grenzen der Härtetatbestände der Num- mern 1 bis 6 zu überspielen. Diese Kritik trifft freilich die Ausführungen des aLG nicht. Man braucht nicht einmal auf die problematische Bestimmung des Verhältnisses der Auffangklausel zu den anderen Härtegründen einzugehen-"). Das OLG verwertet bei seiner Abwägung nach Nummer 7 nämlich Umstände (wirtschaftliche Lage des Beklagten, Belastung durch den Unterhalt, bloßer Zu- schußcharakter des Unterhalts), die offensichtlich nicht dem Einzugsbereich der anderen Härtegründe zugeordnet werden können, so daß eine Umgehung dieser Gründe nicht in Rede steht. b) Ähnlich hat das OLG Hamm entschieden-'): Die Parteien hatten am 6.2.1981 geheiratet, während der Mann (Bekl.) eine längere Haft- strafe verbüßte. Nach seiner Entlassung lebten sie bis zum 7.7.1985 zusammen. Am 15.7.1985 fand er eine Arbeitsstelle. In der Zeit ab Juni 1986 verdiente er dort 1835 DM netto65) . Die Frau (Kl.) ist von Geburt an körperbehindert und an den Rollstuhl gefesselt. Sie kann keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Sie bezog schon während der Ehe Schwerst- 60) Ebd, 912. 61) Dieser Umstand, den das Ol.G Düsseldor[ als nicht nachvollziehbar ansieht (FamRZ 1987, 595 [597]), ist offenbar damit zu erklären, daß nach Auffassung des Ol.G Celle die angenommene Leistungsfähigkeit des Beklagten zum Teil auf fiktiven Einkünften beruhte. 62) JohannsenIHenrich/Voelskow, § 1579, Rdnr. 14. 63) Vgl. dazu Dieckmann, FamRZ 1987,981 (985 f) sowie EnnanlDieckmann, § 1579, Rdnr. 28 a. 64) oi.c Hamm, FamRZ 1987, 1151. 65) Vgl. die Berechnung oben in diesem Kapitel sub 2.b (S. 145). 154 Unterhaltsrechtlicher Teil pflegegeld nach § 69 IV 2 i. V. m. § 24 11 1 BSHG i. H. v. monatlich 771 DM. Konkreten Mehrbedarf infolge der Pflegebedürftigkeit hat die Kl. nicht dargelegt. Die kinderlose Ehe wurde am 18.10.1985 geschieden. Das FamG hat den Bekl. zeitlich un- begrenzt zur Zahlung von Unterhalt verurteilt (ab Juni 1986: 456,47 DM). Das OLe Hamm hat die Unterhaltspflicht zeitlich begrenzt auf die Dauer von fünf Jahren ab Rechtskraft des Scheidungsurteils (also bis 1990). Zunächst hat das aLG den Unterhaltsbedarf der Kl. für die Zeit ab Juni 1986 mit Hilfe der Differenzmethode auf 456 DM beziffert. Im Anschluß ordnet es die vier Jahre und acht Monate währende Ehe nicht als kurz im Sinne des § 1579 Nr. 1 BGB ein. Schließlich zieht es die Auffangklausel heran. Die Parteien hätten nur neun Mo- nate zusammengelebt, so daß ein Aufeinandereinstellen der Lebenspositionen in wechselseitiger Abhängigkeit nicht möglich gewesen sei. Bedeutsam sei ferner, daß die Kl. schon vor der Eheschließung behindert und erwerbsunfähig gewesen sei. Dieser Umstand sei jedenfalls bei sehr kurzer Zeit des ehelichen Zusammenle- bens im Rahmen der Billigkeitserwägungen nach Nr. 7 zu beachten. Der Senat hielt es nicht für billig, den Bekl. angesichts dieser Umstände auf un- absehbare Zeit zu belasten. Im Jahr 1987 war die Kl. nämlich erst 31 Jahre alt. Eine solche unbegrenzte Belastung könne aus dem Wesen der Ehe und der nacheheli- chen Solidarität nicht gerechtfertigt werden. Insbesondere würde dies eine even- tuelle zweite Ehe des Bekl, erheblich belasten, der dann nicht in der Lage wäre, al- len Unterhaltspflichten nachzukommen. Abschließend heißt es in dem Urteil'"), der Senat halte es aus diesen Gründen für billig, wenn nach Ablauf eines angemes- senen Zeitraumes die schicksalhafte Unterhaltsbedürftigkeit der Kl., für welche nicht sie, aber auch nicht der Bekl. verantwortlich sei, von der Allgemeinheit ge- tragen werde, wie dies auch ohne die Eheschließung der Fall gewesen wäre. An dieser Entscheidung sah sich der Senat nicht dadurch gehindert, daß zeitli- che Aspekte, die an sich der Nummer 1 zuzuordnen sind, für die Billigkeitserwä- gungen eine Rolle spielten. Gegen dieses Urteil hat der Bekl. Revision mit dem Ziel vollständiger Klagab- weisung eingelegt. Der Revision war kein Erfolg beschiedene"). Obwohl es um die Revision des Beklagten ging, der die Ansicht vertrat, das OLe habe seine Belange unzureichend berücksichtigt, hat der BGH sich zur Abwägung der beiderseitigen Belange der Parteien insgesamt geäußert. Er würdigt diese Abwägung als sorgfäl- tig und umfassend, so daß sie aus Rechtsgründen nicht beanstandet werden kön- ne68) 69). 66) Ebd. 1152. 67) BGH FamRZ 1988, 930. 68) Ebd., 933 (5 b ec), 69) Einen ganz ähnlich gelagerten Fall hat das oi.c Frankfurt nach § 1579 Nr. 1 BGB ge- löst, obwohl die Ehe vier Jahre und 5 Monate gedauert hatte (NJW 1989,3226). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 155 c) Anders ist der in Kapitel 270) geschilderte .Selbströtungsversuchsfall" ausge- gangen"). Dort hatte freilich die Ehe länger gedauert, die Einkommensverhältnis- se der beklagten früheren Ehefrau waren nicht außerordentlich beengt und es ging nur um einen Betrag von 153 DM. Das aLG Karlsruhe hatte in diesem Fall § 1579 Nr. 7 BGB nicht für anwendbar gehalten72) . Die Inanspruchnahme der Beklagten sei nicht objektiv unzumutbar, da es dem Wesen der Ehe als einer Lebens- und Schicksalsgemeinschaft und dem daraus folgenden Gebot nachehelicher Solidari- tät entspreche, daß das Schicksal eines in Not geratenen Partners mitgetragen werden müsse, auch wenn den Schuldner keine wie auch immer geartete Mit- schuld an der Notlage treffe. Überdies sei die Belastung der Bekl. mit 153 DM p. m. angesichts ihrer ausreichenden wirtschaftlichen Verhältnisse nicht grob un- billig. Der BGH hat diese Ausführungen nicht beanstandet/I) 74). d) Den unter a und b angesprochenen Entscheidungen/t-) liegt als letztlich tragend die Erwägung zugrunde, daß es schicksalsbedingte Lasten gibt, die grundsätzlich in die Verantwortlichkeit einer größeren Solidargemeinschaft fallen sollten. Eine Be- hinderung wird dann als schicksalsbedingt angesehen, wenn keine der Parteien für die Unterhaltsbedürftigkeit verantwortlich ist, wenn also insbesondere kein Zusam- menhang mit der Ehe besteht. An diesem Zusammenhang fehlte es in beiden Fällen. Gleichwohl sahen sich die Gerichte nicht einer genauen Einzelfallprüfung enthoben, um die ,,grobe U nbilligkeit" der Inanspruchnahme festzustellen. aa) Zum einen wird die wirtschaftliche Lage des Pflichtigen untersucht. Im Fall des aLG Celle hatte freilich die besonders prekäre Lage des Beklagten, der "zur Aufbringung des Unterhalts .... ohne Beeinträchtigung seines notwendigen Selbstbehalts nicht in der Lage" war"), ihren Grund in der Anrechnung fiktiver Einkünfte beim Beklagten: Das aLG hatte bei der Bestimmung des Bedarfs und bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit nicht die erzielten sondern die erzielba- ren Einkünfte zugrundegelegt. Der Beklagte hatte offenbar?") gegen seine Er- 70) Sub 3.2.2. (S. 27); BGH NJW - RR 1989, 1218. 71) Vgl. etwa auch den Fall des aLG Nürnberg, FamRZ 1981,946, wo § 1579 nicht einmal angesprochen wird. 72) Berichtet in der Revisionsentscheidung unter 11 3 1 (S. 1220). 73) NJW-RR 1989, 1218 (1220, unter 11 3 b). 74) Nicht unmittelbar einschlägig, aber den angesprochenen Urteilen nahestehend: OLG Düsseldorj FamRZ 1987, 487: § 1579 Nr. 7 anwendbar, wenn Erwerbsunfähigkeit auf Gewalttat (versuchter Totschlag) des neuen Partners beruht. 74a) Diesen Entscheidungen ähnelt das Urteil des AG Rastatt, FamRZ 1991, 824 (nicht rechtskräftig), in dem in einem Fall schon vorehelich vorhandener Krankheit unter sorg- fältiger Abwägung verschiedener Umstände der Unterhalt gemäß § 1579 Nr. 7 BGB auf eine Zeit begrenzt wurde, die der Zeit von der Eheschließung bis zur Trennung ent- sprach. Ebenso aLG Oldenburg FamRZ 1991, 827 (828). 75) OLG Celle FamRZ 1986,910 (912). 76) Die Urteilsgründe sind insoweit nicht veröffentlicht. 156 Unterhaltsrechtlicher Teil werbsobliegenheiten verstoßen. Die so erzeugte besondere Notlage des Beklagten wollte das OLG nicht auf unabsehbare Zukunft fortschreiben. bb) Auf seiten des Berechtigten erweist sich als bedeutsam, inwieweit der Un- terhalt bloßen Zuschußcharakter hat. Der Unterhaltsanspruch wird tendenziell als weniger berechtigt angesehen, wenn de~ Berechtigten ohnehin der "Gang zum Sozialamt" nicht erspart bleibt. Außer wirtschaftlichen Erwägungen spielt auch die Dauer der Ehe in der Weise eine Rolle, daß lange Dauer der Ehe gegen eine Anwendung der Härteklausel spricht. Das OLG Hamm hat dies ausdrücklich be- tont?"). Das OLG Celle äußert sich nicht, hatte aber über den Fall einer gerade nicht mehr kurzen Ehe zu entscheiden. Bei der Abwägung im Selbsttötungsver- suchsfall hat wahrscheinlich die etwas längere Dauer der Ehe (wohl mindestens fünf Jahre) das Klima bestimmt. Die Dauer der Ehe derart als Hindernis für den Einsatz des Auffangtatbestan- des anzusehen, ist m. E. fragwürdig: Wird eine Ehe, in der ein Partner jahrelang pflegebedürftig war, nach langer Dauer (z.B. nach zehn Jahren) geschieden, war die Ehe einer besonderen, u. U. sehr schwer erträglichen Belastung ausgesetzt. Der nicht behinderte Partner wird dann selbst i. d. R. mit zur Pflege beigetragen haben. Man kann sich gut vorstellen, daß gerade diese Belastung Ehen zum Schei- tern bringen kann. Angesichts dessen besteht gerade nach langer Ehedauer erst recht kein Grund, die nacheheliche Solidarität besonders zu betonen. Zur Härteklausel nach § 91 III 1 BSHG wurde oben dargelegt, daß die weitere Inanspruchnahme eines U nter- haItspflichtigen i. d. R. dann als zu hart erscheint, wenn dieser während längerer Zeit Pflegeleistungen erbracht hat und damit verbundene sonstige Nachteile in Kauf nehmen mußte?"), Man sollte diese Wertung auch im Rahmen des Billig- keitsurteils nach § 1579 Nr. 7 BGB beachten. Nur dann vermeidet man auch einen weiteren Widerspruch: Hat der (potentiell) Berechtigte nämlich einen pflegebe- dürftigen Verpflichteten während der Ehe länger gepflegt, wird sein Unterhaltsan- spruch gegen Kürzungsmöglichkeiten abgeschirmt 79) , die vorgängige Pflege also honoriert. Konsequenterweise muß man es dann auch honorieren, wenn der' Ver- pflichtete während der Ehe besonderen Belastungen ausgesetzt war. cc) Zu beachten ist, daß in beiden Fällen der Unterhalt nicht wegen der Pflege- bedürftigkeit besonders hoch ausgefallen war. Es war vielmehr jeweils der nach allgemeinen Grundsätzen errechnete U nterhalt eingeklagt worden, ohne daß Mehrbedarf infolge der Pflegebedürftigkeit behauptet wurde. Enthält der Unterhaltsanspruch demgegenüber "Pflegebestandteile", kann man dies zum Anlaß nehmen, den Unterhalt nach einer Übergangszeit nach § 1578 12 77) aLG Hamm, FamRZ 1987, 1151 (1152). 78) Vgl Kapitel 4 sub 2.1.5.2.2.1 (5. 84 f). 79) BT-Drs 10/2888, 18: Hahne FamRZ 1986,305 (306, bei Fn. 16). Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 157 BGB zu bereinigen, wenn die Pflegebedürftigkeit nicht mit der Ehe zusammen- hängt??"). Man kann aber auch, falls noch sonstige Umstände die Wertung, eine Inanspruchnahme sei grobunbillig, gestatten, den Kürzungsweg über § 1579 Nr. 7 BGB wählen. Soweit es um "Pflegebestandteile" geht, ist m. E. auch die Schwelle zur "groben U nbilligkeit" schneller erreicht, als wenn nur allgemeiner Unterhalt in Rede steht. 4.3.2. Einsatz des § 1579 Nr. 7 BGB bei nachehelicher Pflegebedürftigkeit Tritt die Pflegebedürftigkeit erst nach der Scheidung ein, kann sie einen An- spruch auf Betreuungs-, Erwerbslosigkeits- oder Ausbildungsunterhalt umschla- gen lassen in einen Anspruch auf Anschlußkrankheitsunterhalt nach § 1572 Nr. 2 bis 4 BGB. Die Pflegebedürftigkeit vermag dann zwar nicht den an den ehelichen Lebensverhältnissen zu bemessenden Unterhalt um "Pflegeanteile" zu erhöhen. Gleichwohl sind Fälle denkbar, in denen es gerade die Pflegebedürftigkeit ist, die den Unterhalt zu einer fragwürdigen Dauerbelastung des Schuldners werden läßt. Beispiel: Mund F führen eine "Hausfrauenehe". M verdient 4000 DM (netto). Nach der Schei- dung findet F zunächst keinen Arbeitsplatz und erhält daher Unterhalt nach § 1573 I BGB. Fs Unterhaltsanspruch, der sich auf 1714 DM beläuft79b) , wird gemäß § 1573 V BGB auf die Dauer von 4 Jahren begrenzt. Zwei Monate vor Ablauf dieser Frist erleidet F einen Unfall, der zu einem schweren organischen Hirnschaden führt. F muß in einem Heim untergebracht werden. Dadurch entstehen Kosten i. H. v. 2500 DM pro Monat. Nunmehr kann F gemäß § 1572 Nr. 4 BGB Unterhalt in gleichbleibender Höhe verlangen. Gegenüber dem auf § 1572 Nr. 4 BGB gestützten Anspruch kann sich die gemäß § 1573 V BGB gesetzte zeitliche Begrenzung nicht mehr durchsetzen. Wäre demge- genüber der Unfall erst nach Ablauf der Zeitbegrenzung eingetreten, hätte diese Grenze auch den Weg zu einem Anschlußunterhalt nach § 1572 Nr. 4 BGB ver- stellt 79C) • M. E. kann es auch im Beispielsfall grob unbillig sein, wenn der Unterhalts- schuldner der Dauerbelastung eines zeitlich unbegrenzten Anschluß-Krankheits- unterhalts ausgesetzt wäre, zumal vermutlich ohnehin der Sozialhilfeträger die Differenz zwischen Heimkosten und Anschlußunterhalt tragen muß. Ferner ist auch in dieser Konstellation das Merkmal der "groben Unbilligkeit" ein zulässiges Einfallstor für die Wertung, daß die Lasten bei langwährender Pflegebedürftigkeit gerechterweise auf viele Schultern verteilt werden sollten. Im Unterbleiben einer Lastenstreuung kann man dementsprechend einen Härtegrund erblicken, der 79a) Vgl. dazu in diesem Kapitel sub 4.2. (5. 150 ff). 79b) Vgl. die Berechnung in diesem Kapitel sub 1.2.2. (Beisp. 1) (5. 141). 79C) Vgl. dazu schon in diesem Kapitel sub 4.1. (5. 149 f). 158 Unterhaltsrechtlicher Teil nicht im Verhalten des Gläubigers gründet, sondern als "objektiver Umstand" die Inanspruchnahme des Schuldners als grob unbillig erscheinen lassen kann/?"), Dieser Gedanke gewinnt umso größeres Gewicht, wenn die Pflegebedürftigkeit wie im Beispielsfall einen auslaufenden Unterhaltsanspruch zu einem unbegrenz- ten Anspruch erstarken läßt7ge) . Man sollte daher im Beispielfall - vielleicht nach einer gewissen Übergangszeit - die Inanspruchnahme des M als grob unbillig an- sehen und den Unterhaltsanspruch nach § 1579 Nr. 7 BGB enden lassen. Die Vorschrift erweist sich mithin als ein Mittel, Unterhaltsschuldner u. U. vor "Pflegebedürftigkeitsanschlußunterhalt" zu bewahren. 4.3.3. Verlagerung der Unterhaltslast wegen Anwendung der Härteklausel Ein Problem wirft schließlich die Frage auf, zu wessen Nachteil die Entlastung des früheren Ehegatten ausgeht: Der frühere Ehegatte haftet gemäß § 1584 S 1 BGB vor den Verwandten des Berechtigten. Schneidet § 1579 Nr. 7 BGB in einer Pflegekonstellation den An- spruch ab, kommt der Unterhaltsanspruch gegen die eventuell vorhandenen Ver- wandten zur Geltung. Erst wenn von Verwandten kein Unterhalt beansprucht werden kann, kommt der Sozialhilfeträger zum Zuge. Fraglich ist aber, ob die Verlagerung der Unterhaltslast auf die Verwandten durch den Rechtsgedanken des § 1611 111 BGB behindert ist. Nach dieser Vor- schrift kann ein Bedürftiger, dessen Unterhalt nach § 1611 I BGB beschränkt ist, wegen des Ausfalls nicht andere Unterhaltspflichtige in Anspruch nehmen. Ver- schiedentlich wird die Ansicht vertreten, diese Vorschrift sei im Rahmen des § 1579 BGB in gewissem Umfang entsprechend anzuwenden'P) . Im Blick auf den Zweck des § 1611 111 BGB kann freilich nur eine begrenzte Analogie in Frage kommen: § 1611 I BGB sanktioniert schuldhafte Verfehlungen des Bedürftigen. Die Sperre des Absatz 3 will verhindern, daß diese Sanktion zum Nachteil anderer Verwandter leer läuft81) . Dementsprechend kommt eine Analogie der Vorschrift nur insoweit in Frage, als § 1579 BGB Verfehlungen des Bedürftigen sanktioniert. Soweit die Beschränkung an rein objektive Umstände anknüpft, scheidet eine Analogie aus82) . Führt Pflegebedürftigkeit zu einer Unterhaltsbeschränkung über 79d) Vgl. schon oben sub 4.3.(am Anfang) (5. 152). 79C) Diese Überlegung läßt sich - in abgeschwächter Form - auch auf Anschlußunterhalt übertragen, der an Betreuungs- oder Ausbildungsunterhalt anschließt: Betreuungs- und Ausbildungsunterhalt sind gewissermaßen kraft "Natur der Sache" zeitlich begrenzt, so daß auch hier ein eventueller Pflegeanschlußunterhalt eine zeitliche Grenze entwertet. 80) Palandt/Diedericbsen, § 1578, Anm. 1 c, Rdnr. 4.; ErmanlDickmann, § 1584, Rdnr. 6, SoergellHäberle, § 1584, Rdnr. 7. 81) Beckmann, FamRZ 1983, 863 (865). 82) Beckmann, FamRZ 1983,863 (865); ErmanlDieckmann, § 1584, Rdnr. 6; Soergel/Hdber- le, § 1584, Rdnr. 7. Ansprüche Pflegebedürftiger gegen frühere Ehegatten 159 § 1579 Nr. 7 BGB, handelt es sich um rein objektive Umstände. Dementspre- chend paßt eine Unterhaltssperre nach Art des § 1611 111 BGB nicht83) . Den von der Pflegelast bedrohten Verwandten helfen freilich u. U. andere Mit- tel, etwa ein mit Rücksicht auf die Pflegebedürftigkeit erhöhter Selbstbehalt. 5. Analoge Anwendung von § 1579 Nr. 7 BGB im Recht des Verwandtenunterhaltes ? Zu überlegen bleibt, ob schicksalsbedingte Belastungen im Zusammenhang mit weiteren Umständen auch im Recht des Verwandtenunterhaltes zur Herabset- zung von Unterhaltsansprüchen führen können. Auch das Verwandtenunterhaltsrecht enthält mit § 1611 BGB84) eine negative Billigkeitsklausel, die sogar schon vor der Schwelle der "groben U nbilligkeit" an- setzt. Freilich zählt die Vorschrift drei "Verwirkungsfälle" auf, die an das Verhal- ten des Unterhaltsberechtigten anknüpfen'"). Ein Auffangtatbestand fehlt im U n- terschied zu § 1579 BGB. Es ginge m. E. zu weit, die akzentuiert unterschiedliche Ausgestaltung der Vorschriften durch Analogiedenken zu überspielen und § 1611 BGB auch für rein objektive Umstände nutzbar zu machen. Dem entspricht es, daß die Rechtsprechung § 1611 BGB als abschließende Sondervorschrift auffaßt86) . 6. Art der Bedarfsbefriedigung Für den nachehelichen Unterhalt folgt aus § 1585 I 1 BGB, daß er durch Zah- lung einer Geldrente zu gewähren ist. Trotz der viel betonten "nachehelichen Soli- darität" ist noch niemand auf die Idee gekommen, es sei gleichwohl Naturalpflege geschuldet. 7. Fazit Es hat sich gezeigt, daß im Recht des Geschiedenenunterhalts die Belastung mit Pflegekosten von vorneherein nicht derart brisant ist, wie im Recht des Verwand- tenunterhalts. Das liegt zum einen an der Art der Bestimmung des unterhaltsbe- achtlichen Bedarfs, der an den ehelichen Lebensverhältnissen ausgerichtet ist. Zum anderen können dem Pflichtigen die Kürzungsmöglichkeiten der §§ 1578 I 2, 1579 Nr. 7 BGB helfen. 83) Aus diesem Grund verbietet es sich auch, eine Unterhaltssperre nach Art des § 1611 111 BGB zu erwägen, wenn der Unterhaltsanspruch über § 1578 12 BGB um Pflegebestand- teile bereinigt ist. 84) In der Fassung des NEG. 85) Vgl. AG Germersheim, FamRZ 1990,1387. 86) BGHZ 83, 123 ( 133); BGH FamRZ 1988, 159 (160). Teil D: Sozialhilferechtliche Schutzvorschriften und Unterhaltsrecht Kapitel 7: Ausstrahlung In Teil C wurde untersucht, unter welchen unterhaltsrechtlichen Vorausset- zungen Angehörige bei Pflegebedürftigkeit herangezogen werden können und welche Möglichkeiten bestehen, Unterhaltsschuldner vor der Inanspruchnahme zu schützen. Bei dieser Untersuchung blieben eventuell bestehende Ansprüche des Pflegebedürftigen auf Hilfe zur Pflege nach dem BSHG außer Betracht. Leit- gedanke der Untersuchung war, daß langwährende Pflegebedürftigkeit ein Le- bensrisiko darstellt, dessen Bewältigung grundsätzlich in den Verantwortungsbe- reich der Gesellschaft fällt. In Teil B wurde dargelegt, daß das Rückgriffsrecht des BSHG verschiedene Re- geln enthält, mit denen ausdrücklich schon von Gesetzes wegen Unterhalts- schuldnern Erleichterung verschafft werden soll. Greift eines der verschiedenen Regreßhindernisse, erübrigen sich weitere unterhaltsrechtliche Überlegungen. Die Regreßhindernisse können freilich - jedenfalls auf den ersten Blick - nur zum Zu- ge kommen, wenn der Pflegebedürftige den Sozialhilfeträger um Hilfe angegan- gen hat. Es kann aber auch sein, daß der Pflegebedürftige sich nur an potentielle Unterhaltsschuldner wendet, obwohl bei einer Inanspruchnahme des Sozialhilfe- trägers diesem der Rückgriff abgeschnitten wäre. Solches Verhalten kann auf U n- kennmis, auf grundsätzlicher Skepsis gegenüber der Inanspruchnahme der Sozial- hilfe oder auf einer Anregung des Sozialhilfeträgers beruhen, dem es darum geht, sich finanzielle Entlastung zu verschaffen. Es fragt sich nun, ob die Möglichkeit, Hilfe zur Pflege in Anspruch zu nehmen, deretwegen kein Rückgriff möglich wäre, einer Inanspruchnahme kraft U nter- haltsrechts entgegensteht. Eine solche Auswirkung sozialhilferechtlicher Rückgriffshindernisse wird unter dem Stichwort der "Ausstrahlung" diskutiert. Die Problematik wurde insbesonde- re nach dem Inkrafttreten des § 91 I 1 BSHG i. d. F. des Dritten Änderungsgeset- 162 Sozialhilferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht zes zum BSHG1) erörtert, wonach ein Rückgriff gegenüber entfernteren Ver- wandten nicht mehr möglich ist. Im folgenden wird zunächst am Beispiel dieses Rückgriffshindernisses der Diskussionsstand aufbereitet. Anschließend wird die Frage untersucht, ob man auch andere schuldnerschützende Rückgriffshindernis- se ausstrahlen lassen sollte. 1. Zur Ausstrahlung des § 91 I 1 BSHG in das Unterhaltsrecht Vergleichsweise unproblematisch ist folgende Konstellation: Ein bedürftiger Großvater erhält Sozialhilfe. Einziger Unterhaltspflichtiger ist sein lei- stungsfähiger Enkel. Wegen § 91 I 1 BSHG kommt eine Überleitung des Unterhaltsan- spruchs nicht in Betracht. Für den Zeitraum, in dem er schon Sozialhilfe erhalten hat, macht der Großvater Unterhalt gegenüber dem Enkel geltend-). Fraglich ist, ob die erhaltene - rückgriffslose ~ Sozialhilfe auf den Bedarf des Großvaters angerechnet wird. Zwar gilt grundsätzlich der familienrechtliche Lehr- satz, daß subsidiäre Sozialleistungen nicht auf den Unterhalt angerechnet wer- den '). Die Anwendung dieses Satzes würde hier aber dazu führen, daß derselbe Bedarf zweimal befriedigt würde, was allgemein als unangemessen betrachtet wird. Dementsprechend wird insoweit eine Ausstrahlung des sozialhilferechtlichen Rückgriffshindernisses anerkannt"). Umstritten ist die Rechtslage, wenn der Großvater sich nicht an den Sozialhil- feträger sondern nur an den Enkel wendet. Nun lautet die Frage: Kann der Enkel den Großvater auf die Möglichkeit verweisen, rückgriffslose Sozialhilfe in An- spruch zu nehmen? t) Gesetz vom 25.3.1974, BGBI I, 777. 2) Vorauszusetzen ist, daß gemäß § 1613 I BGB ausnahmsweise Unterhalt für die Vergan- genheit gefordert werden kann. 3) Vgl. z.B. BGH FamRZ 1984,364 (366); Erman/Dieckmann, § 1577, Rdnr. 8. 4) Kunz, FamRZ 1977, 291 (293 f); Paulus, 289; Göppinger, Rdnr. 207; vgl. auch Weinbren- ner, FamRZ 1963,269 (271) zu § 91 I BSHG a.F. (entspr. § 91 I 2 BSHG); LG Olden- burg, DAVorm 1963, 266 (269) zu § 1708 I a.F.; OLG Hamm FamRZ 1987, 74 zu § 43 BSHG. Anders aber LG Offenburg FamRZ 1984, 307. Ausstrahlung 1.1. Diskussionsstand zum ,,Ausstrahlungsproblem cc 1.1.1. Ausstrahlungsanhänger 163 Die Frage hat zunächst Kunz bejaht"). Paulus hat sie allgemeiner dahin formu- liert, ob die in einem Gesetz angeordnete Subsidiarität einer Sozialleistung auch gegenüber denjenigen Angehörigen gewahrt sei, bei denen weder eine Einkom- mensanrechnung noch eine Überleitung von U nterhaltsansprüchen vorgesehen sei-). Er verneint die Frage und gesteht dem in Anspruch genommenen Angehöri- gen den Einwand zu, den Unterhalt Begehrenden auf die Sozialleistung zu verwei- sen/). Auch sonst hat die Auffassung von Kunz Zustimmung in der Literatur ge- funden"). Paulus hat das Problem nochmals eingehend in seiner Dissertation be- handelt"). Da dies die jüngste und umfassendste Erörterung der Ausstrahlungs- these darstellt, wird hier seine Argumentation wiedergegeben. Ihr Kern besteht in dem von Paulus postulierten Zusammenhang von Subsidia- ritätsgrundsatz einerseits und (Anrechnungs- und) Überleitungsvorschriften an- dererseits. Die Subsidiarität werde durch diese Vorschriften verwirklicht. Fehlten sie, könne der zunächst - in § 2 BSHG oder § 1 BAFöG- proklamierte Grundsatz insoweit nicht verwirklicht werden. Genau betrachtet erweise sich die Subsidiari- tät der Sozialleistung als eingeschränkr'P). Verschiedene Gegenargumente wehrt Paulus ab: Dem Einwand, die zivilrechtliche Unterhaltspflicht könne durch das Sozial- recht nicht verändert werden, hält er entgegen, darum gehe es überhaupt nicht. Es gehe nur um Rückwirkungen, die durch die zivilrechtliche Bedürftigkeitsprüfung vorprogrammiert seien. Auch sonst würden nicht-subsidiäre Sozialleistungen oh- ne weiteres angerechnett"). Mit demselben Argument wehrt er sich gegen den Einwand, die sozialrechtliche Verschonung gelte nur im Verhältnis zwischen dem Unterhaltspflichtigen und dem Sozialhilfeträger'"). Schließlich: Ein Unterhaltsgläubiger könne in der fraglichen Konstellation auch zur Annahme der Sozialhilfe gezwungen werden, da diese hier eben ausnahmswei- 5) Kunz, FamRZ 1977, 291 (294). 6) Paulus, FamRZ 1981,640 (641). 7) Paulus, ebd. 643 f. 8) Simon, 145 (147); Willutzki, 165 (166); Brühl, FamRZ 1982, 13 (14) (unter ausdrückli- cher Aufgabe der in NDV 1963, 305 (310) vertretenen Arglistkonstruktion [Fn.7]); Gernhuber, § 41,114; Schellhorn/Jirasek/Seipp § 91, Rdnr. 24; Künkel, FamRZ 1991, 14 (17); zum Verhältnis Geschiedenenunterhalt/BAföG vgl. die Nachweise bei Paulus, 291 (294). 9) Paulus, 291 - 295. 10) Paulus, FamRZ 1981,640 (642 f); Diss., 290 (291 ff). 11) Paulus, 293. 12) Paulus, 294. 164 Sozialhilferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht se nicht subsidiär sei. Die Inanspruchnahme von Sozialhilfe sei weder entehrend noch unzumutbarl-). 1.1.2. Ausstrahlungsgegner Die Gegenansicht vertreten insbesondere Giese und das Landgericht Offen- burgt4 ) . a) Giese hat mit einem Beitrag in der FamRZ 1982 eine "Ausstrahlungskontro- verse" eröffnet!"). Er meint"}, die Ausstrahlungsthese verkenne das Rangverhältnis zwischen Un- terhaltsrecht und öffentlicher Fürsorge und verweist zunächst auf § 2 BSHG. Nach dieser Vorschrift erhält keine Sozialhilfe, wer sich selbst helfen kann oder wer die Hilfe von anderen erhält (Abs. 1). Verpflichtungen anderer, besonders Unterhaltspflichtiger werden durch das BSHG nicht berührt (Abs. 2). Hierdurch werde ein "qualifizierter Nachrang" der Sozialhilfe begründet, der der Stellung des Sozialhilfeträgers als Letztverpflichtetem im Gesamtsystem der Unterhaltsiche- rung entspreche, mit welcher Stellung wiederum die Vorstellung von Sozialhilfe als rentenähnlicher Dauerleistung nicht vereinbar sei. Diesem Grundmißverständ- nis sei insbesondere Paulus verhaftet. Eine Umgehung des Nachrangs durch Aus- legung lasse sich nur dadurch verhindern, "daß subsidiäre Leistungen oder die Pflicht zum Eintreten mit subsidiären Sozialhilfemitteln grundsätzlich bei der Unterhaltspflicht keine Berücksichtigung finden, weil sonst das gesetzliche Ver- hältnis der Ansprüche zueinander umgekehrt würde"!"). Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 91 I 1 BSHG den Subsidiaritätsgrundsatz nicht ein- schränken wollen, wie sich schon aus dem systematischen Ort der Vorschrift er- gebe. Außerdem werde entgegen der These von Paulus die Subsidiarität nicht nur durch Anrechnung und Überleitung, sondern - in vornehmster Weise - durch - Selbsthilfe verwirklicht, auf die der Sozialhilfeträger den Hilfesuchenden zu ver- weisen habe. 13) Paulus, 294 f. 14) Außerdem: PalandtlDiederichsen, vor § 1601, Anm. 5 b, Rdnr. 21; Soergel/Häberle, § 1601, Rdnr. 10; ebenfalls wohl MüKo - Köhler, § 1601, Rdnr. 2; Schmitt, BayVwBI 1983, 523. 15) Giese FamRZ 1982, 11; Brühl FamRZ 1982, 13; Ullenbruch, FamRZ 1982,664; Giese, FamRZ 1982, 666. 16) Giese, FamRZ 1982 11 ( 12 f). 17) Giese, FamRZ 1982, 11 (13); an dieser Stelle verweist Giese auf eine Entscheidung des BGH zum Nachrang der wiederaufgclebten Witwenrente im Verhältnis zum Unter- haltsanspruch aus der Nachehe: BGH FamRZ 1979,211 (213). Zur Fragwürdigkeit die- ser Rechtsprechung im einzelnen Dieckmann, FamRZ 1987, 231. Ausstrahlung 165 Im zweiten Durchgang der Aussstrahlungsdiskussion in der FamRZ 198218) be- tont Giese verschiedene Unterschiede zwischen Sozialhilfeanspruch und U nter- haltsanspruch und führt dann insbesondere ein verfassungsrechtliches Argument an. Er erachtet den Nachrang der Sozialhilfe als verfassungsrechtlich verwur- zelt!"). Der Nachranggrundsatz, der den Begriff der "öffentlichen Fürsorge" in Art. 74 Nr. 7 GG bestimme, wahre die verfassungsrechtlichen Belange der Allge- meinheit an der Abwehr ungerechtfertigter Anforderungen. Insofern sei nur ein vom Nachrangprinzip geprägtes Sozialhilferecht Bestandteil der verfassungsrecht- lichen Ordnung-"). Zwar habe der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Nach- ranges einen weiten Spielraum. Es könne aber keineswegs aus dem der Regelungs- kompetenz des Art. 74 Nr. 7 zugeordneten Regelungsbereich der öffentlichen Fürsorge in andere Regelungsbereiche (hier in den des Bürgerlichen Rechts nach Art. 74 Nr. 1 GG) dergestalt übergegriffen werden, daß der Umfang der dort an- gesiedelten Rechte und Pflichten vom öffentlichen Nothilferecht her bestimmt werde. Diese müsse auch jede Auslegung gegen sich gelten lassen, die den Umfang der bürgerlich-rechtlichen Unterhaltspflicht vom Fürsorgerecht her festzulegen trachte-t) . Schließlich hat Giese seine Auffassung auf einer Tagung im Jahr 1984 vorgetra- gen22) . Hier hat er die Position eingenommen, die "Ausstrahlungsdiskussion" sei "im Blick auf die Rechtsprechung der für das bürgerliche Unterhaltsrecht zustän- digen Zivilgerichte" entschieden. Der BGH habe nämlich in drei Entscheidun- gen23) allen "Ausstrahlungsspekulationen" eine Absage erteilt. b) Das Landgericht Offenburg hat mit Urteil vom 29.11.1983 den folgenden Fall entschieden-") : Die 10 bzw. 13jährigen Klägerinnen lebten bei ihrer Mutter. Die Ehe der Mutter mit dem Vater der Klägerinnen war geschieden. Der Vater war nicht leistungsfähig. Die Mutter er- hielt für ihre Töchter Sozialhilfe sowie Kindergeld u. a. für die Zeit vom 1.10.1982 bis zum 31.12.1982 je 115 DM, später je 120 DM monatlich. Die Klägerinnen, vertreten durch ihre Mutter, begehrten mit der Klage von dem beklagten Großvater väterlicherseits eine Unterhaltsrente rückwirkend ab 1.10.1982 i. H. v. je 189 DM monatlich. Eine Über- leitung des angeblichen Unterhaltsanspruchs war nicht erfolgt. Das Sozialamt, das von 18) FamRZ 1982, 666; Erwiderung auf Ullenbruch, FamRZ 1982, 664, der die These vom Wahlrecht des Enkels vertreten hat, der vor der Frage steht, ob er seinen Großvater oder den Sozialhilfeträger in Anspruch nehmen soll. 19) Giese, FamRZ 1982, 666 (668); ähnlich wie Giese: Bäumerich, NDV 1988, 97. 20) So erläutert Giese die verfassungsrechtliche Verwurzclung in GottscbickiGiese, § 2 Anm. 1.2. Er weist dabei auf BVerwGE 60, 367 (369) hin, wo freilich das Nachrangprinzip le- diglich - zutreffend - als Bestandteil der verfassungsmäßigen Ordnung bezeichnet und nicht etwa als von der Verfassung geboten gekennzeichnet wird. 21) Giese FamRZ 1982, 666 (668). 22) ArchSozArb 1985,157 (159 u. 161 ff). 23) BGHZ 78, 201 (207); BGH FamRZ 1983, 574; BGH FamRZ 1984, 364. 24) LG Offenburg, FamRZ 1984, 307. 166 Sozialhilferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht dem Verfahren wußte, hatte angekündigt, den ausgeurteilten Betrag auf die Sozialhilfe an- zurechnen. Mit Urteil vom 31.3.1983 wies das Amtsgericht die Klage in Höhe der gezahlten Sozialhil- fe ab und gab ihr im übrigen statt. Die Berufung der Klägerinnen hatte beim LG Offenburg Erfolg. Das Landgericht hat den Standpunkt eingenommen, die Klägerinnen müßten sich die gewährte Sozialhilfe nicht anrechnen lassen. Zur Begründung weist es zunächst auf den Nachrang der Sozialhilfe nach § 2 BSHG hin. Es meint, das Rückgriffsver- bot des § 91 I 1 BSHG habe den Subsidiaritätsgrundsatz nicht eingeschränkt. Eine so gravierende Entscheidung hätte nach seiner Auffassung der Gesetzgeber klarer zum Ausdruck bringen müssen. Es stützt sich auf eine Entscheidung des Bundes- oenoaltungsgericbts-v; sowie auf den Beitrag von Giese, mit dem dieser die Kontro- verse im Jahr 1982 eröffnet hatte25a) . 1.2. Stellungnahme M. E. sollte man es mit Kunz und Paulus dem Schuldner ermöglichen, den Un- terhaltsgläubiger darauf zu verweisen, rückgriffslose Sozialhilfe in Anspruch zu nehmen. Die Argumente der Ausstrahlungsgegner sind nicht überzeugend (a). Auch hat der Bundesgerichtshof die Frage nicht im Sinne der Gegner entschieden, sondern tendiert eher zur Ausstrahlungsthese (b), für die schließlich die besseren Argumente sprechen (c). a)Gegen die Argumente der Ausstrahlungsgegner ist folgendes einzuwenden: aa) Zunächst läßt sich § 2 11 BSHG zwanglos mit der Ausstrahlungsthese ver- einbaren: § 2 Abs. 1 BSHG verweist den Hilfesuchenden auf Selbsthilfe. Soweit die Ver- weisung auf Selbsthilfe reicht, sorgt Abs. 2 dafür, daß der Hilfesuchende auf die- sem Weg zum Erfolg gelangen kann. Im Fall des § 91 I 1 BSHG ist die Verweisung auf Selbsthilfe durch die Träger der Sozialhilfe aber nicht zulässig: Der Schutz des Unterhaltsschuldners, den § 91 I 1 BSHG bezweckt, würde unterlaufen, wenn der Sozialhilfeträger seine Leistung davon abhängig machen würde, daß sich der Hil- fesuchende um seinen Unterhaltsanspruch bemüht. Dies ist ganz herrschende Meinung/"). Ist die Verweisung auf Selbsthilfe aber nicht zulässig, ist es auch nicht erforderlich, dem Bedürftigen den Selbsthilfeweg zu sichern. 25) BVerwG FamRZ 1977,541 (544). Dort heißt es in einem obiter dictum: "Im übrigen hat der mit der Gesetzesnovelle verwirklichte Verzicht auf die Überleitung von bürgerlich- rechtlichen Unterhaltsansprüchen, die einem Hilfeempfänger gegen Verwandte im zweiten oder in einem entfernteren Grade zustehen, die bürgerlich- rechtliche Unter- haltspflicht zwischen solchen Personen .... unberührt gelassen. U 25a) Dem LG Offenburg hat sich jetzt ausdrücklich der für das Schadensrecht zuständige 6. Zivilsenat des BGH angeschlossen (BGH NJW 1992, 115). 26) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 91, Rdnr. 56, 57; Paulus, 286 f mit zahlreichen Nachweisen. A.A. nur Giese, FamRZ 1982, 666 (667): er nimmt sogar eine Verpflichtung zur Verwei- sung auf Selbsthilfe an!. Ausstrahlung 167 bb) Es hilft auch nicht weiter, auf einen fehlenden klaren Willen des Gesetzge- bers in Richtung einer Einschränkung des in § 2 11 BSHG statuierten Nachrang- grundsatzes hinzuweisen. Feststellen läßt sich nur, daß der Gesetzgeber keine un- terhaltsrechtlichen Aussagen machen wollte. Dies Verhalten des Gesetzgebers entspricht seiner Tendenz, die Position des Unterhaltsgläubigers publikumswirk- sam zu verstärken, den Problemen, die sich auf der Schuldnerseite stellen, aber auszuweichen-") . Auf die Wertungsprobleme, die § 91 1 1 n. F. BSHG verursachen würde, hat der Gesetzgeber ausweislich der amtlichen Begründung zum Regierungsentwurf-t) keine Gedanken verwendet, obwohl damals das Ausstrahlungsproblem aus Anlaß des § 91 1 BSHG a. F. schon bekannt war. Der Gesetzgeber hat sich vielmehr of- fenbar der Empfehlung des Deutschen Vereins angeschlossen, wonach die Entla- stung der ferneren Verwandten aus Praktikabilitätsgründen übergangsweise zunächst nur im Sozialhilferecht geregelt werden solltet"), Den Problemen unter Hinweis auf den gleichwohl dauerhaft passiv gebliebenen Gesetzgeber auszuweichen, ist nicht überzeugend - je länger der Gesetzgeber schweigt, desto weniger-?»). cc) Man sollte die Problematik aber auch nicht verfassungsrechtlich hochreizen und den Nachranggrundsatz mit verfassungrechtlicher Würde versehen. M. E. ist der Einwand Gieses nicht stichhaltig, da das Sozialhilferecht in Art. 74 N r. 7 GG, das bürgerliche Recht aber in Art. 74 Nr. 1 GG angesprochen sei, könne die Möglichkeit, rückgriffslose Sozialhilfe zu beziehen, nicht die unterhaltsrechtliche Bedürftigkeit entfallen lassen. Mit demselben Recht müßte man sich gegen eine An- rechnung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung wenden können, die dem Regelungsbereich des Art. 74 Nr. 12 GG zuzuordnen sind. Es handelt sich vielmehr jeweils um materielles, entsprechend der Kompetenz- ordnung des GG erlassenes Recht, das nach einer wertungsmäßig konsistenten Abstimmung verlangt. Eine solche Abstimmung - durch Anrechnung oder auch durch Nicht-Anrechnung - stellt keinen verfassungsrechtlich unzulässigen "Übergriff" dar. Gieses Argumentation erinnert an den Ansatz, aus den Kompetenzvorschriften des Grundgesetzes Schlüsse zu ziehen, die über die bloße Kompetenzzuweisung hinausgehen. So hat das BVerfG aus den Artikeln 12 a, 73 N r. 1, 87 a und 115 b GG den verfassungsrechtlichen Rang von Einrichtung und Funktionsfähigkeit der Bundeswehr hergeleitet'"). Diesem Ansatz haben Böckenförde und Mahrenholtz 27) Vgl. zu dieser These Müller-Freienfels, F5 Beitzke, 311, bes. 332 -334. 28) BT-Drs 7/308, 19. 29) Vgl. Kapitel Ausblick sub 3.1 (5. 189 f). 29a) Deshalb ist es durchaus unerfreulich, daß der BGH in seinem in Fn. 25 a erwähnten Ur- teil die Ausstrahlungsthese einzig mit dem Argument abtut, es fehle an einem entspre- chenden Willen des Gesetzgebers. 30) BVerjGE 69, 1 (21); vgl. schon BVerfGE 28, 243 und 48, 127 (159 ff). 168 Sozialhilferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht freilich widersprochen-") und überzeugend darauf hingewiesen, daß bundesstaatli- che Kompetenzvorschriften den Sinn hätten, die Handlungsbereiche von Bund und Ländern voneinander abzugrenzen. Sie erhöben Gegenstände möglichen staatlichen HandeIns aber nicht zu materiellrechtlichen Handlungsaufträgen, -ge- boten oder sonstigen "Wert"entscheidungen, aus denen sich weitergehende Schlüsse ziehen ließen32) . Die Erkenntnis, daß die "Art. 73 ff GG, die einen kunterbunten Strauß von Le- bensbereichen erfassen, ... nicht den Sinn haben [können], diese mit einem beson- deren Rang auszuzeichnen'v-}, sollte dazu führen, die Reichweite des Nachrang- grundsatzes nur auf der Ebene des einfachen Rechts zu diskutieren, so daß sich Gieses Argument erledigt. b) Die Ausstrahlungsgegner können sich nicht auf den BGH berufen, der eher zur Gegenansicht neigt33a) . aa) Giese zufolge hat der BGH allen Ausstrahlungsspekulationen eine Absage erteilt, indem er die Sozialhilfe gegenüber der bürgerlich-rechtlichen U nterhalts- pflicht als subsidiär bezeichnet und sich im übrigen nicht auf die Diskussion des Problems eingelassen habe. Zunächst weist Giese auf zwei Entscheidungen des BGH hin, denen zu entnehmen ist, daß gezahlte Sozialhilfe nicht bedürftigkeits- mindernd berücksichtig wird>'). Bei einem weiteren Fa1l35) , der bei einem Regreß des Sozialhilfeträgers nach Gieses Ansicht die Frage nach der Anwendung der Härteklausel des § 91 111 1 HS 1 BSH G aufwerfen würde, sei eine Erörterung der Härteklausel (sc. und ihrer eventuellen Ausstrahlung) veranlaßt gewesen. Der BGH habe aber nur auf § 1579 I BGB (a. F.) hingewiesen. In diesem Fall ging es um folgendes: Der Kläger, der 29 ] ahre älter war als seine beklagte frühere Ehefrau, begehrte von dieser Zahlung nachehclichen Unterhalts nach § 1571 BGB. Er bezog Rente und Sozialhilfe. Die Beklagte war erwerbstätig. Sie wehrte sich unter anderem mit zwei Einwänden gegen die Inanspruchnahme: Die Sozialhilfeleistungen seien bedarfsmindernd zu berücksichtigen. Außerdem habe der Kläger sein Vermögen unwirtschaftlich verbraucht und so seine Be- dürftigkeit selbst herbeigeführt. Der BGH hat zum ersten Einwand ausgeführt, Sozialhilfe, die dem Unterhaltsgläubiger geleistet werde, habe auf den Unterhaltsanspruch keinen Einfluß; sie mindere die Bedürf- tigkeit nicht, weil sie den Unterhaltspflichtigen nicht von seiner Leistungspflicht befreien solle. Darauf, ob der Sozialhilfeträger von seiner Überleitungsbefugnis Gebrauch machen wolle, komme es nicht an36) . Das OLG hatte den Unterhalt des Klägers gemäß § 1579 I Nr. 3 BGB a.F. (= § 1579 Nr. 31) Minderheitsvotum BVerfGE 69, 1 (58-66). 32) BVerfGE 69, 1 (60). 33) Eckertz, 149. 33a) Anders jetzt allerdings der 6. Zivilsenat in einer Entscheidung zu § 844 11 BGB (BGH N]W 1992, 115). 34) BGHZ 78, 201 (207); BGH FamRZ 1983, 574. 35) BGH FalnRZ 1984, 364. 36) BGH FamRZ 1984, 364 (366). Ausstrahlung 169 3 BGB) gekürzt. Nach dieser Vorschrift ist ein Unterhaltsanspruch zu versagen, soweit die Inanspruchnahme grob unbillig wäre, weil der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwil- lig herbeigeführt hat. Nach Ansicht des BGH trugen die Feststellungen des OLG die Be- urteilung nicht, der Ehemann habe seine Bedürftigkeit mutwillig hcrbcigcführt-"). Diese Entscheidung gestattet nicht die weitreichenden Schlüsse, die Giese aus ihr zieht. Zum einen hatten nach Ansicht des BGH die Feststellungen des OLG nicht die Annahme getragen, der Kläger habe seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt. Es fehlte also an der Tatsachengrundlage, die u. U. die Annahme einer Härte i. S. d. § 91 111 1 BSHG ermöglicht und die Ausstrahlungsfrage aufgeworfen hät- te. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 1579 I Nr. 3 BGB a. F. vorgelegen hät- ten, hätte dies ferner die Annahme einer Härte i. S. d. § 91 111 1 BSHG nicht ge- rechtfertigt. Nach der Rechtsprechung des BVerwG sind nämlich die in § 1611 I BGB angesprochenen Störungen zwischenmenschlicher Beziehungen jedenfalls ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht in der Lage, eine Härte i. S. d. § 91 111 1 BSHG zu begründen. Diese Störungen seien vielmehr von den Zivilgerichten zu beurteilen-"), Die Aussage dieser Entscheidung ist m. E. auf die in § 1579 N r. 1 bis 6 BGB angesprochenen Härtegründe zu übertragen. Selbst bei mutwilliger Her- beiführung der Bedürftigkeit durch den Kläger hätte der Sozialhilfeträger das Rückgriffshindernis des § 91 111 1 BSHG demnach nicht anwenden können. Auch deshalb bestand für den BGH kein Anlaß, die Ausstrahlungsfrage anzusprechen. Die Erörterung des Problems wäre im Gegenteil verwunderlich gewesen. Vor dem Aufsatz von Giese war nämlich die Frage der Ausstrahlung von Rückgriffs- hindernissen soweit ersichtlich lediglich zu § 91 I BSHG erörtert worden. Erst Giese hat offenbar die Möglichkeit auch einer Ausstrahlung der Härteklausel ins Gespräch gebracht. bb) Der Rechtsprechung zweier Zivilsenate des BGH läßt sich demgegenüber Sympathie für die Ausstrahlungsthese entnehmenv-). (1) Zum einen hatte der BGH einen Fall zu entscheiden-"), in dem ein Student seine frühere Ehefrau auf Zahlung nachehelichen Unterhalts in Anspruch genom- men hatte. Es stellte sich u. a. die Frage, ob auf den Bedarf des Klägers gemäß § 1577 I BGB Leistungen anzurechnen waren, die er möglicherweise nach dem BAFöG beanspruchen konnte. Gegen eine Anrechnung konnte die grundsätzliche Subsidiarität der Ausbil- dungsförderung sprechen. Eine etwa zu beanspruchende Ausbildungsförderung sei - so der BGH - nicht anzurechnen, "wenn sie nur subsidiär gewährt würde und40) Vorleistungen nach Überleitung des entsprechenden Unterhaltsanspruchs 37) BGH FamRZ 1984, 364 (367 f). 38) BVerwGE 58, 209 (211 - 215). 38a) Dies wird in BGH N]W 1992, 115 übersehen. 39) BGH FamRZ 1980, 126 (128), IV. Zivilsenat. 40) Hervorhebung vom Verfasser. 170 Sozialhilferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht vom Unterhaltsverpflichteten zurückgefordert werden könnten"!"), Nach dem BAFöG sind jedoch Anrechnung und Überleitung bei geschiedenen Ehegatten nicht möglich. Dementsprechend kam im Fall eine Anrechnung in Frage. Der BGH macht die Antwort auf die Anrechnungsfrage mithin vom kumulati- ven Vorliegen zweier Voraussetzungen abhängig: von der grundsätzlichen Subsi- diarität zum einen und von der Umsetzung der Subsidiarität in den Anrechnungs- und Überleitungsvorschriften zum anderen. Genau dies ist auch der Standpunkt der Ausstrahlungsthese. (2) Auch in einer Entscheidung, in der es um die Anrechnung von Arbeitslo- senhilfe im Rahmen des § 1577 I BGB ging 42) , hat der BGH ausgeführt, Soziallei- stungen stellten keine anzurechnenden Einkünfte dar, wenn die Leistungen nur subsidiär gewährt würden 43)und Vorleistungen nach Überleitung des entspre- chenden Unterhaltsanspruchs vom Unterhaltsverpflichteten zurückgefordert werden könnten. (3) Kürzlich ist ein Urteil des BGH44) zu der Frage ergangen, ob ein Testament sittenwidrig sei, durch das ein Vater eines behinderten Kindes sein geringes Ver- mögen im Interesse des Kindes so weiterleitete, daß der Sozialhilfeträger keine Möglichkeit hatte, aus dem Vermögen einen Teil seiner Aufwendungen für die Unterbringung des Kindes zu decken. In seiner Entscheidung hat der BGH den Standpunkt des klagenden Sozialhil- feträgers nicht geteilt, das Testament sei sittenwidrig, weil es darauf abziele, das Nachrangprinzip zu unterlaufen. Der BGH betont zwar die Bedeutsamkeit des Subsidiaritätsprinzips. Es sei aber zuviel verlangt, von Eltern eines behinderten Kindes zu erwarten, das Wohl ihres Kindes dem Interesse der öffentlichen Hand an einer Teildeckung aller Kosten unterzuordnen. Ein Sittenverstoß könne dem Vater der Beklagten daher nicht vorgeworfen werden. Dies gelte umsomehr, als das Subsidiaritätsprinzip des Bundessozialhilfegesetzes (durch § 91 I, III BSHG) in erheblichem Maße "durchbrochen" sei. Es wäre ein Wertungswiderspruch, die den Eltern zunächst großzügig belassenen und von diesen angesparten Gelder mit Hilfe des § 138 I BGB gerade deshalb erbrechtlich auf das behinderte Kind über- leiten zu wollen, damit die Sozialhilfe darauf zugreifen könne"}. Man kann eine Bestätigung des Ansatzes aus der soeben erwähnten Entschei- dung zum BAFöG und zur Alhi darin sehen, daß der BGH in den Rückgriffshin- dernissen eine Durchbrechung des Nachranggrundsatzes sieht. Auch diese Formu- lierung entspricht der Erkenntnis, daß sich die Subsidiarität erst durch die Rück- griffsmöglichkeit verwirklicht. 41) BGH FamRZ 1980, 126 (128). 42) BGH FamRZ 1987, 456 (458), IV b Zivilsenat. 043) Hervorhebung vom Verfasser. 44) BGH FamRZ 1990, 730, IV. Zivilsenat. 45) BGH FamRZ 1990, 730 (732). Ausstrahlung 171 c) Wesentliche Argumente für eine unterhaltsrechtliche Anrechnung von Sozi- alhilfeansprüchen, die keinen Regreß auslösen könne, finden sich teilweise schon bei Paulus. Zur Begründung reicht freilich der - zunächst nur ein Postulat darstel- lende - Satz nicht aus, der Subsidiaritätsgrundsatz werde durch Anrechnungs- und Überleitungsvorschriften verwirklicht. Die Frage, ob der von ihm angenommene Zusammenhang zwischen Anrechunung und Überleitung auf der einen Seite und Subsidiarität andererseits besteht, ist eine wertungsmäßig zu entscheidende Frage: aa) Die Anrechnungslösung vermeidet, daß es in der Hand des Unterhaltsgläu- bigers liegt46) , ob die Schutzvorschrift des § 91 I 1 BSHG zum Zuge kommt oder nicht. Solchermaßen den Schuldnerschutz vom Belieben des Gläubigers abhängig zu machen, ist mit der sozialpolitischen Entscheidung in § 91 I 1 BSHG nicht ver- einbar, zumal dieses Belieben häufig ein von mehr oder weniger mildem Druck der Sozialhilfeträger gesteuertes Belieben wäre, wo doch die Sozialhilfeträger § 91 I 1 BSHG unstreitig zu beachten haben. Der Druck der Sozialhilfeträger wiederum wird wie die Regreßintensität überhaupt davon abhängen von der Belastung der kommunalen Haushaltes"). § 91 I 1 BSHG enthält aber keinen Konjunkturvorbe- halt. bb) Der Ausstrahlungsansatz vermeidet ferner, daß es in der Hand des U nter- haltsschuldners liegt, ob dieser in den Genuß des Rückgriffsverbots kommt: Von seiner Zahlungsmoral hinge es andernfalls ab, ob der Sozialhilfeträger letztlich "vor"leisten muß, ohne Rückgriff nehmen zu können, oder nicht. Er würde so ge- genüber den weniger hartnäckigen Schuldnern bevorzugr"). 1.3. Folgeprobleme Wer eine Ausstrahlung annimmt, muß freilich Stellung nehmen zu einigen Fol- gefragen. a) Zunächst stellt sich die Frage, ob der Großvater, der vom Enkel Unterhalt bezogen hat, obwohl er hätte Sozialhilfe in Anspruch nehmen können, die Zah- lungen behalten darf. Kunz 49 ) und Paulus50 ) haben zu Recht darauf hingewiesen, daß die gleichwohl erfolgte Zahlung als auf einer sittlichen Pflicht i. S. d. § 814 BGB beruhend anzusehen ist und daher nicht zurückgefordert werden kann. 46) Nur nach der soeben erwähnten Auffassung Gieses stünde die Inanspruchnahme nicht im Belieben des Gläubigers. 47) Vgl. den Hinweis bei Giese, FamRZ 1982, 666 (667, linke Spalte, letzter Absatz). 48) Paulus bringt dieses Argument in anderem Zusammenhang, nämlich zur Frage, ob der Sozialhi/feträger den Hilfesuchenden auf den Unterhaltsanspruch verweisen darf (Pau- lus, 287). Zum Ausstrahlungsproblem kann dieses Argument aber ebensogut herangezo- gen werden. Das Argument findet sich auch bei Künkel, FamRZ 1991, 14. 49) Kunz, FamRZ 1977,291 (294). 50) Paulus, 292. 172 Sozialhilferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht b) Falls es sich um einen Eilfall handelt, kann man erwägen, ob dem Enkel ein Aufwendungsersatzanspruch nach § 121 BSHG zusteht. Dieser Anspruch setzt u. a. voraus, daß der Leistende die Aufwendungen nicht aufgrund einer sittlichen Pflicht selbst zu tragen hatte. Als sittlich verpflichtet sieht man Verwandte und Verschwägerte an>'). Mithin steht dem Enkel kein Aufwendungsersatzanspruch zu. c) GieseS2) führt eine den umgekehrten Fall betreffende Formulierung des Aus- strahlungsbefürworters Gernhuber an, wonach die Großeltern nur Unterhalt zah- len müßten, soweit der angemessene Lebensbedarf nicht durch die Sozialhilfe ge- deckt werde-'). Ein solcher "Aufstockungsunterhalt" nach dem Motto, "das Ju- gendamt muß das Pflegegeld für die Pflegeeltern zahlen, der unterhaltspflichtige Großvater beschränkt sich auf die Kosten für das Reitpferd" sei aber mit den An- rechnungsregeln des BSHG nicht zu vereinbaren. Dies "Dilemma" hat Brühl- ebenfalls für den umgekehrten Fall- überzeugend aufgelöst>'), Zunächst hat er darauf hingewiesen, daß diese Konstellation prak- tisch kaum auftreten kann, weil schwer Fälle denkbar sind, in denen ein Enkel - oder seine Eltern - seinen Unterhalt nicht selbst erwirtschaften kann, gleichwohl aber der Bedarf i. S. des § 1610 BGB über dem sozialhilferechtlich beachtlichen Bedarf liegt. Die verbleibenden Fälle löst Brühl in der Weise, daß er hier dem Großvater insgesamt die Möglichkeit versagt, den Enkel auf die Sozialhilfe zu ver- weisen. Der gezahlte "Aufstockungsunterhalt" würde nämlich im Wege der An- rechnung nach den §§ 11, 76 BSHG verzehrt werden'o), dadurch würde neuer un- terhaltsbeachtlicher Bedarf eröffnet, so daß wiederum der Aufstockungsunterhalt erhöht würde: Letztlich bliebe mithin vom Sozialhilfeanspruch nichts übrig, so daß die Verweisung auf die Sozialhilfe ins Leere geht56) • d) Ein weiteres Folgeproblem spricht Dieckmann an57) : Nach § 1603 11 1 BGB sind Eltern ihren minderjährigen unverheirateten Kin- dern gegenüber "gesteigert" unterhaltspflichtig. Sie müssen - gegebenenfalls unter Gefährdung ihres eigenen angemessenen Unterhalts - alle verfügbaren Mittel ein- setzen. Wenn aber ein anderer unterhaltspflichtiger Verwandter vorhanden ist, kommt auch ihnen die Grenzlinie "angemessener Unterhalt" zugute. 51) Schellhorn/Jirasek/Seipp, § 121, Rdnr. 8; Kunz, FamRZ 1977,291 (294). 52) FamRZ 1982, 11 (12). 53) Gernhuber, Familienrecht, 3. Aufl., § 41 I 2. 54) Brühl, FamRZ 1982, 13 (14). 55) Gegen Anrechnung in ähnlicher Lage offenbar Paulus, 285. 56) Brühl drückt diesen Gedanken m. E. etwas unscharf aus: es sei der Grundsatz anzuwen- den, daß der Unterhaltsberechtigte bei der Ausschöpfung der Einkommensquellen - hier: Einkommensquelle BSHG - nicht zu seinem Nachteil zu handeln brauche. 57) Dieckmann, Selbstbehalt, 58. Ausstrahlung 173 Fraglich ist, wie sich insoweit die Ausstrahlungsthese auswirkt. Dieckmann hält es für zweifelhaft, ob der Träger der Sozialhilfe mit Rücksicht auf leistungsfähige Großeltern, die er wegen des Überleitungsverbots nach § 91 I 1 BSHG nicht in Anspruch nehmen darf, dem minderjährigen Kind Sozialhilfe leisten müsse, ob- wohl er dazu nicht verpflichtet wäre, wenn es diese Großeltern nicht gäbe. Wenn es die Großeltern nicht gäbe, könnten sich die Eltern nämlich nicht auf § 1603 11 2 BGB berufen und müßten ihrerseits mehr beitragen. Zur Veranschaulichung des Problems ein holzschnittartiges Beispiel: Das minderjährige Kind K, das nicht im Haushalt seines Vaters lebt, hat einen Bedarf i. H. v. 400 DM. Sein Vater verdient 1400 DM p. m. Der "notwendige Selbstbehalt" be- trage 1000 DM, der "große Selbstbehalt" 1400 DM. Der Großvater G väterlicherseits des K ist wohlhabend. Tritt K an den Sozialhilfeträger heran, steht dieser vor folgender Lage: Nach Gewährung von Hilfe könnte er wegen § 91 I 1 BSHG bei dem Großvater nicht Rückgriff nehmen. Einen Unterhaltsanspruch des K könnte der Großvater unter Hinweis auf fehlende Bedürftigkeit wegen des Rückgriffsverbotes abwehren. Fraglich wäre, ob Keinen Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater hat, dessen Realisierung die Sozialhilfebedürftigkeit entfallen ließe: Ein Anspruch scheiterte an fehlender Leistungsfähigkeit, wenn der Vater ge- mäß § 1603 11 2 BGB auf den Großvater verweisen dürfte. Die Vorschrift setzt aber "Unterhaltspflicht" des Großvaters voraus, an der es nach der Ausstrah- lungsthese gerade fehlt. M. E. ist insoweit Konsequenz geboten. Das Ergebnis ist auch wertungsmäßig richtig: Lebte der Großvater nicht "zufällig" noch, müßte der Vater auch zahlen. Der Vorteil, den Eltern und ihre Kinder darin haben, daß die Großeltern noch leben und noch dazu Geld haben, muß nicht notwendig auch als finanzieller Vorteil für die Eltern ausgestaltet werden. Soweit nicht sonstige Rückgriffshindernisse eingreifen, muß also m. E. der So- zialhilfeträger nicht allein deshalb Hilfe leisten, weil der leistungsfähige Großvater existiert. Diese These zieht freilich ihrerseits eine nicht auflösbare Folgeschwierigkeit nach sich: Der Vater V muß nun an K 400 DM auszahlen. Da sein angemessener Unter- haltsbedarfs aber wohl mit 1400 DM zu beziffern ist, entsteht die Frage, ob er die Lücke von 400 DM mit Hilfe seines Vaters G stopfen kann. Offenbar führt kein Weg daran vorbei, ihm diesen Anspruch zu gewähren, obwohl der Großvater mit- telbar nun doch den Enkel finanziert. Mit diesem Randproblem kann die "Aus- strahlungsthese" aber leben58) . 58) Zu einem weiteren Folgeproblem, das die Ausstrahlung des § 91 I 2 BSHG aufwirft, sie- he sogleich. 174 Sozialhilferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht 2. Ausstrahlung anderer Rückgriffsschranken Bisher noch wenig erörtert ist die Frage, ob auch eine Ausstrahlungswirkung der anderen Rückgriffsschranken anzunehmen ist. 2.1. § 91 I 2 BSHG a) Nach § 91 I 2 BSHG kann eine Überleitung von Unterhaltsansprüchen nur bewirkt werden, soweit der Unterhaltspflichtige als Hilfeempfänger nach Maßga- be der §§ 76 - 89 BSHG seine Mittel einsetzen müßte58a) . Zu § 91 I a. F., der § 91 I 2 n. F. entsprach, ist die Ausstrahlungsthese erstmals vertreten worden-") . Sie hat damals auch in Rechtsprechung und Literatur Zustimmung gefundenw). Es wurde freilich ein anderer konstruktiver Weg vorgeschlagen. Beispielv'): V hatte einen im Jahr 1950 geborenen nichtehelichen Sohn N. Das Einkommen des V lag unter der Einkommensgrenze der §§ 79, 81 BSHG. Die Mutter M des N hatte kein eige- nes Einkommen. N war wegen einer schweren geistigen Behinderung ganztags in An- staltspflege untergebracht. Er klagte die Kosten der Heimunterbringung als Unterhalts- rente ein. V schuldete dem N grundsätzlich nach § 1708 BGB a. F. Unterhalt im Umfang des ge- samten Lebensbedarfs. N hätte allerdings die Möglichkeit gehabt, seinen Bedarf durch die Sozialhilfe zu decken. Ein Rückgriff wäre wegen § 91 I i. V. m. §§ 79, 81 BSHG nicht in Frage gekommen, da Vs Einkommen unterhalb der Einkommensgrenze lag. Um zu vermeiden, daß der Unterhaltsberechtigte dem Unterhaltsschuldner den Schutz entzieht, den ihm das BSHG zugedenkt, wurde dem Schuldner das Recht gewährt, sich gegenüber dem klagenden Unterhaltsgläubiger mit der Arglisteinrede zu verteidigen'<). Wie das Beispiel zeigt, kam dieser Auffassung in den 60er Jahren eine spezifi- sche Bedeutung zu: In Fällen nämlich, in denen ein noch nicht 16 bzw. 18 jähriges uneheliches Kind in einem Heim untergebracht wurde, mußte der Erzeuger nach dem Gesetz für den gesamten Lebensbedarf des Kindes einschließlich Heimko- sten aufkommen (§ 1708 112 BGB a. F.). Er war vor der Mutter und den mütterli- chen Verwandten unterhaltspflichtig (§ 1709 I BGB a. F.). Der Anspruch des Kindes war unabhängig von der Leistungsfähigkeit des Erzeugers. In diesen Fällen bewirkte die Ausstrahlung des § 91 I BSHG a. F. nicht nur möglicherweise die Er- höhung einer schon unterhaltsrechtlich von Gesetzes wegen zu beachtenden Op- 58a) Vgl. dazu Kapitel 4, sub 2.1.4 (5. 69 ff). 59) VgL Weinbrenner, FamRZ 1963, 269 (271 e und f). Schon damals auch Brühl auf einer Hauptausschußtagung des Deutschen Vereins, NDV 1963, 305 (310, r.Sp.). 60) LG Stuttgart FamRZ 1967, 341 (343 f); Deseh, 144 sowie Staudinger/Göppinger, 10./11. Aufl., § 1708, Rdnr. 106, 107. 61) Das Beispiel ist gebildet in Anlehnung an LG Stuttgart, FamRZ 1967,341. 62) Weinbrenner, FamRZ 1963,269 (272); Brühl, FamRZ 1963,305 (310). Ausstrahlung 175 Unterkunft fergrenze. Die Ausstrahlung eröffnete vielmehr erstmals einen Weg zur Berück- sichtigung der Leistungsfähigkeit des Schuldners. Daß man damals den konstruk- tiven Weg des "Arglisteinwandes" wählte, hängt wohl damit zusammen, daß der Anspruch des Kindes auch unabhängig von dessen Bedürftigkeit war. Weinbrenner rechtfertigte seine Auffassung mit dem Hinweis auf das besonde- re Schutzbedürfnis der Angehörigen bei der Hilfe in besonderen Lebenslagen. M. E. ist es besser, die oben gegebenen Argumente zur Ausstrahlungswirkung des Rückgriffshindernisses in § 91 I 1 BSHG auch auf die anderen schuldnerschützen- den Rückgriffshindernisse, zu denen § 91 I 2 BSHG gehört, auszudehnen. b) In diesem Zusammenhang zeigt sich ein weiteres subtiles Folgeproblem der Ausstrahlungsthese, auf das Weinbrenner63) aufmerksam gemacht hat64) und von dem er meinte, es werde den Unterhaltsrichter wahrscheinlich häufiger beschäfti- gen. Das Problem macht der folgende Fall deutlich, der sich an einen von Wein- brenner gebildeten anlehnt: Beispiel: A, ca. 50 Jahre alt, ist unfallbedingt pflegebedürftig und ohne nennenswertes Einkom- men. Für die Pflege wendet der zuständige Sozialhilfeträger 500 DM im Monat auf. A hat einen 25jährigen alleinstehenden Sohn S, der 1600 DM verdient und für Unterkunft in ei- ner Großstadt 400 DM ausgibt. Außerdem lebt noch A's verwitweter Vater V, der monat- lich 3000 DM verdient und 500 DM für Miete ausgibt. Der Fall soll im Jahr 1988 spielen. Der Fall zeichnet sich dadurch aus, daß der S nach den Sätzen der Düsseldorfer Tabelle (1988: 1300 DM als Opfergrenze) leistungsfähig ist, daß sein Einkommen aber unterhalb des nach § 91 I 2 BSHG zu verschonenden Betrages liegt: Grundbetrag nach § 81 BSHG65) bei Hilfe zur Pflege 1214 DM + 400 DM = 1614 DM Nach BGB müßte der Sohn 300 DM einsetzen, um den Bedarf seines Vaters zu decken. Insoweit wäre sein gutverdienender Großvater nach § 1606 I BGB nicht zur Leistung verpflichtet. Wegen § 91 I 2 BSHG darf der Sozialhilfeträger den Anspruch des A gegen seinen Sohn aber nicht überleiten. Weinbrenner wirft die Frage auf, ob der Großvater V nun für den gesamten Bedarf - einschließlich des an sich den Enkel S belastenden Teils i. H. v. 300 DM aufkommen muß, wenn der Sozialhilfeträger den Unterhaltsanspruch gegen ihn - den Vater des Hilfebedürfti- gen - übergeleitet hat. Er stellt zunächst fest, das BSHG beeinflusse die Rangordnung nach BGB nicht. Da S unterhaltsrechtlich hafte, könne sich der Großvater unter Hinweis auf § 1606 I BGB wehren. Der Sozialhilfeträger könne sich aber auf § 1607 11 BGB be- 63) Weinbrenner, 1963, 269 (271, d). 6.) Dies Problem kann sich auch stellen, wenn man § 91 111 1 BSHG oder die Verwaltungs- praxis ausstrahlen läßt; dazu in diesem Kapitel sub 2.2. (S. 179 f) und sub 2.3 (S. 180 f). 65) Stand 1988. 176 Sozialhil[erechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht rufen und vorbringen, wegen § 91 I i. V. m. §§ 79, 81 BSHG sei die Rechtsverfol- gung gegen den vorrangig verpflichteten Enkel erschwert. Der Großvater schulde danach Unterhalt mit Rückgriffsmöglichkeit gegenüber S (§ 1607 11 2 BGB). Folgt man der Ausstrahlungsthese konsequent, ist der Fall demgegenüber wie folgt zu lösen: A hat gegenüber S keinen Anspruch auf Unterhalt i. H. v. 300 DM. Zwar ist S in dieser Höhe leistungsfähig. A ist aber nicht bedürftig, denn er bezieht Sozialhil- fe. Der Sozialhilfeträger kann keinen Rückgriff nehmen, da das Einkommen des S unterhalb der wegen § 91 I BSHG beachtlichen Einkommensgrenze liegt. Die Be- dürftigkeit entfällt entsprechend der Ausstrahlungsthese. Nun ist fraglich, ob A von seinem Vater Unterhalt verlangen kann. Da V lei- stungsfähig ist, hängt die Antwort davon ab, ob A bedürftig ist. In Höhe von 200 DM ist er auf jeden Fall bedürftig. Soweit aber nach vom BSHG unbeeinflußten Unterhaltsrecht S Unterhalt leisten müßte (300 DM), jedoch durch die Ausstrah- lung des § 91 I 2 BSHG davor bewahrt wird, kann man schlecht die Bedürftigkeit des A auch im Verhältnis zu V verneinen: der Schutz des V, dessen Einkommen deutlich über der Einkommensgrenze liegt, ist nicht bezweckt. A kann von G mit- hin 500 DM an Unterhalt verlangen. Ein Forderungsübergang gemäß § 1607 112 BGB findet nicht statt. Die Ausstrahlung des § 91 I 2 BSHG führt also zu der Kuriosität einer "relati- ven Bedürftigkeit". M. E. kann aber auch diese Wirkung der Ausstrahlungsthese ihre Plausibilität nicht anfechten. Die erörterte Konstellation kommt nämlich entgegen Weinbren- ners Prognose in der Lebenswirklichkeit offenbar nicht vor. Überdies kann man nicht sagen, daß der Vater eines Pflegebedürftigen für die Pflegelast weniger gut herangezogen werden könne, als ein Abkömmling des Pflegebedürftigen. Beider Heranziehung ist vielmehr gleichermaßen problematisch. Als fragwürdiger, aber verkraftbarer Rest bleibt allein die dogmatische Eigen- tümlichkeit einer "relativen Bedürftigkeit". c)Soweit es um die Ausstrahlung des § 91 I 2 BSHG geht, sind zwei Ansätze denkbar, die "Ausstrahlung" dogmatisch umzusetzen'"), Zum einen kann man mit Kunz und Paulus in der Sozialhilfeleistung, deretwe- gen mit Rücksicht auf das Einkommen des potentiell Unterhaltspflichtigen kein Rückgriff genommen werden kann, (erzieltes oder erzielbares) Einkommen se- hen, das die Bedürftigkeit i. S. d. § 1602 I BGB entfallen läßt. Einen anderen Ansatz hat eine Arbeitsgruppe des 7. Deutschen Familienge- richtstages vorgeschlagen. Die Arbeitsgruppe befaßte sich u. a. mit dem "Einfluß der Überleitungsgrenzen auf den unterhaltsrechtlichen Eigenbedarf (Selbstbe- halt)". Die Mehrheit der Teilnehmer vertrat hierzu die Auffassung, der Unter- 66) So auch Künkel, FamRZ 1991, 14 (17, B 11 am Ende). Ausstrahlung 177 haltspflichtige könne sich im U nterhaltsprozeß nach dem Meistbegünstigungs- prinzip auf die Überleitungsgrenze des § 91 I 2 i.V.m. §§ 76 ff BSHG berufens/). Dieser Ansatz läuft darauf hinaus, den "angemessenen U nterhalt" i. S. d. § 1603 I BGB gegebenenfalls an den §§ 76 ff BSHG auszurichten. M. E. paßt die Bedürf- tigkeitslösung von Kunz und Paulus besser in das System des U nterhaltsrechtss"): Sie behandelt (rückgriffslose) Sozialhilfeleistungen wie sonstige Sozialleistungen. Sie ermöglicht es, die Ausstrahlung des § 91 I 1 und des § 91 I 2 BSHG nach den gleichen Regeln zu behandeln. Und sie ermöglicht eine einfache und parallele Lö- sung im Recht des nachehelichen Unterhalts, indem sie die Frage umschifft, wie die Einkommensgrenzen der §§ 76 ff BSHG in das System des § 1581 einzubauen wäre, und problemlos zu einer Anrechnung nach § 1577 I BGB führt. d) Welche Überlegungen danach im einzelnen bei der Bedürftigkeitsprüfung anzustellen sind,wird abschließend nochmals an zwei Beispielen verdeutlicht: (1) Beispiel zur Heimpflege: Der 80jährige Rentner R ist pflegebedürftig und lebt in einem Altenpflegeheim der freien Wohlfahrtspflege. Den von seiner Rente nicht gedeckten Teil der Heimkosten i. H. v. 1500 DM könnte er vom Sozialhilfeträger beanspruchen. R hat einen alleinstehenden, kinderlosen Sohn S, von dem er Zahlung von Unterhalt für die Heimunterbringung ver- langen möchte. S benötigt für Miete 600 DM p. m.. Die unterhaltsrechtliche Opfergrenze betrage 1300 DM. a) S verdient 1850 DM p. m. b) S verdient 8000 DM p. m. c) 5 verdient 2500 DM p. m. Variante a: R hat einen unterhaltserheblichen von der Rente nicht gedeckten Bedarf i. H. v. 1500 DM. Fraglich ist, ob R bedürftig ist. Das hängt davon ab, ob R Hilfe zur Pflege bean- spruchen kann, ohne daß der Sozialhilfeträger Rückgriff nehmen kann. Die Überleitung eines Unterhaltsanspruchs wäre ausgeschlossen, wenn das Ein- kommen des S die Einkommensgrenze nicht übersteigt. Da R stationäre Hilfe zur Pflege erhält, liegt die Einkommensgrenze gemäß §§ 91 I 2, 79 I Nr. 2, 81 I Nr. 5 BSHG bei 1250 DM69) + 600 DM = 1850 DM. Das Einkommen des S übersteigt diese Grenze nicht. Obwohl S gängigem Selbstbehaltdenken zufolge i. H. v. 550 DM leistungsfähig wäre, scheitert also ein Unterhaltsanspruch an der fehlenden Bedürftigkeit des R. Variante b: In dieser Variante übersteigt das Einkommen des S die rückgriffshinderliche Einkommensgrenze bei weitem. Es kann davon ausgegangen werden, daß die Überleitung in voller Höhe der Heimkosten angemessen i. S. der §§ 91 I 2, 84 I 67) ZU 1988,24 (28); so jüngst auch LG Duisburg, FamRZ 1991, 1086 (1087/1089). 68) 50 auch Künkel, FamRZ 1991,14 (17) und neuerdings AG Springe, FamRZ 1991,219. 69) Grundbetrag nach dem Stand von 1989. 178 Sozialhiljerechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht BSHG wäre. Wegen der Rückgriffsmöglichkeit läßt der Anspruch des R auf Hilfe zur Pflege unterhaltsrechtlich die Bedürftigkeit des R nicht entfallen. Daher be- steht ein Unterhaltsanspruch des R gegen S auf Zahlung von 1500 DM Unterhalt im Monat. Variante c: Bei dieser Variante handelt es sich um einen Mischfall. Ein Rückgriff des Sozial- hilfeträgers ist - nach näherer Maßgabe des § 84 I BSHG - nur möglich, soweit das Einkommen des S die Freigrenze von 1850 DM übersteigt, also i. H. v. höch- stens 2500 DM - 1850 DM = 650 DM. Allenfalls in dieser Höhe ist R demnach bedürftig i. S. d. § 1602 I BGB. (2) Beispiele zu häuslicher Pflege Hier sind die Probleme aus zwei Gründen reichlich unübersichtlich: Zum einen gelten bei eventuell zu gewährender Hilfe zum Lebensunterhalt - im Unterschied zur Anstaltspflege (§ 27 111 BSHG) - nicht die Freibeträge nach §§ 79 ff BSHG. Zum anderen kann das Pflegegeld den Mehrbedarf übersteigen, so daß der Üher- schuß - entsprechend der Rechtslage bei der Grundrente-P) - angerechnet werden muß. Beispiel a: Die pflegebedürftige Witwe W bezieht eine Witwenrente i. H. v. 800 DM, die ihren allge- meinen Bedarf abdeckt. Ferner kann sie ein Pflegegcld i. H. v. 290 DM gemäß § 69 III BSHG beanspruchen, das sie voll für ihren Pflegebedarf benötigt. Ihr alleinstehender Sohn S, der 600 DM Miete zahlt, verdient 1850 DM. W möchte nicht den Sozialhilfeträger, sondern ihren Sohn für den Pflegebedarf in Anspruch nehmen. Der unterhaltserhebliche Bedarf der W wird durch ihre Witwenrente nur teil- weise gedeckt. Offen ist noch der Pflegebedarf i. H. v. 290 DM. Bedürftig ist sie diesbezüglich, wenn der Sozialhilfeträger wegen etwa gezahlten Pflegegeldes ge- mäß § 91 I 2 i. V. m. §§ 79 I , 81 I Nr. 5 BSHG keinen Rückgriff nehmen könnte. Das Einkommen des S übersteigt die Einkommensgrenze i, H. v. 1850 DM nicht, so daß ein Rückgriff ausscheidet. Das Pflege geld wird daher auf Ws Bedarf ange- rechnet. Ein Unterhaltsanspruch besteht nicht. Beispiel b (Abwandlung): Die Witwenrente beträgt 700 DM, der allgemeine Bedarf 800 DM, der Pflegebedarf nach- weislich nur 190 DM. W könnte 100 DM Hilfe zum Lebensunterhalt und 290 DM Pflege- geld beanspruchen. S verdient 1850 DM und zahlt 600 DM Miete. Der von der Witwenrente nicht gedeckte Bedarf beträgt 100 DM + 190 DM = 290 DM. Soweit das Pflegegeld den Pflegebedarf übersteigt (100 DM), scheidet ein Rückgriff schon deshalb aus, da kein (konkreter und nachzuweisender) unter- haltserheblicher Bedarf besteht. Auch dieser "Pflegegeldüberschuß" ist jedoch un- terhaltsrechtlich als Einkommen anzusehen. S kann daher einwenden, infolge des Pflegegeldüberschusses entfalle Ws allgemeiner Bedarf in derselben Höhe. Im üb- 70) Vgl. Kapitel 5 sub 2.1.3. (S. 117 ff) und Kapitel 6 sub 2.b. (5. 144 f). Ausstrahlung 179 rigen (190 DM) scheiterte ein Rückgriff an den §§ 91 12, 79 I, 81 I Nr. 5 BSHG, da das Einkommen des S 1850 DM nicht übersteigt. Insgesamt sind daher 290 DM anzurechnen, so daß die Bedürftigkeit der W entfällt. Beispiel c (Abwandlung): Wie b) mit der Abweichung, daß 5 3000 DM verdient. Der unterhaltsbeachtliche Bedarf beträgt unverändert 290 DM. Soweit das Pfle- gegeld den Pflegebedarf übersteigt (100 DM), kommt auch hier kein Rückgriff in Frage, da es schon an einem entsprechenden Unterhaltsbedarf fehlt. Im übrigen (190 DM) übersteigt das Einkommen des S die Freigrenze so weit, daß § 91 I 2 BSHG den Rückgriff nicht hindert. Bezüglich der 100 DM an Hilfe zum Lebensunterhalt ist das Rückgriffshindernis ohnehin nicht einschlägig. Wie in Beispiel b ist freilich der "Pflegegeldüberschuß" von 100 DM unterhalts- rechtlich als Einkommen anzusehen, so daß W nur noch in Höhe von 190 DM be- dürftig ist. Der weite Bedarfsbegriff, auf dem das Pflegegeld nach dem BSHG - im Unter- schied zu § 1610 BGB - beruht, führt hier also zur Vereitelung des Rückgriffs be- züglich der Hilfe zum Lebensunterhalt?"). 2.2. § 91 111 1 BSHG Die Frage, ob auch der Härteklausel Ausstrahlungswirkung zukommt, ist be- sonders bedeutsam, da die Vorschrift Deutungsspielräume eröffnet, die mit pfle- gefallspezifischen Erwägungen gefüllt werden können. Eine Berücksichtigung der Härtevorschrift im Unterhaltsrecht ist bisher noch nicht vertreten worden. Lediglich der Ausstrahlungsgegner Giese deutet diese Möglichkeit an 72) , die von seinem Standpunkt aus freilich abzulehnen ist. a) In einem Teil der Fälle stellt sich das Ausstrahlungsproblem nicht: Wenn nämlich der Sozialhilfeträger zügig überleitet, dann aber nach § 91 III 1 BSHG entscheidet, wegen einer Härte sei von der Inanspruchnahme abzusehen. Der vor- malige Unterhaltsgläubiger hat wegen der Überleitung seinen eventuellen An- spruch verloren. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit diesem, für Unterhalts- schuldner günstigen Ergebnis seine Konstruktion begründet, daß die Entschei- dung über die Inanspruchnahme nicht identisch mit der Entscheidung über die Überleitung sei. Andernfalls müsse nämlich der Sozialhilfeträger im Fall einer Härte von der Überleitung absehen, der Hilfeempfänger könne aber trotzdem ne- ben den Sozialhilfeleistungen den bürgerlich-rechtlichen Unterhaltsanspruch gel- tend machen."). Danach liegt es also für die Sozialhilfeträger nahe, auch dann 71) Zum Begriffdes Bedarfs nach BGB und B5HG vgl. Kapitel 5, sub 1.1. (5. 100 ff). 72) Giese ArchöozArb 1985, 147 (162 f). 73) BVerwGE 34, 219 (223). 180 Sozialhi/ferechtl. Schutzvorschriften u. Unterhaltsrecht überzuleiten, wenn sie von vorneherein um das Vorliegen einer Härte wissen/t). Giese bezeichnet dieses Vorgehen anschaulich als "Freistellungsüberleitung'(75), die er freilich schon im Ansatz als mißlich ansieht?"). b) Problematisch sind die Fälle, in denen die "Freistellungsüberleitung" nicht erfolgt ist. Hat der Bedürftige die Sozialhilfe schon erhalten, wird man - wie schon in der am Anfang dieses Kapitels?") erörterten Lage - ohne weiteres seinen Bedarf als gedeckt ansehen. Hat sich der Hilfebedürftige aber zunächst an den Unterhaltsschuldner gewandt, steht man wieder vor der Frage, ob der Zivilrichter im Rahmen der Bedürftigkeitsprüfung etwa nach § 1602 I BGB die Härteklausel prüfen muß. M. E. muß er das: Die andere rechtstechnische Ausgestaltung dieses Rückgriffshindernisses ändert nichts an den Wertungen, die oben zur Annahme der Ausstrahlungswirkung geführt haben. c) Als Beispielkann der in Kapitel 2 berichtete Fall der in einem psychiatrischen Krankenhaus lebenden Tochter dienen?"). In diesem Fall sprach viel dafür, eine Härte i. S. des § 91 III 1 BSHG anzunehmen. Anscheinend war die Tochter erst nach ihrer Volljährigkeit im Jahre 1977 im Krankenhaus untergebracht worden. Vorher dürfte sie von ihren Eltern betreut worden sein. Der Vater bezog eine Al- tersrente, war also mindestens zwischen 60 und 65 Jahren alt. Zudem hatte er bis in das Jahr 1982 noch einen Sohn unterhalten. Hätte der Sozialhilfeträger die Ko- sten getragen, wäre angesichts dieser Umstände eine Inanspruchnahme des Vaters trotz seines beträchtlichen Grundvermögens vermutlich an der Härteklausel ge- scheitert. Da für T also die Möglichkeit bestand, rückgriffslose Sozialhilfe zu be- ziehen, war sie nicht bedürftig. Die Klage hätte daher wohl abgewiesen werden müssen?"). Der BGH stellte leider keinerlei Erwägungen in diese Richtung an. 2.3. Regeln der "Heranziebungsempjeblungen" Schließlich ist zu erwägen, ob sich der Schuldner im U nterhaltsprozeß darauf berufen kann, nach den Regeln der Heranziehungsempfehlungen, die die Praxis des zuständigen Trägers prägten, wäre er nicht in Anspruch genommen worden. In diese Richtung geht eine Äußerung von Dieckmannwy, der überzeugt ist, daß in einem Unterhaltsrechtsstreit Vater gegen Sohn kaum ein Gericht diese Grenzli- nie überschreiten, sondern den Vater mit einem Hinweis auf den Sozialstaat an 74) Eine Folgefrage ist es, unter welchen Umständen eine Verpflichtungsklage des Unter- haltsschuldners auf Überleitung in Betracht zu ziehen ist. 75) ArchSozArb 1985, 157 (173, Fn. 39). 76) Ebd. 168 f. 77) Bei Fn. 4. 78) Sub 3.3.2. (5. 27 ff). 79) Evt. nach richterlichem Hinweis und nachfolgender Präzisierung des Beklagtenvortrags. 80) Selbstbehalt, 49. Ausstrahlung 181 den Träger der Sozialhilfe verweisen würde. Diedrich wendet dagegen ein'"), auch bei der Überleitung sei maßgeblicher Selbstbehalt der Tabellenselbstbehalt. Wenn die staatlichen Stellen sich nicht danach richteten, möchten sie ihre Gründe ha- ben. Ein Problem unkoordinierter Selbstbehaltbestimmung liege darin nicht. Mit dieser Betrachtungsweise verkennt Diedrich, daß es in den Empfehlungen ähnlich wie in den Tabellen darum geht, den "angemessenen Eigenbedarf" zu kon- kretisieren. Von vorneherein den Tabellen eine höhere Dignität zuzusprechen, be- steht kein Anlaß. Entgegen Diedrich82) geht es den Empfehlungen auch nicht nur darum, daß Prozeßrisiko der Sozialhilfeträger zu minimierens'): es soll vielmehr auch dem Umstand Rechnung getragen werden, daß "die öffentlichen Aufgaben- träger sich auch den Unterhaltsschuldnern gegenüber sozial zu verhalten ha- ben'(84). Den aus den Empfehlungen folgenden Schuldnerschutz im Rahmen des "Angemessenheitsurteils" nach § 1603 I BGB zu berücksichtigen, kann nicht a priori abwegig sein. M. E. ist es freilich besser, auch bei diesem Rückgriffshinder- nis an dem Gesichtspunkt der Bedürftigkeit anzusetzen. Aus der Sicht des Unter- haltsgläubigers macht es nämlich keinen Unterschied, ob er rückgriffslose Sozial- hilfe beanspruchen kann, weil das Gesetz dies anordnet oder weil die ständige Pra- xis der Sozialhilfeträger diesen den Rückgriff abschneidet'"). Dementsprechend sollte man auch eine Ausstrahlung der "Selbstbindung durch Verwaltungspraxis" in das Unterhaltsrecht anerkennen. 3. Zusammenfassung Es hat sich ergeben, daß ein potentieller Unterhaltsschuldner dem Unterhalt Begehrenden entgegen halten kann, er könne rückgriffslose Sozialhilfe in An- spuch nehmen, so daß er nicht als bedürftig zu betrachten sei. Diese "Ausstrahlungsthese" kann auch für Pflegelagen Bedeutung gewinnen. Sie gilt für alle schuldnerschützenden Regeln, die dem Sozialhilfeträger den Rückgriff ver- wehren: Für § 91 I 1 Satz 1 und 2 BSHG, für § 91 111 1 BSHG sowie für die ein- schlägigen Passagen der Heranziehungsempfehlungen des Deutschen Vereins, so- weit sich die Praxis an diesen orientiert. 81) Diedrich, 118. 82) Ebd. 83) Wie man wegen Heranziehungsempfehlungen, 1. Aufl., Rdnr. 2 annehmen könnte. 84) Heranziehungsempfehlungen, 2. Auflage/Schellhorn, 32 oben. 85) Zur Bindung durch die bisherige Praxis Erichsen/Martens, § 12 11 2 c, bb = S. 211 f. Ausblick 1. Vorbemerkung Rückgriffsrechtliche und unterhaltsrechtliche Fragen der dargestellten Art wür- den sich nicht mehr stellen, wenn endlich ein umfassendes Reformgesetz zur Fra- ge der Pflegebedürftigkeit zustandekäme. Eine Reform könnte sozialrechtlich oder unterhaltsrechtlich ansetzen oder - am besten - beide Aspekte kombinieren. Von sozialrechtlicher Seite her würden die unterhaltsrechtlichen Probleme "un- terlaufen'"), wenn eine allgemeine Absicherung für den Fall der Pflegebedürftig- keit eingeführt würde. Nach einer Darstellung des im Jahr 1991 aktuellen Diskus- sionsstandes-) wird im folgenden untersucht, inwieweit die zur Zeit vornehmlich diskutierten Modelle der Bundesländer Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie die Konzepte der Regierungskoalition zur Entschärfung der unterhalts- rechtlichen Fragen beitragen würden. Alternativ oder ergänzend zu einer sozialrechtlichen Regelung kann man die Angehörigen Pflegebedürftiger durch Einschränkungen der bürgerlich-rechtli- chen Unterhaltspflicht entlasten. Die hierzu in den vergangenen 20 Jahren ange- stellten Erwägungen werden überblicksartig vorgestellt. Ein Handeln des Gesetzgebers ist freilich vorerst nicht zu erwarten: Es ist sehr fraglich, ob es noch in der 12. Wahlperiode zu einer allgemeinen Absicherung des Pflegefallrisikos kommen wird. Die Aussichten bezüglich eines unterhaltsrechtli- chen Gesetzgebungsaktes sind noch viel ungewisser. Damit ergibt sich abschließend die Prognose, daß den vorgestellten Lösungsan- sätzen auf Basis der lex lata zumindest vorübergehend noch praktische Bedeutung zukommen wird, sei es weil es zu keiner Reformgesetzgebung kommt, sei es daß diese nur einen Teil der Problemfälle betrifft. Dieser Periode, die hoffentlich nur eine Übergangsperiode sein wird, sind einige Schlußbemerkungen gewidmet. I) Renesse, 231 (232). 2) Zur bisherigen Diskussion vgl. den Überblick bei 19l, 417 - 458. 184 2. Sozialrechtliche Reformansätze Ausblick 2.1. DerzeitigerDiskussionsstand Im Sommer 1990 hat sich der Bundesrat mit der Problematik einer Pflegefall- versicherung befaßt. Schon 1986 hatten drei Bundesländer Gesetzesentwürfe vor- gelegt-). Vor dem zuständigen Ausschuß war eine breit angelegte Sachverständi- genanhörung durchgeführt worden"). Nachdem zwischenzeitlich ein kleiner Aus- schnitt des Problems im Rahmen des Gesundheitsreformgesetzes geregelt worden war, ergriffen im Jahr 1990 die Länder Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erneut die Initiative. Bayern, das zunächst am baden-württembergischen Entwurf mitgewirkt hatte, bis sich unüberwindliche Meinungsverschiedenheiten heraus- stellten, hat jetzt eine Arbeitsgruppe "Pflegefinanzierung" eingesetzt-) und ver- folgt seinen früheren Gesetzesantrag weiters). Rheinland-Pfalz brachte seine frü- here Vorlage nochmals ein"), Baden-Württemberg wartete mit einem gänzlich neuen Modell auf"). Im September 1990 hat Bundesarbeitsminister Blüm auf dem Ersatzkassentag den Vorschlag vorgetragen, in der 12. Wahlperiode die Regelungen des Gesund- heitsreformgesetzes weiterzuentwickeln. Die unter dem Dach der gesetzlichen Krankenversicherung - bei organisatorischer und finanzieller Eigenständigkeit - anzusiedelnde Pflegeversicherung solle Hilfe für Pflegebedürftige ohne Rücksicht auf Ursache und Alter anbieten. Häusliche Pflege solle Vorrang haben. Es solle aber auch bei stationärer Unterbringung geholfen werden. Die Finanzierung solle durch Beiträge der Versicherten, durch Zuzahlungen der Pflegebedürftigen z. B. zu den Unterbringungskosten, durch Investitionszuschüsse der Länder und durch Zuschüsse des Bundes für die bereits Pflegebedürftigen aufgebracht werden"). Die FDP sprach sich auf ihrem Nürnberger Parteitag mit einem "hauchdünnen Beschluß"?") gegen eine allgemeine Pflegeversicherung aus. Sie setzte stattdessen auf steuerliche Anreize für freiwillige private Vorsorge!"). Damit war der Konflikt in den Koalitionsverhandlungen nach den Wahlen zum 12. Deutschen Bundestag vorprogrammiert. In den Verhandlungen griff der Bun- desarbeitsminister seine im Herbst zuvor vorgestellte Konzeption wieder auf. 3) Hessen: BR-Drs 81/86, bei den Verhandlungen des Bundesrates abgelehnt (vgl. IgI, 442); Rhcinland-Pfalz: BR-Drs 137/86; Bayern BR-Drs 138/86. 4) Igl, 447. 5) Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 18. 7. 1990, 22. 6) Vgl. ZRP 1991, 406 (407). 7) BR-Drs 425/90; 1991 hat Rheinland-Pfalz diesen Antrag zurückgezogen, vgl. ZRP1991, 406 (407). 8) BR-Drs 367/90. 9) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. 9. 1990, 17 f. 9) Süddeutsche Zeitung vom 27./28.4.1991, 17. 10) Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 2./3. 10. 1990, 19. Ausblick 185 Nach dem Terminplan des Ministeriums wurde mit einer einjährigen Vorberei- tung und ein- bis zweijährigen parlamentarischen Beratungen gerechnet. Frühe- stens 1994 sollte das neue Gesetz wirksam werden11). Die FDP lehnte den Vorschlag unnachgiebig ab. Entscheidend dürfte das Vo- tum des Bundesfinanzministers gewesen sein, der den Standpunkt einnahm, das Problem könne frühestens in ein bis zwei Jahren gelöst werden, wenn die finanz- politischen Probleme der deutschen Einheit gelöst seien. Eine Pflegekostenversi- cherung könne erst dann über Beiträge finanziert werden, wenn die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung wieder gesenkt werden könnten12). Dementsprechend wurde in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, daß wäh- rend der Erhebung erhöhter Beiträge zur Arbeitslosenversicherung auf die Ein- führung einer gesetzlichen Pflegeversicherung verzichtet werde. Der Bundesar- beitsminister solle dennoch bis Mitte 1992 dem Kabinett einen Gesetzentwurf vorlegen13). Anfang Mai 1991 hat Bundesarbeitsminister Blüm sein Konzept konkreti- siert 14) und ist wiederum auf den inzwischen modifizierten Widerstand der FDP gestoßen. Die FDP fordert nunmehr eine obligatorische Pflegeversicherung, de- ren Kosten die Versicherten alleine tragen sollen. Es soll Wahlfreiheit zwischen privaten Versicherungen und den Krankenkassen bestehen14a) . Auch innerhalb der CDU stieß das "Blüm-Modell" auf Widerstand seitens des Wirtschaftsflügels der Partei'P). So drängte etwa der CDU-Wirtschaftsrat auf ei- nen Komprorniß auf der Grundlage eines "kleineren und abgespeckten Blüm-Mo- dells'(15). Am 30.9. 1991 verabschiedete der CDU-Bundesvorstand einen von ei- ner Arbeitsgruppe unter Heiner Geißler erarbeiteten Komprorniß!"), der freilich heftiger Kritik seitens der Mittelstandsvereinigung der CDU und seitens der FDP ausgesetzt war!/). Die Vorstellungen der SPD ähneln stark denjenigen des Bundesarbeitsministers mit der Abweichung, daß alle Arbeitnehmer sowie Beamte und Selbständige pflichtversichert sein sollen18). Einen entsprechenden Gesetzesentwurf haben die Länder Bremen, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Schleswig-Holstein im September 1991 eingebracht!"), 11) Süddeutsche Zeitung vom 20. 12. 1990, 27. 12) Süddeutsche Zeitung vom 8. 1.1991, 2; Badische Zeitung vom 8. 1. 1991, 8. 13) Süddeutsche Zeitung vom 9.1.1991,1. 14) Dazu sogleich sub 2.4 (S. 187 f). Ha) Badische Zeitung vom 7. 5. 1991, 7. 14b) Süddeutsche Zeitung vom 27./28. 4. 1991, 17. 15) Vgl. z. B. Badische Zeitung vom 15. 7. 1991, 11. 16) Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 18. 9. 1991. 17) Süddeutsche Zeitung vom 1. 10. 1991, 2. 18) Badische Zeitung vom 1. 10. 1991; Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 21. 10. 1991, 1. 19) BR-Drs. 534/91. 186 Ausblick 2.2. Auswirkungen des Modells aus Rheinland-Pfalz a) Schwerpunkt des Vorschlags aus Rheinland-Pfalz ist ein Bundespflegehilfe- gesetz-P). Danach sollen erheblich Pflegebedürftige ohne Erwerbseinkommen, die das sechzigste Lebensjahr vollendet haben, Pflegehilfe erhalten. Vorrangig soll Hilfe zu häuslicher Pflege geleistet werden - und zwar in Gestalt eines gestaffelten Pflegegeldes (236 bis 354 DM monatlich-tj ). Falls erforderlich wird auch stationä- re Pflege unterstützt. Hier ist ein Zuschuß zu den Pflegekosten i. H. v, 150% des maximalen Grundpflegegeldes (also derzeit ca. 530 DM22» vorgesehen. Der An- spruch auf Pflegehilfe soll nicht durch etwaige Unterhaltsansprüche verdrängt werden-"). Mit den Aufwendungen soll der Bund belastet werden. Das vorgeschlagene Gesetz ist dem Typus "Leistungsgesetz mit teilweise redu- zierter Einkommens- und Vermögensanrechnung" zuzuordnen-"), Das von Rheinland-Pfalz vorgeschlagene Artikelgesetz sieht ferner "ergänzen- de Pflegehilfe" im Rahmen des Sozialhilferechts vor (§ 68 a und b BSHG in der Fassung des Vorschlags). Danach soll bei entsprechender Bedürftigkeit das Grundpflegegeld nach dem Pflegehilfegesetz aufgestockt werden. Ist stationäre Hilfe erforderlich, soll die ergänzende Hilfe zur Pflege in einer Anstalt gewährt werden. b) Fragt man nach der Entlastungswirkung des Gesetzes für U nterhaltspflichti- ge, fällt zunächst seine Beschränkung auf den Problemausschnitt "Alterspflegebe- dürftigkeit" auf. Insbesondere die Unterhaltslasten der Eltern behinderter Kinder werden also nicht gemindert. Auch bei Alterspflegebedürftigkeit jedoch wären Unterhaltspflichtige insbesondere bei stationärer Unterbringung keineswegs aus dem Schneider. Ein Zuschuß zu den Heimkosten i, H. v, gut 500 DM25), wobei der Rest weiterhin von der Sozialhilfe (vor-) finanziert wird, läßt bei besser ver- dienenden Kindern durchaus noch Rückgriffsspielräume. 2.3. Auswirkungen des Modells aus Baden- Württemberg a) Baden-Württemberg hat ein Pflegevorsorgegesetz vorgeschlagen-e). Jede Person, die das 45. Lebensjahr vollendet hat, soll verpflichtet werden, Vorsorge 20) Entwurf eines Gesetzes zur Neuregclung der Pflegehilfe vom 17. 6. 1990, Art. 1; BR- Drs 425/90; vgI. oben Fn. 7. 21) Art. 1 § 10 des Entwurfes. 22) Art. 1 § 17 des Entwurfes. 23) Art. 1 § 3 111 des Entwurfes. 24) 19l, 445. 25) Kritisch zur Höhe des Grundpflegegeldes DV NDV 1990, 329 (331). 26) Entwurf eines Gesetzes zur Vorsorge gegen das finanzielle Pflegerisiko vom 23. 5. 1990, BR-Drs 367/90. Die nach den Landtagswahlen im April 1992 gebildete Große Koalition wird dieses Projekt nicht weiter verfolgen. Ausblick 187 für das Risiko der Pflegebedürftigkeit zu treffen. Die Vorsorge muß i. d. R. durch eine Pflegeversicherung bei einem privaten Versicherungsunternehmen getroffen werden-"). Der Versicherungsvertrag muß so ausgestaltet sein, daß bei Eintritt des Versicherungsfalles bei Schwerpflegebedürftigkeit (Pflegestufe 1) monatlich min- destens 750 DM, bei Schwerstpflegebedürftigkeit (Pflegestufe 3) monatlich min- destens 1500 DM gezahlt werden. Die Mindestsicherung soll durch Rechtsverord- nung der Bundesregierung der wirtschaftlichen Entwicklung angepaßt werden können. Personen mit geringem Einkommen soll ein Prämienzuschuß von maxi- mal 500/0 gewährt werden. Notfalls trägt die Sozialhilfe die Prämie. b) Auch dieser Vorschlag beschränkt sich auf das Problem der Alterspflegebe- düritigkeit-"). Die Mindestsicherung ist so bemessen, daß insbesondere bei Schwerstpflegebedürftigkeit noch ein gewisser, nicht von der Versicherung abge- deckter Zusatzbedarf entstehen dürfte. Dementsprechend können auch im Be- reich der Alterspflegebedürftigkeit noch rückgriffsträchtige Leistungen der Sozi- alhilfe nötig werden. Das baden-württembergische Vorhaben will schließlich Per- sonen, die bei Inkrafttreten des Gesetzes schon pflegebedürftig sind, von der Ver- sicherungspflicht ausnehmen?"), Während einer längeren Übergangszeit würde demnach das bisherige Recht unverändert bedeutsam bleiben-P). 2.4. Auswirkungen des "Blümcc-Modells a) Die nach den Plänen des Bundesarbeitsministers unter dem Dach der gesetz- lichen Krankenversicherung angesiedelte Pflegeversicherung soll Leistungen bei häuslicher und stationärer Pflege gewähren, wobei der häuslichen Pflege der Vor- rang zukommen soll. Die Leistungen bei häuslicher Pflege sollen nach drei Gra- den gestaffelt sein: Erheblich Pflegebedürftige sollen Sachleistungen im Wert von 750 DM erhalten können, Schwer- und Schwerstpflegebedürftige Sachleistungen im Wert von 1500 bzw. 2250 DM. An die Stelle der Sachleistung sollen Geldbeträ- ge (400, 800 oder 1200 DM) treten können. Auch die Leistungen bei stationärer Pflege sollen vom Grad der Pflegebedürftigkeit abhängen. Sie sollen höchstens 2000 DM betragen. Versicherungspflichtig sollen alle in der gesetzlichen Kran- kenversicherung versicherten Arbeitnehmer sein. Ehegatten und Kinder mit ei- nem monatlichen Einkommen unter 480 DM sollen mitversichert sein. Die Bei- tragslast (2%) sollen Arbeitnehmer und Arbeitgeber je hälftig tragen-t). 27) Daher handelt es sich genau genommen nicht um eine sozialrechtliche Lösung. 28) Insoweit kritisch der bayerische Sozialminister Glück, der Absicherung des Pflegefallri- sikos ab Geburt für nötig hält, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 18. 7. 1990, 22. 29) § 1 I 2 des Entwurfes. 30) Kritisch DV NDV 1990, 329 f. 31) Süddeutsche Zeitung vom 4./5.5.1991,2 und vom 6.5.1991,25. 188 Ausblick b) Dieses Modell würde die weitestgehende Entlastung der Familie bewirken: Es würde Pflegebedürftige jeden Alters schützen. Die Pflegeleistungen sind so zu- geschnitten, daß ein Eintreten der Sozialhilfe kaum mehr nötig sein wird. Auf- grund der Umlagefinanzierung, die das Beitragsverfahren ermöglicht, würde der Versicherungsschutz auch sofort eingreifen!"). Freilich erfaßt der Kreis der Pflichtversicherten nur ca. 900/0 der Bevölkerung. Besserverdienende Arbeitneh- mer, Beamte und Selbständige, die sich nicht selbst um entsprechende Vorsorge kümmern, können ihren Angehörigen auch noch künftig Pflegefinanzierungspro- bleme bereiten. Müssen sie Sozialhilfe in Anspruch nehmen, wird es weiterhin auf die rückgriffs- und unterhaltsrechtlichen Fragen ankommen. 2.5. Fazit Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß seitens der Bundesländer und sei- tens des Bundesarbeitsministeriums derzeit eine weitergehende Lösung des Pfle- geproblems vorangetrieben wird. Eine Umsetzung der im Bundesrat diskutierten Entwürfe würde die unterhaltsrechtlichen Probleme, die in der Arbeit erörtert wurden, entschärfen - freilich nur im Blick auf die Alterspflegebedürftigkeit und - in Abhängigkeit vom vorgesehenen Leistungsrahmen - u. U. auch nur teilweise. Sieht man von dem 1991 eingebrachten Fünf-Länderantrag ab, der als SPD- Entwurf wohl keine Chance hat, würde die am weitesten gehende Entlastung durch das "Blüm-Modell" bewirkt. Insoweit dürfte es jedoch nur zu einer Realisie- rung einer "abgespeckten" Variante kommen, hinsichtlich deren allenfalls eine Einigung mit der FDP erwartet werden kann. Je mehr der Leistungsrahmen aber eingeschränkt wird, desto größer wird die Zahl derer sein, die noch zusätzlich 50- 313) Man kann sich fragen, ob eine sofortige Einbeziehung auch schon Pflegebedürftiger in gewissen Fällen zu einer "ungerechtfertigten Bereicherung" ihrer Erben führt. Zu den- ken ist insoweit an folgenden Fall: Ein Pflegebedürftiger verfügt über ein einigermaßen geräumiges Eigenheim, das wegen der Neufassung des § 88 11 Nr. 7 BSHG einen Anspruch auf Pflegehilfe nicht hindert. Nachdem er fünf Jahre lang häusliche Pflegehilfe erhalten hat, kommt er in den Genuß der neuen Sozialleistung, die er noch sechs Jahre bis zu seinem Tod in Anspruch nimmt. Der Bezug der neuen, nichtsubsidiären Sozialleistung ändert nichts daran, daß der Erbe für die zunächst gezahlte Sozialhilfe gern. § 92 c BSHG Kostenersatz leisten muß, sofern nur die Sozialhilfe in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall aufgewandt wurde. Für diesen Kostenersatz muß der Erbe ggf. auch das in Person des Hilfeempfängers ver- schonte Gebäude einsetzen. Im Fall kommt es nur insoweit zu einer Bereicherung des Erben infolge der erhöhten Vermögensfreigrenze, als das erste Jahr der Sozialhilfezah- lung betroffen ist. Diese fragwürdige Folge dürfte jedoch nicht in sehr vielen Fällen auf- treten. Ausblick 189 zialhilfeleistungen in Anspruch nehmen müssent-). Je mehr Pflegebedürftige So- zialhilfe erhalten, desto mehr Angehörigen droht auch in Zukunft der Rückgriff der Sozialhilfeträger mit der Folge, daß die Ausführungen dieser Arbeit praktisch bedeutsam bleiben. 3. Überblick über die Diskussion zur Reform des Verwandtenunterhaltsrechts 3.1. Vorstoß des "Deutschen Vereins" in den siebziger Jahren Bereits an mehreren Stellen wurde das Dritte Änderungsgesetz zum BSHG er- wähnt. Dieses Gesetz hatte den Rückgriff auf Verwandte ersten Grades be- schränkt, die Härteklausel schuldnerfreundlicher ausgestaltet und den Anwen- dungsbereich des § 43 11 BSHG erweitert-'). Während im Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit des Ge- setzentwurf vorbereitet wurde, befaßte sich der Hauptausschuß des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge auf seiner Tagung zum Thema "Das Unterhaltsrecht und die Sozial- und Jugendhilfe" am 6./7. Mai 1971 mit dem Ge- setzgebungsprojekt. Bei der Aussprache und seitens der Referenten wurden die später realisierten Änderungen des BSHG gutgeheißen. Es wurden aber auch weitergehende Forde- rungen erhoben. So vertrat Keese die Auffassung, man solle den Rückgriff abgesehen vielleicht von Ausnahmen auf erhöht Unterhaltspflichtige beschränken-"), Dadurch würde die personalintensive, schwierige und ineffektive Heranziehung Unterhaltspflich- tiger entbehrlich-"). Die finanziellen Auswirkungen eines solchen Verzichts wür- den keine unüberwindlichen Probleme aufwerfen."). Auch das Nachrangprinzip spreche nicht gegen eine solche Entlastung-"). Ähnlich wie Keese äußerte sich In- necken 38) . Landfermann wies auf die Rechtslage in den skandinavischen Ländern und auf die entsprechende Reformgesetzgebung in den Niederlanden hin. Angesichts des- sen vertrat er die Auffassung, in einer modernen Gesellschaft, die über ein gut ausgebautes System von staatlichen Unterstützungsleistungen verfüge, solle der Kreis der Unterhaltsverpflichteten auf die Haushaltsgemeinschaft der Kleinfami- 32) Einen Tag nach der Einigung innerhalb der CDU sah auch der Bundesarbeitsminister Anlaß zu einer Warnung davor, die künftigen Pflegeleistungen zu niedrig anzusetzen, Süddeutsche Zeitung vom 27.9.1991,6. 33) Vgl. im einzelnen Giese, ZfF 1974, 73 H. 34) Keese, 5. 35) Keese, 7. 36) Keese, 9. 37) Keese,10 f. 38) lnnecken, 12 (14 - 17). 190 Ausblick lie beschränkt werden. Für wünschenswert hielt er eine Regelung im Bereich des Unterhaltsrechts. um keine Divergenz zwischen Unterhalts- und Erstattungs- pflichten entstehen zu lassen?"). In der Aussprache der Hauptausschußsitzung schließlich war man sich einig, daß eine Beschränkung der Heranziehung Unterhaltspflichtiger im Rahmen des BSHG, die sich schnell realisieren lasse, nur ein - billigenswerter - erster Schritt sein könne. Als nächster Schritt sei eine entsprechende Reform des U nterhalts- rechts erforderlichw). Nachdem es im Dritten Änderungsgesetz zum BSHG vom 25.3. 1974 in Ge- stalt des § 91 I 1 BSHG n.F. zu einer sozialhilferechtlichen Rückgriffsbeschrän- kung gekommen war, verfolgte der Deutsche Verein das Projekt einer Reform des Unterhaltsrechts weiter. Mit Mitteln des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit ließ er Untersuchungen anstellen, um die Beurteilungsgrundlagen zu verbesserrr"), Das Ergebnis war der 1976 erschienene "Forschungsbericht über das U nterhalts- recht und die Sozial- und Jugendhilfe". In diesem Band legte Leitner "Materialien zu Stand und Tendenzen verwand- schaftlicher Hilfeleistungen in der BRD" vor42) • Unter Rückgriff auf Datenmate- rial aus unterschiedlichen Studien gelangte sie zu einigen "interpretierenden Aus- sagen ... mehr hypothetischen Charakter(s) '(43). Sie stellte fest 44) , daß in ca. je- dem sechsten Haushalt regelmäßige Sach- oder Geldleistungen für nahe Angehö- rige, die nicht der "Kernfamilie" angehören, erbracht wurden, wobei diese Lei- stungen häufig als Kompensation für frühere oder gegenwärtige Leistungen der Unterstützten empfunden wurden. In relativ großem Umfang würden persönli- che Dienstleistungen unter Verwandten ausgetauscht, und zwar vor allem dort, wo sich zwanglos das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden lasse. In beson- deren Lebenslagen würden begrenzte finanzielle Aufwendungen besonders in Akutfällen weithin als Verpflichtung betrachtet. Langfristige ökonomische Ab- hängigkeiten würden allgemein abgelehnt und gefürchtet. Angesichts der Exi- stenz außerfamilialer Sicherungssysteme habe die familiale Solidarität den Charak- ter "affektiver Wahlverwandtschaft" angenommen-e), die mit einer hohen Bereit- schaft einhergehe, ein"Übriges" zu tun, wenn die Existenz des Bedürftigen ander- weit gesichert sei46) . 39) Landfermann, 31 (45 f) = RabclsZ, 1971,505 (520 f). 40) Deutscher Verein, Unterhaltsrecht, 49. 41) Vgl. Petersen, in: Imlau/Leitner, XVI f. 42) Der Band enthält außerdem noch eine rechtsvergleichende Untersuchung von Imlau so- wie eine Darstellung des geltenden Unterhaltsrechts von Brühl. 43) Leitner, in: Imlau/Leitner, 121. 44) Leitner, in: Im lau/Leitner, 139 f. 45) Leitner, in: Imlau/Leitner, 136. 46) Leitner, in: Imlau/Leitner, 140 f. Ausblick 3.2. Rechtspolitischer Kongreß der SPD 1980 191 Auf dem 5. Rechtspolitischen Kongreß der SPD vom 29. 2. bis zum 2. 3. 1980 in Saarbrücken beschäftigte sich die Arbeitsgruppe "Familienverantwortung im sozialen Rechtsstaat" mit Problemen des Unterhaltsrechts. Einig war man sich in der Arbeitsgruppe, daß eine finanzielle Entlastung des Fa- milienhaushalts geboten sei, der u.a. durch die Kosten bei Pflegebedürftigkeit alter Menschen überlastet sei'"). Einige Referenten wollten diese Entlastung auf unter- haltsrechtlichem Weg erreicherr'"). Simon49 ) plädierte für eine Lockerung der Unterhaltspflicht gegenüber entfern- teren Verwandten: Der Unterhaltsanspruch solle auf einen Anspruch auf Sozial- leistungen ergänzende Aufstockungsbeträge reduziert werden. Nach Willutzki 50) sollten Unterhaltsansprüche Volljähriger gegeneinander grundsätzlich entfallen. Eine Ausnahme wollte er bei Unterhaltsbedarf volljähri- ger Kinder machen, wenn der Unterhaltsbedarf "im Rahmen eines nach wie vor von den Eltern verantworteten Nachwirkungsbereichs" liege. Auch Naendrup51) wehrte sich mit Blick auf Pflegebedürftigkeit von "Senior- bürgern" gegen die fiskalische Indienstnahme des privaten Unterhaltsrechts und schlug vor, § 1601 BGB auf eine Unterhaltspflicht der Eltern für minderjährige Kinder zu beschränken. In den Verhandlungen der Arbeitsgruppe war allerdings nur ein Teil der Teil- nehmer der Meinung, die Unterhaltspflicht solle auf die Kernfamilie beschränkt werden. Die andere Fraktion setzte auf den Weg, durch den Aufbau sozialer Si- cherungssysteme z. B. für Fälle der Pflegebedürftigkeit das Unterhaltsrecht zu unterlaufen'<). Insgesamt fällt übrigens auf, daß man die Belastungen von Eltern volljähriger behinderter Kinder nicht in die Betrachtungen einbezog. 3.3. 69. Deutscher Fürsorgetag 1980 wurden auch im Deutschen Verein die unterhaltsrechtlichen Reformüber- legungen weitergeführt. Ein Themenbereich auf dem 69. Deutschen Fürsorgetag in Frankfurt vom 23. bis zum 25. 4. 1980 trug den Titel "Familienunterhalt und 47) Renesse, 231 H. 48) Daß in der SPD nahestehenden Kreisen Tendenzen zur Einschränkung der U nterhalts- pflicht zu verzeichnen sind, ist insofern bemerkenswert, als die sozialliberale Koalition kurz zuvor im nachehelichen Unterhaltsrecht die Unterhaltserwartungen der Unter- haltsgläubiger stark ausgedehnt hatte; vgl. dazu ErmanlDieckmann, §§ 1569 H, passim. 49) Simon, 145 (147). 50) Willutzki, 165 (168). 51) Naendrup, 183 (189). 52) Renesse, 232 f. 192 Ausblick Sozialleistungen". In diesem Rahmen stellte Puls "Überlegungen zur Reform des Unterhalrsrechts" an und berichtete über einschlägige Diskussionen innerhalb des Deutschen Vereins 53) . Danach sollten Eltern nur noch minderjährigen Kindern un- terhaltspflichtig sein, es sei denn das Kind befinde sich noch in der Ausbildung!"). Diese Beschränkung solle auch für behinderte, nicht in der Ausbildung befindli- che Kinder gelten. Nur so könne die Bereitschaft der Eltern zur immateriellen Hilfeleistung gegenüber den volljährigen Behinderten gestärkt werdent") . Es rei- che nicht aus, lediglich im Sozialhilferecht eine Härteregelung vorzusehenw) . Aus Symmetriegründen dürfe dann auch die Unterhaltspflicht von Kindern gegenüber behinderten und pflegebedürftigen Eltern nicht mehr die Gewährung von Geldlei- stungen zur Sicherung des materiellen Lebensbedarfs umfassen'") . Dies ist wohl so zu verstehen, daß Kinder den Eltern nicht mehr unterhaltspflichtig sein sollen. Um so weniger sei es schließlich vertretbar, an der wechselseitigen Unterhalts- pflicht zwischen Großeltern und Enkeln festzuhalten. In den Ergebnissen der Diskussionsgruppe 11 b des 69. Fürsorgetages schlugen sich diese Vorschläge freilich nicht nieder. Dort findet sich nur die vage Formulie- rung, unterhaltsrechtliche und sozialrechtliche Vorschriften sollten besser aufein- ander abgestimmt werden'"),59) . Die Diskussionen in der zuständigen Arbeitsgruppe mündeten in "Grundthe- sen zur Neuordnung des Unterhaltsrechts", die als internes Arbeitspapier leider nicht veröffentlicht wurden. Sie schlugen, wie Schellhorn berichret-"), eine Be- schränkung der Unterhaltspflicht auf das Verhältnis der Ehegatten und früheren Ehegatten untereinander und - einseitig - auf das Verhältnis der Eltern zu ihren minderjährigen unverheirateten Kindern vor. 3.4. Weitere Entwicklung a) Offenbar im Zusammenhang mit den Diskussionen des Jahres 1980 wurde im Bundesjustizministerium ein "Vorentwurf für ein Gesetz zur Neuordnung des Unterhaltsrechts" erstellt, dessen wohl letzte Fassung vom 1. 1O. 1982 stammte"). Nach dem Regierungswechsel wurden die Arbeiten an diesem Entwurf eingestellt. 53) Puls, 118 H. 54) Puls, 130. 55) Puls, 131. 56) Puls, 126. 57) Puls, 126. 58) Dahlinger, 176 (178). 59) Zustimmung zu den von Puls vorgetragenen Erwägungen findet sich bei Rasehorn, TuP 1980,300 (303 f). 60) Schellhorn, FuR 1990, 20 (28 f, bes. Fn. 75). 61) Dieser Entwurf hat Derleder/Derledervorgelegen, vgl. DAVorm 1984,99 (101, bei Fn. 17). Ausblick 193 Leider ist es nicht möglich, auf den Inhalt des Entwurfs einzugehen, insbesondere darauf, ob er für Pflegefälle bedeutsame Einschränkungen der Unterhaltspflicht enthält. Das Ministerium hält den nicht veröffentlichten Text nämlich unter Ver- schluß62). b) Nachdem von seiten der christlich-liberalen Bundesregierung im Zusam- menhang mit der Spargesetzgebung von Anfang der 8DerJahre nur eine gegenläu- fige Initiative unternommen wurde, nämlich der Versuch, § 91 11 BSHG zu strei- cherrv), sind erst in jüngster Zeit wieder Überlegungen zur Einschränkung der Unterhaltspflicht angestellt worden. Der damalige Bundesjustizminister Engel- hardt hat im Oktober 1989 mitgeteilt, er beschäftige sich mit Fragen des Unter- haltsrechts. In diesem Zusammenhang meinte er, es werde zunehmend Aufgabe des Unterhaltsrechts sein, die Lasten im Familienverband erträglich zu erhal- tens"). c) Auch in der Literatur lassen sich bisweilen Stimmen vernehmen, die eine Re- form des Verwandtenunterhaltsrechts propagieren. Schwenzer65) hat gefordert, Verwandtenunterhalt auf die Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihren minderjährigen Kindern ergänzt um Ausbildungsunterhalt zu begrenzen. Im übrigen möchte sie die Unterhaltspflicht zwischen Verwandten en tfallen lassen. Schellhorn hält eine Gesamtreform des Unterhaltsrechts für erforderlich, die Sozialhilfe- und Unterhaltsrecht synchronisieren solle. Er sympathisiert offenbar mit den im Deutschen Verein erarbeiteten Vorschlägens-). Zurückhaltender hat sich Köhler geäußert67). Er möchte über die zeitliche Be- grenzung der lebenslangen Unterhaltspflicht und die Harmonisierung des Groß- eltern- und Enkelunterhalts mit dem Sozialhilferecht nachdenken, lehnt aber eine Abschaffung des Elternunterhalts ab. 3.5. Fazit und Reformvorschlag Insgesamt kann die Reformdiskussion derzeit nicht als übermäßig lebhaft ein- geschätzt werden. Dementsprechend ist es wenig wahrscheinlich, daß den in die- ser Arbeit erörterten Fragen von der unterhaltsrechtlichen Flanke her ihre Brisanz genommen wird, wenngleich dies rechtspolitisch erfreulich wäre. Was das in dieser Arbeit angesprochene Sozialproblem der Pflegebedürftigkeit 62) Ebenso Derleder. 63) Dazu oben Kapitel 4 sub 2.1.3 (5. 68). 64) Engelhard, 8. Deutscher Familiengerichtstag, Grußwort, 8 (9). 65) Schwenzer, FamRZ 1989, 685 (690 f). 66) Schellhorn, FuR 1990, 20 (28). 67) Köhler, FamRZ 1990,922 (923). 194 Ausblick angeht, würde im übrigen auch schon eine "kleinere" Lösung dem rechtspolitisch Sinnvollen Rechnung tragen: a) Es wurde dargelegt, daß die Rechtsprechung in § 1579 Nr. 7 BGB einen Weg gefunden hat, die Verantwortung der Gesellschaft für Pflegekosten in eine Entla- stung Unterhaltspflichtiger umzusetzen. Im Recht des Verwandtenunterhalts hat sich dieser Weg wegen der Ausgestaltung des § 1611 BGB als nicht gangbar erwie- sen. M. E. könnte man - wenn man sich zu einem umfassenderen Reformgesetz nicht entschließen kann -, zumindest hier ansetzen und in § 1611 BGB etwa fol- genden Absatz 4 einfügen: »Die Unterhaltsverpflichtung entfällt, soweit und solange die Inanspruchnahme des Ver- pflichtetcn unbillig wäre, weil der Unterhaltsanspruch auf langwährender Pflegebedürf- tigkeit des Unterhaltsberechtigten beruht. Absatz 2 gilt entsprechend. § 91 II! BSHG bleibt unberührt." § 1611 11BGB gewährleistete, daß die Änderung nur den Unterhalt volljähriger Kinder beträfe. § 1611 111 BGB, der eine Verlagerung der Unterhaltslast auf ande- re Verwandte ausschlösse, paßt nicht, da es nicht um die Flankierung einer Sankti- on geht68) . In den meisten Fällen dürften die Ergebnisse dem entsprechen, was sich auch infolge der hier vertretenen Auslegung des § 1603 I BGB ergeben würde. In man- chen Fällen könnte man zu einem noch weiterreichenden Schutz Unterhalts- pflichtiger gelangen.Der Vorteil bestünde in der Kodifizierung der Wertung und in der Vereinfachung der gedanklichen Operationen';"}. b) Es wäre auch eine andere "kleine Lösung" denkbar, die freilich wegen ihrer Halbherzigkeit nicht zu empfehlen wäre. Scheut man nämlich einen unterhalts- rechtlichen Gesetzgebungsakt, könnte man wie beim Dritten Änderungsgesetz zum BSHG dasselbe Ergebnis durch eine sozialhilferechtliche Regel bewirken. Man müßte nur die Härteklausel in § 91 111 1 HS 2 BSHG verändern und aus ihr ein zwingendes, alle Pflegefälle betreffendes Rückgriffshindernis machen, das sei- nerseits wiederum - kraft Ausstrahlung- unterhaltsrechtliche Auswirkungen hät- te. § 91 111 1 BSHG müßte dann wie folgt lauten: »Der Träger der Sozialhilfe soll davon absehen, einen nach bürgerlichem Recht U nter- haltspflichtigen in Anspruch zu nehmen, soweit dies eine Härte bedeuten würde; eine Härte ist stets anzunehmen, soweit einem Behinderten, einem von einer Behinderung Be- drohten oder einem Pflegebedürftigen nach Vollendung des 21. Lebensjahres Eingliede- rungshilfe für Behinderte oder Hilfe zur Pflege gewährt wird. '(69) 68) Vgl. zu § 1611 111 BGB schon Kapitel 6 sub 4.3.3 (5. 158). 68a) Es ließe sich aus Gründen der KlarsteIlung erwägen, den härteerheblichen Umstand »langwährende Pflegebedürftigkeit" auch in § 1579 ausdrücklich zu benennen. 69) Gegen eine solche Regelung verständlicherweise die Verbandsversammlung des Landes- wohlfahrtsverbandes Baden; vgl. Badische Zeitung vom 15./16. 12.1990. Ausblick 4. Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlußbemerkung 195 a) Die Ergebnisse der Untersuchung, die zumindest vorerst weiterhin bedeut- sam bleiben, sollen abschließend kurz zusammengefaßt werden: Das geltende Recht ermöglicht in mancherlei Hinsicht den Schutz U nterhalts- pflichtiger vor der Inanspruchnahme bei Pflegebedürftigkeit. Die Rückgriffsregeln des BSHG enthalten bedeutsame schuldnerschützende Vorschriften in den §§ 91 I 1, 2, 111 1 und 16 BSHG, die Deutungsspielräume er- öffnen, die teilweise besser als bisher genutzt werden könnten?"), Im Recht des Verwandtenunterhalts kann dem Unterhaltspflichtigen freilich entgegen der Ansicht des AG Hagen nicht durch eine einschränkende Auslegung des § 1610 11 BGB geholfen werden"). Überzeugend ist demgegenüber der ande- re Ansatz des Amtsgerichts, gegenüber "Pflegeunterhalt" dem U nterhaltspflichti- gen im Rahmen des § 1603 I BGB einen höheren "Selbstbehalt" als sonst üblich zuzugestehen"). Eine Schonung der Unterhaltspflichtigen kann u. U. auch durch Anrechnung von pflegefalltypischen Sozialleistungen erreicht werden."). Im nachehelichen Unterhaltsrecht stellt sich das Problem in geringerer Schärfe, da die Unterhaltserwartungen von vorneherein durch die "ehelichen Lebensver- hältnisse" beschränkt sind/"). Soweit gleichwohl eine unbillige Heranziehung des Pflichtigen in Rede steht, kann u. U. über die Kürzungsvorschriften der §§ 1578 I 2, 1579 Nr. 7 BGB geholfen werden/"). Es kann auch § 1581 BGB in Pflegelagen schuldnerfreundlich angewendet werden?"). Soweit schließlich ein Unterhaltsschuldner auf "Pflegeunterhalt" in Anspruch genommen werden soll, obwohl der Gläubiger rückgriffslose Hilfe zur Pflege nach dem BSHG beziehen könnte, fehlt es kraft "Ausstrahlung" des jeweils ein- schlägigen Rückgriffshindernisses schon an der unterhaltsrechtlichen Bedürftig- keit i. S. der §§ 1603 I, 1577 I BGB77). b) All diesen Ergebnissen steht der einfachgesetzliche Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 BSHG) nicht entgegen. Das BSHG hat diesen Grundsatz selbst aufgegeben, soweit es Rückgriffsmöglichkeiten abgeschnitten hat. Dementsprechend ist die "Ausstrahlungsthese" mit § 2 BSHG vereinbar/"). Soweit die Auslegung des Bür- gerlichen Rechts ergibt, daß eine Inanspruchnahme bei Pflegebedarf entfällt, ist der Grundsatz des Nachrangs von vorneherein nicht berührt. 70) Kapitel 4.2 (5. 67-96). 71) Kapitel 5.1.3.1 (5. 104-106). 72) Kapitel 5.3.2 (5. 125 f) und 5.3.5 (5. 129-132). 73) Kapitel 5.2.1.3 (5. 117-123). 74) Kapitel 6.1 (5. 133-143). 75) Kapitel 6.4.2 (5. 150-152) und 6.4.3 (5. 152-159). 76) Kapitel 6.3.2 (5. 147-149). 77) Kapitel 7 (5. 161-181). 78) Kapitel 7 sub 1.2.a, aa (5. 166). 196 Ausblick Ebensowenig steht ein höherrangiges Subsidiaritätsprinzip entgegen, das etwa vorschriebe, die Pflegeverantwortung dürfe nicht dem familialen Bereich entzo- gen werden. Erachtet man ein Subsidiaritätsprinzip als vom Grundgesetz angeordnet?"), so gilt doch, daß dies Prinzip nicht überspannt werden darf und das konkrete Pro- blem nur nach genauer Analyse der jeweils einschlägigen Normen sowie des be- troffenen Ausschnitts der Lebenswirklichkeit beurteilt werden kann80). Dasselbe gilt, wenn man das Subsidiaritätsprinzip als Bestandteil der naturrecht- liehen Ordnung begreift!'). Auch dann ist es nicht geeignet, nach Art eines Jokers konkrete Ergebnisse herbeizuzaubern. Es gilt vielmehr der Satz Oswald v. Nell- Breunings: "Welches die jeweils richtige, den tatsächlichen Verhältnissen und Be- dürfnissen gerecht werdende Struktur eines Sachbereichs ... ist, muß in jedem Fall durch sorgfältige Sachanalyse ermittelt werden; die der sachgerechten Struk- tur gemäße Zuständigkeitsordnung wird von selbst auch dem Subsidiaritätsprin- zip Genüge tun'(82). 79) So Isensee, 318; vgl. aber auch oben Kapitel 7 sub 1.2. a, cc (5. 167). 80) Isensee, ebd. 81) Etwa als "gravissimum principium in philosphia sociali", so die Socialenzyklika "Quadra- gesimo anno" Pius' XI., n. 79; zit, bei Nell-Breuning, 826. 82) v. Nell-Breuning, 826 ( 832). Literaturverzeichnis Anrechnungsempfehlungen siehe: Deutscher Verein AOK-Bundesverband: So nicht! DOK 1991,235. 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